Urbane Phänomene des größten Schwarzmarktes am Balkan
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Urbane Phänomene des größten Schwarzmarktes am Balkan
Urbane Phänomene des größten Schwarzmarktes am Balkan Azra Aksamija Kontakt: DI Azra Aksamija / home: Kinkgasse 4, A - 8020 Graz / T: + 43 699 115 988 03 / E: [email protected] Die Entdeckung des urbanistischen Phänomens Arizona Road in Bosnien Der Schnitt längs der Nord-Süd Verkehrsachse in Nordbosnien, der NATO-benannten „Arizona Road“, enthüllt neue, durch den Krieg entstandene politische, soziale, wirtschaftliche und urbane Zustände. Auf dem größten Schwarzmarkt am Balkan, „Arizona Markt“ wurden diese neuen „wilden“ und ungeplanten räumlichen Konfigurationen untersucht. Dieser bizarre Organismus, der - umgeben von Minenfeldern und zerstörten Häusern - mitten in der Einöde liegt und sogar aus der Not ein „business“ hervorbringt, gleicht einem bazarischen Shopping-Paradies. Am „Arizona Markt“ spiegelt sich die bosnisch - europäische Tragödie: die Ausformulierung der neuen bosnischen Überlebenswirtschaft, die nur ein Gesetz kennt: es muss billig sein! Der Schwarzmarkt hat „offiziell“ 2200 Geschäfte, 65 Cafés, 7 Nachtclubs und befindet sich ca.15 Kilometer südwestlich der Grenzstadt Brcko. 30.000 Menschen leben von diesem Markt, der tägliche Umsatz wird auf 0,5 Mio. EURO geschätzt, mit einer Umsatzverdoppelung an den Wochenenden. Schmuggelgut, Designermarkenimitate, Frauen: verkauft wird hier alles, bezahlt in jeder Währung. Arizona Markt als Stadtentstehung Die Interpretation des „Arizona Marktes“ als Entstehung einer Stadt ist wie eine Laborsituation: ein Prozess, der sich normalerweise über Jahrhunderte erstreckt, kann hier innerhalb weniger Jahre nachvollzogen werden. „Arizona“ wird eine neue Stadt in Nachkriegsbosnien, die erste Stadt, in welcher die verfeindeten bosnischen Völker wieder friedlich zusammenleben. „Doch der Name verbindet sich auch mit dem Wilden Westen, von dem im Zusammenhang mit dem Markt immer wieder die Rede ist: Arizona würde einer frühen amerikanischen Goldgräberstadt gleichen, heißt es, boomend und gesetzlos zugleich.“1 In seiner Vielfältigkeit der Lebensweisen und Nationen, in seinen wild gewachsenen Bauformen, die sich von slumartigen Siedlungen bis zu barocken Palästen entfalten, fasziniert das bosnische „Arizona“ als urbanistische Erscheinung. Kreative Improvisation in der Gestaltung des privaten und öffentlichen Raumes, sowie das explodierende Wachstum formen ein merkantiles Handlungsfeld, als seltsamer Hybrid aus orientalischem Bazar und Las Vegas – Strip. 1 Peter Lachnit, Über das Forschungsprojekt “Arizona Road” in Ö1-Radio in der Sendung "Diagonal" 02.02. 02, 17:05h Entstehungshintergründe Serbische Republik „Arizona Road“ ist die militärische Bezeichnung der Bundesstraße Sarajevo – Tuzla – Orasje im Amerikanischen Sektor von BosnienHerzegowina. Der Arizona Markt befindet sich in einem der strategisch wichtigsten Grenzgebiete des Landes, welches eine der heftigsten Kriegsfronten war. Nach dem Daytoner Friedensabkommen wurde Bosnien in zwei Entitäten geteilt, wobei über das Gebiet von Nordbosnien um die Grenzstadt Brcko territoriell keine Einigung erzielt wurde. Der so genannte „Arizona Korridor“ blieb als Niemandsland ein politisch ungelöster Punkt mit einer erzwungenen Waffenstillstandzone. Brcko Tuzla Föderation von Bosniaken und Kroaten Sarajevo Die wirtschaftliche und politische Situation nach dem Krieg war in ganz Bosnien katastrophal. In diesen Rahmenbedingungen schien die Gründung eines Marktes im Niemandsland, der zum ersten Kommunikationspunkt der verfeindeten Völker werden sollte, für die Internationale Gemeinschaft eine gute Idee zu sein. 1996, ein Jahr nach dem Ende des in dieser Gegend besonders blutigen bosnischen Krieges, haben amerikanischen SFOR Soldaten im Schatten ihres Checkpoints eine ca. 40 Ha große Wiese planiert. „Das Pentagon spendierte 40.000 Dollar, damit die freie Marktwirtschaft jene Menschen wieder zusammenbringe, die der Nationalismus vier Jahre lang auseinander gerissen hatte.“2 Anschließend wurde der Markt von der damaligen Bezirksverwaltung Ravne Brcko auch offiziell gegründet. Die Tatsache seiner institutionellen Gründung unterscheidet ihn schon in der Entstehung von allen anderen Schwarzmärkten in Bosnien, die sich als Folge der wirtschaftlichen Nachkriegskrise spontan entwickelten. Auf Grund mangelnder Kontrolle wurde der Markt sehr rasch zum wirtschaftlich florierendsten Punkt im Land. Entlang beider Seiten der Bundesstraße Arizona Road reihen sich auf einer Strecke von ca. 20 km unterschiedlichste Verkaufsstände und Händler, die aus ihren Autos oder aus tragbaren Kästen ihre Ware direkt an die Durchfahrenden verkaufen. 97 mobile Kiste Auto 99 01 Bretterstand Kiosk Bretterbude Zelt Blechbude Budenreihe 2 A. Fink und C. Püschner. Alles, was VERBOTEN ist. Zeitschrift Focus. Ausgabe 27. 03.07. 2000. Fertigbetonteilbude Shopping Center An einer von einem Minenfeld begrenzten Wiese verdichtet sich der Verkauf zu einem „Bazar“ und wächst seither bei einer halbjährlichen Flächenverdoppelung. Der größte Umsatz erfolgt durch den Warenumschlag direkt aus den Lkws, und wird auf einem großen Parkplatz abgewickelt, der täglich seine Struktur ändert. Da es noch keine einheimische Produktion gibt, sind alle Waren am Markt importiert und das Warenangebot ist ein Imitat unserer westlichen Konsumgesellschaft. Neben dem scherzhaften Slogan „United Colours of Bosnia“ der bosnischen Medien wird der Markt von der UNOMenschenrechtsbeauftragten in Sarajevo als "die Hölle auf Erden" bezeichnet. Arizona ist Markt der Menschenhändler. Eine schlanke, große, junge Frau kostet einen Clubbesitzer zwischen 3000 und 4000 Konvertible Mark (KM=DM), ältere oder mollige Frauen stehen ab 1500 Mark zum Kauf. Ohne gemeinschaftliche Investitionen existiert kaum eine grundlegende Versorgung wie Strom, Wasser oder Kanalisation. Für die 4.000 Marktmenschen gibt es nur 2 Toiletten, meistens wird der umliegende Wald mitgenützt. Es besteht akute Seuchen- und Brandgefahr. Te x as Ro ad Brcko Tuzla Sarajevo aR oa d Föderation der Bosniaken und Kroaten Serbische Republik Brcko Distrikt Ar izo n Im Dezember 99 wurde das Gebiet des ehemaligen Arizona - Korridor vom OHR zum Brcko–Distrikt erklärt. Dieser ist ein juristischer Sonderfall, eine entmilitarisierte Zone mit politischen Sonderrechten. Die neue Distriktregierung versuchte den Markt durch dessen Schließung in Griff zu bekommen. Dieser Versuch scheiterte aufgrund von Korruption und wegen der Macht des Marktes. Danach wurde ein Regulierungsplan ausgearbeitet. Gemäß dem neuen Masterplan ist die Umsiedlung des Marktes auf die Fläche direkt neben dem vorhandenen vorgesehen. Danach würde der vorhandene Markt zerstört werden und als Shopping Mall und Freizeitzentrum wieder auferstehen. Den „offenen“ Ideenwettbewerb gewann ein italienischer Investor. x Arizona Markt Verhaltensmuster Als Analogie im Ausdruck des kulturellen Geistes und des traditionellen Handels kann der Alte Markt in Sarajevo, die Bascarsija, zum Vergleich mit dem Arizona Markt herangezogen werden. Der alte Markt ist „die Seele“ von Sarajevo, und für seine Region könnte der Arizona Markt eine ebensolche werden. Nicht nur in der Bausweise, sondern auch in der Art der Flächenbesetzung und Selbsturbanisierung, sowie im Prozess der Nutzungsgruppierung ist eine Analogie mit dem Arizona Markt ersichtlich. Bascarsija, Granatensouvenirs: Heute werden auf Bascarsija aus den 3 Mio. Granatenhülsen, die an die Stadt abgefeuert wurden, traditionell-handverarbeitete Souvenirs verkauft. Eda Schaur charakterisiert ungeplante Siedlungen folgendermaßen: Sie sind „weder geplant, noch willkürlich. Diese komplexe Ausformung der Lebensprozesse der Marktmenschen ist in ihrer Gesamtheit kaum erfassbar, und wird hier auf einfachere Muster reduziert, welche die wesentlichen Merkmale des Ganzen beinhalten."3 Dabei sind unterschiedliche Verhaltensmuster, die zur Entstehung und Entwicklung von neuen räumlichen Konfigurationen führen, erkennbar. "In seiner Auseinandersetzung mit mittelalterlichen Städten und Prozessen der Stadtentwicklung beschreibt Lewis Mumford derartige Prozesse und deren „Produkte“ folgendermaßen: „Eine organische Planung geht nicht von einem vorher festgelegten Ziel aus, sondern schreitet von Notwendigkeit zu Notwendigkeit oder von Gelegenheit zu Gelegenheit in einer Reihe von Anpassungen fort, die dann in zunehmendem Maße Zusammenhang und Zweck bekommen; sie schaffen einen komplexen entgültigen Entwurf...“.3 Dies trifft in gleicher Weise für den Arizona Markt auch zu. 3 Vgl. Schaur, Eda. Ungeplante Siedlungen. Stuttgart 1992 Flächenbesetzung ist die Basis des Entstehungsvorganges der selbstorganisierenden Strukturbildung auf Arizona Road nach dem Prinzip: der erste bestimmt. Das Verhalten kann mit der Besetzung eines Strandes durch Badegäste verglichen werden. Andockung ist eine Art Magnetwirkung, die feste und große Elemente auf Grund ihrer Besucher-frequenz auf die kleineren ausüben. Um dieses Phänomen zu umgehen weichen die Großhändler bei der Flächenbesetzung auf entferntere Flächen aus. Eine Folge davon ist das Verhaltensmuster „Leitung“. + + Zaun Fahrende Auslage entsteht durch die extreme Geschäftskonzentration entlang der Straße, die als Ort der höchsten Zirkulation das maximale Verkaufsvolumen verspricht. Die Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf muss auf Grund der Überlastung derart verringert werden, dass die umliegenden Geschäfte als Auslage wahrgenommen werden können. PM Bazarmall Betrachtet man das Luftbild des Marktes, wird eine klare Raumorganisation, wie sie bei modernen Shoppingmalls üblich ist, ersichtlich: Straße, Parkplatz und Einkaufshaus sind die hier entstandenen Elemente der Gliederung. Das Einkaufserlebnis in der Bazarmall vereinigt den Charakter eines orientalischen Bazars mit der Organisationstypologie einer Shoppingmall. Differenzierung Infolge der Geschäftsverdichtung ergeben sich innerhalb der Bazarmall Flächen unterschiedlicher Erreichbarkeit und dadurch unterschiedlich günstige Geschäftslagen. Die vom Parkplatz am schwersten erreichbare Stelle wird daher schwächer besucht. Daraus folgt, dass diese Geschäfte entweder sehr spezialisiert oder gut beschildert sein müssen. Information und Wegweisung passieren an den frequentiertesten Stellen. Der öffentliche Raum auf dem Arizona Markt resultiert aus dem Handelsverhalten. Bei einem Verkaufsvorgang befindet sich der Verkaufende mit dem Kunden auf der gleichen Seite. Bei dieser verhandelnder Verkaufsart zieht sich die Straße als öffentlicher Raum in die gesamte Geschäftsfläche hinein, nur die Ware ist privat, die Bausubstanz dient dabei lediglich als deren Halterung. + = ! Selbsturbanisierung Prinzip: Urbane Regulatoren wie Einbahnstraßensystem, Schranken, Parkplatzabgrenzungen, „Liegende Polizisten“, Hausnummern, u.ä. entstehen nach den Notwendigkeiten durch Selbstorganisation. Anzapfung Bei der Anzapfung des staatlichen Stromversorgungsnetzes werden durch Kabelüberlänge weitere Anzapfungen vorgesehen. Bis zum Jahr 2000 lief die Stromversorgung der einzelnen Geschäfte hauptsächlich über Stromaggregate, die ab 22h ausgeschaltet wurden, daher war der Markt nachts nicht beleuchtet. Symbiose ist das Entstehungsmuster neuer Funktionsobjekte durch improvisierte Verschmelzung mit vorgefundenen Objekten. Die Marktelemente werden kombiniert, transformiert und zweckentfremdet, und erhalten dadurch eine neue symbiotische Form und Funktion. Symbiosen: Ausgrenzung Im umliegenden Minenfeld, im Niemandsland, leben die Roma. Ausgegrenzt vom Markt und von der Gesellschaft leben sie in improvisierten Karton- und Plastiksackhütten, im Roma – Slum. Die Ausgrenzung auf Arizona ist dualistisch: der Markt ist der Slum der Region, die Roma Siedlung im Minenfeld ist der Slum des Slums. Leitplankenstufen, Schlüsseldienstverkehrszeichen, Beinteilungsschilder, BaumParkingsessel, Bushüttezelzschirm... Straße Minenfeld Verfügungsfläche Leitung fungiert nach dem Prinzip der Verlagerung neuer Nutzungen und Notwendigkeiten an die Peripherie. Der Arizona-Markt kann als ein Induktor verstanden werden. Er hat Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und räumlichen Erscheinungen seiner weiteren Umgebung. In der ehemaligen landwirtschaftlichen Brache entstehen neue räumliche Konfigurationen und Nutzungen. Baumärkte Gastronomie Autoschrott Wohnen Tankstellen Schwimmbad + = Prozessnavigation Die Verhaltensmuster Arizonas zeigen, dass Selbstorganisation eine produktive Kraft in Krisensituationen darstellt. Daher sollte sie zur Erhaltung und Entwicklung des Marktes einbezogen werden. Said Jamakovic, Vorstand des Städtebauamtes Sarajevo, analysiert dies, im Sinne von Deleuze und Guattaris „Kampf zwischen der nomadologischen Kriegsmaschine und dem sesshaften Staatsapparat“, folgendermaßen: „Es gibt immer einen Kampf zwischen dem informellen und dem institutionellen System, welches sich einfach das Recht nimmt zu entscheiden was gut und was schlecht sei... Dabei geht es immer um Macht, schließlich sind Städtebau und Ordnung auch eine Art der Machtäußerung und eine Pression“.5 Selbstorganisation ist sehr oft eine Folgeerscheinung von Planungsmängeln. Im Zentralpark Sarajevos wird beispielsweise seit Jahren ein institutioneller „Kampf“ gegen Trampelpfade geführt. Einer dieser Wege ist die Verbindung zweier wichtiger Bushaltestellen. Da es durch den Park keine geplante Verbindung der beiden Punkte gibt, bildete sich diese notwendige Querung von selbst. Man versuchte zunächst mit Zäunen den Weg durch die Wiese zu sperren. Der niedrige Zaun konnte jedoch niemanden am Überspringen hindern, und der Trampelpfad blieb bestehen. Heute hat die institutionelle Planung die informelle besiegt: am Trampelweg wurden Rosen angepflanzt, die den Durchgang versperren. „Im Ambiente unseres sozialistischen Bauens geht man leider anders mit solchen Strukturen um, meist mit einer „Tabula rasa“ Methode. Aus dieser Perspektive geht man heute auch mit Arizona um.“ 4 Der Mythos, der sich mit den zahlreichen Geschichten und Berichten durch die Jahre um den Arizona Markt gebildet hat, trägt seine Bedeutung über die Grenzen des Landes. Mittlerweile hat der Markt eine kritische Größe erreicht, bei der sich seine Zukunftsfrage sehr bald lösen muss. Bei einer gleich bleibenden Entwicklung könnte sich der Markt auf Grund der Untragbarkeit seines sozialen Konzeptes auflösen. Nach dem Regulierungsplan der Regierung würde die Umsiedlung der Händler die Zahlung der doppelten Steuer bedeuten, bedenkt man die Schutzgeldabgaben. Eine vollkommene Regulierung könnte auch zur Auflösung des Marktes führen und damit die Existenz vieler Menschen bedrohen, oder zu seinem Wiederauftauchen an einem anderen Ort. Das Fortbestehen Arizonas in Form eines „Schwarzmarktes“ wird für die nächsten 5-6 Jahre notwendig sein. Das aktuelle Hauptproblem liegt in der parallelen Existenz des Arizona-Gefüges und des staatlichen Systems, zu weit voneinander entfernt und gegeneinander arbeitend. Die Regierung ist zurzeit nicht in der Lage die vielen Probleme des Marktes zu lösen, und muss wieder einen Weg finden, sich dem Markt anzunähern bzw. mit ihm zu arbeiten. In diesem Zusammenhang ist es nicht möglich von einer Legalisierung des Marktes als eine Lösung zu sprechen, da der Staat Bosnien und Herzegowina selbst den legalen Status noch nicht wiederhergestellt hat. Beispielsweise befindet sich heute noch in der Nähe des Flughafens - im serbischen Teil Sarajevos - die sogenannte „CD Avenue“. In mehr als 20 kleinen „Piraten - CD – Geschäften“ werden die neusten Musik- und Software- CDs zum Spottpreis verkauft. Paradoxerweise sind sie als Geschäftslokale gesetzlich registriert und bezahlen für die verkauften Raubkopien Umsatzsteuer. Mit welcher Art von städtebaulichen Interventionen kann man bei einer solchen Problematik überhaupt etwas bewirken? Eine radikale Planung oder eine Übersiedlung des Marktes würde auf starken Widerstand stoßen. Die vorhandene Machtstruktur ist viel zu stark und würde sich Veränderungen widersetzen. Man müsste also nach alternativen Planungsmethoden suchen, die mit dem Ort tatsächlich kommunizieren können. Das „Wilde“ von Arizona muss dabei nicht zwangsläufig erhalten werden. Es geht hier mehr um die Erhaltung und Entwicklung seiner Qualitäten, die durch eine „Zähmung“ verloren gehen könnten. Aus den Charakteristiken, Qualitäten und Problemen vorhandener bzw. erkannter Organisations-strukturen am Markt werden im Folgenden städtebauliche Prinzipien für die neuen Lösungsvorschläge gezeigt. Diese sollen der „Tabula rasa Methode“ der Regierung entgegengestellt werden, und die Möglichkeiten einer städtebaulichen Intervention überprüfen. Diese Zukunftsvision für den Arizona Markt arbeitet mit seinen Verhaltensmustern. Durch gezieltes Zulassen von mehr „Chaos“ soll seine Weiterentwicklung mit mehr „Ordnung“ herangetrieben werden. Genauso wenig wie Arizona "ohne „Chaos“ wachsen und sich weiterentwickeln kann, kommt es ohne räumliche Planung aus" 5. Prozessnavigation anstatt der „Tabula rasa“ - Methode sollte die hier angewandte städtebauliche Vorgangsweise sein. Die Flächen neben dem Vorhandenen Markt sollen mittels Infrastruktur aufgewertet und zum Verkauf freigegeben 4 Said Jamakovic im Interview, Vorstand des Städtebauamtes Sarajevo 5 Vgl. Zibell, B. Gürtler Berger, T. Stadt im Umbruch. ChaosStadt?. Zürich (1997) Pro Literis werden. Aus den Verhaltensmustern wurden drei städtebauliche Instrumente abgeleitet, die hierfür eingesetzt werden können: eine Umfahrungsstraße, Provokateurstangen und Platzhalter. Diese sollen die neuen Marktflächen attraktiveren. Dadurch wird eine Stadtentwicklung mittels Eigeninvestment möglich. Umfahrungsstraße Wegen der Überlastung der Arizona Road (siehe Verhaltensmuster „Fahrende Auslage“) ist eine Umfahrungsstraße im Moment dringend notwendig. Der Bau der Umfahrungsstraße wird schließlich zu einer Spiegelung des Marktes führen. Da es am Arizona Markt keine „zufälligen“ Besucher gibt, kann sich die Umfahrungsstraße nicht negativ auswirken. Im Gegenteil wird eine Frequenzerhöhung bei gleichzeitiger Entlastung der Hauptstraße hervorgerufen. Provokateurstange Am Entwicklungsgebiet werden Provokateurstangen als Attraktoren eingesetzt, die eine Doppelfunktion für die zu entwickelnde Fläche übernehmen sollen: Einerseits beinhalten sie ein konkretes infrastrukturelles Andockungsprogramm, andererseits geht von ihnen der Impuls für die Entwicklung der umliegenden Flächen aus. Sportplatz Um die Flächenbesetzung lenken zu können und den Strukturierungsraster der Provokateurstangen zu brechen, werden Leerflächen eingesetzt. Da eine regulative Freihaltung unwahrscheinlich bliebe, werden sie als Sportplätze zu öffentlichen Flächen bestimmt und funktional besetzt. Sie werden zu Kommunikationszentren, um die sich die Geschäfte gruppieren können. Ihre Funktion ist vorerst temporär. Es fällt schwer, jemanden, der von diesem „Budgetparasit“ Arizona überfallen wurde, und der diese Hauptquelle von Kriminalität im Land unter Kontrolle bringen will, von dessen Qualitäten und dem Entwicklungspotential zu überzeugen. Nur die positive Bewertung des Vorhandenen wird kurz- oder mittelfristig auf das, mit äußerst negativen Assoziationen verbundene Arizona eine neue Entwicklung übertragen können. Die Verhaltensmuster zeigen, dass die Regeln einer herkömmlichen Planung meist umgangen werden, sodass man sie nicht erfolgreich einsetzen kann. Durch kleine und temporäre städtebauliche Interventionen kann aber eine Plattform bzw. eine Basis für ein weiteres Funktionieren und ein langsames Einbinden in das staatliche System geschaffen werden. Durch das Hervorrufen neuer urbaner Entwicklungsprozesse, wird die Selbstorganisation gezielt und lenkend eingesetzt. Im Laufe der Zeit werden sich neue Notwendigkeiten ergeben. Der grundlegenden Neuorganisation einer Situation im Konfliktfall steht die Möglichkeit offen, sich mit den hinzukommenden wirtschaftlich-politischen Veränderungen intuitiv zu arrangieren. Durch die Tatsachen einer vorgefundenen Situation neue Tatsachen zu schaffen, mit denen sich der nächste arrangieren wird, formt eine Situation kontinuierlich um, ohne ihren ursprünglichen Charakter zu zerstören. Sie wird im Gegenteil noch charakteristischer. Das Endstadium dieser Entwicklung bleibt offen. Möglicherweise verschwindet der Markt, wahrscheinlicher ist jedoch, dass wir die seltene Gelegenheit haben, bei der Entstehung einer Stadt dabei zu sein: Arizona in Bosnien.