Urbane Phänomene des größten Schwarzmarktes am Balkan

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Urbane Phänomene des größten Schwarzmarktes am Balkan
Urbane Phänomene des größten Schwarzmarktes am Balkan
Azra Aksamija
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Die Entdeckung des urbanistischen Phänomens Arizona Road in Bosnien
Der Schnitt längs der Nord-Süd Verkehrsachse in Nordbosnien, der NATO-benannten „Arizona Road“, enthüllt
neue, durch den Krieg entstandene politische, soziale, wirtschaftliche und urbane Zustände. Auf dem größten
Schwarzmarkt am Balkan, „Arizona Markt“ wurden diese neuen „wilden“ und ungeplanten räumlichen Konfigurationen
untersucht.
Dieser bizarre Organismus, der - umgeben von Minenfeldern und zerstörten Häusern - mitten in der Einöde liegt
und sogar aus der Not ein „business“ hervorbringt, gleicht einem bazarischen Shopping-Paradies. Am „Arizona
Markt“ spiegelt sich die bosnisch - europäische Tragödie: die Ausformulierung der neuen bosnischen
Überlebenswirtschaft, die nur ein Gesetz kennt: es muss billig sein!
Der Schwarzmarkt hat „offiziell“ 2200 Geschäfte, 65 Cafés, 7 Nachtclubs und befindet sich ca.15 Kilometer südwestlich
der Grenzstadt Brcko. 30.000 Menschen leben von diesem Markt, der tägliche Umsatz wird auf 0,5 Mio. EURO
geschätzt, mit einer Umsatzverdoppelung an den Wochenenden. Schmuggelgut, Designermarkenimitate, Frauen:
verkauft wird hier alles, bezahlt in jeder Währung.
Arizona Markt als Stadtentstehung
Die Interpretation des „Arizona Marktes“ als Entstehung einer Stadt ist wie eine Laborsituation: ein Prozess, der
sich normalerweise über Jahrhunderte erstreckt, kann hier innerhalb weniger Jahre nachvollzogen werden. „Arizona“
wird eine neue Stadt in Nachkriegsbosnien, die erste Stadt, in welcher die verfeindeten bosnischen Völker wieder
friedlich zusammenleben.
„Doch der Name verbindet sich auch mit dem Wilden Westen, von dem im Zusammenhang mit dem Markt immer
wieder die Rede ist: Arizona würde einer frühen amerikanischen Goldgräberstadt gleichen, heißt es, boomend und
gesetzlos zugleich.“1
In seiner Vielfältigkeit der Lebensweisen und Nationen, in seinen wild gewachsenen Bauformen, die sich von slumartigen Siedlungen bis zu barocken Palästen entfalten, fasziniert das bosnische „Arizona“ als urbanistische
Erscheinung. Kreative Improvisation in der Gestaltung des privaten und öffentlichen Raumes, sowie das explodierende
Wachstum formen ein merkantiles Handlungsfeld, als seltsamer Hybrid aus orientalischem Bazar und Las Vegas
– Strip.
1 Peter Lachnit, Über das Forschungsprojekt “Arizona Road” in Ö1-Radio in der Sendung "Diagonal" 02.02. 02, 17:05h
Entstehungshintergründe
Serbische Republik
„Arizona Road“ ist die militärische Bezeichnung der Bundesstraße
Sarajevo – Tuzla – Orasje im Amerikanischen Sektor von BosnienHerzegowina. Der Arizona Markt befindet sich in einem der
strategisch wichtigsten Grenzgebiete des Landes, welches eine
der heftigsten Kriegsfronten war. Nach dem Daytoner
Friedensabkommen wurde Bosnien in zwei Entitäten geteilt, wobei
über das Gebiet von Nordbosnien um die Grenzstadt Brcko
territoriell keine Einigung erzielt wurde. Der so genannte „Arizona
Korridor“ blieb als Niemandsland ein politisch ungelöster Punkt
mit einer erzwungenen Waffenstillstandzone.
Brcko
Tuzla
Föderation von Bosniaken
und Kroaten
Sarajevo
Die wirtschaftliche und politische Situation nach dem Krieg war in ganz Bosnien katastrophal. In diesen
Rahmenbedingungen schien die Gründung eines Marktes im Niemandsland, der zum ersten Kommunikationspunkt
der verfeindeten Völker werden sollte, für die Internationale Gemeinschaft eine gute Idee zu sein. 1996, ein Jahr
nach dem Ende des in dieser Gegend besonders blutigen bosnischen Krieges, haben amerikanischen SFOR Soldaten im Schatten ihres Checkpoints eine ca. 40 Ha große Wiese planiert. „Das Pentagon spendierte 40.000
Dollar, damit die freie Marktwirtschaft jene Menschen wieder zusammenbringe, die der Nationalismus vier Jahre
lang auseinander gerissen hatte.“2
Anschließend wurde der Markt von der damaligen Bezirksverwaltung Ravne Brcko auch offiziell gegründet. Die
Tatsache seiner institutionellen Gründung unterscheidet ihn schon in der Entstehung von allen anderen Schwarzmärkten
in Bosnien, die sich als Folge der wirtschaftlichen Nachkriegskrise spontan entwickelten.
Auf Grund mangelnder Kontrolle wurde der Markt sehr rasch zum wirtschaftlich florierendsten Punkt im Land.
Entlang beider Seiten der Bundesstraße Arizona Road reihen sich auf einer Strecke von ca. 20 km unterschiedlichste
Verkaufsstände und Händler, die aus ihren Autos oder aus tragbaren Kästen ihre Ware direkt an die Durchfahrenden
verkaufen.
97
mobile Kiste
Auto
99
01
Bretterstand
Kiosk
Bretterbude
Zelt
Blechbude
Budenreihe
2 A. Fink und C. Püschner. Alles, was VERBOTEN ist. Zeitschrift Focus. Ausgabe 27. 03.07. 2000.
Fertigbetonteilbude
Shopping Center
An einer von einem Minenfeld begrenzten Wiese verdichtet sich der Verkauf zu einem „Bazar“ und wächst seither
bei einer halbjährlichen Flächenverdoppelung. Der größte Umsatz erfolgt durch den Warenumschlag direkt aus
den Lkws, und wird auf einem großen Parkplatz abgewickelt, der täglich seine Struktur ändert. Da es noch keine
einheimische Produktion gibt, sind alle Waren am Markt importiert und das Warenangebot ist ein Imitat unserer
westlichen Konsumgesellschaft.
Neben dem scherzhaften Slogan „United Colours of Bosnia“ der bosnischen Medien wird der Markt von der UNOMenschenrechtsbeauftragten in Sarajevo als "die Hölle auf Erden" bezeichnet. Arizona ist Markt der Menschenhändler.
Eine schlanke, große, junge Frau kostet einen Clubbesitzer zwischen 3000 und 4000 Konvertible Mark (KM=DM),
ältere oder mollige Frauen stehen ab 1500 Mark zum Kauf.
Ohne gemeinschaftliche Investitionen existiert kaum eine grundlegende Versorgung wie Strom, Wasser oder
Kanalisation. Für die 4.000 Marktmenschen gibt es nur 2 Toiletten, meistens wird der umliegende Wald mitgenützt.
Es besteht akute Seuchen- und Brandgefahr.
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Brcko
Tuzla
Sarajevo
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Föderation der
Bosniaken und Kroaten
Serbische Republik
Brcko Distrikt
Ar
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n
Im Dezember 99 wurde das Gebiet des
ehemaligen Arizona - Korridor vom OHR zum
Brcko–Distrikt erklärt. Dieser ist ein juristischer
Sonderfall, eine entmilitarisierte Zone mit
politischen Sonderrechten. Die neue
Distriktregierung versuchte den Markt durch
dessen Schließung in Griff zu bekommen.
Dieser Versuch scheiterte aufgrund von
Korruption und wegen der Macht des Marktes.
Danach wurde ein Regulierungsplan
ausgearbeitet. Gemäß dem neuen Masterplan
ist die Umsiedlung des Marktes auf die Fläche
direkt neben dem vorhandenen vorgesehen.
Danach würde der vorhandene Markt zerstört
werden und als Shopping Mall und
Freizeitzentrum wieder auferstehen. Den
„offenen“ Ideenwettbewerb gewann ein
italienischer Investor.
x Arizona Markt
Verhaltensmuster
Als Analogie im Ausdruck des kulturellen Geistes und des traditionellen Handels kann der Alte Markt in Sarajevo,
die Bascarsija, zum Vergleich mit dem Arizona Markt herangezogen werden. Der alte Markt ist „die Seele“ von
Sarajevo, und für seine Region könnte der Arizona Markt eine ebensolche werden. Nicht nur in der Bausweise,
sondern auch in der Art der Flächenbesetzung und Selbsturbanisierung, sowie im Prozess der Nutzungsgruppierung
ist eine Analogie mit dem Arizona Markt ersichtlich.
Bascarsija, Granatensouvenirs: Heute werden auf Bascarsija aus den 3 Mio. Granatenhülsen, die an die Stadt
abgefeuert wurden, traditionell-handverarbeitete Souvenirs verkauft.
Eda Schaur charakterisiert ungeplante Siedlungen folgendermaßen: Sie sind „weder geplant, noch willkürlich. Diese komplexe
Ausformung der Lebensprozesse der Marktmenschen ist in ihrer Gesamtheit kaum erfassbar, und wird hier auf einfachere Muster
reduziert, welche die wesentlichen Merkmale des Ganzen beinhalten."3 Dabei sind unterschiedliche Verhaltensmuster, die zur
Entstehung und Entwicklung von neuen räumlichen Konfigurationen führen, erkennbar. "In seiner Auseinandersetzung mit
mittelalterlichen Städten und Prozessen der Stadtentwicklung beschreibt Lewis Mumford derartige Prozesse und deren „Produkte“
folgendermaßen: „Eine organische Planung geht nicht von einem vorher festgelegten Ziel aus, sondern schreitet von Notwendigkeit
zu Notwendigkeit oder von Gelegenheit zu Gelegenheit in einer Reihe von Anpassungen fort, die dann in zunehmendem Maße
Zusammenhang und Zweck bekommen; sie schaffen einen komplexen entgültigen Entwurf...“.3 Dies trifft in gleicher Weise für
den Arizona Markt auch zu.
3 Vgl. Schaur, Eda. Ungeplante Siedlungen. Stuttgart 1992
Flächenbesetzung ist die Basis des
Entstehungsvorganges der
selbstorganisierenden Strukturbildung auf
Arizona Road nach dem Prinzip: der erste
bestimmt. Das Verhalten kann mit der
Besetzung eines Strandes durch Badegäste
verglichen werden.
Andockung ist eine Art Magnetwirkung,
die feste und große Elemente auf Grund
ihrer Besucher-frequenz auf die kleineren
ausüben.
Um dieses Phänomen zu umgehen
weichen die Großhändler bei der
Flächenbesetzung auf entferntere Flächen
aus. Eine Folge davon ist das
Verhaltensmuster „Leitung“.
+
+
Zaun
Fahrende Auslage entsteht durch die
extreme Geschäftskonzentration entlang
der Straße, die als Ort der höchsten
Zirkulation das maximale Verkaufsvolumen
verspricht. Die Geschwindigkeit der
Fahrzeuge auf muss auf Grund der
Überlastung derart verringert werden, dass
die umliegenden Geschäfte als Auslage
wahrgenommen werden können.
PM
Bazarmall Betrachtet man das Luftbild
des Marktes, wird eine klare
Raumorganisation, wie sie bei modernen
Shoppingmalls üblich ist, ersichtlich: Straße,
Parkplatz und Einkaufshaus sind die hier
entstandenen Elemente der Gliederung.
Das Einkaufserlebnis in der Bazarmall
vereinigt den Charakter eines orientalischen
Bazars mit der Organisationstypologie einer
Shoppingmall.
Differenzierung Infolge der
Geschäftsverdichtung ergeben sich
innerhalb der Bazarmall Flächen
unterschiedlicher Erreichbarkeit und
dadurch unterschiedlich günstige
Geschäftslagen. Die vom Parkplatz am
schwersten erreichbare Stelle wird daher
schwächer besucht. Daraus folgt, dass
diese Geschäfte entweder sehr spezialisiert
oder gut beschildert sein müssen.
Information und Wegweisung passieren an
den frequentiertesten Stellen.
Der öffentliche Raum auf dem Arizona
Markt resultiert aus dem Handelsverhalten.
Bei einem Verkaufsvorgang befindet sich
der Verkaufende mit dem Kunden auf der
gleichen Seite. Bei dieser verhandelnder
Verkaufsart zieht sich die Straße als
öffentlicher Raum in die gesamte
Geschäftsfläche hinein, nur die Ware ist
privat, die Bausubstanz dient dabei lediglich
als deren Halterung.
+
=
!
Selbsturbanisierung Prinzip: Urbane
Regulatoren wie Einbahnstraßensystem,
Schranken, Parkplatzabgrenzungen,
„Liegende Polizisten“, Hausnummern, u.ä.
entstehen nach den Notwendigkeiten durch
Selbstorganisation.
Anzapfung Bei der Anzapfung des
staatlichen Stromversorgungsnetzes
werden durch Kabelüberlänge weitere
Anzapfungen vorgesehen.
Bis zum Jahr 2000 lief
die Stromversorgung
der einzelnen
Geschäfte
hauptsächlich über
Stromaggregate, die ab
22h ausgeschaltet
wurden, daher war der
Markt nachts nicht
beleuchtet.
Symbiose ist das Entstehungsmuster
neuer Funktionsobjekte durch improvisierte
Verschmelzung mit vorgefundenen
Objekten. Die Marktelemente werden
kombiniert, transformiert und
zweckentfremdet, und erhalten dadurch
eine neue symbiotische Form und Funktion.
Symbiosen:
Ausgrenzung Im umliegenden Minenfeld,
im Niemandsland, leben die Roma.
Ausgegrenzt vom Markt und von der
Gesellschaft leben sie in improvisierten
Karton- und Plastiksackhütten, im Roma –
Slum. Die Ausgrenzung auf Arizona ist
dualistisch: der Markt ist der Slum der
Region, die Roma Siedlung im Minenfeld
ist der Slum des Slums.
Leitplankenstufen,
Schlüsseldienstverkehrszeichen,
Beinteilungsschilder,
BaumParkingsessel,
Bushüttezelzschirm...
Straße
Minenfeld
Verfügungsfläche
Leitung fungiert nach dem Prinzip der
Verlagerung neuer Nutzungen und
Notwendigkeiten an die Peripherie. Der
Arizona-Markt kann als ein Induktor
verstanden werden. Er hat Auswirkungen
auf die wirtschaftlichen und räumlichen
Erscheinungen seiner weiteren Umgebung.
In der ehemaligen landwirtschaftlichen
Brache entstehen neue räumliche
Konfigurationen und Nutzungen.
Baumärkte
Gastronomie
Autoschrott
Wohnen
Tankstellen
Schwimmbad
+
=
Prozessnavigation
Die Verhaltensmuster Arizonas zeigen, dass Selbstorganisation eine produktive Kraft in Krisensituationen darstellt.
Daher sollte sie zur Erhaltung und Entwicklung des Marktes einbezogen werden.
Said Jamakovic, Vorstand des Städtebauamtes Sarajevo, analysiert dies, im Sinne von Deleuze und Guattaris
„Kampf zwischen der nomadologischen Kriegsmaschine und dem sesshaften Staatsapparat“, folgendermaßen: „Es
gibt immer einen Kampf zwischen dem informellen und dem institutionellen System, welches sich einfach das Recht
nimmt zu entscheiden was gut und was schlecht sei... Dabei geht es immer um Macht, schließlich sind Städtebau
und Ordnung auch eine Art der Machtäußerung und eine Pression“.5
Selbstorganisation ist sehr oft eine Folgeerscheinung von Planungsmängeln. Im Zentralpark Sarajevos wird
beispielsweise seit Jahren ein institutioneller „Kampf“ gegen Trampelpfade geführt. Einer dieser Wege ist die
Verbindung zweier wichtiger Bushaltestellen. Da es durch den Park keine geplante Verbindung der beiden Punkte
gibt, bildete sich diese notwendige Querung von selbst. Man versuchte zunächst mit Zäunen den Weg durch die
Wiese zu sperren. Der niedrige Zaun konnte jedoch niemanden am Überspringen hindern, und der Trampelpfad
blieb bestehen. Heute hat die institutionelle Planung die informelle besiegt: am Trampelweg wurden Rosen angepflanzt,
die den Durchgang versperren.
„Im Ambiente unseres sozialistischen Bauens geht man leider anders mit solchen Strukturen um, meist mit einer
„Tabula rasa“ Methode. Aus dieser Perspektive geht man heute auch mit Arizona um.“ 4
Der Mythos, der sich mit den zahlreichen Geschichten und Berichten durch die Jahre um den Arizona Markt gebildet
hat, trägt seine Bedeutung über die Grenzen des Landes. Mittlerweile hat der Markt eine kritische Größe erreicht,
bei der sich seine Zukunftsfrage sehr bald lösen muss. Bei einer gleich bleibenden Entwicklung könnte sich der
Markt auf Grund der Untragbarkeit seines sozialen Konzeptes auflösen. Nach dem Regulierungsplan der Regierung
würde die Umsiedlung der Händler die Zahlung der doppelten Steuer bedeuten, bedenkt man die Schutzgeldabgaben.
Eine vollkommene Regulierung könnte auch zur Auflösung des Marktes führen und damit die Existenz vieler
Menschen bedrohen, oder zu seinem Wiederauftauchen an einem anderen Ort.
Das Fortbestehen Arizonas in Form eines „Schwarzmarktes“ wird für die nächsten 5-6 Jahre notwendig sein. Das
aktuelle Hauptproblem liegt in der parallelen Existenz des Arizona-Gefüges und des staatlichen Systems, zu weit
voneinander entfernt und gegeneinander arbeitend. Die Regierung ist zurzeit nicht in der Lage die vielen Probleme
des Marktes zu lösen, und muss wieder einen Weg finden, sich dem Markt anzunähern bzw. mit ihm zu arbeiten.
In diesem Zusammenhang ist es nicht möglich von einer Legalisierung des Marktes als eine Lösung zu sprechen,
da der Staat Bosnien und Herzegowina selbst den legalen Status noch nicht wiederhergestellt hat. Beispielsweise
befindet sich heute noch in der Nähe des Flughafens - im serbischen Teil Sarajevos - die sogenannte „CD Avenue“.
In mehr als 20 kleinen „Piraten - CD – Geschäften“ werden die neusten Musik- und Software- CDs zum Spottpreis
verkauft. Paradoxerweise sind sie als Geschäftslokale gesetzlich registriert und bezahlen für die verkauften
Raubkopien Umsatzsteuer.
Mit welcher Art von städtebaulichen Interventionen kann man bei einer solchen Problematik überhaupt etwas
bewirken?
Eine radikale Planung oder eine Übersiedlung des Marktes würde auf starken Widerstand stoßen. Die vorhandene
Machtstruktur ist viel zu stark und würde sich Veränderungen widersetzen. Man müsste also nach alternativen
Planungsmethoden suchen, die mit dem Ort tatsächlich kommunizieren können. Das „Wilde“ von Arizona muss
dabei nicht zwangsläufig erhalten werden. Es geht hier mehr um die Erhaltung und Entwicklung seiner Qualitäten,
die durch eine „Zähmung“ verloren gehen könnten.
Aus den Charakteristiken, Qualitäten und Problemen vorhandener bzw. erkannter Organisations-strukturen am
Markt werden im Folgenden städtebauliche Prinzipien für die neuen Lösungsvorschläge gezeigt. Diese sollen der
„Tabula rasa Methode“ der Regierung entgegengestellt werden, und die Möglichkeiten einer städtebaulichen
Intervention überprüfen.
Diese Zukunftsvision für den Arizona Markt arbeitet mit seinen Verhaltensmustern. Durch gezieltes Zulassen von
mehr „Chaos“ soll seine Weiterentwicklung mit mehr „Ordnung“ herangetrieben werden.
Genauso wenig wie Arizona "ohne „Chaos“ wachsen und sich weiterentwickeln kann, kommt es ohne räumliche
Planung aus" 5. Prozessnavigation anstatt der „Tabula rasa“ - Methode sollte die hier angewandte städtebauliche
Vorgangsweise sein.
Die Flächen neben dem Vorhandenen Markt sollen mittels Infrastruktur aufgewertet und zum Verkauf freigegeben
4 Said Jamakovic im Interview, Vorstand des Städtebauamtes Sarajevo
5 Vgl. Zibell, B. Gürtler Berger, T. Stadt im Umbruch. ChaosStadt?. Zürich (1997) Pro Literis
werden. Aus den Verhaltensmustern wurden drei städtebauliche Instrumente abgeleitet, die hierfür eingesetzt
werden können: eine Umfahrungsstraße, Provokateurstangen und Platzhalter.
Diese sollen die neuen Marktflächen attraktiveren. Dadurch wird eine Stadtentwicklung mittels
Eigeninvestment möglich.
Umfahrungsstraße
Wegen der Überlastung der Arizona Road (siehe Verhaltensmuster „Fahrende Auslage“) ist eine Umfahrungsstraße
im Moment dringend notwendig. Der Bau der Umfahrungsstraße wird schließlich zu einer Spiegelung des Marktes
führen. Da es am Arizona Markt keine „zufälligen“ Besucher gibt, kann sich die Umfahrungsstraße nicht negativ
auswirken. Im Gegenteil wird eine Frequenzerhöhung bei gleichzeitiger Entlastung der Hauptstraße hervorgerufen.
Provokateurstange
Am Entwicklungsgebiet werden Provokateurstangen als Attraktoren eingesetzt, die eine Doppelfunktion für die zu
entwickelnde Fläche übernehmen sollen: Einerseits beinhalten sie ein konkretes infrastrukturelles Andockungsprogramm,
andererseits geht von ihnen der Impuls für die Entwicklung der umliegenden Flächen aus.
Sportplatz
Um die Flächenbesetzung lenken zu können und den Strukturierungsraster der Provokateurstangen zu brechen,
werden Leerflächen eingesetzt. Da eine regulative Freihaltung unwahrscheinlich bliebe, werden sie als Sportplätze
zu öffentlichen Flächen bestimmt und funktional besetzt. Sie werden zu Kommunikationszentren, um die sich die
Geschäfte gruppieren können. Ihre Funktion ist vorerst temporär.
Es fällt schwer, jemanden, der von diesem „Budgetparasit“ Arizona überfallen wurde, und der diese Hauptquelle
von Kriminalität im Land unter Kontrolle bringen will, von dessen Qualitäten und dem Entwicklungspotential zu
überzeugen. Nur die positive Bewertung des Vorhandenen wird kurz- oder mittelfristig auf das, mit äußerst negativen
Assoziationen verbundene Arizona eine neue Entwicklung übertragen können.
Die Verhaltensmuster zeigen, dass die Regeln einer herkömmlichen Planung meist umgangen werden, sodass man
sie nicht erfolgreich einsetzen kann. Durch kleine und temporäre städtebauliche Interventionen kann aber eine
Plattform bzw. eine Basis für ein weiteres Funktionieren und ein langsames Einbinden in das staatliche System
geschaffen werden. Durch das Hervorrufen neuer urbaner Entwicklungsprozesse, wird die Selbstorganisation gezielt
und lenkend eingesetzt. Im Laufe der Zeit werden sich neue Notwendigkeiten ergeben.
Der grundlegenden Neuorganisation einer Situation im Konfliktfall steht die Möglichkeit offen, sich mit den
hinzukommenden wirtschaftlich-politischen Veränderungen intuitiv zu arrangieren. Durch die Tatsachen einer
vorgefundenen Situation neue Tatsachen zu schaffen, mit denen sich der nächste arrangieren wird, formt eine
Situation kontinuierlich um, ohne ihren ursprünglichen Charakter zu zerstören. Sie wird im Gegenteil noch
charakteristischer.
Das Endstadium dieser Entwicklung bleibt offen. Möglicherweise verschwindet der Markt, wahrscheinlicher ist jedoch,
dass wir die seltene Gelegenheit haben, bei der Entstehung einer Stadt dabei zu sein: Arizona in Bosnien.

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