Phytomedizin
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Phytomedizin
Berufsfeld- Information Phytomedizin von Prof. Dr. Klaus P. Bader Bei einer thematischen Orientierung in dem Fachgebiet fällt auf, dass der Begriff ‘Phytomedizin’ zunächst einmal unter (mindestens) zwei grundsätzlich verschiedenen Aspekten zu betrachten ist, wobei das Gebiet insgesamt vielleicht in besonderer Weise Aspekte der Biologie und der Medizin zu verknüpfen imstande ist. Man bezeichnet mit dem Terminus zum einen Möglichkeiten, mit Hilfe von Pflanzen (einschließlich Cyanobakterien) bzw. ihren Inhaltsstoffen im Bereich der Tier- und Humanmedizin tätig zu werden. Er wird aber ebenso verwendet, wenn ein fast klassisches Gebiet von Biologen, nämlich der (chemische und biologische) Pflanzenschutz, also Medizin an Pflanzen, angesprochen werden soll. Im Sinne einer groben Vereinfachung kann man sagen, dass der erstgenannte Bereich besonders für medizinisch interessierte Biologen interessant ist, während die Medizin an Pflanzen eher den ökologisch-umweltorientierten Studenten ansprechen wird. Man kennt, untersucht und verwendet seit Jahren erfolgreich eine Vielzahl von Pflanzeninhaltsstoffen sowohl in der klassischen als auch in der modernen und der alternativen Medizin, die entweder aus Pflanzen isoliert werden können, oder die nach entsprechender chemischer Analyse synthetisch hergestellt werden. Hier ergeben sich Arbeitsmöglichkeiten im Bereich der universitären Forschung sowie der Praxis und der Anwendungsorientierung. Zu den wohl bekanntesten pflanzlichen Arzneimitteln gehören das Opium, das aus dem Milchsaft des Schlafmohns (Papaver somniferum) gewonnen wird und seine Inhaltsstoffe, die Morphine, die als Schmerzmittel z.B. nach schweren Operationen oder bei Krebserkrankungen heute unerlässlich sind. Atropin, ein Alkaloid, wird aus der Tollkirsche (Atropa bella-donna) angereichert und kommt vorwiegend in der Augenheilkunde zum Einsatz. Herzglykoside besitzen eine Reihe von Wirkungen, die in der Kardiologie eine Rolle spielen, wie Steigerung der Kontraktionskraft des Herzmuskels, Regulation der Herzfrequenz und Veränderung der Erregbarkeit durch Beeinflussung der Reizschwellen. Bis heute werden solche Herzglykoside in einer beachtlichen Vielfalt aus dem Fingerhut (Digitalis purpurea), bei dem man mehr als dreißig verschiedene Glykoside analysiert hat, aber auch aus dem Maiglöckchen, dem Adonisröschen und dem Nieswurzelstock gewonnen. Kardiotonika, also Verbindungen, die allgemein herzkraftstärkend wirken, werden auch aus dem Weißdorn und der Meerzwiebel isoliert. Weitere Beispiele sind Adstringentien (Bärentraube, Salbei), Antidia-betika (Habichtskraut, Enzian), Antihypertonika (Mistel, Knoblauch) und Obstipanzien (schwarze Johannisbeeren). Hochinteressante zoologische Arbeiten haben gezeigt, dass einige Primaten bei bestimmten Krankhei-ten ganz gezielt Heilpflanzen aufnehmen, und dass diese ‘Kenntnisse’ offensichtlich an die Nachkommen weitergegeben werden. Kaum noch bekannt ist heute, dass sogar der gesamte Bereich der Hormonpräparate (z.B. Antibabypille) ursprünglich aus Arbeiten an der mexikanischen Pflanze Dioscorea composita hervorgegangen ist. Deren Wurzeln wurden zunächst von den Waldindianern zum Fischfang verwendet, da Inhaltsstoffe aus den Wurzeln das Wasser verseifte und die Fische weitgehend bewegungslos machte oder sogar tötete. Anschließende wissenschaftliche Bearbeitung dieser Pflanze ergab das Diosgenin, ein Steroidsaponin, das als Ausgangsstoff zur halbsynthetischen Herstellung von Steroidhormonen eingesetzt werden konnte. Cyanobakterien, die man früher als Blaualgen bezeichnete, verdienen in zweifacher Hinsicht wissenschaftliches Interesse des Phytomediziners. Zum einen synthetisieren viele Cyanobakterien Toxine der verschiedensten Art, die sie unter Umständen an ihre Umgebung abgeben. Auf diese Weise können schwere Vergiftungen durch mangelhaft gereinigtes Wasser entstehen, wie sie vor nicht allzulanger Zeit in einem Krankenhaus (!) in Südamerika sogar zu Todesfällen geführt haben. Andererseits können Inhaltsstoffe von Cyanobakterien in der Medizin von großer Bedeutung sein, wenn man die Verbindungen mit antimikrobieller, cytotoxischer und so-gar antiviraler Aktivität betrachtet. [Sulfoquinovosyldiacylglycerole aus Lyngbya lagerheimii und Phormidium tenue scheinen Aktivität gegen das HIV-1-Virus aufzuweisen.] Ferner sind herzwirksame Verbindungen wie Scytonemin A, ein cyclisches Dodecapeptid und andere Stoffe, Immunsuppressiva wie einige Lipopeptide, Neurotoxine und 1 Verband deutscher Biologen e.V. Arbeitskreis Biomedizin www.vdbiol.de Tumorpromotoren bereits bekannt. Weitere medizinisch relevante Verbindungen werden als Inhaltsstoffe von Cyanobakterien identifiziert und analysiert. Ein weitgehend unbearbeitetes Feld ist der Bereich der Phytopharmakologie, bei dem gerade unter dem Aspekt eines gesteigerten Umweltbewusstseins versucht wird, Informationen über das Verhalten von Pflanzenschutzmitteln in den Pflanzen, vor allem aber auch in der Umwelt ganz generell zu erarbeiten. Dazu gehören die Analyse von Charakteristika der Aufnahme von Pflanzenschutzmitteln in die Pflanzen, Transport und Verteilung der Verbindungen sowie besonders Aufklärung der Wirkungsweisen, Abbau- und Detoxifizierungsreaktionen in der Pflanze, aber auch außerhalb. Probleme der Akkumulation in Boden und Gewässern sollten hier häufiger bearbeitet werden. Darüber hinaus fehlen häufig detaillierte Kenntnisse von spezifischer Wirksamkeit, Stabilität und Abbaubarkeit der Moleküle, wie man am Beispiel der Fehleinschätzung des DDT, das als Insektizid mit niedriger Metabolisierbarkeit und guter Persistenz eingesetzt wurde, und das dann doch er-hebliche ‘kumulierte’ Humantoxizität aufgrund der Speicherung im Fettgewebe aufwies, erkennt. Im Bereich des Pflanzenschutzes, also der Medizin an Pflanzen, werden sowohl an Universitätsinstituten als auch in weiten Bereichen der Industrie Analysen zu den Eigenschaften bestimmter (möglicherweise) als Pflan-zenschutzmittel geeigneter Verbindungen bearbeitet. Hierbei ist prinzipiell zwischen der spezifischen Toxizität (also z.B. der von Insektiziden gegen Insekten), der Säugetiertoxizität sowie der allgemeinen ökologischen und Umweltproblematik zu unterscheiden. Neuere Arbeiten beschäftigen sich zunehmend mit den Anwendungsmöglichkeiten umweltverträglicher Stoffe und Stoffklassen sowie mit komplexen Ansätzen der Untersuchung z.B. der Phytotoxizität von Fungiziden oder Insektiziden. Im allgemeinen werden an den Universitätsinstituten detaillierte wissenschaftliche Hintergründe erarbeitet, während in vielen entsprechenden Industriebetrieben großflächige Screening-Ansätze versuchen, neue Substanzen und Verbindungen mit Eigenschaften, die im Pflanzenschutz eine Rolle spielen könnten, zu finden und zu analysieren. Aus Kooperationen zwischen Biologen und Chemikern sowie Medizinern können sich konstruktive Arbeiten an Naturstoffen und daraus abgeleiteten Derivaten ergeben. Ein hervorragendes Beispiel ist hier sicherlich der ursprünglich aus der Weidenrinde extrahierte Wirkstoff, der schon seit über hundert Jahren synthetisch hergestellt wird, und der als Aspirin (Acetylsalicylsäure) weltweit bekannt ist. In vielen Fällen sind auch An-sätze bei der biotechnologischen Herstellung entsprechender Wirkstoffe möglich. Andererseits hat sich häufig gezeigt, dass gerade die physiologische Mischung, wie sie in den Pflanzenextrakten vorkommt, Wirkungen erzielt, die mit hochgereinigten Einzeldarstellungen nicht annähernd erreicht werden kann, so dass auch die unmittelbare Anreicherung aus Pflanzen noch ihre Bedeutung hat. Arbeitsmöglichkeiten zu den verschiedenen oben dargestellten Bereichen der Phytomedizin bestehen (in unterschiedlichem Ausmaß) an einer ganzen Reihe von (medizinischen und botanischen) Universitätsinstituten, die an entsprechend spezifischen Fragestellungen arbeiten. Dementsprechend erscheint es in diesem Überblick nicht sinnvoll, eine Auflistung von Institutionen anzubieten. Solche kann der interessierte Student heute ohne Probleme über Computerrecherchen in Datenbanken (medline; biological abstracts etc.) von Universitätsbibliotheken erhalten. Dabei ist natürlich darauf zu achten, dass nur eine wirklich sinnvolle Eingrenzung über eine Auswahl geeigneter Stichwortkombinationen bzw. eine entsprechende Schwerpunktsetzung zu spezifischen Informationen über Institutionen, Anschriften und entsprechend arbeitende Wissenschaftler führt. Auf diese Weise können auch Adressen und Ansprechpartner in einer ganzen Reihe von in Frage kommenden Industriebetrieben erfahren werden. (Auf Wunsch kann eine umfangreiche Auflistung von phytomedizinisch arbeitenden Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden - siehe unten ‘Kontaktadresse’). Aufgrund der unverändert schwierigen Arbeitsmarktlage für Biologen gibt es ferner eine zunehmende Zahl von kleinen und mittleren selbständigen Unternehmen und Labors, die Serviceleistungen anbieten, und die in beschränktem Umfang ebenfalls Arbeitsmöglichkeiten bieten. Für eine Vielzahl von Fragestellungen aus dem engeren und weiteren Bereich der Phytomedizin (besonders dem des Pflanzenschutzes) kommen die ‘Deutsche Phytomedizinische Gesellschaft’ und Biologische Bundesanstalten in Betracht. 2 Verband deutscher Biologen e.V. Arbeitskreis Biomedizin www.vdbiol.de Der spezifische Ablauf von Studium, Diplom, Promotion etc. wird in der Regel über eine biologische, mathematisch-naturwissenschaftliche o.ä. Fakultät geregelt werden und daher im Gegensatz zu stärker humanmedizinisch ausgerichteten Arbeitsfeldern, bei denen je nach Arbeitsplatz Zulassungs- und Anerkennungsprobleme eine Rolle spielen können, vergleichsweise unproblematisch sein. In jedem Fall sollte man sich rechtzeitig an die in Frage kommenden Fachbereiche oder Dekanate wenden. Die Frage, ob man als Biologe Themen aus einem der oben beschriebenen Bereiche der Phytomedizin unmittelbar an einer medizinischen Einrichtung bearbeiten kann, sollte man im Einzelfall mit einem möglichen Betreuer bzw. der jeweiligen Institution (siehe oben) klären. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich in Bezug auf die weitere berufliche Perspektive dann eher um eine Dienstleistungsstelle des Biologen handeln wird, die nur mit geringer Wahrscheinlichkeit zu einer Leitungsposition auszubauen ist, ist in unmittelbarem medizinischem Umfeld sicherlich größer anzusetzen als möglicherweise in geeigneten Industriebetrieben. 3 Verband deutscher Biologen e.V. Arbeitskreis Biomedizin www.vdbiol.de