PDF - Globetrotter
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Von Urs Zaugg (Text und Bilder) auf Vancouver Island Sechs herausfordernde Tage im Rhythmus der Gezeiten durch eine spektakuläre Wildnis Auf den Spuren eines ausgedienten Rettungspfades für Schiffbrüchige führt diese Trekkingroute durch eine zerklüftete, in ihrer Ursprünglichkeit erhaltene Küstenlandschaft auf der grossen Vancouver-Insel in Westkanada. Eine 5- bis 8-tägige Tour auf einem anspruchsvollen Wildnispfad, reich an faszinierenden Naturerlebnissen und unvergesslichen Begegnungen. Ein Kleinod unter den nordamerikanischen Trails. 64 Spektakuläre steile Leitern verbinden vielerorts den weiter oben am Steilhang liegenden Trekkingpfad mit der Meeresküste. Die Tsusiat Falls, an einer wunderschönen, sandigen Meeresbucht gelegen. 65 s chon wieder donnert einer dieser übergrossen Holztransporter an uns vorbei. Aufgewirbelter Schotter trommelt gegen das Blechkleid unseres Wagens. Als sich die Staubwolke verzieht, setzen wir unsere Fahrt vorsichtig weiter. Wir befinden uns auf dem Weg in den Pacific Rim National Park, auf der Westseite von Vancouver Island gelegen. Die 90 km lange Schotterpiste zwischen Port Alberni und dem Küstenort Bamfield erfordert eine äusserst konzentrierte Fahrweise. Das kleine Fischerdorf ist der Ausgangspunkt für unsere geplante Tour auf dem West Coast Trail. Ein stahlblauer Himmel und schwüle Hitze liegt über der Insel, als wir das nördliche Trailhead Office erreichen. Eine gewisse Spannung liegt in der Luft, wir wissen, dass jeden Tag nur eine gewisse Anzahl Wanderer den Park betreten dürfen. Es ist Ferienzeit und der West Coast Trail gehört zu den populärsten Hiking Trails Kanadas. Wir rechnen also im ungünstigsten Falle mit ein oder zwei Tagen Wartezeit. Unsere Bedenken erweisen sich jedoch als unbegründet. Die freundliche Rangerin trägt unsere Namen in eine Liste ein und bestellt uns für den nächsten Morgen ins Office. Ein sonniger Tag erwartet uns, als wir frühmorgens aus den warmen Schlafsäcken kriechen. Kurze Zeit später betreten wir erwartungsvoll das Office der Parkverwaltung. Die Rangerin informiert umfassend über den Trail, weist auf mögliche Gefahren hin und übergibt uns eine genaue Trailkarte sowie die wichtige Gezeitentabelle. Dem Meer entlang wandern ist immer wieder eine interessante Abwechslung – aber nur bei Ebbe. Deshalb ist die Mitnahme des aktuellen Gezeitenplans unerlässlich. Eigentlich ein alter Seenotrettungspfad Der Ursprung des West Coast Trails reicht in jene Zeit zurück, als die Küstenwache noch nicht über die Möglichkeiten verfügte, welche die heutige Technik zu bieten vermag. Moderne Satellitennavigation war ebenso unbekannt wie Radarschirme. Die zerklüftete Küste auf der Westseite von Vancouver Island war wegen der schweren Stürme mit meterhohen, peitschenden Wellen und dem in kürzester Zeit aufziehenden, dichten Nebel sehr berüchtigt. In diesem Küstenabschnitt jedoch lag die Einmündung in die Juan de Fuca Meeresstrasse, welche jedes Schiff mit Bestimmungshafen Seattle zu durchfahren hatte. Die Wracks von gegen fünfzig an der Küste zerschellten und oftmals gesunkenen Schiffen liegen teilweise noch heute auf dem Meeresgrund. Als Folge dieser Schiffshavarien wurde zwischen 1907 und 1912 ein Rettungspfad für Schiffbrüchige durch den Jahrtausende alten, dichten Regenwald gebaut. Der Pfad verband die beiden Orte Bamfield im Norden und Port Renfrew im Der Waldboden ist überzogen mit einer Vielfalt an Farnen und Moosen. Süden miteinander. Somit wurde es für Rettungsmannschaften möglich, zu den Schiffbrüchigen vorzudringen. Im Zeitalter der modernen Schifffahrt geriet der Pfad in Vergessenheit. Mit der Errichtung des Pacific Rim National Parks erwachte jedoch wieder das Interesse am ausgedienten Überlebenspfad, was für die Parkbehörde Grund genug war, den längst überwucherten Weg wieder instand zu setzen. Start im Regenwald Kartenskizze aus dem OutdoorHandbuch 29 «Kanada: West Coast Trail» © Conrad Stein Verlag 66 In der Nähe des nördlichen Trailhead Office führt der Pfad bei Pachena Bay in den dunklen und urzeitlich wirkenden Regenwald. In dem vorherrschenden, feuchten Klima ist der grösste Teil des Baumbestandes von Moosen bewachsen und der Waldboden ist überzogen mit einer Vielfalt an Farnen. Der Pfad befindet sich auf diesen ersten Kilometern in einem sehr ordentlichen Zustand. Am Vorabend machten wir die Bekanntschaft eines müden und abgekämpften Hikers, welcher sechs Tage zuvor in Port Renfrew im Süden aufgebrochen war. Er bezeichnete das Teilstück zwischen Pachena Bay und Michigan Creek als Autobahn im Vergleich dazu, was uns später noch auf dem Trail erwarten sollte. Der Zustand und Verschmutzungsgrad seiner Ausrüstung und nicht zuletzt auch seiner selbst liess am Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen kaum Zweifel aufkommen. Nach einigen Stunden Fussmarsch durch den nordischen Regenwald erreichen wir den Leuchtturm von Pachena Point. Bei diesem alten Bauwerk bietet sich erstmals ein wunderbarer Ausblick auf die schroffen Klippen in diesem unwirtlichen Küstenabschnitt. Der Weg verliert nun stetig an Höhe und führt schliesslich aus dem dämmerigen Licht des Urwaldes hinaus an die Mündung des Michigan Creek. Die Szenerie, die sich hier bietet, könnte friedlicher kaum sein. Der Pazifik liegt ruhig vor uns und die Brandung fügt sich harmonisch, ja geradezu sanft in die nun idyllisch wirkende Küstenlandschaft ein. An diesem Ort war es allerdings nicht immer so friedlich: 1893 lief hier der Dampfer «Michigan» auf ein Riff, und Menschen mussten gegen die Urgewalt der Natur um ihr Leben kämpfen. Wir wandern der Brandung entlang über Sandstrände und feines Kies. Trotz einer leichten Seebrise macht uns die drückende Hitze zu schaffen. Am Orange Juice Creek machen wir Rast, um unsere Trinkwasservorräte zu ergänzen. Ein sonderbarer Name für einen Bach, einer jedoch der die Phantasie durstiger Hiker zu beflügeln vermag. Wir nutzen die kurze Pause und schnallen uns Gamaschen um die Beine. Diese nützlichen Helfer sollen das ständige Eindringen von Sand in die Wanderschuhe verhindern. Der Abend ist noch jung, als wir müde am Tsocowis Creek ankommen. Hier am Fusse eines kleinen Wasserfalles und nur wenige Meter vom Strand entfernt schlagen wir unser erstes Camp am West Coast Trail auf. Wir geniessen es, Zeit zu haben. Ein Lagerfeuer wird entfacht. Während ich mich dem Kochen zuwende, sitzt Yvonne bereits tief in ein Buch versunken im warmen Sand unweit der Brandung. Nicht ohne Risiken Der nächste Morgen erwartet uns erneut mit Sonnenschein, draussen vor der Küste aber liegt schwerfällig das Grau des Nebels über dem Meer. Farbige Bojen markieren den Pfad, der zum Haupttrail hinaufführt. Kaum oben angekommen, treffen wir auf eine Holzbrücke, welche den Tsocowis Creek überspannt. Kein einfacher Holzsteg wie üblich, sondern eine Konstruktion von gefälliger Eleganz. Der gemässigte Regenwald gibt von Zeit zu Zeit den Blick frei auf die schroffe Küstenlandschaft. An etwas höher gelegenen Aussichtspunkten geniesst man einen eindrucksvollen Blick hinaus auf die Weite des pazifischen Ozeans. Mit etwas Glück und Geduld lassen sich auch vorbeiziehende Wale beobachten. Der Zustand des Trails wird nun stetig schlechter. Die Aussagen des Hikers aus Pachena Bay scheinen sich nun allmählich zu bestätigen. Der Boden ist mit Feuchtigkeit durchtränkt und völlig aufgeweicht. Die Gefahr, auf diesem schmierigen Untergrund auszurutschen, ist nicht zu unterschätzen, besonders an Stellen, wo der Weg steil abfällt. Nasses Wurzelwerk, grosse Steine und umgefallene Bäume machen das Ganze auch nicht einfacher. Ich bin gerade dabei, unter einem solchen Baumriesen hindurch zu kriechen, als plötzlich ein älterer Mann vor mir steht und sich nach einer Möglichkeit erkundigt, hier in der Nähe an den Strand zu gelangen. Wie sich bald herausstellt, hat sich seine Begleiterin den Knöchel derart verstaucht, dass an ein Weitergehen nicht mehr zu denken ist. Offensichtlich leidet sie grosse Schmerzen, ein Bruch kann nicht ausgeschlossen werden. Gemäss ihren Aussagen sind die Parkranger bereits alarmiert. Die Beiden werden wohl vom Strand aus evakuiert, entweder per Heli oder mit einem Patrouillenboot. Romantik an den Tsusiat Wasserfällen Am Klanawa River treffen wir erstmals auf ein «Cable Car», eine originelle Art von Luftseilbahn, bei der ein einfacher Metallkorb an einem Tragseil hängt, gerade mal gross genug, um zwei Personen mit Gepäck aufzunehmen. Diese abenteuerlich anmutende Konstruktion dient zum Überqueren schwieriger Flussläufe. Über Laufrollen lässt man nun das «Cable Car» bis zum tiefsten Punkt des Tragseiles sausen, um es anschliessend mit Hilfe eines Zugseiles und vereinter Muskelkraft an der gegenüberliegenden Flussseite wieder hoch zu ziehen. Ein ziemlich aufregendes Unterfangen und nichts für schwache Nerven. Die Sonne hat gerade ihren Zenith überschritten, als wir Tsusiat Falls erreichen. Um jedoch hinunter an die traumhaft gelegene Bucht zu gelangen müssen wir zuerst lange und steile Holzleitern hinunterklettern. Das Wasser des nur wenige Kilometer im Innern der Insel ge- Jeder Tag überrascht die Wanderer mit völlig anderen Landschaftsbildern. Man muss aber auch auf weniger schönes Wetter vorbereitet sein. 67 legenen Tsusiat Lake stürzt hier kristallklar und in breiter Front über einen hohen Felsen hinunter an den Strand. Am Fusse des Felsens sammelt sich das Wasser in einem natürlichen Becken, bevor es sich seinen Weg durch Sand und Kies bahnt, um in den nur wenige Meter entfernten Pazifik zu münden. Zu meinem Erstaunen ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen, obwohl Tsusiat Falls als ein Höhepunkt am West Coast Trail gilt. Wir sind begeistert von der einmalig schönen Szenerie und stellen unser Zelt unweit der Wasserfälle am Fusse einer Felswand in den warmen Sand. Wir nutzen die Gelegenheit, werfen unsere verschwitzten Kleider in den Sand und geniessen die erfrischende Dusche unter dem Wasserfall. Gegen Abend treffen nun auch andere Hiker in Tsusiat Falls ein. Manche erwecken einen recht frischen Eindruck, andere wirken müde und erschöpft. Am nächsten Morgen, als wir kurz nach 7 Uhr unsere Rucksäcke schultern und losmarschieren, liegt eine sanfte Stille über der Bucht und feuchte Nebelschwaden ziehen vom Meer her landeinwärts. Für den weiteren Verlauf der Strecke wählen wir den Weg entlang der Bucht zum ca. 1 km entfernten Felsentor von Tsusiat Point. Eine Felsnase reicht an dieser Stelle weit über den Strand hinaus ins Meer. Ein schier unüberwindbares Hindernis, hätte da nicht die Brandung ein grosses Loch in den Fels gefressen und für einen natürlichen Durchgang gesorgt. Dieses Felsentor gibt den Weg allerdings nur bei Ebbe frei, bei Flut versperrt Meerwasser die Passage. Anhand der Gezeitentabelle lässt sich aber genau ablesen, zu welcher Tageszeit das Felsentor begehbar ist. Der Weg führt nun durch ein Indianerreservat, wir kommen gut vorwärts und erreichen bald das Ufer des Nitinat Lake. Dieser See verengt sich zum Meer hin immer stärker und ergiesst sich schliesslich in einem schmalen Kanal in den Pazifik. Charakteristisch aber nicht ganz ungefährlich für diese Verengung sind die starken Gezeitenströmungen. Die Parkverwaltung hat hier bei Nitinat Narrows einen Fährservice eingerichtet, welcher durch Indianer aus einer nahegelegenen Siedlung während den Sommermonaten betrieben wird. An dem alten und wackeligen Holzpier warten bereits zwei 68 Der ganze Küstenabschnitt ist ein Nationalpark. Für die Mühsalen des Weges wird man reichlich entschädigt durch das Erlebnis eines unberührten Regenwaldes. Engländer seit mehr als einer Stunde darauf, von der Fähre abgeholt zu werden. Wir beide haben etwas mehr Glück, kaum fünf Minuten vor Ort ertönt bereits Motorengeräusch. Mit flauem Gefühl durchs Bärengebiet Erneut tauchen wir ein in den dichten Regenwald. Hier verläuft nun der Trail während einiger Kilometer über schmale Holzstege. Auf einer Tragkonstruktion führen diese sogenannten «Boardwalks» leicht erhöht über den morastigen und mit einer Vielfalt von Farnen und Moosen dicht bewachsenen Waldboden. Auf diesen «Boardwalks» ist es angenehm zu laufen und man kommt gut voran, doch der Holzsteg birgt versteckte Gefahren und erfordert konzentrierte Schritte. Immer wieder trifft man auf modrige Holzplanken, auf denen man leicht ausrutschen kann, auch die Tragkonstruktion ist an einigen Stellen morsch und daher recht unsta- bil. Die Parkverwaltung erneuert oder repariert zwar ständig die verwitterten «Boardwalks», trotzdem kann man schadhafte Stellen treffen. In der Nähe von Cloose Bay führt uns der Trail wieder dicht ans Meer heran. Über die hölzerne Hängebrücke des Cheewhat River gelangen wir nun in ein Waldstück, das weniger dicht bewachsen ist und etwas von seinem Urwaldcharakter eingebüsst hat. Die Parkrangerin vom Pachena Bay Trailhead hat uns ausdrücklich vor einer Bärin gewarnt, die in diesem Gebiet ihre Jungen aufzieht. Mit erhöhter Aufmerksamkeit und einem etwas flauen Gefühl im Magen wandern wir zielstrebig durch das Revier der Bärin. Wir sind erleichtert, als wir die in unserer Trailkarte mit der handschriftlichen Notiz «Danger – Bear Area» bezeichnete Stelle ohne weitere Zwischenfälle verlassen können. Durch ungezähmte Küstenlandschaft führt nun der Trail in schwindelerregender Höhe über einen bewaldeten Kamm entlang der felsigen Steilküste. Plötzlich dringt von fern ein schwaches und uns fremdes Signal durch den allmählich aufziehenden Nebel. Deutlich sind zwei aufeinanderfolgende, in regelmässigen Abständen wiederkehrende Heultöne zu hören. Ein kurzer Blick auf die Trailkarte genügt, um Klarheit über den Ursprung dieses für unsere Ohren ungewohnten Geräusches zu erhalten. Das Nebelhorn des einige Kilometer vor uns liegenden Leuchtturms von Carmanah Point scheint für dieses durchdringende, akustische Signal verantwortlich zu sein. Zum immer lauter werdenden Nebelhorn gesellt sich nun auch noch das Bellen einer Seelöwenkolonie. Wegen der schlechten Sicht sind die Tiere draussen auf dem der Küste vorgelagerten Robbenfelsen allerdings kaum zu erkennen. Wir erreichen den Felsen von Carmanah Point, ein weiter Ausblick auf die nebelverhangene öffne. Der Trail führt nun an Bonilla Point vorbei, stetig der zerklüfteten Küste entlang. Das Gehen im trockenen und weichen Sand erweist sich als eine äusserst kraftraubende und anstrengende Angelegenheit. Bei jedem Schritt sinkt man mit dem schweren Rucksack tief in den Sand ein. Etwas leichter marschiert es sich dort, wo der Sand feucht und daher fester ist. Aus diesem Grunde wandern wir in unmittelbarer Nähe zu den letzten Ausläufern der Brandung, welche unermüdlich mit ihrem Wellengang den Strand seit Urzeiten bearbeitet. Eigentlich wollten wir bei Vancouver Point den Strand verlassen und wieder auf den Haupttrail im Regenwald wechseln. Die Leiter, welche die Steilküste emporführt, ist jedoch beschädigt. Einige Sprossen sind Küstenlandschaft eröffnet sich uns. Während wir an der Abbruchkante des Felsens stehen und ins weite Nichts hinausblicken, fährt uns das schaurig dröhnende Warnsignal des Leuchtturms direkt hinter uns durch Mark und Bein. Von einer früheren Tour auf diesem Trail weiss ich, dass hier in der Nähe Indianer eine Art Kiosk betreiben. Kaum sind wir vom Felsen runtergestiegen, entdecken wir am Waldrand einen einfachen Bretterverschlag. Es gibt sie also immer noch, diese für so manchen Wanderer «rettende» kleine Imbissbude am Trail. Nebst Getränken sind hier jede Menge Süssigkeiten und sogar einfache warme Speisen auf Wunsch erhältlich. Wenn die abendlichen Lagerfeuer brennen Erneut begrüsst feuchter Nebel den Tag, als ich am nächsten Morgen noch etwas verschlafen den Reissverschluss des Zeltes mit einer zaghaften Bewegung Stimmungsvoller Sonnenuntergang an einer der idyllischenMeeresbuchten. Eine tief eingeschnittene Schlucht wird von einer schmalen, wackeligen, aber sicheren Hängebrücke überspannt. durchgebrochen, andere fehlen gänzlich. Nach einem kurzen Blick auf die Trailkarte und die Gezeitentabelle entschliessen wir uns, bis nach Walbran Creek weiter der Küste entlang zu gehen, was allerdings nur bei Ebbe möglich ist. An Stelle sandiger Buchten bestimmen nun flache, von der Brandung glattgehobelte Felsplatten das Bild am Trail. Das durch die Ebbe abgeflossene Meerwasser hat in den Spalten und Vertiefungen unzählige Pfützen hinterlassen und ein Teil der Unterwasserwelt des Pazifiks wird nun sichtbar. Die bald schon beginnende Flut macht ein Weitergehen entlang der Küste unmöglich und so nutzen wir in Walbran Creek die Gelegenheit, um rechtzeitig wieder auf den Haupttrail zu wechseln. Kaum sind wir losmarschiert, beginnen plötzlich un- geahnte Schwierigkeiten. Wir kommen nur noch sehr langsam vorwärts, ständig stecken wir in Morast und Sumpflöchern fest. Offenbar muss es hier an der Westküste der Insel bis vor einigen Tagen viel Regen gegeben haben. Unsere Gamaschen leisten erneut wertvolle Dienste, mehrmals sinken wir bis weit über den Schuhrand im tiefen Morast ein. Yvonne ist mit ihren Wanderstöcken klar im Vorteil. Gelingt es ihr doch immer wieder, verborgene Baumwurzeln oder dergleichen als feste Trittflächen zu ertasten, zusätzlichen Halt zu finden und sich flink durch das Gelände zu bewegen. Oftmals aber müssen allzu tiefe Sumpflöcher durch die dichte Vegetation des Urwaldes mühsam umgangen werden. Wir sehen aus wie nach einem Moorbad, als wir an der 69 se, welche weit übers Shelf hinaus ins Meer reicht. Hat die Ebbe ihren tiefsten Stand erreicht, gibt auch hier ein von der Brandung ausgewaschenes Felsentor den Durchgang frei. Zur Zeit jedoch liegt das Tor noch unpassierbar tief im Wasser und gemäss unserer Gezeitentabelle wird sich dies in den nächsten Stunden auch nicht ändern. Während wir etwas ratlos vor diesem natürlichen Hindernis stehen und überlegen was zu tun ist, bemerken wir zwei Seehunde welche in Ufernähe im Wasser herumtollen. Immer wieder unterbrechen sie ihr Spiel und beobachten uns neugierig. Es scheint, als ob sie sich fragen, wie wir wohl unser Problem zu lösen gedenken. Mit Hilfe eines Seiles klettern wir die Felsnase hoch und kämpfen uns durch das Dickicht des mit Büschen und Bäu- Abbruchkante der tief eingeschnittenen Schlucht namens Logan Creek eintreffen. Eine wackelige, schmale Hängebrücke überspannt in luftiger Höhe das Mündungstal. Der weitere Verlauf des Trails ist nun in einem wesentlich besseren Zustand und wir kommen wieder zügiger vorwärts. Kurz vor Cullite Cove macht sich bei Yvonne die Achilles Sehne auf schmerzhafte Art bemerkbar. Das schwierige Gelände und der unsinnige Versuch, die verlorene Zeit wieder aufzuholen, fordern nun ihren Tribut. Wir wollen die herbe Schönheit dieser urzeitlichen Landschaft bewusst erleben, dies erfordert jedoch, mit genügend Zeit und wachen Sinnen zu wandern. Das geplante Tagesziel lassen wir fallen und schlagen statt dessen unser Zelt in der schön gelegenen Bucht von Cullite Cove auf. Wir teilen uns den Platz mit einem Portugiesen und seinem kanadischen Begleiter. Die beiden befahren die Küste entlang des Pacific Rim National Parks mit ihren Sea-Kayaks. Später gesellt sich noch ein Paar aus Holland und eine Gruppe Australier dazu. Die Welt wird manchmal klein, wenn am West Coast Trail die abendlichen Lagerfeuer brennen! Auf Schritt und Tritt trifft man ander wild zerklüfteten Küste auf Naturidylle. Die Leuchttürme mussten früher bei Nacht und Nebel die Schiffe vor der Gefahr dieser schroffen Steilküsten warnen. Trotzdem zerschellten Dutzende von Schiffen an den Felsen. Kletterei am Felsentor von Owen Point Nicht enden wollende Leitern führen uns am nächsten Morgen hinauf auf die felsige Steilküste. Nach einigen Kilometern durch den Urwald bietet sich erneut die Möglichkeit, den Weg direkt an der Brandung des Pazifiks fortzusetzen. Der felsige Untergrund, sogenanntes Shelf, ist bei Ebbe überdeckt mit einer Vielzahl kleiner Meerwasserbecken. Unzählige Möwen umgeben uns beim Marsch über die Felsplatten. Eine gewisse Gefahr geht von den «Surge Channels» aus. Dabei handelt es sich um mehrere Meter tief in den Fels eingeschnittene Brandungskanäle, welche sich über die gesamte Breite des Shelfs vom Ufer bis zur Steilküste hin erstrecken. Einige sind schmal genug, um sie problemlos zu überspringen. Andere umgeht man besser, was aber mit einiger Kletterei an der felsigen und mit Büschen bewachsenen Küste verbunden ist. Am späteren Nachmittag erreichen wir Owen Point. Erneut treffen wir hier auf eine Felsna70 Mehrere grosse Flüsse werden von solchen simplen Luftseilbahnen überspannt, die von den Wanderern selber zu betreiben sind. Über Laufrollen lässt man sich im «Cable Car» bis zum tiefsten Punkt des Tagseiles sausen, um es anschliessend mit Hilfe eines Zugseiles und vereinter Muskelkraft an der anderen Flussseite wieder hochzuziehen. men bewachsenen Kamms auf die gegenüberliegende Seite. Für den Abstieg gestaltet sich die ganze Angelegenheit nun etwas schwieriger. Die Felsnase erweist sich hier als höher und steiler als beim Aufstieg. Bei einem ersten Versuch ohne Gepäck stelle ich aber fest, dass ein Abstieg möglich und verantwortbar ist. Der weitere Verlauf des Weges führt auf den folgenden zwei Kilometern über einen Strandabschnitt, welcher übersät ist mit unzähligen, teils riesigen Felsbrocken und einer Unmenge an Schwemmholz. Eigentlich ist man unentwegt damit beschäftigt, auf irgendwelchen Steinen oder Treibholz balancierend, sich mühsam einen Weg durch dieses Labyrinth zu suchen. Nach dem überfluteten Felsentor nun also auch noch das. Mit dem Argument der Schönheit hatte ich Yvonne vor einigen Stunden dazu überredet, den Haupttrail oben im Wald zu verlassen und unseren Weg entlang der Brandung fortzusetzen. Während wir im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein klettern, höre ich hinter mir nun schon zum wiederholten Male die im breitestem Muotathaler Dialekt vorgetragene, leicht vorwurfsvolle Feststel- lung «ä chlii ää schöönä Wääg isch das nu!!» Erschöpft, aber schlussendlich doch mit einer tiefen Zufriedenheit durch die überwältigenden Eindrücke des Tages, erreichen wir kurz nach Sonnenuntergang Thrasher Cove. Grandiose Landschaften bis zuletzt Am nächsten Morgen ist Ausschlafen angesagt. Die Kraft der bereits hochstehenden Sonne treibt uns gegen elf Uhr aus dem Zelt. Die wenigen Hiker, mit denen wir uns diesen idyllischen Lagerplatz teilten, sind nun alle verschwunden. Yvonne nutzt die Gelegenheit für ein erfrischendes Bad in der Bucht von Port San Juan, mir hingegen ist das Wasser zu kalt. Die Sonne hat ihren höchsten Stand bereits überschritten, als wir das kurze letzte Teilstück des alten Seerettungspfades in Angriff nehmen. Der Aufstieg durch die bewaldete Steilküste empor zum Haupttrail ist eine ziemliche Schinderei. Von hier aus sind es noch fünf Kilometer nach Gordon River am südlichen Ende des West Coast Trail. Der Pfad durch den Hochwald ist nun geprägt von einem stetigen Auf und Ab. Das Wandern auf dem bei Ebbe frei liegenden Meeresboden bietet abwechslungsreiche Naturschönheiten, ist aber oft auch anstrengend. Bei Pandora Peak erreichen wir den höchsten Punkt am Trail. Der Wald lichtet sich hier etwas und es eröffnet sich ein wunderbarer Blick über die Bucht von Port San Juan und die in der Ferne liegenden, schneebedeckten Gipfel des Olympic National Park, welcher bereits in den USA liegt. Die Sonne steht schon tief am Horizont, als wir die Mündung des Gordon River und somit unser Ziel erreichen. Sind wir jetzt froh darüber, dass der Trail zu Ende ist? Schwer zu sagen. Einerseits freuen wir uns auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation, andererseits vermissen wir schon jetzt all die stimmungsvollen Tage auf dieser unvergleichlichen Tour! Den West Coast Trail zu begehen liegt in dem Bereich, was manche Zeitgenossen als «ä Chrampf» bezeichnen würden. Die Trekker werden dafür mit unvergesslichen Naturerlebnissen und einer einzigartigen Flora und Fauna belohnt – und dies entlang einer faszinierenden Küste mit wunderschönen Stränden, einsamen Buchten und wild zerklüfteten Felsformationen. REISE-INFOS ZU VANCOUVER ISLAND (K ANADA) Flug Flug Zürich–Vancouver. Nach der Ankunft ist es empfehlenswert, dort zu übernachten. Am nächsten Tag kann man ausgeruht mit der Fähre nach Vancouver Island übersetzen. Einreisebestimmungen Schweizer können ohne Visum für maximal 180 Tage einreisen, wenn ihr Reisepass noch 6 Monate über den Ankunftstermin hinaus gültig ist, sie ein Rückflugticket besitzen und über genügend finanzielle Mittel verfügen. Bus und Fährverbindung Sowohl zum Ausgangspunkt Bamfield im Norden wie auch für Port Renfrew im Süden bestehen Busverbindungen vom jeweiligen Fährhafen aus. Fährverbindung Vancouver/Tsawassen – Victoria/Swartz Bay für Ausgangspunkt Port Renfrew im Süden; Fährverbindung North Vancouver/ Horseshoebay – Nanaimo für Ausgangspunkt Bamfield im Norden. Geld Kreditkarten (Visa, Master Card) sind weit verbreitet und an den meisten Orten akzeptiert. 1 Can.$ ca. Fr. 1.10. Klima Warme, trockene Sommer und feuchte, milde Winter sind das vorherrschende Klima auf Vancouver Island. An der nur gering besiedelten Westküste herrscht allerdings ein vielfach raueres Klima mit deutlich mehr Niederschlägen als auf der Ostseite der Insel. Dabei wirken die Berge, die sich in Nord-Süd-Richtung über die Insel erstrecken, als Puffer gegen Schlechtwetterfronten, die vom Pazifik her gegen das Festland ziehen. Morast ins Schuhwerk. Wanderstöcke sind wertvolle Helfer auf morastigem und glitschigem Untergrund. Zum Trail Die Gesamtlänge des Trails liegt bei ca. 75 km. Benötigter Zeitaufwand ca. 5 bis 8 Tage. An beiden Enden befinden sich von Anfang Mai bis Ende September Nationalpark-Büros (Registrierung der Wanderer ist obligatorisch und gebührenpflichtig). Neben allgemeinen Informationen ist hier eine gute und wasserfeste Karte vom Ministry of Environment and Parks B.C. sowie der wichtige Gezeitenplan (Tide Tables) erhältlich. Seit 1994 ist die Anzahl Wanderer, die täglich in den Nationalpark eingelassen werden, limitiert auf 26 von Norden und 26 von Süden her. Wobei nur je 20 Plätze pro Tag im Voraus reserviert werden können. Die restlichen je 6 Plätze sind für Wanderer reserviert, die bei einem der beiden Registration Centers in Port Renfrew oder Bamfield vorsprechen und am nächsten oder einem der folgenden Tage losmarschieren möchten. Literatur – «West Coast Trail» (deutsch) von Wolfgang Winterhoff, Band 29 der Reihe Outdoor Handbuch, C. Stein Verlag, ISBN 3-89392-329-2, Fr.18.– Beste Reisezeit Der West Coast Trail ist nur vom 1. Mai bis 30. September «offen» und von Park Rangern betreut. Ausrüstung Der West Coast Trail ist kein Sonntagsspaziergang, sondern ein Trekking, entsprechend sollte auch die Ausrüstung sein. Campingausrüstung sowie Kleider für heisse Tage wie auch für kühles und regnerisches Wetter mitnehmen. Tipps: Gamaschen verhindern das Eindringen von Sand und ©Globetrotter Club, Bern – «Blisters & Bliss» von D. Forster & W. Aitken, B & B Publications, Seattle – «Timeless Shore» von Georg Allen, Bayeux Publishing, Calgary Internet – www.parkscanada.pch.gc.ca – E-Mail: [email protected] 71