PDF - Globetrotter

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Von Urs Zaugg (Text und Bilder)
auf Vancouver Island
Sechs herausfordernde Tage
im Rhythmus der Gezeiten durch
eine spektakuläre Wildnis
Auf den Spuren eines ausgedienten Rettungspfades für
Schiffbrüchige führt diese Trekkingroute durch eine zerklüftete, in
ihrer Ursprünglichkeit erhaltene Küstenlandschaft auf der grossen
Vancouver-Insel in Westkanada. Eine 5- bis 8-tägige Tour auf
einem anspruchsvollen Wildnispfad, reich an faszinierenden Naturerlebnissen und unvergesslichen Begegnungen. Ein Kleinod unter
den nordamerikanischen Trails.
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Spektakuläre steile Leitern
verbinden vielerorts den
weiter oben am Steilhang
liegenden Trekkingpfad
mit der Meeresküste.
Die Tsusiat Falls,
an einer wunderschönen, sandigen
Meeresbucht gelegen.
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s
chon wieder donnert einer dieser
übergrossen Holztransporter an uns vorbei. Aufgewirbelter Schotter trommelt
gegen das Blechkleid unseres
Wagens. Als sich die Staubwolke
verzieht, setzen wir unsere Fahrt
vorsichtig weiter. Wir befinden
uns auf dem Weg in den Pacific Rim National Park, auf der
Westseite von Vancouver Island
gelegen. Die 90 km lange Schotterpiste zwischen Port Alberni
und dem Küstenort Bamfield
erfordert eine äusserst konzentrierte Fahrweise. Das kleine Fischerdorf ist der Ausgangspunkt
für unsere geplante Tour auf dem
West Coast Trail.
Ein stahlblauer Himmel und
schwüle Hitze liegt über der Insel, als wir das nördliche Trailhead Office erreichen. Eine gewisse Spannung liegt in der Luft,
wir wissen, dass jeden Tag nur
eine gewisse Anzahl Wanderer
den Park betreten dürfen. Es ist
Ferienzeit und der West Coast
Trail gehört zu den populärsten Hiking Trails Kanadas. Wir
rechnen also im ungünstigsten
Falle mit ein oder zwei Tagen
Wartezeit. Unsere Bedenken
erweisen sich jedoch als unbegründet. Die freundliche Rangerin trägt unsere Namen in eine
Liste ein und bestellt uns für den
nächsten Morgen ins Office.
Ein sonniger Tag erwartet uns,
als wir frühmorgens aus den
warmen Schlafsäcken kriechen.
Kurze Zeit später betreten wir
erwartungsvoll das Office der
Parkverwaltung. Die Rangerin informiert umfassend über
den Trail, weist auf mögliche
Gefahren hin und übergibt uns
eine genaue Trailkarte sowie die
wichtige Gezeitentabelle.
Dem Meer entlang wandern
ist immer wieder
eine interessante
Abwechslung –
aber nur bei Ebbe.
Deshalb ist die
Mitnahme des
aktuellen Gezeitenplans unerlässlich.
Eigentlich ein alter
Seenotrettungspfad
Der Ursprung des West Coast
Trails reicht in jene Zeit zurück,
als die Küstenwache noch nicht
über die Möglichkeiten verfügte,
welche die heutige Technik zu
bieten vermag. Moderne Satellitennavigation war ebenso unbekannt wie Radarschirme. Die
zerklüftete Küste auf der Westseite von Vancouver Island war
wegen der schweren Stürme mit
meterhohen, peitschenden Wellen und dem in kürzester Zeit
aufziehenden, dichten Nebel
sehr berüchtigt.
In diesem Küstenabschnitt
jedoch lag die Einmündung in
die Juan de Fuca Meeresstrasse, welche jedes Schiff mit
Bestimmungshafen Seattle zu
durchfahren hatte. Die Wracks
von gegen fünfzig an der Küste
zerschellten und oftmals gesunkenen Schiffen liegen teilweise
noch heute auf dem Meeresgrund.
Als Folge dieser Schiffshavarien wurde zwischen 1907
und 1912 ein Rettungspfad für
Schiffbrüchige durch den Jahrtausende alten, dichten Regenwald gebaut. Der Pfad verband
die beiden Orte Bamfield im
Norden und Port Renfrew im
Der Waldboden
ist überzogen
mit einer Vielfalt
an Farnen und
Moosen.
Süden miteinander. Somit wurde es für Rettungsmannschaften
möglich, zu den Schiffbrüchigen
vorzudringen.
Im Zeitalter der modernen
Schifffahrt geriet der Pfad in
Vergessenheit. Mit der Errichtung des Pacific Rim National
Parks erwachte jedoch wieder
das Interesse am ausgedienten
Überlebenspfad, was für die
Parkbehörde Grund genug war,
den längst überwucherten Weg
wieder instand zu setzen.
Start im Regenwald
Kartenskizze aus
dem OutdoorHandbuch 29 «Kanada:
West Coast Trail»
© Conrad Stein Verlag
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In der Nähe des nördlichen
Trailhead Office führt der Pfad
bei Pachena Bay in den dunklen
und urzeitlich wirkenden Regenwald. In dem vorherrschenden, feuchten Klima ist der
grösste Teil des Baumbestandes
von Moosen bewachsen und der
Waldboden ist überzogen mit einer Vielfalt an Farnen. Der Pfad
befindet sich auf diesen ersten
Kilometern in einem sehr ordentlichen Zustand.
Am Vorabend machten wir
die Bekanntschaft eines müden
und abgekämpften Hikers, welcher sechs Tage zuvor in Port
Renfrew im Süden aufgebrochen war. Er bezeichnete das
Teilstück zwischen Pachena Bay
und Michigan Creek als Autobahn im Vergleich dazu, was uns
später noch auf dem Trail erwarten sollte. Der Zustand und Verschmutzungsgrad seiner Ausrüstung und nicht zuletzt auch
seiner selbst liess am Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen kaum
Zweifel aufkommen.
Nach einigen Stunden Fussmarsch durch den nordischen
Regenwald erreichen wir den
Leuchtturm von Pachena Point.
Bei diesem alten Bauwerk bietet
sich erstmals ein wunderbarer Ausblick auf die schroffen
Klippen in diesem unwirtlichen
Küstenabschnitt. Der Weg verliert nun stetig an Höhe und
führt schliesslich aus dem dämmerigen Licht des Urwaldes
hinaus an die Mündung des Michigan Creek. Die Szenerie, die
sich hier bietet, könnte friedlicher kaum sein.
Der Pazifik liegt ruhig vor
uns und die Brandung fügt sich
harmonisch, ja geradezu sanft
in die nun idyllisch wirkende
Küstenlandschaft ein. An diesem Ort war es allerdings nicht
immer so friedlich: 1893 lief hier
der Dampfer «Michigan» auf ein
Riff, und Menschen mussten gegen die Urgewalt der Natur um
ihr Leben kämpfen.
Wir wandern der Brandung
entlang über Sandstrände und
feines Kies. Trotz einer leichten
Seebrise macht uns die drückende Hitze zu schaffen. Am Orange Juice Creek machen wir Rast,
um unsere Trinkwasservorräte
zu ergänzen. Ein sonderbarer
Name für einen Bach, einer jedoch der die Phantasie durstiger
Hiker zu beflügeln vermag.
Wir nutzen die kurze Pause
und schnallen uns Gamaschen
um die Beine. Diese nützlichen
Helfer sollen das ständige Eindringen von Sand in die Wanderschuhe verhindern. Der Abend
ist noch jung, als wir müde am
Tsocowis Creek ankommen. Hier
am Fusse eines kleinen Wasserfalles und nur wenige Meter vom
Strand entfernt schlagen wir unser erstes Camp am West Coast
Trail auf. Wir geniessen es, Zeit
zu haben. Ein Lagerfeuer wird
entfacht. Während ich mich dem
Kochen zuwende, sitzt Yvonne
bereits tief in ein Buch versunken im warmen Sand unweit der
Brandung.
Nicht ohne Risiken
Der nächste Morgen erwartet
uns erneut mit Sonnenschein,
draussen vor der Küste aber liegt
schwerfällig das Grau des Nebels über dem Meer. Farbige Bojen markieren den Pfad, der zum
Haupttrail hinaufführt. Kaum
oben angekommen, treffen wir
auf eine Holzbrücke, welche den
Tsocowis Creek überspannt.
Kein einfacher Holzsteg wie
üblich, sondern eine Konstruktion von gefälliger Eleganz. Der
gemässigte Regenwald gibt von
Zeit zu Zeit den Blick frei auf
die schroffe Küstenlandschaft.
An etwas höher gelegenen Aussichtspunkten geniesst man einen eindrucksvollen Blick hinaus auf die Weite des pazifischen
Ozeans. Mit etwas Glück und
Geduld lassen sich auch vorbeiziehende Wale beobachten.
Der Zustand des Trails wird
nun stetig schlechter. Die Aussagen des Hikers aus Pachena Bay
scheinen sich nun allmählich
zu bestätigen. Der Boden ist mit
Feuchtigkeit durchtränkt und
völlig aufgeweicht. Die Gefahr,
auf diesem schmierigen Untergrund auszurutschen, ist nicht
zu unterschätzen, besonders
an Stellen, wo der Weg steil abfällt. Nasses Wurzelwerk, grosse
Steine und umgefallene Bäume
machen das Ganze auch nicht
einfacher.
Ich bin gerade dabei, unter
einem solchen Baumriesen hindurch zu kriechen, als plötzlich
ein älterer Mann vor mir steht
und sich nach einer Möglichkeit
erkundigt, hier in der Nähe an
den Strand zu gelangen. Wie sich
bald herausstellt, hat sich seine
Begleiterin den Knöchel derart
verstaucht, dass an ein Weitergehen nicht mehr zu denken ist.
Offensichtlich leidet sie grosse Schmerzen, ein Bruch kann
nicht ausgeschlossen werden.
Gemäss ihren Aussagen sind die
Parkranger bereits alarmiert. Die
Beiden werden wohl vom Strand
aus evakuiert, entweder per Heli
oder mit einem Patrouillenboot.
Romantik an den Tsusiat
Wasserfällen
Am Klanawa River treffen wir
erstmals auf ein «Cable Car», eine
originelle Art von Luftseilbahn,
bei der ein einfacher Metallkorb
an einem Tragseil hängt, gerade
mal gross genug, um zwei Personen mit Gepäck aufzunehmen.
Diese abenteuerlich anmutende
Konstruktion dient zum Überqueren schwieriger Flussläufe.
Über Laufrollen lässt man nun
das «Cable Car» bis zum tiefsten
Punkt des Tragseiles sausen, um
es anschliessend mit Hilfe eines
Zugseiles und vereinter Muskelkraft an der gegenüberliegenden Flussseite wieder hoch zu
ziehen. Ein ziemlich aufregendes Unterfangen und nichts für
schwache Nerven.
Die Sonne hat gerade ihren
Zenith überschritten, als wir
Tsusiat Falls erreichen. Um jedoch hinunter an die traumhaft
gelegene Bucht zu gelangen müssen wir zuerst lange und steile
Holzleitern
hinunterklettern.
Das Wasser des nur wenige Kilometer im Innern der Insel ge-
Jeder Tag überrascht die Wanderer mit völlig anderen Landschaftsbildern. Man muss aber auch auf weniger schönes Wetter vorbereitet sein.
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legenen Tsusiat Lake stürzt hier
kristallklar und in breiter Front
über einen hohen Felsen hinunter an den Strand. Am Fusse des
Felsens sammelt sich das Wasser
in einem natürlichen Becken,
bevor es sich seinen Weg durch
Sand und Kies bahnt, um in den
nur wenige Meter entfernten Pazifik zu münden. Zu meinem Erstaunen ist weit und breit keine
Menschenseele zu sehen, obwohl
Tsusiat Falls als ein Höhepunkt
am West Coast Trail gilt.
Wir sind begeistert von der
einmalig schönen Szenerie und
stellen unser Zelt unweit der
Wasserfälle am Fusse einer Felswand in den warmen Sand. Wir
nutzen die Gelegenheit, werfen
unsere verschwitzten Kleider in
den Sand und geniessen die erfrischende Dusche unter dem Wasserfall. Gegen Abend treffen nun
auch andere Hiker in Tsusiat Falls
ein. Manche erwecken einen recht
frischen Eindruck, andere wirken
müde und erschöpft.
Am nächsten Morgen, als wir
kurz nach 7 Uhr unsere Rucksäcke schultern und losmarschieren, liegt eine sanfte Stille über
der Bucht und feuchte Nebelschwaden ziehen vom Meer her
landeinwärts. Für den weiteren
Verlauf der Strecke wählen wir
den Weg entlang der Bucht zum
ca. 1 km entfernten Felsentor
von Tsusiat Point. Eine Felsnase
reicht an dieser Stelle weit über
den Strand hinaus ins Meer. Ein
schier unüberwindbares Hindernis, hätte da nicht die Brandung
ein grosses Loch in den Fels
gefressen und für einen natürlichen Durchgang gesorgt. Dieses
Felsentor gibt den Weg allerdings nur bei Ebbe frei, bei Flut
versperrt Meerwasser die Passage. Anhand der Gezeitentabelle
lässt sich aber genau ablesen, zu
welcher Tageszeit das Felsentor
begehbar ist.
Der Weg führt nun durch ein
Indianerreservat, wir kommen
gut vorwärts und erreichen bald
das Ufer des Nitinat Lake. Dieser
See verengt sich zum Meer hin
immer stärker und ergiesst sich
schliesslich in einem schmalen
Kanal in den Pazifik. Charakteristisch aber nicht ganz ungefährlich für diese Verengung sind
die starken Gezeitenströmungen.
Die Parkverwaltung hat hier bei
Nitinat Narrows einen Fährservice eingerichtet, welcher durch
Indianer aus einer nahegelegenen Siedlung während den Sommermonaten betrieben wird.
An dem alten und wackeligen Holzpier warten bereits zwei
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Der ganze Küstenabschnitt ist ein Nationalpark. Für die Mühsalen des Weges wird
man reichlich entschädigt durch das Erlebnis eines unberührten Regenwaldes.
Engländer seit mehr als einer
Stunde darauf, von der Fähre
abgeholt zu werden. Wir beide
haben etwas mehr Glück, kaum
fünf Minuten vor Ort ertönt bereits Motorengeräusch.
Mit flauem Gefühl durchs
Bärengebiet
Erneut tauchen wir ein in den
dichten Regenwald. Hier verläuft
nun der Trail während einiger
Kilometer über schmale Holzstege. Auf einer Tragkonstruktion führen diese sogenannten
«Boardwalks» leicht erhöht über
den morastigen und mit einer
Vielfalt von Farnen und Moosen dicht bewachsenen Waldboden. Auf diesen «Boardwalks»
ist es angenehm zu laufen und
man kommt gut voran, doch der
Holzsteg birgt versteckte Gefahren und erfordert konzentrierte
Schritte. Immer wieder trifft
man auf modrige Holzplanken,
auf denen man leicht ausrutschen kann, auch die Tragkonstruktion ist an einigen Stellen
morsch und daher recht unsta-
bil. Die Parkverwaltung erneuert oder repariert zwar ständig
die verwitterten «Boardwalks»,
trotzdem kann man schadhafte
Stellen treffen.
In der Nähe von Cloose Bay
führt uns der Trail wieder dicht
ans Meer heran. Über die hölzerne Hängebrücke des Cheewhat
River gelangen wir nun in ein
Waldstück, das weniger dicht
bewachsen ist und etwas von
seinem Urwaldcharakter eingebüsst hat.
Die Parkrangerin vom Pachena Bay Trailhead hat uns
ausdrücklich vor einer Bärin
gewarnt, die in diesem Gebiet
ihre Jungen aufzieht. Mit erhöhter Aufmerksamkeit und einem
etwas flauen Gefühl im Magen
wandern wir zielstrebig durch
das Revier der Bärin. Wir sind
erleichtert, als wir die in unserer
Trailkarte mit der handschriftlichen Notiz «Danger – Bear
Area» bezeichnete Stelle ohne
weitere Zwischenfälle verlassen
können.
Durch ungezähmte Küstenlandschaft führt nun der Trail in
schwindelerregender Höhe über
einen bewaldeten Kamm entlang
der felsigen Steilküste. Plötzlich
dringt von fern ein schwaches
und uns fremdes Signal durch
den allmählich aufziehenden
Nebel. Deutlich sind zwei aufeinanderfolgende, in regelmässigen Abständen wiederkehrende
Heultöne zu hören. Ein kurzer
Blick auf die Trailkarte genügt,
um Klarheit über den Ursprung
dieses für unsere Ohren ungewohnten Geräusches zu erhalten. Das Nebelhorn des einige
Kilometer vor uns liegenden
Leuchtturms von Carmanah
Point scheint für dieses durchdringende, akustische Signal
verantwortlich zu sein. Zum
immer lauter werdenden Nebelhorn gesellt sich nun auch noch
das Bellen einer Seelöwenkolonie. Wegen der schlechten Sicht
sind die Tiere draussen auf dem
der Küste vorgelagerten Robbenfelsen allerdings kaum zu erkennen.
Wir erreichen den Felsen von
Carmanah Point, ein weiter Ausblick auf die nebelverhangene
öffne. Der Trail führt nun an Bonilla Point vorbei, stetig der zerklüfteten Küste entlang.
Das Gehen im trockenen und
weichen Sand erweist sich als
eine äusserst kraftraubende und
anstrengende Angelegenheit. Bei
jedem Schritt sinkt man mit dem
schweren Rucksack tief in den
Sand ein. Etwas leichter marschiert es sich dort, wo der Sand
feucht und daher fester ist. Aus
diesem Grunde wandern wir in
unmittelbarer Nähe zu den letzten Ausläufern der Brandung,
welche unermüdlich mit ihrem
Wellengang den Strand seit Urzeiten bearbeitet.
Eigentlich wollten wir bei
Vancouver Point den Strand
verlassen und wieder auf den
Haupttrail im Regenwald wechseln. Die Leiter, welche die Steilküste emporführt, ist jedoch
beschädigt. Einige Sprossen sind
Küstenlandschaft eröffnet sich
uns. Während wir an der Abbruchkante des Felsens stehen
und ins weite Nichts hinausblicken, fährt uns das schaurig dröhnende Warnsignal des
Leuchtturms direkt hinter uns
durch Mark und Bein.
Von einer früheren Tour auf
diesem Trail weiss ich, dass hier
in der Nähe Indianer eine Art
Kiosk betreiben. Kaum sind wir
vom Felsen runtergestiegen, entdecken wir am Waldrand einen
einfachen Bretterverschlag. Es
gibt sie also immer noch, diese
für so manchen Wanderer «rettende» kleine Imbissbude am
Trail. Nebst Getränken sind hier
jede Menge Süssigkeiten und sogar einfache warme Speisen auf
Wunsch erhältlich.
Wenn die abendlichen
Lagerfeuer brennen
Erneut begrüsst feuchter Nebel
den Tag, als ich am nächsten
Morgen noch etwas verschlafen
den Reissverschluss des Zeltes
mit einer zaghaften Bewegung
Stimmungsvoller
Sonnenuntergang
an einer der
idyllischenMeeresbuchten.
Eine tief eingeschnittene
Schlucht wird von
einer schmalen,
wackeligen,
aber sicheren
Hängebrücke
überspannt.
durchgebrochen, andere fehlen
gänzlich. Nach einem kurzen
Blick auf die Trailkarte und die
Gezeitentabelle
entschliessen
wir uns, bis nach Walbran Creek
weiter der Küste entlang zu gehen, was allerdings nur bei Ebbe
möglich ist. An Stelle sandiger
Buchten bestimmen nun flache,
von der Brandung glattgehobelte Felsplatten das Bild am Trail.
Das durch die Ebbe abgeflossene
Meerwasser hat in den Spalten
und Vertiefungen unzählige
Pfützen hinterlassen und ein
Teil der Unterwasserwelt des Pazifiks wird nun sichtbar. Die bald
schon beginnende Flut macht ein
Weitergehen entlang der Küste
unmöglich und so nutzen wir in
Walbran Creek die Gelegenheit,
um rechtzeitig wieder auf den
Haupttrail zu wechseln.
Kaum sind wir losmarschiert, beginnen plötzlich un-
geahnte Schwierigkeiten. Wir
kommen nur noch sehr langsam
vorwärts, ständig stecken wir in
Morast und Sumpflöchern fest.
Offenbar muss es hier an der
Westküste der Insel bis vor einigen Tagen viel Regen gegeben
haben.
Unsere Gamaschen leisten
erneut wertvolle Dienste, mehrmals sinken wir bis weit über
den Schuhrand im tiefen Morast
ein. Yvonne ist mit ihren Wanderstöcken klar im Vorteil. Gelingt es ihr doch immer wieder,
verborgene Baumwurzeln oder
dergleichen als feste Trittflächen
zu ertasten, zusätzlichen Halt zu
finden und sich flink durch das
Gelände zu bewegen. Oftmals
aber müssen allzu tiefe Sumpflöcher durch die dichte Vegetation
des Urwaldes mühsam umgangen werden.
Wir sehen aus wie nach einem Moorbad, als wir an der
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se, welche weit übers Shelf hinaus ins Meer reicht. Hat die Ebbe
ihren tiefsten Stand erreicht, gibt
auch hier ein von der Brandung
ausgewaschenes Felsentor den
Durchgang frei. Zur Zeit jedoch
liegt das Tor noch unpassierbar
tief im Wasser und gemäss unserer Gezeitentabelle wird sich
dies in den nächsten Stunden
auch nicht ändern.
Während wir etwas ratlos vor
diesem natürlichen Hindernis
stehen und überlegen was zu tun
ist, bemerken wir zwei Seehunde welche in Ufernähe im Wasser herumtollen. Immer wieder
unterbrechen sie ihr Spiel und
beobachten uns neugierig. Es
scheint, als ob sie sich fragen,
wie wir wohl unser Problem zu
lösen gedenken.
Mit Hilfe eines Seiles klettern wir die Felsnase hoch und
kämpfen uns durch das Dickicht des mit Büschen und Bäu-
Abbruchkante der tief eingeschnittenen Schlucht namens
Logan Creek eintreffen. Eine
wackelige, schmale Hängebrücke überspannt in luftiger Höhe
das Mündungstal. Der weitere
Verlauf des Trails ist nun in einem wesentlich besseren Zustand und wir kommen wieder
zügiger vorwärts.
Kurz vor Cullite Cove macht
sich bei Yvonne die Achilles
Sehne auf schmerzhafte Art bemerkbar. Das schwierige Gelände und der unsinnige Versuch,
die verlorene Zeit wieder aufzuholen, fordern nun ihren Tribut.
Wir wollen die herbe Schönheit
dieser urzeitlichen Landschaft
bewusst erleben, dies erfordert
jedoch, mit genügend Zeit und
wachen Sinnen zu wandern.
Das geplante Tagesziel lassen
wir fallen und schlagen statt dessen unser Zelt in der schön gelegenen Bucht von Cullite Cove
auf. Wir teilen uns den Platz mit
einem Portugiesen und seinem
kanadischen Begleiter. Die beiden befahren die Küste entlang
des Pacific Rim National Parks
mit ihren Sea-Kayaks.
Später gesellt sich noch ein
Paar aus Holland und eine Gruppe Australier dazu. Die Welt
wird manchmal klein, wenn am
West Coast Trail die abendlichen
Lagerfeuer brennen!
Auf Schritt und Tritt trifft
man ander wild zerklüfteten
Küste auf Naturidylle.
Die Leuchttürme mussten
früher bei Nacht und
Nebel die Schiffe vor der
Gefahr dieser schroffen
Steilküsten warnen. Trotzdem zerschellten Dutzende
von Schiffen an den Felsen.
Kletterei am Felsentor von
Owen Point
Nicht enden wollende Leitern
führen uns am nächsten Morgen
hinauf auf die felsige Steilküste.
Nach einigen Kilometern durch
den Urwald bietet sich erneut
die Möglichkeit, den Weg direkt
an der Brandung des Pazifiks
fortzusetzen. Der felsige Untergrund, sogenanntes Shelf, ist bei
Ebbe überdeckt mit einer Vielzahl kleiner Meerwasserbecken.
Unzählige Möwen umgeben uns
beim Marsch über die Felsplatten. Eine gewisse Gefahr geht
von den «Surge Channels» aus.
Dabei handelt es sich um mehrere Meter tief in den Fels eingeschnittene Brandungskanäle,
welche sich über die gesamte
Breite des Shelfs vom Ufer bis
zur Steilküste hin erstrecken.
Einige sind schmal genug, um
sie problemlos zu überspringen.
Andere umgeht man besser, was
aber mit einiger Kletterei an der
felsigen und mit Büschen bewachsenen Küste verbunden ist.
Am späteren Nachmittag erreichen wir Owen Point. Erneut
treffen wir hier auf eine Felsna70
Mehrere grosse Flüsse werden von
solchen simplen Luftseilbahnen
überspannt, die von den Wanderern
selber zu betreiben sind. Über Laufrollen
lässt man sich im «Cable Car» bis zum
tiefsten Punkt des Tagseiles sausen, um
es anschliessend mit Hilfe eines Zugseiles
und vereinter Muskelkraft an der
anderen Flussseite wieder hochzuziehen.
men bewachsenen Kamms auf
die gegenüberliegende Seite. Für
den Abstieg gestaltet sich die
ganze Angelegenheit nun etwas
schwieriger. Die Felsnase erweist
sich hier als höher und steiler als
beim Aufstieg. Bei einem ersten
Versuch ohne Gepäck stelle ich
aber fest, dass ein Abstieg möglich und verantwortbar ist.
Der weitere Verlauf des Weges führt auf den folgenden
zwei Kilometern über einen
Strandabschnitt, welcher übersät
ist mit unzähligen, teils riesigen
Felsbrocken und einer Unmenge
an Schwemmholz. Eigentlich ist
man unentwegt damit beschäftigt, auf irgendwelchen Steinen
oder Treibholz balancierend,
sich mühsam einen Weg durch
dieses Labyrinth zu suchen.
Nach dem überfluteten Felsentor
nun also auch noch das. Mit dem
Argument der Schönheit hatte
ich Yvonne vor einigen Stunden
dazu überredet, den Haupttrail
oben im Wald zu verlassen und
unseren Weg entlang der Brandung fortzusetzen.
Während wir im wahrsten
Sinne des Wortes über Stock
und Stein klettern, höre ich hinter mir nun schon zum wiederholten Male die im breitestem
Muotathaler Dialekt vorgetragene, leicht vorwurfsvolle Feststel-
lung «ä chlii ää schöönä Wääg
isch das nu!!»
Erschöpft, aber schlussendlich doch mit einer tiefen Zufriedenheit durch die überwältigenden Eindrücke des Tages,
erreichen wir kurz nach Sonnenuntergang Thrasher Cove.
Grandiose Landschaften
bis zuletzt
Am nächsten Morgen ist Ausschlafen angesagt. Die Kraft der
bereits hochstehenden Sonne
treibt uns gegen elf Uhr aus dem
Zelt. Die wenigen Hiker, mit denen wir uns diesen idyllischen
Lagerplatz teilten, sind nun alle
verschwunden. Yvonne nutzt die
Gelegenheit für ein erfrischendes Bad in der Bucht von Port
San Juan, mir hingegen ist das
Wasser zu kalt.
Die Sonne hat ihren höchsten
Stand bereits überschritten, als
wir das kurze letzte Teilstück des
alten Seerettungspfades in Angriff nehmen. Der Aufstieg durch
die bewaldete Steilküste empor
zum Haupttrail ist eine ziemliche
Schinderei. Von hier aus sind es
noch fünf Kilometer nach Gordon River am südlichen Ende des
West Coast Trail. Der Pfad durch
den Hochwald ist nun geprägt
von einem stetigen Auf und Ab.
Das Wandern auf dem bei Ebbe frei liegenden Meeresboden bietet
abwechslungsreiche Naturschönheiten, ist aber oft auch anstrengend.
Bei Pandora Peak erreichen wir
den höchsten Punkt am Trail.
Der Wald lichtet sich hier etwas
und es eröffnet sich ein wunderbarer Blick über die Bucht
von Port San Juan und die in der
Ferne liegenden, schneebedeckten Gipfel des Olympic National
Park, welcher bereits in den USA
liegt. Die Sonne steht schon tief
am Horizont, als wir die Mündung des Gordon River und somit unser Ziel erreichen.
Sind wir jetzt froh darüber,
dass der Trail zu Ende ist? Schwer
zu sagen. Einerseits freuen wir
uns auf die Annehmlichkeiten
der Zivilisation, andererseits
vermissen wir schon jetzt all die
stimmungsvollen Tage auf dieser
unvergleichlichen Tour!
Den West Coast Trail zu begehen liegt in dem Bereich, was
manche Zeitgenossen als «ä
Chrampf» bezeichnen würden.
Die Trekker werden dafür mit
unvergesslichen
Naturerlebnissen und einer einzigartigen
Flora und Fauna belohnt – und
dies entlang einer faszinierenden Küste mit wunderschönen
Stränden, einsamen Buchten
und wild zerklüfteten Felsformationen.
REISE-INFOS ZU VANCOUVER ISLAND (K ANADA)
Flug
Flug Zürich–Vancouver. Nach der
Ankunft ist es empfehlenswert, dort
zu übernachten. Am nächsten Tag
kann man ausgeruht mit der Fähre
nach Vancouver Island übersetzen.
Einreisebestimmungen
Schweizer können ohne Visum für maximal 180 Tage einreisen, wenn ihr
Reisepass noch 6 Monate über den
Ankunftstermin hinaus gültig ist, sie
ein Rückflugticket besitzen und über
genügend finanzielle Mittel verfügen.
Bus und Fährverbindung
Sowohl zum Ausgangspunkt Bamfield
im Norden wie auch für Port Renfrew
im Süden bestehen Busverbindungen vom jeweiligen Fährhafen aus.
Fährverbindung Vancouver/Tsawassen – Victoria/Swartz Bay für Ausgangspunkt Port Renfrew im Süden;
Fährverbindung North Vancouver/
Horseshoebay – Nanaimo für Ausgangspunkt Bamfield im Norden.
Geld
Kreditkarten (Visa, Master Card) sind
weit verbreitet und an den meisten Orten akzeptiert. 1 Can.$ ca. Fr. 1.10.
Klima
Warme, trockene Sommer und
feuchte, milde Winter sind das vorherrschende Klima auf Vancouver
Island. An der nur gering besiedelten
Westküste herrscht allerdings ein vielfach raueres Klima mit deutlich mehr
Niederschlägen als auf der Ostseite
der Insel. Dabei wirken die Berge,
die sich in Nord-Süd-Richtung über
die Insel erstrecken, als Puffer gegen
Schlechtwetterfronten, die vom Pazifik her gegen das Festland ziehen.
Morast ins Schuhwerk. Wanderstöcke
sind wertvolle Helfer auf morastigem
und glitschigem Untergrund.
Zum Trail
Die Gesamtlänge des Trails liegt bei
ca. 75 km. Benötigter Zeitaufwand
ca. 5 bis 8 Tage. An beiden Enden
befinden sich von Anfang Mai bis
Ende September Nationalpark-Büros
(Registrierung der Wanderer ist obligatorisch und gebührenpflichtig).
Neben allgemeinen Informationen ist
hier eine gute und wasserfeste Karte vom Ministry of Environment and
Parks B.C. sowie der wichtige Gezeitenplan (Tide Tables) erhältlich.
Seit 1994 ist die Anzahl Wanderer,
die täglich in den Nationalpark eingelassen werden, limitiert auf 26
von Norden und 26 von Süden her.
Wobei nur je 20 Plätze pro Tag im
Voraus reserviert werden können.
Die restlichen je 6 Plätze sind für
Wanderer reserviert, die bei einem
der beiden Registration Centers in
Port Renfrew oder Bamfield vorsprechen und am nächsten oder einem
der folgenden Tage losmarschieren
möchten.
Literatur
– «West Coast Trail» (deutsch) von
Wolfgang Winterhoff, Band 29
der Reihe Outdoor Handbuch, C.
Stein Verlag, ISBN 3-89392-329-2,
Fr.18.–
Beste Reisezeit
Der West Coast Trail ist nur vom 1.
Mai bis 30. September «offen» und
von Park Rangern betreut.
Ausrüstung
Der West Coast Trail ist kein Sonntagsspaziergang, sondern ein Trekking,
entsprechend sollte auch die Ausrüstung sein. Campingausrüstung sowie
Kleider für heisse Tage wie auch für
kühles und regnerisches Wetter mitnehmen. Tipps: Gamaschen verhindern das Eindringen von Sand und
©Globetrotter Club, Bern
– «Blisters & Bliss» von D. Forster
& W. Aitken, B & B Publications,
Seattle
– «Timeless Shore» von Georg Allen, Bayeux Publishing, Calgary
Internet
– www.parkscanada.pch.gc.ca
– E-Mail: [email protected]
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