Neben den Schuhen – aber vor Gott und
Transcrição
Neben den Schuhen – aber vor Gott und
Evang.-methodistische Kirche, Alterszentrum Wesley-Haus Basel Predigt am 30. Juni 2012 von Pfr. Josua Buchmüller Neben den Schuhen – aber vor Gott und brennend für ihn Mose weidete die Herde seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb. Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die aussergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt der Dornbusch nicht? Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. (2. Mose 3,1-6) Neben den Schuhen Diese Redensart kommt in der Geschichte von Mose und dem brennenden Dornbusch nicht vor. Aber dass Gott sagt: Leg deine Schuhe ab!, erinnert mich daran. Marc Chagall hat in seinem Bild die Schuhe weggelassen, aber er hat Mose mit nackten Füssen gemalt. Wenn wir Mühe haben, uns in dieser Geschichte vom grossen Gottesmann Mose und seiner Begegnung mit dem heiligen Gott wiederzufinden – wie es ist, wenn man neben den Schuhen steht, das wissen auch wir: Ich habe mich falsch benommen und blamiert; ich habe mich getäuscht und bin verwirrt. Alles ist schief gelaufen und ich weiss nicht weiter. Ich komme mir völlig neben den Schuhen vor. So war es doch bei Mose, lange bevor ihm Gott sagte, er solle die Schuhe ausziehen. Alles ist daneben gegangen. Er ist zwar als Säugling dem Vernichtungsprogramm des ägyptischen Pharao durch den Mut seiner Mutter und die List seiner Schwester entronnen. Die Tochter des Pharao hat ihn adoptiert und standesgemäss erziehen lassen. Aber eines Tages kann Mose es nicht mehr aushalten, seine hebräische Identität zu verbergen und zuzuschauen, wie seine Volksgenossen von den Ägyptern brutal unterdrückt und ausgenutzt werden. Als er miterlebt, wie ein Hebräer misshandelt wird, schlägt er den Folterer im Jähzorn tot. Die Tat wird bekannt, Mose muss flüchten. Er findet Aufnahme bei einem Nomadenstamm der Midianiter auf der Halbinsel Sinai. Er integriert sich, heiratet die Tochter des Priesters Jitro und bekommt einen Sohn. Den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdient er als Hirte. Der am ägyptischen Hof vornehm Erzogene und hoch Gebildete hütet jetzt die Schafe und Ziegen des Schwiegervaters. Nicht nur vorübergehend, sondern jahrelang, jahrzehntelang. Wie ganz anders hätte sein Leben verlaufen können! Alles ist schief gelaufen. Völlig neben den Schuhen steht Mose da! Hat er in all den Jahren nach Gott gefragt? Ist er von dem midianitischen Priester deshalb aufgenommen worden, weil dieser den Gott der Hebräer hat kennenlernen wollen? Die rabbinische Tradition sagt, Jitro habe sich von den heidnischen Göttern abgewendet und nach dem einen Gott gesucht. Aber was hat Mose vom Gott seiner Väter überhaupt gewusst? Hat er auch als Zeuge für Gott versagt? Tag für Tag zieht er mit einer Herde, die ihm nicht gehört, in die Wüste hinaus. Soll das alles gewesen sein? Was eine grossartige Biographie hätte werden können, ist durch Moses Schuld verpfuscht worden. Vielleicht fragt sich so auch jemand unter uns: Soll das alles gewesen sein? Hätte es mit meinem Leben nicht anders kommen können, wenn ich meine Leidenschaften im Griff gehabt, wenn ich meine Chancen besser genutzt hätte? Habe ich meine besten Jahre vergeudet, meinen Auftrag verfehlt, Gott und Menschen enttäuscht? Was für eine bittere Erkenntnis, wenn mir aufgeht: Ich stehe neben den Schuhen und bin selber schuld. Aber in unserer Geschichte von Mose und dem brennenden Busch ist es mit den Schuhen ja ganz anders. Vor Gott Mose sieht plötzlich etwas Seltsames: einen brennenden Dornbusch, der doch nicht verbrennt. Er will sich das näher anschauen, aber da hört er seinen Namen: Mose, Mose! Er erkennt die Stimme Gottes und sagt: Hier bin ich! Rede, Herr, ich höre! Was bekommt Mose von Gott zu hören? Keinen Vorwurf, er stehe ja neben den Schuhen, sondern die Aufforderung: Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Mose steht mit den Schuhen an seinen Füssen vor dem heiligen Gott. Die Schuhe sind ein Bild für die Wege, die Mose in seinem Leben gegangen ist. Die Schuhe sind ausgelatscht, sie sind schmutzig und stinken. Da hängt alles dran, wo Mose daneben getreten ist: die falschen Wege, die er gegangen ist; der Totschlag, den er einst im Zorn begangen hat, und all die vielen Dummheiten und Feigheiten, die es in jeder Lebensgeschichte gibt. All das passt nicht in die Gegenwart des heiligen Gottes. Aber Gott sagt nicht: Bleib mir gefälligst weg, so kannst du doch nicht vor mich treten! Gott sagt: Zieh deine Schuhe aus! Alles, was dir an den Schuhen hängt, den ganzen Dreck, alle Irrwege und Umwege, alles, was in deinem Leben daneben gegangen bist – du darfst es hinter dir lassen. Allen Schmutz, der an dir hängt, alle Schuld, die auf dir liegt, alles darfst du ablegen vor mir. Bei mir bist du es los. Ich spreche dich frei. So ist das, wenn Gott uns begegnet. Gott hält uns nicht vor, dass wir uns daneben benommen haben. Er sagt uns, was er sich mit uns vorgenommen hat. Niemand von uns ist Mose. Aber es ist auch niemand unter uns, mit dem oder mit der Gott nicht etwas vorhätte. Der Gott, der mit Mose geredet hat, redet auch mit uns: der Gott der Väter, der Gott Israels. Er redet bis heute zu uns durch Mose und durch die Propheten, und er redet zu uns durch seinen Sohn Jesus Christus. „Nachdem Gott vor Zeiten vielfach und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet durch den Sohn“ (Hebr 1,1f). Wenn ich an Christus denke, dann gehen die Gedanken jetzt vom Ablegen der Schuhe weiter. Ich denke daran, wie Jesus seinen Jüngern die Füsse gewaschen hat. Ich darf nicht nur meine schmutzigen Schuhe stehen lassen, er wäscht mir die Füsse, er macht mich rein von allem, was mich von ihm trennt. Ja, ich stehe neben den Schuhen, aber ich stehe vor ihm. Und siehe da: Jesus, der Herr, kniet nieder und wäscht mir die Füsse! So weit geht seine Liebe zu mir und zu dir. So werden wir rein und heilig. So entzündet er auch in uns das Feuer seiner Liebe. Brennend für IHN Einen brennenden Dornbusch hat Mose gesehen. Rationalistische Bibelausleger haben das Wunder botanisch oder meteorologisch zu erklären ver- sucht: Durch eine aromatische Absonderung aus einer Art Brombeerstrauch, die sich bei grosser Hitze selbst entzündet. Oder als elektrische Entladung am Wipfel eines hohen Baumes. Aber es ist keine Palme und keine Zeder, sondern ein Dornstrauch, den Mose im Vollbrand sieht. Und das Wunder besteht ja nicht nur darin, dass er wie von selbst brennt, sondern dass er brennt und doch nicht verbrennt. Wer das naturwissenschaftlich erklären will, hat nichts begriffen. Er findet höchstens Brombeeren, wie eine amerikanische Lyrikerin es in einem Gedicht gesagt hat: Die Erde ist mit Himmel vollgepackt, und jeder gewöhnliche Busch brennt mit Gott. Aber nur wer es sieht, zieht die Schuhe aus. Die andern sitzen herum und pflücken Brombeeren. (Elisabeth Barret-Browning) Jeder gewöhnliche Busch kann mit Gott brennen. Wer es nicht sieht, sitzt herum, pflückt Brombeeren und erlebt nichts mit Gott. Mose sieht es: Der Dornbusch brennt und verbrennt doch nicht. Und was sehen wir? Ich sehe im brennenden Dornbusch ein Bild für Mose selbst: Ein halbes Leben lang ist er mit der Herde, die ihm nicht gehört, durch die Wüste gezogen, unscheinbar und unbeachtet wie ein Dornbusch. Aber Gott hat ihn gesehen und beim Namen gerufen. Jetzt steht er nicht mehr nur neben den Schuhen. Er steht vor Gott. Er ist erwählt, er wird gebraucht. Es flammt jetzt nicht mehr nur für Augenblicke der Jähzorn in ihm auf. Er brennt für Gott und für die Menschen, die Gott durch ihn retten will. Darum hat Chagall die Strahlen auf Moses Kopf gemalt. Eine übermenschliche Aufgabe liegt vor Mose. Er ist nicht spontan Feuer und Flamme dafür. Die Fortsetzung der Geschichte zeigt, wieviel Überzeugungsarbeit Gott aufwenden muss, um den Dornbusch Mose zum Brennen zu bringen und am Brennen zu halten. Viele Kämpfe und Anfechtungen wird er bestehen müssen. Aber er wird nicht ausbrennen. Er wird nicht im Burnout enden. Und warum nicht? Weil es nicht bei dem einen Dornbuscherlebnis geblieben ist. Mose ist noch oft neben den Schuhen gestanden, aber immer wieder ist er vor Gott hingekniet wie in dem Bild von Marc Chagall: mit nackten Füssen, aber mit brennendem Herzen, auf das seine Hand zeigt. Das Wunder kann Gott an uns allen tun: dass der Dornbusch brennt und doch nicht ausbrennt. Wenn wir neben den Schuhen stehen, sagt Jesus zu uns: Komm, lass dir die Füsse waschen. Lass dich vom Feuer meiner Liebe anstecken und gib es weiter. „Lasst euer Licht leuchten vor den Menschen, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5,16).