Europäische Heilpflanzen in den Wandlungsphasen der TCM
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Europäische Heilpflanzen in den Wandlungsphasen der TCM
TCM Anne Lohmann Europäische Heilpflanzen in den Wandlungsphasen der TCM ...alles andere als chinesisch! Bei aller Besinnung auf die Schätze der westlichen Naturheilkunde geht es der Heilkunde heute wie der Menschheit insgesamt. Wir wachsen in ein Miteinander hinein, in dem die Grenzen und Unterschiede in unserer Wahrnehmung zurücktreten und in dem das Verbindende und das Gemeinsame bestimmend wird für unseren Umgang miteinander und für unsere Zukunft. Gemeinsam war und ist allen Menschen zu allen Zeiten das Streben nach Heilung von Krankheit und Not und die immer wieder neu zu realisierende Sehnsucht nach Ganzheit, Geborgenheit und Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur und des Lebens. Das vielleicht größte Geschenk des Ostens an den Westen in diesem Kontext ist das geniale Bezugssystem der Wandlungsphasen und der Fünf Elemente. Die Synthese aus Philosophie, Religion und Medizin eröffnet uns im Westen einen Horizont, schafft eine Verbindung von dem, was auch bei uns vielleicht nie hätte getrennt werden sollen. Gepaart mit unendlich kluger Beobachtung und gesättigt mit Jahrtausenden bestätigender Erfahrung ist das System der Wandlungsphasen eine Kostbarkeit, die uns hilft, Mensch und Welt besser zu verstehen. Sie hilft dem Therapeuten, den Patienten zu der immer angestrebten Ganzheit sinnvoll und wirksam zu begleiten. Die Erscheinungsformen des Lebens, das wir nie als Ganzes, sondern immer nur bruchstückhaft in seinen Ausdrucksformen erkennen können, sind hier „sortiert“, so dass un- ser Verstand und unsere Intuition aus den Einzelteilen ein Puzzle zusammenstellen können, aus dem auch erkenntlich wird, was noch fehlt. Mir persönlich geht es so, dass auch Jahre nach meiner Ausbildung in TCM und QiGong das schlichte Lesen in den Wandlungsphasen mich immer wieder begeistert, mir Aspekte erhellt und mir hilft, Zusammenhänge herzustellen, die mir sonst entgangen wären. Vielleicht geht es Ihnen auch so, wenn Sie einen Blick auf Tabelle 1 werfen, die einige Zuordnungen aus den Fünf Elementen darstellt. Das Studium dieser Beziehungen ist eine unvergleichliche Hilfe, den Blick über den Tellerrand eines Symptoms auf den ganzen Menschen zu richten. Es ist ein senkrechtes Weltbild, das uns Brücken baut, dort wo man sonst an therapeutische Grenzen stößt. Auch Der ernährende Kreislauf Der bändigende Kreislauf Feuer Holz Holz Erde Wasser Metall Holz ist die Mutter vom Feuer Feuer ist die Mutter der Erde Erde ist die Mutter vom Metall Metall ist die Mutter vom Wasser Wasser ist die Mutter vom Holz Erde Wasser Feuer Holz bedeckt die Erde Erde saugt das Wasser auf Wasser löscht Feuer Feuer schmilzt Metall Metall zersägt Holz Abb. 1: Der nährende und der bändigende Kreislauf der Fünf Elemente 05/06 Metall helfen die Wandlungsphasen, intuitive Verhaltensweisen des Menschen in ihrer tiefen Sinnhaftigkeit zu erfassen. Ein Beispiel: Eine 30-jährige Patientin mit chronisch-obstruktiver und asthmatoider Bronchitis beschreibt von sich „Ich habe ein riesiges Bedürfnis zu singen. Nur wenn ich im Chor singe, geht es mir wirklich gut. Und in die Kirche gehe ich nur, weil ich dort regelmäßig und aus vollem Herzen singen kann.“ – Was sollte ich nach westlichem Anamneseverständnis mit dieser Aussage anfangen? Wenn ich allerdings die Wandlungsphasen hinzuziehe, wird deutlich: auf Grund biografischer, noch unbearbeiteter Ereignisse (Adoption, Trennung von der Mutter, Vater unbekannt) trägt die Patientin eine tiefe Traurigkeit mit sich, die sich in Schwächung von Lunge und Dickdarm äußert. Nach den Regeln der Hervorbringungssequenz nährt der Funktionskreis Erde den Funktionskreis Metall. Die stimmliche Manifestation des Funktionskreises Erde ist das Singen. Mit ihrem Gesang nährt die Patientin den Funktionskreis Metall, stärkt also Lunge und Dickdarm. Wenn sie eines Tages wird weinen können, wenn es ihr gelingt, sich ihre tiefe Traurigkeit bewusst zu machen und aufzulösen und als Teil ihrer einzigartigen Geschichte konstruktiv in ihr Leben zu integrieren, dann wird sich die Notwendigkeit zum Gesang lösen können und in eine Freude am Gesang wandeln. Wie kann nun die Integration dieser Erkenntnisse in die eigene Arbeit auf der Basis der abendländischen Heilkunde gelingen? Es kann ja nicht Sinn der Sache sein, dass wir versuchen, durch Studium von Akupunktur, QiGong, chinesischer Diätetik, chinesischer Pflanzenheilkunde und Tuina-Massage die besseren TCM-Therapeuten zu werden. Dazu fehlen uns letztlich die geografische, die botanische und die kulturelle Einbettung in das im Osten gewachsene System. Überdies ist ein schlichtes Beobachten der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Strukturen im Osten und im Westen geeignet, um zu erfassen, dass es auch bei uns offensichtlich Werte gibt, in denen der Westen dem Osten voraus ist. Unsere Gesellschaftsordnung ist geprägt von einer humanistischen Philosophie und Weltanschauung, die sich an den Interes- 1 TCM Tab. 1: Einige Zuordnungen aus den Fünf Elementen Holz Feuer Erde Metall Wasser Funktionskreise Leber Gallenblase Herz Dünndarm Milz-Pankreas Magen Lunge Dickdarm Niere Blase Regierte Körperteile Muskeln Sehnen Blutgefäße Fleisch Haut Knochen, Zähne, Nerven Körperliche Ausdrucksform Nägel Nagelbett Teint Lippen Körperhaar Haupthaar Sinnesorgan Auge Zunge Zunge Nase Ohr Sinnesfunktion Sehen Sprechen Schmecken Riechen Hören Körperöffnung Augen Ohren Mund Nase Hören Körperflüssigkeiten Tränen Schweiß (Bauch-) Speichel Nasenschleim Urin, Stuhl Emotion Ärger, Wut Freude, Lust Nachdenken / Sympathie Trauer, Sorge, Kummer Furcht / Schreckhaftigkeit Stimmliche Manifestation Schreien / Rufen Lachen Singen Weinen Stöhnen Tugend Güte Sittlichkeit Vertrauen, Heiligkeit Redlichkeit, Gerechtigkeit Weisheit Zum ersten die bewährten Indikationen der Pflanzenheilkunde, die nach erkranktem Organ und organstärkender und -heilender Pflanze fragen. Dann die Möglichkeit der wesensgemäßen Pflanzenheilkunde, die darüber hinaus den Charakter und die innere Art von Pflanze und Mensch in Übereinstimmung zu bringen sucht. Das Bezugssystem der TCM erschließt darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten. Einige Beispiele: Die Mariendistel Wandlungsphase Holz Fähigkeit zur Kontrolle zur Trauer Hartnäckigkeit (Aufstoßen) Ungewolltes ausscheiden (Husten) Spannung loslassen (Zittern) Geschmack Saures Bitteres Süßes Scharfes Salziges Tageszeit Früher Morgen Mittag Früher Nachmittag Früher Abend Mitternacht Jahreszeit Frühling Sommer Spätsommer Herbst Winter Klima Wind Hitze Feuchtigkeit Trockenheit Kälte Himmelsrichtung Osten Süden Zentrum Westen Norden Lebensalter Pubertät junger Erwachsener gereifter Erwachsener Alter Kindheit Farbe blau-grün rot gelb weiß schwarz Pflanzen Taraxac. Carduus Cynara Rosmarin Calendula Crataegus Avena sat. Urtica Millefolium Glechoma Plantago Sambucus Solidago Betula Bursa pastoris sen, den Werten, der Würde und Freiheit des Einzelnen orientiert. Dies wirkt über Politik und Gesellschaft hinaus selbstverständlich bis in die Medizin hinein. Der Respekt vor der Person und die Bereitschaft den Menschen und Patienten in seinem Person-Sein zu erkennen und zur Ausprägung seiner Einzigartigkeit hin zu fördern, bedeutet und bedingt, den Menschen als ein offenes System zu betrachten. Nur er selbst kann letztlich in sich finden, was sein Sinn und seine Bestimmung ist – seinen ganz persönlicher Beitrag zur Welt. 2 kunde schafft schon an sich eine Hinwendung zum Kosmos, vertieft die Einbettung und Anbindung an die Göttliche Ordnung. Der Mensch, der auf der Suche nach Heilung die Natur studiert, der in die Wälder geht und „seine“ Pflanze sucht, verbindet sich neu mit der Erde und mit allem, was auf ihr lebt. Der Gang in die Apotheke erleichtert uns dies heute vermeintlich, aber er nimmt uns dabei auch eine vielleicht essenzielle Qualität. Wenn wir jedenfalls „unsere“ Pflanzen wieder einsetzen, nach den in Jahrhunderten gefundenen Wirkungen, so gibt es dafür verschiedene Bezugssysteme. Inbegriff unserer Leberheilpflanzen ist Carduus marianus, die Mariendistel. Sie wirkt hepatoprotektiv, stimuliert die Leberzellregeneration und lindert funktionelle Gallebeschwerden. In der Ganzheitlichen Pflanzenheilkunde ist sie die Pflanze für Abgrenzung, Schutz und Individualität. Der Wandlungsphase Holz zugeordnet sind die Funktionskreise Leber und Gallenblase. Als Jahreszeit entspricht ihnen der Frühling, als Lebensalter die Pubertät. Die Pubertät ist die Zeit, in der der Mensch sich aus der Einheit mit dem Elternhaus löst und mit jugendlichem Sturm und Drang eine eigene Individualität erobert. Wenn dieser Prozess ge- Es geht also nicht darum, sich perfekt in ein bestehendes System zu fügen. Sondern es geht darum, das System der Gesetzmäßigkeit des Lebendigen zu kennen, zu achten und zu nutzen, um neues Leben daraus hervorzubringen. Damit ergänzen sich die abendländische und die ganzheitliche Pflanzenheilkunde auf wunderbarste Weise. Die Uridee der Pflanzenheil- Abb. 2: Die Mariendistel 05/06 TCM stört ist oder durch zu starke Kontrolle, zu große Verantwortung oder durch Traumata unterbrochen wird, muss die Findung der eigenen Individualität im späteren Leben nachgeholt werden. Solche Menschen verschwimmen mit ihrem Umfeld und werden als Person nicht erkennbar, oder sie zeichnen sich aus durch übergroße Abgrenzungsnotwendigkeit mit Reizbarkeit, Intoleranz und Zorn. Carduus marianus hilft Versäumtes nachzuholen. Es vermittelt die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Aus der Gelassenheit und aus der Stärkung der eigenen Individualität wächst die Tugend, Andere und Anderes mit Güte betrachten und lassen zu können. Der Weißdorn Wandlungsphase Feuer Weißdorn ist in der abendländischen Medizin das universelle Herzmittel. Die aktuelle phar- positiv inotrop und negativ bathmotrop. In der GanzheitliAnne Lohmann chen Pflanzenheilkunde steht ist seit neun Jahren Heilpraktikerin die Impulshaftigkeit der Pflanin eigener Praxis mit den Theraze im Mittelpunkt; ihre Fähigpieschwerpunkten Ganzheitliche keit zur Auflösung auch von Pflanzenheilkunde, Ernährungsbeemotionalen Stauungen und ihr ratung, Haptonomie, Qigong Yangsheng, Psychosomatische Bezug zu Herzensqualitäten Medizin und Reflexzonentherapie. von Weichheit, Zuneigung, VerAußerdem ist sie als Referentin für trauen und Liebesfähigkeit. Die Ganzheitliche Pflanzenheilkunde Wandlungsphase Feuer enttätig. Ziel ihrer Arbeit ist die Anrespricht dem Lebensalter des gung der Selbstheilungskräfte jungen Erwachsenen. Es ist die über die Wege der Ernährung, Berührung, Bewegung, die Zeit, in der die Lehrjahre schon Heilpflanze und das Gespräch. bewältigt sind, aber noch nicht Kontakt: die volle Verantwortung für FaErnst-Menne-Weg 6, D-57072 Siegen milie und Lebensaufgabe übernommen werden muss. Eine wichtige Zeit, die wenn sie genossen und ausgekostet werden kann, seelische Kraft aufbaut, von der das ganze weitere Leben gezehrt werden kann. Ein zauberhaftes Beispiel für einen gut verlaufenden Prozess in diesem Sinne ist das aktuelle Buch von Christian Siry: „Traum und Erwachen – eine Seelenreise auf dem Jakobsweg“. Wohl kein Zufall, dass dieser junge Wanderer auf seinem Weg einen Weißdornstab als Wanderstab benutzt! Unsere Zeit begünstigt diese Seelenphase nicht. Mittzwanziger sind entweder schon voll im Beruf oder in überaus stressgeprägten Studienabschlüssen und im Wettbewerb um die weniger werdenden freien Stellen. Die Wanderjahre sind aus unserer Kultur verschwunden. Nur konsequent, dass damit auch das Lachen, die Freude, die Lust weniger wird, dass Bitterkeit und Verbissenheit, Stresserkrankungen, Burnout-Syndrome und farblos-grau wirkende Menschen zunehmen. Das Fehlen an Lebenswärme in unserer Kultur nimmt am deutlichsten wahr, wer von außen hinzukommt. So beschrieb mir ein iranischer Patient seine Ankunft in Deutschland damit, dass er zunächst geblendet war von all den Möglichkeiten, der Perfektion, der Fülle, der Schönheit der materiellen Welt, in der wir leben. Nach einigen Monaten allerdings wurde ihm schockartig klar, dass verglichen mit seiner Kultur das Miteinander der Menschen hier „eiskalt“ ist. So brauchen wir Weißdorn vielleicht mehr als andere Pflanzen. Er hilft uns, wieder in Kontakt mit der Sonne in uns selbst und in unserem Leben zu kommen. Der Hafer Wandlungsphase Erde Abb. 3: Der Weißdorn makologische Betrachtung kann dies nur bestätigen: er steigert das Herzzeitvolumen und die Koronar- und Myokarddurchblutung durch Gefäßdilatation, er wirkt positiv dromotrop, 05/06 Hafer ist der große Helfer bei nervöser Erschöpfung, Schlaflosigkeit und Nervenschwäche. Auch in der Ganzheitlichen Pflanzenheilkunde sind es die Wesensqualitäten von Belastbarkeit, Auffangen von Erschütterungen und Stabilisierung von Rhythmen, mit denen Hafer bedrängten und von Zeitdruck gejagten Menschen wieder ein Gespür für ihre innere Abb. 4: Der Hafer Mitte gibt. Nach dem Verständnis der TCM ist das Haferstroh kühlend, die Früchte sind wärmend, das Kraut ist temperaturneutral. Seine Eigenschaften sind trocknend, nährend, tonisierend und wirken beruhigend auf den Geist. Wer braucht eine solche Pflanze? Der Wandlungsphase Erde zugeordnet ist der Spätsommer, die Zeit des gereiften Erwachsenenalters, die Zeit also, in der sich ein Mensch mit ganzer Kraft in seine Aufgabe und seine Verantwortung stellt. Ein Unternehmen will geführt werden, Kinder wollen ernährt und ins Leben begleitet werden, die Existenz ist zu sichern, die Altersvorsorge zu leisten. Es ist die produktivste Zeit, aber auch die anstrengendste. Nicht selten geht sie über die Kräfte des einzelnen Menschen. Dann ist eine Pflanze nötig, die Kraft vermittelt. Eine Kraft, aus der die Hartnäckigkeit erwächst, dem gesetzten Ziel treu zu bleiben. Die Himmelsrichtung der Wandlungsphase Erde ist das Zentrum. Im Zentrum zu bleiben, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, ist nie wichtiger als in dieser Zeit der mannigfaltigsten An- 3 TCM forderungen. Avena sativa hat diese zentrierende und stärkende Kraft. Die Gundelrebe Wandlungsphase Metall Abb. 5: Die Gundelrebe Die Gundelrebe hat eine lange volksheilkundliche Tradition bei eitrigen Bronchialerkrankungen, Verschleimung der Lungen, zur Wundheilung und rheumatischen Erkrankungen. Nach Sicht der TCM ist sie ein Spezifikum für den Funktionskreis Metall. Ihre Eigenschaften sind trocknend, kühlend, reinigend, ausleitend, adstringierend und antiphlogistisch. Die Ganzheitliche Pflanzenheilkunde sieht die Gundelrebe als Pflanze des Loslassens und der Erneuerung, sie verkörpert Gelassenheit und lebenserweckende Wärme. Wenn der Herbst des Menschen kommt, also sein Alter, dann trocknen die Schleimhäute aus, die Haut wird trocken, dann wird das Haar dünner und weiß, die Lebenswärme ist herabgesetzt. Liebe Menschen sterben, von Vielem muss man sich verabschieden. „Hast du deinen Sommer gut gelebt, so wird dein Winter gut zu dir sein.“ So heißt es in einem Sprichwort. Das Alter ist die Zeit, in der sich erweist, wie ein Mensch sein Leben gelebt hat. War es ihm gegeben oder hat er es verstanden, jeder Lebensphase mit ihren Aufgaben angemessen gerecht zu werden. Wurde das Qi kultiviert oder verschleudert? Die Fähigkeit, Fehler zu kompensieren, ist jetzt nicht mehr durch Jugend und Kraftüberschuss gegeben. Der Herbst ist auch die Zeit, in der es gilt, das Erfahrene, Erworbene und Gelernte weiter zu geben. Zum gesunden Durchgang durch den Herbst des Lebens gehört es, zu erleben, dass die eigenen Ideale mit Leben gefüllt werden konnten und von anderen weiter getragen werden. Die Gundelrebe hilft auf diesem Weg, Verbissenheit, Angst und Trauer loszulassen. Schmerzhafte Erfahrungen, die zu Erstarrungen geführt haben, kann das Kraut lösen. Den alternden Menschen durchdringt die Gundelrebe mit ihrer zwergenhaft spielerischen Art mit Lebenswärme. Dem jungen Menschen, der zu früh und zu verbissen in seine Ideale hinein lebt, hilft sie zu Gelassenheit, Geduld und Vertrauen. 4 Die Birke Wandlungsphase Wasser Wenn der Kreis sich schließt, wenn das Ende mit dem Anfang zusammenkommt, wird die Birke wichtig. Ihre Wesensqualitäten sind Anmut, Jugendlichkeit und Beweglichkeit, Polarität von Geburt und Tod, Jugend und Alter. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, …“ so heißt es in der Bibel. Und so ist die Wandlungsphase für das hohe Alter, für die Weisheit und für die Kindheit die Wandlungsphase Wasser. Es ist der Winter des Lebens. Die Himmelsrichtung ist Norden, die Tageszeit Mitternacht und der Geschmack der nach Salz. Die Birke, die früher „Nierenbaum“ genannt wurde, und die nierenfunktionssteigernd, harntreibend und entzündungswidrig wirkt, lindert die rheumatischen Beschwerden der alten Menschen. Sie zeigt eine starke Durchsaftung und beeindruckt mit ihrer jugendlichen Beweglichkeit, ihrem enormen Samenreichtum und mit ihrer Fruchtbarkeit. Sie hilft dem alten Menschen, geistig und körperlich elastisch und „im Saft“ zu bleiben. Manche Menschen brauchen hier die Hilfe der Birke. Andere nicht. Warum? Eine mögliche Antwort ist, dass so wie der Anfang war, auch das Ende sein wird. Wenn die Zeit der eigenen Kindheit geprägt war von Zuverlässigkeit, Treue und Stabilität, wenn die Erfahrung von Konstanz und Beständigkeit im Kleinen gemacht werden konnte, dann kann sie für ein ganzes Leben reichen. So wie der Winter in der Kälte alles auf die kleinste Einheit reduziert, so braucht der Samen eines Menschenlebens am Anfang die Erfahrung, im kleinsten Kreise zuverlässig gehegt, gepflegt und behütet worden zu sein. Dann kann der Mensch am Ende nach dem Durchgang durch die Fülle der eigenen Lebenserfahrungen zu wirklicher Weisheit reifen. Wo es nicht ganz dazu gereicht hat, kann die Birke mit ihrer Geschmeidigkeit und Sanftheit den Reifungsprozess abrunden helfen. Fazit Welche Pflanze in welche Wandlungsphase gehört und auf welchen Funktionskreis sie dämpfend oder anregend wirkt – dieses Wissen im Einzelfall auf den Patienten anzuwenden ist eine hohe Kunst. Diese Ausführung erhebt nicht den Anspruch, jene Kunst zu vermitteln. Von der Pulsdiagnose bis zum Klang der Stimme, von der Zungendiagnose bis zum Teint der Haut kann für den Therapeuten jedes Detail wegweisend sein, um für den einzelnen Patienten das richtige Mittel zu finden. Die vorausgegangenen Ausführungen dienen nur als Anregung, auch in der Pflanzenheilkunde den Blick über unsere Grenzen hinaus zu weiten. Wir können aus der Medizin des Ostens lernen, dass wir mit einer Pflanze nie nur ein Organ ansprechen, sondern einen ganzen Menschen mit all seinen Ausdrucksformen und in seiner gesamten Einbettung in den Kosmos. Auf dem Weg zu dem gemeinsamen Ziel des Westens und des Ostens, die Krankheit und auch die seelische Not der Menschen zu lindern, ist es gerade diese Qualität der Anbindung und Einbindung in das Ganze, die wir im Westen über dem Anschauen der Details aus dem Auge verloren hatten. Diese Qualität wieder zu finden und zu integrieren, ist das Geschenk des Ostens an eine zusammenwachsende Welt. Das wir nicht Zustände behandeln (Leber-Yin-Mangel, Nässe-Ansammlung in MilzPankreas), sondern Menschen, die auf dem Weg sind zu sich selbst, das kann vielleicht einmal das Geschenk des Westens an den Osten werden. Literaturhinweise Abb. 6: Die Birke Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005 Dianne M. Conelly: Traditionelle Akupunktur: Das Gesetz der fünf Elemente. Verlag Endrich, Heidelberg 1986 Jiaou Guorui: Qigong Yangsheng. Medizinisch literarische Verlagsgesellschaft, Uelzen, 5. Auflage 1997 Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau 2002 Dr. Roger Kalbermatten (CERES AG Schweiz), Dr. Thomas Rau (Paracelsus Klinik, Lustmühle, Schweiz): Wandlungsphasen, Funktionskreise und Pflanzensignaturen. Fortbildung in Würzburg, Haus Franken, 7.-9.10.2005 Joachim Schrievers: Durch Berührung wachsen. Shiatsu und Qigong als Tor zu energetischer Körperarbeit. Verlag Hans Huber, Bern, 2004 Rita Traversier, Kurt Staudinger, Sieglinde Friedrich: TCM mit westlichen Pflanzen. Sonntag Verlag Stuttgart 2005 05/06