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Kapitel Eins:
Die Geschichte
Die Figuren
Star wars ist die Geschichte eines Vaters und eines Sohnes,
die beide ehrgeizig sind. Zu Beginn, in der Zeit ihrer jeweiligen Kindheit, ist dieser Ehrgeiz maßvoll. Anakin, der Vater,
hat lediglich vor, sich aus seinem Status als Sklave zu befreien.
Luke, der Sohn, sehnt sich mehr als alles andere danach, sich in
die Fliegerakademie einzuschreiben. Ein Zusammentreffen mit
einem Jedi-Meister führt in beiden Fällen dazu, dass sich dieser
Ehrgeiz steigert. Danach ist beider Ziel, die Macht in ausreichendem Maße zu meistern, um ein Jedi-Ritter zu werden. Doch
auch dies reicht ihnen noch nicht: ein Ritter, ja, aber ein glücklicher Ritter! Nun zeigt sich jedoch, dass das Glück, die Insignien
dieses Standes zu empfangen, weniger von den persönlichen
Anlagen abhängt, als von politischen Ereignissen, deren Welt
das Theater ist. Im Falle des Vaters bringen diese Ereignisse das
Unglück mit sich – er verliert seine Frau –, und sie führen ihn
zum Nihilismus. Nachdem seine Glückssuche durch die Schuld
eines anderen gescheitert ist, trifft er die Entscheidung, sich in
den Dienst des Imperiums zu stellen, auf die Dunkle Seite, kurz
das Böse. Im Falle des Sohnes entstehen aus diesen Ereignissen
im Gegenteil Gründe für »eine neue Hoffnung« und die noble
Idee, sich ganz ritterlich in deren Dienst zu stellen – das ist die
Sache der Allianz. In einem schicksalhaften Augenblick stehen
sich Vater und Sohn gegenüber. Und in letzter Minute – der
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Minute seines Todes – erkennt der Vater, dass er sich geirrt hat.
(Es mag allerdings sein, dass selbst die tragischen Umstände
des Verlustes der geliebten Ehefrau trotz allem keine Rechtfertigung dafür sind, den Rest des Lebens damit zuzubringen,
Angst und Schrecken zu verbreiten, als wäre dies ein bitterer
Trost.) Zuletzt also triumphiert die Allianz; und an dieser Stelle
endet die Saga . . . zumindest im Kino.
Die weiteren Figuren der Saga sind nach dem Vorbild von
Anakin und Luke ebenfalls ehrgeizig oder haben ein Ziel im
Leben. Einige sind getrieben durch die Verlockung des Geldes, wie Boba Fett oder wie Han Solo, bevor er sich verliebt.
Einige wollen nur, dass alles so bleibt, wie es ist, wie Onkel
Owen. Die Weisesten, wie Obi-Wan oder Yoda, wünschen sich,
dass die Allianz triumphiert und die Jedi-Ritter über die Jahrhunderte hinweg fortbestehen. Niemand, vor allem in der ersten Trilogie, bleibt einfach nur so sitzen ohne sich weiterzuentwickeln, oder fragt sich, für welche Sache er sich begeistern
soll. Das macht aus all diesen Figuren klassische Helden. Sie
stehen im Gegensatz zu den Helden der Moderne, die dermaßen zweifeln, dass sie sich am Ende unweigerlich fragen: »Wozu
das alles?« Natürlich kommt es vor, dass Luke nachdenklich die
untergehenden Sonnen betrachtet. Aber star wars schildert
eine Welt, in der fast immer jeder seine Gründe hat. Fast, denn
die Gründe des wirklich Bösen in der Geschichte sind nicht
gerade klar. Warum liegt dem Imperator so viel daran, den
Diktator zu spielen? Natürlich wurden viele Diktatoren unserer Welt von Ruhmsucht und Machtrausch angetrieben. Aber
nichtsdestotrotz fehlt dem inneren Impuls seiner Handlungen
jene Deutlichkeit, die andere bekannte Bösewichte auszeichnet.
Javert folgt dem Buchstaben des Gesetzes, Milady will ihre Haut
retten: Weder Victor Hugos Roman die elenden (les misérables) noch Alexandres Dumas’ die drei musketiere führen
Schurken (engl. villain) vor, die derart unentschuldbar schwarz
wären. Vielleicht gibt es diesen Imperator nur, um den jungen
Zuschauern das Grauen der Sünde des Hochmuts zu zeigen?
Denn der Imperator ist bis zum Wahnsinn hochmütig. Das entspricht dem, was Joseph Campbell über Tyrannen im Allgemeinen schreibt. Von diesem Autor heißt es, er habe großen Einfluss auf Lucas ausgeübt. »Der Tyrann ist stolz, und darin liegt
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sein Sturz begründet. Er ist stolz, weil er seine Macht für seine
eigene hält. So befindet er sich in der Rolle des Clowns, der
den Schatten mit der Realität verwechselt; es ist sein Schicksal, hereinzufallen.« [Campbell 1953: 308] Tatsächlich glaubt
der Imperator nicht, dass die Gefahr von Darth Vader kommen
könnte, seiner rechten Hand.
Eine bessere Erklärung jedoch besteht darin, die Schwäche
seiner Motivation dafür, Schaden anzurichten, als die eigentliche Bedingung dafür anzusehen, dass er als das absolut Böse
auftreten kann. Denn »alles verstehen heißt, alles verzeihen«
(Madame de Staël). Wüssten wir, woher der Imperator diesen
Hang nimmt, Angst und Schrecken zu verbreiten, verhinderte
dies, dass wir ihn verabscheuen oder ihn wirklich fürchten. Halten wir also fest, dass der Imperator zunächst den anderen
dazu dient, sich im Spiel der Kräfte zu positionieren – entweder für ihn oder gegen ihn. Nicht wenige unter ihnen finden
durch ihn für ihre Suche zudem erst einen Sinn. Wenn man
so will, liefert seine Existenz vor allem einen Grund dafür, sich
gegenseitig zu bekämpfen, und für die Guten liefert er einen
Grund, genau das auch zu sein. Im Übrigen besteht das politische Projekt der Allianz in erster Linie darin, den Neofeudalismus des Imperiums niederzuschlagen. Es geht weniger darum,
ein besseres System voranzubringen, damit künftig verhindert
werden kann, dass im Schoß der Republik erneut ein kleiner
Diktator heranwächst. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die
Antriebskraft des Imperiums ebenso unbestimmt: Abgesehen
davon, dass man ein diktatorisches System installiert, welches
von Regionalgouverneuren gestützt wird, die sich als Herren
aufspielen, weiß man nicht, was sie dahin treibt, riesige Sternzerstörer zu konstruieren. Was von alledem die Völker denken, die
unter dem Einfluss des Imperiums stehen, bleibt zudem ebenso
ein Geheimnis für uns, wie der (prozentuale) Anteil der Bevölkerung, die sich an der Rebellion beteiligt. Das Imperium ist
schädlich, nichts weiter.
Der Lebensweg, der den Vater und den Sohn nacheinander zum Guten führt und sie ihre Ambitionen ändern lässt,
kann durch zwei Typen von Beziehungen schematisiert werden:
pädagogische Vormundschaft und Mord. In star wars ist viel
von Lehrzeit die Rede, von Meistern und Schülern, und wie
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in aristokratischen Zirkeln und mächtigen Familien stehen die
Frage von Vererbung und Nachfolge im Mittelpunkt. Schließlich wird auch die Frage behandelt, jedweden zu töten, der sich
einem in den Weg stellt oder wer immer sich dem Feindeslager
angeschlossen hat. Die Zeiten sind nicht mild, »Es herrscht Bürgerkrieg«, heißt es im Lauftext zu Beginn, und der gewaltsame
Tod tritt häufig ein.
Mithilfe lediglich dieser drei Beziehungen – Abstammung,
Vormundschaft, Mord/Mordversuch – können wir also die
Hauptfiguren der Saga darstellen.
REPUBLIK, REBELLEN
SEPARATISTEN, IMPERIUM
Yoda
B
Hinweg: Episode 2 & 3
Palpatine
Palpatine
(alias Imperator, alias
Darth Sidious)
Qui-Gon
C
B
B
C
Obi-Wan
B
B
C'
C'
Anakin
B
Padmé
A A
A
A
B
Luke
Darth Maul
Hinweg: Episode 2 & 3
Rückweg: Schlussepisode 6
C'
C'
C
C
Anakin
(alias Darth Vador)
B
B
C'
Leia
Sifo-Dyas
Hinweg: vor Episode 1
Count Dooku
(alias Darth Tyranus)
Legende
A Vater/Mutter von . . .
C tötet . . .
B Meister von . . .
C' kämpft, ohne . . . zu töten
Ein anderes Bild entsteht, wenn man die etwas lockereren
Beziehungen hinzufügt, wie diejenigen der Helfer und Gegner.
Die Helfer machen mit den Helden gemeinsame Sache und
sind dabei vollkommen uneigennützig, folgen ihrer politischen
Überzeugung, ihrer Zuneigung oder ihrer Liebe. Die Gegner
wiederum behindern die Projekte der Helden und verhindern,
dass diese ihre Missionen zu einem guten Ende führen. Ihre
Motive sind ebenso vielfältig: Hass, Habsucht usw. Zwischen die26
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sen beiden Polen schwanken Figuren ohne Meinung und Moral
hin und her und nehmen, je nach ihren Interessen, die Rolle
des Helfers oder des Gegners ein.
REPUBLIK, REBELLEN
NEUTRALE FIGUREN
Luke
Anakin
SEPARATISTEN, IMPERIUM
C
Tarkin
C
C
Boba Fett
C
Han Solo
Shmi Skywalker, Anakins Mutter
Leia
C
C
C
Bail Organa, Leias Adoptivvater
Obi-Wan
Jango Fett
C'
Tusken
Zam Wesell
Figuren sind miteinander verbunden durch . . .
gegenseitige Hilfe
geschäftliche Beziehung
gegenseitigen Konflikt
C
Mace-Windu
Chewbacca
Gunray
Jabba
Watto
C-3PO
R2-D2
Haako
Kaminoaner
Jar-Jar
Ewoks
Geonosianer
Gungans
Naboos
Lando
Hin- und Rückweg in Episode 5
Lando
Legende
C tötet . . .
C' kämpft, ohne . . . zu töten
Die »unsichere Welt« der zweiten Trilogie
In der zweiten Trilogie sind die Beziehungen zwischen den Figuren und die Motivationen, durch die diese vorangetrieben werden, komplexer und werden zugleich weniger eindeutig dargestellt. Während die Alten – die Väter der ersten Trilogie – in
ihrem Leben selbstsicher voranschritten und kaum vom Leichtsinn der Jüngeren aus der Fassung gebracht wurden, beginnen
die Weisen der zweiten Trilogie zu zweifeln. Obi-Wan und Yoda
waren wissend. Sie waren ermutigend. Denn die erste Trilo-
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gie verfolgte die Absicht, nach zehn Jahren modernistischer
Schwarzmalerei in der Folge des verlorenen Vietnamkrieges
das gute alte Hollywoodkino wiederzufinden. Deshalb wurden
hier logischerweise Altvordere gezeigt, auf die man sich verlassen konnte. SW4 erreichte zur gleichen Zeit die westlichen
Leinwände wie das No future! der Punk-Bewegung und bildete
dazu den präzisen Kontrapunkt. Anstatt mit der Vergangenheit
radikal aufzuräumen, schlug SW4 vor, dort auch noch Rat zu
suchen, und zwar mit einer gerührten Distanz, die man sogar
für clevere Ironie halten konnte. In der zweiten Trilogie jedoch
ist der Zweifel zurückgekehrt.
Qui-Gon, den Liam Neeson fast ausdruckslos interpretiert,
scheint nicht gerade aus Fels gemeißelt zu sein. »Du bist sehr
viel klüger als ich«, gesteht er noch dazu seinem Lehrling ObiWan. Er besitzt keine politischen Ansichten und beschränkt sich
darauf, Informationen, die er hat, an Palpatine oder an den Rat
der Jedi weiterzugeben. Seiner fatalistischen Philosophie verleiht er während der Unterseereise Ausdruck, als er sieht, wie
die Ungeheuer sich gegenseitig töten: »Es gibt immer einen
noch größeren Fisch.« Das ist die Überzeugung eines zynischen
Vorkämpfers des Ultraliberalismus und nicht gerade diejenige
eines Ritters, der für das Gute kämpft. Qui-Gon besitzt auch
keine klar abgegrenzte Strategie. Von der ersten Sequenz an
scheitert er daran, an den Vizekönig heranzukommen; schließlich taucht er zufällig in dem Moment auf, als Amidala ins Lager
gebracht wird. Nicht einmal seine Mission selbst, die Königin
zu »begleiten«, ist genau umrissen. Vor Watto hat er Angst und
scheitert daran, von ihm die Freilassung Shmi Skywalkers zu
erreichen. Das Gleiche gilt für Yoda, der ihm die Verantwortung
für Anakin verweigert. Später verherrlicht er die Intuition, misst
aber auf sehr wissenschaftliche Weise die Midichlorianwerte in
Anakins Blut. Und schließlich lässt er sich nach einem kleinen
Schlag am Kinn gnadenlos von einem Sith aufspießen, der noch
ein Lehrling ist.
SW1 quillt zudem geradezu über von doppelköpfigen Einheiten, die nicht einer Meinung sind: Von der Eröffnungsszene
an streiten sich Vizekönig und Admiral ebenso über die einzuschlagende Richtung, wie die Königin Amidala und ihr Captain Panaka, während Qui-Gon und Obi-Wan in Streit gera28
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ten, weil sie wissen wollen, ob sie sich auf die Gegenwart oder
die Zukunft konzentrieren sollten. Später argumentiert Amidala gegen Qui-Gon, Palpatine und natürlich gegen den Vizekönig, während Qui-Gon erst mit Watto uneins ist und später mit dem Rat der Jedi. Wo ist die Klarheit der früheren
Beziehungen, die auf dem Ja oder dem Nein beruhten, niemals jedoch auf dem Vielleicht? Es wird viel mehr verhandelt
und diskutiert als früher. Es werden widrige Umstände und
Zwischenfälle gezeigt: Qui-Gon kann den König der Gungans
nicht davon überzeugen, ihm zu helfen; Anakin trifft Padmé
nicht an, als er sich von ihr verabschieden will . . . Der endgültige Sieg, der vom Zuschauer so lange erwartet wird, und
der in der Zeit der ersten Trilogie durch die Rebellen gebührend vorbereitet wurde, geschieht hier wie zufällig, fast aus Versehen, weil Anakin auf einen Knopf im Cockpit drückt, dessen Instrumente ihm nicht vertraut sind. Schließlich ist auch
die Kausalität auf der übergeordneten Ebene der Geschichte
nicht besonders klar. Aus welchem Grund haben der Vizekönig und der Admiral Verhandlungen mit Darth Sidious
zugestimmt? Wenn es sich um Kaufleute handelt, wozu dann
eine Invasion, die sie Boykottaufrufen aussetzt. Und wenn es
Marionnetten des zukünftigen Imperators sind, warum bedauern sie dann ständig, mit ihm einen Vertrag abgeschlossen zu
haben?
Auf der Seite der Helden kommt eine messianische Dimension hinzu, die in der ersten Trilogie so nicht erwähnt wurde.
Aber auch sie kann kaum als übergeordneter kausaler Antrieb
aufgefasst werden. Anakin ist der Erwählte, sagt die Prophezeiung, derjenige, »der die Macht wieder ins Gleichgewicht bringen kann«. Nun weiß der Zuschauer aber seit SW4 sehr gut,
dass er alle Jedi mit Ausnahme seiner beiden Kinder auslöschen
wird. Wie kann man einen Endzustand als »Gleichgewicht«
bezeichnen, bei dem zwei Personen auf der Lichtseite der Macht
stehen und niemand auf der dunklen Seite? Im selben Geist
sieht Qui-Gon eine »Symbiose« in den Beziehungen zwischen
Naboo und Gungans, ohne dass irgendeine gemeinsame Aktion
auftauchen würde – vom Krieg einmal abgesehen. Alles, was uns
gezeigt wird, kann in dem kolonialistischen Bild eines lächerlichen Königs und eines Regiments von Gungans zusammenge-
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fasst werden, die sich fröhlich auf den Weg machen, um sich
von einer Droidenarmee abschlachten zu lassen.
In der ersten Episode herrscht eine Ungenauigkeit vor, welche es schwierig macht, das Zögern und Zaudern der Figuren
wirklich emotional nachzuvollziehen. Erst mit Beginn der zweiten Episode gelingt es uns durch den Umweg über Anakin wieder besser, zu dieser Art der teilnehmenden Lektüre zurückzukehren. Nachdem er das Stadium des Kindes überwunden hat,
das niemals von irgendeinem Zweifel angekränkelt wird, finden
wir nun tatsächlich einen Anakin vor, der in dreifacher Hinsicht schwankt. Erstens ist er das Subjekt des häufig in Filmen
und Romanen behandelten klassischen Konflikts zwischen der
Erfüllung oder dem Bruch des Zölibatsgelübdes seines Ordens.
(Wenn doch die Jedi-Ritter das Recht hätten zu heiraten!) Ein
weiterer Zweifel lässt Anakin gegenüber Obi-Wan zögern: Er
schwankt zwischen bewunderndem Gehorsam, der durch Dankbarkeit geprägt ist, und dem Gefühl, keinen Meister mehr zu
benötigen, weil er sich ihm überlegen fühlt. Und schließlich
ist seine Unreife in politischen Dingen gepaart mit der natürlichen Neigung der Jedi, die Macht zu gebrauchen, um »schwache Gemüter« zu bezwingen. Dies zusammen lässt Anakin in
dem Augenblick zögern, wo er sich entscheiden muss, für welche Sache er zum Vorkämpfer werden will. Er ist einverstanden,
»seinen Körper in ein tödliches Abenteuer zu werfen«, wie man
zur Zeit der Ritter sagte, aber unter welchem Banner? Auf der
einen Seite steht die Republik, ein System, das vom Rat der Jedi
verteidigt wird, ohne dass sie dafür jemals einen klaren Grund
angeben. (Yoda wird sofort sibyllinisch, wenn er über Politik
redet.) Auf der anderen Seite steht Palpatine, bei dem alles sehr
einfach erscheint. Was tun?
Anakins Schwanken, seine Unvorsichtigkeit im Kampf und
seine politischen Zweifel sind auch dann leicht nachzuvollziehen, wenn man nie selbst ins Kloster wollte oder wenn man
nie von Politikern umschwärmt wurde, die für gegensätzliche
Fraktionen stehen. Zumindest hat man bestimmt die Verzweiflung erfahren, die von einem Meister ausgeht, der sich allzu
leicht dazu hinreißen lässt, seine Überlegenheit zu unterstreichen. – So ruft Obi-Wan aus: »Gute Idee, mein junger Padawan!«, nachdem Anakin durch eine neue Heldentat gezeigt
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hat, dass er niemanden mehr braucht. Es fällt uns daher leicht,
in unserem Innersten zu begreifen, warum der junge Mann
sein Gesicht verzieht. Wir wären an seiner Stelle wahrscheinlich
ebenso gekränkt wie er.
Von der Bewunderung zum Mitgefühl
Warum entwirft die zweite Trilogie eine derart unsichere Welt?
Warum wird die politische Frage auf eine so verschwommene
Art und Weise behandelt? Warum begegnet man ständig Figuren, die Fehler begehen, sich täuschen oder den Moment der
Entscheidung bis zum Äußersten hinauszögern? Selbst die Jedi
irren sich. »Er ist [. . . ] kein Mörder«, sagen sie von Count
Dooku und verbreiten diese Behauptung im Brustton der Überzeugung. Dennoch ist es genau dieser Dooku, den man zwei
Stunden später als Zuschauer auf der Tribüne einer Arena wiederfindet, wo Unschuldige von Monstern zerfleischt werden.
In Wirklichkeit ist es unsere Welt, die auf das bunt schillernde
und geschützte Universum von star wars abgefärbt hat. Es
sind unsere Unsicherheiten und die unserem Zeitgeist eigenen
Sorgen, die in die verzauberte Welt der Jedi hineingesickert
sind. Yoda äußert wiederholt, dass es ihm unmöglich sei, die
Zukunft vorherzusehen. – Diese Schwierigkeit bei der Zukunftsplanung – sich selbst also in die Zukunft hineinzuprojizieren,
ist das eigentliche Kennzeichen der Zeit, in der wir leben. [Boltanski/Chiapello 2003: 452]
Das politische Universum der ersten Trilogie ähnelte demjenigen, das noch bis zurück zum Zweiten Weltkrieg auch das
unsere war. Es gab klar abgrenzbare Antagonismen und Parteien, erklärte und sichtbare Feinde und die Freiheit als unauslöschliche Fackel. Das Universum der zweiten Trilogie ähnelt
unserem heutigen: SW2 beginnt mit einem Attentat . . . Natürlich zielt die Bombe auf eine Senatorin ab. Noch kommt es
nicht einfach infrage, einfach irgendwen zu ermorden, um
auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Dennoch handelt
es sich um eine Form des Kampfes, die in der ersten Trilogie unbekannt ist. Die Frage der Kontrolle der öffentlichen
Angelegenheiten durch die politischen Gewalten wird ebenfalls auf eine aktuellere Art und Weise behandelt: Der Lauf der
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Dinge entgleitet den gewählten Regierungen zugunsten von
Gilden, Wirtschaftsverbänden und anderen Organisationen wie
der »Techno Union«. Manchmal scheint es sogar, als würde ihr
Tun von niemandem mehr kontrolliert: Durch welches merkwürdige Zusammentreffen von Umständen hat Count Dooku
sich der Klonarmee bemächtigen können, die von dem JediRitter Sifo-Dyas kommandiert wird? Und warum haben diese
einfach weitergemacht, ohne mal zwischendurch kurz anzurufen? Wer hat das bezahlt? Wie konnte Yoda schließlich die Klone
abholen, ohne dass Dooku dagegen einschritt? Und wenn es
sich um eine geheime Übereinkunft zwischen den beiden handelt, warum duellieren sie sich dann? Und schließlich sehen
wir fasziniert einer Armee zu, die eigentlich dem Guten dienen soll, von der wir aber spüren, dass sie dem Bösen dienen wird. Gerechtigkeit auszuüben ist eine komplizierte Angelegenheit geworden: Wenn man einen üblen Tyrannen festsetzt, wie den Vizekönig Gunray, dann kann dieser sich mithilfe
eines Staranwalts aus der Affäre ziehen. (Man hat ihm viermal den Prozess gemacht, aber er ist immer noch in Freiheit
und aktiv.) Unklarheiten hinsichtlich der Genetik, die ebenfalls zu der zweiten Trilogie gehören, beziehen sich ebenso
auf eine aktuelle Frage. – Es mag noch angehen, dass die
magische Befruchtung von Anakins Mutter Shmi Skywalker auf
das Neue Testament verweist. Aber der Aspekt des Klonens
ist offenkundig der Gegenwart entnommen. Ihre Entwickler
behaupten, dass die Klone eine kreative Denkfähigkeit haben,
die derjenigen der Droiden in höchstem Maße überlegen ist.
Das heißt, sie sind nicht menschlich. Und dennoch sieht der
kleine Boba Fett aus wie ein normaler Junge. Muss er aber
diesen Jango »Papa« nennen, der in Wirklichkeit ein »späterer Er selbst« ist? Viele Fragen, die heute regelmäßig durch die
Medien geistern.
Der einzige Unterschied zu unserer Welt ist die Chronologie:
Vergessen wir nicht, dass die zweite Trilogie ein Prequel darstellt
und dass die Rückkehr zu einer ausgeglichenen, transparenten
Welt gewährleistet ist, in der das Heil aller das alleinige gemeinsame Ziel ist. Eine solche Sicherheit existiert in unserer Wirklichkeit nicht. Die Fans könnten einwenden, dass das Erweiterte
Universum von star wars über den Umweg von Romanen und
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–––––––––––––––––––––––––––––––––––– Kapitel Eins: Die Geschichte
Comics eine Welt beschreibt, die erneut zwischen den Konflikten hin- und herkippt. Aber dabei handelt es sich immer um
klare Kämpfe nach dem Vorbild der ersten Trilogie. Überdies ist
schon deutlich geworden, dass sich die beiden Trilogien durch
ihren Grad an Wahrscheinlichkeit und die Anzahl der Brücken
unterscheiden, die zwischen ihrer und unserer Welt geschlagen
werden können: Das Happy End der Rückkehr zu einer Welt, in
der das Gute herrscht, wird auf eine weniger realistische Weise
dargestellt als die Zweifel einer unsicheren Welt, die ihr vorangehen soll. (Wenn man denn angesichts eines Universums
von Realismus sprechen kann, in der ein gemeiner Sterblicher
ebenso leicht im Hyperspace reist, wie wir in den Zug steigen.)
Die erste Trilogie besitzt manchmal gar die Sorglosigkeit eines
alten Disney-Films: Boba Fett wird aus Unachtsamkeit in das
Maul des Sandmonsters Sarlacc gestoßen, das rülpst, nachdem
es ihn verschlungen hat; der Rancor, jene Kreatur im Verlies,
der Jabba diejenigen zum Fraß vorwirft, derer er überdrüssig
wurde, ist ziemlich garstig, aber sein Meister, der Henker, trauert auf komische Weise um ihn, nachdem Luke ihm den Garaus
gemacht hat.
Die einzige moralische Sicherheit, die SW2 anbietet, ist
die Beständigkeit des absolut Bösen. Zu dem unentschuldbar
Bösen des Imperators kommen hier mit noch größerer Klarheit als bei dem kapuzenbewährten Diktator die Tusken. Aus
welchem Grund entführen diese »Sandleute« Menschen, bevor
sie sie zu Tode foltern? Welches Interesse haben sie daran,
Shmi Skywalker auf kleiner Flamme zu ermorden? Haben sie
keine Angst vor Strafexpeditionen, die eine derartige Ausschreitung unweigerlich zur Folge haben muss? Haben sich die Menschen zuvor ihnen gegenüber schlecht aufgeführt? Haben sie
ihr Territorium kolonisiert? Dafür wird keine Erklärung gegeben. Haben die Tusken in SW1 noch ein eher einfältiges Profil
(Schüsse auf die Pod-Racer), so sind sie plötzlich sadistische
Mörder. Man mag dabei an die Indianer in unzähligen Western
denken, die dort als blutrünstige Bestien geschildert werden,
wenn sie ohne ersichtlichen Grund jeden netten Weißen vernichten, der ihnen gerade in die Hände fällt . . . Und wenn es
diese Ausschreitungen der Tusken sind, die für Anakins moralische Kehrtwendung ausschlaggebend sind, dann ist daraus zu
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schließen, dass das Böse in der star-wars-Saga als etwas Endemisches dargestellt wird.3
Wir können auf star wars die Unterscheidung von Christopher Lasch [1980] anwenden, dem Autor eines Buches zur
Postmoderne, das in der Originalausgabe den Untertitel hat
»Das amerikanische Leben im Zeitalter des Untergangs der
Erwartungen«. Dabei stellen wir fest, dass die erste Trilogie das
Thema Schuld in den Vordergrund stellt, das für die Nachkriegszeit typisch ist. Demgegenüber stellt die zweite Trilogie
das Thema Angst in den Vordergrund, das für die Epoche der
Postmoderne typisch ist. Im ersten Fall heißt dies für den Helden, dass er sich fragt, ob er richtig gehandelt hat oder ob ihm
dies gelingen wird. Im zweiten Fall fragt er sich schlicht, was er
tun soll. Er ist uns näher. Deshalb bringt uns der Übergang von
der ersten zur zweiten Trilogie in Bezug auf die Identifikation
mit der Hauptfigur vom Modell der Bewunderung (Luke ist
perfekt, man muss nur seinem Beispiel folgen) zum Modell des
Mitgefühls (Anakin hat Fehler, er ist fehlbar, wie jedermann).
Die Peripetien
Auch wenn eine solche Konzeption die Verfechter einer wirklichkeitsfremden Ästhetik zur Verzweiflung bringt, so gehen
wir doch mehrheitlich ins Kino, um Emotionen zu empfinden,
und zwar vorzugsweise jene, die nicht durch Alltagserfahrungen ausgelöst werden. (Ein solches Gefühl wäre die Befriedigung, einem gewaltsamen Tod knapp entkommen zu sein.) Wie
Dirk Eitzen vorschlägt, entsteht ein nicht unbedeutender Teil
dieser Emotionen nicht durch die Erzählung, sondern durch
das Spektakuläre: Stunts, Spezialeffekte, unmotivierte Gewalt
usw. Erfolgreiche Filme enthalten sehr häufig eine derartige
»nicht narrative Befriedigung«, meint Eitzen [1997: 404]. Deshalb kann man sich solche Filme ohne große Verluste mehrmals ansehen, obwohl die Abfolge ihrer Peripetien uns nicht
mehr zu überraschen vermag. In star wars ist der größte Teil
der Emotionen jedoch zweifellos mit der Erzählung im engeren Sinne verbunden: Man fragt sich, was sich wohl im folgenden Augenblick oder am Ende des Films ereignen könnte. Die34
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