Predigt am 2. Sonntag des Kreuzbergfestes 2010
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Predigt am 2. Sonntag des Kreuzbergfestes 2010
Letzte Predigt zum Kreuzbergfest 2010 Das Reich Gottes hat zu tun …mit Erfolgsgarantie; Mk 4,30-32 u. // Brüder und Schwestern im Herrn ! Wenn man dieses Gleichnis recht verstehen will, muss man sich zuerst die Stimmung der Leute klarmachen, die Jesus augenblicklich zuhören: Sie sind zum größten Teil enttäuscht und deprimiert. Ihre ganze Existenz haben sie an diesen Jesus gehängt, seinetwegen den Beruf aufgegeben und alles auf eine Karte gesetzt – und was ist herausgekommen? Welche Bilanz können sie ziehen? Gewiss, Jesus predigt in einer Art und Weise, die alle betroffen macht, einige Kranke sind auf wundersame Weise geheilt worden. Sie selbst haben den Sturm auf dem galiläischen Meer überlebt,–. aber sonst? Es passiert nahezu nichts. Eher das Gegenteil, die anfängliche Begeisterung schlägt um in Ablehnung, Zweifel macht sich breit. Die geistlichen Führungskräfte, Pharisäer und Schriftgelehrte, kritisieren ihn immer häufiger, sie empören sich über ihn, greifen ihn offen an, er sei sein Nestbeschmutzer und Gotteslästerer; immer mehr Anhänger verlassen ihn. Jesus hat zwar gesagt, das Reich Gottes habe mit seinem Kommen seinen Anfang genommen, aber wenn man realistisch und nüchtern fragt: „Wo denn“, dann wird es peinlich. Vom einstigen galiläischen Frühling, von der anfänglichen Begeisterung ist nicht mehr viel übrig geblieben. Das war also in etwa die Stimmung der Jünger, wie sie die Atmosphäre unseres Gleichnisses spiegelt. Und da sagt nun der Herr: Leute, hört zu, mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn… es fängt ganz klein, ganz unscheinbar an. Und dann malt er das Bild eines Mannes, der mit zwei spitzen Fingern in eine Samentüte fasst, – weiß Gott –, es ist ein Kunststück, überhaupt eines der Senfkörner greifen zu können, so klitzeklein sind sie. Ganze Hundert gehen auf ein Gramm! Aber merkwürdig, wenn es in die Erde getan wird, dann ist´s am Ende eine riesige Staude, zwei, drei Meter hoch, mit kräftigen Ästen, dass alle Vögel des Himmels darin nisten können. Was hat Jesus damit sagen wollen? Zunächst einmal spricht ein ungeheuer überzeugter und mutiger Optimismus aus seinen Worten. Das Reich Gottes ist schon da, es kommt und wird riesengroß, das geschieht so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber dass seine Anhängerschaft unbedingt an Zahl zunimmt, dass Pharisäer und Schriftgelehrten sich bekehren und die Anfeindungen ein Ende nehmen; dass das Christentum den ganzen Weltkreis erobern wird, und die Kirchen sich wieder füllen, – davon spricht er nicht. In der Tat, nicht die äußere Expansion, keine großen Zahlen und messbaren Mengen hat er im Auge, nicht einmal äußerlich sichtbar muss das Himmelreich sein, so dass man sagen könnte: „Hier ist es oder dort.“ Etwas deutlicher kommt das, was Jesus meint, in den Bildern vom Salz, vom Licht, vom Sauerteig zum Ausdruck. Selbst eine kleine Prise Salz verändert den Geschmack der Suppe, eine einzige Kerzenflamme kann Orientierung und Geborgenheit vermitteln, ein paar Gramm Hefe durchsäuern Pfunde von Mehl. Es geht um die innere Wirkkraft der Sache Gottes, um die Dynamik, die dem Himmelreich innewohnt. Die Menschen, die Jesus glauben und nachfolgen, werden immer eine kleine Schar bleiben. Martin Luther spricht von den Christen als vom „einsamen Vogel, der irgendwo auf dem Dach sitzt und sein Liedchen trällert“. Wir haben das alle schon mal an uns selbst erlebt, wie es ist, wenn wir in unserem Betreib oder im Büro oder in unserer Klasse niemanden haben, der in den entscheidenden Dingen des Lebens mit uns einig ist. Da begegnet uns der befremdliche Blick von Leuten, die uns sonst sehr nett und verständig anschauen, wenn wir im Gespräch Glaubensdinge anklingen lassen oder gar unser Tischgebet verrichten. Da fühlen wir uns trotz aller Kameradschaft im Entscheidenden auf einmal sehr isoliert. Aber statt in Angstvorstellungen zu fallen oder gar Minderwertigkeitsgefühle hoch kommen zu lassen, sollten wir, so der große evangelische Theologe Helmut Thielicke, stattdessen uns von Gott einmal „den frommen Schwung und die herzhafte Keckheit“ schenken lassen und uns „in die Weltsuppe und Weltfinsternis hinauswagen“. Es geht also im Gleichnis vom Himmelreich und dem Senfkorn darum, dass das Himmelreich in seiner inneren Bestimmung reift und seine Wirkkraft entfaltet. Es ist ja kein imaginäres Gebilde, keine bloße Idee, sondern in der Gegenwart Jesu ist es da, es ist in seinem Reden und Tun und fängt selbst zu reden und zu wirken an, ist mit einem Wort die „Herrschaft Gottes“. Klein wie ein Senfkorn wurde sie von Jesus da und dort in den Acker einer Menschenseele gesät: mal mit einer sanften Berührung, mal in einem unscheinbaren Wort: „Folgt mir nach“, sagte er, und die Fischer vom See Genesareth und der Zöllner Matthäus wurden zu Botschaftern für die ganze Welt, von deren Zeugnis unser Glaube noch heute zehrt. „Geh, dein Glaube hat dir geholfen“. Als die Trauernden und Leidenden das hörten, begann in ihnen ein Feuer zu brennen, das seither für den Heiland der Welt Zeugnis ablegt. Oder viel später noch:„Bau meine Kirche wieder auf“ – dieses Senfkorn Himmelreich hat in Franz von Assisi eine Reformation der Frömmigkeit in Gang gesetzt, die bis in die Gegenwart hineinwirkt. Ganz gewiss: der Glaube beginnt und wächst in der Stille des Herzens, und er muss auch immer wieder in die stille Zwiesprache mit Gott zurück. Gerade wir modernen Menschen, die wir meist so entsetzlich viel zu tun haben, die wir dauernd unterwegs sind zwischen klingelnden Telefonen und vom Karussell des täglichen Umtriebs herumgewirbelt werden, gerade wir sollten uns sagen lassen, dass wir nur in dem Maß das seelische Gleichgewicht bewahren, wie wir uns den ewigen Quellen öffnen und die Kraft der Ewigkeit und des Friedens Gottes in uns aufnehmen. Der Benediktiner Anselm Grün lässt sich 5 mal am Tage von der Arbeit zum Gebet rufen; nicht trotzdem, sondern gerade deswegen kann er sein umfangreiches schriftstellerisches Werk verrichten und gleichzeitig noch das Wirtschaftsbüro seines Klosters leiten. Aber das ist nur die eine Seite der Herrschaft Gottes. Wenn der Glaube nur im Inneren bleibt, wird er zu einer unausgelüfteten Frömmigkeit und erstickt daran. Die Herrschaft Gottes enthält eine unerhörte Sprengkraft, es will heraus, es will Baum werden und Zweige haben. In manchen botanischen Gärten wachsen Palmen, die nicht mehr in ihr Glashaus passen. Da werden dann die Glashäuser um ein, zwei gläserne Stockwerke erweitert; aber meist geht das bald auch nicht mehr. So scheint es mir auch mit manchen Christen zu sein. Sie leben in ihren frommen Zirkeln, erbauen sich und kommen sich wunder wie fromm vor. Sie ziehen immer neue Glaswände um ihre Frömmigkeit und ihre Gemeinschaften herum, damit ja der Palmbaum ihres Glaubens von keinem Lufthauch berührt wird. Aber sie kommen nicht darum herum, sie müssen sich entscheiden, ob sie das Glashaus abbrechen oder den Baum verkümmern lassen. Denn das Reich Gottes will frei wachsen, und es wächst unwiderstehlich, wo einmal der Same in ein Herz gefallen ist. Aus diesen Herzen will es dann herauswachsen und will die Zweige über ihre Ehe und Familie breiten. Da will es dann ein Neues gestalten. Und auch unsere Kinder sollen in diesem Ozon aufwachsen und die gute Luft atmen. Und dann will es über unseren Beruf hinweg wachsen, und unsere Kolleginnen und Kameraden sollen spüren, dass da eine schöpferische Kraft an der Arbeit ist und Lust zu mehr macht. Ja, mit dem Samen des Himmelreiches kommt eine heimliche Revolution in die Welt. Zuerst werden einige Menschen anders, dann ändern sich die Verhältnisse und dann ändert sich die Gesellschaft. Wenn die Welt aber noch nicht anders geworden ist, und wenn die Weltmenschen boshaft genug sind, uns mit der Frage zu ärgern, was in den 2000 Jahren Christentum sich eigentlich geändert habe, kann liegt das gewiss nicht an den bösen Heiden, die das Reich Gottes sabotiert hätten, sondern dann liegt das an uns Christen selber. Wir haben das Reich Gottes in unseren Herzen einfach noch zu wenig keimen und wachsen und groß werden lassen. Wir müssen noch eine dritte Seite des Reiches Gottes beleuchten, das wie ein Senfkorn zu einem großen Strauch heranwächst. Und damit greife ich den Eingangssatz meiner ersten Predigt noch einmal auf: „Jesus hat das Reich Gottes verkündet, gekommen ist aber die Kirche“. Man kann Kirche und das Reich Gottes nicht in eins setzen, aber beide sind dennoch aufeinander bezogen. Denn die Gemeinschaft derer, die die Herrschaft Gottes in ihrem Herzen aufnehmen und wachsen lassen, ist ja die Kirche. In der Religionsstunde fragte die Grundschullehrerin ihre Klasse: "Wer von euch möchte später einmal in den Himmel kommen?" Alle Kinder der Klasse streckten den Arm hoch. Nur der Maxl nicht. Da wandte sich die Lehrerin erstaunt an ihn: "Maxl, du möchtest nicht?" Der Junge antwortete: "Natürlich will ich in den Himmel kommen, aber doch nicht mit diesem Haufen da!" Manchmal gleicht die örtliche Gemeinde tatsächlich einem kümmerlichen Haufen. Manchmal unbedeutend, oft nicht die Elite der Gesellschaft. Zumeist sind viele alte Menschen dabei. Es sind keine perfekten Menschen. Sie alle haben ihre Fehler und Schwächen, ihre Ecken und Kanten. Und manchmal geschehen schlimme Dinge: Streit und Angeberei, Ehrgeiz und Geltungsbedürfnis. Menschen, die sich nicht zur Gemeinde rechnen oder am Rande stehen, sehen diese dunklen Seite einer Gemeinde oft sehr deutlich, sicher manchmal auch übergenau, wie mit einer Lupe. Als Begründung, dass sie im Gemeindeleben fehlen, führen sie oft an: "Mit denen, die jeden Sonntag zur Kirche gehen, möchte ich nichts zu tun haben. Ich bin auch nicht schlechter als die." Und doch: Es gibt kein Christsein ohne Gemeinde. Sowenig ein Blatt ohne den Baum und seine Wurzel leben kann, sowenig kann ein Mensch im Glauben ohne die Verwurzelung in der Gemeinde Jesu leben. Jesus und sein Reich ist nicht mit der Kirche gleichzusetzen. Und doch kann man Jesus und sein Reich nicht ohne sie bekommen. Es gab und gibt in der Kirche sicher viele Fehlentwicklungen, die Jesus nicht gewollt hat. So glaube ich nicht, dass er Kreuzzüge und Hexenverbrennungen gewollt hat. Ich glaube auch nicht, dass er Streit in den Gemeinden und Kirchenspaltungen gewollt hat. Aber wer Gott und Jesus haben will, der kommt an der Kirche nicht vorbei. Denn Jesus ist das Haupt der Kirche, die Kirche sein Leib. Der Kirche ist eine große, göttliche Verheißung geschenkt: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben" (Lukas 12,32). "Nur mit dem Haufen da", gibt es einen Weg in das Reich Gottes. „Nur mit dem Haufen da“ kann seine Herrschaft wachsen. Amen. Vilseck, den 18./19.09.2010, Pfr. D. Schindler