ManageMent - Constantin Gillies
Transcrição
ManageMent - Constantin Gillies
Management Radlerglück Folker Königbauer, Designer aus Mindelheim, konstruierte für Tchibo eine Box samt Sattelbezug, der bei Regen zum Einsatz kommt 90 impulse november 2009 S eit Kurzem ist sie in jeder Tchibo-Filiale zu haben: die Toilettenbürste mit Kindersicherung. Wer putzen will, muss zunächst oben den Griff zusammendrücken. Das Besondere an der Neuheit: Kein Produktmanager von Tchibo hat sie erdacht, sondern Peter Franke, ein Hobbyerfinder aus Berlin. Erst vor rund einem Jahr hatte er die Idee auf der Internetseite www.tchibo-ideas.de eingestellt – und jetzt steht seine Erfindung bereits im Laden. Damit betritt Tchibo selbst eine neue Welt. „Bisher reisten unsere Produktmanager um den Globus, um Ideen für neue Mit dieser Aktion steht Tchibo nicht allein da. Immer mehr Firmen horchen, was von draußen reinkommt: Sie eröffnen Netzplattformen, um Ideen einzusammeln oder die Kunden anderweitig an der Entstehung der Produkte zu beteiligen. Outsourcing war gestern, die Zukunft liegt im Crowdsourcing, in der Auslagerung an die „crowd“, auf Deutsch „Menschenmenge“. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine große Vision: Das Unternehmen hört nicht mehr hinter dem Werkstor auf, sondern fängt dort erst richtig an. Kunden und externe Designer liefern frische Ideen für neue Produkte. Massenartikel Moritz Hoffmann für impulse Crowdsourcing Wenn Firmen richtig fragen, liefern Kunden im Internet Ideen für neue Produkte. Doch Vorsicht: Wer die falschen Kanäle anzapft, wird zugemüllt Produkte zu sammeln“, sagt Turadj Schahbasi, Marketingchef bei der Versandtochter des Kaffeerösters, Tchibo direct. Mittlerweile zapfen sie eine weitere Quelle für Innovationen an: die Tchibo-Ideenplattform im Netz. Seit Mai 2008 ist sie online, und über 6000 Menschen haben sich schon angemeldet, um der Community – und dem Unternehmen – ihre Einfälle zu präsentieren. Derzeit bringt Tchibo die ersten Produkte auf den Markt, die aus Vorschlägen von Kunden hervorgegangen sind, darunter ein Handtaschenhalter fürs Auto, die Toilettenbürste und eine kleine Box mit regenfestem Sattelbezug fürs Fahrrad. „Viel praktischer als die Plastiktüte, die sonst bei Radlern unterm Sattel klemmt“, sagt Folker Königbauer, von Beruf Industriedesigner, in der Freizeit Tüftler. „Das wird ein riesiges Thema für alle Unternehmen“, sagt Thomas Lackner, im Siemens-Konzern für sogenannte Open Innovation verantwortlich. Die Liste der Firmen, die auf die Intelligenz der Masse vertrauen, ist lang: von Starbucks bis Swarovski, von Henkel bis Boeing – sie alle setzen auf Crowdsourcing. Besonders stark treibt der Kon sumgüterhersteller Procter & Gamble das Thema voran: Der Konzern will langfristig die Hälfte aller neuen Produkte durch Kundenanregungen generieren. Unternehmen in der Ideenklemme Mit Idealismus hat das nichts zu tun, eher mit Not. Denn viele Unternehmen stecken in der Klemme: Produktzyklen werden kürzer, Märkte bewegen sich immer schneller, und die eigene Innovanovember 2009 impulse 91 Management_Crowdsourcing GroSSe Leuchte Der Rumäne Flaviu Goia nahm mit einem LED-Würfel am Osram-Ideenwettbewerb teil – und gewann tionsbilanz der Firmen ist miserabel. Nur 0,5 Prozent aller ersten Ideen in deutschen Industrieunternehmen werden zu gewinnbringenden Produkten, hat die Bonner Unternehmensberatung SimonKucher & Partners ermittelt. Dabei scheitern drei Viertel aller Neuerungen nicht etwa an mangelnder Technik oder Qualität, sondern weil sie schlichtweg an den Bedürfnissen der Käufer vorbeigehen. Warum also nicht gleich den Kunden das Produkt entwickeln lassen? Eine Internetplattform zahlt sich aus Neu ist die Idee nicht: Unter Fachworten wie „Open Innovation“ oder „Lead-UserMethode“ kursiert sie schon länger. Dass Crowdsourcing jetzt der Durchbruch gelingt, liegt an den neuen Internettechnologien. Mit dem Web 2.0 ist ein Kanal entstanden, über den auch kleine Firmen mit ihren Kunden ins Gespräch kommen können, einfach und obendrein preiswert. Eine professionelle Internetplattform zum Ideenaustausch kostet zwischen 20 000 und 40 000 Euro (plus eine Monatsmiete zwischen 150 und 300 Euro). Eine lohnende Investition, wie Experten finden. „Auf diesem Weg kann man mit wenig Geld richtig Werte schaffen“, sagt Ellen Enkel, Professorin für Innovationsmanagement an der Zeppelin University in Friedrichshafen. Wir konnten den Impuls des Marktes spüren, so etwas leistet eine Umfrage nicht Auf die Erleuchtungen der Kunden setzt zum Beispiel Osram. Der Leuchtmittelhersteller, ein Tochterunternehmen von Siemens, steht derzeit an einem Wendepunkt: Die klassische Glühbirne ist passé, Leuchtdioden (LEDs) treten ihre Nachfolge an. Aber in welcher Form? Osram startete im Netz einen Wettbewerb: Unter www.led-emotionalize.com konnte jeder seine Vision zur Leuchte der Zukunft präsentieren. Gewonnen hat der 92 impulse november 2009 Pierre Crié/Picturetank für impulse Ulrich Weiss, Innovationsmanager beim Glühbirnenhersteller Osram + Fallstricke Rumäne Flaviu Goia mit seiner Idee, Leuchtdioden in transparente Würfel einzubauen, die sich beliebig miteinander zu immer neuen Leuchtkörpern kombinieren lassen. „Wir konnten den Impuls des Marktes spüren, so etwas leistet eine Umfrage nicht“, sagt Ulrich Weiss, Head of Innovation Management bei Osram. Drei Mitarbeiter des Unternehmens betreuten den Wettbewerb, halfen bei technischen Problemen – für Weiss ein Erfolgsfaktor von Crowdsourcing schlechthin. „Es geht nicht darum, bei Fragen aus der Community auf eine Webseite zu verweisen, sondern sie direkt zu beantworten.“ Welche der Vorschläge nun in Produkte eingehen werden, verrät Osram allerdings noch nicht. Unternehmen, die keine eigene Netzplattform einrichten wollen, können Ide- Die Freak-Falle Internet-Communitys sind nicht repräsentativ, hier dominieren Extremnutzer. Unternehmen, die nur auf diese Freaks hören, manövrieren sich leicht in eine unrentable Marktnische. Gegenmaßnahmen: ein möglichst breites Publikum im Netz ansprechen und Vorschläge aus der Community mit klassischer Marktforschung testen. Die Walkman-Illusion Kunden denken in Kategorien, die sie kennen. Radikale Innovationen wie den Walkman, den Sony in den 80er-Jahren gegen den Widerstand aller Marktforscher herausbrachte, liefert Crowdsourcing eher nicht. Gegenmaßnahme: F&E nicht zugunsten von Crowdsourcing zurückfahren. Kontamination mit Information Die Masse liefert massenweise Ideen – oft zu viele, um sie in Eigenregie zu sortieren. Gegenmaßnahme: Kunden im Internet über die Ideen abstimmen lassen. enbörsen wie Atizo nutzen. Hier lassen sich Miniwettbewerbe starten, die Inspirationen bringen. Der italienische Haushaltsgerätehersteller De’Longhi beispielsweise fahndet über Atizo nach einem völlig neuartigen Bügelverfahren, das ohne Eisen auskommen soll; der Gewinner bekommt 980 Euro Preisgeld – eine vergleichweise überschaubare Investition für das Unternehmen. Dass solch ausgelagertes Brainstorming handfeste Resultate bringen kann, zeigen auch die Erfahrungen des US-Unternehmens Starbucks. Die CoffeeshopKette stellte ihrer Kundengemeinde im Netz unlängst folgende Frage: „Wie lässt sich verhindern, dass der Kaffee oben aus dem Trinkloch des Becherdeckels schwappt, zum Beispiel im Auto?“ Ein Kunde schlug vor, die weißen Umrühr- Management_Crowdsourcing + Top Blowfly Das australische Bier wurde nach dem Wikipedia-Prinzip entwickelt. 16 000 Hobbybrauer schlossen sich per Internet zusammen und bestimmten alles: Rezeptur, Namen und Flaschenform. Aus der Initiative ist inzwischen ein börsennotiertes Unternehmen hervorgegangen: Brewtopia. Lego Hobby Train Der Lokomotivenbausatz wurde von zehn erwachsenen Lego-Fans designt. Sie bekamen als Honorar jeweils drei Bausätze. Slim Devices Transporter Dieser 2000 Dollar teure MP3-Spieler wird weltweit vertrieben und wurde komplett von Amateuren entwickelt. stöckchen so dick zu machen, dass man mit ihnen bei Bedarf das Trinkloch verschließen kann. Die Kleckersperre gibt es jetzt als „Splash-Stick“ in den Cafés. Die Bergbaugesellschaft Goldcorp hatte Probleme mit ihrer Mine in Red Lake, Ontario – die Kosten waren zu hoch, es wurde zu wenig Gold aus dem Boden geholt, die Motivation der Mannschaft war mies. In dieser Notlage entschied sich Goldcorp für einen ungewöhnlichen Schritt: Das Unternehmen veröffentlichte sämtliche Informationen über die RedLake-Mine im Internet – von geologischen Plänen über Abbauraten bis zu Probebohrungen. Angelockt von 575 000 Dollar Preisgeld, machte sich die Bergbau-Community über das Material her. Und siehe da: Allein anhand der Daten entdeckten die Hobbyisten – Studenten, Geologen, ExMilitärs – 100 neue Fundstellen. Die meisten davon entpuppten sich als ergiebig, die Produktion der Red-Lake-Mine stieg um den Faktor zehn. Massenarbeit mit Massentipps Flop Zeroprestige.org Kitesurfer, die gezogen von einem großen Drachen übers Meer gleiten, wollten über eine Plattform neue Segelkonstruktionen austauschen. Das Projekt floppte. Open Source Car 1999 startete der Deutsche Markus Merz ein ambitioniertes Projekt – zusammen mit anderen Enthusiasten wollte er ein Auto konstruieren. Obwohl 2800 Leute mitmachen, ist OScar noch immer ein Traum. 94 impulse november 2009 Solche Beispiele zeigen die Stärke von Crowdsourcing: Das Unternehmen erweitert seinen Horizont, bekommt Input von Menschen, die die Marke lieben und begeistert bei der Sache sind. „Wer sich selbst seine Aufgabe sucht, ist immer hoch motiviert“, sagt Professorin Enkel. Doch an die Weisheit der Massen heran- zukommen macht auch massenhaft Arbeit. Das musste zum Beispiel BMW erfahren: Der Autohersteller hatte 2001 eine Virtuelle Innovationsagentur im Netz gestartet, um die Einfälle Dritter einzusammeln. Über 800 Eingaben kamen pro Jahr herein, ein Vollzeitmitarbeiter war unter anderem damit beschäftigt, die Spreu vom Weizen zu trennen – eine mühselige Aufgabe. Die meisten Ideen waren entweder bekannt oder wurden von BMW bereits verfolgt, andere lagen schlichtweg abseits des Kerngeschäfts. „Es meldete sich zum Beispiel ein Schamane, der anbot, sich an das Ende des Fließbands zu stellen und die Fahrzeuge mit einem Fluch zu belegen, der Diebe abschreckt“, sagt BMWMitarbeiterin Katharina Bölsterl. Letztlich wurden nur drei Prozent der Ideen in Produkte umgesetzt. Zu den wenigen Positivbeispielen gehört die Mittelkonsole des M3 CSL, die nach den Vorschlägen eines Kunden umgestaltet wurde. Kontamination nennen Experten diesen Effekt. Wer auf die Massen hört, droht in Vorschlägen zu ertrinken. BMW hat die Lehren aus dem Experiment gezogen und seine Virtuelle Innovationsagentur überarbeitet. Eine wichtige Neuerung: Die Ideen werden nicht mehr bei BMW vorsortiert, sondern die Nutzer selbst bewerten ihre Geistesblitze gegenseitig. Erste Erfahrungen sind positiv. „Es geht weg von spontanen Einfällen hin zu Ideen mit höherer Reife“, sagt Bölsterl. Ein weiterer Stolperstein ist die Entlohnung der fleißigen Erfinder. Gerade hier haben Unternehmen in der Vergangenheit Fehler gemacht: Sie vertrauten auf die Begeisterung der Kunden und speisten sie, wenn überhaupt, bloß mit einem symbolischen Entgelt ab. Die belgische Polstermöbelfirma Jori etwa schrieb 2007 einen Designwettbewerb aus und versprach dem Gewinner 25 000 Euro. Allerdings musste der sämtliche Nutzungsrechte und Patente an der Kreation abtreten, weshalb eine deutsche Designzeitschrift auf den Wettbewerb mit folgender Schlagzeile hinwies: „Bitte nicht mitmachen!“ Brewtopia; Lego; Logitech; Tiago Do Vale/OScar Wir basteln eine Biermarke + Der beste Weg Mittlerweile hat das Gratisprinzip ausgedient. Ideengeber erwarten selbstverständlich eine Gegenleistung – und bekommen sie. BMW zahlt fünfstellige Prämien für Ideen, Osram schließt Lizenzverträge mit Hobbydesignern ab, deren Entwürfe 1:1 umgesetzt werden. Allerdings muss nicht immer Geld fließen: „Man kann dem Kunden auch die Möglichkeit geben, sich zu verewigen“, sagt Enkel. Der Spielzeughersteller Lego etwa geht so vor: Er lässt Bausätze von ambitionierten Kunden entwickeln und druckt dann die Namen der Amateure auf die Packungen. Allein das treibt Fans dazu an, kostenlose Arbeitsstunden in ihr persönliches Lego-Set zu investieren. Bei aller Begeisterung steht aber fest: Das „Aal“-Prinzip („Andere arbeiten lassen“) hat seine Grenzen. Einen Großteil Interne Organisation umbauen Die interne F&E- und die Marketingabteilung müssen gewillt sein, Ideen von außen aufzunehmen, zu bewerten und weiterzuentwickeln. Außerdem sollte im Unternehmen genügend Manpower vorhanden sein, um die Ideen plattform im Netz zu betreuen und Kontakt mit der Community zu halten. Kanäle auswählen Wenn es ganz allgemein um neue Anregungen geht, kann es ausreichen, Kunden und Besucher der Firmenhomepage zu Anregungen aufzufordern oder einen allgemeinen Wettbewerb zu starten. Sind technische Detaillösungen gefragt, bieten Plattformen wie Innocentive oder Nine Sigma mehr Potenzial; hier sind viele Spezialisten aktiv. der Innovationsleistung müssen Unternehmen auch künftig weiter selbst erledigen: „Ideen aus der Crowd müssen an einem repräsentativen Publikum in einem nachfolgenden Schritt getestet werden“, betont Michael Bartl, Vorstand der Agentur Hyve in München, die für andere Firmen Ideenplattformen entwickelt und unter anderem Osram unterstützt hat. Er warnt davor, zugunsten von Crowdsourcing die klassische Markt forschung zu vernachlässigen. „Online- Communitys sind so gut wie nie repräsentativ.“ Sie könnten neue Einfälle liefern – doch die strategische Entscheidung, ob daraus ein Produkt werden soll, liege weiter beim Unternehmen. Tchibo zumindest scheint von der Ideenpipeline im Netz überzeugt zu sein: Im nächsten Jahr soll die Anzahl der Produkte, die von Kunden stammen, verdoppelt werden. Constantin Gillies [email protected]