Dokument 1 - universaar - Universität des Saarlandes

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fischer_cover_1304_Layout 1 18.07.2013 13:01 Seite 1
Gerrit Fischer, heute Mitarbeiter des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes und Lehrer am Deutsch-Französischen
Gymnasium in Saarbrücken, leitete von 2000 bis 2005 im Auftrag
des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) das
Deutsch-Französische Kulturinstitut in Nantes.
Deutsche Kulturinstitute in Frankreich (1945-2012)
Von der „Versöhnung“ zur Internationalisierung
Das institutionelle Netzwerk deutscher Kulturinstitute und die
große Anzahl zivilgesellschaftlicher Verflechtungen zwischen
Deutschland und Frankreich im kulturellen Sektor sind in Europa
nach wie vor einzigartig. So auch die bisher gewonnenen Erfahrungen. Auf diesen muss aufgebaut werden, um ein neues, zukunftsfähiges Konzept kultureller Präsenz deutscher Kulturinstitute in
Frankreich zu entwickeln, woraus langfristig ein innovatives Modell
für Europa hervorgehen kann.
Der vorliegende Band analysiert die Entwicklung der kulturellen
Programmarbeit deutscher Kulturinstitute von 1945 bis 2012, von
der Phase der „Versöhnung“ bis zur Internationalisierung.
Von der „Versöhnung“
zur Internationalisierung:
das Auseinanderklaffen von
Programm und Programmatik
Gerrit Fischer
universaar
Universitätsverlag des Saarlandes
Saarland University Press
Presses Universitaires de la Sarre
Gerrit Fischer
Von der „Versöhnung“ zur Internationalisierung:
das Auseinanderklaffen von Programm und
Programmatik
Deutsche Kulturinstitute in Frankreich (1945-2012)
universaar
Universitätsverlag des Saarlandes
Saarland University Press
Presses Universitaires de la Sarre
D 291
© 2013 universaar
Universitätsverlag des Saarlandes
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Presses Universitaires de la Sarre
Postfach 151150, 66041 Saarbrücken
zugl. Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie der Philosophischen Fakultäten der Universität des Saarlandes
Tag der Disputation: 12.12.2011
Dekan (zum Zeitpunkt der Dissertation): Prof. Dr. Roland Marti
Erstberichterstatter: Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink, Universität des Saarlandes
Zweitberichterstatter: Prof. Dr. Patrice Neau, Universität Nantes
ISBN 978-3-86223-104-1 gedruckte Ausgabe
ISBN 978-3-86223-105-8 Online-Ausgabe
URN urn:nbn:de:bsz:291-universaar-1017
Projektbetreuung universaar: Isolde Teufel, Susanne Alt
Gestaltung und Satz: Julian Wichert
Gedruckt auf säurefreiem Papier von Monsenstein & Vannerdat
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
Danksagungen
An erster Stelle möchte ich mich bei Sandra Duhem und Herrn Professor Dr.
Manfred Schmeling bedanken: Sie integrierten mich im Jahre 2005 in die
Equipe des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes und ermöglichten mir auf diese Weise, mich weiterhin wissenschaftlich mit Frankreich
und insbesondere mit dem Thema der deutsch-französischen Kulturbeziehungen
auseinanderzusetzen. Sie waren es auch, die mich ermutigt haben, diese Forschungsarbeit aufzunehmen.
Mein besonderer Dank gilt meinen beiden Doktorvätern, Herrn Professor Dr.
Hans-Jürgen Lüsebrink (Universität Saarbrücken) und Herrn Professor Dr. Patrice Neau (Universität Nantes/ Deutsch-Französische Hochschule). Ich verdanke Ihnen jede erdenkliche Hilfestellung in einen Zeitraum von über vier
Jahren: Zum einen gewährten sie mir die nötige Freiheit zur Anfertigung meiner Arbeit, zum anderen standen sie mir - trotz der Fülle von Verantwortlichkeiten, welche beide heute innehaben - stets mit persönlichem und fachlichem
Rat zur Seite. Insbesondere die sehr anregenden Doktorandenseminare und die
Vielzahl gemeinsamer Gespräche haben einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen.
Mein Dank gilt auch allen ehemaligen „Weggefährten“ und Kollegen der
Deutsch-Französischen Häuser und Goethe-Institute, welche diese Forschungsarbeit von Beginn an unterstützt und ihr wertvolle Impulse gegeben
haben: Professor Dr. Jean-Paul Barbe, Kurt Brenner, Marc Chateigner, Dr. EvaSabine Kuntz, Till Meyer, Stefanie Neubert, Jan Rhein, Joachim Rothacker, Ulrich Sacker, Dagmar Schraut, Dorothee Ulrich, Dr. Joachim Umlauf und
Professor Dr. Jérôme Vaillant .
Des Weiteren möchte ich mich bei den Mitarbeitern des Frankreichzentrums
(FZ) und meinen Kollegen am Deutsch-Französischen Gymnasium (DFG) bedanken: Sie waren mir über den gesamten Zeitraum ein wichtiger Rückhalt; besonderer Dank gilt hier Anne Renning und Aurelle Garnier (FZ) und Janine
Thomé (DFG), die mir mit ihren kritischen und konstruktiven Anmerkungen
bei der Korrektur der Arbeit wertvolle Hilfestellung leisteten. Reiner Krutti und
Frédéric Albert sei ganz herzlich für die Unterstützung in Fragen der Datenverarbeitung gedankt.
Meinem Schulleiter Hans Bächle und seiner Stellvertreterin Agnes Bender-Rauguth vom Deutsch-Französischen Gymnasium gilt besonderer Dank dafür, dass
sie mich kollegial unterstützt haben, indem sie mich insbesondere im letzten
Jahr der Arbeit organisatorisch entlastet haben. Schließlich danke ich meiner
deutsch-französischen Großfamilie, vor allem aber meinen Töchtern Clara und
Sarah und meiner Frau Anne-Laure, dafür, dass sie in den vergangenen Jahren
meine Bemühungen unterstützt haben und mir jederzeit den nötigen Beistand
gaben, diese Arbeit zu Ende zu führen.
Elke und Monique gewidmet.
Inhalt
1.
1.1
1.2
1.3
1.4
2.
2.1
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.3
2.4
2.5
2.5.1
2.5.2
2.5.3
2.6
3.
3.1.1
3.1.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.3.1
3.3.2
Einleitung ............................................................................................ 9
Fragestellungen der Arbeit ................................................................ 11
Zur Gliederung und Vorgehensweise ................................................ 13
Zum Forschungsstand ....................................................................... 15
Theoretischer Rahmen der Arbeit ..................................................... 23
Von der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen
bis zum Elyséevertrag ....................................................................... 28
Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen .......................... 28
Auf dem Weg zum ersten bilateralen Kulturabkommen 1954 .......... 35
Inhaltliche Schwerpunkte des Vertragswerks von 1954 ................... 39
Bewertung des Kulturabkommens in Bezug auf den
Untersuchungsgegenstand ................................................................. 40
Die Entwicklung der institutionellen Infrastruktur zwischen
den Verträgen von 1954 und 1963 .................................................... 44
Der Elyséevertrag im Rahmen der deutsch-französischen
Kulturbeziehungen ............................................................................ 50
Die Gründung erster deutscher Kulturinstitute auf
französischem Boden ........................................................................ 55
Die Gründung der Maison d’Allemagne in Paris .............................. 56
Die Gründung der Goethe-Institute in Paris und Lille ...................... 60
Die Gründung des Heidelberg-Hauses in Montpellier ...................... 67
Fazit ................................................................................................... 74
Programmatik und Programm deutscher Auswärtiger
Kulturpolitik im Zeitraum von 1965 bis 2011 .................................. 80
Methodik und Vorgehensweise ......................................................... 80
Zum Korpus ...................................................................................... 81
Erste Konzeptionen zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik
der 1960er Jahre ................................................................................ 84
Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1965-1970 ......................................................................................... 95
Fazit ................................................................................................. 106
Die 1970er Jahre: die konzeptionelle Lücke wird geschlossen ...... 109
Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1971-1978 ....................................................................................... 131
3.3.3 Fazit ............................................................................................................. 143
3.4.1 Die Auswärtige deutsche Kulturpolitik Deutschlands
in den 1980er Jahren ................................................................................... 146
3.4.2 Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1979-1989 ................................................................................................... 165
3.4.3 Fazit ............................................................................................................. 179
3.5.1 Die deutsche auswärtige Kulturpolitik der 1990er Jahre:
im Spannungsfeld zwischen Wiedervereinigung,
europäischer Integration und Globalisierung .............................................. 183
3.5.2 Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1990-1998 ................................................................................................... 218
3.5.3 Fazit ............................................................................................................. 240
3.6.1 Die deutsche Auswärtige Kulturpolitik von 1998 bis 2011:
Nationalstaatliche Interessen, europäische Integration und der Wunsch
nach einem neuen Deutschlandbild in der Welt .......................................... 242
3.6.2 Evaluation der Kulturveranstaltungen 1999-2011 ...................................... 279
3.6.3 Fazit ............................................................................................................. 313
4.
Positionen und Sichtweisen der Kulturmittler ............................................ 316
4.1
Herangehensweise und Methodik ............................................................... 316
4.2
Zusammenfassung der Ergebnisse der Experteninterviews ........................ 324
4.2.1 Einordnung der Kulturarbeit der deutschen Institute in den
Gesamtkontext der deutsch-französischen Beziehungen ............................ 324
4.2.2 Die Unabhängigkeit der Mittler .................................................................. 326
4.2.3 Der Interkulturelle Dialog ........................................................................... 327
4.2.4 Das Kulturkonzept der Mittler .................................................................... 330
4.2.5 Die Kooperation zwischen Häusern und Goethe-Instituten ........................ 337
4.2.6 Die Positionierung der deutsch-französischen Häuser
und der Goethe-Institute: die Alleinstellungsmerkmale .............................. 347
4.2.7 Die Vernetzung mit der Zivilgesellschaft als Schlüsselkompetenz ............. 361
4.2.8 Die Qualität als Auswahlkriterium .............................................................. 366
4.2.9 Europa als Erfolgsfaktor
5.
Bilanz und Perspektiven .............................................................................. 373
6.
Bibliographie ............................................................................................... 389
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
9
1. Einleitung
Am 22. Januar 2013 werden anlässlich der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des deutsch-französischen Elyséevertrages die offiziellen
Vertreter beider Staaten, François Hollande und Angela Merkel, auf die Einzigartigkeit der deutsch-französischen Beziehungen im Rahmen der Europäischen Integration verweisen. Kulturelle Großveranstaltungen und große
symbolische Gesten werden diesen Festakt begleiten. So engagierte die
saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer
Funktion als Bevollmächtigte für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen zu diesem Anlass die Künstlergruppe „Die Redner“, welche Charles
de Gaulles’ Rede „An die deutsche Jugend“ (gehalten am 9.9.1962 in Ludwigsburg) als Performance aus Livemusik, Bildern und Filmprojekten in
Szene setzen soll. An der Umsetzung dieses Projekts werden auch zahlreiche Jugendliche beider Länder mitwirken; sie sollten sich im Vorfeld der
Aufführung Gedanken machen, wie man im Jahre 2063, anlässlich des 100jährigen Bestehens des Vertrags, der Ratifizierung gedenken sollte. Eine
der Leitfragen lautet dabei: „Wie kannst du Europa mitgestalten?“
Das Beispiel dieses kulturellen deutsch-französischen Leuchtturmprojekts
zeigt, welche Impulse von kultureller Programmarbeit ausgehen können.
Das Projekt der „Redner“ weist dabei eine inhaltliche Spannungskurve von
der Versöhnung zur Internationalisierung auf.
Diese sehr öffentlichkeitswirksamen Großveranstaltungen können jedoch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsch-französischen Kulturbeziehungen im Allgemeinen und die Kulturarbeit deutscher und französischer Kulturinstitute im Besonderen vor großen Schwierigkeiten stehen.
Dies wird am Beispiel der kulturellen Programmarbeit deutscher Kulturinstitute in Frankreich besonders deutlich: Sie ist mittelfristig bedroht, da
das Jahresbudget einzelner Institute zur Gestaltung kultureller Inhalte mittlerweise auf lediglich ca. 10 000 bis 15 000 Euro p. a. gesunken ist. Die „fetten“ Jahre in diesem Sektor sind längst vorbei. Frankreich zählte
jahrzehntelang zu jenen privilegierten Partnern, welche auch im kulturellen Bereich eine Sonderstellung in der deutschen auswärtigen Kulturförderung einnahmen.
Im aktuellen Konzeptionspapier der Bundesregierung werden die Ziele zur
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) in Zeiten der Globalisierung klar abgesteckt: Die Auswärtige Kulturpolitik soll „Europa stärken“,
den „Frieden sichern“ und „alte Freundschaften pflegen, neue Partner-
10
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
schaften gründen.“1 Frankreich zählt zu diesen „alten Freunden.“ Um weitere Kulturinstitute bei neuen Partnern in anderen Weltregionen fördern
zu können, muss die Pflege „alter Freundschaften“ in Zukunft auf ein Mindestmaß an Subventionen beschränkt werden. Dies bedeutet, dass mittelfristig noch weitere kulturpolitische Einschnitte im Nachbarland zu
erwarten sind. Frankreich steht in dieser Entwicklung nicht allein. Alle anderen Partnerländer in Westeuropa sind ebenfalls betroffen.
Ihnen gegenüber haben die deutsch-französischen Kulturbeziehungen jedoch einen großen Vorteil: Das institutionelle Netzwerk und die große Anzahl zivilgesellschaftlicher Verflechtungen zwischen Deutschland und
Frankreich im kulturellen Sektor sind in Europa nach wie vor einzigartig.
So auch die bisher gewonnenen Erfahrungen. Auf diesen muss aufgebaut
werden, um ein neues, zukunftsfähiges Modell kultureller Präsenz deutscher Kulturinstitute in Frankreich zu entwickeln. Daraus kann anschließend sogar ein innovatives Konzept für Europa hervorgehen.
1
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Auswärtige Kulur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung, Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten.
In:
http://www.auswaertigesamt.de/cae/servlet/contentblob/595030/
publicationFile/161978/AKBP-Konzeption-2011.pdf, Zugriff am 26.5.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
11
1.1 Fragestellungen der Arbeit
Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) ist heute ein wichtiger
Bestandteil deutscher Außenpolitik. Im Bericht der Bundesregierung zur
Auswärtigen Kultur - und Bildungspolitik 2011 heißt es: „die Bundesregierung schafft durch strategische Leitlinien Rahmenbedingungen für die
Kultur– und Bildungsarbeit im Ausland und beauftragt privatrechtlich organisierte Mittlerorganisationen mit der Umsetzung. [...] Sie sind dabei in
der Programm - und Projektgestaltung weitgehend frei.“2
Die größte deutsche Mittlerorganisation im kulturellen Sektor ist das
Goethe-Institut. Im Mai 2012 umfasste das weltweite Netzwerk des
Goethe-Instituts 143 Auslandsinstitute. In Frankreich wirken heute sieben
Goethe-Institute: in Paris, Bordeaux, Lille, Lyon, Nancy, Straßburg und Toulouse. Dieses Netzwerk wird weltweit noch durch 180 deutsch-ausländische Kulturgesellschaften ergänzt. Bei diesen deutsch-ausländischen
Kulturgesellschaften handelt es sich größtenteils um Vereinigungen lokalen
Rechts (französisch: associations), welche sich in Frankreich den Kulturaustausch mit Deutschland zum Ziel gesetzt haben. Wie auch die Goethe-Institute bieten diese Kulturgesellschaften ihrem Zielpublikum meist
Kulturveranstaltungen und Sprachkurse für Deutsch als Fremdsprache an.
Seit 2008 verwaltet das Goethe-Institut in Paris auch die Zuwendungsmittel des Auswärtigen Amtes für die kulturelle Programmarbeit der in Frankreich ansässigen deutsch-ausländischen Kulturgesellschaften. Dazu zählen
die Association Les Amis du Roi des Aulnes in Paris, das Centre Franco-Allemand in Rennes, die Association Caennaise pour la connaissance de l’Allemagne in Caen, das Centre franco-allemand de Touraine in Tours und die
Association Franco-Allemande in Avignon. Sechs weitere Kulturinstitute,
welche im Auswärtigen Amt ebenfalls unter der Rubrik deutsch-ausländische Kulturgesellschaften gefördert werden, haben sich im Jahre 1997 zur
Föderation deutsch-französischer Häuser zusammengeschlossen: das Heidelberg-Haus in Montpellier, das Centre Franco-Allemand de Provence in
Aix-en-Provence, das Maison de Rhénanie-Palatinat in Dijon, das Centre
Culturel Franco-Allemand in Nantes, das Maison de l’Allemagne in Brest
und das Maison Heinrich Heine (Heinrich-Heine-Haus) in Paris.
2
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Auswärtige Kulur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung, Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten. In: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/595030/
publicationFile/161978/AKBP-Konzeption-2011.pdf, Zugriff am 26.5.2012.
12
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Im Fokus dieser Studie steht die Analyse der kulturellen Programmarbeit
deutscher Kulturinstitute in Frankreich. Im Rahmen dieser Arbeit soll
daher unter anderen folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche
Rolle spielt(e) zivilgesellschaftliches Engagement, welche Rolle kulturdiplomatische Bemühungen bei der Gestaltung deutscher Auswärtiger Kulturpolitik? Welcher Zusammenhang besteht zwischen den programmatischen
Schriften des Auswärtigen Amtes zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik und der praktischen Gestaltung der Kulturarbeit der Mittlerorganisationen vor Ort? Welche Bilanz ziehen Mittlerpersönlichkeiten und Experten
des deutsch-französischen Kulturaustauschs heute in Bezug auf das bisher
Geleistete? Und schließlich: Welchen Herausforderungen müssen sich die
deutsche Auswärtige Kulturpolitik und ihre Mittlerinstitutionen in den
kommenden Jahrzehnten in Frankreich stellen?
Untersucht werden diese Fragen exemplarisch am Beispiel der Goethe-Institute und der Föderation der deutsch- französischen Häuser (in Folge
Häuser genannt). Die Auswahl dieser beiden unterschiedlichen Mittlerinstitutionen erfolgte aufgrund ihrer grosso modo vergleichbaren institutionellen Strukturen. Der Begriff kulturelle Programmarbeit ist zunächst als
Abgrenzung zu den weiteren Aktivitäten des Goethe-Instituts als Informations- und Sprachzentrum zu verstehen. Das Auswärtige Amt definiert die
kulturelle Programmarbeit als „Kernbereich der Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik“3, zu welchem es Theater, Bildende Kunst, Ausstellungen,
Tanz, Musik, Literatur und Film zählt.
Neben dieser übergeordneten Zielsetzung ist die Fragestellung der Arbeit
auch von praktischer Relevanz. Sie soll auch darüber Aufschluss geben, wie
sich die Häuser und die Goethe-Institute im Rahmen der konzeptuellen
Vorgaben des Auswärtigen Amtes heute positionieren und aufzeigen, welche Synergieeffekte sich durch gemeinsame Strategien ergeben könnten.
Die Ergebnisse erlauben so eine Potentialaussage zur zukünftigen Gestaltung kultureller Programmarbeit deutscher Mittlerorganisationen in
Frankreich.
3
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Auswärtige Kulur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung, Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten. In: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/595030/
publicationFile/161978/AKBP-Konzeption-2011.pdf, Zugriff am 26.5.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
1.2 Zur Gliederung und Vorgehensweise
13
In Kapitel 2 werden zunächst grundlegende Forschungsansätze zur Thematik der kulturellen Programmarbeit im Rahmen deutscher auswärtiger
Kulturpolitik aufgezeigt. Der zweite Teil dient der Erläuterung, warum das
Konzept des Kulturtransfers als relevantes methodisches Modell angewendet wurde, sowie der Einführung wesentlicher, für die Untersuchung
grundlegender Analyseparameter.
Kapitel 3 verfolgt das Ziel, einen historischen Überblick von der Aufnahme
erster diplomatischer Kulturbeziehungen bis zur Eröffnung erster deutscher
Kulturinstitute in Frankreich zu geben. Bei dieser historisch-orientierten Herangehensweise werden zum einen wichtige intergouvernementale Etappen
deutsch-französischer kultureller Kooperation nachgezeichnet, sowie bilaterale Abkommen dieser Phase deutsch-französischer Kulturbeziehungen
eingehend analysiert und bewertet. Neben diesem Abriss der Meilensteine
offizieller deutsch-französischer Kulturbeziehungen sollen die transnationalen Kulturbeziehungen beider Länder auch im Bereich der offiziösen, zivilgesellschaftlichen Kooperation analysiert werden. Am Ende des Kapitels
werden Aussagen darüber getroffen, welche nachhaltigen Auswirkungen
das Zusammenspiel zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und gouvernementalen Interessenlagen auf die Gestaltung der kulturellen Programmarbeit hatte.
Kapitel 4 zeigt in einem ersten Schritt die wichtigsten Konzepte zur Gestaltung deutscher auswärtiger Kulturpolitik (AKP) der letzten fünf Jahrzehnte auf. Dies erfolgt durch eine Einbettung der programmatischen
Schriften in den jeweiligen historischen Kontext der deutsch-französischen
Kulturbeziehungen. Schließlich werden diesen offiziellen Positions- und
Strategiepapieren des Auswärtigen Amtes die konzeptionellen Überlegungen der deutsch-französischen Zivilgesellschaft gegenübergestellt.
In einem zweiten Schritt wird analog zu diesen Phasen der Konzeptualisierung die kulturelle Programmarbeit -und später stichpunktartig- die der
deutsch-französischen Häuser qualitativ und quantitativ ausgewertet. Die
Analyse der Programme der Goethe-Institute erfolgt anhand einer Periodisierung in fünf Phasen, was den sich fortwährend verändernden Konzeptionen zur Auswärtigen Kulturpolitik geschuldet ist. Korpus der
Untersuchungen sind zum einen die Jahrbücher des Goethe-Instituts im
Zeitraum von 1965 bis 2011 und der Tätigkeitsberichte einzelner Häuser.
Zum anderen werden wichtige Grundlagentexte zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik im Zeitraum von 1960 bis 2012 in Bezug auf ihre Programmatik ausgewertet, wobei das Nachbarland Frankreich im Fokus der
Betrachtungen steht. Am Ende einer jeden Phase werden jeweils in Form
14
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
eines Fazits die theoretischen Konzepte mit der praktischen Umsetzung
vor Ort verglichen. Um eine Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Entwürfe zu gewährleisten, wurden nach Möglichkeit konstante Vergleichsparameter ausgewählt - beispielsweise vom sich wandelnden Kulturbegriff
bis hin zum Phänomen des Public-Private–Partnerships - um auf diese
Weise Entwicklungsstufen oder gar Paradigmenwechsel in der deutschauswärtigen Kulturpolitik besser herausarbeiten zu können.
Kapitel 5 ist die thematische Zusammenfassung und Auswertung von Experteninterviews, welche im Zeitraum von 2010 bis 2011 zum übergeordneten Thema „Ausrichtung und Aufgaben deutscher Kulturinstitute im
Rahmen der Auswärtigen Kulturpolitik“ durchgeführt wurden. Als Experten wurden zum einen die Leiter der französischen Goethe-Institute und
der deutsch-französischen Häuser, aber auch weitere, den Institutionen
nahestehende Mittler befragt. Das Experteninterview als Verfahren der
empirischen Sozialforschung wurde anhand eines Leitfadens vorbereitet
(Leitfadeninterview). Ziel des fünften Kapitels ist es, anhand einer Auswertung der Experteninterviews zum einen ein Fazit bisher geleisteter
deutscher Kulturarbeit zu ziehen und zum zweiten Zukunftsperspektiven
aufzuzeigen, welche eine dauerhafte Präsenz deutscher Kulturinstitute in
Frankreich sichern können.
Kapitel 6 bilanziert die in den einzelnen Kapiteln erzielten Ergebnisse, fasst
diese in synthetischer Form zusammen und weist auf Desiderata und noch
nicht eruierte Forschungsfelder im Kontext der deutschen Auswärtigen
Kulturpolitik hin.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
15
1.3 Zum Forschungsstand
Im September 2001 lud das Institut für Auslandsbeziehungen (IFA) zu
einer Konferenz mit der provokanten Fragestellung „Auswärtige Kulturpolitik - ein Stiefkind der Forschung?“ ein. Geladen waren damals Sprachund Kulturwissenschaftler, Historiker und Diplomaten des Auswärtigen
Amtes, was deutlich machte, wie interdisziplinär der Forschungsgegenstand schon damals ausgerichtet war.4 Am treffendsten fasste der Titel des
Beitrages von Barthold C. Witte, früherer Leiter der Kulturabteilung des
Auswärtigen Amtes, den damaligen Forschungsstand zusammen: Auswärtige Kulturpolitik sei eine „Praxis ohne Theorie.“5
An dieser Stelle muss kurz auf die Begriffserweiterung des Wortpaares
„Auswärtige Kulturpolitik“ verwiesen werden. Die Forschung ist sich weitgehend einig6, dass der Historiker Karl Lamprecht diesen Begriff erstmals
vor einhundert Jahren, im Jahre 1912, in einem Vortrag verwendete.7 Seit
dem Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 2005/2006, vorgelegt
durch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, in welchem erstmals auch eine Reihe von Bildungsthemen aufgegriffen wurden, wird auf
Seiten der deutschen Kulturdiplomatie „synonym zum Begriff „Auswärtige
Kulturpolitik (AKP)“ auch der Begriff „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP)“ verwendet.“8
4
5
6
7
8
Zu den Diskussionsbeiträgen im Einzelnen: Ulrich Ammon: Sprache als Politikum, Ulrich
Bauer: Kulturelle Programmarbeit, Guy Féaux de la Croix: Auswärtige Kulturpolitik und
Forschung aus der Perspektive des Auswärtigen Dienstes, Horst Harnischfeger: Zur Rolle
der Medien in der AKP, Heike Jöns: Das Forschungsdefizit in der akademischen Mobilität,
Dieter Kramer: Kultur und Konfliktprävention, Volker Rittberger: Die Auswärtige Kulturpolitik in Außenpolitiktheorien, Gerald Schneider: Klare Ziele und offene Quellen, Wolfgang Schneider: Institutionenkunde und mehr, Barthold C. Witte: Praxis ohne Theorie?
Nachdenken über Politik, Kultur und Wissenschaft Auswärtige Kulturpolitik in der Forschung, in: http://www.ifa.de/tagungen/akp-konferenzen/forschung/, Zugriff am
26.5.2012.
Barthold C. Witte: Praxis ohne Theorie, unter: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk-2001/im-aufbruch/witte/, Zugriff am 26.5.2012.
Hierzu: Kurt Düwell/Werner Link (Hg): Deutsche auswärtige Kulturpolitik seit 1871,
Wien 1981: “Den Begriff “auswärtige Kulturpolitik” hat anscheinend der Kulturhistoriker Karl Lamprecht geprägt [...]. S.2. Oder in: Victoria Znined-Brand: Deutsche und französische auswärtige Kulturpolitik, ibid: “Der heute in der Bundesrepublik Deutschland
allgemein übliche und geläufige Begriff “auswärtige Kulturpolitik” tauchte zum ersten
Mal 1912 in dem Vortrag “Über auswärtige Kulturpolitik” des Historikers Karl Lamprecht
auf, S.20.
“Da dürfen wir Deutschen nicht zurückbleiben, soll anders die Welt nicht einmal wieder
vergeben sein, ehe der germanische Dichter und Denker auf dem Plane erscheint” Karl
Lamprecht zitiert nach: Victoria Znined-Brand: Deutsche und französische auswärtige
Kulturpolitik, ibid. S.20.
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors), in: http://www.auswaertigesamt.de/cae/servlet/contentblob/382830/publicationFile/4282/AKBP-Bericht0506.pdf,
S.5. Zugriff am 30.9.2012.
16
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auch das aktuelle Konzeptionspapier des Auswärtigen Amtes [Stand: September 2011) unter Leitung von Guido Westerwelle verwendet diese Begriffe synonym und verweist darauf, dass die heutige Auswärtige Kulturund Bildungspolitik auf drei Pfeilern ruht, „den 1.500 Schulen im Partnerschulnetzwerk, den 150 Goethe-Instituten und den jährlich über 40.000
geförderten ausländichen Studierenden und Akademikern des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH).“9
Vor allem im Bereich der kulturellen Programmarbeit im Rahmen der Auswärtigen Kulturpolitik, so der Germanist Ulrich Bauer, sei nach wie vor ein
„großes Forschungsdefizit“10 festzustellen:
„Leider keine Ergebnisse gefunden“ – die Trefferquoten auf der Suche
nach der „Kulturellen Programmarbeit“ der Auswärtigen Kulturpolitik
sind schnell erschöpft. Das gilt sowohl für elektronische Datenbanken vieler Bibliotheken als auch für Internet-Suchmaschinen. Auch Verknüpfungen, beispielsweise von „Programm“ und „Kultur“, sind wenig hilfreich:
Fast ausnahmslos führt die Recherche zu Texten, die Sprach- oder Austauschprogrammen für den Schüler-, Studenten- und Wissenschaftler zuzurechnen sind. Bereits erste Rechercheansätze geben einen Einblick in
das Forschungsdefizit zu den inhaltlichen Schwerpunkten der „Kulturellen Programmarbeit.“11
Zu dem gleichen Schluss kommt auch der Kulturwissenschaftler Gerald
Schneider: Seiner Meinung nach fehlt es besonders an Studien, „die die Programme der Mittlerorganisationen auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen.“12
Im letzten Jahrzehnt nahm jedoch das wissenschaftliche Interesse an der
deutschen AKP sprunghaft zu, wobei festzuhalten ist, dass die AKP als Un-
9
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Auswärtige Kulur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung, Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten. In: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/595030/
publicationFile/161978/AKBP-Konzeption-2011.pdf, Zugriff am 26.5.2012.
10 Gerd Ulrich Bauer: Kulturelle Programmarbeit, in: http://www.ifa.de/fileadmin/content/informationsforum/dossiers/downloads/akp_bauer.pdf, Zugriff am 14.3.2009.
11 Gerd Ulrich Bauer, in: Kurt-Jürgen Maaß (Hg.), Kultur und Außenpolitik: Handbuch für
Studium und Praxis, 1. Aufl., Baden-Baden 2005, S.95 – 114. Hier: S.95.
12 Gerald Schneider: Goethe ist nicht überall. Eine empirische Analyse der Standortentscheidungen in der Auswärtigen Kulturpolitik, Zeitschrift für Internationale Beziehungen
7/1 (2000) , S.5-32.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
17
tersuchungsgegenstand nach wie vor keiner genauen Wissenschaftsdisziplin zuzuordnen ist. Bereits zwei Jahre später nämlich, im Jahre 2003,
stieß man in der Zeitschrift für Kulturaustausch auf eine Zusammenstellung, welche aufzeigte, dass sieben deutsche Hochschulen diese Thematik
in der Politikwissenschaft ansiedelten, fünf in den Sprach- und Literaturwissenschaften bzw. im Fach Deutsch als Fremdsprache, vier bei den Kulturwissenschaften.13
Der nun folgende Überblick über den derzeitigen Forschungsstand berücksichtigt die Interdisziplinarität des Forschungsgegenstandes, indem
er jeweils nur grundlegende Werke der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen bespricht und in Bezug auf ihre Relevanz für die Methodik der Arbeit
und ihrer Fragestellung einordnet. Keinesfalls handelt es sich an dieser
Stelle um eine erschöpfende Darstellung, da in den betreffenden Kapiteln
umfassend auf weitere Quellen eingegangen wird.
Eine Reihe von Werken ist zunächst der Untersuchung der gouvernementalen auswärtigen Kulturpolitik gewidmet, welche erst einmal das größte
Forschungsinteresse weckte. Stellvertretend für diese Forschungsrichtung
sind eine Reihe von Arbeiten des Stuttgarter Politikwissenschaftlers und
ehemaligen Generalsekretärs des Instituts für Auslandsbeziehungen, HansJürgen Maaß, zu nennen: Mit seinem Handbuch zu Kultur- und Außenpolitik14 legte er erstmals ein Standardwerk vor, welches einen wichtigen
Überblick zu Entwicklung, Konzeption und zentralen Fragen deutscher AKP
vermittelt. Seine Untersuchungen verfolgen zwar als erste den Ansatz, die
deutsche AKP im „Spannungsfeld zwischen Konzeption und Umsetzung“15
zu analysieren, konzentrieren sich jedoch vorrangig auf die Darstellung
und Bewertung offizieller deutscher Mittlerorganisationen. Dies legt die
Deutung nahe, dass heute wie damals ausschließlich diesen offiziellen Mittlerorganisationen - zu denen Maaß beispielsweise die Goethe-Institute
zählt - die Rolle der Umsetzung deutscher AKP zukommt, sozusagen als
verlängerter Arm des Auswärtigen Amtes. Dieser Ansatz reduziert jedoch
die kulturelle Programmarbeit aller Mittlerorganisationen auf die
13
Diesen Hinweis verdanke ich der sehr aufschlussreichen Monographie von Julia Sattler:
Nationalkultur oder europäische Werte? Britische, deutsche und französische Auswärtige Kulturpolitik zwischen 1989 und 2003, Wiesbaden 2007. Hier: S.23.
14 Kurt-Jürgen Maaß (Hg.): Kultur und Außenpolitik: Handbuch für Studium und PraxiS.Institut für Auslandsbeziehungen. 2. Aufl., Baden-Baden 2009.
15 Titel eines Vortrags von Kurt-Jürgen Maaß, anlässlich des Symposiums am 15. November 2002 in der Universität Düsseldorf zur Verabschiedung von Professor Dr. Kurt Düwell:
Auswärtige Kulturpolitik im Spannungsfeld zwischen Konzeption und Umsetzung. In:
http://www.ifa.de/fileadmin/content/ueber_uns/downloads/akp_konzeption.pdf, Zugriff am 15.5.2012.
18
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Vermittlungsebene einer reinen Exportkultur. Relevant für die vorliegende
Arbeit sind jedoch Maaß´ Ansätze, konzeptuelle Leitgedanken des Auswärtigen Amtes aufzuzeigen und in Bezug auf ihre Umsetzung vor Ort zu
überprüfen.
Mit der Monographie Deutsche und französische auswärtige Kulturpolitik16
legte die Romanistin Victoria Znined-Brandt erstmals eine wissenschaftlich umfassende Studie zu deutscher Kulturarbeit in Frankreich vor, die bis
heute als bahnbrechend einzuordnen ist. Neben ihrem verdienstvollen Ansatz, erstmals eine vergleichende Analyse der offiziellen Institutsformen
beider Nachbarländer im historischen Kontext vorzulegen, zeigt ZninedBrandt in ihrer Untersuchung auch wichtige Etappen deutscher und französischer Kulturpolitik auf, die zur Entstehung und Entwicklung beider
Modelle führten. Leider beschränkt sich die Autorin in ihrer komparatistischen
Analyse lediglich auf die Darstellung der Programmarbeit der Goethe-Institute
und Instituts Français und geht so nur wenig auf zivilgesellschaftliches Engagement im Rahmen deutscher auswärtiger Kulturpolitik ein. Die Arbeit schließt
mit der Illustration von drei Fallstudien, der Goethe-Institute Nancy, Lyon und
Marseille, in welchen die kulturelle Programmarbeit jedoch in Form von deskriptiven Kurzportraits nur sehr oberflächlich behandelt wird. Ein Zusammenhang zwischen wichtigen Konzeptionen deutscher auswärtiger
Kulturpolitik (1. und 2. Teil des Werks) und den Fallbeispielen (3. Teil)
bleibt aufgrund fehlender Vergleichsparameter jedoch unerforscht.
In seiner Monographie Kulturpolitik um jeden Preis setzte sich der Historiker Steffen R. Kathe erstmals kritisch mit der Entstehungsgeschichte des
Goethe-Instituts im Zeitraum von 1951 bis 1990 auseinander. In diesem
Werk werden besonders die Konstituierungsbedingungen und der Aufbau
des Netzwerkes der Goethe-Institute nach der „Stunde Null“ kritisch beleuchtet, das fehlende Konzept gar als „Wildwuchs“ bezeichnet. Auch Kathe
schließt seine Ausführungen mit zwei Fallstudien der Goethe-Institute in
Lagos und Paris, welche jedoch leider nicht in den lokalen Kontext eingeordnet werden. So fehlt auch dieser Arbeit der Ansatz, Kulturarbeit als Prozess des interkulturellen Dialogs mit der Zivilgesellschaft auszuwerten.
Zentrales Anliegen der Untersuchungen des Hildesheimer Kulturwissenschaftlers Wolfgang Schneider ist es hingegen, den Wandel deutscher auswärtiger Kulturarbeit vom „Export zum Netzwerk“17 vor Ort aufzuzeigen.
16
Victoria Znined-Brand: Deutsche und französische auswärtige Kulturpolitik, Eine vergleichende Analyse, Das Beispiel der Goethe-Institute in Frankreich sowie der Instituts
und Centres Culturels Français in Deutschland seit 1945, Frankfurt am Main 1999.
17 Wolfgang Schneider (Hg.): Auswärtige Kulturpolitik: Dialog als Auftrag – Partnerschaft
als Prinzip. Essen 2008.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
19
Im Gegensatz zu Maaß, Znined-Brandt und Kathe steht Schneider der Idee,
Auswärtige Kulturpolitik allein auf das Wirken der Goethe-Institute und
weiterer offizieller deutscher Mittlerorganisationen zu reduzieren, kritisch
gegenüber und fordert stattdessen vor allem Wissenschaftler dazu auf, bei
ihren Untersuchungen den Prozess der Kulturvermittlung und den interkulturellen Dialog mehr in den Fokus zu rücken. Bei Schneider, wie auch bei
weiteren kulturwissenschaftlichen Vertretern dieses Ansatzes, stehen vorrangig auch zivilgesellschaftliche Institutionen wie beispielsweise die
Föderation deutsch-französischer Häuser im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Durch diesen Untersuchungsansatz rückt der interkulturelle
Dialog deutscher Kulturinstitute mit dem Partnerland, das „Prinzip Partnerschaft“ (Schneider 2005) in den Mittelpunkt der Untersuchungen. Wie
Maaß fordert auch Schneider eine kritische Überprüfung der geleisteten
kulturellen Programmarbeit deutscher Mittlerorganisationen vor dem Hintergrund offizieller, vom Auswärtigen Amt formulierter Leitlinien, insbesondere der Goethe-Institute.
Daran anknüpfend untersuchen auch die Arbeiten der Kulturwissenschaftlerin Heike Denscheilmann18 am Beispiel Frankreich die Rolle von
zivilgesellschaftlich geprägten Mittlerorganisationen, wie beispielsweise
die Föderation deutsch-französischer Häuser. Denscheilmann erweitert
den Untersuchungsgegenstand deutscher auswärtiger Kulturpolitik, indem
sie Vergleichsparameter aus den Wirtschaftswissenschaften zur Bewertung der Kulturarbeit der einzelnen Häuser heranzieht. Ihre Analysen greifen jedoch aufgrund der gewählten Parameter vor allem deshalb zu kurz,
weil sich die von Denscheilmann gewählten Kriterien nur bedingt auf diese
Non-Profit Institutionen anwenden lassen.
Die Arbeiten des Kasseler Politologen Hans Manfred Bock untersuchen den
politologisch-soziologischen Aspekt transnationaler Kulturbeziehungen.19
18
Heike Denscheilmann: Neue Mittler für die Kultur? Zur Zukunft der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik in Frankreich, in: Wolfgang Schneider (Hg.): Auswärtige Kulturpolitik,
Dialog als Auftrag – Partnerschaft als Prinzip. Texte zur Kulturpolitik, Band 22, Essen
2008, Hier: S.91-101.
19 „Transnationaler Kulturtransfer ist […] zuerst und vor allem ein gesellschaftliches Phänomen, das in den Beziehungen zu den staatlichen Institutionen der Kulturpolitik stehen
kann, aber nicht in jedem Fall stehen muss. Man kann diesem Sachverhalt konzeptuell
gerecht zu werden versuchen, indem man unterscheidet zwischen einem offiziellen (gouvernementalen) Bereich der internationalen Kulturbeziehungen und einem offiziözen
bzw. privaten (zivilgesellschaftlichen) Bereich und indem man nach den Konstituierungsbedingungen sowie den Interaktionsformen innerhalb dieser Bereiche und zwischen ihnen fragt.“ In: Hans-Manfred Bock (Hg.): Französische Kultur im Berlin der
Weimarer Republik: Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen, Tübingen
2005. Hier: Transaktion, Transfer, Netzwerkbildung. Konzepte einer Sozialgeschichte der
transnationalen Kulturbeziehungen. S.11.
20
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Diese Forschungsrichtung hat sich zum Ziel gesetzt, Kulturbeziehungen als
Forschungsobjekt in den internationalen Beziehungen zu etablieren, das
heißt, „ihre relative Autonomie im Verhältnis zu den diplomatischen und
ökonomischen Beziehungen“20 zu untersuchen.
Hans Manfred Bock stellt bei seinen Recherchen zu transnationalen Kulturbeziehungen das zivilgesellschaftliche oder offiziöse Engagement in den
Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. Er unterscheidet in seinen Arbeiten daher zwischen einem offiziellen (gouvernementalen) Bereich der
internationalen Kulturbeziehungen und einem offiziösen bzw. privaten
(zivilgesellschaftlichen) Bereich. 21
Vor diesem wissenschaftlichen Kontext hat Bock bisher eine Reihe von umfassenden Monographien im deutsch-französischen Kontext vorgelegt,
welche insbesondere den institutionellen Trägern grenzüberschreitender
Kulturbeziehungen gewidmet sind, so beispielsweise Analysen zum Heinrich-Heine-Haus in Paris22, zum Deutsch- Französischen Institut in Ludwigsburg23 und nicht zuletzt zum Deutsch-Französischen Jugendwerk.24
Sein letztes Werk setzte sich mit der „Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts“25 auseinander. Bocks Arbeiten belegen auf sehr überzeugende Weise, dass die zivilgesellschaftlichen
Initiativen für den transnationalen Kulturaustausch „viel älter und breiter
sind als das Dispositiv der Auswärtigen Kulturpolitik.“26
Auch eine Reihe französischsprachiger Forscher sind an diese Forschungsrichtung angelehnt, so beispielsweise die Arbeiten des Liller Germanisten Jérôme Vaillant. Als herausgebender Direktor der Revue
Allemagne d’aujourd’hui (seit 1977) und Spezialist für deutsche Landeskunde veröffentlichte er eine große Anzahl von einschlägigen Aufsätzen,
welche sich ebenfalls mit der Bedeutung der deutsch-französischen Zivilgesellschaft im Rahmen des Kulturtransfers auseinandersetzen. Für die
20
21
22
23
24
25
26
Bock, ibid: Transaktion, Transfer, Netzwerkbildung. S.11.
Hans Manfred Bock: Wiederbeginn und Neuanfang in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen 1949 bis 1955, In: Lendemains 84, (1996), S.58-66. Hier: S.61.
In: Martin Raether (Hg) : Maison Heinrich Heine Paris. 1956 - 1996. Quarante ans de présence culturelle. Bonn, Paris 1998.
Hans Manfred Bock (Hg.): Projekt deutsch-französische Verständigung : die Rolle der Zivilgesellschaft am Beispiel des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, Opladen
1998.
Hans Manfred Bock/ Corine Defrance/ Gilbert Krebs und Ulrich Pfeil (Hg.): Les jeunes
dans les relations transnationales. L’Office franco-allemand pour la jeunesse 1963–2008,
Paris, 2008.
Hans Manfred Bock: Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2010.
Hans Manfred Bock: Topographie, ibid. S.11.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
21
vorliegende Arbeit sind insbesondere Arbeiten27 zum transregionalen Kulturaustausch von Bedeutung. Als einer der wenigen französischen Germanisten verwies Vaillant schon früh auf die Bedeutung trinationaler
zivilgesellschaftlicher Kooperationen für die Europäische Integration, insbesondere im kulturellen Sektor.
Als grundlegend für die Herangehensweise der vorliegenden Arbeit sind
vor allem die jüngsten, oftmals gemeinsam herausgegebenen Werke der
Historiker Ulrich Pfeil (Metz) und Corine Defrance (Berlin/Paris)28 anzusehen, welche ebenfalls in dieser historischen Forschungstradition stehen.
Zu nennen sind hier zum einen ihre kritischen Analysen zu den „offiziellen“ deutsch-französischen Beziehungen.29 Als Historiker verweigern sich
Pfeil sowie Defrance, „Legenden fortzuschreiben und aktuelle Formen der
Geschichtspräsentation unkritisch zu übernehmen.“30 So ist beispielsweise
der Elyséevertrag für sie weder „Ziel- und Startpunkt“31 noch „Besieglung
der Versöhnung“32 der deutsch-französischen Beziehungen, sondern vielmehr Ergebnis der Versöhnung zivilgesellschaftlicher Bemühungen.
Pfeil geht auch methodisch neue Wege, indem er eine Reihe von Werken
herausgab, welche Studien mit institutionen- und personengeschichtlichen
Ansätzen33 verbinden und somit erstmals auch deutsch-französische Mittlerpersönlichkeiten in den Fokus wissenschaftlicher Analysen rückten.34
Leider finden sich in Pfeils Studien noch keine Interviews zeitgenössischer
Mittlerpersönlichkeiten, die als Zeitzeugen theoriegenerierende Aussagen
zur Rolle der Mittler als Schnittstelle zwischen staatlichen Interessen und
Zivilgesellschaft machen.
Um diese Zielsetzung zu erreichen, wurden in dieser Arbeit eine Reihe von
Experteninterviews durchgeführt, welche im vorletzten Kapitel zusammengefasst und ausgewertet werden. Das Experteninterview ist als wissen27
28
29
30
31
32
33
34
Jérôme Vaillant: „Le Goethe-Institut de Lille : 50 ans de coopération culturelle francoallemande“ in: Allemagne d’Aujourd’hui, Nr. 183 (2008) S.104-112. Oder: Jérôme Vaillant/
Stéphan Martens : La France et l’Allemagne face à l’ouverture de l’UE. La portée du Triangle de Weimar, in : Allemagne d’Aujourd’hui Nr. 171 (2005), S.1-101. Hier: „Le Triangle
de Weimar, un modèle de relations trilatérales ?“ S.83-95.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: WBG Deutsch-Französische Geschichte. Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963. Darmstadt 2011.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil (Hg.): Le Traité de l‘Élysée et les relations franco-allemandes
1945 – 1963 – 2003, Paris 2005.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Le Traité de l‘Élysée, ibid. S.36.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Le Traité de l‘Élysée, ibid. S.7.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Le Traité de l‘Élysée, ibid. S.28.
Ulrich Pfeil (Hg): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20.
Jahrhundert, München 2007.
Ulrich Pfeil (Hg) : Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein
personengeschichtlicher Ansatz, München, Oldenburg, 2007.
22
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
schaftliches Verfahren in den Bereich der empirischen Sozialforschung einzuordnen. Unter empirischer Sozialforschung verstehen Jochen Gläser und
Grit Laudel „Untersuchungen, die einen bestimmten Ausschnitt der
sozialen Welt beobachten, um mit diesen Beobachtungen zur Weiterentwicklung von Theorien beizutragen.“35 Die durchgeführten Experteninterviews wurden nach dem von Alexander Bogner und Wolfgang Menz
entwickelten Ansatz des „theoriegenerierenden Experteninterviews“36
ausgewertet.
Die Ausführungen zum Forschungsgegenstand und Forschungsstand belegen, dass die Analyse deutscher kultureller Programmarbeit im Schnittbereich einer ganzen Reihe von Wissenschaftsdisziplinen anzusiedeln ist.
Dieser Tatsache muss die Methodik der Arbeit Rechnung tragen.
35
Und weiter: „Auch wenn diese Forschungsprozesse als „empirisch“, d.h. „auf Erfahrung beruhend“ bezeichnet werden, gehen sie von Theorien aus und tragen zu ihnen bei. Sie tun
das, indem sie, angeleitet durch Theorien, die soziale Realität beobachten und aus den
Beobachtungen theoretische Schlüsse ziehen“, In: Jochen Gläser/ Grit Laudel: Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen, (3. Auflage), Wiesbaden 2009, S.24.
36 Alexander Bogner/ Wolfgang Menz : Expertenwissen und Forschungspraxis: die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten, in: Alexander Bogner/ Beate Littig/ Wolfgang Menz (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode,
Anwendung. Wiesbaden 2005. Hier: S.25-42.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
23
1.4 Theoretischer Rahmen der Arbeit:
Das Konzept des Kulturtransfers
Den theoretischen Rahmen der Arbeit bildet der methodische Ansatz des
Kulturtransfers. Grundlegende Strukturelemente des Kulturtransfers, welche in dieser Arbeit zur Anwendung kommen, gehen insbesondere auf die
Arbeiten des Saarbrücker Forschers für Romanische Kulturwissenschaft
und Interkulturelle Kommunikation, Hans-Jürgen Lüsebrink, zurück37.
Nach Lüsebrink thematisiert das Konzept des Kulturtransfers als Gegenstandsbereich der interkulturellen Kommunikation „die Übertragung von
Ideen, kulturellen Artefakten, Praktiken und Institutionen aus einem spezifischen System gesellschaftlicher Handlungs-, Verhaltens- und Deutungsmuster in ein anderes.“38
Dieses Konzept wurde Mitte der 1980er Jahre von der Pariser (CNRS) Forschungsgruppe der Germanisten Michel Espagne und Michael Werner begründet. Ausgangspunkt für ihren Forschungsansatz waren Untersuchungen
zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen im 18. und 19. Jahrhundert. Die wichtigsten Forschungsergebnisse, welche den Grundstein für diese
neue Forschungsrichtung legten, entstanden erst in den letzten zwei Jahrzehnten.39 In den vorliegenden Überlegungen wird der Ansatz der Transferts Culturels, welcher, seine Ursprünge einer germanistisch-historischen
Herangehensweise seiner Begründer verdankt, in den Forschungskontext
der interkulturellen Kommunikation eingeordnet.
Da sich die Arbeit mit der kulturellen Programmarbeit deutscher Kulturinstitute in Frankreich auseinandersetzt, steht vor allem der Kulturtransfer zwischen konzeptionellen Überlegungen zur Gestaltung deutscher AKP
und den Praktiken der kulturellen Mittlerinstitutionen im Fokus der Untersuchungen.
Mittelpunkt des Konzepts des Kulturtransfers im Kontext der interkulturellen Kommunikation ist laut Hans-Jürgen Lüsebrink die Analyse „dynamischer Prozesse“40, wobei es sich im vorliegenden Fall um einen bipolaren
37
Hierzu: Hans-Jürgen Lüsebrink: Interkulturelle Kommunikation, Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer, Stuttgart, Weimar, 2008 (2. Auflage). Hierzu weiter: HansJürgen Lüsebrink: Kulturtransfer-methodisches Modell und Anwendungsperspektiven,
in: Ingeborg Tömmel: Europäische Integration als Prozess von Angleichung und Differenzierung, Forschungen zur Europäischen Integration, Band 3, S.213-226, hier S.223.
38 In: Hans-Jürgen Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. S.129.
39 Zu nennen sind unter anderen: Michel Espagne/ Michael Werner: Transferts culturels
franco-allemands, in: Revue de synthèse, Nr. 2, Paris 1988, S.187-194; Michel Espagne/
Michael Werner : Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand,
Paris 1999 ; Michel Espagne : Les transferts Culturels franco-allemands, Paris 1999.
40 Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. 2008, S.130.
24
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Prozess handelt, welcher den Kulturtransfer zwischen Deutschland und
Frankreich im Zeitraum von 1945 bis 2011 zum Gegenstand hat. Laut Lüsebrink lässt sich das Phänomen des Kulturtransfers zunächst auf drei unterschiedlichen Untersuchungsebenen beschreiben. Die erste Untersuchungsebene
der Selektionsprozesse behandelt „die Auswahl von Objekten, Texten, Diskursen und Praktiken [...], die eine sowohl qualitative als auch quantitative Dimension aufweisen.“41
Dieser Aspekt der quantitativen und qualitativen Dimension von Selektionsprozessen wird insbesondere im 4. Kapitel der Arbeit von Bedeutung sein,
wenn es darum geht, die theoretischen Konzepte des Auswärtigen Amtes
mit der praktischen Umsetzung der kulturellen Programmarbeit der GoetheInstitute und der deutsch-französischen Häuser vor Ort zu vergleichen. In
einem zweiten Schritt sind in diesem Zusammenhang auch die „Motive und
Auslösungsfaktoren für Kulturtransferprozesse“42 für die Arbeit relevant,
hier allen voran das „ideologische Interesse“, welches sich, so Kortländer,
in „Werten und Normen ausdrückt, die die importierten Güter nach der Absicht der Importeure repräsentieren sollen.“43 Dieser Themenkomplex
wird insbesondere dann für die Untersuchungen von Interesse sein, wenn
es darum geht, das jeweilige Deutschlandbild, welches die einzelnen Institute in ihren unterschiedlichen Entwicklungsphasen repräsentieren wollen, zu analysieren.
Die zweite Untersuchungsebene des Kulturtransfers behandelt die interkulturellen Vermittlungsprozesse. Der Kulturtransfer unterscheidet hier
drei unterschiedliche Formen von Vermittlerfiguren und Vermittlungsinstitutionen44, welche für die Untersuchungen ebenfalls relevant sein werden. Neben den bereits oben erwähnten staatlich und zivilgesellschaftlich
orientierten Kulturinstituten stehen auch die kulturpolitischen Abteilungen
der Außenministerien sowie bilaterale Mittlerinstitutionen als Vermittler im
Zentrum des Interesses. Auch der zweite Vermittlungsprozess, welcher
durch personale Vermittler erfolgt, soll in dieser Arbeit eingehend untersucht werden. Dies entspricht auch aktuellen Forschungsdesiderata, welche unter anderen zunächst von Michel Espagne45 und später auch Michael
41
42
43
Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. 2008, S.132.
Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. 2008, S.132.
In: Lothar Jordan/ Bernd Kortländer: Nationale Grenzen und internationaler Austausch.
Studien zum Kulturtransfer in Europa, Tübingen 1995, S.7. Zitiert nach: Lüsebrink 2008,
S.133.
44 Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. 2008, S.132.
45 Michel Espagne: Die Rolle der Mittler im Kulturtransfer. In: Kulturtransfer im Epochenumbruch, Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815. In: Hans-Jürgen Lüsebrink/ Rolf Reichardt (Hg.), Band 9.1 der Deutsch-Französischen Kulturbibliothek. Leipzig 1997,
S.309-329.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
25
Werner46 formuliert wurden. So forderte Michel Espagne in seinem gleichnamigen Aufsatz, „die Rolle der Mittler“ mehr in den Mittelpunkt der Untersuchungen zu interkulturellen Vermittlungsprozessen im Rahmen des
Kulturtransfers zu stellen, denn „die Vermittler bringen in den Transferprozess immer auch etwas anderes ein, als von ihnen vorrangig zu erwarten war, und auf diesen semantischen Zusatz kommt es an.“47 Auch Michael
Werner hebt in einer Untersuchung zur Bedeutung institutionellen und
personenbezogenen Handelns das wissenschaftliche Interesse einer „akteurzentrierten“ Betrachtungsweise48 hervor: Zeitzeugenschaft vermittelt,
so Werner, Primärerfahrungen, die später aus Quellen nur schwer oder gar
nicht mehr zu erschließen sind. Von daher rührt auch die für den Gegenstand besondere Bedeutung von Interviews, von mündlicher Befragung der
überlebenden Akteure.“49 Die Aussagen personaler Mittler werden daher
im 5. Kapitel in Form von Experteninterviews eingehend analysiert.
Als dritter Prozess des Kulturtransfers sollen im Rahmen der Arbeit
schließlich auch Rezeptionsprozesse analysiert werden, welche „die Integration und dynamische Aneignung transferierter (...) Praktiken im sozialen und kulturellen Horizont der Zielkultur und im Kontext spezifischer
Rezeptionsgruppen (betreffen).“50 In diesem Zusammenhang wird insbesondere in den Kapiteln 4 (Evaluation der Kulturprogramme) und 5 (Experteninterviews) der Frage nachgegangen, inwiefern man bei der
Umsetzung des Kulturprogramms vor Ort von einer „möglichst originalgetreuen Übertragung“51 der konzeptionellen Überlegungen des Auswärtigen Amtes oder gar von einer „kulturellen Adaptation in den Praktiken und
Institutionen im Hinblick auf die Spezifika der Zielkultur“52 sprechen kann.
Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Langzeitstudie, welche während
unterschiedlicher Phasen untersucht, in welchem Maße man durch die Ausrichtung der kulturellen Programmarbeit von einer regional-geprägten
Profilbildung sprechen kann. Dies wirft die Frage auf, mittels welcher
46
47
48
49
50
51
52
Michael Werner beklagt den Mangel an vorliegenden Forschungsarbeiten zu „gewichtigen Persönlichkeiten“– allerdings bezieht sich Werner vorwiegend auf Mittler in den
Nachkriegsjahren, wie beispielsweise Alfred Grosser. In: Michael Werner: Im Zwischenfeld von Politik und Wissenschaft. In: Ulrich Pfeil: Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert, München 2007, S.381-389.
Michel Espagne: Rolle der Mittler im Kulturtransfer, ibid. S.311-312.
Michael Werner: Im Zwischenfeld von Politik und Wissenschaft, in: Ulrich Pfeil: Deutschfranzösische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert, München 2007,
S.382.
Michael Werner: Im Zwischenfeld von Politik und Wissenschaft, S.383.
Hans–Jürgen Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. S.133.
Hans–Jürgen Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid.S.134.
Hans–Jürgen Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid.S.134.
26
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
räumlich-geographischen und zeitlichen Vergleichsparameter die komparatistische Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand strukturiert werden kann. Auch Lüsebrink stellt fest: „Formen des Kulturtransfers
können erst identifiziert werden, wenn vergleichbare Phänomene vorliegen, die vermittelt, übertragen und häufig mehr oder minder stark verändert wurden, aber zugleich eine zumindest in Grundzügen ähnliche
Struktur aufweisen.“53 Mit diesem Grundproblem der vergleichenden Kulturtransferforschung, den „verschiedenen Größenordnungen von historischer Zeit“ und der „topographischen Ebene“ des Kulturtransfers hat sich
Michael Werner in einer Reihe von Aufsätzen auseinandergesetzt.54 Für
Werner sind dabei „Maßstab und Untersuchungsebene“ entscheidend für
die Stringenz von Aussagen zum Kulturtransfer. In seinem gleichnamigen
Aufsatz geht Werner der Frage nach, „in welchem Verhältnis die bei einer
minutiösen Untersuchung eines Einzelfalls hervortretenden Proportionen
zu allgemein gesellschaftlichen Strukturen und Gegebenheiten“55 stehen.
Werner arbeitet drei unterschiedliche Formen von „Asymmetrien“56 heraus, welche zur Beschreibung von Kulturtransferprozessen dienen können:
Zeitliche Symmetrien57 bauen laut Werner auf dem Gegensatz von kulturellen Langzeitparadigmen und chronologisch rasch aufeinander folgenden Konjunkturen auf.“58 Daraus geht hervor, dass die Analyse und
Interpretation des Kulturtransfers die „verschiedenen Größenordnungen
von historischer Zeit“ berücksichtigen muss:
„Beschränkt sie (die Interpretation, G.F.) sich allein auf die Abfolge der
geistesgeschichtlichen Konjunkturen, so bleibt sie gewissermaßen an der
Oberfläche der Ereignisse, die sie in keinen strukturellen Zusammenhang
zu bringen vermag. Verlagert sie die Analyse auf die paradigmatische
53
54
55
56
57
58
Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid.2008, S.131.
Siehe hierzu: Michael Werner: Maßstab und Untersuchungsebene, in: Lothar Jordan/
Bernd Kortländer: Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Studien zum Kulturund Wissenschaftstransfer in Europa, Tübingen 1995. Hier: S.20-33. Und: Michael Werner: Dissymmetrien und symmetrische Modellbildungen in der Forschung zum Kulturtransfer. In: Hans-Jürgen Lüsebrink/Reichardt (Hg.), Rolf, Band 9.1 der DeutschFranzösischen Kulturbibliothek. Leipzig 1997, S.87-102.
Michael Werner: Maßstab und Untersuchungsebene, ibid. S.20.
Lüsebrink, ibid. Interkulturelle Kommunikation, 2008, ibid. S.131.
Lüsebrink, ibid. Interkulturelle Kommunikation, 2008, ibid. S.131.
Michael Werner: Maßstab und Untersuchungsebene, in: Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Studien zum Kultur – und Wissenschaftstransfer in Europa, Lothar
Jordan und Bernd Kortländer, Tübingen 1995; S.20-33. Hier: S.20-21.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
27
Ebene gegensätzlicher kultureller “Modelle“, so vermag sie die einzelnen
Transferprozesse als solche nicht mehr zu begründen. Erst in der Verbindung der beiden Zeitebenen kann die Interpretation derartiger Rezeptionsvorgänge greifen.“59
Die zweite Form von räumlich-geographischen Asymmetrien bezeichnet laut
Werner Phänomene des „Kulturgefälles innerhalb eines kulturellen Raumes“60. Diese zweite topographische Ebene richtet den Blick auf regionale
Besonderheiten des Kulturtransfers. Aus kulturgeschichtlicher Sicht bieten sich hier laut Werner besonders „komparative Studien lokaler Gesellschaften an (was im gleichen Maße auf Kulturinstitute zutrifft, G.F.) “61,
welche belegen können, dass das „Beobachtungsobjekt Kulturtransfer den
Blick relativiert und dadurch eher die räumlichen Zwänge freizulegen vermag, die den Wandel kultureller Einstellungen mitbestimmen.“62 Mehrdimensionale Asymmetrien schließlich verbinden die beiden erst genannten
Parameter der zeitlichen und topografischen Asymmetrie.
Die Ausführungen Werners zu den verschiedenen Formen der Asymmetrie machen deutlich, dass eine Analyse des Kulturtransfers von den konzeptionellen Überlegungen deutscher AKP zu den Praktiken deutscher
Mittlerinstitutionen in Frankreich den unterschiedlichen Maßstäben von
Zeit und Raum Rechnung tragen muss. Nur eine Binnendifferenzierung,
welche den unterschiedlichen kulturellen Modellen der einzelnen Institute
im jeweiligen regionalen und historischen Kontext Rechnung trägt, kann
in einem zweiten Schritt dazu beitragen, Prozesse des Kulturtransfers auch
in den Kontext des europäischen Einigungsprozesses einzuordnen. Sie sind
somit, um mit den Worten Lüsebrinks zu sprechen, „zentraler Bestandteil
interkultureller Kommunikation und damit auch interkultureller Forschung.“63
59
60
61
62
63
Werner: Maßstab und Untersuchungsebene, ibid. S.23.
Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. 2008, S.131.
Werner: Maßstab und Untersuchungsebene, ibid. S.27.
Werner: Maßstab und Untersuchungsebene, ibid. S.27.
Hans-Jürgen Lüsebrink: Kulturtransfer - methodisches Modell und Anwendungsperspektiven, in: Ingeborg Tömmel: Europäische Integration als Prozess von Angleichung
und Differenzierung, Forschungen zur Europäischen Integration, Band 3, S.213-226. Hier:
S.223.
28
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
2. Von der Wiederaufnahme diplomatischer
Beziehungen bis zum Elyséevertrag
2.1 Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen
„Die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich
haben sich seit 1949 in steigendem Maße normalisiert. Sie sind aber noch
keineswegs so ausgebaut, wie es für zwei Nachbarländer, von denen die
Integration Europas abhängt, erforderlich wäre. Sollte es in Paris möglich
sein, auch auf diesem Gebiet eine Annäherung zu schaffen, so würde das
von Seiten der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, die seit Ihrem Bestehen die Pflege der kulturellen Beziehungen zu Frankreich als vordringlich betrachtet hat, dankbar begrüßt werden.“64
Das Schreiben des Kulturreferenten Frahne aus der deutschen Botschaft
in Paris an den ersten deutschen Leiter der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten in Bonn, Herbert Blankenhorn65, am 18. Oktober 1954 fasst
rückblickend das Ergebnis gouvernementaler kultureller Bemühungen
Deutschlands in Frankreich im Zeitraum von 1945-1954 trefflich zusammen: Fast ein Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkriegs und fünf Jahre
nach der Gründung der Bundesrepublik haben die Bemühungen um kulturellen Austausch auf offizieller Seite noch zu keinem Ergebnis geführt. Dennoch wird noch im selben Jahr, im Jahre 1954, das deutsch-französische
Kulturabkommen unterzeichnet werden.
Wie lässt sich diese sehr offensichtliche Diskrepanz zwischen den kritischen Aufzeichnungen des Kulturreferenten in Bezug auf die deutsch-französischen Kulturbeziehungen und der bevorstehenden Ratifizierung des
bilateralen Vertragswerks erklären? Rückblickend muss man zunächst hervorheben, dass die Wiederaufnahme offizieller deutscher Kulturbeziehungen zum französischen Nachbarn in den ersten Jahren nach 1945 vor allem
64
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn, B 90/ Band Nummer. 149/ Seite 74, Brief
von Kulturreferent Frahne an Herbert Blankenhorn, Bonn, den 18. Oktober 1954, Aufzeichnung, Betrifft: Kulturelle Beziehungen Deutschlands zu Frankreichs.
65 1951 wurde Herbert Blankenhorn Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen
Amtes unter Konrad Adenauer, Blankenhorn war Ende der 1920er Jahre in den Auswärtigen Dienst eingetreten, 1938 wurde er Mitglied der NSDAP. Siehe hierzu: Eckart Conze/
Norbert Frei/ Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit.
Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag,
München 2010. Siehe auch die Monographie von Birgit Ramscheid: Herbert Blankenhorn
(1904–1991). Adenauers außenpolitischer Berater, Düsseldorf 2006.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
29
durch eine Politik der kleinen Schritte geprägt war. Allen voran sollte zunächst ein partnerschaftliches Klima wiederhergestellt werden und das
Vertrauen der westlichen Nachbarn wiedergewonnen werden. Ein Vertrauen, welches man durch die Ausnutzung der auswärtigen Kulturpolitik
zu Propagandazwecken während des Naziregimes verloren hatte. Die Ereignisse während des Nationalsozialismus, als die auswärtige Kulturpolitik
als Kulturpropaganda missbraucht und das gesamte Gebiet der auswärtigen Kulturpolitik gleichgeschaltet worden war, überschatteten und erschwerten den Neuaufbau diplomatischer Beziehungen beträchtlich. Eine
Annäherung an Frankreich auf kulturpolitischer Ebene konnte nur durch
eine deutliche Abgrenzung vom Nationalsozialismus erreicht werden, was
gleichzeitig bedeutete, dass die in der nationalsozialistischen Ära abgebrochenen Kontakte nur sehr mühsam wieder aufgenommen werden
konnten. Zugleich wollte man diese Ziele nur in enger Rücksprache und in
Abhängigkeit mit den Siegermächten erreichen. Die wichtigsten Etappen
bis zu Deutschlands außenpolitischer Souveränität seien daher an dieser
Stelle kurz skizziert. Am 24. Mai 1949 trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Wenig später beriefen die Siegermächte an
Stelle der Militärgouverneure die Alliierten Kommissare: Die Vereinigten
Staaten ernannten am 18. Mai 1949 John Mc Cloy, Frankreich am 19. Mai
1949 André François-Poncet und Großbritannien am 1. Juni 1949 Brian
Robertson zum Kommissar. Ein Jahr später, auf der „Réunion Tripartite des
Affaires Etrangères“, welche unter Beteiligung der drei Siegermächte Amerika, Großbritannien und Frankreich am 19. September 1950 in New York
stattfand, gewährte man Deutschland einstimmig die Aufnahme offizieller
diplomatischer Beziehungen. Die Bundesregierung, unter Führung von
Konrad Adenauer, leitete unverzüglich die nötigen Schritte zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen ein: So wurde noch im gleichen Jahr
bei der „Verbindungsstelle des Bundeskanzleramts zur Alliierten Hohen
Kommission“ ein Kulturreferat geschaffen. Schon im Juli 1950 sandte Adenauer den Literaturwissenschaftler Wilhelm Hausenstein als ersten Vertreter der Bundesrepublik nach Frankreich, zunächst als Generalkonsul,
später als ersten deutschen Botschafter nach dem Zweiten Weltkrieg nach
Paris. Am 1. April 1951 entstand das neue Auswärtige Amt in Bonn, die Kulturabteilung begann ihre Arbeit im Jahre 1952.66 Man muss jedoch von Beginn an unterstreichen, dass die auswärtige Kulturpolitik der Regierung
66
Die Informationen wurden dem Werk von Viktoria Znined-Brand: Deutsche und französische Auswärtige Kulturpolitik entnommen, ibid. S.35.
30
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Adenauer keinesfalls denselben Rang hatte wie beim französischen Nachbarn, welcher auf eine lange - und vor allem ununterbrochene -Tradition
auswärtiger französischer Kulturpolitik zurückblicken konnte.
Dies hatte vor allem drei Gründe: Zunächst einmal stand für die deutsche
Regierung die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik im Vordergrund des Interesses deutscher Außenpolitik. Das Ziel Adenauers war es zunächst gewesen, die Bundesrepublik Deutschland militärisch in eine westeuropäische
Verteidigungsallianz und dann in die NATO zu integrieren, welche 1949 in
Washington gegründet worden war. Eine zweite Priorität war die Schaffung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Form einer politischen
Union. Hierzu Adenauer:
„Auf außenpolitischem Gebiet liegt unsere Linie fest. Sie richtet sich in erster Linie darauf, ein enges Verhältnis zu den Nachbarstaaten der westlichen Welt, insbesondere auch zu den Vereinigten Staaten herzustellen. Es
wird von uns mit aller Energie angestrebt werden, dass Deutschland so
rasch wie möglich als gleichberechtigtes und gleich verpflichtetes Mitglied
in die europäische Föderation aufgenommen wird.“67
Drittens war die Ausgangslage der Bundesrepublik für den kulturpolitischen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mit der der Siegermacht Frankreich vergleichbar: Konnte das Nachbarland Frankreich
bereits im Gründungsjahr der Bundesrepublik über ein Netzwerk von Kulturinstituten verfügen, so musste Deutschland dieses Netzwerk erst noch
aufbauen. Während Frankreich in dieser Phase weltweit seine Führungsrolle als „Kulturnation“ weiter entwickelte, hatte man jenseits des Rheins
verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen.
Es wäre jedoch falsch, diese Phase als „Neuanfang“ oder gar als „Stunde
Null“ zu bezeichnen. So verweist Otto Singer68 richtig darauf, dass in den
Nachkriegsjahren seitens der Bundesregierung an bereits vorhandene Or67
Konrad Adenauer, zitiert nach Robert Picht: Deutsch-französische Beziehungen. Politik Geschichte - Kultur. Hagen 1984, S.68.
68 Otto Singer: Auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Unter: http://www.kulturwirtschaft.de/kulturpolitik/wp-content/uploads/2007/07/2003_10_22_kulturpolitikparlament.pdf.
Zugriff am 18.06.2012.
Dazu weiter: „Was vom wilhelminischen Kaiserreich und der Weimarer Republik schrittweise unter dem seit 1913 geltenden Namen „Auswärtige Kulturpolitik“ aufgebaut worden war (vor allem die Förderung deutscher Schulen und deutscher Minderheiten im
Ausland und der Hochschul- und Wissenschaftsaustausch), wurde jedoch während der
Zeit des Nationalsozialismus weitgehend zerstört. In der Weimarer Republik ging es
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
31
ganisationsstrukturen angeknüpft wurde, was jedoch zu Lasten einer konzeptionellen und inhaltlichen Arbeit ging: „Es war vor allem eine institutionelle Reorganisation der Vorkriegs-Institutionen, während eine
grundsätzliche programmatische und konzeptionelle Grundlegung zunächst ausblieb“69. Die Übersicht 1 fasst die Wiederherstellung der institutionellen Infrastruktur und die Wiederanknüpfung an bewährte
Mittlerorganisationen im Dienst des Auswärtigen Amtes nach den Angaben von Singer zusammen und verweist auf die Tatsache, dass nach der
Gründung der Bundesrepublik - mit Ausnahme der Deutschen Welle, welche erst 1953 gegründet wurde - die auch heute noch wirkenden, wichtigsten offiziellen Mittlerorganisationen der Bundesrepublik, in den ersten
vier Jahren der Nachkriegszeit neu gegründet wurden:
Quelle:
Eigene Darstellung, erstellt nach Angaben von Otto Singer70
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Des Weiteren entwickelte die Bundesregierung in diesem Zeitraum jene
darum, mit Hilfe der Kultur die Wiederaufnahme Deutschlands in die internationale Völkergemeinschaft voranzutreiben und an die Legitimation Deutschlands als Kulturstaat
anzuknüpfen. Hierfür hatte sich das Außenministerium bereits 1920 eine Kulturabteilung geschaffen; diese besaß eine außerhalb des Ministeriums angesiedelte Organisation,
zu der schon damals die Vorgängerorganisationen des Instituts für Auslandsbeziehungen, des DAAD und des Goethe-Instituts sowie der Alexander von Humboldt-Stiftung gehörten.“ Ibid. S.6.
69 Otto Singer: Auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, ibid. S.6.
70 Otto Singer: Auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. In: http://www.kulturwirtschaft.de/kulturpolitik/wp-content/uploads/2007/07/2003_10_22_kulturpolitikparlament.pdf. Zugriff
am 18.06.2012.
#
32
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
zwei Prinzipien, welche auch heute noch für die Auslandsarbeit der Mittlerinstitutionen ihre Gültigkeit haben: das Delegationsprinzip, welches den
eigenständigen Mittlerorganisationen vor Ort die Exekutive deutscher Auswärtiger Kulturpolitik überträgt und zum zweiten das Prinzip der Dezentralisierung, welche einem Kulturmonopol einer dominierenden Institution
im Ausland entgegenwirken sollte.71
Vorausschickend kann man bereits an dieser Stelle unserer Ausführungen
feststellen, dass im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg die Pflege
der außenkulturpolitischen Beziehungen nicht über erste Ansätze hinausgekommen ist. Dies wird auch auf das 1954 unterzeichnete, erste deutschfranzösische Kulturabkommen zutreffen. Diese These stützt eine
Aufzeichnung von Ministerialdirigent von Trützler, Leiter der Kulturabteilung im Jahre 1955, in der es heißt:
„Im Inland waren dringendste soziale und wirtschaftliche Probleme zu
bewältigen, die Beschränkungen des Besatzungsstatuts konnten nur
schrittweise abgebaut werden, die Herstellung zunächst konsularischer,
dann diplomatischer Beziehungen zu den Staaten der freien Welt nahm
erhebliche Zeit in Anspruch. Auch erforderte die Wiedereinfügung
Deutschlands in die Staatengemeinschaft schon aus psychologischen
Gründen ein behutsames Vorgehen, eine aufdringliche deutsche Kulturoffensive wäre damals gewiss auf Ablehnung gestoßen und hätte mehr
Schaden als Nutzen gestiftet. Es war daher richtig, dass in dieser Vorbereitungszeit sehr behutsam vorgegangen worden ist und dass unsere kulturpolitische Tätigkeit weniger in eigener Initiative als in dem Aufgreifen
fremder Anregungen und vorsichtiger Unterstützung privater Bestrebungen bestand.“72
Es ist daher lohnenswert, einen kurzen regard croisé auf privates, d.h. zivilgesellschaftliches Engagement in Deutschland in dieser Phase zu werfen, welches der deutsch-französischen Annäherung diente. So hatte
beispielsweise das Ludwigsburger Deutsch-Französische Institut (DFI)
seine Arbeit bereits in den 1950er Jahren aufgenommen. Bei der offiziellen
Eröffnungsrede (1949) des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigs-
71
Diese Prinzipien sind insbesondere in den Arbeiten von Hans Arnold untersucht worden:
Hans Arnold: Auswärtige Kulturpolitik, ein Überblick aus deutscher Sicht, München1980.
72 PA-AA: Aufzeichnung von Ministerialdirigent von Trützschler, Leiter der Kulturabteilung,
30.11.1955, 600/80.20/l: Kulturpolitik, Kulturrecht und Kulturverwaltung - Allgemeines.
Hier: Deutsche Außenpolitik.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
33
burg grenzte sich der Institutsgründer und Direktor (von 1948-1979) Carlo
Schmid deutlich von der zu Propagandazwecken ausgenutzten Auswärtigen Kulturpolitik der Nationalsozialisten ab. Seine Worte sind dabei ebenso
offen wie selbstkritisch, wenn er unterstreicht, wie „wie dumm sich (…) in
der Krise hüben und drüben Menschen aufgeführt [haben], die sehr tief in
diesen kulturellen Beziehungen gestanden haben.“73 Und weiter:
„Kulturelle Beziehungen müssen, wenn sie wirklich kulturelle Beziehungen sein sollen, zweckfrei sein, also ohne politische Absicht geführt werden. In dem Augenblick, in dem eine politische Absicht einströmt,
werden sie zu Veranstaltungen der Propaganda (Hervorhebungen von
mir, G.F.), und was diese im Sinne der Tiefenwirkung taugt und was sie
nicht taugt, das haben wir erleben können […]. Man soll die kulturellen
Beziehungen um der Formung des Menschen und um der Steigerung des
Reichtums des Lebens willen fördern und immer wieder fördern - aber
man erwarte davon keine unmittelbare und in die tieferen Schichten der
Völkerseele und der Völkerschicksale dringende Wirkung.“74
Wenn Schmid hier von „keiner unmittelbaren Wirkung“ von Kulturpolitik
spricht, so stand diese Vorstellung von Kulturpolitik im diametralen Gegensatz zur zweckorientierten Propagandapolitik der Nationalsozialisten.
Zugleich gab der große Mittler zwischen Frankreich und Deutschland hier
bereits im Gründungsjahr der Bundesrepublik eine Definition deutscher
Kulturpolitik vor, wie sie der politischen Konzeption der freiheitlich-demokratischen Gesinnung der jungen Republik entsprach: Auswärtige Kulturpolitik sollte zweckfrei, nicht unmittelbar wirksam und charakterbildend
sein. Auch deutete diese Definition bereits die größte Schwierigkeit einer
Evaluation von Kulturpolitik im Allgemeinen an: Ihr Erfolg, ihr Eindringen
ist nicht unmittelbar messbar, sondern sie zeigt ihre Wirkung erst über
einen längeren Zeitraum hinaus. Auch wenn Carlo Schmid an dieser Stelle
seine theoretischen Überlegungen zur Gestaltung der kulturellen Beziehungen nicht weiter ausführt, spricht das Institutsprogramm im Gründungsjahr für sich. Eine Auswertung der Vorträge75 lässt unter anderem zwei
Schwerpunkte erkennen: Zum einen wurde ein sorgfältiges Gleichgewicht
73
Carlo Schmid: Deutschland und Frankreich. Vortrag anlässlich der Institutseröffnung. In:
Hans Manfred Bock, Projekt deutsch-französische Verständigung, Die Rolle der Zivilgesellschaft am Beispiel des Deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, Opladen 1998.
S.129-135, ibid. S.129.
74 Hans Manfred Bock: Projekt deutsch-französische Verständigung, ibid. S.129.
34
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
zwischen französischen, deutschen und anderen europäischen Akteuren
angestrebt, was die europäische Öffnung und den Schwerpunkt des interkulturellen Austauschs der kulturellen Programmarbeit des DFI der Anfangsjahre unterstreicht. Zum anderen waren die Vorträge im gleichen
Maße literaturwissenschaftlichen und politischen Themen gewidmet, was
schon früh die Bemühungen um einen erweiterten Kulturbegriff erkennen
lässt. Das Auswärtige Amt wird diese Praxis innovativer kultureller Programmarbeit erst Jahrzehnte später in seinen Konzepten berücksichtigen.
75
SCHMID, Carlo (Staatsrat Prof. Dr. / Präsident des DFI): „Was ist das dt.-frz. Problem
heute, 12. Februar 1949, VERMELL, Edmond (Professeur à la Sorbonne): „Das Comité
Français d’ échanges avec l’Allemagne Nouvelle und die dt.-frz. Beziehungen“, 12. Februar 1949, WILHELM, Julius (Prof. Dr. / Ordinarius für Romanistik an der Uni Tübingen)
„André Gide, 23.März 1949, WEINERT, Hermann Karl (Dr. / Dozent an der Uni Tübingen): „Einführung in J. P. Sartres Theater,6.April 1949, CHEVAL, René J. (Prof. / Lyon):
„Jean Giraudoux und Deutschland“, 1. Mai 1949, WEINERT, Hermann Karl (Dr. / Dozent
an der Uni Tübingen): „Jean Paul Sartre“, 18. Mai 1949, WEINERT, Hermann Karl (Dr. /
Dozent an der Uni Tübingen): „Paul Claudel und die christliche Dichtung“, 1. Juni 1949,
GROSSER, Alfred (Agrégé de l’Université/ Generalsekretär des „Comité Français
d’Echanges avec l’Allemagne Nouvelle“ in Paris): „Aussprache über dt.-frz. Fragen „, 1 1.
Juni 1949, FINET, Albert (Pasteur / Direktor der Wochenzeitung „Réforme“): „La situation
de l‘Eglise Protestante de France „ (in frz. Sprache), 16. Juni 1949, WAIS, Kurt (Prof. Dr.):
„Henry de Montherlant „, 29. Juni 1949, FRENAY, Henri (ehemaliger frz. Minister, fahrendes Mitglied des „Comité Français d’Echanges avec l’Allemagne Nouvelle“, Président
du Comité Central der UEF) und von SCHENCK, Emst (Dr. / Leiter des Deutschlandausschusses der UEF, Schweizer Schriftsteller): „Deutschland und das werdende Europa“,
Ludwigsburger „Ratskeller“, 8. Juli 1949, WEINERT, Hermann Karl (Dr. / Dozent an der
Uni Tübingen): „Georges Bernanos, François Mauriac u.a. „, 13. Juli 1949, Mlle DILHAN
(Lektorin): „La vie en France“, 21. September 1949, MINDER, Robert (Prof. Germanist an
der Uni Nancy): „Das Deutschlandbild im heutigen Frankreich (in dt. Sprache), 27. September 1949, SCHNIEWIND, Otto (Dr. / Vorsitzender des Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau und Schwedischer Generalkonsul): „Wirtschaftliche Möglichkeiten
zwischen Deutschland und Frankreich „, 22. November 1949, LAURET, René (außenpolitischer Redakteur „Le Monde“): „Die dt.-frz. Beziehungen“ (in dt. Sprache), 19. Dezember 1949.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
35
2.2.1 Auf dem Weg zum ersten bilateralen
Kulturabkommen 1954
Bis in die Mitte der 1950er Jahre hinein wird man in den Dokumenten der
Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes noch eine deutliche Unsicherheit
und Zurückhaltung ablesen können, wie man die offizielle Kulturarbeit im
Nachbarland Frankreich aufzunehmen hatte, da durch die lange Besatzungszeit vor allem beim französischen Nachbarn das Misstrauen gegenüber deutscher Staatspropaganda besonders stark ausgeprägt war. Auf der
anderen Seite lagen dem Auswärtigen Amt schon früh durch seine Auslandsvertretungen in Frankreich Informationen vor, dass auch in Frankreich ein ungedeckter Bedarf an der Kultur des Nachbarn bestand. So
verzeichneten Anfang der 1950er Jahre fast alle Auslandsvertretungen ein
großes Interesse für deutsche Kulturarbeit und wünschten „engen Kontakt
mit der deutschen Kultur, vor allem auf dem Gebiet der Musik, des Theaters, der Kunstausstellungen, der Buchproduktion usw.“76 Insbesondere
die deutschen Kulturdiplomaten sahen zunehmend auch die Notwendigkeit, die zahlreichen privaten Initiativen auf kulturellem Sektor zu offizialisieren. So arbeitete Ulrich Lappenküper77 heraus, dass Adenauer auf
Anraten seines Bonner Kulturreferenten Salat bereits in den frühen 1950er
Jahren - also noch im Vorfeld der Unterzeichnung des EGKS-Vertrages in
Paris - beabsichtigt hatte, einen „Traité Culturel“, ein erstes Kulturabkommen mit Frankreich, ausarbeiten zu lassen. Neben der Offizialisierung der
zivilgesellschaftlichen Initiativen ging es Deutschland vor allem darum, eine
Annäherung im kulturellen Sektor mit dem französischen Nachbarn herbeizuführen. In einer Stellungnahme Salats aus dem Jahre 1952 heißt es:
„Die Bundesrepublik hat besondere Gründe, sich in den Kreis der Länder
einzureihen, die ihre kulturelle Zusammenarbeit durch den Abschluss
eines formellen Abkommens zu bekräftigen wünschen: Fast alle deutschen Kulturinstitute im Ausland sind dem Krieg und seinen Nachwirkungen zum Opfer gefallen; die deutschen Auslandsschulen sind erst
allmählich im Aufbau begriffen, die deutsche Sprache ist aus dem Lehrplan vieler Länder fast vollkommen verschwunden, die deutsche Buchund Kulturfilmproduktion der letzten Jahre ist im Ausland fast unbekannt“78
76
Zitiert nach Viktoria Znined-Brand, Deutsche und französische Auswärtige Kulturpolitik,
ibid. S.35.
77 Ulrich Lappenküper: Sprachlose Freundschaft ? Zur Genese des deutsch-französischen
Kulturabkommens vom 23. Oktober 1954, in: Lendemains 84 (1996), S.68.
78 Salat in Bulletin Nr. 79, 1952, S.15.
36
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Es ist an dieser Stelle für unsere Arbeit daher aus zwei Gründen von Interesse, kurz auf die Genese und den Text des ersten deutsch-französische
Kulturabkommens einzugehen: Zum einen lässt sich dabei exemplarisch aufzeigen, in welchen Punkten sich bereits in den frühen 1950er Jahren unüberbrückbare Divergenzen zwischen beiden Staaten herauskristallisierten,
die sich noch heute lähmend auf die deutsch-französischen Kulturbeziehungen auswirken. Zum anderen erlaubt eine Analyse des Vertragswerks von
1954, Rückschlüsse auf den Stellenwert der frühen deutschen Auswärtigen
Kulturpolitik im Rahmen der Außenpolitik zu ziehen.
Ulrich Lappenküper hat in seinem Aufsatz „Sprachlose Freundschaft? Zur
Genese des deutsch-französischen Kulturabkommens vom 23. Oktober
1954“79 darauf hingewiesen, dass das Abkommen bereits in den Jahren
1949/50 „gedanklich vorbereitet“80, jedoch erst fünf Jahre später ratifiziert wurde. Eine Bestandsaufnahme des Kulturreferenten Frahne der
deutschen Botschaft Paris in dieser Phase deutsch-französischen Austauschs gibt Auskunft darüber, woran die Unterzeichnung des Kulturabkommens zunächst scheiterte:
„Das seit weit über zwei Jahren im Stadium der Verhandlungen befindliche Kulturabkommen zwischen Deutschland und Frankreich ist bis auf
einen Punkt unterzeichnungsreif. Sein Zustandekommen ist bisher daran
gescheitert, dass Frankreich die Förderung des französischen Sprachunterrichts in der Bundesrepublik fordert, und zwar in der Form, dass die
Länder der Bundesrepublik die Möglichkeit erhalten, unmittelbar mit
Frankreich zu verhandeln. Hiergegen hat sich nicht nur das Auswärtige
Amt, sondern auch die Ständige Konferenz der Kultusminister ausgesprochen.“81
Auch Lappenküper führt die Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und
Frankreich auf die Fremdsprachenfrage und die Divergenzen zwischen
Bundeskulturkompetenz und Länderkompetenz zurück. Dies bedarf einer
kurzen Erklärung82: In Frankreich durften Schüler in den fünfziger Jahren
zwischen den Fremdsprachen Englisch und Deutsch wählen, während in
79
Ulrich Lappenküper: Sprachlose Freundschaft? Zur Genese des deutsch-französischen
Kulturabkommens vom 23. Oktober 1954, in: Lendemains 84, 21 (1996) Seite 67ff.
80 Lappenküper, Sprachlose Freundschaft?, ibid. S.68.
81 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn, B90/ Band Nummer 149/ Seite 74.
Brief von Kulturreferent Dr. Frahne an den Botschafter Blankenhorn, Bonn, den 18. Oktober 1954.
82 Lappenküper, Sprachlose Freundschaft?, ibid. S.68.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
37
Deutschland Englisch als erste Fremdsprache Pflicht war. Auf Wunsch
Frankreichs sollten die Bundesländer Französisch wahlweise als erste oder
als zweite Fremdsprache anbieten und diese Zielsetzung in den offiziellen
Vertragstext mit aufgenommen werden. Dies hätte bei einer Ratifizierung
auf Bundesebene jedoch bedeutet, dass Adenauer die Kulturhoheit der Länder nicht respektiert hätte. Der Artikel 7, in welchem die Sprachenfrage
verbindlich geregelt werden sollte, wurde so, laut Lappenküper, zur „Kardinalfrage der Vertragsverhandlungen.“83 Mehrfach wurde im Zeitraum
von 1952 bis 1954 an einem neuen Vertragsentwurf gearbeitet. Der Durchbruch gelang, so Lappenküper, erst während der Pariser Konferenz im
Jahre 1954, als Adenauer die Angelegenheit „zur Chefsache“ machte und
sich mit dem damaligen französischen Regierungschef Pierre Mendès
France einigte: „Am 19.10.1954 trug er (Adenauer, G.F.) in La Celle-Saint
Cloud einen kulturpolitischen Wunschzettel vor, dem Mendès France kommentarlos zustimmte.“84 Lappenküper verweist in seinen Ausführungen
richtig darauf, dass in der letzten Version des Vertrages schließlich der Passus über die Sprachregelung und die Sonderabkommen mit den Bundesländern fehlten.85 Er fügt an dieser Stelle sogar hinzu, dass sich die
Entwicklung zu Ungunsten der französischen Sprache in Deutschland ein
Jahr später sogar noch verschlimmerte: Durch das Düsseldorfer Abkommen vom 17.2.1955, welches die Kultusminister der Bundesländer verabschiedeten, legte man sich schließlich auf Englisch und nicht auf
Französisch als erste Fremdsprache fest. Erst im Änderungsabkommen
vom 14.10.1971 sollte auf Drängen Frankreichs jene heute gültige Änderung erfolgen, wonach auch andere moderne Sprachen, aber auch Latein als
erste Fremdsprache gelernt werden können. Lappenküper bewertet daher
abschließend die Ratifizierung des ersten deutsch-französischen Kulturabkommens und dem damit einhergehenden „Kompetenzstreit zwischen
Bund und Ländern“ als Beginn einer „sprachlosen Freundschaft“:
„Mag es auch keinen Anlass geben, von einer „sprachlosen Freundschaft“ zu
reden, so wurde das in den Verhandlungen zum deutsch-französischen
Kulturabkommen anvisierte Ziel einer faktischen Gleichberechtigung gegenüber dem Englischen trotz aller Aktionsprogramme, Willenserklärungen und Orientierungsrahmen bis auf den heutigen Tag nicht erreicht“86
83
84
85
86
Lappenküper, Sprachlose Freundschaft?, ibid. S.70.
Lappenküper, Sprachlose Freundschaft?, ibid. S.73.
Lappenküper, Sprachlose Freundschaft?, ibid. S.74.
Lappenküper, Sprachlose Freundschaft?, ibid. S.76.
38
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Im Bereich der Fremdsprachenpolitik musste das Ergebnis dieses ersten
deutsch-französischen Kulturabkommens besonders aus französischer
Sicht als Misserfolg angesehen werden, da man gerade in den Vorverhandlungen auf diesen Punkt besonderen Wert gelegt hatte. Vielleicht ist
dies einer der Gründe, warum – wie es Lappenküper zu Recht in seinen
Ausführungen anführt - „beiderseits des Rheins das allgemeine Echo nach
Unterzeichnung des Vertrages auffallend schwach ausfiel“87 und nur Adenauer, nicht aber Blankenhorn, François-Poncet oder Hausenstein den Kontrakt in seinen Erinnerungen für erwähnenswert hielt.88 So stellt zum
einen das erste bilaterale Vertragswerk aus dem Jahre 1954 zwischen
Deutschland und Frankreich einen wichtigen Meilenstein beider Länder in
der kulturpolitischen Verständigung dar - zum anderen blieb es insbesondere aufgrund der nicht geregelten Sprachenfrage weit hinter seinen
Möglichkeiten zurück. Die Debatte um die Entwicklung der jeweiligen Partnersprache wird jedoch in den kommenden Jahrzehnten die deutsch-französischen Kulturbeziehungen nachhaltig bestimmen.
87
88
Lappenküper, Sprachlose Freundschaft?ibid. S.74.
Konrad Adenauer: Erinnerungen 1953-1955, Stuttgart 1966, S.370 und S.382.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
39
2.2.2 Inhaltliche Schwerpunkte des Vertragswerks von 1954
In der Präambel des deutsch-französischen Kulturabkommens werden als
grundlegende Ziele zunächst eine „fruchtbare Zusammenarbeit“89 zwischen den beiden Ländern, sowie ein „gesteigerter Austausch“ im Hinblick
auf die Sicherung des Friedens und den gemeinsamen Bau eines vereinten
Europa genannt. Gleichmaßen wurde um „Verständnis für das Geistesleben
und die Kultur des Nachbarlandes“ geworben. Einer der Schwerpunkte des
Kontraktes war es, den Unterricht in der Sprache des Nachbarn zu fördern.
Zu diesem Zweck gab das Abkommen das Ziel vor, an Universitäten regelmäßig Lehrgänge in Sprache und Kultur des Nachbarlandes anzubieten
(Art. 1). Des Weiteren sollte die Sprache des Nachbarn als erste oder
zweite lebende Pflichtfremdsprache an Universitäten, Gymnasien, aber
auch an Fach-, Handels- und Gewerbeschulen zur Wahl gestellt (Art. 7) und
zusätzlich an Universitäten Ferienkurse eingerichtet werden (Art. 4). Ein
zweiter Schwerpunkt des Abkommens war die Intensivierung des Personenaustauschs im universitären, aber auch im außeruniversitären Bereich
(Art. 3), welche insbesondere durch Stipendien stimuliert werden sollte
(Art. 6). Um diese zusätzlich zu fördern, wurde der Abbau administrativer
Hindernisse nahegelegt (Art. 12). Ein besonderes Interesse wurde drittens
dem Jugendaustausch beigemessen (Art. 5).
Was die Förderung und Gründung deutsch-französischer kultureller Einrichtungen angeht, soll aufgrund der Bedeutung für unsere Untersuchungen, Artikel 9 in vollem Wortlaut zitiert werden:
„Die hohen vertragsschließenden Teile bemühen sich, zur besseren Kenntnis ihrer Kultur beizutragen, indem sie im anderen Lande Vorträge, Konzerte, Ausstellungen, Theateraufführungen und künstlerische Darbietungen
aller Art veranstalten sowie Bücher, Zeitschriften und andere kulturellen
Veröffentlichungen, musikalische Partituren, Schallplatten und Filme verbreiten. Ferner gewähren sie volle Unterstützung allen kulturellen Veranstaltungen, die von dem im Artikel 16 vorgesehenen Ausschuss
genehmigt sind, und fördern die Verbreitung der aus dem anderen Lande
stammenden Kulturgüter.“90
Der hierzu ergänzende Artikel 2 besagte lediglich, dass die kulturellen Einrichtungen
des Nachbarlandes im eigenen Land finanziell unterstützt werden sollten (Art. 2).
89
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Deutsch-Franzöisches Kulturabkommen vom 23. Oktober 1954. Unter http://www.zaoerv.de/16_1955_56/
16_1955_1_b_102_2_106.pdf , Zugriff am 18. 6.2012. Alle Zitate beziehen sich im Folgenden auf diese Quelle.
90 Vertrag 1954, ibid.
40
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
2.2.3 Bewertung des Kulturabkommens in Bezug auf den
Untersuchungsgegenstand
Zunächst einmal ist hervorzuheben, dass das erste bilaterale deutsch-französische Abkommen nicht mehr war als ein erster Rahmenvertrag zu den
deutsch-französischen Kulturbeziehungen und sich in den Wandlungsprozess deutsch-französischer Beziehungen der 1950er Jahre integriert. Für
Rainer Hudemann und Hélène Miard-Delacroix lässt sich dieser deutschfranzösische Wandlungsprozess der 1950er Jahre91 vor allem durch das
Konzept des rapprochement beschreiben, wobei sie drei unterschiedliche
Bedeutungsebenen der Annäherung aufzeigen: erstens rapprochement als
völkerrechtliche Lösung für das deutsch-französische Verhältnis. Zu dieser
Form des rapprochement zählen Hudemann und Miard-Delacroix „Verträge
mit hohem Symbolgehalt“92, zu welchem sie unter anderem auch die vertragliche Lösung in der Saarfrage zählen. Zweitens sehen sie in dieser Phase
deutsch-französischer Beziehungen auch die „Annäherung beider Staaten
auch als Form von Konvergenz.“93 Im diesem Sinn verstehen sie unter rapprochement auch den Willen zu einer neuen Art von Beziehung, „als politischen Wille, sei es als Wirkung der Verankerung einer neuen Art von
Beziehung auf veränderten juristischen Grundlagen.“94 Die letzte Form des
rapprochement ist für die Autoren eine Entwicklung hin zu einer „größeren
Ähnlichkeit der Partner“, im Sinne einer „Angleichung“95. Vor dem Hintergrund dieses von Hudemann und Miard-Delacroix entwickelten Konzeptes stellte das Vertragswerk vom 23. Oktober 1954 ohne Zweifel sowohl
einen völkerrechtlichen als auch diplomatischen Erfolg dar, da das erste
bilaterale Vertragswerk im Sinne der ersten Definition (rapprochement als
völkerrechtliche Lösung) einen hohen Symbolgehalt für beide Nationen
hatte. Im gleichen Sinne bekundeten beide Nationen durch die Ratifizierung auch ihren Wunsch, eine neue Qualität und Ära der kulturellen Beziehungen zu erzielen, wobei Deutschland sicherlich auch das Ziel verfolgte,
mittelfristig eine Angleichung der institutionellen Infrastruktur von Kulturinstituten zu erreichen.
Betrachtet man den Inhalt des Vertrages jedoch genauer, so wird schnell
deutlich, dass dieser – insbesondere im Vergleich zum neun Jahre später
91
92
93
94
95
Hélène Miard-Delacroix/ Rainer Hudemann (Hg.): Deutsch-französische Wandlungsprozesse in den 1950er Jahren, In: Hélène Miard-Delacroix/ Rainer Hudemann: Wandel und
Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre, München 2005.
Hier: S.13-27.
Hélène Miard-Delacroix, Rainer Hudemann, ibid. S.14.
Hélène Miard-Delacroix, Rainer Hudemann, ibid. S.14.
Hélène Miard-Delacroix, Rainer Hudemann, ibid. S.14.
Hélène Miard-Delacroix, Rainer Hudemann, ibid. S.14.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
41
ratifizierten Elyséevertrag - weder eine klare Struktur, noch eine klare Priorisierung der gemeinsamen Ziele deutsch-französischer Kulturbeziehungen
erkennen lässt. Die gemeinsamen Absichtserklärungen im Kulturabkommen
sind dabei ebenso zahlreich wie unstrukturiert. Der Mangel an Struktur des
Vertrages lässt den Eindruck entstehen, dass es sich in vielen Paragraphen
eher um vage Orientierungshilfen handelt, als um bindende Zielvorgaben.
Dieser Eindruck wird noch durch eine semantische Analyse gestützt: In
acht der sechzehn Artikel (§ 1, §7, §8, §9, §10, §12, §13, §15), das heißt der
Hälfte des Vertragswerks, dominieren Verben der Willensäußerung das
Abkommen: die hohen Vertragsabschließenden Teile bemühen sich (§ 1),
tragen soweit irgend möglich Sorge (§7), tragen dafür Sorge (§10, §13), erleichtern, soweit irgend möglich (§11), sind bestrebt (§12, §15), verpflichten
sich, darauf hinzuarbeiten (§8). Entschlüsse wurden nicht getroffen. In den
weiteren Artikeln dominiert das Schlüsselwort „Förderung“, so etwa in den
Bereichen der Gründung kultureller Einrichtungen (§2), des Austausches
(§2), der Einrichtung von Ferienkursen (§3) und der Zusammenarbeit der
Jugendverbände (§4). Es fehlt jedoch ein konkreter und verbindlicher Maßnahmenkatalog, wie diese Ziele umgesetzt werden sollen. So hätte man beispielsweise unter Artikel 2, „den kulturellen Einrichtungen des Nachbarlandes“
ein klares Mandat erteilen können, wie der institutionelle Aufbau eines Netzwerks von Kulturinstituten vollzogen werden sollte. Dies hätte sicherlich zu
einer frühen Aufwertung kultureller Programmarbeit in beiden Ländern
beigetragen. So verfestigt sich das Bild, dass Form, Struktur und Inhalt des
ersten deutsch-französischen Kulturabkommens vor allem die zögerliche
und kleinschrittige deutsche Auswärtige Kulturpolitik jener Anfangsphase
widerspiegelten. Zieht man in Betracht, dass diesem Kulturabkommen nur
geringe Aufmerksamkeit geschenkt wurde und zeitgleich im Elyséepalast
die Pariser Verträge ausgehandelt wurden, welche Deutschland den Beitritt zur WEU und zur NATO sichern sollten, wird erneut deutlich, welche
untergeordnete Rolle der deutschen auswärtigen Kulturpolitik damals
trotz beiderseitiger Willensbekundungen zukam. Die Auswärtige Kulturpolitik blieb trotz der Unterzeichnung des ersten bilateralen Vertragswerkes im kulturellen Bereich Vehikel der Außenpolitik, was nicht zuletzt
durch den unverbindlichen Charakter des Vertrages deutlich wird. Corine
Defrance geht daher in ihrer Analyse zu Genese und Bedeutung des deutschfranzösischen Kulturvertrags sogar soweit, das Vertragswerk rückblickend
als „Phyrrussieg“96 diplomatischer Bemühungen zu bezeichnen. In ihren
96
Corine Defrance: Les relations culturelles franco-allemandes dans les années cinquante,
acteurs et structures des échanges, in: Hélène Miard-Delacroix/ Rainer Hudemann: Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre, München
2005. Hier: S.241-255.
42
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Untersuchungen zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen der
fünfziger Jahre stellt Defrance sogar die These auf, dass trotz dieser „Verstaatlichung“ der Kultur, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und Frankreich im Kulturbereich nach 1954 paradoxerweise
in eine Phase des Stillstandes eintrat, welche erst zu Beginn der 60er Jahre
endete:
„[…] Cet accord constitue un tournant paradoxal dans les relations culturelles bilatérales. En effet, sa signature est en soi un succès diplomatique
et politique pour la RFA, mais marque en même temps le début d’une traversée du désert dans la coopération culturelle au niveau intergouvernemental.“97
Defrance stützt sich dabei in ihrer Argumentation auf die Tatsache, dass
sich bekanntlich ein Jahr später die Ministerpräsidenten der Länder in
Bezug auf die Sprachenfrage bei der Unterzeichnung des Düsseldorfer Abkommens am 17. Februar 1955 für die englische und nicht die französische Sprache als erste Fremdsprache an deutschen Schulen ausgesprochen
hatten. An dieser Stelle zitiert Defrance einen Brief Alfred Grossers, welcher in seiner Funktion als Mitglied der Vereinigung „Comité francais
d’échanges avec l’Allemagne nouvelle“ an die deutsche Botschaft in Paris im
Jahre 1955 seine große Enttäuschung in Bezug auf das Düsseldorfer Abkommen zum Ausdruck gebracht hatte:
„C’est que tout le travail que nous avons entrepris depuis la création de
notre comité, en 1948, se trouve remis en question. […] Que ceux qui,
comme nous ont cherché à œuvrer utilement, efficacement, loyalement,
et j’ose dire, courageusement pour la clarification des rapports franco-allemands, se trouvent depuis le 17 février non seulement en face de difficultés nouvelles, mais devant la tentation de tout abandonner après une
telle manifestation d’un mauvais vouloir ou du moins de totale incompréhension du côté allemand.”98
Festzuhalten bleibt dennoch die große Aktualität der inhaltlichen Schwerpunkte des 1954 unterzeichneten deutsch-französischen Kulturvertrags,
97
98
Corine Defrance: Les relations culturelles franco-allemandes, ibid. S.247.
PA/AA, B90-600, Band 202, Brief von Alfred Grosser an Paul Frank, am 26 Februar 1955.
Zitiert nach Defrance, Les relations culturelles franco-allemandes, ibid. S.248.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
43
da auch im weiteren Verlauf der deutsch-französischen Kulturbeziehungen insbesondere Fragen der Sprachvermittlung, des kulturellen Austauschs und der Anerkennung von Studienleistungen im Brennpunkt der
zwischenstaatlichen Bemühungen stehen werden. Dies wird nicht zuletzt
anhand des Artikels 13 deutlich, worin sich beide Länder dazu bekennen,
dafür Sorge tragen zu wollen, „dass in allen Zweigen des Unterrichtswesens die Fragen, die den anderen Teil betreffen, mit größter Sachlichkeit
dargestellt werden, und dass aus den Lehrbüchern, insbesondere den Geschichtsbüchern, jede Bewertung entfernt wird, die durch ihren emotionalen Charakter dem guten Einvernehmen zwischen den beiden Völkern
schaden könnte.“ Die Herausgabe eines gemeinsamen deutsch-französischen Geschichtsbuches wird einer der wichtigsten Herausforderungen der
deutsch-französischen Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik im Zeitraum von 2006 bis 2012 darstellen (siehe Kapitel 3).
44
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
2.3 Die Entwicklung der institutionellen Infrastruktur
zwischen den Verträgen von 1954 und 1963
Am 23. Oktober 1954 wurde das Vertragspaket der sogenannten Pariser
Verträge in Paris unterzeichnet. Durch die Unterzeichnung der Pariser Verträge, welche am 27. Februar 1955 durch den Bundestag ratifiziert wurden und am 5. Mai 1955 in Kraft traten, wurde der Besatzungsstatus
Deutschlands aufgehoben und Deutschland die Souveränität verliehen. Zugleich erzielte Adenauer mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur WEU und
zur NATO in jeweils eigenen Verträgen auf politischer Ebene eine gleichberechtigte Eingliederung Deutschlands in das westliche Staatenbündnis.
Außerdem wurde im Rahmen der Pariser Verträge zwischen Deutschland
und Frankreich noch das Saarstatut ausgehandelt, welches die politische
Autonomie und die wirtschaftliche Anbindung der Region an Frankreich
sicherte. Der deutsch-französische Streit über das Saarland wurde damit
beendet. Die wirtschaftliche Entwicklung der jungen Republik zum Wirtschaftswunderland - sie hatte sich nach den USA und insbesondere durch
deren Hilfe in Gestalt des Marschall-Plans zur zweitstärksten Exportnation
der Welt entwickelt - ließ in Frankreich auch ein Umdenken in der Auswärtigen Kulturpolitik erwarten. Frankreich erhöhte auch den Druck auf
die deutsche Kulturdiplomatie, „von der Rolle des Nehmenden in die Rolle
des Gebenden“ überzugehen:
„Die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik hat dazu geführt,
dass wir aus der Rolle des Nehmenden in die Rolle des Gebenden gedrängt
werden. Unsere Exportergebnisse, unsere öffentlichen Ausgaben haben
den Eindruck des deutschen Wirtschaftswunders geschaffen. Es ist daher
verständlich, dass man sich heute vom Ausland her an uns um Hilfe und
Unterstützung wendet. Das gilt gerade auch für den kulturellen Bereich.
Es wird ganz allgemein eine stärkere kulturpolitische Aktivität von uns
erwartet. Eine solche aktive Kulturpolitik erscheint eine wesentliche Voraussetzung für die Konsolidierung unserer politischen Stellung in der
freien Welt.“99
Das deutsche Engagement kam in Frankreich jedoch in dieser Phase nur
sehr schleppend in Gang: Obwohl Frankreich in Deutschland bis zum Jahr
1962 die Zahl der Kulturinstitute auf 17 erhöhte und dort zu demselben
99
PA-AA: Aufzeichnung von Ministerialdirigent von Trützschler, Leiter der Kulturabteilung,
30. 11. 1955, 600/80.20/1.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
45
Zeitpunkt etwa 60 deutsch-französische Gesellschaften bestanden, nahmen
die ersten Goethe-Institute in Frankreich erst in den sechziger Jahren ihre
Arbeit auf.100 Und auch diese Maßnahmen waren - wie sich im folgenden
Kapitel zeigen wird - nicht ausschließlich auf gouvernementale auswärtige
Planungsstrategien zurückführen, sondern zum größten Teil auf offiziöse
Bemühungen. In diesem Sinne stand die Praxis deutscher auswärtiger Kulturpolitik im klaren Gegensatz zu den gegenseitigen willentlichen Bekundungen des Kontraktes aus dem Jahre 1954.
Bereits im Jahre 1952 hatte der erste von Adenauer entsandte deutsche
Botschafter in Paris, Herbert Blankenhorn, sein Amt angetreten. Sein Vermerk zur Ausweitung der kulturellen Arbeit in Frankreich aus dem Jahre
1962 spiegelt die kulturellen Bemühungen Deutschlands in Frankreich acht
Jahre nach Unterzeichnung des ersten deutsch-französischen Vertragswerkes (selbst-) kritisch wider:
„Als Folge des guten politischen Verhältnisses zwischen Frankreich und
Deutschland nimmt das französische Interesse an einem verstärkten Austausch auf kulturellem Gebiet immer mehr zu. Die Botschaft wie auch die
Konsulate sind einerseits aus Mangel an Personal oder wegen sachlicher
Unzulänglichkeiten andererseits nicht in der Lage, den vielseitigen Wünschen auch nur annähernd zu entsprechen, bzw. bestehende Möglichkeiten für verstärkte kulturelle Tätigkeit zu nutzen. Französischerseits
beobachtet man diese verhältnismäßig geringe Aktivität umso verständnisloser, als bekanntlich Frankreich in der Bundesrepublik 17 zum Teil
sehr große Kulturinstitute bzw. Centres d’Etudes unterhält und darüber
hinaus etwa 60 Deutsch - Französische Gesellschaften bestehen. Das französische Interesse aufzufangen und zu entwickeln erscheint mir nunmehr
besonders unter dem Gesichtspunkt einer Stabilisierung des deutsch-französischen Verhältnisses unaufschiebbar.“101
Fast ein Jahrzehnt nach Unterzeichnung des Pariser Vertragswerks hatten
sich die Vorzeichen in der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik immer
noch nicht geändert: Während sich die allgemeinpolitische Lage zwischen
Deutschland und Frankreich positiv entwickelt hatte, wurden die deutschfranzösischen Kulturbeziehungen immer noch vernachlässigt. Diese Vor100
Bis in die 1950er Jahre hinein hielt dieses Ungleichgewicht zwischen Deutschland und
Frankreich an. Dann setzten sich Mittlerpersönlichkeiten wie Jean du Riveau für erste
deutsche Kulturprojekte in Frankreich nach dem Krieg ein.
101 PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich: Vermerk von Botschafter
Blankenhorn, 11. 1. 1962, Betreff: Ausweitung der Kulturellen Arbeit in Frankreich.
46
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
gehensweise stieß, wie oben gesehen, vor allem in der Pariser Botschaft
auf Kritik, die die zögerliche Haltung des Auswärtigen Amtes nicht immer
nachvollziehen konnte. Man erwartete, dass sich das Auswärtige Amt von
nun an neben der wirtschaftlichen und politischen Kooperation auch im
kulturellen Bereich mehr engagierte. In einer der Botschaft vorliegenden,
vertraulichen Quelle wurde dieser Mangel sogar als „politischer Fehler“ geahndet und verurteilt. Der Passivität des Auswärtigen Amtes wurde hier
das Engagement einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Einzelaktionen
gegenübergestellt:
„Das Gefühl für die Notwendigkeit eines politischen Zusammenstehens
entwickelt sich indessen immer mehr. Es ist der Anlass zu unzähligen, in
ihrer Gesamtheit schon sehr bedeutsamen Einzelaktionen (Städte-, Universitäts-, Schul-, Verbands- und Vereinspartnerschaften) und aus ihnen
entwickelt sich, ist die Bundesrepublik erst einmal präsent, ein alle Erwartungen übertreffendes Interesse am vergangenem und ganz besonders am gegenwärtigen deutschen Geistesleben. Es wurde immer wieder
festgestellt, dass breite interessierte französische Kreise wie amtliche Stellen die kulturelle Inaktivität der Bundesrepublik in Frankreich nicht nur
nicht begreifen, sondern sie in Anbetracht der politischen Annäherung
beider Völker als einen politischen Fehler betrachten.“102
Auch im Auswärtigen Amt schien man sich im Zeitraum zwischen den Verträgen zusehends der Bedeutung offiziöser Initiativen für den deutsch-französischen Kulturaustausch bewusst zu werden. Uneinig war man sich
jedoch noch in Bezug auf die genaue Vorgehensweise. Aufzeichnungen von
Blankenhorn belegen, dass von der deutschen Botschaft in Paris im Jahre
1962, ein Jahr vor Unterzeichnung des Elyséevertrages noch immer kein
tragbares, strategisches Konzept für die Vorgehensweise in Frankreich erarbeitet worden war. Die intensivste Vorarbeit auf kulturellem Gebiet
wurde bis dato im Wesentlichen von zwei deutschen Goethe-Instituten in
Lille und Marseille103, vor allem aber mit Hilfe einer Vielzahl deutsch-französischer oder ähnlicher Vereinigungen geleistet. Auch die Investitionen
des „Wirtschaftswunderlands“ im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik
hielten sich so sehr in Grenzen, dass im Nachbarland Frankreich ein Bild
der Macht- und Interessenlosigkeit entstehen musste:
102
PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich: Vermerk von Botschafter
Blankenhorn, 11. 1. 1962, Betreff: Ausweitung der Kulturellen Arbeit in Frankreich.
103 Zur Gründung der einzelnen Kulturinstitute: siehe folgendes Kapitel.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
47
(…) uns [werden] deswegen zum Teil harte Vorwürfe gemacht (…). Den
Einwand, es stünden uns nur beschränkt Mittel zur Verfügung, ließ man
nicht gelten: was sich Frankreich in Deutschland leisten könne, nämlich
mehr als 15 Kulturinstitute, das könne sich auch unser Wirtschaftswunderland leisten.“104
Dennoch befand sich das Auswärtige Amt nach wie vor in einem Dilemma:
17 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und acht Jahre nach der Wiederaufnahme der offiziellen Kulturbeziehungen durch das deutsch-französische Kulturabkommen musste Deutschland immer noch vermeiden,
durch seine Kulturpolitik den Verdacht einer Kulturpropaganda aufkommen zu lassen, denn „alle französischen Kreise, auch die uns gegenüber aufgeschlossenen, reagier[t]en in dieser Hinsicht äußerst empfindlich.“105 Das
Dilemma zwischen einer zu aufdringlichen Außendarstellung, was leicht
als Propaganda hätte aufgenommen werden können und einer passiven
Wartehaltung, welche vom Partner als Vernachlässigung und Desinteresse
interpretiert wurde, ließ die Bemühungen deutscher auswärtiger Kulturpolitik in einen Zustand der Lethargie verfallen. Einen Erklärungsansatz
für diese zurückhaltende gouvernementale Haltung liefert die Untersuchung Lüsebrinks, welcher in seinem Aufsatz „Perzeption des Partners in
Frankreich und in der Bundesrepublik“106 auf „Kontinuitätslinien und Brüche“ der Frankreich- und Deutschlandperzeption in den 1950er Jahren aufzeigt. In Bezug auf die sozialen und kulturellen Beziehungen Frankreichs
und Deutschlands stellt Lüsebrink für diesen Zeitabschnitt die These auf,
dass nach wie vor
„stereotype Vorstellungsmuster in breitenwirksamen, populären Medien
dominier(t)en, ebenso wie bis zum Beginn der 1960er Jahre Meinungsumfragen sehr klar die Fortdauer der alten Feindbilder in der Bevölkerung erkennen ließen, während sie in der Elitenkultur aufgrund des seit
den 1950er Jahren zwischen Deutschland und Frankreich intensivierten
Kultur- und Wissenstransfers deutlich weniger präsent sind .“107
104
PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich, 8. Februar 1962, Bericht
über meine Reise nach Bonn und Paris vom 25. Januar bis 4. Februar 1962.
Der Programmdirektor Eckart Petrich an Dieter Sattler und Richard Wolf, Leiter des Goethe-Instituts München.
105 PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich, ibid.
106 Hans-Jürgen Lüsebrink: Perzeption des Partners in Frankreich und in der Bundesrepublik,
Kontinuitätslinien und Brüche seit den 1950er Jahren, in: Hélène Miard-Delacroix, Rainer
Hudemann: Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger
Jahre, München 2005, S.223-240.
107 Hans-Jürgen Lüsebrink: Perzeption des Partners in Frankreich und in der Bundesrepublik,
ibid. S.229.
48
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Aus Blankenhorns Aufzeichnungen zu Beginn der 1960er Jahre geht indes
auch hervor, mit welcher Strategie der mögliche Aufbau eines infrastrukturellen Netzwerkes erfolgen sollte. Zum einen sollte das staatliche Engagement im Hintergrund bleiben, um den Verdacht einer Kulturpropaganda
zu vermeiden, auf der anderen Seite zivilgesellschaftliches Engagement gefördert werden:
„Angesichts des bereits erwähnten, noch weit verbreiteten Misstrauens
sollte das staatliche Element in der Kulturarbeit möglichst weit zurücktreten (Hervorhebung von mir, G.F.). Die Erfahrungen haben andererseits
gezeigt, dass mit der Unterstützung örtlicher deutsch-französischer oder
gar europäischer Organisationen allein, das uns vorschwebende Ziel nicht
oder nur in sehr bescheidenem Rahmen erreicht wird. Ein Erfolg auf
Dauer wird schon wegen der zu leistenden sachlichen Arbeit nur durch
die Einrichtung von Zweigstellen des Goethe-Instituts erreicht werden
können.“108
Die hier explizit genannten offiziösen Verbindungen unterschiedlichster
Couleur zwischen Instituten, Gesellschaften, Gemeinden, Universitäten und
Schulen waren zwar bis zu diesem Zeitpunkt im Auswärtigen Amt aktenkundig geworden, fanden aber weder die gebührende Beachtung, noch die
erforderliche finanzielle Unterstützung. Ein durch das Auswärtige Amt im
Jahre 1962 erstellter Lagebericht zu den wichtigsten deutschen Kulturzentren in Frankreich spricht gerade in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache:
So erschien das in Marseille im Entstehen begriffene Kulturzentrum in den
Akten des Amtes als unzulänglicher Bibliothek.“ Bei dieser Sachlage sei es
„dringend geboten, so bald wie möglich eine würdigere größere Unterkunft
zu finden.“109 Aus Sicht der Botschaft war auch in Bordeaux war die Situation
„sehr wenig erfreulich“110, denn der dortige Cercle Franco-Allemand erfasste „keineswegs die gewünschten Kreise, nicht einmal die Germanisten
der Universität“111. In Nancy steckten die bisherigen deutschen Bemühungen noch in den Anfängen. Angesprochen wurden hier „hauptsächlich
kleinere Kreise, während zu den gebildeteren, an deutscher Kulturarbeit
108
PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich ohne Datum (1962).
Auch zitiert in Brand, ibid. S.102, Betr. Ausweitung der Kulturarbeit in Frankreich.
109 PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich ohne Datum (1962).
Auch zitiert in Brand, ibid. Seite 102, Betr. Ausweitung der Kulturarbeit in Frankreich,
auch die folgenden Angaben über weitere Kulturinstitute beziehen sich auf diese Quelle.
110 PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich ohne Datum (1962), ibid.
111 PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich ohne Datum (1962), ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
49
interessierten Kreisen, selbst den Germanisten und Assistenten, jeder Kontakt fehlt.“112 „Die weitaus intensivste und lebhafteste kulturelle Tätigkeit“
hatte bisher die Zweigstelle des Goethe-Instituts113 in Lille entwickelt. Aus
der Beschreibung der einzelnen Institute und Cercles Franco-Allemands
lässt sich erstmals eine Strategie der Vorgehensweise des Auswärtigen
Amtes kommender Jahre ableiten: Das Auswärtige Amt wollte zunächst in
einem ersten Schritt an jenen Orten kulturpolitische Akzente setzen, wo
erste zivilgesellschaftliche Initiativen auf eine positive Resonanz seitens
des französischen Partners gestoßen waren und wo bereits „anzuerkennende Aktivitäten“ stattfanden. Das Amt baute somit bewusst auf der Vorarbeit offiziöser Initiativen auf. Zweitens sollte die Kulturarbeit zum Nutzen
der Bundesregierung weiter ausgebaut werden und verfolgte vorrangig repräsentative Zwecke. Sie diente zudem der Netzwerkbildung mit Multiplikatoren in bildungselitären Kreisen. Schließlich sollte die Auswärtige
Kulturpolitik staatlich lenkbar und kontrollierbar bleiben. Diese Strategie
wurde bis zum Vorabend des Elyséevertrags verfolgt.
112
113
PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich ohne Datum (1962), ibid.
PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich ohne Datum (1962), ibid.
50
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
2.4 Der Elyséevertrag im Rahmen der
deutsch-französischen Kulturbeziehungen
Insbesondere von gouvernementaler Seite wird das Vertragswerk aus dem
Jahre 1963 regelmäßig als wichtigster Meilenstein deutsch-französischer
Annäherung und Besieglung der deutsch-französischen Versöhnung bewertet.114 Kein zweites bilaterales Abkommen zelebriert die Bundesrepublik heute mit dergleichen Feierlichkeiten. Gleiches gilt für Frankreich. Dies
wird auch am 22. Januar 2013 der Fall sein, wenn man gemeinsam mit
Frankreich am „Deutsch-Französischen Tag“ dem 50-jährigen Bestehen des
Kontraktes gedenkt.
Über das bilaterale Vertragswerk ist viel geschrieben worden. Insbesondere im Vorfeld „runder Geburtstage“ untersuchen Wissenschaftler unterschiedlichster Wissenschaftsdisziplinen immer wieder aufs Neue die
Bedeutung des Vertrags in Bezug auf den weiteren Verlauf deutsch-französischer Beziehungen. Im Rahmen unserer Untersuchungen ist insbesondere die Relevanz des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages für
die bilateralen Kulturbeziehungen von Interesse. Dabei sollen die Untersuchungen vor allem folgenden drei Fragestellungen nachgehen: Welche
Bedeutung kann dem offiziellen Vertragswerk in Bezug auf zivilgesellschaftliches Engagement beigemessen werden? Welche Beachtung findet
die kulturelle Zusammenarbeit im Freundschaftsvertrag? Und schließlich:
Welche Impulse gingen von dem Vertragswerk aus dem Jahre 1963 auf die
weitere Gestaltung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen aus?
Was die Beantwortung der ersten Frage angeht, liegt mit den von Corine de
France und Ulrich Pfeil herausgegebenen historischen Studien Der ElyséeVertrag und die deutsch - französischen Beziehungen 1945-1963-2003 ein
Standardwerk vor, welches anhand einer Reihe von kritischen Beiträgen
der Frage nachgeht, ob der Elyséevertrag nach wie vor als „Ziel und Startpunkt der deutsch-französischen Beziehungen“115 angesehen werden
kann. Noch Victoria Znined-Brand stellte in ihrem Kapitel zum „deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag 1963“116 fest, dass Adenauer und de
Gaulle durch die Unterzeichnung des Elyséevertrages „die Grundlage für
114
„Wir werden die Versöhnung zwischen den beiden Völkern feierlich besiegeln.“ Angebliches Zitat von Charles de Gaulle, in: Alain Peyrefitte: C’était de Gaulle, Bd. 1: „La France redevient la France“ Paris 1994, S.153, In: Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der Elysée - Vertrag
und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.29.
115 Vorwort von Claudie Haigneré und Peter Müller, Zitiert nach: Corine Defrance/ Ulrich
Pfeil: Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003,
ibid. S.7.
116 Znined-Brand, ibid. S.103-107.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
51
eine enge deutsch-französische Partnerschaft leg(t)en, durch die die
deutsch-französische Aussöhnung „besiegelt wurde.“117 Defrance und Pfeil
hinterfragen in ihrer Eingangsanalyse118 zum Elyséevertrag diese weitläufig verbreitete Ansicht. Sie kommen im Gegensatz zu Znined-Brand zu
dem Schluss, dass „Versöhnung und Freundschaft zwischen Menschen […]
sich nicht von oben besiegeln lassen, sondern auf Vertrauen basieren, das
nur durch Interaktion gebildet und gesichert werden kann.“119 Für Defrance und Pfeil ist daher Versöhnung auch kein Zustand, sondern ein „in
politischer und gesellschaftlicher Perspektive (...) interaktiver Prozess.“120
Dieser Prozess, so die Autoren weiter, sei „ein permanent unabgeschlossener Prozess, der auch in Zukunft täglicher Pflege bedarf.“121 In ihrer weiteren Argumentation widersprechen Defrance und Pfeil daher auch
folgerichtig der These, dass Adenauer und de Gaulle in persona den Anfang
dieses Versöhnungsprozesses darstellten. Auch Hans Manfred Bock hatte
in diesem Sinne zuvor bereits dazu aufgefordert, die „fable convenue“ zu revidieren, dass am Anfang der deutsch-französischen Kooperation der Wille
zweier Staatsmänner, nämlich Adenauer und de Gaulle, gestanden
habe.“122 Für Defrance und Pfeil ist daher auch unstrittig, dass unter anderem zivilgesellschaftliche Mittlerpersönlichkeiten – sie zitieren an dieser
Stelle Jean du Riveau, Joseph Rovan, und nicht zuletzt Alfred Grosser - als
eigentliche „Schlepper“123 des deutsch-französischen Aussöhnungsgedankens bezeichnet werden sollten (Die Thesen von Defrance, Pfeil und Bock
werden auch durch das folgende Kapitel gestützt werden, in welchem anhand einer Reihe von Beispielen zivilgesellschaftlichen Engagements aufgezeigt wird, welchen Beitrag einzelne Mittlerpersönlichkeiten für den
Prozess der Versöhnung und somit für die Weiterentwicklung der deutschfranzösischen Kulturbeziehungen geleistet haben).
117
118
119
120
121
122
123
Znined-Brand, ibid. S.103.
„Die Versöhnung besiegeln“ (S.28), „Am Anfang waren Adenauer und de Gaulle“ (S.31),
„Am Anfang war der Vertrag?“ (S.36). In: Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.9-46.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil (Hg.): Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen
Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.30.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil (Hg.): Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.30.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil (Hg.): Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen
Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.43.
Hans Manfred Bock, gesellschaftliche Neubegründung interkulturellen Austauschs. Zur
Vorgeschichte und Struktur des Deutsch-Französischen Jugendwerks 1949-1963, in: Lendemains, 27 (2002) S.139- 145, Hier:141, zitiert nach: Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der
Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.32.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil (Hg): Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.35.
52
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Für unsere Untersuchung ist, wie bereits angekündigt, zweitens die Frage
von Interesse, in welchem Maße im Freundschaftsvertrag die deutsch-französischen Kulturbeziehungen berücksichtigt wurden. Zunächst einmal ist
frappierend, dass das Wort „Kultur“ im Programmteil des Vertragstextes
nicht einmal vorkommt,124 was umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt,
dass André Malraux seit vier Jahren (ab 1959) französischer Kulturminister war. In einer „Bilan de la coopération franco-allemande en 1963“125
sehen Corine Defrance und Ulrich Pfeil die Verantwortung für diese „Leerstelle“ des Kontraktes auf französischer Seite. Sie nennen an dieser Stelle
zwei Gründe:
„La responsabilité en revient largement à la partie française qui, dans son
mémorandum du 19 septembre 1962, avait exclusivement mentionné
l’éducation et la jeunesse. La partie allemande (...) suggéra d’inclure des
échanges artistiques et littéraires (...).“126
Als zweiten Grund führen Defrance und Pfeil ein interministerielles Kompetenzgerangel zwischen dem französischen Kulturministerium und dem
Außenministerium an: „Aussi, le Quai d’Orsay tenait à maintenir la rue de
Valois à l’écart des négociations bilatérales avec la république fédérale et
à affirmer son influence exclusive en ne mentionnant pas la culture dans le
traité.“127 Unsere vorangegangenen Untersuchungen haben jedoch auch
weitere Ursachen für die geringe Beachtung der Culture im Freundschaftsvertrag herausgearbeitet: Sowohl der diffuse Aufbau eines Netzwerks deutscher Kulturinstitute, als auch der Mangel an einer klaren
Konzeption deutscher Kulturarbeit in Frankreich seitens des Auswärtigen
Amtes waren sicherlich ebenso ausschlaggebend dafür, dass das Vertragswerk von 1954 in Bezug auf die kulturelle Programmarbeit im Vertrag von
1963 inhaltlich und strategisch kaum weiterentwickelt wurde. Somit führten auch die Verfehlungen der deutschen Kulturdiplomatie dazu, dass die
Kultur im Freundschaftsvertrag nicht mehr Beachtung fand.
124
Darauf verweist auch Corine Defrance in ihrem Aufsatz „Warum ist die Kultur nicht Gegenstand des Elysée-Vertrages?“ In: Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der Elysée-Vertrag
und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, München 2005, S.197- 215.
125 Bilan de la coopération franco-allemande en 1963“, 6. Kapitel des Werks von Corine Defrance und Ulrich Pfeil (Hg) : „Entre guerre froide et intégration européenne, Reconstruction et rapprochement 1945-1963, Villeneuve d’Asq, 2012. S.113-130.
126 Corine Defrance/ Ulrich Pfeil, Bilan de la coopération franco-allemande, ibid. S.125.
127 Corine Defrance/ Ulrich Pfeil, Bilan de la coopération franco-allemande, ibid. S.126.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
53
Dennoch wurden unter dem Titel „Erziehungs- und Jugendfragen“ im Teil
C des Vertrages128 indirekt kulturelle Themenschwerpunkte aufgegriffen,
die jedoch schnell zusammengefasst werden können: Die inhaltlichen Aspekte
der Erziehungs- und Jugendfragen betrafen im einzelnen den Fremdsprachenunterricht, Schulzeiten und Studienäquivalenzen, Forschungskooperationen/wissenschaftliche Zusammenarbeit und schließlich die Gründung des
deutsch-französischen Jugendwerks. Analog zum ersten deutsch-französischen Kulturabkommen fällt aus heutiger Sicht zunächst die Aktualität der
Themenschwerpunkte ins Auge. Zweitens waren die Bereiche Fremdsprachenunterricht, Studienäquivalenzen und Forschungskooperationen bereits Gegenstand des ersten bilateralen Abkommens gewesen. Anstatt
jedoch auf den Ergebnissen dieses ersten deutschen Kulturabkommens
aufzubauen und in einem zweiten Vertragswerk die deutsch-französischen
Kulturbeziehungen konzeptuell und strukturell weiter zu entwickeln und
verbindliche Regelungen zu treffen, verwies man im Freundschaftsvertrag
lediglich darauf, dass das 1954 ratifizierte Kulturabkommen immer noch
seine Gültigkeit besaß. So blieben auch im Freundschaftsvertrag des Jahres
1963 wichtige Themen des deutsch-französischen Kulturaustauschs wie
beispielsweise der Ausbau des Netzwerks kultureller Einrichtungen, die
Bedeutung kultureller Programmarbeit für den Spracherwerb sowie die
Verbreitung von Büchern, Zeitschriften und anderen kulturellen Veröffentlichungen, ungeregelt.
Es stellt sich also abschließend die Frage, warum „ein scheinbar so mediokres Vertragswerk“ (Defrance/Pfeil)129 dennoch so nachhaltige Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der bilateralen Beziehungen zwischen
Deutschland und Frankreich hatte. Auch Alfred Grosser sieht den Elyséevertrag keineswegs „als Geburtsstunde eines neuen deutsch-französischen
Geistes“ an, da dieser „nichts geschaffen und nichts geregelt“130 hatte.
Rückblickend wird neben der aus dem Vertrag hervorgehenden Gründung
des Deutsch-Französischen Jugendwerks, insbesondere der Verdienst des
Elyséevertrages gewürdigt, „den bilateralen Beziehungen zwischen
Deutschland und Frankreich einen institutionellen Rahmen gegeben zu
haben.“131 Dieser wurde insbesondere durch die „organisatorischen“
128
Das Vertragswerk ist in drei Bereiche, so genannte „Bestimmungen“ gegliedert: I. Organisation, II. Programm, III. Schlussbestimmungen.
129 Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.41.
130 Zitiert nach: Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der Elysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945-1963-2003, ibid. S.37.
131 Znined-Brand, ibid. S.103.
54
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Bestimmungen im ersten Teil des Elyséevertrages geregelt, welche bekanntlich die regelmäßigen Treffen der Staats - und Regierungschefs, der
Außenminister, der Verteidigungsminister, der Bundesminister für Familien- und Jugendfragen, sowie der Generalstabschefs beider Staaten vorsieht. Dabei kommt - im Rahmen der alle drei Monate stattfindenden
Treffen - den Außenministern beider Länder die Aufgabe zu, die politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten ihres Landes zu vertreten.132 Von Defrance, Pfeil und Znined-Brand133 wird dem Elyséevertrag
vor allem die Funktion eines Katalysators auch für die zivilgesellschaftlichen Beziehungen zugesprochen, da dieser „den verschiedenen Formen
des bilateralen Austauschs neue Impulse gab.“134 Diese These lässt sich
zum einen durch den exponentiellen Anstieg deutsch-französischer Städtepartnerschaften in den frühen 1960er Jahren135, zum anderen auch
durch die Aufhebung „struktureller Ungleichgewichte und Asymmetrien“136 im institutionellen Bereich stützen. So wurde insbesondere in den
1960er Jahren intensiv der Aufbau eines Netzwerkes von Goethe-Instituten
in Frankreich betrieben.
Auf die Höhe der Zuwendungsmittel durch das Auswärtige Amt wirkte sich
der Elyséevertrag jedoch nicht aus. In einem Schreiben an die bundesdeutsche Botschaft in Paris hieß es ein Jahr nach der Unterzeichnung des
Elyséevertrages: „Die Kürzung der Mittel des Kulturetats des Auswärtigen
Amtes für das Rechnungsjahr 1964 gestattet leider nicht, irgendwelche
neuen Kulturinstitute in Frankreich zu errichten.“137 Das folgende Kapitel
wird sich daher eingehend mit den Entstehungsgeschichten und Konstituierungsbedingungen einzelner deutscher Kulturinstitute in Frankreich befassen und dabei aufzeigen, dass insbesondere von der deutsch-französischen
Zivilgesellschaft bereits in den späten 1950er Jahren institutionelle Modelle
des deutsch-französischen Kulturaustauschs entwickelt wurden, welche
noch heute Bestand haben.
132
133
134
135
136
137
Man beachte, dass hier der kulturelle Sektor gleichrangig wie Wirtschaft und Politik betrachtet wird.
„Dennoch belebte und koordinierte der deutsch-französische Freundschaftsvertrag sowohl auf Regierungsebene als auch bei den Kulturverantwortlichen diejenigen Maßnahmen, die schon im Kulturabkommen von 1954 vorgesehen waren.“ In: Znined-Brand, ibid.
S.107.
Corine Defrance,/Ulrich Pfeil: Elysée-Vertrag, ibid. S.42.
Siehe hierzu auch: Corine Defrance: Les premiers jumelages franco-allemands, 19501963. In: Lendemains 84, (1996), S. 83 ff.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der Elysée-Vertrag, ibid. S.42.
Corine Defrance/ Ulrich Pfeil: Der Elysée-Vertrag, ibid. S.42.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
2.5 Die Gründung erster deutscher Kulturinstitute auf
französischem Boden
55
In einem Zeitraum von knapp 10 Jahren (1956-1966) wurden in Frankreich die ersten deutschen Kulturinstitute gegründet: das Goethe-Institut
(1962) und das Heinrich-Heine Haus (1956) in Paris, das erste GoetheInstitut in Lille (1956) und schließlich das Heidelberg-Haus in Montpellier
(1966).
Warum sind gerade die Entstehungsgeschichten dieser Institutionen für
die Fragestellung von exemplarischem Interesse? Jedes der Institute verkörpert heute einen unterschiedlichen Typus eines Deutschland-Hauses in
Frankreich. Schon ihre unterschiedliche Namensgebung lässt vermuten,
dass bei deren Grundsteinlegung unterschiedliche Konzepte, aber auch divergierende Strategien zur Gestaltung kultureller Programmarbeit im
Nachbarland vorlagen. Ihre Konstituierungsbedingungen weisen daher
höchst unterschiedliche Wege auf. Zwei dieser in den 1960er bzw. Anfang
der 1970er Jahren gegründeten Institute werden später Modellcharakter
für die Eröffnung weiterer deutscher Kulturinstitute im Nachbarland
haben. So spielt beispielsweise das „Modell Montpellier“ bei der späteren
Gründung der Kulturinstitute von Dijon, Nantes, Aix-en-Provence und Brest
eine entscheidende Rolle und verdient schon aus diesem Grund eine genauere Betrachtung. Das Goethe-Institut in Lille war Vorreiter für die später in Marseille, Nancy, Toulouse, Lyon und Bordeaux gegründeten Institute
gleichen Namens. Schließlich lassen die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten zweier Deutschlandlandhäuser in Paris Rückschlüsse zu, unter
welchen Konstituierungsbedingungen die Aufnahme kultureller Programarbeit in der französischen Hauptstadt stattfand.
Im Rahmen der Theorie des Kulturtransfers wird in diesem Kapitel vor allem
den Fragen nachgegangen werden, an welchen Schnittflächen zwischen
transnationalen Kommunikationsnetzen diese deutschen Kulturinstitute entstanden sind, weiter, ob die zivilgesellschaftlichen Austauschvorgänge gesellschaftlicher Akteure der staatlichen Steuerung vorangingen - oder vice
versa - und zuletzt, wie sich diese unterschiedlichen Bemühungen ergänzten. Am Ende der Kapitel wird in Form einer Bilanz versucht, gemeinsame
Konstanten dieser unterschiedlichen Entstehungsgeschichten aufzuzeigen.
In Bezug auf unsere Studie ist zunächst festzuhalten, dass in drei Fällen
(dies betrifft das Heinrich-Heine Haus und die Goethe-Institute in Paris
und Lille) bereits auf wissenschaftliche Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte zurückgegriffen werden kann, während zur Entstehungsgeschichte des Heidelberg- Hauses in Montpellier bisher noch keine Studie
vorliegt.
56
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
2.5.1 Die Gründung der Maison d’Allemagne in Paris im
Jahre 1956 als exemplarisches Beispiel für den Erfolg
offiziöser Bemühungen.
„Cette création marque une date importante dans l’histoire des relations de
nos deux pays. Il faut entendre ce mot de „relations“ dans son sens le plus
large. Qu’au bout des trente ans qui se sont écoulés depuis la fondation de la
Cité Universitaire, un pavillon allemand s’élève à côté de ceux que plus de
vingt nations y sont construits peut paraître, en soi, un fait secondaire. C’est,
cependant la preuve non équivoque qu’un trop long chapitre de l’histoire
franco-allemande a pris fin, qu’un chapitre nouveau a commencé.“138
Als André François-Poncet diese Worte im Jahre 1953 auf die Informationsplakette für die Stifter des Deutschland-Hauses in der Cité Universitaire setzen ließ, bestand für ihn kein Zweifel daran, dass die
deutsch-französischen Kulturbeziehungen mit der Grundsteinlegung dieses ersten deutschen Kulturinstituts in Paris in ein neues Zeitalter eintraten. Dennoch hatte man seit der Gründung der Cité Universitaire de Paris
(CUP) am Boulevard Jourdan im Jahre 1925 fast drei Jahrzehnte lang auf
diesen Moment gewartet. Die Entstehungsgeschichte der späteren Maison
Heinrich Heine wurde unter anderen von Ulrich Lappenküper139 und Hans
Manfred Bock140 in wissenschaftlichen Untersuchungen nachgezeichnet.
Sie ist dabei für Bock „Spiegelbild der deutsch-französischen Konfliktsituationen“ und „Exempel für die Durchsetzungsfähigkeit einer zivilgesellschaftlichen Idee im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik.“141 Es kann
an dieser Stelle daher nicht das Ziel sein, alle Etappen der Grundsteinlegung des Deutschland-Hauses nachzuzeichnen, da den umfassenden Untersuchungen von Bock und Lappenküper nichts hinzuzufügen ist;
stattdessen sollen wichtige Konstituierungskriterien der Entstehungsgeschichte des Deutschland-Hauses herausgearbeitet werden.
138
In: Martin Raether (Hg): Maison Heinrich Heine, Quarante ans de présence culturelle,
Paris 1998, S.10.
139 Ulrich Lapenküpper: Ein „Mittelpunkt deutscher Kulturarbeit“: das deutsche Haus in der
Cité Universitaire de Paris (1950-1956), in: Ulrich Pfeil (Hg.): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Hier: S.257-279.
140 Hans Manfred Bock: Der lange Weg zum Deutschland Haus in der Cité Universitaire in
Paris. Ein sozio-kulturelles Projekt im deutsch-französischen Spannungsfeld. In: Martin
Raether (Hg): Maison Heinrich Heine, Quarante ans de présence culturelle, Bonn, Paris
1998, Hier: S.65-103.
141 Bock, Der lange Weg zum Deutschland Haus, ibid. S.68.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
57
Ein erster Gesichtspunkt war die bereits angesprochene große Zeitspanne,
die zur Verwirklichung des Projektes führte. So legte Bock in seinen Ausführungen überzeugend dar, dass der „lange Weg zum Deutschland-Haus
in der Cité Universitaire in Paris“142 bereits Ende der zwanziger Jahre
(1927) begann, als das Vertragswerk von Locarno (1925) „nahezu alle Initiativen und Projekte inspirierte, die auf eine Verbesserung der deutschfranzösischen Beziehungen gerade im sozio-kulturellen Bereich zielten.“143
Laut Bock setzte der 1925 in Locarno unterzeichnete Vertrag in der deutschen und französischen Zivilgesellschaft „noch mehr Energien frei für die
Wiederaufnahme konstruktiver Beziehungen zwischen beiden Nationen,
als in der Diplomatie.“144
Das frühe zivilgesellschaftliche Engagement für die Eröffnung eines deutschen Instituts im Herzen der Cité Universitaire war eine weitere grundlegende Komponente für die erfolgreiche Realisierung des Projekts. So ist
laut Lappenküper zunächst einmal die Idee des deutschen Hauses auf zivilgesellschaftliches Engagement zurückzuführen, denn „in den frühen Jahren ihres Bestehens ging die Initiative für die Errichtung der Häuser in der
CUP meist von nicht gouvernementaler Seite aus.“145 Dies war auch beim
Deutschland-Haus der Fall. Bocks Untersuchungen belegen – um nur ein
Beispiel zu nennen - dass auf deutscher Seite, am 10. September 1952 in
Frankfurt am Main, die Stiftung „Deutsches Haus in der Cité Universitaire
in Paris“ ins Leben gerufen wurde, um durch private Unterstützung den
Bau des Gebäudes zu finanzieren und nicht zuletzt, um die Rolle des
„Schrittmachers“146 für das Projekt zu übernehmen. Dass sich dabei insbesondere eine Gruppe von Mittlern aus dem Hochschulbereich für das
Projekt engagierte, war ein weiteres Kennzeichen der Entstehungsgeschichte des Deutschland-Hauses. In dem Fall des Heinrich-Heine-Hauses
zählten zu dieser Gruppe insbesondere Rektoren der Universitäten Tübingen, Mainz und Frankfurt. Auf die Bedeutung universitärer Mittler beim
Konstituierungsprozess deutscher Institute hat zuletzt auch Ulrich Pfeil
hingewiesen. Für Ulrich Pfeil diente diese Nutzung der Wissenschaftsbe142
Hans Manfred Bock: Der lange Weg zum Deutschland Haus in der Cité Universitaire in
Paris. Ein sozio-kulturelles Projekt im deutsch-französischen Spannungsfeld. In: Martin
Raether (Hg): Maison Heinrich Heine, Quarante ans de présence culturelle, Bonn, Paris
1998.
143 Bock, Der lange Weg zum Deutschland Haus, ibid. S.67.
144 Bock, Der lange Weg zum Deutschland Haus, ibid. S.67.
145 In: Ulrich Pfeil (Hg.): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20.
Jahrhundert, Hier: Ulrich Lapenküpper, Ein „Mittelpunkt deutscher Kulturarbeit“, das
deutsche Haus in der Cité Universitaire de Paris (1950-1956), S.57-279.
146 Bock, Der lange Weg zum Deutschland Haus in der Cité Universitaire in Paris, ibid. S.77.
58
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
ziehungen für die Neu- und Wiederbegründung deutscher Auslandsinstitute dazu, „neues Vertrauen bei den Nachbarn zu gewinnen und die politische Emanzipation der Bundesrepublik voranzutreiben.“147 Die deutschen
zivilgesellschaftlichen Initiativen führten in der Regel dann zum Erfolg,
wenn diese im Dialog mit französischen Mittlerpersönlichkeiten umgesetzt
wurden. Im Falle des Deutschland-Hauses war es insbesondere dem anfangs
zitierten André François-Poncet zu verdanken, dass das Projekt umgesetzt
wurde. Die wichtigste „Weichenstellung“ (Bock) für die Realisierung des
Deutschland-Hauses sah Bock daher auch in einem Wechsel in der Direktion
der Cité begründet, als sich nämlich Ende Juni 1951 der zuvor in der Bundesrepublik amtierende französische Hochkommissar für das Präsidentenamt der Fondation Nationale der CUP bewarb und dieses Amt
schließlich nach erfolgreicher Benennung am 14. Januar 1952 auch antrat.
François-Poncet war Schüler des Germanisten Henri Lichtenberger und
nicht zuletzt wegen seines Germanistikstudiums an der Ecole Normale Supérieure ein großer Deutschlandkenner; vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatte François-Poncet von 1931 bis 1938 als Botschafter in Berlin
gearbeitet, in den Nachkriegsjahren wurde er persönlicher Berater von Außenminister Robert Schuman, der ihn im Dezember 1948 mit allen
Deutschland betreffenden Angelegenheiten betraute.148
Ein weiteres Charakteristikum der Konstituierungsgeschichte des Deutschland-Hauses war auch das frühe finanzielle Engagement auf französischer
Seite für das Projekt. Bock verweist in seinen Ausführungen auf die Tatsache, dass François-Poncet in seiner Funktion als Hochkommissar bereits
im Dezember 1950 die Summe von 500 000 DM als französischen Beitrag
für die Errichtung eines Deutschland-Hauses zur Verfügung gestellt hatte.
Es ist also zu betonen, dass somit „die weitestgehende Vorleistung“149 für
eine Errichtung des Hauses in dieser Phase von französischer Seite kam.
Diese Offerte der Hohen Kommission konnte auf deutscher Seite nur als
klares kulturpolitisches Signal gewertet werden. Abschließend ist noch
hervorzuheben, dass sich die offiziellen Kulturbeziehungen zwischen
Deutschland und Frankreich phasenweise sogar als lähmend für die Grün147
Ulrich Pfeil (Hg.): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20.
Jahrhundert, hier: Ulrich Pfeil: Das Deutsche Historische Institut Paris, ibid. S.281- 308.
Hier: S.306.
148 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, übernahm Poncet nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges als Hochkommissar und somit als oberster Repräsentant Frankreichs die
Umsetzungen französischer Deutschlandpolitik.
149 Lappenküper: Stätte der Begegnung, Heimstatt der Versöhnung und der Eintracht zwischen den Völkern: Die Gründung des deutschen Hauses in der Cité Universitaire de Paris
(1950-1956), S.131- 158. Hier: S.134.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
59
dung des Deutschland-Hauses herausstellten. Auf diese Tatsache verweisen
sowohl die Untersuchungen von Bock als auch die von Lappenküper, welcher das Deutsche Haus im Zeitraum von 1951 bis 1952 „als Spielball der
großen Politik“150 ansieht. Eine entscheidende Verantwortung für die Verzögerung der Gründung des Deutschland-Hauses trug dabei insbesondere
Bundeskanzler Adenauer, obwohl sich dieser früh der politischen Bedeutung des Hauses bewusst war151: Im Juni 1951 unterbrach Adenauer aus
Protest sämtliche Bemühungen um das Pariser Bauvorhaben, weil Frankreich Einspruch gegen die Rückgabe deutscher wissenschaftlicher Kulturinstitute in Italien an Deutschland erhoben hatte. Die Wiederaufnahme der
Gespräche würde nur dann erfolgen, so Adenauer damals, „bis die ganze
Frage der kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland
geklärt sei.“152 Die Wende in den Bemühungen um das Deutschland-Haus
folgte erst durch die Unterzeichnung des Deutschlandvertrages am 26. Mai
1952, welcher die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den
drei Mächten neu definierte und die junge deutsche Republik als souveränen Staat deklarierte. Nur im Anschluss an die Ratifizierung des Vertrags
hob Adenauer, so Bock, „den Bannstrahl“153 auf. Am 24.5.1954 genehmigte
das Ministère de l’Education Nationale die „Stiftung Deutsches Haus“ und
die Grundsteinlegung konnte am 19. Juni desselben Jahres stattfinden. Das
deutsche Haus in der CUP wurde als erstes deutsches Kulturinstitut auf
französischem Boden am 23. November 1956 eröffnet.
Dennoch war auch dieser Festtag deutsch-französischer Kulturkooperation nicht frei von diplomatischen Zwängen, denn Adenauer war auf Anraten
von Wilhelm Hausenstein, dem ersten deutschen Nachkriegsbotschafter in
Paris, der Grundsteinlegung fern geblieben. Dieser hatte befürchtet, dass die
Anwesenheit des deutschen Bundeskanzlers von französischer Seite als
„eine Art politischer Überbetonung“ missverstanden154 und daher sehr kritisch bewertet werden könnte.
150
151
152
Lappenküper, das deutsche Haus in der Cité Universitaire de Paris, ibid. S.137.
Lappenküper, das deutsche Haus in der Cité Universitaire de Paris, ibid. S.138.
PA, NL Hausenstein, Bd. 34, BI 55-58, Nachtrag zur Aufzeichnung Salat, 29. Juni 1951. Zitiert nach Lappenküper: das deutsche Haus in der Cité Universitaire de Paris, ibid. S.138.
153 Lappenküper, das deutsche Haus in der Cité Universitaire de Paris, ibid. S.139.
154 Bock, der lange Weg zum Deutschland Haus in der Cité Universitaire in Paris, ibid. S.104.
155 Eckhard Michels: Vom Deutschen Institut zum Goethe-Institut, in: Ulrich Pfeil (Hg):
Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert, ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S.181-197.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
60
2.5.2 Die Gründung der Goethe-Institute in Paris und Lille
Staatlich verschuldete Verzögerungen in Paris
Ende der 1950er Jahre war - wie bereits vorab erwähnt - die Diskrepanz
zwischen der Anzahl deutscher Institute in Frankreich und französischer
Kulturinstitute in Deutschland erheblich: In der Bundesrepublik zählte man
in dieser Phase der deutsch-französischen Kulturbeziehungen bereits 17
Instituts Français, welche die kulturelle Landschaft Deutschlands bereicherten. Zu diesem Zeitpunkt konnten bereits andere deutsche Kulturstützpunkte in wichtigen ausländischen Metropolen schon auf eine
mehrjährige Tätigkeit zurückblicken: Den Anfang machte in anderen
Hauptstädten das Goethe-Institut in Athen bereits im Jahre 1952, gefolgt
von Rom und Ankara im Jahre 1955, Madrid, New York und Neu Delhi
1957, London, Oslo, Tokyo und Kairo 1958 sowie Brüssel und Lissabon
1959.
An dieser Stelle soll daher zunächst auf die Frage eingegangen werden,
warum das Auswärtige Amt das Goethe-Institut in der französischen
Hauptstadt erst verhältnismäßig spät gründete. Einen ersten Erklärungsansatz liefert dabei der Aufsatz von Eckhard Michels „Vom Deutschen Institut zum Goethe-Institut.“155 Michels Studie sind vor allem drei Gründe
für die späte Arbeitsaufnahme des Goethe-Instituts in der französischen
Hauptstadt zu entnehmen. Zum einen spielte laut Michels die „Hypothek
der Vergangenheit“156 eine entscheidende Rolle. Die Bundesrepublik besaß
nämlich, als Erbe des Deutschen Reiches, über das Ende des zweiten Weltkrieges hinaus ein Grundstück in der Avenue de Ièna (auch heute noch der
Sitz des Goethe-Instituts in Paris), welches man in den 1950er Jahren bereits als zukünftigen Standort des Instituts ausgewählt hatte. Diese Immobilie war laut Michels Anfang der 1930er Jahre dem Deutschen Reich von
einem Deutsch-Amerikaner vermacht worden, „mit der Auflage, dieses später zu einer deutsch-französischen Begegnungsstätte auszubauen.“157 Auch
das deutsch-französische Kulturabkommen von 1954 sah die Rückgabe des
Hauses an Deutschland vor, welches jedoch zwischenzeitlich vom französischen Finanzministerium genutzt worden war. Es dauerte schließlich bis
Mitte 1958 bis Frankreich dieses Haus wieder an Deutschland zurückgab.
Anschließend folgten Baumaßnahmen, welche sich schließlich über einen
Zeitraum von vier Jahren erstreckten, weil sich das Auswärtige Amt dazu
entschieden hatte, in der Avenue de Iéna einen Neubau zu errichten.
156
157
Michels, ibid. S.183.
Michels, ibid. S.183.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
61
Der zweite Grund für die späte Eröffnung des Instituts - neben diesen baulichen Schwierigkeiten - war laut Michels die globale Strategie zur Auswärtigen Kulturpolitik des Auswärtigen Amtes. Diese Einschätzung wird
insbesondere auch durch die sehr aufschlussreiche monografische Studie
von Ulrike Stoll über den damaligen Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, Dieter Sattler, gestützt. Jener gab, so Stoll, in dieser Phase
der deutschen auswärtigen Kulturpolitik „den sich emanzipierenden vormaligen europäischen Kolonien in Afrika und Asien den Vorrang.“158 Michels verweist in diesem Zusammenhang in seiner Studie auch auf die
engen Bande zwischen der deutschen und französischen Zivilgesellschaft.
Frankreich und Deutschland seien in dieser Phase, so Michels, durch die
Vielzahl „wirtschaftlicher, politischer und lokaler kultureller Aktivitäten wie etwa Städtepartnerschaften - so eng mit der Bundesrepublik verbunden, dass unmittelbarer Handlungsbedarf (für das Auswärtige Amt, G.F.)
nicht ganz so dringend erschien.“159 Diese strategische Schwerpunktsetzung zu Ungunsten von Frankreich äußerte sich laut Michels nicht zuletzt
in der Höhe der Zuwendungsmittel, welche Anfang der 1960er Jahre „stets
der realen Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen hinterherhinkten.“160
Bauliche Verzögerungen, die strategische Ausrichtung des Auswärtigen
Amtes und schließlich ein für Frankreich unzureichender Kulturhaushalt,
diese drei Faktoren führten schließlich dazu, dass das Goethe-Institut Paris
zunächst 1962 eine provisorische Zweigstelle in der Rue Condé eröffnete
und erst am 19. Oktober 1965 in den heutigen Räumlichkeiten der Avenue
de Iéna die offizielle Eröffnung feiern konnte.
Umsetzung des Projektes durch das Engagement der französischen Zivilgesellschaft in Lille
Die Konstituierungsbedingungen des Goethe-Instituts in Paris erscheinen
jedoch noch in einem anderen Licht, wenn man den „Sehepunkt“161 (Michael Werner) verändert und seine Entstehung mit der Gründung des Goethe-Instituts in Lille vergleicht. Die folgenden Ausführungen beziehen sich
insbesondere auf den Aufsatz „Le Goethe-Institut de Lille - 50 ans de coo-
158
Ulrike Stoll: Kulturpolitik als Beruf. Dieter Sattler in München, Rom und Bonn 1906-1968,
Paderborn 2005, S.297.
159 Michels, ibid. S.185.
160 Michels, ibid. S.186.
161 Werner, Maßstab und Untersuchungsebene, ibid. S.20.
62
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
pération culturelle franco-allemande“162 des Liller Germanisten Jérôme
Vaillant. Im Folgenden wird jedoch lediglich auf jene Kriterien eingegangen, welche die Konstituierungsbedingen des Instituts im Norden Frankreichs besonders kennzeichnen.
Obwohl also die Bundesrepublik seit etwa Mitte der 60er Jahre das Projekt
verfolgte, in der französischen Hauptstadt ein Goethe Haus zu errichten,
wurde schließlich das erste Goethe-Institut auf französischem Boden in
Lille eröffnet. Auch die Eröffnung des Goethe-Instituts in Lille ist auf die
treibende Kraft eines Mittlers zurückzuführen: Vaillant führt den Erfolg der
Institutseröffnung vor allem auf die Bemühungen des damaligen deutschen
Konsuls in Lille, Erich Ball, zurück. Bereits im Jahre 1956 hätte, so Vaillant,
Ball die Idee geäußert, in Lille eine „Maison Allemande“ zu eröffnen. Vaillant verweist dabei auf den positiven politischen Gesamtkontext, wie den
1950 unterzeichneten Schuman-Plan und die Europäische Gemeinschaft
für Kohle und Stahl (EGKS), die Unterzeichnung der Pariser Verträge und
das Saarstatut, welche die Anfänge dieses Projekts begünstigt hätten.163
Er arbeitet in seinen Untersuchungen heraus, dass Ball von Beginn an eine
doppelte Strategie verfolgte: Zunächst sollte durch eine ortsansässige Dozentur dem Bedarf an deutschen Sprachkursen entsprochen werden. Dies
stand durchaus auch im Einklang mit der Ausrichtung des 1952 in München neu gegründeten Vereins „Goethe Institut zur Pflege der deutschen
Sprache im Ausland“: Obgleich die deutsche Sprache bis weit nach Ende
des Zweiten Weltkriegs im Nachbarland Frankreich verfemt war, war man
auch in München in den frühen 1950er Jahren gewillt, an das frühere Tätigkeitsfeld der Sprachvermittlung anzuknüpfen. Der erste Halbjahresbericht des Münchener Hauptsitzes im Jahre 1952 unterstrich dabei
insbesondere die politische Neutralität der Sprachkurse: „Die Betonung
des unpolitischen Charakters unseres Goethe-Instituts und die Übernahme
der guten Traditionen der früheren Organisation haben aber sehr bald zum
Vertrauen derer geführt, mit denen das Goethe-Institut gern zusammenarbeiten möchte, [...] fast überall auf der Welt ist das Interesse an unserer
Sprache in einem Maße wieder erwacht, das wir nie erwartet hatten.“164
Auch aus diesem Grunde war man auf deutscher Seite daran interessiert, in
Lille ein deutsches Sprachlernzentrum zu eröffnen. Ein Briefwechsel Ende
Dezember 1956 zwischen Ball und dem stellvertretenden Direktor der Zentrale des Goethe-Instituts in München belegt, dass Ball vom Goethe-Institut
162
Die folgenden Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des Goethe-Instituts Lille basieren auf dem in französischer Sprache erschienenen Aufsatz von Jérôme Vaillant: Le Goethe-Institut de Lille: 50 ans de coopération culturelle franco-allemande. In: Allemagne
d’aujourd’hui 183 (2008), S.104-112.
163 Dazu Vaillant: „Les temps sont favorables, les partenariats, les jumelages franco-allemands se multiplent.“ In: Le Goethe-Institut de Lille, ibid: S.109.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
63
den Auftrag bekommen hatte, in Lille eine Dozentur einzurichten. In diesem
Briefwechsel wurde der Aufgabenbereich des Leiters und die Struktur des
Sprachlernzentrums klar umrissen:
„Maîtrise courante de la langue française, connaissances de la littérature
française, capacité à communiquer avec le public en langue française à
l’écrit comme à l’oral et à diriger des cours de correspondance commerciale, si possible célibataire, environ 35 ans. En plus des tâches d’enseignement, travail de secrétariat pour la société franco-allemande à créer.
Gestion de la bibliothèque de prêt. Une secrétaire maîtrisant parfaitement
le français sera mise à sa disposition par la société ou par le consulat. Salaire pris en charge par le Goethe-Institut […]. Les recettes provenant des
cours seront gérées par l’association.“165
Parallel zu dieser Initiative nahm Ball in dieser Phase Kontakt zu Partnern
aus der französischen Zivilgesellschaft auf, mit der zweiten strategischen
Zielsetzung, eine deutsch-französische Kulturgesellschaft im Norden
Frankreichs zu gründen, die später in eine „Maison d’Allemagne“ münden
sollte. Das zukünftige Institut wollte seinem Publikum mehr anbieten, so
Vaillant, als eine einfache Dozentur. Diese „Association Culturelle FrancoAllemande du Nord De la France“ wurde schließlich im Dezember des Jahres 1957 gegründet, wobei der damalige Vizepräsident des Conseil Général,
Motte, die Präsidentschaft der Association übernahm. Die „Association“ vereinigte wichtige regionale französische Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und dem Hochschulbereich, also erneut Mittlerpersönlichkeiten aus
der französischen Zivilgesellschaft.166 Den Ausführungen Vaillants lässt
sich entnehmen, dass bereits in der Anfangsphase der Konzeption eines
Deutschen Hauses in Lille vor allem seine regionale Integration oberste
164
PAAA, Kulturabteilung: Halbjahresbericht des Goethe-Instituts 1.7.1952-31.12.1952, VI,
402-01: Deutsche Sprachpflege, Goethe-Institut, Bd. 3.
165 Brief von Wolf an Konsul Ball vom 4.12.1956, eingegangen im Konsulat am 7.12.1956
unter der Nummer 118/57, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 96 - Bd.
5646 36/72. Zitiert nach Vaillant: Le Goethe-Institut de Lille, ibid. S.105.
166 „Du côté français appartiennent à l’Association culturelle franco-allemande pour le Nord
de la France le Préfet du Nord (J. Benedetti), le recteur de l’Académie de Lille (G. Debeyre),
le représentant du recteur de l’Université catholique (Msgr Barbeau), le Doyen de la faculté des Lettres (Prof. Lacombe), un représentant du Conseil économique et de la Chambre de commerce et d’industrie (J. Goudaert), un juriste chargé de procéder aux demandes
légales d’autorisation auprès des autorités françaises (Prof. Freyria), le Président du Petit
Comité franco-allemand des Rotariens (R. Coutant) et surtout Bernard Motte, Vice-Président du Conseil Général, Président du Comité d’Etudes régionales économiques et sociales et Vice-Président de la Conférence nationale des Comités d’expansion et de mise en
valeur de la France, candidat à la députation, un beau panel des principaux notables politiques, économiques et universitaires.“ In: Vaillant: Le Goethe-Institut de Lille, ibid.,
S.107.
64
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Priorität hatte. So betonte Ball bei seiner Eröffnungsrede vor der ersten
Generalversammlung der Association am 12. Dezember 1957, wie er sich
die Positionierung des Deutschen Hauses im Norden Frankreichs vorstellte:
„Le Nord de la France a un rôle prépondérant à jouer […] parce que c’est
un centre intellectuel et scientifique dont les opinions sont écoutées à
Paris, un centre industriel essentiel de la CECA avec le Bassin minier qui
entretient des relations privilégiées avec celui de la Ruhr, que c’est un carrefour commercial, que déjà les échanges franco-allemands se développent par le jumelage des villes et les échanges de jeunes pour mieux
connaître la mentalité de leur voisin de l’autre côté de la frontière“.167
Mit anderen Worten: Ball hatte bereits in dieser Phase der Grundsteinlegung die Bedeutung der Einbettung des Instituts in die deutsch-französischen Städte- und Regionalpartnerschaften erkannt. Dabei sah er das
zukünftige Kulturzentrum als wichtiges Symbol der deutsch-französischen
Verständigung. Überaus modern ist dabei auch seine Vision eines „carrefour commercial“, was bereits die Absicht erkennen ließ, das Kulturzentrum auch als vermittelnde Instanz des wirtschaftlichen Austauschs
zwischen beiden Ländern wirken zu lassen.168
Eine weitere Besonderheit der Entstehungsgeschichte des Goethe-Instituts
Lille war die Bevölkerungsstruktur dieser französischen Region des Nordens.
Vaillant verweist hier auf die zahlreichen, einst heimatlosen deutschen
Kriegsgefangenen, die nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges nicht
mehr in das kommunistische Ostdeutschland zurückkehren konnten und
schließlich als Arbeiter in Frankreich geblieben waren und dort ihre Familien
gründeten. Er kommt zu dem Schluss, dass die Auswahl des Standortes im
Norden Frankreich auf historisch gewachsenen, gesellschaftlichen Strukturen fußte: „Le destin du Goethe-Institut de Lille s’est donc noué à la croisée
de la diplomatie culturelle sur la base d’échanges franco-allemands déjà existants et de l’existence d’une forte colonie allemande restée en France après
la guerre.“169 Dies lässt den Schluss zu, dass die Gründung des Goethe-
167
Eröffnungsrede Konsul Ball, in PA AA B 96, Bd. 174, Ts 96. In : Vaillant, Le Goethe-Institut
de Lille, ibid. S.107.
168 Schon sehr frühzeitig, d.h. in der Anfangsphase der 1960er Jahre, verpflichtete man sich
laut Vaillant in Lille einem erweiterten Kulturbegriff. Diesen Paradigimenwechsel von
der Selbstdarstellung zum erweiterten Kulturbegriff, auf welchen Vaillant in seinen Ausführungen verweist, wird man im Auswärtigen Amt erst in den späten siebziger Jahren
einleiten. Hierzu mehr im nächsten Kapitel.
169 Vaillant: Le Goethe-Institut de Lille, ibid. S.107.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
65
Instituts in Lille zwar direkt aus den Bemühungen eines deutschen Konsuls und somit staatlicher Kulturdiplomatie hervorgegangen ist, dieser sich
jedoch jederzeit auf eine breite Basis zivilgesellschaftlicher Vernetzungen
stützen konnte. Die Bedeutung dieses zivilgesellschaftlichen Engagements
für die Realisierung des Projekts kam besonders in der Phase von 1957 bis
1960 zum Ausdruck, als nämlich auch das Goethe-Institut Lille zum Gegenstand unterschiedlicher politischer Interessenlagen wurde. Laut Vaillant konnten sich nämlich die Verantwortlichen der deutschen Botschaft
in Paris und des Auswärtigen Amtes zunächst nicht einig werden, ob man
der Gründung eines Goethe-Instituts in der Hauptstadt oder eines Instituts
im Norden Priorität einräumen sollte. Hierzu Vaillant:
„L’ambassade allemande de Paris s’est imposée à Bonn qui jusqu’alors ne
voyait que la nécessité de soutenir la création puis le fonctionnement
d’une „Goethe-Haus“ à Paris. Elle a toujours soutenu le Goethe-Institut de
Lille, un de ses représentants (Dr. Jansen) faisait partie de l’Association
franco-allemande alors qu’à Bonn, à l’Auswärtiges Amt, deux camps s’opposaient : le Dr. Schmidt favorable, mais prudent; M. Mühlenhöver et d’autres qui étaient récalcitrants voire franchement hostiles [Hervorhebung
von mir, G.F.], la priorité des priorités devant aller, à leurs yeux, à l’ouverture de la Maison Goethe à Paris.“170
Entscheidend für den weiteren Projektverlauf war der Brief des damaligen
deutschen Botschafters, Herbert Blankenhorn, welcher die Bundesrepublik im Zeitraum von 1960 bis 1963 in Paris vertrat. Am 28. Januar 1959
schrieb Blankenhorn einen Brief an den deutschen Außenminister Heinrich von Brentano, in welchem er diesem rät, in der Provinz mit dem Aufbau eines Kulturinstituts zu beginnen, „wo die Erwartungshaltung größer
sei.“171 Im Jahre 1960 willigte schließlich das Auswärtige Amt in den Erwerb eines Hauses in der rue de Stations ein, welches bis heute fester Sitz
des Goethe-Instituts ist. Die Arbeit hatte man jedoch mit Unterstützung der
französischen Zivilgesellschaft bereits aufgenommen und dies vier Jahre
170
171
Vaillant, Le Goethe-Institut a 50 ans, ibid. S.107.
„Dans une lettre à son ministre, datée du 28 janvier 1959, l’ambassadeur Herbert Blankenhorn s’appuie sur le soutien le plus vif que l’ouverture d’un Centre culturel allemand
à part entière reçoit de la population du Nord et rappelle qu’à cette heure l’Allemagne n’a
pas un seul Institut culturel en France alors que celle-ci dispose de plus de 19 Instituts
français en Allemagne. Vu les retards rencontrés à Paris, l’ambassadeur estime qu’il faut
donc „aller de l’avant en province où l’attente est plus grande qu’à Paris.” Vaillant, Le GoetheInstitut de Lille, ibid. S.107.
66
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
vor Paris. Der Erwerb des Hauses signalisierte der Association erstmals ein
nachhaltiges Engagement des deutschen Auswärtigen Amts in Lille, was
eine langfristige Planung der kulturellen Programmarbeit erst denkbar
machte. Dennoch war man sich auch in dieser Anfangsphase in Lille bereits
bewusst, dass man durch die kulturelle Programmarbeit langfristig einen
Beitrag zur deutsch-französischen Versöhnung, aber auch zur europäischen
Integration leisten wollte. Das hatte bereits Konsul Ball bei der Gründerversammlung im Dezember 1957 erklärt: „Il faut, pour que l’Europe puisse
vivre et remplir ses tâches culturelles et sociales (...) que les liens entre nos
deux pays se resserrent de plus en plus.“172
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
67
2.5.3 Die Gründung des Heidelberg-Hauses in Montpellier
Seit dem Jahr 1958 stand die Universität Heidelberg in einem Partnerschaftsverhältnis zu der Universität Montpellier. Diese Partnerschaft war
aus den im Wintersemester 1956/57 begründeten freundschaftlichen Beziehungen der Studentenschaften beider Universitäten entstanden. Am 13.
Mai 1961 unterzeichneten der damalige Heidelberger Oberbürgermeister
Robert Weber und sein französischer Amtskollege Oberbürgermeister
Georges Delmas in Montpellier die Vertragsurkunden für die Städtepartnerschaft Heidelberg-Montpellier der 1960er Jahre. Erst diese doppelte
Bindung zwischen den beiden Städten und den beiden Universitäten führte
zu den engen Beziehungen zwischen Heidelberg und Montpellier. Schon
im Verlauf des Jahres 1961 fanden ausführliche Begegnungsprogramme
statt, welche aus regelmäßigen Gastvorlesungen von Professoren der Partneruniversität, dem Austausch von Studenten und Schülern, gemeinsamen
Seminaren, Besuchen von offiziellen Delegationen und gemeinsamen Veranstaltungen der örtlichen Sport-, Musik- und sonstigen Vereinen bestanden. Von Beginn an war man auf beiden Seiten darum bemüht, diesen
Austausch durch die Errichtung eines Goethe-Instituts zu institutionalisieren. Mit dieser Zielsetzung traten wiederholt Vertreter der Universität Heidelberg an das Auswärtige Amt und das Goethe-Institut in München heran,
um die Errichtung eines offiziellen deutschen Instituts in Montpellier anzuregen. Stets verwies man jedoch auf Seiten des Goethe-Instituts auf die
Tatsache, dass dem Verein auf lange Sicht keine Mittel für die Errichtung
eines weiteren Instituts im Süden Frankreichs zur Verfügung stünden.
Ende des Jahres 1964 nahm schließlich die Idee Gestalt an, in Montpellier
ein Institut auch ohne finanzielle Zusage des Bundes zu gründen. Den Beteiligten erschien es sinnvoll, dass man - ähnlich wie zuvor in Lille - hier
nicht nur ein reines Sprachinstitut, sondern ein Kulturinstitut mit kultureller Programmarbeit und Bibliothek errichten sollte. Mit dieser Zielsetzung nahm man Kontakt zu den Bundesinstanzen auf. Erstmalig wurde das
Projekt Heidelberg-Haus im Jahre 1965 im Auswärtigen Amt aktenkundig.
In einem Brief des Leiters des Akademischen Auslandsamtes in Heidelberg,
Helmut Zake, vom 29. Juni 1965 an den Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amtes, Dieter Sattler, beschrieb Zake erstmals die bis dato in
Montpellier geleistete kulturelle Aufbauarbeit:
„Zwischen den Universitäten Montpellier und Heidelberg besteht seit
1957 eine Partnerschaft, die sich von Jahr zu Jahr intensivierte und 1961
172
Vaillant, Le Goethe-Institut de Lille, ibid. S.107.
68
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
auch auf die beiden Städte erweitert wurde. Aufgrund des in Montpellier
ständig wachsenden Interesses an dieser Partnerschaft und an der deutschen Sprache beschlosssen im Juli 1964 die Jumelage Komitees beider
Partneruniversitäten ein Heidelberg Haus in Montpellier zu gründen.“173
Dieses Haus sollte unter anderem französischen Studenten, Schülern und
interessierten Teilen der Bevölkerung eine Begegnung mit der deutschen
Sprache ermöglichen und Kenntnisse über die politischen, wirtschaftlichen
und kulturellen Verhältnisse Deutschlands vermitteln. Als Träger dieser
Begegnungstätte wurde am 12. April 1965 der Verein „Heidelberg-Haus in
Montpellier“ gegründet und am 14. April 1965 in das Vereinsregister eingetragen. Laut Satzung hatte der Verein die Aufgaben, zum einen die Verbindung zwischen der Universität Heidelberg und der Universität
Montpellier zu pflegen, zum zweiten Studienaufenthalte von Heidelberger
Studenten und Schülern in Montpellier zu fördern und schließlich Interessenten die Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur zu vermitteln. Die
Gründungsmitglieder des Vereins stammten ausschließlich aus dem universitären Milieu.174 Von Beginn an war in Montpellier die Aufbauarbeit
mit finanziellen Enpässen verbunden, so beispielsweise bei dem Aufbau
einer Handbibliothek. In einem Schreiben an das Auswärtige Amt aus dem
Jahre 1965, welchem die Bescheinigung des Finanzamtes Heidelberg zur
Gründung des Vereins, eine Satzung des Vereins Heidelberg Haus in Montpellier und eine Auflistung der Gesamtkosten für das Jahr 1965 beigefügt
wurden, informierte man zum einen das Amt über die Gründung des Vereins, zum anderen erwähnte man einen noch ungedeckten Betrag in Höhe
von ca. 45 000 Mark, was in etwa dem damaligen Jahresbudget des Vereins entsprach. Da in dieser Darstellung kein direkter Appell an das Amt
zur Förderung des Projektes erfolgte, sondern diese rein informativen Charakter hatte, fiel das Antwortschreiben des Amtes auch dementsprechend
knapp aus. Im Brief vom 23. Juli 1965 von Sattler an Zake heißt es lakonisch:
173
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010. Brief von
Zake an Sattler vom 29. 6. 1965.
174 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010. Professor
Dr. Gallas, Rektor der Universität Heidelberg, Professor Dr. K. Lindemann, Prorektor der
Universität Heidelberg, Prof. Dr. H. Schneider, Juristische Fakultät, Prof. Dr. M. Kantner,
Medizinische Fakultät, Prof. Dr. E. Köhler, Philosophische Fakultät, Dr. F. Paepcke, Leiter
der französischen Abteilung am Dolmetscher Institut der Universität Heidelberg, Dr. G.A.
Klemm Bürgermeister der Stadt Heidelberg, J. Schwarz, Oberstudiendirektor, Herr stud.
phil. Krauß; Asta Vorsitzender der Studentenschaft Heidelberg.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
69
„Es freut mich zu hören, dass es gelungen ist, ein Heidelberg-Haus in Montpellier zu gründen, das sicher zur Vertiefung der Beziehungen zwischen
Deutschland und Frankreich beitragen wird. Hoffentlich gelingt es ihnen,
den fehlenden Betrag noch zu beschaffen.“175
In Bezug auf die Handbibliothek kündigte man jedoch grundsätzlich Unterstützung an, sofern es zu einer Institutseröffnung kommen sollte. Es ist
davon auszugehen, dass von Seiten der Gründungsmitglieder der Brief Sattlers als Förderabsage interpretiert wurde, da man sich anschließend umgehend an die Verantwortlichen des Landes Baden- Württemberg wandte,
um mit Unterstützung dieses Landes ein Deutschland-Haus in Montpellier
zu eröffnen. Zunächst musste die Finanzierung der Personal- und Strukturkosten gesichert werden. Um die laufenden Kosten des Hauses in Bezug
auf das Personal möglichst gering zu halten, stellte die Universität Heidelberg
beim Kultusministerium Baden-Württemberg einen Antrag auf Einrichtung
einer Akademischen Ratsstelle. Der Leiter sollte als Universitätsbediensteter
an das Heidelberg-Haus in Montpellier abgeordnet werden. Da der zuvor
durch den Vorstand des Vereins an das Auswärtige Amt gestellte Antrag im
Haushaltsjahr 1966 nicht genehmigt worden war, wurde für das Folgejahr
ein neuer Antrag eingereicht. Am 25. März 1966 wählte der Vorstand des
Vereins unter Vorsitz des Rektors der Universität Heidelberg „Herrn Assessor Dr. P. N. Schwaiger“ zum ersten Leiter des Heidelberg-Hauses. Zu
diesem Zeitpunkt machte sich auch der damalige Ministerpräsident des
Landes Baden-Württemberg und spätere Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger für das Heidelberg Haus stark und erhöhte so den Druck auf die
deutsche Behörde. Um die Renovierung und Erstausstattung des Hauses
zu finanzieren, hatte Kiesinger führende Wirtschaftsunternehmen des Landes dazu aufgerufen, dem Verein „Heidelberg-Haus in Montpellier“ Spenden zukommen zu lassen. Das Kultusministerium Baden-Württemberg
175
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010. Brief vom
23. Juli 1965 von Sattler an Zake. Erst am 5. April 1967 sandte der Leiter des Referats Bilbliotheken von Inter Nationes Dr. Carl Peter Baudisch eine Antwort an das Auswärtige
Amt in Bonn in Bezug auf die Anfrage einer Medienvergabe: „Bei ihnen befindet sich meines Wissens ein Vorgang zum Thema Montpellier. Herr VLR I Kahle hatte schon gegen
Mitte des Jahres 1966 gebeten, das Referat IV/7 möchte unterrichtet werden, wenn ein
Antrag bezüglich Montpellier einträfe. Wegen der unglücklichen Etatverhältnisse ist der
Vorgang hier zunächst zurückgestellt worden. Nunmehr möchten wir bitten, gegebenenfalls ihre generelle Zustimung auszusprechen, dass wir nach Klärung der Etatfragen die
kulturpolitischen Bemühungen der Universität Heidelberg bzw. dem Heidelberg Haus in
Montpllier durch eine Bücher- Zeitschriften-, Schallplatten- und Diaspende unterstützen
können.“
70
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
gewährleistete zudem für 1965 rückwirkend einen Zuschuss in Höhe von
20 000 DM. Der Bund hatte bis zu diesem Zeitpunkt weder Initiativen zur
Förderung des Instituts, noch zur Materialbeschaffung ergriffen. In einem
Brief vom 12. Oktober 1966 an das Auswärtige Amt - also acht Tage vor
der feierlichen Eröffnung des Heidelberg Hauses - bat Kiesinger176 das Auswärtige Amt letztmalig um eine institutionelle Föderung des HeidelbergHauses in Montpellier:
“Wie ich höre, ist das Auswärtige Amt schon mehrfach mit dem Vorhaben
befasst worden, konnte sich aber bisher nicht dazu entschließen, das Heidelberg Haus finanziell zu unterstützen. Ich glaube aber, dass das aus privater Initiative entstandene und weitgehend von der Bürgerschaft
getragene Heidelberg-Haus in Montpellier einen bedeutsamen Beitrag für
die Pflege der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich leisten kann. Ich würde es deshalb sehr begrüßen, wenn sich auch
der Bund künftig an der Finanzierung dieser Einrichtung beteiligen
könnte.“177
In der Antwort des Amtes verwies man lediglich darauf, diese Angelegenheit bereits in Bearbeitung zu haben. Der Briefkontakt blieb dann für fast
ein Jahr unterbrochen, was sich nicht zuletzt durch die Aufnahme der Funktionen Kiesingers als Bundeskanzler erklären lässt. Zwischenzeitlich nahm
das Heidelberg Haus am 20. Oktober 1966 seine Arbeit ohne Unterstützung seitens des Auswärtigen Amtes auf. Von entscheidender strategischer
Bedeutung war jedoch ein Schreiben Kahles vom 5. April1967 an das deutsche Generalkonsulat in Marseille, in dem er einzelne Möglichkeiten zur Finanzierung des Heidelberg-Hauses durch Bundeszuwendungen aufzeigt:
176
„Auf Bitte der Universität Heidelberg habe ich im letzten Jahr Unternehmer des Landes
Baden-Württemberg gebeten, durch finanzielle Spenden zu der nötigen Renovierung und
Einrichtung der in Montpellier gemieteten Räume und zu den laufenden Kosten beizutragen. Es gingen einmalige Spenden von rund 10 000 DM ein; außerdem wurden jährliche Beiträge von rund 8000 DM zugesagt. Mit den einmaligen Spenden und weiteren
Zuschüssen des Landes Baden-Württemberg, des deutsch-französischen Jugendwerks,
der Städte Montpellier, Heidelberg und eines Herrn Lapostolle konnten die Kosten der
Renovierung und der Ersteinrichtung von rund 130000 DM gedeckt werden. Die Regierung des Landes Baden-Württemberg hat dieser Tage beschlossen, beim Landtag für die
laufenden Kosten des Vereins einen jährlichen Zuschuss von 20 000 DM zu beantragen.”
In: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010. Brief des
damaligen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Würtemberg, Kiesinger, an das Auswärtige Amt vom 12. Oktober 1966, PA, IV 7-88-5010.
177 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010. Brief des damaligen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Würtemberg Kiesinger an das Auswärtige Amt vom 12. Oktober 1966, PA, IV 7-88-5010.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
71
“Kurzfristig könnte dem Heidelberg Haus in Montpellier durch eine Zuwendung aus Bundesmitteln unmittelbar oder über die Zweigstelle des
Goethe-Instituts in Marseille geholfen werden. Langfristig sollte geprüft
werden, ob und wenn, in welcher Form die Verwaltung des HeidelbergHauses in Montpellier dem Goethe-Institut in München übetragen werden könnte. […] Die Übertragung der Verwaltung des Heidelberg Hauses
an das Goethe-Institut soll nicht die Tätigkeit und Initiative der Gesellschaft beeinträchtigen. Es könnte also zum Beispiel an die Einrichtung
einer Dozentur mit eigener Wirstschaftsführung im Heidelberg-Haus in
Montpellier gedacht werden oder an die Gründung einer Außenstelle der
Zweigstelle Marseille, die den Namen „Heidelberg-Haus in Montpellier“
tragen würde.“178
Sowohl die deutsche Botschaft in Paris als auch das Goethe-Institut in Marseille protestierten heftig gegen diesen Vorschlag, dass ein Goethe-Institut
für eine deutsch-ausländische Kulturgesellschaft die Zuwendungsmittel
des Auswärtigen Amtes verwalten sollte (Es ist Ironie des Schicksals, dass
vier Jahrzehnte später das Goethe-Institut in Marseille aufgrund finanzieller Engpässe geschlossen und dieser Vorschlag aus dem Jahre 1966 knapp
45 Jahre später vom Auswärtigen Amt umgesetzt werden wird). Eine ausführliche Stellungnahme der deutschen Botschaft in Paris erfolgte im
Schreiben vom 10. Mai 1967 an das Auswärtige Amt. Nachdem man zunächst einmal darauf verwies, dass man grundsätzlich die Bereitschaft der
Zivilgesellschaft begrüße, ein Heidelberg-Haus in Montpellier zu gründen,
unterstrich die Botschaft, dass „ein Fall, wie ihn das Heidelberg-Haus in
Montpellier darstellt, die Durchführung einer planmäßigen Kulturpolitik
in Frankreich gefährdet(e)“ und „derartige Privatinitiativen auch solche
bleiben sollten und nicht zu zusätzlichen Belastungen des Haushalts und
damit zu einer Blockierung anderer dringender Vorhaben führen dürfen“179. Man befürchtete seitens des Auswärtigen Amtes vor allem, dass
ein erster Zuschuss für das Heidelberg-Haus „nur der Anfang höherer Forderungen“180 sein würde. Zudem verfolgte man zum damaligen Zeitpunkt
andere strategische Ziele in Frankreich. Nachdem man bereits die Goethe-
178
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010. Brief Kahles
an den Generalkonsul in Marseille vom 5.4.1967.
179 Stellungnahme der deutschen Botschaft in Paris vom 10. Mai 1967 an das Auswärtige
Amt, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010.
180 Stellungnahme der deutschen Botschaft in Paris vom 10. Mai 1967 an das Auswärtige
Amt, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010.
72
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Institute im nahen Marseille und Toulouse gegründet hatte, bestand nach
Ansicht der deutschen Botschaft in Paris vordringlicher Handlungsbedarf
im „immer noch völlig brachliegenden Konsulatsbezirk Bordeaux, von den
außerordentlich wichtigen Universitätsstädten Rennes in der Bretagne und
Caen in der Normandie ganz zu schweigen.“181 Auch sei „eine solche Massierung in dieser Region Frankreichs vom kulturpolitischen Standpunkt
von seiten der Botschaft nicht zu vertreten.“182 Die Botschaft befürchtete
demnach zu diesem Zeitpunkt, den Westen Frankreichs zugunsten des Südens zu benachteiligen und schlug daher im selben Schreiben vor, zu prüfen, ob nicht das mit deutschen Mitteln errichtete und eingerichtete
Heidelberg-Haus in Montpellier der Akademie von Montpellier und damit
der Universität überstellt werden könnte. Heftig reagierte auch das Goethe-Institut München auf das an das Deutsche Generalkonsulat Marseille
gesandte Schreiben. Dr. C. Wecker schreibt am 7. Juni 1967 an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes:
„Die Zentralverwaltung bezweifelt nicht die Wichtigkeit des Heidelberg
Hauses und den Wert der Privatinitiative in dieser Angelegenheit. Sie hat
aber doch starke Bedenken dagegen, dass eine finanzielle Unterstützung
in sicher wachsendem Umfange über das Goethe-Institut erfolgt, solange
die bestehenden Zweigstellen des Goethe-Instituts in Frankreich aus Geldmangel noch immer nicht in der wünschenswerten Weise materiell und
personell ausgestattet sind. Es besteht die Gefahr, die vorhandenen Mittel
durch immer neu auftauchende zusätzliche Vorgaben zu zersplittern, anstatt sie im Rahmen einer vernünftigen regionalen Planung schwerpunktartig einzusetzen. Es wird deshalb vorgeschlagen, zu prüfen,
inwieweit das Heidelberg-Haus in Montpellier auf andere Weise, etwa
über das Land Baden-Württemberg gefördert werden kann.“183
Die Entscheidung wurde dann scheinbar bei einem Treffen zwischen Regierungsrat Wienrich (Baden-Württemberg), dem Leiter des Goethe-Instituts in Paris und dem Kulturreferenten der Deutschen Botschaft Paris
herbeigeführt. Am 5. Juli 1967 sandte die Deutsche Botschaft einen Brief an
das Auswärtige Amt, in welchem die auch heute noch für das Heidelberg181
Stellungnahme der deutschen Botschaft in Paris vom 10. Mai 1967 an das Auswärtige
Amt, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010.
182 Stellungnahme der deutschen Botschaft in Paris vom 10. Mai 1967 an das Auswärtige
Amt, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010.
183 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010, Schreiben. Dr.
C. Weckers vom 7. Juni 1967 an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
73
Haus in Montpellier geltende Lösung angekündigt wurde: Die Idee, die Verwaltung des Heidelberg-Hauses an das Goethe-Institut Marseille abzugeben und als eine Art „Zweigstelle“ anzusehen, wurde von allen Beteiligten
abgelehnt und es stellte sich heraus, dass das Kultusministerium BadenWürttemberg und die Universität Heidelberg ihrerseits keineswegs an eine
derartige Lösung gedacht hatten, sondern vielmehr an der Eigenständigkeit des Heidelberg Hauses in Montpellier festhalten wollten. So kam man
zu folgendem Schluss:
„Unter diesen Umständen befürwortet die Botschaft den Antrag, damit
das dank privater Initiative eingerichtete Heidelberg-Haus auch weiterhin in gleichem Sinne fortgeführt werden kann und die Bande zwischen
den Universitäten Heidelberg und Montpellier gefestigt werden.”184
Das Heidelberg-Haus in Montpellier öffnete im Oktober 1966 seine Türen.
Seine kulturelle Programmarbeit wird seitdem in weiten Teilen von der
Stadt Montpellier, der Universität Heidelberg und Baden-Württemberg und
– projektbezogen - vom Auswärtigen Amt gefördert.
184
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bestand B 90 - Bd. IV 7-88-5010, Stellungnahme zum Heidelberg - Haus der deutschen Botschaft vom 5. 7. 1967 an das Auswärtige
Amt.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
74
2.6 Fazit
Die hier exemplarisch skizzierten Entstehungsgeschichten deutscher Kulturinstitute in Frankreich belegen die von Hans Manfred Bock aufgestellte
These, dass deutsche wie internationale Kulturinstitute an der „Schnittfläche zwischen transnationalen Kommunikationsnetzen (entstehen), die aus
individuellen oder kollektiven Initiativen im soziokulturellen Bereich hervorgebracht wurden und einem politischen Gestaltungswillen, der die Möglichkeit grenzüberschreitender Verbindung gesellschaftlicher Akteure zu
fördern und zu nutzen versucht. 185 Dies wurde besonders am Beispiel der
Bemühungen um das Goethe-Institut in Lille deutlich, welches seine Gründung auf der einen Seite dem Kulturdiplomaten Ball und auf der anderen
Seite dem zivilgesellschaftlichen Engagement einer deutsch-französischen
Association verdankt. Eine Schlüsselrolle kam dabei in allen dargestellten
Fallbeispielen dem Engagement universitärer Mittler zu, sei es auf Basis
einer bereits vorhandenen Universitätspartnerschaft – wie im Falle des
Heidelberg Hauses - oder lediglich durch das Engagement einzelner universitärer Akteure – wie es die Beispiele des Deutschland-Hauses in Paris
und des Goethe – Instituts in Lille aufgezeigt haben. Aber auch an dieser
Schnittstelle konnte ein Zusammenspiel von gouvernementalen Interessenlagen und zivilgesellschaftlichem Engagement nachgewiesen werden.
So arbeitete Ulrich Pfeil anhand der Entstehungsbedingungen des Deutschen Historischen Instituts in Paris überzeugend heraus, dass die Unterstützung dieser Wissenschaftsbeziehungen, welche zur Gründung
einzelner Kulturinstitute in Frankreich führten, als Bestandteil der politischen Strategie Adenauers gedeutet werden können:
„Seine (Adenauers, G.F.) politische und finanzielle Unterstützung für die
Neu- und Wiedergründung deutscher Auslandsinstitute kann somit als
Ausdruck für den Willen interpretiert werden, die Wissenschaftsbezie-
185
„Internationale Kulturinstitute entstehen in aller Regel an der Schnittfläche zwischen
transnationalen Kommunikationsnetzen, die aus individuellen oder kollektiven Initiativen im soziokulturellen Bereich hervorgebracht wurden und einem politischen Gestaltungswillen, der im bi- oder multinationalen Handlungsfeld die Möglichkeit
grenzüberschreitender Verbindung gesellschaftlicher Akteure zu fördern und zu nutzen
versucht. Die zivilgesellschaftlichen Austauschvorgänge zwischen Nationen, die meist von
den Motiven des Erwerbs-, Bildungs- und Zufluchtsstrebens gesteuert werden, sind älter
und breiter als die staatlichen Versuche der Förderung und Nutzung solcher Bestrebungen.“ In: Hans Manfred Bock: Transnationale Kulturbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik, die deutsch-französischen Institutionen als Beispiel. In: Ulrich Pfeil (Hg):
Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert, ein institutionengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S.9.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
75
hungen mit den westlichen Ländern zu nutzen, um neues Vertrauen bei
den Nachbarn zu gewinnen und die politische Emanzipation der Bundesrepublik voranzutreiben.“186
Noch effektiver gestaltete sich die Grundsteinlegung eines Instituts, wenn
die Bestrebungen des universitären Netzwerks durch weitere interregionale Kooperationen ergänzt wurden. Dies zeigte besonders deutlich das
Beispiel der dreifachen Bindung (Universitätspartnerschaft/Städtepartnerschaft/Regionalpartnerschaft) des Heidelberg-Hauses auf. Insbesondere zwei der drei Fallbeispiele, Lille und Montpellier, unterstrichen dabei
die herausragende Bedeutung der deutsch-französischen Städte – und Regionalpartnerschaften, ohne welche in beiden Fällen eine Grundsteinlegung beider Kulturinstitute undenkbar gewesen wäre.
Die historische Herangehensweise betonte einmal mehr auch die Bedeutung deutsch-französischer Mittlerfiguren für die deutsch-französische Annäherung. In unserem Zusammenhang war festzustellen, dass sowohl
zivilgesellschaftliche als auch offizielle Mittler in jeweils entscheidenden
Phasen die Eröffnung des lokalen Instituts vorangebracht haben. Diese Vermittler – wenngleich auf unterschiedlichem Niveau- zeichneten sich vor
allem durch ihre Fähigkeit aus, zivilgesellschafliches Engagement zu strukturieren und zu kanalisieren, dies jedoch ohne den Kontakt zu den verantwortlichen Bundesbehörden zu verlieren. Man verfolgte in diesem Sinne
eine Art Doppelestratgie, indem man einerseits versuchte, Gelder aus Bundesmitteln für ein Goethe-Institut zu bekommen, andererseits aber beständig an neuartigen Modellen des Kulturaustauschs arbeitete.
Keine der analysierten Entstehungsgeschichten wies eine kontinuierliche
Entwicklung vom Konzept bis zur Umsetzung auf, sondern veranschaulichte jede auf ihre Weise konstante Entwicklungsphasen und Brüche. Deutlichstes Indiz dafür war die lange Entstehungsgeschichte des
Deutschland-Hauses in Paris: Hier lagen gar 31 Jahre zwischem dem ersten
Konzept und der Realisierung des Projektes. In Lille dauerte es drei, in
Montpellier acht Jahre bis zur Grundsteinlegung. Die überaus lange Zeitspanne von der Idee zur Gründung des Heine-Hauses in Paris belegte
zudem die schwierige historische Ausgangslange der Errichtung eines
deutschen Kulturinstituts in der französischen Hauptstadt. In der sehr behutsamen Vorgehensweise des Auswärtigen Amtes in dieser Angelegenheit
186
Ulrich Pfeil (Hg.): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20.
Jahrhundert, hier: Ulrich Pfeil: Das Deutsche Historische Institut Paris, S.281- 308. Hier:
S.306.
76
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
spiegelte sich die Hypothek des Zweiten Weltkrieges im kulturellen Sektor noch besonders deutlich. Die daraus resultierenden diplomatischen
Zwänge wurden nicht zuletzt auch durch die kurz skizzierte Entstehungsgeschichte des Pariser Goethe-Intituts offengelegt. Gerade in dieser Phase
der Versöhnung ließ die Strategie des Auswärtigen Amtes erkennen, dass
man zunächst einmal in der Provinz auszuprobieren wollte, was man in
der Hauptstadt noch studierte. Corine Defrance fasst diese vorsichtige Strategie der Bundesbehörde treffend zusammen:
„La méthode allemande pour développer les relations culturelles bilatérales et diffuser la culture allemande en France consistait à prendre prudemment l’initiative, à sonder les autorités françaises et les milieux
intellectuels et artistiques concernés, à n’avancer qu’avec l’aval français et
à soutenir les initiatives des acteurs non gouvernementaux.“187
Die positiven politischen Verhältnisse zwischen Deutschland und Frankreich zur Schaffung der einzelnen Kulturinstitute trugen, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ebenfalls positiv zum erfolgreichen Abschluss der
Projekte bei: Insbesondere der Schuman-Plan (1950) die im Jahre 1952 geschaffene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die Pariser Verträge (1954) und nicht zuletzt die Abstimmung über das Saarstatut
(1955) beeinflussten maßgeblich das Klima offiziellen und offiziösen Handelns. So stellt Arnim Heinen in Zusammenhang mit der Saarfrage und dem
Votum der Saarländer vom 23. Oktober 1955 beispielsweise treffend fest,
dass insbesondere die deutschen Diplomaten erst im Anschluss an die Saarabstimmung „so verhandeln konnten, wie sie es gewohnt waren, das hieß
der Deutschlandpolitik, bzw. der Frankreichpolitik den Vorrang einräumen
und den Ausgleich zwischen beiden Ländern in den Mittelpunkt stellen
[…]“.188
Ausnahmslos alle Beispiele haben verdeutlicht, dass es allen voran finanzielle Engpässe waren, die die Gründung der Institute in den verschiedenen
Entstehungsphasen gefährdeten. In Anbetracht der in dieser Phase unzureichenden zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel standen die ein187
Corine Defrance: Les relations culturelles franco-allemandes dans les années cinquante,
acteurs et structures des échanges, in: Hélène Miard-Delacroix/ Rainer Hudemann: Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre, München
2005, S.241-255.
188 Arnim Heinen: die Saarfrage und das Europa der Vaterländer, in: Hélène Miard-Delacroix/
Rainer Hudemann: Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der
fünfziger Jahre, München 2005, S.125-139. Hier: S.136.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
77
zelnen Institute in einem Konkurrenzverhältnis. Gleichzeitig waren im Auswärtigen Amt die Befürchtungen einer Zersplitterung der Zuwendungen
groß. In Bezug auf die „Strategie der Zuwendungen“ stellte Sattler bei seiner Amtsübernahme in Bezug auf den Prozess der Verteilung der Subventionen für die Auswärtigen Kulturinstitute fest:
„Nun vollzog sich die ganze Arbeit zunächst wie eine Art Raubtierfütterung (Hervorhebung von mir, G.F.). Wer am meisten schrie, der bekam
schnell einen Brocken hingeschmissen. Man konnte einfach keinen Plan
machen, weil die Mittel und die personelle Besetzung minimal waren.“189
In diesem Sinne war es in unseren Fallbeispielen nicht verwunderlich, dass
die finanzielle Kluft zwischen Finanzierungsbedarf und zur Verfügung gestellten Mitteln vor allem durch Zuwendungen aus der Privatwirtschaft
überbrückt wurde. (Hier sei exemplarisch an das Engagement Kiesingers
erinnert, welcher ein Fünftel des Gesamtbedarfs zur Lancierung des Heidelberg-Hauses aus der Privatwirtschaft einwarb.) Schon früh wurde auch
im Auswärtigen Amt die Bedeutung des Mäzenats für auswärtige Kulturarbeit erkannt:
„Der heutige Massenstaat mit seiner leider nötig gewordenen Bürokratie
ist an sich viel schlechter zu einer solchen Förderung geeignet als der einzelne lebendige Mäzen. Weil es diese aber jedenfalls bei uns nur sehr selten mehr gibt, muss die öffentliche Hand einspringen. Sie soll sich aber
stets ihrer dienenden Rolle bewusst bleiben und die Freiheit nicht gefährden.“190
Insgesamt kann man für diese Anfangsphase deutscher kultureller Programmarbeit in Frankreich festhalten, dass sich die finanzielle Lage im Kulturbereich zwar langsam verbesserte, jedoch noch viele Desiderata offen
blieben. Für die deutschen Institute in Frankreich waren die Anschubfinanzierungen der 1960er Jahre von substantieller Bedeutung, sei es struktureller (Kauf einer Immobilie, mehrjähriger Mietvertrag) oder personeller
Art (Übernahme des Gehalts des Leiters oder weiterer Mitarbeiter). Die
analysierten Fallbeispiele konnten auch belegen, dass man sowohl im Auswärtigen Amt, als auch in der Deutschen Botschaft Paris die Fäden zur Gestaltung der Kulturarbeit in Frankreich fest in der Hand behalten wollte.
189
190
Stoll: Dieter Sattler, ibid. S.527.
Stoll: Dieter Sattler, ibid. S.525.
78
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Dieser Konflikt wurde anhand der Streitfrage, ob im Falle des HeidelbergHauses eine Dozentur mit eigener Wirtschaftsführung oder eine Außenstelle der Zweigstelle des Goethe-Instituts eingerichtet werden sollte,
besonders deutlich. Die Tatsache, dass sich die Verantwortlichen des Heidelberg-Hauses in dessen Gründungsphase dafür entschieden, ein von der
deutsch-französischen Zivilgesellschaft geführtes Kulturinstitut zu gründen, um sich – im Gegensatz zu den Goethe-Instituten – ihre finanzielle und
inhaltliche Unabhängigkeit zu bewahren, führte dazu, dass bereits in den
1960er Jahren jene zwei Modelle deutscher Kulturinstitute in Frankreich
entstanden, welche auch heute noch die kulturelle Landschaft im Nachbarland prägen.
Die unterschiedlichen Konstituierungsbedingungen wirkten sich auch auf
die Ausrichtung der kulturellen Programmarbeit der einzelnen Institute
aus. Die Entstehungsgeschichte und die Eröffnung des ersten DeutschlandHauses in Frankreich im Rahmen einer Cité Universitaire zeigte auf, wie
man das Zentrum in der französischen Hauptstadt positionieren wollte: als
internationale Begegnungsstätte deutscher, französischer und internationaler Studenten der französischen Hauptstadt. Hatte von Brentano noch
im Jahre 1953 bei seiner Eröffnungsrede den Wunsch geäußert, dass dieses Haus eine Begegnungsstätte werden solle, „um den französischen Geist,
die französische Kultur und den französischen Menschen kennen zu lernen“191, so bekannte sich vier Jahrzehnte später auch der spätere Institutsleiter, Joachim Umlauf, weiterhin zu dieser kulturpolitischen Mission:
„Contribuer à faire disparaître de tels préjugés, à instaurer la confiance et
l’amitié par la rencontre quotidienne et la vie commune d’étudiants d’au
moins vingt nationalités différentes au sein de la Maison Heinrich Heine,
voilà peut-être la mission essentielle de notre institution.“192
Auch der Gründungsname des deutschen Kulturinstituts in Montpellier,
das „Heidelberg-Haus“, ist bereits Programm: Er verweist auf die enge Verbindung des Instituts mit der Partnerstadt, der Partneruniversität und dem
Land Baden-Württemberg. Seine Entstehungsgeschichte zeigte auf, dass
dieses, seit 1966 in Frankreichs Süden wirkende Institut, ohne interregionale Unterstützung wohl nie eröffnet worden wäre. Die Entscheidung aus
191
In: Raether, Martin (Hg.): Maison Heinrich Heine PariS.1956 - 1996. Quarante ans de présence culturelle. Bonn, Paris 1998, ibid. S.46.
192 In: Raether, Martin, ibid. S.186.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
79
dem Gründungsjahr, nicht in das offizielle Netzwerk der Goethe-Institute
einzutreten, bedeutete neben der inhaltlichen Unabhängigkeit zugleich
auch ein Bekenntnis, dem zukünftigen Zielpublikum neben deutscher Kultur vor allem auch die regionale Kultur Baden-Württembergs näher zu
bringen.
Im Gegensatz zum Heidelberg-Haus in Montpellier hatte man sich im Goethe-Institut Lille - mit Zuspruch der deutschen Botschaft in Paris - im Jahre
1957 entschieden, die Gunst der Stunde zu nutzen, um das erste offizielle
Goethe-Institut in Frankreich zu gründen. Auch das Liller Institut verdankt
seine erfolgreiche Entstehungsgeschichte u.a. dem Partnerschaftsverhältnis zwischen Lille und Köln auf der einen Seite und der Regionalpartnerschaft zwischen den Regionen des Nordens und dem Ruhrgebiet auf der
anderen Seite. So wuchs in der Phase der Versöhnung das Profil dieses Instituts heran, welches auch heute noch die kulturelle Programmarbeit des
ersten deutschen Goethe-Instituts auf französischem Boden nachhaltig
prägt: die enge Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort. Gerade in dieser Zusammenarbeit sieht Jérôme Vaillant ein Modell zum Aufbau Europas: „Le travail en réseau avec des acteurs locaux qui constitue un véritable
modèle de coopération franco-allemande pour le bien de la construction
européenne.“193
193
Vaillant, Le Goethe-Institut de Lille, ibid. S.110.
80
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3. Programmatik und Programm deutscher
Auswärtiger Kulturpolitik im Zeitraum von
1965 bis 2011
3.1.1 Methodik und Vorgehensweise
Wie bereits eingangs erwähnt, zielt das nun folgende Kapitel darauf ab,
wichtige programmatische Schriften zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik in einen Bezug zur praktischen Umsetzung durch deutsche Mittlerorganisationen in Frankreich zu setzen. Im Fokus unseres Interesses stehen
dabei exemplarisch die kulturelle Programmarbeit der Goethe–Institute
und – nach ihrer Gründung im Jahre 1993 – Schwerpunkte kultureller Programmarbeit der Föderation deutsch-französischer Häuser.
Die Analyse erfolgt dabei in zwei Schritten. In einem ersten Schritt werden
die wichtigsten Konzepte und Leitlinien deutscher Auswärtiger Kulturpolitik im Zeitraum von 1960 bis 2011 aufgezeigt. Dieser Zeitabschnitt wurde
in fünf Untersuchungsphasen unterteilt, die sich zum einen durch eine konzeptuelle Neuausrichtung deutscher Auswärtiger Kulturpolitik, zum anderen durch eine Regierungsumbildung ergeben. Manche Phasen zeichnen
sich sowohl durch eine Umorientierung in Bezug auf die Auswärtige Kulturpolitik, als auch durch eine neue Regierungskoalition aus. Die programmatischen Schriften wurden zum besseren Verständnis in den
jeweiligen historischen Kontext der deutsch-französischen Kulturbeziehungen eingebettet. Neben den offiziellen Positions- und Strategiepapieren des Auswärtigen Amtes finden auch grundlegende konzeptionelle
Überlegungen der deutsch-französischen Zivilgesellschaft Eingang in die
Analyse.
In einem zweiten Schritt wird analog zu diesen Phasen der Konzeptualisierung die kulturelle Programmarbeit der Goethe-Institute und später
schwerpunktartig - die der deutsch-französischen Häuser qualitativ und
quantitativ ausgewertet. Jeweils am Ende jeder Untersuchungsphase werden in Form eines Fazits die theoretischen Konzepte mit der praktischen
Umsetzung vor Ort verglichen. Um eine Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Ergebnisse zu gewährleisten, wurden nach Möglichkeit konstante
Vergleichsparameter ausgewählt. Exemplarisch seien an dieser Stelle nochmals die Vergleichsparameter des sich wandelnden Kulturbegriffs, das im
Ausland vertretene Deutschlandbild oder aber die unterschiedlichen Formen der Kooperation genannt. Mittels dieser konstanten Vergleichsparameter sollen die einzelnen Entwicklungsphasen und Paradigmenwechsel
der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik besser herausgearbeitet werden.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
81
3.1.2 Zum Korpus
Den Korpus der Untersuchungen bilden die Jahrbücher des Goethe-Instituts im Zeitraum von 1965 bis 2011. Diese wurden ab dem Jahr 1965 veröffentlicht und bilanzieren jeweils in verschiedenen Kategorien die Arbeit
der Goethe-Institute des vorangegangenen Kalenderjahres. Im Rahmen der
Untersuchungen wird der gesamte Zeitraum des bisher veröffentlichten
Materials berücksichtigt, d.h. die Jahrbücher von 1965 bis 2011.
Vor der Analyse seien jedoch zunächst einige kritische Bemerkungen zum
Korpus vorausgeschickt. Die Jahrbücher des Goethe- Instituts bemühten
sich vorrangig um eine quantitative Erfassung der Kulturprogramme. Diese
Vorgehensweise lässt in den einzelnen Phasen nur wenig Einblick in die
inhaltlichen Schwerpunkte der vor Ort geleisteten Kulturarbeit zu. Zweitens ist über den gesamten Untersuchungszeitraum kaum eine Evaluationsform mit einheitlichen Evaluationskriterien länger als zehn Jahre
beigehalten worden. Die von der Münchener Zentrale geforderten, statistischen Beurteilungskriterien änderten sich fortwährend und erschweren
es daher, für bestimmte Zeiträume eindeutige Aussagen zu treffen oder
aber gezielte Rückschlüsse auf allgemeine Tendenzen zu ziehen (siehe folgende Übersicht 1). Unsere Analyse berücksichtigt daher auch den Wechsel
der Evaluationsparameter, indem sie sich den unterschiedlichen Darstellungsformen anpasst. Diese Jahrbücher der Goethe-Institute lassen eine
Periodisierung in acht Phasen erkennen, was der sich fortwährend verändernden Darstellungsweise der Datenerhebung in den Jahresberichten der
Goethe-Institute geschuldet ist. Den Jahrbüchern entsprechend ergibt dies
folgende Evaluationsphasen, die in der Übersicht 1 zusammenfassend dargestellt werden:
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
82
Übersicht 1: Die Evaluationskriterien der Jahrbücher des Goethe Instituts
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Quelle:
Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Die Übersicht 1 gibt Auskunft über sämtliche Evaluationskriterien der Jahrbücher des Goethe-Instituts von 1965 bis 2011. Nur so viel sei bereits vorweg genommen: die Tabelle belegt, dass nur wenige Kategorien einheitlich
über einen längeren Zeitraum angewandt wurden. Besonders auffallend
ist im Gesamtkontext die Phase von 1966 bis 1970: hier wurde versucht,
neben der Anzahl der einzelnen Veranstaltungen auch die Besucherzahl
pro Veranstaltungsform zu erheben. Es ist vor allem festzuhalten, dass zur
Erfassung der Kulturveranstaltungen tendenziell immer weniger Evaluationskriterien vorgegeben werden. Heute beschränkt sich das Goethe-Institut in Bezug auf die kulturelle Programmarbeit lediglich auf die Kriterien
Programme und Reichweite.
Ein weiterer Kritikpunkt am Untersuchungsgegenstand ist die Tatsache,
dass die andauernde Veränderung der Evaluationsparameter auch zu Verunsicherungen seitens der Verantwortlichen führte, denn mitunter wurden
die Statistiken auch falsch und uneinheitlich ausgefüllt. Dieses Phänomen
wird später anhand der Übersicht 4 genauer dokumentiert werden.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
83
Trotz dieser Kritikpunkte legen die seit Mitte der 1960er Jahre der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Jahrbücher des Goethe-Instituts ein kontinuierliches Zeugnis über ein jahrzehntelanges Engagement dieser
Institution im Bereich der kulturellen Programmarbeit der Auslandsinstitute ab. Umso verwunderlicher erscheint es, dass dieses Material noch
nicht umfassend wissenschaftlich ausgewertet wurde. Leider sind auch die
Institutsleiter der vergangenen Jahrzehnte seitens der Münchener Zentrale
nicht dazu angehalten worden, regelmäßig ihre Programmhefte, welche en
Detail Zeugnis über die geleistete kulturelle Programmarbeit ablegen
könnten, ihrerseits zu archivieren. Auch die Münchener Zentrale hat kein
derartiges Archiv angelegt.
So sind die Jahrbücher des Goethe-Instituts trotz ihrer oben aufgezeigten
inhaltlichen wie strukturellen Mängel heute für unsere Untersuchung das
einzige aussagekräftige Untersuchungsmaterial für eine wissenschaftliche
Langzeitstudie, um langfristige Aussagen über die Entwicklungsachsen und
Schwerpunktthemen der kulturellen Programmarbeit der Goethe-Institute
machen zu können.
84
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3.2.1 Erste Konzeptionen zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik
der 1960er Jahre
Enger und erweiterter Kulturbegriff
Von 1955 bis 1965 wurden insbesondere offiziöse Mittlerorganisationen
und Mittler Ansprechpartner, Bindeglied und Wegbereiter für den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich. In dieser Phase,
in welcher sich der Aufbau eines institutionellen Netzwerkes im Nachbarland abzuzeichnen schien, lag jedoch auch noch keinerlei Konzeption zur
inhaltlichen Gestaltung kultureller Programmarbeit vor. Im Goethe-Institut
Lille und im Heidelberg-Haus hatte - wie zuvor aufgezeigt - zunächst die
sprachpädagogische Arbeit Priorität. Aber welche inhaltlichen Schwerpunkte sollte die kulturelle Programmarbeit setzen und an welche Zielgruppen sollte sich diese wenden? Auch in diesen beiden Fragen klafften
die Vorstellungen des Auswärtigen Amtes und der deutschen und französischen Zivilgesellschaft weit auseinander.
Die Konzeption des Auswärtigen Amtes in dieser Phase der deutsch-französischen Kulturbeziehungen arbeitete Victoria Znined-Brand sehr überzeugend im dritten Kapitel ihrer Monographie Bundesrepublik Deutschland:
Steigerung der kulturellen Präsenz und positives Deutschlandbild heraus.194
Nach Znined-Brand war die inhaltliche Ausrichtung der kulturellen Programmarbeit in den späten 1950er Jahren bis etwa Mitte der 1960er Jahre
nach wie vor durch die nationalsozialistische Erblast geprägt; das Vertrauen zum französischen Nachbarn sollte daher in diesem Jahrzehnt deutscher auswärtiger Kulturpolitik erstens durch „seriöse Kulturwerbung“195,
zweitens durch „Sympathiewerbung“196 für die Bundesrepublik wiedererlangt werden. Drittens verfolgte Deutschland, so Znined-Brand, auch das
Ziel, sich „nicht nur als Wirtschaftsmacht zu legitimieren, sondern auch als
Kulturstaat.“197 Diese Haltung des Auswärtigen Amtes hatte laut ZninedBrand bis etwa Mitte der 1960er Jahre Bestand. Noch in der Regierungserklärung formulierte der Bundeskanzler und Symbolfigur des deutschen
Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, in Bezug auf die inhaltlichen Schwerpunkte kultureller Programmarbeit: „Wir wollen das Bild Deutschlands,
das als Handels- und Industrienation der Welt geläufig ist, (in der Auswärtigen Kulturpolitik, G.F.) durch jene Züge ergänzen, die zum Bild Deutschlands gehören: die Züge des Geistes und der menschlichen Gesinnung.“198
194
195
196
197
198
Znined - Brand, ibid. S.43-53.
Znined - Brand, ibid. S.43.
Znined - Brand, ibid. S.43.
Znined - Brand, ibid. S.43.
Zitiert nach Znined - Brand, ibid. S.44.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
85
Die Veranstaltungen sollten dabei insbesondere durch ihre inhaltliche Qualität überzeugen und sich daher vornehmlich an die französische Bildungselite und Multiplikatoren richten. Hans Manfred Bock und Ulrich Pfeil
verweisen in ihrem Aufsatz „Kulturelle Akteure und die deutsch-französische Zusammenarbeit“, darauf, dass „die fehlende Bereitschaft des GoetheInstituts vor Ort (hier: Goethe-Institut Nancy) sich neuen gesellschaftlichen
Gruppen zu öffnen“199, seitens des bundesdeutschen Generalkonsulats in
Nancy schon früh sehr kritisch gesehen wurde. Diese Strategie einer kulturellen Programmarbeit für französische Bildungseliten ging einher mit
einer sehr engen Auffassung des Kulturbegriffs. In einer Aufzeichnung des
damaligen Leiters der Kulturabteilung, Trützschler, aus dem Jahre 1955
heißt es, dass die zu schaffenden Kulturinstitute „den Mittelpunkt des deutschen geistigen Lebens bilden sollten, wo deutsche Vorträge gehalten werden, deutsche Musik dargeboten und der deutsche Film gezeigt werden
sollte.“200 Unter dem Motto „Das Beste ist für das Ausland gerade gut
genug“201, sollte die Programmgestaltung vor allem dem Kriterium der
Qualität verpflichtet sein und nach und nach alle Gebiete des „geistigen Lebens“ erfassen: „Musiker, Dichter, bildende Künstler und Gelehrte. Im Vordergrund steht das Interesse für alles Moderne, d.h. für die kulturellen
Leistungen unseres Jahrhunderts.“202 Im Sinne dieses engen Kulturbegriffs
diskutierte man im Auswärtigen Amt nach dem Staatsbesuch von Charles
de Gaulle 1962 sogar über die Aussetzung eines jährlichen Preises für das
in Frankreich erfolgreichste deutsche Bühnenstück, wobei die Auswahlkriterien deutlich wirtschaftlicher Natur waren: Selektionskriterium sollte
bei der Auszeichnung einzig und allein der Erfolg sein, denn „nur der Erfolg
verdient Prämie.“ 203 In ihrem Vergleich der französischen mit den Schwerpunkten der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik der Phase 1956 – 1969
kommt Znined-Brand abschließend zu einem überaus interessanten Fazit,
wenn sie in Bezug auf die unterschiedlichen inhaltlichen Konzepte deutscher und französischer Kulturpolitik „spiegelbildliche Entwicklungen“ auf199
200
201
202
203
Hans Manfred Bock: Kulturelle Akteure und die deutsch-französische Zusammenarbeit,
ibid. S.215-234.
PA-AA: Aufzeichnung von Trützschler, Leiter der Kulturabteilung, 30.11.1955,
600/80.20/1: Kulturpolitik, Kulturrecht und Kulturverwaltung – Allgemeines. Hier: Deutsche Außenpolitik.
PA-AA: Aufzeichnung von Trützschler, ibid.
PA-AA: Aufzeichnung von Trützschler, ibid.
PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich, Bezug: Knatz, Aufzeichnung vom 25. September 1962 - 606-88 SK 6017, betr.: Vertiefung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Staatsbesuch des Generals
de Gaulle.
86
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
zeigt, die sich aus den im Entstehen begriffenen unterschiedlichen Gesellschaftsformen ableiten:
„Es handelt sich somit bei den Strategien Deutschlands und Frankreichs
um eine spiegelbildliche Entwicklung, die sich bis heute fortsetzen, wenn
nicht sogar verstärken sollte. Gewissermaßen war es eine Art Gründungsmoment, das ein Thema bestimmte, das sich in den Konzeptionen
auswärtiger Kulturpolitik in Deutschland und in Frankreich bewahrt hat:
Deutschland, das im Ausland auf den technischen Aspekt reduziert war,
wollte sich um den kulturellen Gesichtspunkt, der ihm bis dahin fehlte,
bereichern, und Frankreich, das im Ausland ausschließlich als Land der
schönen Künste angesehen wurde, wollte sein Bild um die technische
Komponente bereichern. In gewisser Weise entsteht so der Eindruck,
dass Deutschland und Frankreich sich und ihre auswärtige Kulturpolitik
in Bezug auf das Nachbarland definierten. Das Image des einen Landes
verwies somit auf das des anderen und umgekehrt.“204
Diese eben skizzierte Zielsetzung der offiziellen deutschen Auswärtigen
Kulturpolitik ist umso verwunderlicher, als dass man in dieser Phase in
ständigem Kontakt mit französischen Mittlerpersönlichkeiten stand, welche die Schwerpunkte deutscher kultureller Programmarbeit anders gesetzt hätten. Während sich die vorsichtige Vorgehenswiese der deutschen
Behörden durch den Bestand alter Feindbilder in der französischen Bevölkerung erklären ließ, waren diese Feindbilder, so Lüsebrink „in der Elitenkultur aufgrund des seit den 1950er Jahren zwischen Deutschland und
Frankreich intensivierten Kultur-und Wissenstransfers deutlich weniger
präsent.“205 Schon früh entwickelten diese Mittlerpersönlichkeiten ein gegenläufiges Konzept zu den offiziellen inhaltlichen Schwerpunkten deutscher Auswärtiger Kulturarbeit, welches sie aus den Bedürfnissen der
französischen Zivilgesellschaft ableiteten. Exemplarisch für die Rolle französischer Mittlerfiguren soll an dieser Stelle auf das Engagement Alfred
Grossers hingewiesen werden, vor allem deshalb, weil gerade in Bezug auf
den Kulturbegriff die Konzeptionen zwischen dem Auswärtigen Amt und
der Zivilgesellschaft besonders weit auseinander gingen. Corine Defrance
204
Victoria Znined-Brand, „Deutsche und französische auswärtige Kulturpolitk“, Eine vergleichende Analyse, Das Beispiel der Goethe-Institute in Frankreich sowie der Instituts
und Centre Culturels Français in Deutschland seit 1945, ibid. S.50.
205 Lüsebrink, Perzeption des Partners in Frankreich, ibid. S.229.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
87
belegte in ihrer Studie Les relations franco-allemandes dans les années cinquante 206, dass Grosser als Repräsentant nicht gouvernementaler Strukturen einer der ersten war, der den Begriff Kultur im Rahmen deutscher
Auswärtiger Kulturpolitik neu zu definieren suchte. Er sei , so Defrance,
„un des inventeurs de ce que l’on nomme le erweiterter Kulturbegriff.“207
Defrance belegt ihre These, indem sie eine Notiz Grossers an Roger Seydoux, den Leiter der französischen Kulturabteilung, im Vorfeld eines Treffens deutsch- französischer Mittler bereits im Jahre 1957 zitiert:
„La plus grande surprise des participants a toujours été de découvrir à
quel point les problèmes qui se posaient dans les deux pays étaient voisins. Du côté français, on s’aperçut qu’on avait beaucoup plus à offrir aux
Allemands que les valeurs artistiques et littéraires du passé. Tous les efforts français de renouvellement qui ont été accomplis après la Libération
intéressaient aussi l’Allemagne [...]. Bien entendu, une telle conception
suppose un élargissement considérable de la clientèle (Hervorhebung von
mir, GF) qui participe aux échanges culturels. Spécialistes, techniciens,
journalistes, instituteurs, syndicalistes, agriculteurs sont plus importants
à toucher que certains milieux sans doute fort cultivés, mais qui jouent un
rôle minime dans l‘évolution en profondeur de leur pays”208
Nach Grosser sollte die kulturelle Programmarbeit deutscher Kulturinstitute in Frankreich ein ganz anderes Deutschlandbild entwerfen, als es in
den Konzepten des Auswärtigen Amtes vorgesehen war. Nicht nur kulturelle Themen, sondern kritische Auseinandersetzungen mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen sollten zu einer kulturellen
Annäherung beider Staaten führen. Er sah in der Bewältigung gemeinsamer Probleme und Fragestellungen eine Brücke für die zukünftige Verständigung. Mit der Erweiterung des Kulturbegriffs war für Grosser auch
eine Erweiterung der Zielgruppe verbunden. Fünf Jahre später, bei einer
Arbeitstagung des Goethe-Instituts in Paris, am 19. April 1962, dessen Inhalt dem Auswärtigen Amt vorlag, forderte Grosser:
206
207
208
Defrance, Les relations franco-allemandes dans les années cinquante, ibid. S.251.
Defrance, Les relations franco-allemandes dans les années cinquante ibid. S.251.
PA/AA, B 90, Band 204, Notiz von Alfred Grosser für Roger Seydoux, 6/2/1957, zitiert
nach: Corine Defrance: Les relations culturelles franco-allemandes dans les années cinquante, ibid. S.251.
88
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
„Vorträge von Deutschen brauchen nicht unbedingt rein kulturelle Themen zu behandeln; Vielmehr würden Fachvorträge; etwa über Flüchtlingsgesetzgebung, Steuergesetze, Verfassungsrecht, Pressefreiheit in
Deutschland, oder auch allgemein verständliche naturwissenschaftliche
und medizinische Vorträge willkommen sein. Germanistik ist im französischen Sinne nicht nur die Wissenschaft von der deutschen Sprache und
Kultur, sondern in hohem Masse auch politische und wirtschaftliche Gegenwartskunde von Deutschland“209
Grosser sprach an selber Stelle die Empfehlung aus, in den Kulturveranstaltungen ein modernes Deutschland zu zeigen, kein offizielles Deutschland zu repräsentieren und nur ausnahmsweise, bei besonderen Anlässen,
repräsentative Veranstaltungen zu organisieren. Kurz: er wünschte sich
eine „Kulturarbeit mit und ohne Smoking“210
Für Defrance entstand durch die Divergenzen in Bezug auf die Zielgruppen
und den Kulturbegriff in den 1950er Jahren so eine Kluft zwischen dem Anliegen des Auswärtigen Amtes und den Interessen der Zivilgesellschaft:
„Dans les années 1950, le clivage entre acteurs gouvernementaux et non
gouvernementaux en matière culturelle se produisit en grande partie sur
cette question de la définition de la culture.“211 Glücklicherweise steuerten
einzelne Goethe- Institute der vom Auswärtigen Amt ausgegeben Leitlinien
bereits frühzeitig entgegen und setzten den unter anderem von Grosser
propagierten erweiterten Kulturbegriff in der Praxis ihrer kulturellen Programmarbeit um und erreichten so einen erweiterten Publikumskreis. Erneut sei an dieser Stelle das Goethe-Institut in Lille genannt, welches
bereits Anfang der 1960er Jahre diesen Kulturbegriff umsetzte. Im Auswärtigen Amt setzte man sich erstmals Mitte der 1960er Jahre mit der inhaltlichen Gestaltung und der strategischen Ausrichtung deutscher
Auswärtiger Kulturpolitik auseinander.
209
PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich Referat 606.
LR Dr. Knatz, Bonn, den 19. April 1962, betr. Arbeitstagung des GI in Paris.
210 PA-AA, 606 SK 8406/0: Deutsche Kulturinstitute in Frankreich Referat 606.
LR Dr. Knatz, Bonn, den 19. April 1962, betr. Arbeitstagung des GI in PariS.
211 Defrance, Les relations franco-allemandes dans les années cinquante, ibid. S.251.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
89
Erste Konzeptionen zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik
Erst unter Dieter Sattler, welcher die Kulturabteilung des Auswärtigen
Amtes von 1959 bis 1966 leitete, entstand Ende der sechziger Jahre erstmals ein Konzept zur inhaltlichen Gestaltung deutscher Auswärtiger Kulturarbeit. Im Folgenden wird intensiver auf Sattlers programmatische
Reden und Aufsätze eingegangen, da diese für spätere strategische und inhaltliche Überlegungen des Auswärtigen Amtes von grundlegender Bedeutung sind.
Wirft man einen Blick auf wissenschaftliche Untersuchungen zum Verdienst Sattlers im Rahmen deutscher auswärtiger Kulturpolitik, so wird
man feststellen, dass seine administrativen Leistungen zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik zwar Erwähnung finden, seine konzeptionellen Leistungen in Bezug auf die Weiterentwicklung des Kulturbegriffs jedoch bis
heute noch nicht in gebührendem Maße gewürdigt wurden.212 Es sei an
dieser Stelle vorweg genommen, dass seine Ausführungen zur auswärtigen Kulturvermittlung und dem Kulturbegriff aus den frühen 1960er im
begrifflichen Sinne dem von Brandt später geprägtem Begriff der „Dritten
Säule“ der Außenpolitik ebenso vorangehen, wie dem von Hamm - Brücher
entwickelten Modell der „Dritten Dimension“(hierzu mehr in den folgenden
Kapiteln). Konzeptuell gesehen sind die Ausführungen Sattlers sogar mit
den im Dezember 1970 von Dahrendorf entworfenen „Leitsätzen für die
Auswärtige Kulturpolitik“ gleichzusetzen.213 Die Pionierleistung Sattlers
auf diesem Gebiet findet in der Sekundärliteratur jedoch noch kaum Beachtung. Es ist insbesondere der Verdienst Ulrike Stolls, die durch ihre Monographie Kulturpolitik als Beruf, Dieter Sattler (1906-1968) auf die
innovativen Leitlinien des ersten Leiters des Auswärtigen Amtes zur Auswärtigen Kulturpolitik hingewiesen hat. Im Folgenden sollen diese zusammengefasst und erläutert werden.
212
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Forschungsarbeit von Ulrike
Stoll:“ Kulturpolitik als Beruf“, Dieter Sattler (1906-1968) in München, Bonn und Rom, Paderborn. München. Wien. Zürich 2005. Leider geht Stoll nur im 5. Kapitel auf die Leistung
Sattlers im Auswärtigen Amt ein. Es erfolgt jedoch leider eine etwas oberflächliche Einordnung in die Gesamtproblematik der Auswärtigen deutschen Kulturpolitik.
213 Brandts, Dahrendorfs und Hamm-Brüchers Konzeptionen zur Neuausrichtung deutscher
Auswärtiger Kulturpolitik in den 1970er und 1980er Jahren werden heute in der Sekundärliteratur unisono als bahnbrechende Modelle zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik angesehen. So führte zuletzt Wolfgang Schneider in seiner Analyse „Vom Export zum
Netzwerk, vom Event zur Intervention“ richtig an, dass durch diese Konzeptionen der
1970-1980er Jahre wichtige allgemeine Prinzipien des Kulturaustauschs entwickelt wurden. Siehe: Wolfgang Schneider, Netzwerk, ibid.
90
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
1960: die Stunde der Kulturpolitik: sechs Thesen zur Auswärtigen Kulturpolitik
In seinem Frankfurter Vortrag über die „Stunde der Kulturpolitik“ vor der
Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft entwarf Sattler bereits
zu Beginn seiner Amtsübernahme als Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes ein Konzept zur auswärtigen Kulturpolitik, welches sich
in sechs Thesen zum Kulturaustausch zusammenfassen lässt: Im Gegensatz
zur Kulturpropaganda der Nationalsozialisten, so Sattler, liege der Hauptunterschied des Kulturaustauschs in der kulturellen Nachfrage des Partners:„1. Der Kulturaustausch ist nur wirksam, wenn er gewünscht ist. Man
kann ihm keinem anderen Land aufzwingen.“214 Seine zweite These betraf
die Art der Zusammenarbeit und somit die inhaltliche Konzeption kultureller Programmarbeit. Laut Sattler könne man in einem Land nur echte
Kulturbeziehungen entwickeln, wenn man sich im Vorfeld für dessen eigene Kultur interessiert und ein langfristiger Austauschprozess stattfindet.
Als Metapher für diese Idee wählte Sattler das Bild der Seilbahn: „Die Kulturpolitik ist nur wirksam, etwa wie eine Seilbahn. Der eine Wagen geht
nur rauf, wenn der andere runterkommt.“215 Bereits in der dritten These
verwies Sattler auf die bestimmende Rolle der Zivilgesellschaft, indem er
hervorhob, dass „der weitaus größte Teil des kulturellen Austauschs aus
privater Initiative geschieht“216 und die öffentliche Hand nur an den Stellen sinnvoll fördern, könne, „[… ] wo sich zwischen den Völkern Kontakte
ergeben und ein kultureller Austausch stattfindet. “217
Jede kulturelle Veranstaltung, sei es ein Film, ein Hörspiel, eine Oper, so
Sattler, gehe auf private Initiativen zurück. Die vierte These führte im
Grunde die dritte These weiter aus, da Sattler auf die bereits zitierte Bedeutung des privaten Mäzenats für die auswärtige Kulturförderung einging. Als Fazit seiner Ausführungen unterstrich Sattler nochmals die
Bedeutung transnationalen, zivilgesellschaftlichen Engagements:
„Dabei darf man nicht vergessen, dass auch heute noch der weitaus größte
Teil der Kontakte der Personen und Völkern ganz ohne Mitwirkung des
Staates und der öffentlichen Hand im Allgemeinen aus der Initiative des
Einzelnen hervorgeht und das, will mir scheinen, ist gut so.“218
214
215
216
217
218
Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, ibid. S.524.
Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, ibid. S.524.
Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, ibid. S.524.
Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, ibid. S.524.
Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, ibid. S.523.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
91
Im Anschluss an diese Analyse kam Sattler zu dem Fazit, dass – sicherlich
auch bedingt durch die Ära und das Wirtschaftswunders – Deutschland zu
Beginn der 1960er Jahre ein neues Feld der Außenpolitik vor sich hatte. So
hatte Sattler in seiner Amtszeit den Ehrgeiz, die kulturelle Außenpolitik
zur „Dritten Bühne“ außenpolitischer Beziehungen empor zu heben:
„Nun scheint im 20. Jahrhundert eine „Dritte Bühne“ außenpolitischer Beziehungen entstanden zu sein, auf der mit Filmen, Sportkämpfen, Ausstellungen, Büchern, Theaterstücken und Balletts, mit dem Austausch von
Wissenschaftlern und Erziehern, von Studenten und Erwachsenenbildnern gespielt wird.“219
In diesem Zusammenhang ist es interessant darauf hinzuweisen, dass Sattler bereits zu Beginn seiner Amtsübernahme eine Bestandsanalyse zur
Lage deutscher Kulturpolitik entwarf, in der er „Handikaps“ mit „Chancen“
deutscher Kulturarbeit im Ausland einander gegenüberstellte. Die Ausführungen Sattlers sind an dieser Stelle in tabellarischer Form zusammengestellt220:
219
220
Dieter Sattler: Die dritte Bühne – kulturelle Außenpolitik, in: Universitas 18 (1963), S.916.
Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, ibid. S.528ff. Alle weiteren Zitate in der Übersicht beziehen sich auf den „Vortrag über die Stunde der Kulturpolitik“ am gleichen Ort.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
92
Übersicht 2: Thesen aus Sattlers Vortrag „die Stunde der Kulturpolitik, 1960
!
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Quelle: Eigene Darstellung, Übersicht erstellt nach Sattler: Stunde der Kulturpolitik, 1960221
Zum einen belegen die Ausführungen Dieter Sattlers aus dem Jahre 1960
unstrittig, dass - nach den Schwierigkeiten der Anfangsphase (1949-1960)
- bei den Verantwortlichen im Auswärtigen Amt die institutionelle Verfestigung des Politikfeldes der Auswärtigen Kulturpolitik zur obersten Priorität wurde. In diesem Sinne fordern die Schriften und Reden Sattlers an
mehr als nur einer Stelle die konzeptionelle Neuordnung der Kulturpolitik.
Auch die Tatsache, dass im Jahre 1964 der Öffentlichkeit zum ersten Mal
ein Jahresbericht der Kulturabteilung vorgelegt wurde und auf Sattlers Initiative im Jahre 1961 der „Kulturpolitische Beirat“ als Beratungsorgan des
Auswärtigen Amtes gegründet worden war, legen Zeugnis für diese Bemühungen ab.
So visionär Sattlers Forderungen der Entwicklung der „dritten Bühne“
deutscher Außenpolitik auch waren, so muss jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt hervorgehoben werden, dass bis in die Mitte der 1960er Jahre auf
staatlicher Seite nicht an eine Umsetzung seiner Konzepte zu denken war.
221
Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, ibid. S.528ff.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
93
Vor allem aus zwei Gründen wurde der Handlungsspielraum innerhalb der
Behörde stark eingeschränkt: Dies betraf zunächst die Finanzstruktur der
Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes: Hatte Sattler bereits bei seinem
Amtsantritt in Bonn „Mehr Geld, wesentlich mehr Geld“222 und einen Kulturetat von mindestens einem Prozent des Wehretats gefordert, so wurde
für ihn das Ausmaß an Beschränkungen im Kulturetats ein Grundproblem,
welches seine Amtszeit von 1959 bis 1966 maßgeblich mit bestimmte. In
seiner Bilanz „Sieben Jahre Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes“ stellt
er zwar insgesamt einen Ausbau der Tätigkeiten und Organisationen im
Ausland fest, im Bereich der Haushaltsmittel für die Kulturabteilung jedoch
lediglich „Stillstand und Rückschläge.“223 So konnten - und dies trotz stark
erhöhter Nachfrage - besonders im Jahre 1963 und in den Folgejahren
1964 und 1965 die Haushaltmittel nicht entsprechend der ursprünglichen
Planung erhöht werden. Der enge Haushaltsplan wirkte sich zweitens vor
allem auf die Personalstruktur der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes
aus: Anfang der 1960er Jahre wurde es immer schwieriger, geeignete Personen für die Kulturarbeit im Ausland und sogar im Auswärtigen Amt zu
finden. In Bezug auf die Personalausstattung der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes schrieb Sattler rückblickend:
„Die besten Kräfte des Auswärtigen Amtes gehen nach wie vor nicht in die
Kulturabteilung. Das liegt daran, dass die Gesamtstellung der Kulturabteilung trotz aller finanzieller Verbesserungen im Auswärtigen Amt nicht
so verstärkt werden konnte, wie es nötig gewesen wäre. Immer noch gehört die Kulturabteilung nicht zu den politischen Abteilungen des Auswärtigen Amtes.“224
Ein weiterer Mangel betraf die Qualität und die Kompetenz der Mitarbeiter im Amt. Aus der Bilanz Sattlers geht hervor, dass sich das Personal der
Kulturabteilung im Zeitraum von Sattlers Ernennung um nur 50% vermehrte, obwohl die Mittel mehr als verdreifacht wurden. Dies hatte unweigerlich zur Folge, dass aus Personalmangel „viele Aufgaben nicht
genügend wahrgenommen werden konnten“ und auch „die Übersicht und
Zusammenarbeit mit den privaten und halbprivaten Organisationen [unter
dem Personalmangel der Kulturabteilung] litt.“225 In seiner Bilanz kriti222
223
Zitiert nach Ulrike Stoll, Kulturpolitik als Beruf, S.346.
Dieter Sattler: Bilanz über sieben Jahre Kulturabteilung, in: Ulrike Stoll, Kulturpolitik als
Beruf, idid, S.534.
224 Dieter Sattler: Bilanz über sieben Jahre Kulturabteilung, in: Ulrike Stoll, Kulturpolitik als
Beruf, ibid. S.535.
94
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
sierte Sattler neben den finanziellen und personellen Problemen auch organisatorische Mängel innerhalb des Auswärtigen Amtes, die vor allem die
strategische Kompetenz des Amtes in Frage stellt. Sie betrafen vor allem
die Haushaltsdebatten, welche „immer […] zu spät“226 stattfinden würden.
So forderte Sattler schließlich die Einführung einer langfristigen Planung
für die kulturelle Außenpolitik, etwa einen „in großen Zügen aufgestellten
Vierjahresplan“227, welcher dem Bundesfinanzminister und dem Parlament vorgelegt werden solle.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Sattler in den frühen 1960er
Jahren bis hin zur Unterzeichnung des Elysée - Vertrages zwar erkannt
hatte, dass grundlegende Veränderungen für eine Festigung der auswärtigen Kulturarbeit von Nöten waren, es ihm jedoch nicht gelang, den Außenminister Gerhard Schröder (CDU) oder den im Jahre 1964
eingerichteten Planungsstab für auswärtige Kulturarbeit für seine Ansichten in gewünschtem Maße zu gewinnen. 228 In diesem Zeitraum legten auch
erstmals die vom Goethe-Institut publizierten Jahresberichte Zeugnis über
die geleistete kulturelle Programmarbeit ab. Das folgende Kapitel hat sich
daher zum Ziel gesetzt, die offiziellen Leitlinien des Auswärtigen Amtes zur
auswärtigen Kulturpolitik mit der Praxis der kulturellen Programmarbeit
zu vergleichen.
225
Dieter Sattler: Bilanz über sieben Jahre Kulturabteilung, in Ulrike Stoll, Kulturpolitik als
Beruf, ibid. S.535.
226 Dieter Sattler: Bilanz über sieben Jahre Kulturabteilung, in Ulrike Stoll, Kulturpolitik als
Beruf, ibid. S.535.
227 Dieter Sattler: Bilanz über sieben Jahre Kulturabteilung, in Ulrike Stoll, Kulturpolitik als
Beruf, S.ibid. 535.
228 Vgl. Winfried Böll, Vermerk betr. Gespräche mit Herrn Min. Rat. Sattler am Dienstag, den
2.6.1964, vertraulich zur persönlichen Information. 5.6.1964, S.2, PAAA, B90/663.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
95
3.2.2 Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1965-1971
Quantitative Evaluation
Nachdem in einem ersten Schritt die wichtigsten programmatischen Leitgedanken des Auswärtigen Amtes der frühen 1960er Jahren skizziert wurden, folgt nun eine erste Auswertung der geleisteten kulturellen
Programmarbeit im Zeitraum von 1965-1971. Im Jahr 1965 legte das Goethe-Institut den ersten Jahresbericht vor.
In diesem Jahresbericht wurden die Daten von fünf Instituten erfasst, die
bis zu diesem Zeitpunkt in Frankreich ihre Arbeit aufgenommen hatten:
Lille (Gründungsjahr 1956), Marseille (Gründungsjahr 1960, Paris und
Toulouse (beide Gründungsjahr 1962), Nancy (Gründungsjahr 1963) und
Lyon (Gründungsjahr 1965). Die Veranstaltungen wurden in diesem Bericht in sieben Rubriken unterteilt: Vorträge, Konzerte, Theater/Tanz/ Kabarett, Ausstellungen, Filmabende, Schallplattenabende und sonstige
Veranstaltungen.
Die folgende Übersicht stellt die Ergebnisse des Jahresberichts aus dem
Jahr 1965 tabellarisch zusammen. Diese erste Form der Statistik aus dem
Jahre 1965 macht zunächst deutlich, wie unterschiedlich - in Bezug auf
Summe und Art der Kulturveranstaltungen – sich die einzelnen Institute
ausgerichtet haben.
Übersicht 3: Die Aktivitäten der Goethe-Institute nach Aktivität in 1965
Aktivitäten der Goethe-Institute in 1965
Nancy
Paris
86
14
25
31
24
30
210
- davon Vorträge
9
4
10
3
10
13
49
- davon Konzerte
15
7
7
11
6
9
55
9
2
2
2
0
1
16
43
1
4
12
4
7
71
- davon Schallplattenabende
4
0
0
0
0
0
4
- davon sonstige Veranstaltungen
6
0
2
3
4
0
15
Veranstaltungen ohne Ausstellungen
- davon Theater, Tanz, Kabarett
- davon Filmabende
Ausstellungen
Aktivitäten insgesamt
Lille
Lyon
Marseille
Toulouse
Gesamt
8
0
4
3
1
1
17
94
14
29
34
25
31
227
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Eine rein quantitative Auswertung der folgenden Übersicht 4 der organisierten Veranstaltungen belegt die große Aktivität des erstgegründeten
Goethe-Instituts aus dem Norden Frankreichs: in Lille wurden in diesem
Jahr dreimal mehr Veranstaltungen durchgeführt als etwa in Marseille. An
zweiter Stelle steht, was die Anzahl der Gesamtveranstaltungen betrifft,
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
96
das Institut in Nancy, erst daraufhin folgt das Institut der Hauptstadt, welches drei Jahre nach seiner Gründung scheinbar immer noch Zurückhaltung übt. Abgesehen von Lyon können sich bis dato in punkto Gesamtzahl
der Kulturveranstaltungen noch alle weiteren Institute mit Paris messen.
Übersicht 4: Anzahl der Gesamtaktivitäten sämtlicher Goethe-Institute in
1965
100
94
Anzahl der Aktivitäten
90
Anzahl aller Aktivitäten in 1965
80
70
60
50
40
34
31
29
30
25
20
14
10
0
Lille
Lyon
Marseille
Nancy
Paris
Toulouse
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Zur gleichen Zeit kann man feststellen, dass sich in Lille schon früh ein
Schwerpunkt im Rahmen der Kulturveranstaltungen herauszubilden
scheint: Fast die Hälfte (46%) der angebotenen Veranstaltungen sind Filmabende. Eine ähnliche Tendenz der Schwerpunktbildung lässt sich bereits
im ersten Jahr der Kulturarbeit in Lyon feststellen: auch hier ist jede zweite
Kulturveranstaltung ein Konzert. Nicht bei allen Instituten ist eine derartige
Schwerpunktbildung zu erkennen. Es wird aus der obigen Tabelle jedoch
deutlich, dass insbesondere drei Veranstaltungsformen die Kulturvermittlung dominieren: mehr als zwei Drittel der Gesamtveranstaltungen bestehen aus Vorträgen, Konzerten und Filmabenden. Während Vorträge und
Konzerte von allen Goethe-Instituten organisiert werden, bot das Pariser Institut weder Theater, Tanz oder Kabarettaufführungen an, das Institut von
Nancy hingegen auch zwei Jahre nach seiner Gründung keinerlei Filmvorführungen. Schallplattenabende werden allein in Lille durchgeführt.
Die Analyse des ersten Jahrbuchs des Goethe-Instituts aus dem Jahr 1965
lässt bereits einige Feststellungen zu: Diese erste Phase kann man als Phase
der Profilbildungen bezeichnen. Die Statistik legt zunächst Zeugnis davon
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
97
ab, dass es den einzelnen Instituten - und hier allen voran dem Institut in
Lille – gelungen ist, über die Anfangsjahre hinaus, dem französischen Publikum ein kontinuierliches Programm an Kulturveranstaltungen anzubieten. Zugleich wird aber auch deutlich, dass im ersten Jahrzehnt nach der
Neugründung offizieller deutscher Kulturinstitute auf französischem
Boden sehr behutsam eine `Politik der kleinen Schritte verfolgt wird. Diese
Vorgehensweise lässt sich besonders eindrucksvoll anhand der Zahlen des
Pariser Instituts belegen, welches in diesem Anfangsstadium nur eine sehr
geringe Zahl ausgewählter Veranstaltungen durchführte. Die erfolgreiche
Arbeit des Goethe-Instituts in Lille unterstreicht, dass man erst zehn Jahre
nach Beginn der institutionellen Förderung von einer erfolgreichen und
nachhaltigen Kulturarbeit sprechen kann.
Allen Bestrebungen seitens des Auswärtigen Amtes nach einer einheitlichen Strategie und einer homogenen Ausrichtung der Goethe-Institutee im
Ausland zum Trotz, zeichnet sich in dieser Bilanz auch ab, dass die einzelnen Institute – zumindest, was die Art der Kulturveranstaltungen angeht –
eigene Institutsprofile herauszubilden scheinen. Am deutlichsten ist diese
Tendenz von Beginn an an der hohen Anzahl von Filmveranstaltungen in
Lille abzulesen: in Nancy und Lyon zeichnet sich durch die jeweils hohe Anzahl von Konzerten eine weitere Schwerpunktbildung ab.
Die Tatsache, dass Mitte der 1960er Jahre das erste Jahrbuch des GoetheInstituts vorliegt, symbolisiert vor allem aber das Bestreben des Auswärtigen Amtes, erste Bilanzen deutscher AKP einzuholen, um die Aktivitäten
der Auslandsinstitute noch besser steuern zu können. In dieser Hinsicht
lässt diese erste vorgelegte Statistik des Instituts jedoch noch zu wünschen
übrig: Auf der einen Seite wird aus dieser Form der Statistik leider weder
ersichtlich, welchen Themenschwerpunkten die einzelnen Veranstaltungen gewidmet sind, noch lassen sich dezidierte Aussagen über die Anzahl
des erreichten Publikums machen. Die Jahresberichte für den Zeitraum
1966 bis 1970 werden diese Informationslücken füllen, da die Institutsleiter in diesem Zeitraum dazu angehalten werden, auch die Besucherzahlen
der einzelnen Veranstaltungen anzugeben.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
98
Der Zeitraum 1966-1970
Im Zeitraum von 1966 bis 1970 wurde die Statistik der Jahrbücher des Goethe-Instituts in Bezug auf das Jahr 1965 deutlich umgestaltet. Im Vordergrund dieser Statistik stand nun, wie bereits erwähnt, das Bemühen, die
Besucherzahlen der einzelnen Kulturveranstaltungen zu erheben. Diese
sehr detaillierte Form der Evaluation wird jedoch zu Beginn der 1970er
Jahre wieder verworfen werden. Die Statistik des zweiten Untersuchungszeitraumes ist für uns deshalb von besonderem Interesse, da uns die vorgelegten Besucherzahlen Auskunft über die Ratio Veranstaltung/ Besucher
gibt.
Zweitens - und auch dies bleibt für die Statistik der Jahrbücher einmalig erstellte dieses Goethe-Institut in dieser Phase erst - und letztmals eine
Gesamtstatistik aller in Frankreich organisierten Kulturveranstaltungen.
Übersicht 5: Entwicklung der Aktivitäten von 1966 - 1970
Entwicklung der Aktivitäten
Veranstaltungen ohne Ausstellungen
1966
1967
1968
1969
1970
Mittelwert
1.571
3.297
418
372
334
1.198
- davon Vorträge
54
62
55
78
80
66
- davon Konzerte
62
64
56
48
39
54
- davon Theater, Tanz, Kabarett
26
26
21
16
8
19
1.397
3.093
221
186
152
1.010
50
- davon Filmaufführungen
- davon sonstige Veranstaltungen
Ausstellungen
Aktivitäten insgesamt
32
52
65
44
55
38
6
6
4
6
12
1.609
3.303
424
376
340
1.210
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
In den Jahrbüchern der Jahre 1966 bis 1970 wurden die Kulturveranstaltungen unter den sechs Rubriken Vorträge, Konzerte, Theater/Tanz/ Kabarett, Filmaufführungen, sonstige Veranstaltungen und Ausstellungen
statistisch aufgeführt. Bei einem ersten Blick auf die erfassten Zahlen in
Bezug auf die Anzahl der Filmvorführungen der Jahre 1966 und 1967 fällt
eine große Disproportion zu den Folgejahren 1968, 1969 und 1970 ins
Auge, welche sich durch die sehr hohe Frequenz an Filmaufführungen des
Goethe- Instituts in Lille erklären lässt: im Jahr 1966 gab das Institut an,
1255 und im Jahre 1967 gar 2900 Filmaufführungen organisiert zu haben.
Es ist davon auszugehen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt im Sinne einer
Dezentralisation von Kulturveranstaltungen eine Reihe der Filme an französischen Schulen projiziert wurden. Dies unterstreicht zwar erneut, dass
das Institut in Lille sein Profil in Sachen „deutschsprachiger Film“ weiter
ausbaute, jedoch muss an dieser Stelle auch die Form der Datenerhebung
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
99
des Goethe-Instituts in Frage gestellt werden: Traf es wirklich zu, dass im
Jahre 1967 durch das Goethe-Institut Lille 15 Mal mehr Filmaufführungen
organisiert wurden, als an allen anderen Goethe-Instituten Frankreichs zusammen? Einzig unterschiedliche Maßeinheiten können unserer Meinung
nach diese große Diskrepanz erklären. Dieser Fehler der Datenerhebung
wird in den Folgejahren korrigiert werden, wie die Jahre 1968, 1969 und
1970 zeigen. In Bezug auf ganz Frankreich könnte man festhalten, dass in
dieser Phase im Durchschnitt pro Tag eine deutsche Kulturveranstaltung
von den Goethe- Instituten auf französischem Boden organisiert wurde.
Welche Tendenzen lassen sich jedoch en Detail aus der oben genannten
Tabelle ablesen?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass ab dem Jahre 1968 die Anzahl der
Kulturveranstaltungen pro Kalenderjahr insgesamt reduziert wurde. Im
Zeitraum von 1968 bis 1970 ist so ein Rückgang von ca. 20 % der Kulturveranstaltungen des Auswärtigen Amtes zu verzeichnen. Diese Tendenz
deckt sich durchaus mit dem strategischen Vorhaben des Auswärtigen
Amtes, der Qualität der Veranstaltungen den Vorrang vor der Quantität zu
geben. Der Terminus der „Qualität“ in Bezug auf die Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts wurde in diesem Zusammenhang erstmals im
Jahrbuch des Jahres 1968 von Karl-Ernst Hüdepohl, dem Leiter der Programmabteilung des Goethe-Instituts, aufgegriffen. In Kenntnis der Statistik desselben Kalenderjahres gab er für die kommenden Jahre die „Parole“
aus: „Qualität auf Kosten der Quantität“229. Für den Leiter der Programmabteilung bedeutete Qualität die „repräsentative Seite des Kulturprogramms“230, welche naturgemäß in der Arbeit der Programmabteilung
einen sehr breiten Raum einnahm. Der Kontext seiner Ausführungen legt
nahe, dass Hüdepohl unter „repräsentativen Veranstaltungen“231 charakteristische, unverwechselbare, aber auch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten verstand. Im Gegenzug sollten vor allem die vielen Veranstaltungen
mittlerer Qualität abgebaut werden, „die weder repräsentativ, noch wirklich informativ“ sind232.
Erstaunlich ist bei den Ausführungen Hüdepohls jedoch, dass diese „Qualitätsstrategie“ nicht für alle Institute zu gelten schien, so zum Beispiel nicht
229
Karl Ernst Hüdepohl: Das Kulturprogramm – Stand und Entwicklung, Jahrbuch des
Goethe-Instituts 1968, S.21.
230 Hüdepohl, ibid. S.21
231 Hüdepohl, ibid. S.21
232 Hüdepohl, ibid. S.21
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
100
für „kleinere Provinzinstitute“233, was die Frage aufwirft, ob hier nicht zwei
gegenläufige Strategien vom Goethe-Institut gefahren wurden. Der oben
aufgezeigte, tendenzielle Rückgang in Bezug auf die Gesamtzahl der organisierten Kulturveranstaltungen lässt sich jedoch nicht auf jede Aktivität
übertragen, wie die Übersichten 6 und 7 verdeutlichen:
Übersicht 6: Entwicklung der Aktivitäten normiert im Jahre 1966
Entwicklung der Aktivitäten normiert (1966 = 1)
1966
1967
1968
1969
1970
Mittelwert
Veranstaltungen ohne Ausstellungen
1,000
2,099
0,266
0,237
0,213
0,763
- davon Vorträge
1,000
1,148
1,019
1,444
1,481
1,219
- davon Konzerte
1,000
1,032
0,903
0,774
0,629
0,868
- davon Theater, Tanz, Kabarett
1,000
1,000
0,808
0,615
0,308
0,746
- davon Filmaufführungen
1,000
2,214
0,158
0,133
0,109
0,723
- davon sonstige Veranstaltungen
1,000
1,625
2,031
1,375
1,719
1,550
Ausstellungen
1,000
0,158
0,158
0,105
0,158
0,316
Aktivitäten insgesamt
1,000
2,053
0,264
0,234
0,211
0,752
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Übersicht 7: Entwicklung der Aktivitäten von 1966 bis 1970
2,500
2,000
Vorträge
1,500
Konzerte
Theater, Tanz, Kabarett
Filmaufführungen
sonstige Veranstaltungen
1,000
Ausstellungen
Aktivitäten insgesamt
0,500
0,000
1966
1967
1968
1969
1970
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
233
„Qualität auf Kosten der Quantität. Freilich ist die auf kleine Provinzinstitute nicht ohne
weiteres anzuwenden. Diese Institute bestreiten einen bedeutenden Teil des kulturellen
Lebens ihrer Stadt, ihr Publikum hat sich daran gewöhnt, regelmäßig bedient zu werden.“
Hüdepohl, ibid. S.22
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
101
So belegt unsere Grafik 7, was den Zeitraum 1968 bis 1970 angeht, eine
Stagnation in den Veranstaltungsbereichen Ausstellungen und Filmvorführungen, während im gleichen Zeitraum die Veranstaltungsformen Tanz/
Theater/ Kabarett und Konzerte tendenziell einen starken Rückgang zu verzeichnen haben. Lediglich die Anzahl der Vorträge scheint – bis auf einen minimalen Rückschritt im Veranstaltungsjahr 1968 – von allen Instituten
kontinuierlich erhöht worden zu sein. Dies könnte darauf zurückzuführen
sein, dass die Vorträge mehr als alle anderen Veranstaltungsformen zum
Austausch mit dem Publikum des Gastlandes anregten. Die Zahlen aus der
Übersicht 6 belegen diese Tendenz nochmals eindeutig: die Vorträge können
im angegebenen Zeitraum einen Zuwachs von fast 50% verzeichnen, während die Veranstaltungsform des Konzerts um fast 40% zurückgeht, die Kulturveranstaltungen rund um Tanz/ Theater/ Kabarett gar einen Abbau um
50% zu verzeichnen haben. Der sehr diskontinuierliche Verlauf der Kurve
sonstiger Veranstaltungen verweist sicherlich auf die Tatsache, dass die Institute in dieser Phase der Umorientierung in der Kulturvermittlung noch
mit neuen Formen der kulturellen Programmarbeit experimentiert haben.
Stand der Besucherzahlen
Der große Verdienst der Statistik der Jahrbücher von 1966 bis 1970 ist jedoch die Erhebung der Zuschauerzahlen pro Veranstaltung, wobei vorweg
die kritische Frage gestellt werden muss, in welcher Form diese Überprüfung stattgefunden hat. Damals wie heute wurde nämlich nur für einen
Bruchteil der Kulturveranstaltungen Eintrittsgelder verlangt, sodass bereits diese wichtige Möglichkeit zum Nachweis der tatsächlichen Besucherzahlen fehlt. Einen ersten Überblick über die Besucherzahlen gibt
zunächst die folgende Übersicht 8, welche einen Querschnitt aller Veranstaltungen aus dem Jahre 1966 darstellt.
Übersicht 8: Besucher der Aktivitäten in 1966
Besucher der Aktivitäten in 1966
Veranstaltungen ohne Ausstellungen
Lille
Lyon
Marseille
132.967
8.011
4.220
- davon Vorträge
1.112
1.544
- davon Konzerte
3.845
1.605
- davon Theater, Tanz, Kabarett
- davon Filmaufführungen
- davon sonstige Veranstaltungen
Ausstellungen
Besucher insgesamt
Nancy
Paris
Toulouse
Gesamt
4.730
167.665
8.150
9.587
1.320
685
2.310
510
7.481
650
4.667
2.160
1.265
14.192
3.220
835
600
300
2.535
325
7.815
123.435
3.543
1.300
2.244
805
2.300
133.627
1.355
484
350
254
1.777
330
4.550
8.350
2.750
22.300
5.400
8.300
6.350
53.450
141.317
10.761
26.520
13.550
17.887
11.080
221.115
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
102
Entsprechend den Beobachtungen in Bezug auf die Filmvorführungen, welche zur Übersicht 4 gemacht wurden, unterstreicht auch die Übersicht 8 die
Bedeutung der Filmaufführungen als Publikumsmagnet: fast zwei Drittel
aller Besucher, das heißt mehr als 130.000 Besucher, wurden laut Jahrbuch
1966 durch die Filmvorführungen in Lille erreicht! An zweiter Stelle steht,
was die Besucherzahlen angeht, das Institut in Marseille. Dies ist insofern
nicht verwunderlich, als dass das Institut der Hauptstadt des Departements
Bouches du Rhône als zweites Institut seine Arbeit 1960 aufgenommen
hatte und somit bereits auf ein Stammpublikum zählen konnte. An dieser
zweithöchsten Besucherzahl lässt sich aber auch ablesen, dass die kulturelle Programmarbeit von den Südfranzosen in der Anfangsphase gut angenommen wurde. Das Pariser Institut steht zu diesem Zeitpunkt noch mit
einigem Abstand auf dem dritten Rang. Die Institute aus Lyon, Marseille,
Nancy, Paris und Toulouse kommen im Jahre 1966 auf einen Besucherdurchschnitt von jeweils ungefähr 7000 (ohne Ausstellungen) Besuchern
pro Jahr. Sieht man einmal von der sehr publikumswirksamen Veranstaltung der Filmvorführungen ab, so macht die Übersicht 7 deutlich, dass es
vor allem die Ausstellungen sind, für die sich das französische Publikum zu
mobilisieren scheint, denn sie machen weitere 24% der Besucherzahlen
aus. Nur etwa 3 % der Besucher nehmen an Vortragsveranstaltungen und
Theater/Tanz/ Kabarettaufführungen teil.
Es stellt sich demnach die Frage, ob die statistische Momentaufnahme des
Jahres 1966 auch als richtungsweisend für die kommenden Jahre gelten
kann. Dieser Frage gehen die Übersichten 9 und 10 nach:
Übersicht 9: Die Entwicklung der Besucher in absoluten Zahlen
Entwicklung Besucher absolut
1966
1967
1968
1969
1970
167.665
304.898
62.612
70.693
43.580
- davon Vorträge
7.481
7.234
6.671
10.370
10.529
8.457
- davon Konzerte
14.192
22.275
19.685
13.565
10.482
16.040
Veranstaltungen ohne Ausstellungen
- davon Theater, Tanz, Kabarett
- davon Filmaufführungen
- davon sonstige Veranstaltungen
Ausstellungen
Aktivitäten insgesamt
Mittelwert
129.890
7.815
8.350
8.650
7.190
2.680
6.937
133.627
261.593
23.494
37.592
15.070
94.275
4.550
5.446
4.112
1.976
4.819
4.181
53.450
39.309
23.342
38.415
42.534
39.410
221.115
344.207
85.954
109.108
86.114
169.300
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Die Übersicht 9 belegt zunächst deutlich, dass mit der Abnahme der Anzahl
der Kulturveranstaltungen ohne Ausstellungen (siehe Übersicht 4) auch eine
Abnahme der Besucherzahl einher ging, die 1970 ihren absoluten Tief-
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
103
punkt erreichte. Allein im Vergleich zum Vorjahr ist hier ein Rückgang von
38% der Besucherzahlen zu verzeichnen. Eine ähnliche Tendenz kann man
im Bereich der Konzerte ablesen; im Zeitraum von 1968 bis 1970 verlieren
die Goethe Institute nahezu die Hälfte ihrer Besucher. Eine weniger gravierende, aber ebenso negative Tendenz, lässt sich auch für die Theater/
Tanz und Kabarettaufführungen ablesen: diese verlieren über den gesamten Zeitraum von 1966 bis 1970 ca. 65 % ihrer Besucher. Eine positive Entwicklung weisen in dieser Phase die Vortragsveranstaltungen auf, die im
Großen und Ganzen scheinbar auf eine treue Zuhörerschaft zählen können.
Gleiches gilt auch für die Ausstellungen, für welche sich ein grober Mittelwert von ca. 40 000 Besuchern pro Veranstaltungsjahr ergibt, was besagt,
dass im Durchschnitt ungefähr jeder vierte Besucher eine Ausstellung des
Goethe-Instituts besucht hat. Die beachtliche Bedeutung der Ausstellungen im Rahmen der kulturellen Programmarbeit wird umso eindrucksvoller, wenn man die Ratio zwischen Anzahl der Veranstaltungen und
Besuchern berechnet. Stellvertretend seien hier die Berechnungen aus Jahr
1969 dargestellt.
Übersicht 10: Die Ratio Besucher/ Veranstaltung der Jahre 1969
Ratio Besucher / Veranstaltung in 1969
Veranstaltungen ohne Ausstellungen
- davon Vorträge
Lille
Lyon
Marseille
Nancy
Paris
Toulouse
Mittelwert
121
203
98
304
233
106
190
55
105
171
156
147
76
133
- davon Konzerte
444
368
246
240
125
131
283
- davon Theater, Tanz, Kabarett
280
313
183
915
552
0
449
- davon Filmaufführungen
74
247
60
515
259
103
202
- davon sonstige Veranstaltungen
40
81
42
18
113
230
45
Ausstellungen
765
3750
578
580
666
600
893
Mittelwert
135
533
155
353
272
124
263
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Die Übersichten 9 und 10 geben das Verhältnis zwischen Besucherzahlen
und angebotenen Veranstaltungsformen wieder. So ermittelte beispielsweise das Goethe-Institut für das Jahr 1969 eine Besucherzahl von insgesamt 70693 Besuchern, die sich auf insgesamt 372 angebotene
Kulturveranstaltungen (ohne Ausstellungen) verteilten. Dies ergibt eine
Ratio, d.h. einen Durchschnittswert von etwa 190 Besuchern pro Kulturveranstaltung.
Bemerkenswertes Ergebnis der Tabelle 10 ist zunächst, dass sich für die
Gesamtheit der Veranstaltungen und der einzelnen Veranstaltungsformen
je nach Kulturinstitut höchst unterschiedliche Mittelwerte errechnen lie-
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
104
ßen. So nimmt beispielsweise das Goethe-Institut Nancy im Jahre 1969 mit
einer Ratio von über 300 Besuchern pro Veranstaltung die absolute Spitzenposition ein. Lyon und Paris folgen mit guten Mittelwerten und einer
Ratio von über 200 Besuchern pro Veranstaltung. Lille, Marseille und Toulouse verzeichnen eine insgesamt geringere Besucherfrequenz, sie liegen
weit unter dem Mittelwert von 190 Besuchern pro Veranstaltung. Erstaunlich ist auch, wie unterschiedlich die einzelnen Veranstaltungsformen
vom ortsansässigen Zielpublikum angenommen werden: Während in Lille
im Durchschnitt nur etwa 55 Besucher einen Vortrag besuchen, ziehen die
Institute in Marseille und Nancy fast dreimal so viel Publikum bei der gleichen Veranstaltungsform an.
Die Übersicht 10 veranschaulicht auf noch deutlichere Weise, welche Veranstaltungen eine besonders hohe Publikumsfrequenz erzielen.
Übersicht 11: Die Ratio Besucher/ Veranstaltung des Jahres 1969
Ratio Besucher / Veranstaltung über alle Institute in 1969
893
449
283
263
202
133
45
Vorträge
Konzert
Theater, Tanz, Kabarett
Filmaufführungen
Sonstige Veranstaltungen
Ausstellungen
Mittelwert
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Die Übersicht 11 macht deutlich, dass im Jahre 1969 vor allem die Ausstellungen eine sehr hohe Ratio erzielen. Dieses Phänomen lässt sich sicherlich nicht nur durch die Tatsache begründen, dass die Ausstellungen als
besondere Veranstaltungsform zu gelten haben; die Übersicht belegt vor
allem, dass sich die vom Goethe-Institut in den späten 1960er Jahren organisierten Ausstellungen großer Beliebtheit erfreuen. Sieht man einmal
von der Ratio der Ausstellungen ab, ergibt sich - ausgehend von den Werten des Jahres 1969 - folgende Rangliste: An erster Stelle rangieren in
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
105
Bezug auf die Besucherzahlen die Theater/Tanz und Kabarettveranstaltungen. Mit im Durchschnitt mehr als 200 Besuchern pro Veranstaltung folgen auf dem zweiten und dritten Platz die Konzertveranstaltungen und die
Filmaufführungen. Immerhin verzeichnen die Goethe-Institute im Jahre
1969 noch einen Durchschnitt von 133 Besuchern pro Vortragsveranstaltung, ein Wert, welcher sicherlich heute nur bei ganz wenigen Vorträgen erreicht wird. Die Vorträge nehmen in der Rangliste den vierten Platz ein.
Das Jahr 1969 stellt in Bezug auf diese Rangliste keinen Ausnahmefall dar,
sondern spiegelt durchaus die Tendenz der Jahre 1966 bis 1970 wieder.
106
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3.2.3 Fazit
Erste Profilbildungen und Phase der Konsolidierung
Der Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1970 dokumentiert zunächst
eine Phase der Konsolidierung der kulturellen Programmarbeit der Goethe-Institute in Frankreich. Dies trifft vor allem auf die Profilbildung der
jeweils favorisierten Veranstaltungsformen zu. Im gleichen Maße wie in
Lille die Filmvorführungen als bedeutendste Veranstaltungsform der Kulturvermittlung weiter gepflegt wird, werden an den weiteren Standorten
andere Aktivitäten bevorzugt, so beispielsweise die Vorträge in Paris oder
Konzerte in Nancy.
Diese Konsolidierung drückt sich zweitens auch in der Frequenz deutscher
Kulturveranstaltungen in Frankreich aus: Insgesamt 227 statistisch erfasste Kulturveranstaltungen aus dem Jahre 1965 stehen fünf Jahre später
bereits 340 Veranstaltungen gegenüber, was einem ungefähren Zuwachs
von 50% entspricht.
Die Konsolidierung betrifft drittens die Veranstaltungsformen insgesamt:
hier zeichnet sich ab, dass die verantwortlichen Kulturvermittler ihr Publikum vor allem – und in dieser Reihenfolge- mit Filmvorführungen, Vorträgen und Ausstellungen für das Nachbarland interessieren wollen.
Obwohl sich diese Veranstaltungsformen zusehends zu etablieren scheinen, scheint man parallel zu dieser Entwicklung auch weiter andere Möglichkeiten der Kulturvermittlung zu experimentieren. Als Höhepunkt dieser
Experimentierphase lässt sich das Jahr 1968 bestimmen (siehe in Übersicht
5, die sehr hohe Zahl sonstiger Veranstaltungen).
Die Veranstaltungsformen Theater/ Tanz/ Kabarett und Konzerte verzeichnen dagegen in dem zu analysierenden Zeitraum einen starken Rückgang.
Dies lässt sich vermutlich zum einen durch die hohen Veranstaltungskosten,
zum anderen aber durch ein anderes Phänomen erklären: noch ist die Zeit
nicht reif, um diese aufwendige Veranstaltungsform mit gemeinsamen Kooperationspartnern vor Ort zu organisieren.
Die vierte Form der Konsolidierung betrifft die Konsolidierung und Verbesserung der Qualität der Veranstaltungen, worauf im vorangegangenen Kapitel bereits genauer eingegangen wurde. Am deutlichsten sollte diese
Forderung des Leiters der Programmabteilung des Goethe-Instituts, Karl
Ernst Hüdepohl, im Bereich des Vortragswesens umgesetzt werden: „Fachleute sprechen für Fachleute. Die Zahl der Zuhörer ist dabei unerheblich“234.
234
Hüdepohl, ibid. S.21.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
107
Was die Besucherzahlen angeht, so waren jedoch gerade die Statistiken der
Jahre 1966 bis 1970 für unsere Untersuchungen von besonderem Interesse
und starker Aussagekraft, da erstmals in der Geschichte des Goethe-Instituts durch die Jahresberichte die Statistiken über die Besucherzahlen vorlagen. Welches Fazit lässt sich aus den aufgezeigten Tendenzen in Bezug
auf die Besucherzahlen ziehen?
Orientierten sich die Kulturschaffenden allein nach der Nachfrage des französischen Publikums, müssten sie sich künftig auf die Veranstaltungsform
der Filmvorführungen und der Ausstellungen spezialisieren. Treffen die statistischen Angaben der einzelnen Institute zu, so wurden im Zeitraum von
1966 bis 1970 durch diese beiden Aktivitäten bereits 84% aller Besucher
erreicht. Mit Vorträgen sowie Tanz/ Theater/ Kabarettaufführungen erreichte man lediglich jeweils ca. nur jeden 30. Besucher wie die Übersicht
7 belegte. Es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob sich diese Informationen
in Bezug auf die Besucherzahl auf die Programmgestaltung der Folgejahre
auswirken werden, d.h. ob man zukünftig verstärkt nachfrageorientierte
Veranstaltungsformen anbieten wird oder nicht.
Die Forderungen Hüdepohls im Jahrbuch 1968
Abschließend soll noch kurz auf zentrale Vorgaben von Hüdepohl eingegangen werden, da diese in der kommenden Phase (1971 -1978) als Untersuchungskriterium für uns von Interesse sind. Hüdepohl sah als
weiteres Ziel für die zentrale Programmplanung - neben der bereits erwähnten Verbesserung der Qualität - die Herausforderung, „die einzelnen
Zweigstellen immer besser den örtlichen Gegebenheiten anzupassen, d.h.
zu differenzieren.“235 Er ist sich an dieser Stelle des schwierigen Balanceaktes zwischen zentraler Programmplanung und der Notwendigkeit, auch
den verschiedenen regionalen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, bewusst.
Des Weiteren erfordere die radikale Wandlung des Kulturbegriffes in den
späten 1960er Jahren laut Hüdepohl auch eine Umgestaltung der Veranstaltungsformen, die er im Einzelnen skizziert:
235
Hüdepohl, ibid. S.22
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
108
Die Thematik der Vorträge sollte auf „nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens und Zusammenlebens ausgedehnt werden.“236 Die ein Thema
vertiefende Seminararbeit, welche „den Hörern oder vielmehr den Mitarbeitenden wesentlich mehr an Verwertbaren liefert“237 sollte zukünftig gegenüber dem Einzelvortrag Priorität haben.
In das Ausstellungsprogramm sollten zukünftig verstärkt Themen der Bildungshilfe aufgenommen werden. Zugleich sollte bei der Konzeption der
Ausstellungen dem „didaktischen Aufbau“238 eine besondere Bedeutung
zukommen.
Diese strategischen Vorgaben des Leiters der Programmabteilung der Zentrale des Goethe-Instituts lassen erkennen, dass im Ausland zu Beginn der
1970er Jahre vermehrt ausländische Mittler für das Kulturprogramm interessiert werden sollen. Man scheint dabei insbesondere an eine verstärkte Einbindung von Lehrern und Hochschullehrern zu denken. Diese
angestrebte neue Form der Netzwerkbindung soll sich auch auf die Form
der Unternehmenskommunikation´ auswirken:
„Es genügt nicht mehr, 3000 Einladungen zu verschicken und zu warten,
wer zum Vortrag, zum Konzert, zur Theateraufführung im Institut erscheint. Das Wesentliche – das zugleich einen wesentlichen Teil der Arbeitszeit eines Institutsleiters beansprucht – sind heute die zahllosen
Kontakte zu den p o t e n t i e l l e n (Hervorhebung durch Hüdepohl, G.F.)
Veranstaltungspartnern, und die gemeinsame, oft höchst nervenzehrende
Durchführung der Veranstaltung mit den Partnern.“239
Dieser Aufruf fordert explizit die Veränderung des „Arbeitsstils“ in der auswärtigen Kulturarbeit ein, anders als „man ihn an vielen Orten vor fünf oder
zehn Jahren pflegte“240. Hüdepohl verlangt für die kommenden Jahre insbesondere von den Institutsleitern mehr Engagement für Kooperationen
mit Partnern des Gastlandes. Hier sieht er am meisten Potential, auch wenn
er damit – seltsamerweise - „höchst nervenzehrende“ (siehe obiges Zitat)
Veranstaltungen assoziiert. Das folgende Kapitel wird unter anderem Aufschluss darüber geben, inwiefern die Maxime Hüdepohls umgesetzt wurden.
236
237
238
239
240
Hüdepohl, ibid. S.21
Hüdepohl, ibid. S.21
Hüdepohl, ibid. S.21
Hüdepohl, ibid. S.21
Hüdepohl, ibid. S.21
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
109
3.3.1 Die 1970er Jahre:
die konzeptionelle Lücke wird geschlossen.
Das vorliegende Kapitel versucht, nach einer kurzen historischen Einbettung, anhand von zwei grundlegenden Texten, den Leitsätzen für die auswärtige Kulturpolitik (Dezember 1970) von Ralf Dahrendorf und dem
sogenannten Peisert - Gutachten (1978), die konzeptuelle Neuordnung der
deutschen AKP in den 1970er Jahren exemplarisch darzustellen. Dabei
werden zum einen der theoretische Rahmen, zum anderen Evaluationskriterien von Kulturprogrammen im Mittelpunkt unseres Interesses stehen.
Der theoretische Rahmen: die Leitsätze Dahrendorfs
Wenngleich uns für den Zeitraum von ca. 1970 bis 1980 auch andere wichtige Arbeiten, wie zum Beispiel die Ende März 1970 vorgelegten „51 Leitsätze zur Auswärtigen Kulturpolitik“241 oder das Ergebnis der von der
damaligen Opposition beantragten „Enquête Kommission“242 aus dem
Jahre 1973 vorliegen, kann man behaupten, dass die Leitsätze die wesentliche Substanz der in den 1970er Jahren erarbeiteten Konzeptionen zur
deutschen AKP darstellten. Diese von Ralf Dahrendorf entwickelten Leitsätze werden zwar häufig in der Sekundärliteratur zitiert, jedoch ist auffällig, dass dieses Konzeptionspapier weitestgehend auf den Verdienst der
„Erweiterung des Kulturbegriffes“ reduziert wird. So auch in dem bereits
zitierten Standardwerk von Wolfgang Schneider Auswärtige Kulturpolitik“
Dialog als Auftrag – Partnerschaft als Prinzip243, in dem Dahrendorfs Leitsätze lediglich auf dessen Forderung, „der Kulturbegriff muss daher weiter
gefasst werden“244, reduziert werden. Bei genauerer Analyse der Leitsätze
muss jedoch festgestellt werden, dass Dahrendorfs Forderungen weit über
diese eine These hinausgehen und zudem kaum an Aktualität verloren
haben. Diese Feststellungen sollen in einem ersten Abschnitt unserer Arbeit belegt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der eine intensive Auseinandersetzung mit diesem ersten offiziellen Konzept zur Auswärtigen
Kulturpolitik des Auswärtigen Amtes lohnenswert macht, ist die Möglichkeit
einer Theoriebildung in Bezug auf die Evaluation von Kulturveranstaltungen.
241
Hansgert Peisert: Die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Gutachten im Auftrag des Auswärtigen Amtes, Stuttgart 1978. Hier: S.44.
242 Bericht der Enquête Kommission Auswärtige Kulturpolitik gemäß Beschluss des deutschen Bundestages vom 23 Februar 1973, In: http://www.ifa.de/pdf/aa/akbp_enquete1975.pdf, Zugriff am 18. 8. 2010.
243 Wolfgang Schneider: Auswärtige Kulturpolitik“ Dialog als Auftrag – Partnerschaft als Prinzip, Essen 2008.
244 Schneider, Dialog als Auftrag – Partnerschaft als Prinzip, ibid. S.14.
110
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die Leitsätze polarisieren sehr stark, was eine Kategorisierung zentraler
thematischer Gesichtspunkte erleichtert.
Basierend auf dem gedanklichen Rahmen der Leitsätze wird daher im letzten Abschnitt der Untersuchungen ein Bewertungsraster erstellt werden,
welches uns ermöglicht, die kulturelle Programmarbeit der 1970er Jahre in
konzeptioneller Hinsicht durch die Leitsätze zu evaluieren.
Bestandsaufnahme und Planungsinstrument:
das Peisert Gutachten
Mit dem Peisert Gutachten lag 1978 der Öffentlichkeit erstmals eine offizielle, wissenschaftliche Analyse der deutschen AKP vor. Auch diese - in
der Sekundärliteratur zwar vielfach erwähnte, doch kaum inhaltlich besprochene Arbeit - findet heute nicht ausreichend Beachtung, wenn es um
die Evaluation von kultureller Programmarbeit geht. Dabei hat die Studie
gleich mehrere Verdienste, die im Verlaufe unserer Untersuchungen herausgearbeitet werden sollen: zunächst hatte sie den Anspruch, erstmals zu
einer Theoriebildung unterschiedlicher kulturpolitischer Zielrichtungen –
und dies im internationalen Vergleich – beizutragen. Wenngleich die Ausführungen zu diesem Thema auch stark vereinfachend dargestellt werden,
so wird durch diese Studie die deutsche AKP erstmalig in den internationalen Kontext eingeordnet.
Auf dem Weg zur Konzeption des Erweiterten Kulturbegriffes
Sowohl die Bilanz Sattlers gegen Ende seiner Amtszeit im Auswärtigen
Amt, als auch die Analyse der kulturellen Programmarbeit einzelner Institute konnte belegen, dass bis in die späten 70er Jahre die konzeptionelle
Entwicklung hinter der institutionellen Verfestigung zurückblieb.245 Unsere Untersuchungen haben auch aufgezeigt, dass es in Bezug auf den Begriff „Kultur“ zu keinem einheitlichen Konzept zwischen französischen
Mittlerpersönlichkeiten und deutschen Institutsleitern auf der einen und
dem Auswärtigen Amt auf der anderen Seite gekommen war.
Wie auch hätte dies bis dato entwickelt werden können? Hier standen sich
zwei vollkommen unterschiedliche Zielsetzungen gegenüber. Wie Singer
richtig bemerkt, war es das Ziel außenkulturpolitischer Aktivitäten der
Bundesrepublik gewesen, die „Normalisierung der Stellung Deutschlands“246
245 Otto Singer: Auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Konzeptionelle
Grundlagen und institutionelle Entwicklung, ibid. S.10 .
246 Otto Singer: Auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Konzeptionelle
Grundlagen und institutionelle Entwicklung, ibid. S.11.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
111
in der Welt zu erreichen. Zu diesem Zwecke wurde das Kulturabkommen
von 1954 abgeschlossen, Institute errichtet und Kulturbotschafter in Form
von Wissenschaftlern und Künstlern entsendet, welche ein „bestmögliches“
Deutschlandbild beim Nachbarn entwickeln sollten, sozusagen ein Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Ära.247 In dieser Hinsicht war es nachzuvollziehen, dass die „Hochkultur“ das Kulturprogramm noch überwog
und Aspekte wie kultureller Austausch oder Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich noch kaum eine Rolle spielten.
Die Konzeptionslosigkeit wurde noch durch die geringe Bedeutung des Kulturressorts im Auswärtigen Amt verstärkt, so dass Arnold in Bezug auf die
Auswärtige Kulturpolitik in dieser Zeit zu Recht von einem „Beiwerk der
Außenpolitik“248 spricht.
247
Laut Wilfried Grolig, Leiter der Abteilung für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des
Auswärtigen Amts von 2002-2007 wollte Sattler vor allem „Berge von Angst abtragen.“
In: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk-2003/willkommen-im-club/
grolig/, Zugriff am 2.8.2010.
248 Arnold, Hans: Auswärtige Kulturpolitik: Ein Überblick aus deutscher Sicht. München 1980.
112
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die Reformzeit deutscher Auswärtiger Kulturpolitik
Wie gesehen, waren französische Mittlerpersönlichkeiten um Grosser, aber
auch die nah am französischen Publikum arbeitenden Institutsleiter in
Bezug auf die Konzeption eines neuen Kulturbegriffes den Diplomaten aus
Bonn einen Schritt voraus.
Die konzeptionelle Lücke auf Seiten der Bundesrepublik war jedoch auch
ein Spiegel der öffentlichen innenpolitischen Diskussion der damaligen Republik. Singer spricht in seiner Analyse von zwei Entwicklungsphasen in
Bezug auf die innenpolitische Auseinandersetzung mit der auswärtigen
Kulturpolitik: Er spricht zunächst von einer Initialphase, die mit der Kanzlerschaft Ludwig Erhards im Jahr 1963 begann und sich in der Zeit der großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (1966-1969) fortsetzte. Es folgt
eine Reformzeit, welche erst mit der Regierungszeit Willi Brandts im Dezember des Jahres 1969 begann. In dieser Zeit fanden die ersten großen
parlamentarischen Kulturdebatten im deutschen Parlament statt249. Themen dieser Debatten waren die Entwicklung des auswärtigen Dienstes, die
Organisation der auswärtigen Kulturpolitik, vor allem aber auch die Aufwertung der deutschen AKP im Auswärtigen Amt.
Erst Außenminister Willi Brandt gelang es, diesen neuen Stellenwert der
deutschen Außenkulturpolitik in eine Formel zu fassen: Er bezeichnete im
Jahre 1967 neben der Diplomatie und der Außenwirtschaftspolitik die Auswärtige Kulturpolitik als einen der drei Pfeiler moderner Außenpolitik. 250
Diese Aufwertung kann als Ende der ersten Phase, der Initialphase, angesehen werden. Die eigentliche Reformzeit deutscher Auswärtiger Kulturpolitik setzt mit der Regierungsübernahme Willi Brandts im Jahre 1969 an.
Kurt Düwell erklärt diesen Aufbruch zu einer autonomen Auswärtigen Kulturpolitik Ende der 1960er Jahre folgendermaßen:
„Das Neue an der Situation von 1969/1970 war, dass fast gleichzeitig
wichtige außen – und deutschlandpolitische Veränderungen mit konzeptionellen Neuorientierungen der auswärtigen Kulturpolitik der Bun-
desregierung zusammentrafen“. 251
249
So beispielsweise die Große Anfrage der SPD zur deutschen Kulturarbeit im Ausland (BTDrS.3/1555) und der mit der Großen Anfrage der SPD zur Auswärtigen Kulturpolitik (BTDrS.4/1315) mit der Debatte am 11. Dezember 1963 (BT-Protokoll 4/101).
250 Willy Brandt: Bedeutung und Aufgaben der Auswärtigen Kulturpolitik, in: Bulletin
(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), Nr. 71, 5.7.1967, S.613–614.
251 Kurt Düwell: Zwischen Propaganda und Friedenspolitik – Geschichte der auswärtigen
Kulturpolitik im 20. Jahrhundert, in: Maaß: Kultur und Außenpolitik, Handbuch für die
Praxis, S.73.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
113
So hatte sich die von Brandt geprägte Ostpolitik nicht zuletzt durch die am
12. August 1970 unterzeichneten Moskauer Verträge zu einer Entspannungs- und Friedenspolitik bekannt. Dieser Vertrag, so Düwell, hatte in seiner Präambel auch das Ziel, wissenschaftliche, technische und kulturelle
Verbindungen“ zwischen beiden Ländern zu verbessern. Und genau an dieser Stelle finden Außensicherheitspolitik und Außenkulturpolitik laut Düwell Anfang der 1970er Jahre zusammen:
„Was hier noch gleichsam in klassischer Tradition als Nebeneinander von
wissenschaftlicher, technischer und (...) kultureller Zusammenarbeit genannt wurde , war allerdings in der Kulturabteilung des Auswärtigen
Amts Ende des Jahres 1970 schon einer konzeptuellen Revision unterworfen und zusammengedacht worden.“252
Düwell denkt hier an die „Leitsätze des Auswärtigen Amtes für die Auswärtige Kulturpolitik“ vom Dezember 1970, die dem Parlament von Ralf
Dahrendorf vorgelegt wurden, welche ein neues Kapitel deutscher Außenpolitik aufschlugen.
Die Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik (Dezember 1970)
Dem Konstanzer Soziologen Ralf Dahrendorf wurde 1969 von der Regierung Brandt als parlamentarischer Staatssekretär in der Exekutive die
Möglichkeit gegeben, die Grundlagen der deutschen AKP zu überdenken.
Um dieses von Dahrendorf vorgelegte Konzept richtig einordnen zu können, ist es notwendig, auf einige wichtige Vorüberlegungen Dahrendorfs
einzugehen. Zunächst muss man auf seine Rede im Deutschen Bundestag
vom 28.11.1969 aufmerksam machen, in welcher er deutlich machte, dass
für ihn und die neue deutsche Regierung Innen- und Außenpolitik zwei Seiten einer Medaille waren :
„Diese Bundesregierung versteht sich als eine Regierung der inneren Reformen. (...) Was Wirkungen und Folgen betrifft, so scheint mir die zwischenstaatliche Kultur- und Gesellschaftspolitik , also die wechselseitige
Vermittlung von Informationen aus allen Bereichen des sozialen Lebens,
eine Schlüsselstellung einnehmen zu müssen.253
252 Kurt Düwell, ibid. S.74.
253 Ralf Dahrendorf: Vorwort, in: Hansgert Peisert, die auswärtige Kulturpolitik der Bundes-
republik Deutschland. Gutachten im Auftrag des Auswärtigen Amtes, Stuttgart 1978. S.15.
114
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
An späterer Stelle wird Dahrendorf zwar den Ausdruck „ zwischenstaatliche Kultur- und Gesellschaftspolitik“ selbst als ungelenken Ausdruck bezeichnen, dennoch wurden hier bereits zwei Grundentscheidungen des
damaligen Staatssekretärs deutlich: Zum einen sollte Kultur nicht mehr in
einem engen Sinn verstanden werden, zum anderen sollte sie die gesamte
Wirklichkeit der sozialen Werte“254 eines Staates umfassen.255
In dieser Passage deutete Dahrendorf bereits an, dass der enge Kulturbegriff erweitert werden müsse. Mehr noch: Kultur wurde hier als ein sich
ständig ändernder Prozess begriffen, was durch die Begriffspaare „Zeit des
Übergangs“ und „geistige Auseinandersetzung“ verdeutlicht wurde. Die
zweite, in der Rede angesprochene Grundentscheidung brachte zum Ausdruck, dass die kulturelle Außenpolitik keine Einbahnstraße mehr sein
konnte, einen Gedanken, welchen bereits bei Dieter Sattler („Seilbahn“) formuliert hatte. Auch diesen Gedanken führte Dahrendorf bereits vor der
Verfassung der Leitsätze an:
„Es geht nicht darum, andere zu indoktrinieren, sie einseitig vom Wert
deutscher Dinge zu überzeugen, sondern Brücken zu bauen, über die der
Verkehr in beide Richtungen fließen kann. Kulturelle Außenpolitik zielt
auf Austausch, nicht auf Einfluss.“256
Dahrendorf erkannte, dass nur das wechselseitige Verständnis der (Zivil)Gesellschaften dazu führen konnte, dass sich eine dauerhafte und friedliche
kulturelle Kooperation etablierte. In der Folge entstanden unter der Federführung Dahrendorfs im Auswärtigen Amt zunächst „51 Leitsätze zur
auswärtigen Kulturpolitik“. Diese führten dann zu „15 Thesen zur internationalen Kultur-, Wissenschafts- und Gesellschaftspolitik“257, welche im
Juni 1970 vom Bundesminister des Auswärtigen dem Bundeskabinett vor254
255
Ralf Dahrendorf, ibid. S.16.
Zur Verdeutlichung zitiert er an gleicher Stelle die Regierungserklärung Brandts aus dem
Jahre 1969 und verweist darauf, dass es hier im Bereich Kultur sowohl um die „unvergänglichen Leistungen der Vergangenheit“ als auch darum ginge, „was in dieser Zeit des
Überganges auch in Deutschland an geistiger Auseinandersetzung und fruchtbarer tägliche Wirklichkeit ist.“ Ralf Dahrendorf, ibid. S.16.
256 Ralf Dahrendorf, ibid. S.16.
257 Diese Thesen enthalten bereits praktische Vorschläge und Handlungsanweisungen:
die Betonung der internationalen Organisationen (These 5), der Gedanke des notwendigen Wettbewerbs der beiden deutschen Staaten (These 6), die Beziehung zu den regionalen Interessen der Außenpolitik (These 9), die Rede von einem neuen Gleichgewicht
von Zentralstaat und Mittlerorganisationen (Thesen 10-12) und die Forderung nach überproportionalem Anwachsen der öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich (These 15).
Siehe hierzu auch: Peisert, ibid. S.45-46.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
115
gelegt wurden. Schließlich münden im Dezember 1970 alle Vorüberlegungen in die bahnbrechenden Leitsätze für die auswärtige Kulturpolitik .
Wegen ihrer herausragenden Bedeutung für die konzeptionelle Weiterentwicklung des Kulturbegriffs , aber auch für die im zweiten Teil dieses
Kapitels anstehende Bewertung und Analyse von Kulturveranstaltungen,
werden an dieser Stelle zunächst wichtige Passagen der Leitsätze zitiert
und in tabellarischer Form dargestellt. Für die Untersuchung waren nur
jene Passagen relevant, welche im anschließenden Kapitel eine Überprüfung anhand der vorliegenden Kulturprogramme zuließen.
116
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Übersicht
12: Leitsätze für die auswärtige Kulturpolitik (Dezember 1970)258
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Quelle: Eigene Darstellung
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258
Auswärtiges Amt: Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik, in: http://www.ifa.de/pdf/
aa/akbp_leitsaetze1974.pdf. Zugriff am 21.6.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
117
Die Bewertung der Leitsätze
Mit den Leitsätzen vom Dezember 1970 liegt erstmals ein offizielles Konzept zur AKP der Bundesrepublik, insbesondere zum Kulturaustausch, vor.
Am besten lassen sich die Forderungen Dahrendorfs anhand von folgenden Tendenzen und Forderungen zusammenfassen:
Forderung 1. Von der Selbstdarstellung zu Kooperation und Austausch (1.5)
Die einseitigen kulturellen Aktivitäten, die dem Prinzip der ‘Einbahnstraße’
folgten, sollten von nun an durch das Prinzip der ‘Zweibahnstraße’ ersetzt
werden. Der interkulturelle Dialog im Partnerland sollte dabei auch bei der
inhaltlichen Konzeption von Kulturveranstaltungen im Vordergrund stehen. Dies musste zwangsläufig auch die Erweiterung der Zielgruppen zur
Folge haben:
Forderung 2: Vom elitären Publikum zum erweiterten Publikumskreis (1.2)
Nicht nur Grosser hatte darauf hingewiesen (siehe Kapitel 3), dass nicht
allein Germanisten zur einzigen Zielgruppe der deutschen Auslandsinstitute zählen sollten. Auch die Konzeptionen Dahrendorfs setzten nun auf
ein breiteres, weniger elitäres Publikum. Durch Vernetzung mit Mittlern
sollte von nun auch neuen Zielgruppen die deutsche Kultur zugänglich gemacht werden. Dies bedeutete gleichermaßen auch eine Erweiterung in
Bezug auf die Inhalte der Veranstaltungen. Hieraus ergibt sich die nächste
Forderung:
Forderung 3: Vom engen zum erweiterten Kulturbegriff (1.2)
Die Tatsache, dass sich die Kulturarbeit von nun an „intensiver als bisher
mit den kulturellen und zivilisatorischen Gesellschaftsproblemen befassen
sollte“259 (siehe 1.2), trug nicht nur der Erkenntnis Rechnung, dass Kultur
nicht mehr „Privileg elitärer Gruppen und ein Angebot an alle“260 sein
sollte, sondern auch den Blick auf ein junges Deutschland richten wollte,
welches sich fortwährend mit dem „Prozess seiner Zivilisation“261 auseinandersetzen wollte. Die neue Kulturarbeit sollte auch Spiegel der gegenwärtigen Diskussionen in Deutschland sein und nicht nur „Rückspiegel“262
einer glanzvollen, kulturellen Vergangenheit. Bei dieser neuen Programmatik war man vor allem auf die Unterstützung deutscher und französischer
Mittler angewiesen und somit auch auf die Ausbildung eines Netzwerkes.
Forderung 4: Vom Kulturexport zur Netzwerkbildung (1.4)
259
Auswärtiges Amt: Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik, in: http://www.ifa.de/pdf/
aa/akbp_leitsaetze1974.pdf. Zugriff am 21.6.2012.
260 Auswärtiges Amt: Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik, in: http://www.ifa.de/pdf/
aa/akbp_leitsaetze1974.pdf. Zugriff am 21.6.2012.
261 Auswärtiges Amt: Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik, in: http://www.ifa.de/pdf/
aa/akbp_leitsaetze1974.pdf. Zugriff am 21.6.2012.
262 Auswärtiges Amt: Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik, in: http://www.ifa.de/pdf/
aa/akbp_leitsaetze1974.pdf. Zugriff am 21.6.2012.
118
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auch diese Forderung Dahrendorfs kann als wesentliche Kursänderung im
Auswärtigen Amt interpretiert werden. Erstmals wird der Netzwerkbildung im Partnerland eine etwa gleichrangige Bedeutung zugestanden, wie
der Entsendung hochrangiger deutscher Kulturbotschafter als ‘Kulturexport’ in Form von Wissenschaftlern und Künstlern aus dem Inland. Will
man hier erstmals bei der Konzeption von Kulturveranstaltungen verstärkt
auf die Anfragen und Anregungen der Mittler vor Ort eingehen? Dies setzt
ein Umdenken auch in Bezug auf die gesamtstrategischen Planungen voraus, wie sie in der nächsten Forderung konkretisiert werden:
Forderung: Von der globalen Strategie zur Regionalisierung (2.2)
Auch wenn hier unter „Regionalisierung“ die Weltregionen gemeint sind, in
welche das Auswärtige Amt seine Tätigkeiten im Rahmen der Auswärtigen
Kulturpolitik einteilt, darf an dieser Stelle die Auslegung erlaubt sein, dass
zukünftig en miniature auch auf die kulturellen Bedürfnisse der Regionen
der einzelnen Länder eingegangen werden soll. Dies hätte auch – im Falle
einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern am Einsatzort – zur Folge, dass sich einzelne Veranstaltungen fest in den Veranstaltungskalender vor Ort etablierten, was die Nachhaltigkeit von
Kulturarbeit sichern würde:
Forderung 6: Von kurzfristigen kulturellen Höhepunkten zu nachhaltig wirkenden Kulturveranstaltungen (2.1)
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
119
Die von Dahrendorf aufgestellten Forderungen, werden bei der im zweiten Teil des Kapitels folgenden Analyse der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts der 1970er Jahre als Vergleichsparameter dienen. Die
Forderungen Dahrendorfs werden daher auf folgendem Schaubild skizzenhaft dargestellt:
Übersicht 13: Kriterien zur Beurteilung von Kulturveranstaltungen (nach
Dahrendorf)
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Quelle: Eigene Darstellung (nach Dahrendorf)
120
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Das Peisert-Gutachten: „Die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik
Deutschland“
Die in den Leitsätzen angekündigte Überprüfung auswärtiger Kulturpolitik,
“die vor eingewurzelten Interessen nicht haltmachen darf“263, verschob
den Akzent auf eine langfristig angelegte und ständig zu evaluierende Gesamtplanung. In diesem Sinne deuteten Dahrendorfs Ausführungen auch
neue Evaluierungsinstrumente- und Kriterien der AKP an, die bei der Planung von kultureller Programmarbeit zu berücksichtigen seien:
„Bei der Planung sind unter Anwendung moderner technischer Methoden
verstärkt Informationen auszuwerten, Bedarfs- und Zielgruppenanalysen
zu erstellen und laufend Kontrollen der Wirkung kulturpolitischer Maßnahmen vorzunehmen.“(2.1)
Diese Feststellung mündete schließlich in eine letzte Forderung, nämlich
von der Improvisation zur strategischen Planung überzugehen. Diese Forderung deutete vor allem an, wie die Konzeption Dahrendorfs in Zukunft
umgesetzt werden sollte. Hansgert Peisert wies in seiner Analyse Die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland zu Recht auf das Dilemma hin, dass zwar die auswärtige Kulturpolitik immer häufiger als
gleichrangige „dritte Säule“ der Außenpolitik bezeichnet wurde, das Auswärtige Amt der Auswärtigen Kulturpolitik jedoch das so häufig postulierte
Gewicht kaum zukommen ließ. Daraus folgerte er:
„In dieser Situation schien es notwendig, die auswärtige Kulturarbeit einer
Prüfung zu unterziehen, um die Gründe für das Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit herauszufinden.“264
Die „Leitsätze“ von Dahrendorf dienten so zwar als Grundlage zu einer
neuen außenkulturpolitischen Debatte, sie zeigten jedoch auch auf, dass es
mehr als je zuvor notwendig war, das neue Konzept durch fundierte Bestandsaufnahmen und Gutachten zu stützen. Die wichtigste Bestandsaufnahme in den 1970er Jahren war ein vom Konstanzer Soziologen Hansgert
Peisert erstelltes Gutachten, ein Auftrag der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, welcher zwar im Jahre 1971 vorgelegt, aber erst im Jahr 1978
publiziert wurde. Diese Studie, so in dem im August 1977 von Dahrendorf
263
Auswärtiges Amt: Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik, in: http://www.ifa.de/pdf/
aa/akbp_leitsaetze1974.pdf, Zugriff am 21.6.2012.
264 Peisert, ibid. S.43
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
121
verfassten Vorwort, hatte einerseits den Zweck, „den Kreis der Experten
für die deutsche auswärtige Kulturpolitik zu erweitern“ und andererseits
die „Wandlung des deutschen Selbstbildes“265 zu reflektieren, die sich in
den 60er und 70er Jahren herausgebildet hatte. Peisert selbst setzte sich
mit seiner Studie das Ziel, für die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes
- die er übrigens als „Aschenputtel des Ressorts266 bezeichnete – Voraussetzungen für eine neuartige Gesamtplanung der Kulturabteilung zu schaffen.267 Die Arbeit von Peisert hat vor allem zwei Schwerpunkte: zum einen
die Deskription vorhandener Strukturen im Bereich auswärtiger Kulturaktivitäten und zum anderen die Erarbeitung von Planungsinstrumenten für
die zukünftige Arbeit der Kulturabteilung. Daher gliedert sich die Studie
auch in die Bereiche Bestandsaufnahme und Planung. Für die Arbeit sind
vor allem die Ergebnisse des Bereiches Bestandsaufnahme von Interesse, da
die hier angewendeten Parameter der Analyse von Kulturveranstaltungen
sehr gewinnbringend für die weiteren Untersuchungen genutzt werden
können.
Die Ausgangslage der AKP Deutschlands in den 1970er Jahren
Im theoretischen Teil seiner Arbeit Kapitel skizziert Peisert den kulturpolitischen Hintergrund seines Gutachtens, indem er im Detail die wichtigsten Schritte zu einer neuen Konzeption aufzeigt. Hier stellt er vor allem die
Verdienste der neuen Regierung Brandt und seines parlamentarischen
Staatssekretärs Dahrendorf in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Die
Vorüberlegungen Sattlers bleiben hier vollkommen unerwähnt. Als gedanklichen Rahmen nennt er in diesem Sinne neben der Regierungserklärung Brandts, die bereits erwähnten 15 Thesen zur Internationalen KulturWissenschafts- und Gesellschaftspolitik und allen voran die 18 Leitsätze
Dahrendorfs, welche nach Peisert das „Credo für die Außenkulturpolitik“268 darstellen.
Als die zwei wichtigsten Elemete der neuen Konzeption versteht Peisert
die Ausweitung und Ergänzung des Kulturbegriffs und den Paradigmenwechsel der kulturellen auswärtigen Beziehungen von der Selbstdarstellung
265
266
267
Dahrendorf in: Peisert, 1978, S.14.
Peisert, ibid. S.23.
Es sei an dieser Stelle bereits erwähnt, dass zur gleichen Zeit die damalige parlamentarische Opposition die Einrichtung einer Enquête-Kommission beantragte, welche vor allem
die Zielsetzung, Inhalt, Organisation und Finanzierung der bisherigen auswärtigen Kulturpolitik überprüfen und - wenn notwendig - Handlungsempfehlungen geben sollte.
268 Peisert, ibid. S.47.
122
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
zur wechselseitigen Kommunikation und Zusammenarbeit. Hieraus leitet
Peisert unmittelbar vier Thesen ab, die er für seine Ausgangslage als Gutachter des Auswärtigen Amtes als grundlegend ansieht, nämlich die Autonomie der AKP, die Notwendigkeit (a) einer klaren Konzeption und (b) eine
Prioritätenliste als Orientierungsmaßstab und schließlich (c) eine Strategie
mit dem „größtmöglichen Effekt“269. Die anschließende Beschreibung der
Auswärtigen Kulturpolitik anderer Länder ist deshalb von besonderem Interesse, da hier auch u.a. die auswärtige Kulturpolitik Frankreichs zum Vergleich herangezogen wurde.270 Durch die Analyse der auswärtigen
Kulturpolitik anderer Länder erhoffte Peisert sich das Aufzeigen von Möglichkeiten und Alternativen in einer Phase der Neuorientierung. Vorrangig
wurde die Analyse bis zum Ende der 1960er Jahre durchgeführt, wobei Peisert den Leser im Unklaren lässt, zu welchem Zeitpunkt diese ansetzt. Insgesamt fällt seine Analyse viel zu oberflächlich aus, jedoch gibt sie wichtige
strategische Denkanstöße insbesondere, wenn es um die außenpolitischen
Ziele geht.
Um die außenpolitischen Ziele Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und
der USA vergleichen zu können, stellt Peisert zwei Kriterien – in Form von
Gegensatzpaaren formuliert – auf, um die Ziele einer AKP zu bestimmen:
die Gegensatzpaare „aufgeschlossen – uninteressiert“ und „Veränderung –
Status quo“:
„Auswärtige Kulturpolitik zeigt sich gegenüber der Kultur des Gastlandes
entweder aufgeschlossen oder uninteressiert, weil sie nur an der eigenen
Kultur und deren Verbreitung interessiert ist.
Auswärtige Kulturpolitik ist entweder auf Veränderung im kulturellen Bereich des Gastlandes gerichtet oder akzeptiert grundsätzlich den Status
quo im kulturellen Bereich des Gastlandes.“271
Für Peisert ergeben sich hieraus vier unterschiedliche, idealtypische Modelle,
wobei er gleich zu Beginn seiner Ausführungen zu diesem Thema einräumt,
dass seine Darstellungen nur in „groben Zügen die Richtungen, in die die
außenpolitischen Bestrebungen gehen,“272 skizzieren können, nicht aber
auf die einzelnen Konzepte für die Realisierung ihrer Ziele.
269
270
Peisert, ibid. S.53/54.
Hauptaugenmerk gilt hier neben Frankreich noch Italien, Großbritannien und den USA.
Peisert, ibid. Ab Seite 55ff.
271 Peisert, ibid. S.59.
272 Peisert, ibid. S.62.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
123
Modell 1: Austausch und Zusammenarbeit
Unter diesem Modell versteht Peisert eine AKP, die sich hauptsächlich an
der Kooperation mit dem Gastland orientiert. Die dafür am besten geeignete Organisationsform sei eine zentrale Institution, die über das In- und
Ausland auf kulturellem Gebiet hinreichend informiert ist. Peisert führt
hier beispielgebend als Organisationsform den British Council an. Diese Organisationsform verwalte unabhängig vom Parlament und „relativ unbeeinflusst von staatspolitischen Interessen“273, die von der Regierung
bewilligten Mittel und bestimme die Inhalte der Kulturarbeit selbst. Inhaltlich orientiere sich dieses Modell vor allem an der langfristigen Problemlösung internationaler Probleme.
Modell 2: Einseitige Übertragung der eigenen Kultur auf das Partnerland
Am deutlichsten werde laut Peisert dieses Modell durch die Kolonialpolitik der romanischen Länder verkörpert. Wichtige organisatorische Komponenten seien eine zentrale Planung, eine zentrale Koordination und eine
zentrale Kontrollorganisation. Der offizielle Auftrag dieser Art von AKP lege
eine Ansiedlung dieser Art von Institution im Außenministerium nahe.
Modell 3: Information
Im Gegensatz zu dem eben skizzierten Modell der Selbstdarstellung würde
dieses Konzept eine Organisation erfordern, welche „ständig allen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und schöngeistigen Entwicklungen im Inund Ausland auf der Spur ist.“274 Eine mit der Umsetzung des
Kulturprogramms beauftragte Institution dieser Kategorie müsse jedoch
nicht nur in der Lage sein, diese gesellschaftlichen Tendenzen aufzuspüren,
sondern diese auch in Programme umsetzen. Weniger der Kontakt zum Auswärtigen Amt als vielmehr die Kontaktpflege zu den Kulturgesellschaften
im Aus- und Inland sei daher von größter Wichtigkeit.
Modell 4: Selbstdarstellung
Das Konzept zur Realisierung des Ziels „Selbstdarstellung“ zeichne sich laut
Peisert vor allem durch einen organisatorischen Rahmen aus, der „für das
Ausland geplante Maßnahmen, wenn nicht selbst durchführt, so doch zentral plant und koordiniert.“275
Bei diesem Modell sei es in organisatorischer Hinsicht ohne Bedeutung, ob
die Umsetzung der kulturellen Inhalte vom Außenministerium oder von
einer ihm abhängigen Mittlerorganisation übernommen wird. Inhaltlich
stehe hier eindeutig die Darstellung der eigenen Kultur im Vordergrund,
273
274
275
Peisert, ibid. S.62.
Peisert, ibid. S.65.
Peisert, ibid. S 64.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
124
nicht aber ihre Bedeutung für die Kultur des Partnerlandes. Die vier von Peisert entworfenen Modelle Auswärtiger Kulturpolitik werden im Schaubild
4.2 zusammengefasst:
Übersicht 14: Die vier idealtypischen Konzeptionen auswärtiger Kulturpolitik (erstellt nach Peisert)
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Quelle: Eigene Darstellung, nach Peisert
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
125
Die Positionierung der französischen AKP in Bezug auf die
deutsche AKP laut Peisert - Gutachten
Wenngleich Peisert einräumt, dass keines der realen Systeme völlig mit
einem der vier Idealtypen übereinstimmt, kommt man, wenn man die oben
erstellte Tabelle interpretiert, in Bezug auf das französische Model zu folgendem Schluss: Das Schwergewicht der auswärtigen Kulturpolitik Frankreichs lag laut Untersuchungsergebnissen Peiserts bis in die 1970er Jahre
hinein auf Zielen wie „Selbstdarstellung“276 und „Übertragung der eigenen
Kultur auf Partnerländer.“277 Diese beiden Ziele wurden laut Peisert durch
eine starke Zentralisierung des Außenministeriums verfolgt, „die auch
durch keinerlei weitere regionale Gliederung aufgelockert wird.“278 Dies
bezeichnet Peisert als „Schwäche“279 des Französischen Systems. .Als Stärken der auswärtigen Kulturpolitik Frankreichs führt er einerseits die herausragende Qualifikation der Kulturschaffenden und andererseits das
traditionell hohe Prestige Frankreichs auf kulturellem Gebiet an. Das erstellte Modell macht aber –zu Beginn der deutschen Reformphase- vor
allem deutlich, wie unterschiedlich von Seiten des Auswärtigen Amtes die
Strategie der bisherigen französischen auswärtigen Kulturpolitik und die
zukünftige idealtypische deutsche AKP eingeschätzt wurden.
Die Unterschiede lassen sich anhand von drei Kriterien am deutlichsten
herausarbeiten.
1.Verfolgte Ziele und angewandte Konzeptionen
Auf deutscher Seite reduzierte man Frankreichs Konzeption der AKP auf
das Bestreben einer Übertragung der eigenen Kultur auf das Partnerland
mit wenig Interesse für Kultur und kulturelle Probleme des Partnerlandes.
Dieses Ziel entsprach jedoch einer „kulturellen Einbahnstraße“ und war
weit von den wichtigsten Grundsätzen der Leitlinien Dahrendorfs entfernt,
die in der Dialogbereitschaft und der Kooperation, die Zukunft der deutschen AKP, also in einer „ kulturellen Zweibahnstraße“ sahen.
2. Organisationsformen und Strategie
In der französischen AKP hatte sich laut Gutachten eine zentrale PlanungsKoordinations- und Kontrollorganisation bewährt, die als Vehikel der franzö276
„Überall dort jedoch, wo diesem von praktisch allen romanischen Ländern praktizierten
„Integrationsziel“ doch kein Erfolg beschieden sein könnte, wird eine dem Ruhme Frankreichs geltende „Selbstdarstellung“ (rayonnement) als Ziel avisiert.“, Peisert, ibid. S.60.
277 „Dagegen (gegen die Selbstdarstellung, G.F.) spielt (in Frankreich, G.F.) ein Ziel wie Information, „die um Verständnis wirbt“ als Orientierungspunkt der auswärtigen Kulturpolitik bis heute nur eine geringe Rolle.“, Peisert, ibid. S.60.
278 Peisert, ibid. S.60
279 Peisert, ibid. S.60.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
126
sischen Außenpolitik die Staatsinteressen vertrat. Mit dieser Organisationsform konnte Frankreich auf eine Jahrhunderte lange, prestigereiche Tradition zurückgreifen. Aufgrund der Hypothek des Dritten Reichs, sah sich
Deutschland hingegen noch immer verpflichtet, „Berge von Angst abzutragen“280 und wählte daher als Strategie den Bruch mit Traditionen. Eine
neue Ära der deutschen AKP sollte vor allem durch eine föderative und dezentrale Struktur eingeleitet werden, welche durch unabhängige Mittlerorganisationen im Ausland vertreten werden sollten.
3. Inhaltliche Schwerpunkte
Der inhaltliche Schwerpunkt der französischen auswärtigen Kultpolitik, so
ergab die Studie, lag vor allem auf der Sprachenpolitik. Sprache wurde - im
Rahmen der französischen AKP - laut Peisert jedoch nicht vorrangig als
Kommunikationsinstrument verstanden, sondern vielmehr als Mittel, französische Denkmuster im Partnerland zu formen und auch zu beeinflussen.281 Die herausragende Bedeutung der französischen Sprache wird auch
im internationalen Vergleich anhand der Schwerpunkte deutlich:
Übersicht 15: die Schwerpunkte auswärtige Kulturpolitik von Frankreich
Italien Großbritannien und Deutschland, 1968282
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**hierzu waren keine Angaben zu ermitteln
Quelle: Eigene Darstellung, nach Peisert
280
„Berge von Angst abtragen“: Hier sah Sattler seine Aufgabe. In seinen Augen hatte die
Angst drei Wurzeln. Immer wieder kommen Sattlers Aufzeichnungen zurück auf die „Hypothek des Dritten Reichs“. Zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs stießen die
Deutschen bei ihren europäischen Nachbarn nach wie vor auf Misstrauen.“ In: Wilfried
Grolig: Berge von Angst abtragen, Festvortrag zur Verleihung des Rave-Forschungspreises Auswärtige Kulturpolitik 2003, das Erbe des Kulturdiplomaten Dieter Sattler,
http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk-2003/willkommen-im-club/grolig/
Zugriff: 2. 8.2010.
281 Die wichtigste Maßnahme (der auswärtigen Kulturpolitik Frankreichs, G.F.) ist die Verbreitung der französischen Sprache, weil diese „nicht nur als Kommunikationsmittel vermittelt werden soll, sondern auch im Hinblick auf die Art des Denkens.“ Peisert, ibid. S.68.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
127
Die von Peisert erstellte Tabelle zeigt deutlich, dass die verglichenen Länder in medialer Hinsicht zwar ähnliche Schwerpunkte setzten, jedoch ein
großes Ungleichgewicht in Bezug auf das zur Verfügung gestellte „Personal“
festzustellen war. War die Anzahl der Auslandsschulen noch in etwa ausgewogen, so stand die Zahl der entsandten Lehrkräfte in einem Verhältnis
von 1:26 zu Gunsten von Frankreich. Was die Anzahl von Kulturinstituten
/Bibliotheken im Ausland anging, belegte die Studie immerhin nur ein Verhältnis von 1:2. Allein die Analyse der oben angeführten Kriterien zeigt
deutlich auf, dass Deutschland zu Beginn der 1970er Jahre, den Ergebnissen der eigenen Studie zu Folge, eine vom Nachbarland stark divergierende
auswärtige Kulturpolitik betreiben wollte. Unterstrichen wird diese Tatsache auch durch den im Gutachten zur Charakterisierung der französischen Ausrichtung aufgeführten Begriff „rayonnement“, welcher an
gleicher Stelle fälschlicherweise lediglich mit „Selbstdarstellung“ übersetzt
wurde. Dass rayonnement im französischen Selbstverständnis auch kulturellen Austausch symbolisiert, wird durch die aktuelle, offizielle Webseite
des französischen Außemministeriums deutlich, die Sprachenpolitik und
rayonnement auf eine Ebene stellt :
„Le rayonnement culturel et la francophonie
La France a obtenu en 2005 à l’UNESCO l’adoption d’une convention sur
la diversité culturelle et linguistique ; elle attache depuis longtemps une
grande importance aux échanges culturels (cinéma, théâtre, arts, livres,
idées, médias), à la promotion de la langue française et au plurilinguisme.
À cet effet, elle entretient un important réseau d’instituts culturels, d’alliances françaises et de lycées français à travers le monde.“283
Das letzte, für unsere Arbeit wichtige Kapitel der Studie, ist das vierte Kapitel, in welchem die auswärtige Kulturpolitik aus der Sicht der Praktiker
anhand einer Umfrage analysiert werden soll. Die Tatsache, dass Peisert
Expertenmeinungen in sein Gutachten mit einbezog, hatte vor allem drei
Gründe: Zunächst wollte sich Peisert durch die Beteiligung von Experten
vor Ort ein möglichst genaues Bild über den Status quo der auswärtigen
Kulturarbeit machen und erhoffte sich auf diese Weise, dass spezifische
Probleme eines jeden Gastlandes benannt wurden. Zweitens war sich
282
283
Tabelle nach Peisert, ibid. S.67.
Ministère des Affaires Etrangères et Européennes: http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/
france_829/politique-etrangere_19080/rayonnement-culturel_68318.html, Zugriff am
18.8.2010.
128
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Peisert mehr als bewusst, dass die Durchsetzbarkeit außenpolitischer Zielsetzungen im Auswärtigen Amt entscheidend von der Mitwirkung der Kulturschaffenden im Ausland abhängig war. Ein dritter wichtiger Punkt war
praktischer Natur: die Diskussionsbeiträge und Informationen der befragten Experten sollten in ein Konzept münden, welches schließlich in einem
zweiten Schritt in der Auslandsarbeit praktisch umgesetzt werden sollte.
Für Peisert verfolgte daher diese Umfrage ein doppeltes Ziel, sie war Bestandsaufnahme und Planungsinstrument zugleich.
Die Expertengruppe
Zu diesem Zweck führte Peisert Experteninterviews durch. Zu ihnen zählten Experten, Mitarbeiter der diplomatischen Vertretungen, Mitarbeiter
der Goethe-Institute, Mitarbeiter des deutschen akademischen Auslandsamtes, und an ausländische Universitäten vermittelte Lektoren und Wissenschaftler. Die Umfrage berührte neben den Personaldaten und Angaben
zur Situation der Befragten im Ausland284 zwei für unsere Untersuchungen
hochinteressante Bereiche, da sie sich mit Inhalten und Zielgruppen der
deutschen AKP auseinandersetzte. Themenschwerpunkte waren dabei
allen voran das zukünftige Gewicht von Zielgruppen und die Berücksichtigung kultureller Maßnahmen aus der Sicht von Praktikern.
1. Zukünftiges Gewicht von Zielgruppen
In Bezug auf diese Thematik wurde zunächst den Befragten eine Tabelle
vorgelegt, durch die die bisherige und zukünftige Zielgruppe285 von Institutionen und Organisationen genauer definiert werden sollte:
284
Das Ergebnis dieses Teils der Umfrage lässt sich an dieser Stelle kurz in drei Punkten zusammenfassen:
1. Ein Großteil der Kulturschaffenden kam von der Ausbildung her aus dem Bereich der
Philosophischen Fakultät.
2. Die große Stellenmobilität der Befragten verursacht immense Kosten
3. Die Informationsreisen der Befragten ins Heimatland sind von großer Wichtigkeit.
285 Die Nennung von Zielgruppen erfolgte laut Peisert ohne ein vorgegebenes Schema spontan. Peisert, ibid. S.129.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
129
Übersicht 16: Bisherige und künftige Ansprache verschiedener Zielgruppen
im Urteil der Praktiker286
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N= 393, Gesamtzahl der Befragten
Quelle: Eigene Darstellung, nach Peisert
Insgesamt konnten in Bezug auf die Zielgruppe des Ausbildungsbereiches
folgende Feststellungen gemacht werden: Die Tabelle zeigt, dass alle bereits bestehenden Zielgruppen in diesem Bereich auch weiterhin als prioritär angesehen wurden, was eine Kontinuität auch in der Ausrichtung der
Kulturarbeit bedeuten würde. Bei dem Vergleich ist zweitens festzuhalten,
dass die Umfrage unter den Experten ergab, dass die Hochschule - in der
Vergangenheit wie in der Zukunft - der wichtigste Adressat der deutschen
Kulturpolitik sein sollte. Neben den Hochschulen kam im Bereich des Ausbildungsbereiches den Sekundarstufen die wichtigste Bedeutung zu. Die
Studenten und Praktikanten (mit 55% Prozent der Nennungen der absolute Spitzenwert der Umfrage) rangierten dabei in der künftigen Prioritätenliste noch vor den Professoren und Wissenschaftlern (mit 45 %), was
bedeutet, dass die Kulturschaffenden sich vor allem der kulturellen Weiterbildung der Jugend widmen wollten. Weitaus heterogener fällt das Ergebnis aus, wenn man sich das Expertenurteil in Bezug auf die Zielgruppen
des künstlerischen Bereiches ansieht, welches stark divergierende Ergebnisse erzielte. In der zukünftigen Kulturarbeit – wie auch zuvor- sollte die
Kulturelite an erster Stelle der Zielgruppen rangieren. Auffallend ist vor
allem, dass diese Zielgruppe unter den vier definierten die einzige war, die
286
Die Prozentuierung bezieht sich auf die Gesamtzahl der Befragten (N= 393), nicht auf die
Summe der Nennungen. In: Peisert, ibid. S.129.
130
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
einen Zuwachs (allerdings auch nur um einen Prozentpunkt) in Bezug auf
die Prozentuierung der Summe der Nennungen verzeichnen konnte. Alle
weiteren Zielgruppen, wurden, was die künftige „Ansprache“ angeht, weitaus weniger genannt. Man kann hier, was diese drei Zielgruppen angeht,
in Bezug auf die künftigen Nennungen vereinfachend festhalten, dass fast
jede der drei traditionellen Zielgruppen einen Rückgang von 50% zu verzeichnen hatte. Hier kann man von Diskontinuität in Bezug auf die anvisierten Zielgruppen sprechen. Diese Tendenz wurde von Peisert weder
aufgezeigt, noch interpretiert. Das Ergebnis der Ansprache der „Kulturelite“– welche für ihn Nennungen wie Künstler, Schriftsteller und Musiker
umfasste – belegte für ihn lediglich die Tendenz, dass „ein gewisser Sättigungsgrad erreicht worden war. Das Umfrageergebnis unterstrich für uns
jedoch auch eine weitere Tendenz: Es belegte in beeindruckender Weise,
dass die befragten Kulturexperten in Bezug auf die Zielgruppen in diesem
Bereich gespalten waren: auf der einen Seite hielten die Experten an dem
traditionellem Kulturbegriff mit traditionellem, elitären Publikum fest, auf
der anderen Seite waren sie nicht in der Lage, sich ein neues Zielpublikum
zu schaffen. Dies wurde durch das Paradoxon unterstrichen, dass man zwar
in Zukunft weniger Kulturarbeit für eine Oberschicht und die deutsche Kolonie konzipieren wollte, jedoch auch keine Ansätze erkennen ließ, ein kulturell interessiertes Publikum anzusprechen. Vor allem fällt bei der Analyse
ins Auge, dass an dieser Stelle keine weiteren Zielgruppen von den Experten genannt werden. Die letzte Frage des Fragebogens lautete im Übrigen:
„Welcher bisher nicht genannte Aspekt unserer auswärtigen Kulturpolitik
erscheint Ihnen besonders änderungsbedüftig?“ An erster Stelle wurde „die
Planlosigkeit der auswärtigen Kulturpolitik“287 genannt, welche ein damaliger DAAD Lektor, der namentlich nicht genannt wird, treffend zusammenfasst: „Die Frage setzt voraus, dass es verbindliche Erfolgskriterien
gibt. Dies setzt voraus, dass man weiß, was man erreichen will. Eine Konzeption der Kulturpolitik im Gastland gibt es aber nicht.“288
287
288
Peisert, ibid. S.124.
Peisert, ibid. S.124.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
131
3.3.2. Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1971-1978
Zum Korpus
Im Zeitraum von 1971 bis 1978 wurde die Statistik der Jahrbücher des Goethe-Instituts in Bezug auf die vorangegangen Untersuchungsabschnitte
deutlich verändert.
Generell bleibt festzuhalten, dass sich bereits in diesem Zeitraum die Tendenz erkennen lässt, die jeweiligen Untersuchungskriterien wesentlich zu
beschränken.
Erstens sind die Bereiche Vorträge, Konzerte, Theater und Tanz unter der
Rubrik kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen zusammengefasst
worden.
Diese neu eingeführte Klassifizierung ist für unsere quantitative Analyse
sehr bedauerlich, weil für die Untersuchung die Trennung von wissenschaftlichen und kulturellen Kulturveranstaltungen besonders in Bezug auf
den Kulturbegriff und die Zielgruppenorientierung von Interesse war. Mehr
noch: das Zusammenfassen von Vorträgen, Konzerten, Theater und Tanz
unter einem Oberbegriff ist auch vor dem Hintergrund der in den 1970 Jahren einsetzenden Debatte um den erweiterten Kulturbegriff als Rückschritt
zu bewerten, da durch diese Maßnahme ein wesentliches Instrument der
Evaluation seitens des Goethe-Instituts nicht genutzt wurde.
Zweitens wurde das Kriterium Filmabende in die Kriterien Filme und Aufführungen unterteilt (siehe Übersicht 1 im vorangegangenen Kapitel), was
bis zum Jahre 1983 seine Gültigkeit haben wird. Sicherlich ist auch diese
Veränderung auf die von uns im vorangegangenen Kapitel bereits angesprochenen, sehr uneinheitlich evaluierten Filmabende zurückzuführen.
Zugleich betont diese Maßnahme der Spezifizierung auch, dass der deutsche Film im Rahmen der kulturellen Programmarbeit in Frankreich nicht
zuletzt durch das Engagement des Goethe-Instituts in Lille enorm an Bedeutung gewonnen hatte.
Drittens ist festzuhalten, dass in diesem Untersuchungsabschnitt die Leiter der Goethe-Institute weiterhin dazu angehalten wurden, die „Höhepunkte des Eigenprogramms“ eines Kalenderjahres aufzuführen, welche
ab 1972 „Bemerkenswerte Veranstaltungen“ genannt werden; dies ermöglicht erstmals, eine qualitative Langzeitstudie über die Inhalte der kulturellen Programmarbeit durchzuführen, welche in diesem Kapitel
erheblich mehr Raum einnehmen wird.
Die quantitative und qualitative Analyse der Kulturveranstaltungen im Zeitraum von 1971 bis 1978 wurde schließlich auch um einen weiteren
Analyseschwerpunkt ergänzt: So finden ab dem Jahr 1976 unter den Ru-
132
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
briken „Geförderte Ensembles und Sonderkurse“ und später (1977) „Unterstützte Gruppen“ im Bereich der kulturellen Programmarbeit Kooperationen
und Partner eine besondere Erwähnung. In Verbindung mit den Angaben zu
den Kooperationspartnern bei den diversen Kulturveranstaltungen können
somit erstmals auch dezidierte Aussagen über das jeweilige Netzwerk der
Goethe-Institute vor Ort gemacht werden.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
133
Quantitative Analyse der Kulturveranstaltungen von 1971 bis 1978
Übersicht 17: Die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 19711978 (1971=1)
2,500
2,000
1,500
Kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen
Ausstellungen
Filmaufführungen
Aktivitäten insgesamt
1,000
0,500
0,000
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Übersicht 18: Die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 19711978 in absoluten Zahlen
Entwicklung der Aktivitäten
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
145
130
156
140
132
161
163
241
44
58
51
67
92
81
99
90
73
Filmaufführungen
228
207
309
203
277
362
344
321
281
Aktivitäten insgesamt
417
395
516
410
501
604
606
652
513
Kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen
Ausstellungen
Mittelwert
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
159
Die Übersicht 17 belegt zunächst, dass ausnahmslos alle Aktivitäten im Bereich der kulturellen Programmarbeit - wenngleich auch nicht kontinuierlich und bisweilen sprunghaft - über den gesamten Zeitraum von 1971 bis
1978 einen Anstieg um ca. 56 % zu verzeichnen haben. Die Anzahl der Kulturveranstaltungen hat im Vergleich zur ersten Dekade noch einmal deutlich zugenommen. Fast kann man in diesem Zeitraum durchschnittlich von
zwei deutschen Kulturveranstaltungen pro Tag im Jahr sprechen. Im Einzelnen bedeutete dies einen Zuwachs von ca. 41% in Bezug auf die Filmaufführungen und 66 % im Bereich der kulturellen und wissenschaftlichen
Veranstaltungen. Die Anzahl der Ausstellungen konnte über den gesamten
134
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Zeitraum gar mehr als verdoppelt werden. Diese Feststellung lässt die Vermutung zu, dass die Kulturschaffenden – ausgehend von der zuvor von uns
errechneten, sehr positiven Besucherratio für die Ausstellungen – ihr Kulturprogramm in puncto Veranstaltungsform publikumsorientierter ausgerichtet haben. Dieses Ergebnis wirft daher auch zwangsläufig die Frage
auf, ob sich gegen Ende der 1970er Jahre diese sehr positive allgemeine
Entwicklung auch in jedem einzelnen Institut ablesen lässt. Darüber kann
Übersicht 2 Auskunft geben, welche einen Überblick über den gesamten
Zeitraum von 1972 bis 1978289 gibt:
Übersicht 19: Mittelwerte der Aktivitäten im Zeitraum von 1972 – 1978
Mittelwerte der Aktivitäten 1972-1978
Bordeaux
Lille
Lyon
Marseille
Nancy
Paris
Toulouse
Gesamt
Kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen
14
23
26
16
22
38
22
160
Ausstellungen
10
5
9
9
21
14
9
77
Filmaufführungen
43
34
26
37
26
91
32
289
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Aufgrund ihrer Komplexität und Bedeutung für die anschließenden Ausführungen sei die Übersicht 19 an dieser Stelle kurz erläutert: sie sagt aus,
dass für den gesamten Untersuchungszeitraum von sieben Jahren (19721978) beispielsweise im Goethe-Institut Bordeaux pro Kalenderjahr etwa
10 Ausstellungen organisiert wurden, in Lille dagegen lediglich halb so viel.
Was die Gesamtzahl der Filmaufführungen angeht, kommen die sieben
Goethe-Institute auf einen Durchschnitt von knapp 300 (genauer: 289)
Filmaufführungen pro Veranstaltungsjahr. Die Übersicht 19 deckt zunächst
auf, dass die fünf Goethe-Institute in der französischen Provinz während
des zu analysierenden Untersuchungszeitraums mit zwischen 60 und 70
Kulturveranstaltungen per annum ein sehr ausgeglichenes Veranstaltungsvolumen vorweisen. Man kann hier also erstmals – was die rein quantitative
Auswertung der Veranstaltungen angeht - von einer Harmonisierung des
Kulturangebots in den 1970er Jahren sprechen. Im Gegensatz dazu lässt die
Übersicht 19 jedoch auch eine zweite Entwicklung erkennen, nämlich die im Vergleich zu den Anfangsjahren – enorm gestiegene Bedeutung des Pariser Goethe-Instituts: mit im Durchschnitt 143 Kulturveranstaltungen pro
289
Aufgrund der Tatsache, dass das Goethe-Institut in Bordeaux erst 1972 seinen ersten Jahresbericht vorgelegte,, fehlt in dieser Übersicht das Kalenderjahr 1971.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
135
Veranstaltungsjahr bot das Institut der Hauptstadt in den 1970er Jahren
mehr als doppelt so viele Veranstaltungen an, wie seine Partnerinstitute in
der Provinz. Schließlich kann man aus den oben genannten Zahlen in Bezug
auf die bevorzugten Kulturveranstaltungen der Goethe-Institute erstmals
eine Gewichtung der einzelnen Veranstaltungsformen erkennen, welche
für die Gesamtheit der Institute gilt: Für ausnahmslos alle Institute gilt für
den Zeitraum von 1972 bis 1978 folgende Rangfolge: Filmaufführungen
stehen bei allen Instituten an erster, kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen an zweiter und Ausstellungen an dritter Stelle. Trägt man den
Gesamtwerten aus der Übersicht 19 Rechnung, so entfallen exakt 55% der
Gesamtveranstaltungen auf Filmvorstellungen, 30 % auf kulturelle und
15% auf Ausstellungen. Dies lässt erstmals den Schluss zu, dass man auch in
Bezug auf die Art dieser Kulturveranstaltungen erstmals von einer Harmonisierung der Veranstaltungsformen in den 1970er Jahren sprechen kann.
Qualitative Analyse der Kulturveranstaltungen von 1971 bis 1978
Im Zeitraum von 1971 bis 1978 führten - wie bereits vorher erwähnt - die
Goethe-Institute im Jahresbericht unter den Rubriken „Höhepunkte des Eigenprogramms“ (Veranstaltungsjahr 1971) bzw. „Bemerkenswerte Veranstaltungen“ (Veranstaltungsjahre 1972-1978) auf, die als exemplarische
Kulturveranstaltungen angesehen wurden. Diese sollen im Folgenden analysiert werden. Insgesamt werden von den sechs bestehenden Instituten
291 Kulturveranstaltungen namentlich aufgeführt. Aus den genannten Veranstaltungen erschließt sich zunächst, dass die Zahl der Nennungen bemerkenswerter Veranstaltungen immer noch stark variiert. So führt das
Pariser Institut für den zu analysierenden Zeitraum 63 Kulturveranstaltungen, Toulouse lediglich 26 „bemerkenswerte Veranstaltungen“ an.290
Zunächst einmal soll der Frage nachgegangen werden, ob sich - im Gegensatz zu der ersten Analyse des Jahresberichts aus dem Jahre 1971 - bis Ende
1978 die Erweiterung des Kulturbegriffs bei der Konzeption der Kulturveranstaltungen durchgesetzt hat. Ordnet man für die Auswertung die aufgeführten Veranstaltungen nach dem traditionellen Kulturbegriff wie
Philosophie, Literatur, Musik, Kunst und Theater auf der einen und dem erweiterten auf der anderen Seite, so ergibt eine erste Bilanz, dass lediglich
knapp 80 (genauer 77 Veranstaltungen) der insgesamt 291 Veranstaltungen dem erweiterten Kulturbegriff zugeordnet werden können. Dies entspricht lediglich 25 Prozent der kulturellen Programmarbeit. Noch
290
Das Goethe-Institut Bordeaux gibt mit 25 Veranstaltungen insgesamt sogar noch weniger
„bemerkenswerte Veranstaltungen“ an, wurde an dieser Stelle jedoch deshalb nicht genannt, weil dieses Institut erst 1972 in die Statistik aufgenommen wurde.
136
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
frappierender fällt das Ergebnis aus, wenn man die Umsetzung des erweiterten Kulturbegriffs je nach Institut analysiert, was die folgende Übersicht
20 belegt:
Übersicht 20: Die Umsetzung des Erweiterten Kulturbegriffs in Prozent je
nach Institut im Zeitraum von 1971 bis 1978
Die Umsetzung des Erweiterten Kulturbegriffs (1971-1978)
In Prozent je nach Institut
Bordeaux
12
Lille
33
Lyon
Marseille
Nancy
23
28
22
Paris
Toulouse
12
19
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
In Bezug auf unsere Fragestellung scheint uns besonders die Sonderstellung des Goethe-Instituts Paris bemerkenswert: Hatte der erste Teil des
Kapitels in der quantitativen Analyse noch zu dem Ergebnis geführt, dass
das Hauptstadtinstitut in puncto Anzahl der Kulturveranstaltungen mit
mehr als doppelt so vielen Veranstaltungen eine exemplarische Funktion
deutscher Kulturarbeit in Frankreich übernommen hatte, so ist es umso
erstaunlicher, wie wenig folgerichtig in Paris die Vorgaben der Auswärtigen Amtes in Bezug auf den erweiterten Kulturbegriff umgesetzt wurden.
Hätte Paris nicht auch in dieser Hinsicht richtungsweisend für alle weiteren Institute arbeiten müssen? Das Gegenteil ist der Fall. Nur etwa jede
achte aufgeführte Veranstaltung ist dem erweiterten Kulturbegriff zuzuordnen, ein ähnliches Ergebnis wies auch das Goethe-Institut in Bordeaux
auf. Vorreiter in Sachen Umsetzung des erweiterten Kulturbegriffs war
allen voran erneut das Institut in Lille, gefolgt von Marseille, welche beide
etwa jede dritte Veranstaltung erweiterten kulturellen Themen widmen.
Hierzu fasst die Übersicht 21 die dem erweiterten Kulturbegriff zuordbaren Kulturveranstaltungen der Jahre 1971 bis 1978 zusammen291:
291
Der Übersichtlichkeit halber wurden in der Tabelle nur diejenigen Kulturveranstaltungen aufgenommen, welche entsprechend dem Prinzip der kulturellen Nachhaltigkeit als
wiederkehrende Themen identifizierbar waren.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
137
Übersicht 21: Wiederkehrende Themen geordnet nach Inhalten und Institut
im Zeitraum von 1971 bis 1978
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Tabelle zweimal aufgeführt, da sie auf zwei Kategorien
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138
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Warum finden in der Übersicht 21 die Kulturveranstaltungen der GoetheInstitute in Bordeaux und Toulouse überhaupt keine Erwähnung? Dies ist
allein der Tatsache geschuldet, dass weder in der Stadt an der Garonne
noch in der Stadt an der Gironde im Zeitraum von 1972 bis 1978 im Rahmen des erweiterten Kulturbegriffs wiederkehrende Themenkreise behandelt wurden.
Nur je einmal griff man in Bordeaux die Themenbereiche Psychoanalyse
(Ausstellung „Sigmund Freud“, 1975), Stadtentwicklung („Warum Fußgängerzonen?“, 1976), Politik („Agrarpolitik in der Bundesrepublik
Deutschland“, 1978) im Bereich des „Regard Croisé“ das Thema „Das
Frankreichbild der Deutschen - das Deutschlandbild der Franzosen“(1973)
auf.
Im gleichen Zeitraum bot das Goethe-Institut Toulouse seinem Publikum
auch nur jemals einmal Einblicke in Themen wie Stadtentwicklung („Internationale Kolloquium über Transportprobleme der Stadt Toulouse“,
1973), biologische Fragestellungen („Programmation du comportement
animal et humain“, 1972), die deutsche Geschichte (Rosa Luxemburg, socialisme er démocratie, 1974), Phänomene der Wirtschaft („La réforme de
l’entreprise“, 1977) und im Bereich der Psychoanalyse/ Regard croisé an
(„Oedipe et psychiatrie, deutsch-französische Psychatertagung“, 1975).
Zusammenfassend ist es daher für die beiden Institute im Südwesten
Frankreichs für diese Periode zu sagen, dass diejenigen Institute, welche
verhältnismäßig spät gegründet worden sind, in der Gestaltung ihres Kulturprogramms dem klassischen Kulturbegriff bis spät in die 1970er Jahre
hinein eng verhaftet geblieben sind.
Was ergibt die Bilanz in Bezug auf die weiteren Goethe-Institute?
Politische Themen machten in Bezug auf den erweiterten Kulturbegriff die
größte Anzahl von Kulturveranstaltungen aus. 28 von 45 Kulturveranstaltungen sind der Politik gewidmet, dies macht über 60 Prozent der Veranstaltungen aus. Betrachtet man diese genauer, so lassen sich weitere
Schwerpunkte erkennen: so sind dies zum einen Veranstaltungen zu aktuellen politische Anlässen, wie beispielsweise die Wahl Willi Brandts zum
Bundeskanzler im Jahre 1972, eine Thematik, welche beispielsweise von
allen Instituten aufgegriffen wurde. Charakteristisch für diese Periode sind
auch jene politisch orientierten Veranstaltungen, welche zum Ziel haben,
gesellschaftspolitische Grundsatzfragen beider deutscher Staaten zu erörtern, wie zum Beispiel „Toleranz und Intoleranz in der DDR“, „Der Radikalenerlass in der Bundesrepublik Deutschland: Sicherung oder Gefährdung
der Demokratie?“ oder gar „Gefährdung der Demokratie“. Die Titel lassen
dabei durchaus erkennen, dass sich die Goethe-Institute kritisch mit der
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
139
Innenpolitik beider deutscher Staaten auseinandersetzten. Schließlich
zeichnet sich - nicht nur in der Perspektive der im Jahre 1979 erstmals
bevorstehenden direkten Europawahlen - erstmals ein weiteres wichtiges
und zukunftsorientiertes, politisches Themenfeld ab: die Rolle Deutschlands und Frankreichs in Europa und in der Welt. In diesem Zusammenhang ist sehr auffällig, dass eine Reihe von deutschen und französischen
Mittlerpersönlichkeiten, die maßgeblich an der deutsch - französischen
Verständigung von der Nachkriegszeit bis ins 21. Jahrhundert mitgewirkt
haben, regelmäßig politische Beiträge im Rahmen der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts geleistet haben. Exemplarisch seien an dieser
Stelle die Beiträge von Alfred Grosser, „France et République Fédérale d’Allemagne – Similitudes et divergences“ (1975), „Tolérance et intolérance en
République Fédérale d’Allemagne“ (1976), „Frankreich, Deutschland und
ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten (1978), Robert Picht,
„L’Europe sera-t-elle anglophone“ (1978), „La République Fédérale d’Allemagne avant les élections“ (1976, gemeinsamer Diskussionsabend mit
René Lasserre), aber auch Portraits deutscher Politiker von Joseph Rovan
„L’œuvre de Konrad Adenauer vue d’aujourd’hui“ (1976) und Henri Ménudier zum Thema „Deutschland und Helmut Schmidt“ (1975) genannt.
Es ist jedoch auffällig, dass eine Reihe von „politisch-sensiblen“ Themen
nicht vom Goethe-Institut aufgegriffen wurde. Ein kurzer historischer
Rückblick einiger exemplarischer innen- sowie außenpolitischen Großereignisse Deutschlands der 1970er Jahre verdeutlicht dies: So zum Beispiel
vermisst man in Bezug auf die deutsche Innenpolitik vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit den Ereignissen um die RAF und die BaaderMeinhof Gruppe. Das Attentat in München 1972 wird ebenso wenig
aufgegriffen wie die tödlichen Anschläge auf Generalbundesanwalt Buback
(1977), den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Ponto (1977) oder
den Arbeitergeberpräsidenten Schleyer (1977). Dies ist umso verwunderlicher, als die Terrorwelle des Jahres 1977 de facto auch die erste große innerpolitische Bewährungsprobe des noch relativ jungen deutschen Staates
– unter Helmut Schmidt - darstellte. Auch das bundesweite Auftreten der
neuen Partei „Die Grünen“, die in den 1970er Jahren als Protestpartei gegen
die Kernkraft entstanden war, sucht man in den Kulturprogrammen der
Goethe-Institute vergebens. .Hielt man absichtlich Abstand von Veranstaltungen, welche sich mit regimekritischen Tendenzen beschäftigten (wie
zum Beispiel auch wichtige Demonstrationen wie 1976 im norddeutschen
Brokdorf), um kein negatives Deutschlandbild in Frankreich entstehen zu
lassen? Auch die deutsche Außenpolitik Willi Brandts und dessen Verdienste um eine Neugestaltung deutscher Ostpolitik, welche symbolisch im
140
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Kniefall im Dezember 1970 im Warschauer Ghettos mündete und zur Unterzeichnung der Warschauer Verträge führten (1970), werden in der Programmgestaltung außer Acht gelassen.
Diese Beobachtungen sind besonders vor dem Hintergrund erstaunlich,
dass eine deutliche Tendenz zu erkennen war, in den Kulturprogrammen
ein aktuelles Deutschlandbild zu vermitteln.
Die 1970er Jahre: der Beginn der Kooperationen?
Die Jahrbücher der Goethe - Institute geben in diesem Zeitraum auch erstmals darüber Auskunft, welche Kooperationspartner an ausgewählten Kulturveranstaltungen mitgewirkt haben. Der Begriff der Kooperation wird
besonders im Kapitel Bilanz und Ausblicke von zentraler Bedeutung sein.
Dennoch soll er bereits an dieser Stelle kurz einführend definiert werden.
Im Rahmen der interkulturellen Kommunikation versteht man nach Alexander Thomas, welcher sich bei seinen Ausführungen auf das Modell der
Interdependenztheorie von Kelley und Thibaut beruft, unter Kooperation
einen Umwandlungsprozess, den er mit der „Abkehr von der Präferenz des
alleinigen Eigeninteresses hin zur Orientierung an positiven Handlungsergebnissen für den Partner“293 umschreibt. Dies bedeutet, dass man im Rahmen der Ausführungen der Frage nachgehen muss, inwiefern sich dieser
Prozess in der Aufnahme von Kooperationen deutscher Kulturinstitute mit
französischen Partnerinstitutionen widerspiegelt. Bereits im vorangegangenen Kapitel ist dieser Transformationsprozess von der Selbstdarstellung
zur Dialogbereitschaft als langwierige Entwicklung beschrieben worden.
Ein Erklärungsansatz für diesen relativ langen Zeitabschnitt ist aus interkultureller Sicht auf das bikulturelle Kooperationsgefüge zurückzuführen.
Hierzu schreibt erneut Thomas:
„Das, was der Handelnde an analytisch-diagnostischem Aufwand zur Feststellung der Partnerabsichten, Partnerbereitschaften und wahrscheinlichen Entscheidungen und Verhaltensreaktionen aufwenden muss, ist
weitaus umfänglicher und komplizierter als im Fall eines monokulturellen Kooperationsgefüges.“294
293
Alexander Thomas/ Eva-Ulrike Kinast/ Sylvia Schroll-Machl (Hg.), in:
Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation, Band 1, Grundlagen und Praxisfelder, 2. Auflage Das Modell von Kelley und Thibault entwirft eine Typologie sozialer
Wertvorstellungen. Hierzu Thomas: „Nach diesem Modell steht Kooperation im Kontrast
zum Nihilismus und stellt die Form der sozialen Wertorientierung dar, die positive Handlungsergebnisse für den Handelnden selbst und den Partner anstrebt.“ Göttingen 2005,
S.110.
294 Alexander Thomas/ Eva-Ulrike Kinast/ Sylvia Schroll-Machl, ibid. S.110.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
141
Was Thomas treffend in Bezug auf einzelne „Handelnde“ feststellt, überträgt er an anderer Stelle überzeugend auch auf „Partner als Repräsentanten von Großgruppen“295.
Von grundlegender Bedeutung für das Zustandekommen interkultureller
Kooperation ist für Thomas das Entstehen von „gegenseitigem Vertrauen,
sowohl in der interpersonalen Kooperationssituation wie auch in kooperativen Intergruppenbeziehungen.“296 Die Feststellung von Thomas unterstützt daher auch unsere vorangegangenen Ausführungen, was die
Entstehungsgeschichte der einzelnen Goethe-Institute angeht: Nach 1945
und dem Missbrauch deutscher Kulturinstitute durch die Nationalsozialisten zu Propagandazwecken, konnte das Vertrauen des Nachbarn nur behutsam, allmählich und kleinschrittig zurückgewonnen werden. Die in den
1970er Jahren erstmals in den Jahrbüchern aufgeführten Kooperationen
mit diversen Institutionen und Partnern im Nachbarland zeigen daher in
Ansätzen, dass sich die deutschen Kulturinstitute zunehmend in den einzelnen französischen Regionen zu integrieren scheinen. Wie oben bereits
erwähnt, werden erste Kooperationspartner im Rahmen der kulturellen
Programmarbeit erstmals ab dem Kalenderjahr 1972 in den Jahrbüchern
aufgeführt, was sicherlich auf Anfrage der Münchner Zentrale geschah. Es
ist daher von großem Interesse, die in den Jahrbüchern erfassten Kooperationspartner einmal gesondert zu analysieren.
Die folgende Übersicht 22 fasst zum einen alle Veranstaltungen zusammen,
welche unter den Rubriken „in Zusammenarbeit mit“ und „in Kooperation
mit“ gesondert aufgeführt wurden. Zum anderen wurden auch jene Veranstaltungen erfasst, welche delokalisiert wurden, d.h. außerhalb der Goethe- Institute stattgefunden haben, was zwangsläufig auf eine
Kooperationsvereinbarung zurückzuführen ist.
295
„Zudem ist zu berücksichtigen, dass es in der interkulturellen Kommunikation oft nicht allein um Individuen und deren Zielerreichung geht, sondern, dass die Partner als Repräsentanten von Großgruppen handeln“, ibid. S.110.
296 Alexander Thomas/ Eva-Ulrike Kinast/ Sylvia Schroll-Machl, ibid. S.110.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
142
Übersicht 22: Netzwerke und Kooperationen der einzelnen Goethe-Institute
in den 1970er Jahren
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Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2010
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
143
3.3.3 Fazit
Der Übersicht 22 ist zunächst die Tendenz zu entnehmen, dass die Anzahl
der Kooperationspartner der Goethe – Institute im Verlaufe der 1970er
Jahre immer mehr zunahm. Diese Vernetzung mit lokalen Kooperationspartnern gestaltete sich bei allen Instituten jedoch auf höchst unterschiedliche Weise :
In Bordeaux wird als einziger Partner im Jahre 1972 die Universität Bordeaux aufgeführt. Es scheint sich bei dieser Kooperation um eine einmalige Zusammenarbeit zu handeln, da in den kommenden Jahren dieser
Partner nicht mehr aufgeführt wird.
Ab 1977 ging das Goethe –Institut in Bordeaux jedoch eine dauerhafte Kooperation in Form einer Förderung einer französischen Theater – Laiengruppe ein. Insgesamt kann jedoch dem Institut an der Gironde für den
Untersuchungszeitraum nur eine geringe Kooperationsbereitschaft attestiert werden.
Auch in Lille lag in Bezug auf die Intensität der Kooperationen ein ähnliches Phänomen vor. Auch hier wurde die Universität Lille nur einmal als
Partner aufgeführt. Die ebenfalls einmalige Zusammenarbeit mit der Académie de Lille ließ zwar auf den Beginn einer Zusammenarbeit mit Lehrern
als Multiplikatoren schließen, aber auch hier liegen keine Informationen
über eine Fortführung der Kooperation vor. Wichtigster Partner bei der
Organisation von Kulturveranstaltungen – und dies hatte bereits die von
Vaillant dargestellte Entstehungsgeschichte offenbart (siehe vorangegangenes Kapitel) – bleibt in den 1970ern die Stadt Lille.
Das Goethe–Institut Nancy steht in Bezug auf die Anzahl der Kooperationen
an drittletzter Stelle. Bemerkenswert war jedoch sein Bestreben, sich in
seinem Kulturprogram über die Stadtgrenzen hinaus mit anderen Partnern
zu vernetzen: so kommt es zweimal zu einer Kooperation mit den Regionalhauptstädten Straßburg und Metz. Diese Kooperation war in zweifacher
Hinsicht höchst innovativ : zum einen strahlte das Gothe - Institut über seinen eigentlichen lokalen Wirkungskreis hinaus, zum anderen wirkte es als
bindendes und vermittelndes Glied zwischen zwei Metropolen im Westen
Frankreichs.
Auch das Goethe-Institut in Marseille schlug mit der Kooperation mit einem
Italienischen Kulturinstitut in den frühen 1970er Jahren neue Wege in der
kulturellen Zusammenarbeit ein. Leider zeigten auch hier die kommenden
Jahre, dass es sich bei der Kooperation lediglich um eine einmalige Zusammenarbeit handelte.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
144
Zu unstet war auch hier insgesamt das Bestreben, kontinuierlich Kooperationen aufzubauen. Drei Jahre lang (1974-1976) kam es scheinbar zu keiner nennenswerten Kooperation. Erst ab Mitte der 1970er Jahre begannen
die Institute in Paris (ab 1976) und Toulouse (ab 1977) Kooperationen im
Nachbarland einzugehen. Ab dieser Zeit jedoch engagierten sich diese beiden Institute in Bezug auf die Intensität der Kooperationen in besonderem
Maße. Auch ist hervorzuheben, dass die Tätigkeitsbereiche der diversen
Kooperationspartner hier bereits stark variierten: Partner wie der französische Senat, die Medizinische Fakultät oder gar das Centre Pompidou verdeutlichen, wie vielseitig sich das Pariser Institut gegen Ende der 1970er
Jahre ausgerichtet hatte, geht man einmal nur von den genannten Kooperationspartnern aus. Eine ähnliche Bandbreite von Partnern konnte hier
lediglich das Institut in Toulouse aufweisen.
Lässt man die Anzahl und die Häufigkeit von Kooperationen als Vektoren
für Dialogbereitschaft und Indiz für nachhaltige Kulturarbeit im Partnerland gelten, so belegt die vorliegende Übersicht jedoch eindeutig, dass sich
das Goethe-Institut in Lyon in den 1970er Jahren mehr als alle anderen
Goethe – Institute in Frankreich kontinuierlich um Kooperation bemühte:
Lyon verfügte bereits zu diesem Zeitpunkt über eine Vielzahl von Kooperationspartnern in den Bereichen Theater, Musik, Kunst und Wissenschaft.
Dabei zeichnete sich Lyon nicht nur durch die Vielzahl an Partnern unterschiedlicher Couleur aus, sondern auch durch nachhaltige Kooperationen
wie zum Beispiel mit der Universität, dem Konservatorium, aber auch mit
verschiedenen Theatern.
Die folgende Tabelle gibt Auskunft über unterschiedlichen Partnerinstitutionen der Goethe- Institute bis Ende der 1970er Jahre:
Übersicht 23: Matrix der Kooperationspartner der Goethe-Institute von
1972-1978
Universität
Theater
Bordeaux
x
Lille
x
Lyon
x
x
Marseille
x
x
Paris
x
x
Toulouse
x
x
Bibliothek
Museum
Stadt
Oper
x
Andere Kulturinstitute
Kino
Kirche
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Nancy
x
x
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2010
x
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
145
Die Matrix der Kooperationspartner belegt zunächst die grundlegende Bedeutung der Universitäten für die kulturelle Programmarbeit der GoetheInstitute. Mit Ausnahme von Nancy führten alle Institute mindestens ein
Projekt in Kooperation mit französischen Hochschulen durch. An zweiter
Stelle stand die Zusammenarbeit mit diversen Theatern. Dies ist sicherlich
unter anderem auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Goethe-Institute
in der Regel über keine eigenen Räumlichkeiten für Theateraufführungen
verfügten und so Kooperationen mit diversen lokalen Bühnen eingingen. In
Bezug auf die weiteren aufgeführten Partnerinstitutionen ist vor allem
eines auffällig: trotz gemeinsamer strategischer Rahmenvorgaben durch
das Auswärtige Amt schlagen die einzelnen Goethe-Institute in Bezug auf
ihre Kooperationspartner jeweils unterschiedliche Wege ein. Es scheint,
als hätten die mit einzelnen Partnern gewonnenen Erfahrungen wie zum
Beispiel Kooperationen mit der Stadt oder anderen Kulturinstituten nicht
in anderen Instituten Schule gemacht. Abschließend lassen sich daher für
den Zeitraum von 1972-1978 zwei wesentliche Tendenzen in Bezug auf
die Kooperationsbereitschaft der Goethe-Institute in Frankreich festhalten: Der Wille zur Kooperation und die Intensität des Austauschs hing zum
einen entscheidend vom jeweiligen Institutsprofil und deren Leitern ab.
Zum anderen gab es -trotz Zentralverwaltung- in Bezug auf Kooperationen
mit lokalen Partnern kaum gemeinsame strategische Absprachen unter den
einzelnen Instituten; dies wird durch die ungleiche Auswahl der Partner
und die ungleichmäßige Intensität des Austauschs deutlich.
Abschließend war es für den zu analysierenden Zeitabschnitt ebenfalls charakteristisch, dass es – abgesehen von jeweils einer einmaligen Kooperation zwischen dem Goethe-Institut Lyon und Toulouse mit France 3- kaum
zu Kooperationsformen zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten
Unternehmen, der so genannten „Öffentlich Privaten Partnerschaft (PublicPrivate-Partnership), gekommen ist. Diese Form der Kooperation wird erst
Jahrzehnte später von den Häusern und den Goethe-Instituten intensiviert
werden.
146
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3.4.1 Die Auswärtige deutsche Kulturpolitik Deutschlands in den
1980er Jahren
Vorbemerkungen
Die Auswärtige deutsche Kulturpolitik Deutschlands wurde in den 1980er
Jahren vor allem durch zwei bedeutende innenpolitische Zensuren geprägt:
zum einen durch den Regierungswechsel im Jahre 1982 und zum anderen
durch die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1989. Beide Ereignisse
„hatten deutliche Auswirkungen – bei aller Kontinuität in den Grundsatzfragen – auf Ausrichtung und Akzentuierung der Auswärtigen Kulturpolitik.“297
Aufgrund der Komplexität ihrer Auswirkungen werden die Wiedervereinigung und ihre Folgen erst Gegenstand des darauf folgenden Kapitels sein.
Eine hinreichende Analyse und Bewertung dieser bedeutenden innenpolitischen Veränderung würde bis weit in die 1990er Jahre hineinreichen, da
die deutsche Kulturpolitik nur „im Spannungsfeld von deutscher Wiedervereinigung und Globalisierung“298 richtig bewertet werden kann.
Das folgende Kapitel wird daher allein die Tendenzen der AKP bis in den
Herbst des Jahres 1989 zum Gegenstand haben und hat zum Ziel, Kontinuitäten, Kontroversen und konzeptionelle Neuansätze in der deutschen
Auswärtigen Kulturpolitik aufzuzeigen, wie sie auch ohne die einschneidenden Ereignisse in Herbst und Winter des Jahres 1989 zu Tage getreten
wären. Dies gilt im besonderen Maße für die Entwicklungen im Bereich der
deutsch-französischen Kulturbeziehungen bis zum Vorabend der friedlichen deutschen Revolution.
Das folgende Kapitel wird sich daher u.a. an folgenden Leitfragen orientieren:
1. Welche Entwicklungstendenzen weisen die deutsch-französischen Kulturbeziehungen der 1980er Jahre auf?
2. Welche Auswirkungen hatte der Regierungswechsel 1982 in Bonn auf
die Konzeption der deutschen auswärtigen Kulturpolitik?
3. Wie positioniert sich das Goethe Institut in diesen Jahren?
4. Wie wird der „Kulturbegriff“ weiterentwickelt?
5. Welche neuartigen Konzepte zur auswärtigen Kulturpolitik entwickelt
die Bundesregierung in diesem Zeitraum?
297
298
Singer, ibid. S.18.
Singer, ibid. S.22.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
147
Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen in den 1980er Jahren: von
der Aussöhnung zur institutionellen Kooperation
In den deutsch-französischen Kulturbeziehungen der 1980er Jahre setzte
man andere Akzente als noch in den 50er, 60er und auch 1970er Jahren.
Dies ist vor allem auf eine veränderte Ausgangsbasis in der Partnerschaft
zurückzuführen. Zum einen verfügten Deutschland und Frankreich nach
der ersten Phase der „Aussöhnung“, welche durch die binationalen Abkommen des deutsch-französischen Kulturabkommens (1954) und der Unterzeichnung des Elyseévertages (1963) besiegelt worden war und aus
welchen Institutionen wie das Deutsch-Französische Jugendwerk und vertragliche Vereinbarungen wie die regelmäßigen deutsch-französischen Gipfeltreffen hervorgegangen waren, nun über offizielle Instrumente der
interkulturellen Kooperation, auf denen eine zukünftige Zusammenarbeit
aufbauen konnte.
Zum zweiten hatte die große Anzahl zivilgesellschaftlichen Austauschformen - u.a. durch Städtepartnerschaften und Jugendaustauschprogramme ein Fundament breiter Basis für die deutsch-französische Völkerverständigung geschaffen.299
Drittens - und dies betrifft allein die Bundesrepublik Deutschland - hatte
die sozialliberale Koalition gegen Ende der 1970er Jahre unter Führung
Willi Brandts erstmals ein Konzept für die Auswärtige deutsche Kulturpolitik vorgelegt, nach welchem man nun die Strategie für die zukünftige Auswärtige Kulturpolitik ausloten konnte.
Somit waren wesentliche Voraussetzungen geschaffen, um eine neue, dritte
Phase, in den deutsch-französischen Beziehungen einzuläuten.
Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen der 1980er Jahre kann man
rückblickend vor allem als eine Phase der Institutionalisierung bezeichnen,
weil in dieser Zeit wichtige deutsch-französische Institutionen gegründet
wurden, welche auch heute noch die deutsch-französische Zusammenarbeit entscheidend mit gestalten. So unterzeichneten beide Regierungen zu
Beginn des Jahres 1980 ein Abkommen über den Austausch von Jugendlichen und Erwachsenen in der beruflichen Aus- oder Fortbildung: noch im
gleichen Jahr wurde zu diesem Zweck das Deutsch-Französische Sekretariat für den beruflichen Austausch (DFS), mit Sitz in Saarbrücken, gegründet.
299
Hierzu auch Hans Manfred Bock: „Die Zivilgesellschaftlichen Kontakte zwischen Frankreich und der Bundesrepublik intensivierten sich zunehmend ab den 1960er Jahren.“ In:
Ingo Kolboom/ Thomas Kotschi/ Edward Reichel (Hg): Handbuch Französisch, Berlin
2002, S.604.
148
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Ein Jahr später, im Jahre 1982, eröffnete man in Paris das Centre d’Information et de Recherche sur l’Allemagne Contemporain (CIRAC) – als Pendant zum Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg (gegründet
1948) – welches sich mit aktuellen Deutschlandfragen auseinandersetzt.
Weiteren Gründungen deutsch-französischer Institutionen geht der Frankfurter Kulturgipfel im Jahre 1986 voraus. Auf die Bedeutung dieses Gipfels
hat zuletzt Hans-Jürgen Lüsebrink in seinen Ausführungen zu den Entwicklungen Deutsch-Französischer Kulturbeziehungen300 verwiesen. Laut
Deklaration des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl und des französischen Präsidenten Francois Mitterrand war es der Anspruch des Frankfurter Gipfels „eine neue Etappe in der kulturellen Zusammenarbeit zu
beginnen, eine gegenseitige Durchdringung der Kulturen anzustreben und
vom Austausch zu einer vertieften Zusammenarbeit überzugehen.“301 In
ihrer gemeinsamen Erklärung über die zukünftige kulturelle Zusammenarbeit strebten Mitterrand und Kohl besonders in folgenden Bereichen
eine Intensivierung der Zusammenarbeit an:
– Im Bereich Kenntnis der Sprache und des Partnerlandes (Absatz I der gemeinsamen Erklärung)
– In den Bereichen Berufliche Bildung, Hochschulen und Wissenschaft, Kunst
und Kultur (Absatz II der gemeinsamen Erklärung)
– Im Bereich des Fernsehens (Absatz III der gemeinsamen Erklärung)
Gemäß dieser gemeinsamen Erklärung wurden im Anschluss - insbesondere im Bereich Berufliche Bildung, Hochschulen und Wissenschaft, Kunst
und Kultur - noch weitere Akzente gesetzt: Eine weitere, auch heute noch
wirkende deutsch-französische Institution, findet ebenfalls ihren Ursprung
gegen Ende der 1980er Jahre: der deutsch-französische Kulturrat. Dieser
Rat (gegründet im Jahre 1988), bestehend aus je zehn deutschen und französischen unabhängigen Persönlichkeiten, hat zur Aufgabe, gemeinsame
kulturelle Aktivitäten zu entwickeln. So zum Beispiel sind Schwerpunkte
vergangener Jahre die Sprachförderung, der Film- und Medienbereiche
oder aber die Entwicklung von europäischen Kulturprogrammen.
Schließlich entstand im Jahr 1988 ebenfalls das Deutsch-Französische
Hochschulkolleg, (DFHK) welches zur Aufgabe hatte, gemeinsame deutschfranzösische Studienprogramme zu schaffen und diese zu koordinieren.
300
Hans-Jürgen Lüsebrink: Einführung in die Landeskunde Frankreichs, 3. aktualisierte und
erweiterte Auflage, Stuttgart, Weimar, 2011.
301 Gemeinsame Erklärung über kulturelle Zusammenarbeit, in: Adolf Kimmel, Pierre Jardin:
Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1963, Opladen 2002, ibid. S.269.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
149
Die DFHK gilt als Vorläufer der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH),
welche heute ebenfalls ihren Sitz im Saarland hat. Dem Wunsch nach einer
intensiveren Zusammenarbeit im Bereich des Fernsehens (Absatz III der
gemeinsamen Erklärung) – so viel sei bereits vorweg genommen - wird u.a.
im Jahre 1991 die Gründung des gemeinsamen Kulturkanals ARTE entsprechen. Den Ausbau dieser deutsch-französischen institutionellen Infrastruktur seit dem Beginn der 1960er Jahre bis über die 1980 Jahre hinaus
bezeichnet Lüsebrink gar als eine „Erfolgsgeschichte“: Institutionen wie u.
a. das DFHK und die daraus entstandene deutsch-französische Hochschule
seien “weltweit einzigartig und stellen trotz zahlreicher Anfangsschwierigkeiten und institutioneller, rechtlicher und interkultureller Probleme,
gerade zu Modellbeispielen binationaler kultureller Zusammenarbeit
dar.“302 Während des Frankfurter Kulturgipfels steht jedoch auch die Problematik der „Kenntnis der Sprache und des Partnerlandes“ auf der Tagesordnung. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass beide Länder in den
1980er Jahren einen signifikanten Rückgang der jeweiligen Partnersprache zu verzeichnen haben. In der Erklärung des Frankfurter Kulturgipfels
setzten daher beide Länder auf:
1. die Frühvermittlung der Partnersprache (…)
2. ein Verfahren zum gleichzeitigen Erwerb der deutschen Hochschulreife
und des französischen Baccalauréat
3. die Befreiung von Sprachprüfungen beim Hochschulzugang303,
um gegen die in Bezug auf das Erlernen der Partnersprache negativen Tendenzen anzukämpfen. Rückblickend ist sich eine Reihe von Deutschlandkennern und Frankreichforschern einig, dass u.a. der negative Trend des
Rückgangs der Kenntnis des Französischen in Deutschland und des Deutschen in Frankreich „ein zwiespältiges Bild“304 (Lüsebrink) auf die
deutsch-französischen Kulturbeziehungen der 1980er Jahre warf. Diesen
302
Lüsebrink: „Die Entwicklung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen seit dem Beginn der 1960er Jahre ist somit in weiten Bereichen als eine Erfolgsbilanz zu interpretieren.“ In: Hans-Jürgen Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde Frankreichs, ibid.
S.233/234.
303 Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde, ibid. S.269.
304 Titel eines Aufsatzes von Hans-Jürgen Lüsebrink zu diesem Thema: Ein zwiespältiges Bild,
deutsch-französische Kulturbeziehungen, in: Zeitschrift zur politischen Bildung, Band 36
(1999), S.114-119.
Lüsebrink beklagt in diesem Artikel vor allem drei negative Tendenzen: 1. Den Rückgang
der Kenntnis des Französischen in Deutschland und des Deutschen in Frankreich, 2. Das
rückläufige Interesse an deutschen Filmen, 3. den Rückgang des deutsch-französischen
Kulturaustauschs im Bereich der Buchübersetzungen.
150
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Befund macht auch Michael Werner in seinen Ausführungen zu den
deutsch-französischen Kulturbeziehungen, welcher zwei „dunkle Punkte“
in der „Blütezeit der Zusammenarbeit“ ausmacht: zum einen „die zunehmende Lückenhaftigkeit der wechselseitigen Information auf dem Gebiet
der Geistes und Sozialwissenschaften“, aber auch den „unaufhaltsamen
Rückgang der gegenseitigen Sprachkenntnisse, vor allem bei der Wahl der
ersten Fremdsprache auf der Gymnasialstufe.“305 Es sei jedoch noch eine
weitere - für unsere Arbeit bedeutende und überraschende - Tendenz der
1980er Jahre aufgezeigt, die Hans Manfred Bock in seinem Aufsatz: „Zivilgesellschaftliche Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich“306
hervorhebt. Angesichts der erfolgreichen Schaffung eines Netzwerkes von
deutsch-französischen Institutionen in den 1980er Jahren, welche ausschließlich auf offizielles und gouvernementales Betreiben hin entstanden
waren, konstatiert er für die zweite Nachkriegsperiode, dass „die (zivil) gesellschaftliche Interaktionsebene im europäischen wie im deutsch-französischen Rahmen eher hinter der politischen Dynamik zurückblieben“307
Er erklärt diese paradoxe Entwicklung durch die in der Mitte der 1970er
Jahre einsetzende Weltwirtschaftskrise und dem möglicherweise daraus
resultierenden abwartenden Verhalten der Zivilgesellschaft. Bock stellt in
diesem Zusammenhang die Vermutung auf, dass möglicherweise „auch hier
die Grenzen einer Kooperationsstrategie erreicht [seien], deren gesellschaftliche Trägergruppen, Kommunen und Jugendliche, gerade durch den
konstitutiven Mangel an Eigenressourcen gekennzeichnet sind.“308 So fällt
die Bilanz für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen in den 1980er
Jahren zumindest „kontrastreich“ aus. Hierzu nochmals abschließend die
Bewertung Lüsebrinks:
„Die negativen Entwicklungstendenzen verschiedener, vor allem breitenwirksamer Sektoren der deutsch-französischen Kulturbeziehungen kontrastieren zum Teil mit gegenläufigen Tendenzen im Bereich der
Elitenkulturen (…)“309
Es wird zu überprüfen sein, ob sich dieser Kontrast auch in den Programmen der Goethe-Institute widerspiegelt.
305
306
307
308
309
Michael Werner: die Deutsch-Französischen Kulturbeziehungen. In: Handbuch Französisch, Hrsg.: Ingo Kolboom, Thomas Kotschi, Edward Reichel, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2002, Hans Manfred Bock: Deutsch-Französische Kulturbeziehungen, S.605.
Hans Manfred Bock: „Die Zivilgesellschaftlichen Kontakte zwischen Frankreich und der
Bundesrepublik intensivierten sich zunehmend ab den 1960er Jahren.“ In: Handbuch
Französisch, Ingo Kolboom/ Thomas Kotschi/ Edward Reichel, Berlin 2002, ibid. S.612.
Bock, ibid. S.612.
Bock, ibid. S.612.
Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde, ibid. S.236.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
151
Die Auswärtige deutsche Kulturpolitik Deutschlands
in den 1980er Jahren bis zur Wiedervereinigung:
Kontinuität, innenpolitische Kontroversen und
konzeptionelle Weiterentwicklung
Kontinuität der Akteure
Nach dem Regierungswechsel im Jahre 1982 setzte man im Auswärtigen
Amt auf Kontinuität in Personalfragen. Dies galt zunächst für den damaligen Außenminister: Genscher symbolisierte als Leiter des Auswärtigen
Amtes in persona die Konstanz in der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik: 1974 nahm er unter Helmut Schmidt seine Arbeit als Außenminister
der sozial-liberalen Koalition auf, 1992 schied er auf eigenen Wunsch als
damals dienstältester Außenminister aus der Regierung unter Helmut Kohl
aus; es war Genscher, der als Verantwortlicher der Bundesregierung im
Jahre 1976 den Rahmenvertrag zwischen Auswärtigem Amt und GoetheInstitut unterschrieben hatte.310
Diese Kontinuität wurde neben der Person Genschers auch durch drei weitere Akteure des Auswärtigen Amtes gesichert: Auch Barthold C. Witte war
für die gesamten 1980er Jahre im Auswärtigen Amt tätig: zunächst ab 1977
als Stellvertreter, schließlich ab 1983 bis 1990 als Leiter der Kulturabteilung. In der Zeit von 1976 bis 1982 konnte Genscher schließlich auf die
Unterstützung von Hildegard Hamm-Brücher zählen, welche im Jahre 1976
als Staatsministerin ins Auswärtige Amt berufen worden war. Sie schied
allerdings nach dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 aus der Bundesregierung aus. Der Leiter des Goethe-Instituts, Klaus von Bismarck, war
ebenfalls während des gesamten Zeitraumes unserer Analyse für die Strategie des Goethe-Instituts verantwortlich, nämlich von 1977 bis 1989.
Konzeptuelle Kontinuität
Auch die konzeptuelle Ausrichtung der Auswärtigen Kulturpolitik lässt
keine wirkliche Zäsur für diesen Zeitraum erkennen, denn „unter Außenminister Genscher wurde die neue Konzeption (Gemeint sind Dahrendorfs
„Leitlinien“ und die Enquête Kommission aus dem Jahre 1975, G.F.) der
310
Dieser Rahmenvertrag, welcher grosso modo auf eine verbesserte Kooperation und bessere Absprachen zwischen beiden Institutionen abzielte, verband zwar auf der einen Seite
mehr als je zuvor die offizielle Linie der Regierung mit der strategischen Ausrichtung des
Goethe-Instituts, auf der anderen Seite jedoch garantierte er auch weiterhin dessen inhaltliche Ausrichtung. Hierzu genauer: Steffen R. Kathe: Kulturpolitik um jeden Preis, die
Geschichte des Goethe-Instituts von 1951 bis 1990, München 2005. Seite 274ff.
152
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auswärtigen Kulturpolitik weitergeführt.“311 Noch im Mai 1988 bekräftigte Genscher in dem Vorwort eines von Witte herausgegebenen Bandes
mit Beiträgen zur Auswärtigen Kulturpolitik, dass die Bundesregierung bis
Ende 1988 den Konsens des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1975,
welcher „über alle Parteigrenzen formuliert“ worden war, „fortgesetzt“312
hatte. Diesem Bekenntnis zur Kontinuität folgend, verpflichtete man sich
also der Linie der Vorgängerregierung Brandt im Auswärtigen Amt zu folgen. Dies bestätigen nicht nur Ausführungen von Genscher, sondern auch
von seiner zuständigen Staatssekretärin Hildegard Hamm-Brücher313 über
den gesamten Zeitraum der 1980er Jahre hinaus. In einem Punkt waren
sich Genscher und Hamm-Brücher besonders einig: die Unhabhängigkeit
der politischen Nische der Mittlerinstitutionen im Speziellen und die der
Kulturpolitik im Besonderen zu bewahren. Damit reagierte sie auf innenpolitische Kontroversen, die seit der Arbeitsaufnahme der liberal-konservativen Regierungskoalition ihr Tagesgeschäft als Staatsministerin des
Auswärtigen Amtes bestimmt hatten.
Innenpolitische Kontroversen
An den Höhepunkt innenpolitischer Kontroversen, welche in einem Streit
mit dem damaligen CSU Vorsitzenden Franz Josef Strauß gipfelten, erinnerte sich anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Goethe-Instituts, Hilmar Hoffmann (Präsident von 1993 bis 2001), noch im Jahre 2011:
„Legendär ist der Kampf mit dem streitbaren damaligen CSU Vorsitzenden. Aber jene Zeiten sind längst passé, als ein linksfürchtiger Ministerpräsident vom Kaliber eines Franz Josef Strauß unangemeldet in die
Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts polterte und als Praeceptor
Germaniae die hier versammelte Geisteselite der Verbreitung marxistischer Flaschenpost zieh: „ In den Köpfen der Ausländer bildet sich auf solche Weise nämlich unser Land vorwiegend in düsteren Tönen ab. Die
hellen und festlichen Farbtöne, mit denen die DDR ihr Land im Ausland
malt, werden auf Dauer erfolgreicher sein als die düstere Götterdämmerungspalette der Bundesrepublik Deutschland.“314
311
312
Siehe hierzu auch: Otto Singer, ibid. S.18.
Hans Dietrich Genscher: Zum Geleit, in: Barthold C. Witte. Dialog über Grenzen, Beiträge
zur auswärtigen Kulturpolitik , Pfullingen 1988, S.9.
313 „Auswärtige Kulturpolitik bereitet den Boden für Verständnis und Verständigung und
schafft jenes Klima des Dialogs, des Austauschs und der Zusammenarbeit, in dem Kunst
und Wissenschaft, aber ebenso Politik und Wirtschaft blühen und gedeihen können.
314 Hans Dietrich Genscher, Zum Geleit, In: Barthold C. Witte. Dialog über Grenzen, Beiträge
zur auswärtigen Kulturpolitik, Pfullingen 1988, S.9.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
153
Während Hoffmann heute mit nötigem Abstand über die schwierigen innenpolitischen Auseinandersetzungen und die „hohe Politik“ der 1980er
Jahre witzelt, sah sich der damalige Verantwortliche des Goethe-Instituts
Klaus von Bismarck (Präsident von 1977-1989) in dieser Zeit ernstzunehmenden parteipolitischen Auseinandersetzungen ausgesetzt. Obwohl, wie
bereits oben weiter ausgeführt, zwischen den Parteien und den verantwortlichen Akteuren eine grundsätzliche Einigkeit über die konzeptuelle
Ausrichtung der auswärtigen Kulturpolitik herrschte, mischten sich neben
Strauß immer mehr Politiker - insbesondere der CSU Fraktion - in die Programmgestaltung des Goethe-Instituts ein, sodass die Autonomie des Instituts ernsthaft in Gefahr zu sein schien.315
Dabei wurden vor allem zwei Themenbereiche kontrovers diskutiert:
1. das im Ausland vertretene Deutschlandbild
2. die Auswahl der Kulturbotschafter
Das Deutschlandbild
Mit Hinweis auf die Regierungserklärung Kohls vom 4. Mai 1983 arbeitete
Znined-Brandt heraus, dass die kulturelle Außenpolitik der konservativ-liberalen Regierung der frühen 1980er Jahre „das internationale Ansehen
der Bundesrepublik und der Kultur der unteilbaren deutschen Nation“ verbessern wollte.316 So wurde seitens der konservativ-liberalen Regierung
das Ziel verfolgt, durch eine verstärkte kulturelle Präsenz im Ausland für
die gesamtdeutsche Kultur zu werben. Vor diesem Hintergrund wurden besonders in den Jahren 1980 bis 1985 zwei Konzeptionen kontrovers diskutiert: sollte man im Ausland mittels eines kritischen Deutschlandbildes
für Deutschland werben oder durch die Darstellung eines klassischen
Deutschlandbildes, wie es in den 1980er Jahren vom konservativen Flügel
gefordert wurde. Die Kritik des konservativen Flügels der CDU betraf
ebenso die Erweiterung des Kulturbegriffs, wie sie als Konzept von der
sozial-liberalen Koalition vorgelegt worden war. Nach einer Analyse des
Jahrbuchs des Goethe-Instituts aus dem Jahre 1984/1985 schreibt Strauß
315
Hilmar Hoffman: Unabhängig bleiben! In der Heimat war die deutsche Kulturvermittlung
nicht immer unangefochten. Was die hohe Politik fürs Goethe-Institut leistete - und was
sie schuldig blieb. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. 7.2011, Sonderbeilage zum
60. Geburtstag des Goethe-Instituts, Seite B2.
316 Steffen R. Kathe ist dieser Thematik in seinem Kapitel „Politische Aversionen und seine
Aufgaben“ (S.332 ff) intensiv nachgegangen. Wir beschränken uns hier daher nur auf eine
sehr verkürzte Skizzierung der Debatten.
154
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
in einem Brief an den damaligen SPD - Abgeordneten Georg Kahn-Ackermann:
„Wenn das Jahrbuch 1984/85 des Goethe-Instituts nicht eine einzige Veranstaltung unter 15000 nennt, die sich mit der deutschen Geschichte vor
1920 befasst, wohl aber unzählige über die Zeit der nationalsozialistischen
Herrschaft […], wenn ausgerechnet in Paris die Herrmannschlacht von
Kleist aufgeführt wird, wenn sich viele Veranstaltungen mit Abwasserund Müllproblemen in der Bundesrepublik beschäftigen, dann entsteht
unweigerlich ein düsteres Bild unseres Lands“317
Im Schreiben des Vorsitzenden wird deutlich, dass man seitens der CSU gewillt war, mittels eines klassischen Kulturverständnisses im Ausland für
die Bundesrepublik zu werben. In dieser Hinsicht kann man laut Singer gar
einen neuen Schwerpunkt in der Auswärtigen Kulturpolitik erkennen:
Die konservativ-liberale Regierung legte Wert auf einen „stärkeren nationalen Bezug, “wohingegen die sozial-liberale Koalition einer „eher internationalistisch orientierten“318 Kulturpolitik den Vorzug gegeben hatte.
Die folgende Aussage Hamm-Brüchers belegt diese These nochmals eindeutig:
„Die Substanz der Kulturpolitik ist die Summe aller kulturellen Leistungen unseres Volkes in Vergangenheit und Gegenwart. (…) Dem Ausland
soll ein wirklichkeitsnahes, auch selbstkritisches Bild der Bundesrepublik
Deutschland vermittelt und dadurch um mehr Verständnis für unseren
Staat geworben (Hervorhebung durch mich, G.F.) werden“319
Die Diskussion wurde dabei nicht nur von Politikern ausgetragen, sondern
auch kontrovers in diversen Zeitungen problematisiert. Kathe geht auf
diese Auseinandersetzung um die „politische Rolle“ des Goethe-Instituts in
dem Kapitel „Politische Aversionen und neue Aufgaben“320 sehr genau ein,
indem er sich auf diverse Zeitungsartikel der frühen 1980er Jahre bezieht.
So belegt Kathe, dass sich neben der Welt vor allem der Münchner Bayern
Kurier entschieden gegen ein „verzerrtes“ Deutschlandbild, wie es seiner
Meinung vom Goethe-Institut der 1980er Jahre propagiert wurde, protes-
317 Znined-Brandt, Deutsche und französische Auswärtige Kulturpolitik, ibid. S.59.
318 Zitiert nach Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.350.
319 Singer, ibid. S.22.
320 Zitiert nach: Znined-Brandt, ibid. S.57.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
155
tierte: „Der Ausländer, der sich von Deutschland ein Bild klassischer Dichter, Musiker, Denker und Erfinder [...] ein Bild schöner Landschaften und
heimatverbundener, trachtentragender Menschen geformt hat, wird plötzlich mit Vertretern der Protestszene, des internationalen Proletarismus [...]
konfontiert.“321 Der Kritik konservativer Zeitungen entgegneten wiederum
liberale Zeitungen wie Die Zeit dass der Vorstand unbeirrt seinen kritischen
Kurs beibehalten und sich von den „Bangemachern nicht irre machen“322
solle. Laut Kathe entspannte sich jedoch diese schwierige Situation in der
deutschen Presselandschaft wieder gegen Ende des Jahres 1984.
Während grosso modo liberale Zeitungen und Politiker sich für die Darstellung eines kritischen Deutschlandbildes aussprachen, forderten konservative Blätter, von diesem „verzerrten“ Deutschlandbild abzukommen
und nunmehr - man fühlt sich an die Auswärtige Kulturpolitik der 1950er
und 1960er Jahre erinnert - im Ausland ein konservatives und unkritisches
Deutschlandbild zu entwerfen.
Die Auswahl der Kulturbotschafter Deutschlands
Diese und ähnlich formulierte Forderungen mussten sich zwangsläufig
auch auf die Auswahl der Gastredner und weiterer deutscher Kulturbotschafter im Ausland auswirken. Besonders in der Kritik des konservativen
Lagers standen dabei linksorientierte Gastauftritte wie etwa die von „Jo
Leinen oder Cohn-Bendit, welchen nur bestimmte Kreise im Ausland, gemeint war beispielsweise die französische Linke, (…) zuhören wollten.“323
Die Kritik an der Auswahl der vom Goethe-Institut eingeladenen Gäste gipfelte schließlich in einer weiteren Rede von Strauß, in welcher er das Goethe-Institut als „Grass-Institut“ bezeichnete.324 In einem Interview aus dem
Jahre 2010 blickte auch der Nobelpreisträger Grass kritisch auf diese Periode der innenpolitischen Diskussion um Programmschwerpunkte des Goethe-Instituts zurück. Er, so Grass, sei damals als Kulturbotschafter davon
überzeugt gewesen, als „Nestbeschmutzer“ gegolten zu haben: „Wir galten
als Nestbeschmutzer, weil wir kritisch mit dem eigenen Land umgingen.
Man war nicht bereit, dies als Gewinn anzusehen.“325 Kathe weist in seinen
Ausführungen richtig darauf hin, dass die Debatte um die inhaltliche und
strategische Ausrichtung des Goethe-Instituts mit der erneuten Aufnahme
321
322
323
324
325
Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.332 ff.
Zitiert nach Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.338.
Zitiert nach Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.338.
Zitiert nach Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.338.
Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.339.
156
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
von Koalitionsverhandlungen Ende des Jahres 1987 ein jähes Ende nahmen.326 Rückblickend ist dennoch zum einen hervorzuheben, dass weder
Genscher noch Hamm-Brücher trotz harscher Kritik in Bezug auf die Orientierung der Auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik in der Frage
der Unabhängigkeit der Mittlerorganisation einen Richtungswechsel vornahmen. Zweitens muss an dieser Stelle auch die Haltung von Bismarcks
gewürdigt werden, welcher es verstand, in einer schwierigen innenpolitischen Diskussion das Goethe-Institut auf Kurs zu halten. Diese Leistung
würdigte noch im Jahre 2011 sein Amtsnachfolger Hilmar Hoffman in besonderem Maße:
„Damals hat der unvergessene Goethe-Präsident Klaus von Bismarck mit
Mut vor Königsthronen vom „Luxus auf die eigene Meinung“ seines Ahnherrn Otto exemplarisch markigen Gebrauch gemacht und die intellektuelle Autonomie des Goethe-Instituts als dritter Säule der Außenpolitik
eingeklagt.“327
Bei allem gerechtfertigten Lob an seinem Vorgänger muss jedoch an dieser
Stelle kritisch vermerkt werden, das Hoffman in diesem Zitat das GoetheInstitut und nicht die Auswärtige Kulturpolitik als „dritte Säule der Außenpolitik“ ansieht; dies würde jedoch allen weiteren Mittlerorganisationen im
Ansatz nicht gerecht werden.
‘Mehr Markt’oder „Kulturpolitik der leeren Hand“?
Neben den inhaltlichen Kontroversen war die deutsche Kulturpolitik der
1980er Jahre vor allem auch durch die Sparpolitik der neuen Regierung geprägt, welche nicht nur in der Politik, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit lebhaft diskutiert wurde. Als exemplarisch mag an dieser Stelle ein
Artikel aus der Wochenzeitung Die Zeit im Kalenderjahr 1989 gelten, in
welchem der Autor Rolf Michaelis die Kulturpolitik der Bundesrepublik der
1980er Jahre als „Kulturpolitik der leeren Hand“328 bezeichnet. Bonn hatte
zu diesem Zeitpunkt Streichungen von Subventionen in Millionenhöhe angekündigt, welche Neueröffnungen von Goethe-Instituten in Moskau, Warschau und Sofia gefährdeten (und dies einige Monate vor dem Fall der
326
327
Franz Josef Strauss zitiert nach: Kathe: Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.344.
Günter Grass, Jahrbuch des Goethe-Institutes 2010, oder aber unter: http://
www.goethe.de/uun/prj/60j/sti/de7883402.htm. Zugriff am 28.07.2011.
328 Siehe hierzu: „Erst die einsetzenden Koalitionsverhandlungen um die neuerliche Regierungsbeteiligung setzten einen internen Schlusspunkt, der die Kampagnen gegen das Institut beendete.“ Kathe, Kulturpolitik um jeden Preis, ibid. S.353.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
157
Berliner Mauer!, G.F.). Der zweite aktuelle Anlass war die Amtseinführung
von Hans Heigert als neuer Präsident des Goethe-Instituts, welcher Klaus
von Bismarck nach 12 Jahren als Leiter ablöste. Zu dieser Amtsübernahme
witzelt Michaelis: „Ist es nicht so, als ob Helmut Kohl dem neuen Präsidenten Hans Heigert eine Luxuslimousine vor das Verwaltungsgebäude stellte
- allerdings ohne Motor - und ihm grinsend „Gute Fahrt!“ wünschte?“329
Singer verweist rückblickend in seinen Ausführungen auf die schwierige
finanzpolitische Lage Deutschlands, welche ein Umdenken in der Ausrichtung bundesdeutscher Auswärtiger Kulturpolitik erforderlich gemacht
hatte:
„Zunehmend wurde auch die bisher unterstellte Handlungskapazität der
staatlichen Politik in Frage gestellt. Die neue liberal-konservative Koalition stellte dementsprechend ihre Regierungsübernahme – in wirtschaftspolitischer Hinsicht, aber auch im kulturell geistigen Sinn – unter
das Motto der Wende: in seiner ersten Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 kündigte der neue Bundeskanzler Helmut Kohl eine wirtschaftspolitische Umorientierung an („weg von mehr Staat, hin zu mehr
Markt“), die mit einer neuen Betonung des gesellschaftlichen Wertebewusstseins verknüpft wurde.“
Die „Wende“, damals Wahlkampfmotto der Christdemokraten im Zeitalter
knapper öffentlicher Kassen, musste zwangsläufig auch ein Umdenken in
der Konzeption von Kulturveranstaltungen im Ausland zur Folge haben:
vor dem Hintergrund existentieller Sparmaßnahmen sollten von nun auch
an die Kulturschaffenden verstärkt dazu angehalten werden, durch Kooperationen vor Ort zunehmend Partner aus dem privaten Sektor für die
Kulturveranstaltungen zu gewinnen.
329
Hilmar Hoffman: Unabhängig bleiben! In der Heimat war die deutsche Kulturvermittlung
nicht immer unangefochten. Was die hohe Politik fürs Goethe-Institut leistete - und was
sie schuldig blieb. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. 7.2011, Sonderbeilage zum
60. Geburtstag des Goethe-Instituts, Seite B2.
158
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Konzeptuelle Neuerungen in den 1980er Jahren: von der „Dritten
Säule“ zur „Dritten Dimension“ der Auswärtigen Kulturpolitik.
Rückblickend ist sich eine Reihe von Experten unterschiedlicher wissenschaftlicher Ausrichtungen einig, dass die von Hamm-Brücher im Jahre
1982 vorgelegten „10 Thesen zur kulturellen Begegnung und Zusammenarbeit mit Ländern der Dritten Welt“ das einzig nennenswerte Konzeptpapier zur Auswärtigen Kulturpolitik der 1980er Jahre darstellten.
Stellvertretend für die Ansichten von Maaß330 und Singer331 sei hier eingangs eine Stellungnahme des Hildesheimer Kulturwissenschaftlers Wolfgang Schneider angeführt, welcher Hamm-Brücher den Verdienst
zuschrieb, in ihrem „Thesenpapier“ „erstmals die allgemeinen Prinzipien
der Gegenseitigkeit von Kulturbeziehungen, die Gleichwertigkeit der Kulturen, die Integration aller Bereiche zwischenmenschlicher Lebensgestaltung und Kommunikation sowie die Ermutigung und den Ausbau der
Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Trägern“332 entwickelt zu haben.
Obwohl die 10 Thesen Hamm-Brüchers ein zentrales Dokument ihrer Auseinandersetzungen mit der Auswärtigen Kulturpolitik darstellen, ist es aus
unserer Sicht jedoch auch notwendig, ihre Thesen -welche sich expressis
verbis auf eine „Zusammenarbeit mit der Dritten Welt“ beziehen- in den
Gesamtkontext ihrer Ausführungen zu setzen, damit daraus anschließend
für die Untersuchungen allgemeingültige Untersuchungskriterien auch für
die deutsch-französische Kooperation abgeleitet werden können.
Neben den „10 Thesen“ liegen uns nämlich eine Reihe von theoretische
Texten Hamm-Brüchers vor, so zum einen ein „Werkstattbericht zur Auswärtigen Kulturpolitik“333, zum anderen eine umfangreiche Dokumentation zu dem von ihr 1980 in Bonn organisierten weltweiten Symposium
„Internationale Kulturbeziehungen – Brücke über Grenzen“334.
Bei den folgenden Ausführungen wird die Neuartigkeit des Konzepts von
Hamm- Brücher anhand von zentralen Begriffen kurz zusammengefasst
und erläutert.
Rolf Michaelis: Kulturpolitik der leeren Hand , in: Die Zeit, Ausgabe 33(1989), S.35.
Rolf Michaelis: Kulturpolitik der leeren Hand, ibid.S.35.
Maaß führt in seinem Aufsatz „Auswärtige Kulturpolitik im Spannungsfeld zwischen Konzeption und Umsetzung“, die “10 Thesen“ als einzigen „neuen Ansatz“ der 1980 Jahre an,
ibid. S.3.
333 Singer bezeichnet die „10 Thesen“ als „verbindliche Leitlinie“, Singer, ibid. S.23.
334 Wolfgang Schneider: Vom Export zum Netzwerk, vom Event zur Intervention: zum Wandel Auswärtiger Kulturpolitik. In: Wolfgang Schneider: Auswärtige Kulturpolitik: Dialog
als Auftrag, Partnerschaft als Prinzip (Hg), Hildesheim 2007. S.13-32.
330
331
332
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
159
Die Gegenseitigkeit der Kulturbeziehungen
Die zehn Thesen Hamm-Brüchers aus dem Jahre 1982 beginnen mit der
Nennung von Grundprinzipien kultureller Zusammenarbeit. An erstes Prinzip führt sie den Begriff der Gegenseitigkeit der Kulturen ein, „die eine
Gleichwertigkeit der Kulturen voraussetze.“335 Im Vergleich zu dem von
Dahrendorf eingeführten Prinzip des „Gebens und Nehmens“, welches
hauptsächlich als Kulturaustausch im Ausland verstanden wurde, verlegt
Hamm-Brücher mit ihrer Forderung nach einer Gegenseitigkeit der Kulturbeziehungen den Akzent deutscher Außenkulturpolitik auf die innenpolitische Auseinandersetzung mit fremden Kulturen. Diesen Gedanken hatte sie
bereits im Jahre 1977 in einem Artikel unter dem Titel „Auswärtige Kulturpolitik beginnt zu Hause“336 in Die Zeit genauer ausgeführt. Ziel zukünftiger Außenpolitik, so Hamm-Brücher, sei es zunächst, auch zu Hause
ein „Fundament gegenseitigen Vertrauens“ zu anderen Staaten und Bürgern zu schaffen und tiefer in der deutschen Gesellschaft zu verankern um
so „Stereotypenbildungen, Klischeevorstellungen und plötzlichen Manipulationen“337 entgegenzuwirken. In Folge dieser Forderung schlägt HammBrücher eine Reihe vom Maßnahmen vor, wobei noch heute die Aktualität
ihrer Vorschläge überrascht:
Die frühzeitige Begegnung mit fremden Kulturen im Schulunterricht
Die verbesserte und vertiefte Berichterstattung in den Medien
Die Unterstützung wissenschaftlicher Programme und Institute, die sich
mit der Erforschung von interkulturellen Beziehungen beschäftigen338
Dieser Maßnahmenkatalog unterstreicht, welche Bedeutung bereits zu Beginn der 1980er Jahre der interkulturellen Kommunikation im Rahmen internationaler Kulturpolitik zugesprochen wurde.
Abschließend bringt Hamm-Brücher ihre Forderungen in Bezug auf einen
interkulturellen Dialog auf die ganz einfache Formel: „Alle Kulturbeziehungen beginnen und enden zu Hause.“ Das heißt: Internationale Kultur335
Hildegard Hamm-Brücher: Kulturbeziehungen weltweit, ein Werkstattbericht zur Auswärtigen Kulturpolitik, München, Wien 1980.
336 Dieter Dankwort, (Bearbeitung): Internationale Kulturbeziehungen, Brücke über Grenzen Symposium 80, Baden-Baden 1980.
337 Hildegard-Hamm Brücher: 10 Thesen zur kulturellen Begegnung und Zusammenarbeit
mit der Dritten Welt, März 1982, in: http://www.ifa.de/pdf/aa/akbp_10thesen1982.pdf,
Zugriff am 15.7.2012.
Auch in: Wolfgang Schneider: Vom Export zum Netzwerk, vom Event zur Intervention:
zum Wandel Auswärtiger Kulturpolitik. In: Auswärtige Kulturpolitik: Dialog als Auftrag,
Partnerschaft als Prinzip, Hrsg. Wolfgang Schneider, Hildesheim 2007. S.191.
338 Hildegard Hamm-Brücher: Auswärtige Kulturpolitik beginnt zu Hause, In: Kulturbeziehungen weltweit, ibid. S.21.
160
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
beziehungen sollten nicht nur ins Ausland hinaus organisiert werden, sie
müssen auch zu einem innerkulturellen und gesellschaftlichen Bedürfnis
werden.339
Erweiterte Kulturbeziehungen
Unter der Verantwortlichkeit von Hamm-Brücher wurde im Auswärtigen
Amt, wie im letzten Kapitel aufgezeigt, der erweiterte Kulturbegriff als Leitgedanke aufgegriffen. Das Begriffspaar wird in einer Vielzahl von Aufsätzen
und Reden von ihr als Grundsatz sine qua non einfach übernommen. Dennoch führte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt das Begriffspaar der
„erweiterten Kulturbeziehungen“ ein. Für Hamm-Brücher war die Erweiterung der Kulturbeziehungen auch gleichzusetzen mit einer Erweiterung
der Zielgruppen. Sie verstand darunter Kulturbeziehungen, „die alle Bereiche zwischenmenschlicher Lebensgestaltung und Kommunikation mit einschließen und sich nicht auf Eliten beschränken.“340Auch diese Forderung
führte sie als „allgemeines Prinzip der Zusammenarbeit“ im Bereich der
kulturellen Begegnung ein. Dabei sollte vor allem das Prinzip des Geben und
Nehmens zu einer „kollektiven Erfahrung“341 werden:
„Die Erfahrung des Gebens und Nehmens gilt mindestens ebenso dringlich
für eine Neumotivierung und Neuorientierung unserer Auslandsschulen,
des Wissenschaftler-, Professoren-, Studenten-, Praktikantenaustausches,
der Begegnung durch Bücher, Ausstellungen, Medien, Theater und Musik,
der Städtepartnerschaften und der Internationalisierung vieler anderer
Lebensbereiche.“342
Eine wesentliche Voraussetzung sei in dieser Hinsicht auch, dass die Bereitschaft zum Geben und Nehmen, zur interkulturellen Begegnung und Erfahrung bereits im Inland beginne und zu einem „innerkulturellen und
gesellschaftlichen Bedürfnis werde.“343
339
340
341
342
343
Hamm-Brücher: Auswärtige Kulturpolitik beginnt zu Hause, In: Kulturbeziehungen weltweit, ibid. S.21.
Zusammengefasst nach: Hamm-Brücher: 10 Thesen zur kulturellen Begegnung und Zusammenarbeit mit der Dritten Welt, in: Wolfgang Schneider: Vom Export zum Netzwerk,
vom Event zur Intervention: zum Wandel Auswärtiger Kulturpolitik. In: Wolfgang Schneider: Auswärtige Kulturpolitik: Dialog als Auftrag, Partnerschaft als Prinzip (Hg), Hildesheim 2007. S.194.
Hamm-Brücher, Grenzen überwinden durch Kultur, In: Kulturbeziehungen weltweit. S.53.
Hamm-Brücher, In: 10 Thesen zur kulturellen Begegnung und Zusammenarbeit mit der
Dritten Welt, ibid. S.191.
Hamm Brücher: Geben und Nehmen- Prinzipien der auswärtigen Kulturpolitik, in: Kulturbeziehungen weltweit, ein Werksattbericht zur Auswärtigen Kulturpolitik, ibid. S.30.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
161
Hamm Brücher wird an einer anderen Stelle sogar noch deutlicher:
Nicht nur die Arbeit der im Ausland tätigen Goethe-Institute, “wie [die]
Auswärtige Kulturpolitik überhaupt in der Publizistik allzu partiell aus der
Tätigkeit der Goethe –Institute beurteilt wird“344, sondern bereits jedes
Kind sollte während der Schulzeit bereits „ganz unbefangen“345 an interkulturelle Begegnungen herangeführt werden, denn das eigentliche Dilemma [der] Auswärtigen Kulturpolitik und seine Überwindung beginnt
und endet immer „zu Hause.“346
Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Trägern
Neben den theoretischen Überlegungen zur kulturellen Begegnung und Zusammenarbeit im Ausland gehen die Ausführungen Hamm-Brüchers auch
in der Praxis einen Schritt weiter als die Konzeptionen ihrer Vorgänger.
Bereits am Ende des vorangegangenen Kapitels wurde in Bezug auf die Organisation von Kulturveranstaltungen - bis auf einige wenige Ausnahmen
– auf eine mangelnde Kooperation zwischen Goethe-Instituten und privaten
Trägern hingewiesen. , Die Staatssekretärin fordert die Kulturschaffenden
hier – auch wenn sie dies zunächst explizit auf Entwicklungsländer bezieht
- erstmals in ihrem offiziellen Konzeptpapier dazu auf, die „Zusammenarbeit zwischen nicht staatlichen Trägern (Kirchen, Stiftungen, Bildungsträgern, gesellschaftliche Gruppen) und ihren Partnern (...)“347 auszubauen.
Somit ist Hamm-Brücher die erste Verantwortliche im Auswärtigen Amt,
welche unmissverständlich eine Verflechtung von „sozioökonomischen und
soziokulturellen“348 Maßnahmen in der auswärtigen Kulturpolitik einfordert.
Kulturpolitik für Europa
In zahlreichen Aufsätzen und Reden setzte sich Hamm-Brücher weit mehr
als ihre Vorgänger mit der Frage auseinander, welchen Beitrag die Auswärtige Kulturpolitik zur Einigung Europas leisten könne. In ihrem „Werkstattbericht zur Auswärtigen Kulturpolitik“ widmet sie ein ganzes Kapitel
mit mehreren Aufsätzen und Reden der „vernachlässigten kulturellen Dimension Europas“349 Im historischen Kontext der ersten europäischen Direktwahl im Jahre 1979 wirft sie als Erste die Frage auf, welches
344
345
346
347
348
349
Hamm-Brücher: Geben und Nehmen, ibid. S.30.
Hamm-Brücher: Geben und Nehmen, ibid. S.30.
Hamm-Brücher: Geben und Nehmen ibid. S.30.
Hamm-Brücher: Geben und Nehmen, ibid. S.30.
Hamm-Brücher: Geben und Nehmen, ibid. S.31.
Hamm-Brücher: 10 Thesen, ibid. S.192.
162
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
verbindliche Ziel mit einer gemeinsamen europäischen Kulturpolitik verfolgt werden solle. Sie selbst fasst ihre Zielvorstellung mit einer Entwicklung zusammen: sie fordert keine „Auswärtigen Kultur in Europa“ sondern
„Kulturpolitik für Europa.“350Laut Hamm-Brücher käme es darauf an, nicht
nur das kulturelle Erbe Europas zu beschwören, sondern „das Bewusstsein
der Zusammengehörigkeit, der Abhängigkeit, der Vielfalt der schöpferischen Kräfte für Europa zu mobilisieren und in das politische Bewusstsein
für Europa einzubringen.“351 Auf dem Weg zu einer gemeinsamen kulturellen europäischen Identität sollte sich vor allem das „nationale Prestigedenken“ eines jeden Landes der kulturellen Vielfalt Europas unterordnen
und in dieser „eine Quelle gemeinsamen Reichtums erkennen.“352
Diesbezüglich schlug sie vor:
– europäische Sprachen zu fördern
– Berufsabschlüsse gegenseitig anzuerkennen
– Die Zusammenarbeit durch europäische Stiftungen zu fördern353
Auch dürfe die Behandlung der Thematik Europa nicht im Elfenbeinturm
von (Kultur-) Politikern und Bürokraten stattfinden, sondern müsse den
Bürgern „erlebbar und erfahrbar“354 gemacht werden.
Kulturpolitik als Friedenssicherung
Weit vor der Konzeption 2000 - dem Konzeptpapier, welches der damalige
Außenminister der rot-grünen Koalition Joschka Fischer vorgelegt hatte
und dessen erste Grundsätze die Sicherung des Friedens und die Konfliktverhütung waren, stößt man in den Ausführungen Hamm-Brüchers auf die
Idee von einer friedensstiftenden und sichernden Auswärtigen Kulturpolitik.
Bereits im Rahmen des von ihr organisierten internationalen Symposiums
des Jahres 1980 ermunterte sie die teilnehmenden Experten dazu, zu prüfen, welchen Beitrag Kulturbeziehungen zur Friedenssicherung leisten
könnten. Auch dieser Punkt stellt eine wichtige „Botschaft“ des Konzeptes
von Hamm-Brücher dar: Auswärtige Kulturpolitik sollte „Brücken über
350
351
352
353
354
Weiter ausgeführt ist diese These unter Punkt 9 ihrer 10 Thesen „Konsequenzen I“, in:
Hamm-Brücher: 10 Thesen, ibid. S.195.
Hamm-Brücher:Kulturbeziehungen weltweit, ibid. S.147-191.
Hamm-Brücher:Kulturbeziehungen weltweit , ibid. S.153.
Hamm-Brücher, Kulturpolitik für Europa, Ansprache auf dem Jahreskongress der Europaunion in Darmstadt am 14. 10.1979, in: Kulturbeziehungen weltweit, ibid. S.153.
Hamm-Brücher, Ansprache Jahreskongress, ibid. S.153.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
163
Grenzen“355schlagen und durch Begegnung und Austausch Misstrauen abbauen.“356 Besonders nach der deutschen Wiedervereinigung, als sich im
Nachbarland Frankreich vielerorts die Angst vor einem übermächtigen
Deutschland verbreitete, wird dieses Element deutscher Auswärtiger Kulturpolitik wieder von zentraler Bedeutung sein. Im Vorwort der Ende 1980
herausgegebenen Dokumentation zum Symposium setzt schließlich
Hamm-Brücher diesen Punkt ganz bewusst an den Anfang ihrer Ausführungen: „Kulturbeziehungen können und müssen in den 1980er Jahren verstärkt einen Beitrag zur Vertrauensbildung und zur Friedenssicherung
leisten.“357
Die „dritte Dimension“, nur eine Paraphrase?
Ausgehend von der Tatsache, dass Vertrauensbildung und Kooperation,
Schlüsselworte in den Thesen Hamm-Brüchers, keine starren Gebilde sind,
sondern ständigen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen unterliegen,
ist es nur eine zwingende Konsequenz, dass Hamm-Brücher nicht mehr
von der Auswärtigen Kulturpolitik als „dritten Pfeiler“ spricht, sondern in
ihren Ausführungen das Begriffspaar der„dritten Dimension“358 einführt.
Hamm-Brücher versucht in ihren verschiedenen Reden und schriftlichen
Beiträgen an mehreren Stellen, diesen von ihr entwickelten Begriff der
„Dritten Dimension“ zu definieren. Dass dies nicht immer eindeutig geschieht, mag dabei durchaus auch ihrer Auffassung des Amtes entsprechen.
In einer wichtigen Passage ihrer Ausführungen hebt sie hervor, dass die
Auswärtige Kulturpolitik auch immer eine experimentelle Seite habe, die
bezeichnet daher das Auswärtige Amt gerne als „Werkstatt“ und seine Leiter als „Tüftler“359 Die überzeugendste Definition dieses Begriffspaares findet man in ihrem Aufsatz „Auswärtige Kulturpolitik beginnt zu Hause“,
welchen sie bereits im Jahre 1977 in Die Zeit veröffentlicht. Hier schreibt
sie:
„(... ) gerade weil wir im Zeitalter der Düsenflugzeuge, des Satellitenfernsehens und der Computertechnik auf eine kleine gefährdete Welt zusammenschrumpfen, bedarf unsere Außenpolitik noch einer dritten
Dimension, die alle Bereiche zwischenstaatlicher Beziehungen umfasst,
355
356
357
358
359
Hierzu ihre Ausführungen an gleicher Stelle: Hildegard Hamm-Brücher, Ansprache Jahreskongress, ibid. S.153.
Hamm-Brücher, Ansprache Jahreskongress, ibid. S.153.
Titel des gleichnamigen Kolloquiums.
Hamm-Brücher: Ansprache Jahreskongress, ibid. S.29.
Hamm-Brücher: Vorwort, in: Brücke über Grenzen, S.8.
164
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
die zum besseren Verstehen und zur Verständigung zwischen Menschen
unterschiedlicher Sprache, Kulturkreise, Religionen, Gesellschaftsformen
etc. beiträgt. Wir nennen sie Auswärtige Kulturpolitik – oder kulturelle
Außenpolitik.“360
Diese Definition der „dritten Dimension“ macht zweierlei deutlich: sowohl
die geistige Nähe zu Willi Brandts Definition deutscher auswärtiger Kulturpolitik, welcher der Außenpolitik den gleichen Rang wie der Wirtschaft
und der Politik zusprach, als auch die ihre Erweiterung des Begriffs: aus
zwischenstaatlichen Beziehungen wird nun die Verständigung zwischen
Menschen unterschiedlicher Sprache, Kulturkreise, Religionen und Gesellschaftsformen, zum Primat einer neuen Dimension deutscher auswärtiger
Kulturpolitik. Diese neue Dimension, so Hamm Brücher, solle möglichst alle
Deutschen durchdringen und zu einem interkulturellem Dialog bewegen.
360
In der Sekundärliteratur wird dieser von Hamm-Brücher eingeführte Begriff teils übernommen, teils als Synonym für den von Brandt eingeführten Begriff verwendet.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
165
3.4.2 Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1979-1989
Zum Korpus
Im Zeitraum von 1979 bis 1989 wurde die Form der Statistik der Jahrbücher des Goethe-Instituts dreimal verändert. Dies äußert sich zunächst in
der Auswahl der ausgewählten Untersuchungskriterien. Hatte man noch
im vorangegangenen Untersuchungszeitraum von 1971 bis 1978 die Darstellung des Veranstaltungsprogramms auf die drei Kriterien kulturelle und
wissenschaftliche Veranstaltungen, Ausstellungen und Filmaufführungen reduziert, welche durch die Ergänzung der Nennung der so genannten Bemerkenswerten Veranstaltungen vervollständigt wurden, so wurden im
Zeitraum von 1979 bis 1983 zunächst die kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen in die Kriterien Seminare und Workshops und Wortveranstaltungen aufgeschlüsselt. Diese Benennung wurde in den 1980er
Jahren jedoch noch zwei weitere Male verändert: Bereits ein Jahr später, im
Jahre 1984, verwarf man die zuvor eingeführten Kriterien Seminare und
Workshops/ Wortveranstaltungen zugunsten des Begriffspaars Wissenschaft und Literatur erneut und unterteilte die Veranstaltungsform Film in
die Rubriken Spiel/ Experimentarfilm auf der einen und Dokumentarfilm/
Hörfunk/ TV auf der anderen Seite. Es ist stark anzunehmen, dass man
durch diese Unterteilung erhoffte, Rückschlüsse auf die Ausrichtung einzelner Institute im Filmbereich ziehen zu können. Im Untersuchungszeitraum von 1984 bis 1989 wird im Rahmen der Programmarbeit das
Kriterium der Stipendiaten-Nachbetreuung eingeführt.
Die sehr uneinheitliche Form der Statistik der Kulturveranstaltungen in
den Jahrbüchern des Goethe-Instituts der 1980er Jahre äußert sich auch
in Inhalt und Form der Analyse der Veranstaltungen eines entsprechenden
Kalenderjahres. So wurden zunächst - bis zum Kalenderjahr 1985 - die Bemerkenswerten Veranstaltungen durchgehend angeführt. Dann folgte im
Kalenderjahr 1985 eine Zäsur in der Darstellungsweise: Die Kulturschaffenden führten in diesem Jahr unter dem Titel „Programmschwerpunkte“
die thematischen Schwerpunkte eines Kalenderjahres auf; eine Analyse
dieser Darstellungen in der Mitte der 1980er Jahre lässt für den Betrachter
unterschiedliche inhaltliche Positionierungen der einzelnen Institute erkennen. Diese Form der Darstellung wird jedoch leider im Folgejahr wieder verworfen: Ab 1986 liegen uns in den Jahresberichten dann erstmals
neben der quantitativen Erfassung der unterschiedlichen Veranstaltungsformen auch qualitativ auswertbare Berichte der Kulturbeauftragten der
einzelnen Goethe-Institute vor, welche nähere Angaben zu Programm-
166
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
schwerpunkten, strategischen Fragen, teilweise sogar zu kritischen Stellungnahmen machten. Diese Form der Darstellung der Programmarbeit
wurde bis einschließlich 1993 fortgeführt.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
167
Quantitative Analyse der Kulturveranstaltungen von 1979 bis 1989
Übersicht 24: die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 1979
bis 1989
4,00
3,50
3,00
2,50
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
Musikveranstaltungen
2,00
Theaterveranstaltungen
Ausstellungen
1,50
Filmvorführungen
Aktivitäten insgesamt
1,00
0,50
0,00
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1979-1989
Übersicht 25: die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 1979
bis 1989 in absoluten Zahlen
Entwicklung der Aktivitäten
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
Musikveranstaltungen
Theaterveranstaltungen
Ausstellungen
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
90
70
82
116
126
98
152
139
148
146
119
34
68
34
55
25
52
40
42
48
40
212
82
46
26
40
49
46
54
54
105
47
97
98
75
82
98
86
114
103
120
114
100
60
Filmvorführungen
316
478
390
1.201
470
476
526
711
439
390
386
Aktivitäten insgesamt
749
796
627
1.480
759
761
878
1.049
809
795
712
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1979-1989
Die Übersicht 24 belegt, dass sich – im Gegensatz zum vorangegangenen
Analysezeitraum 1971-1978, in welchem ausnahmslos alle Veranstaltungsformen einen kontinuierlichen Zuwachs zu verzeichnen hatten – im
Zeitraum von 1979 bis 1989 die einzelnen Veranstaltungsformen sehr heterogene Entwicklungskurven aufweisen.
Besonders augenfällig ist die Entwicklung im Bereich der Veranstaltungsform der Theateraufführungen: diese gehen über den gesamten Zeitraum
um mehr als 75% zurück, während alle weiteren Veranstaltungsformen in
Bezug auf die absoluten Werte einen Zuwachs verzeichnen können. An erster Stelle stehen mit einem Zuwachs von ca. 32 % die Wortveranstaltungen
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
168
(ab 1984, wie bereits oben erwähnt, in Wissenschaft und Literatur umbenannt), an zweiter Stelle die Musikveranstaltungen, die mit mit einer Steigerung von über 76%. An dritter und vierter Stelle folgen die
Filmvorführungen (mit 22%), knapp vor den Ausstellungen, welche ihrerseits über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg fast stagnieren.
Übersicht 26: die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute von
1979 bis 1989 normiert
Entwicklung der Aktivitäten normiert (1979 = 1)
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
1,00
0,78
0,91
1,29
1,40
1,09
1,69
1,54
1,64
1,62
1989
1,32
Musikveranstaltungen
1,00
2,00
1,00
1,62
0,74
1,53
1,18
1,24
1,41
1,18
1,76
Theaterveranstaltungen
1,00
0,39
0,22
0,12
0,19
0,23
0,22
0,25
0,25
0,50
0,22
Ausstellungen
1,00
1,01
0,77
0,85
1,01
0,89
1,18
1,06
1,24
1,18
1,03
Filmvorführungen
1,00
1,51
1,23
3,80
1,49
1,51
1,66
2,25
1,39
1,23
1,22
Aktivitäten insgesamt
1,00
1,06
0,84
1,98
1,01
1,02
1,17
1,40
1,08
1,06
0,95
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1979-1989
Der Kurvenverlauf einzelner Veranstaltungsformen, auch dies belegt Übersicht 24, macht jedoch auch deutlich, dass diese absoluten Werte in Bezug
auf die Gesamtentwicklung keinesfalls auf einen kontinuierlichen Verlauf
bzw. Ausbau der Kulturveranstaltungen zurückzuführen sind. Am deutlichsten wird dies neben dem Bereich der Ausstellungen vor allem im
Filmbereich: wurden im Jahre 1982 frankreichweit noch in allen GoetheInstituten ca. 1200 Filme vorgeführt, waren es im Folgejahr lediglich knapp
500. Es stellt sich unweigerlich an dieser Stelle die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen diesem Einbruch der Filmvorführungen und dem Regierungswechsel in Bonn im Jahre 1982 besteht. Zumindest fällt es schwer,
in diesem Zusammenhang von einer kontinuierlichen Förderung des deutschen Films in Frankreich zu sprechen. Insgesamt muss in Bezug auf die
Gesamtzahl der Kulturveranstaltungen von 1979 bis 1989 jedoch festgehalten werden, dass mit einer Gesamtzahl von 9415 Aktivitäten und somit
einem Durchschnittswert von 855 Veranstaltungen pro Kalenderjahr der
Wert der vorangegangen Untersuchungsperiode (im Zeitraum von 19711978 konnte ja ein Mittelwert von 513 Veranstaltungen pro Jahr ermittelt
werden) erneut um 67% gesteigert werden konnte.
Dabei ist es für unsere Untersuchungen erneut von Interesse, ob sich diese
landesweiten Tendenzen auch an den einzelnen Instituten ablesen lassen
können, oder ob sich gegenläufige Tendenzen und institutspezifische Profile ergeben.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
169
Dieser Frage geht die Übersicht 27 nach:
Übersicht 27: die Entwicklung der Aktivitäten der einzelnen GoetheInstitute 1979 bis 1989 in absoluten Zahlen
Aktivitäten der Goethe-Institute 1979 - 1989
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
Musikveranstaltungen
Bordeaux
Lille
187
134
Lyon
Marseille
Nancy
Paris
Toulouse
180
131
165
316
173
Gesamt
1.286
84
67
50
59
79
85
74
Theaterveranstaltungen
118
21
133
46
61
331
51
761
Ausstellungen
198
66
133
117
229
165
179
1.087
Filmvorführungen
Aktivitäten insgesamt
498
726
306
1.241
849
881
837
943
5.783
1.313
594
1.737
1.202
1.415
1.734
1.420
9.415
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1979-1989
Die Übersicht 27 verdeutlicht, dass in Bezug auf die Wahl der Veranstaltungsform der Kulturveranstaltungen nur teilweise Übereinstimmungen,
mehr jedoch Divergenzen zwischen den einzelnen Instituten festzustellen
sind. Zutreffend ist, dass an allen Instituten die Veranstaltungsform Filmvorführungen an erster Stelle stand. Machten während des Untersuchungszeitraums von 1971 bis 1978 die Filmvorführungen noch etwa 54 %
der Gesamtveranstaltungen aus, so waren es von 1979-1989 bereits 61%.
In manchen Instituten, wie zum Beispiel in Marseille oder Lyon waren fast
drei Viertel der Kulturveranstaltungen Filmvorführungen. Es wurde eingangs erwähnt, dass in der Statistik der Filmvorführungen erstmals zwischen Spiel- und Dokumentarfilm unterschieden wurde. Die Übersicht 2
belegt, dass in dieser Beziehung einzig das Goethe-Institut Nancy ein spezifisches Programm vorwies, denn aus unserer Tabelle geht hervor, dass in
Nancy jeder dritte Film der Filmführungen ein Dokumentarfilm war. Bei den
anderen Instituten nahm das Medium des Dokumentarfilms aus programmatischer und strategischer Sicht eine kaum beachtenswerte Rolle ein. Die Institute in Bordeaux, Nancy und Toulouse setzten nach den Filmvorführungen
einen weiteren Schwerpunkt in der Veranstaltungsform Ausstellungen, welche sich in Bezug auf ihre Frequenz an zweiter Stelle befanden. Die GoetheInstitute in Lille, Lyon und Marseille setzten hingegen auf Wortveranstaltungen. Vor dem Hintergrund der bereits angeführten Tendenz des rapiden
Rückgangs der Theatervorstellungen, veranschaulicht die Übersicht 2 auf besonders bemerkenswerte Weise, dass das Pariser Institut sich in diesem Bereich besonders profilierte:
Mit 331 von 761 aufgeführten Veranstaltungen fand im Zeitraum von 19791989 fast die Hälfte (genauer: 43%) aller frankreichweiten Theatervorführungen in der Stadt an der Seine statt. Diese Veranstaltungsform stand
am Goethe-Institut Paris an zweiter Stelle, gleich hinter den Filmvorführungen.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
170
Qualitatitive Analyse der Kulturveranstaltungen
Wie bereits eingangs erwähnt, liegt uns mit dem Jahrbuch des Jahres 1985
eine Quelle vor, in welcher die Kulturschaffenden erstmals dazu aufgefordert worden waren, die Schwerpunkte der kulturellen Programmarbeit zu
benennen. Leider stellt diese Form der Darstellung in den Jahrbüchern eine
Ausnahme dar, da sie in den kommenden Jahren nicht fortgeführt wurde.
Dennoch spiegelt das Jahrbuch des Jahres 1985 in Querschnittsform die
Schwerpunkte der kulturellen Programmarbeit wieder. Die Ergebnisse
werden in der folgenden Übersicht 28 zusammengefasst:
Übersicht 28: die Schwerpunkte der kulturellen Programmarbeit je nach
Institut im Jahr 1985
!
Institut/
Schwerpunkt
Bordeaux
Städtische Umwelt
Wirtschafts-, Geld und
Währungspolitik in der
BRD
Lille
Aktuelle
deutschlandkundliche
Information
Veranstaltungen zum
Verständnis der deutschen
Kultur in Geschichte und
Gegenwart
!
!
Lyon
Zeitgenössische
deutsche Kunst und
Musik
Marseille
Musik zum
„Europäischen Jahr
der Musik 1985"
Ausstellungen zur
Zeitgeschichte und zur
zeitgenössischen Kunst
Nancy
Kolloquien
Filmarbeit
Paris
Wortveranstaltungen
Ausstellungen
Toulouse
Film
Wortveranstaltungen
Das Verhältnis der Kulturgeschichtliche
Deutschen zur
Begegnungen zwischen
Geschichte
Deutschland und
Frankreich
Zeitgenössische
Kunst
Ausstellungen
!
Quelle: Eigene Darstellung
!
Die Übersicht 28 unterstreicht zunächst, wie uneinheitlich die jeweiligen
Verantwortlichen der Aufforderung nach Nennung der Schwerpunkte der
Programmarbeit nachgekommen sind: Sowohl das Goethe-Institut Paris,
als auch das Institut in Toulouse beschränkten sich auf die Nennung der
im Kalenderjahr 1985 dominierenden Veranstaltungsformen361, Nancy
wählte eine Mischung aus Veranstaltungsformen und Themenschwer361
Hamm-Brücher: Persönliche Anmerkungen zu einer öffentlichen Aufgabe, in: Hamm-Brücher: Kulturbeziehungen weltweit, ibid. S.7-16.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
171
punkten und lediglich die vier weiteren Institute in Bordeaux, Lille, Lyon
und Marseille kommen der Aufforderung der Auswahl von Themenschwerpunkten in korrekter Form nach. Eine Auswertung der Angaben dieser vier letzt genannten Institute belegt in jedem Fall folgende Tendenz:
Mitte der 1980er Jahre liegt der Fokus der Kulturveranstaltungen deutlich
auf der Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes (siehe Dickdruck in
der oben stehenden Übersicht 28). Neben aktuellen deutschlandkundlichen Informationen und Veranstaltungen zur deutschen Kultur in Geschichte und Gegenwart (Lille) bestimmte vor allem die zeitgenössische
deutsche Kunst (Lyon, Marseille und Nancy) das deutsche Kulturprogramm
in Frankreich. In Bezug auf die genannten Themenschwerpunkte lässt sich
aus der Nennung der Schwerpunkte ableiten, dass sich die Institute in Lyon
und Marseille noch immer dem engen, Bordeaux und Lille hingegen vorrangig dem erweiterten Kulturbegriff zu verpflichteten. In Bezug auf strategische und inhaltliche Fragen im Sinne einer einheitlichen Ausrichtung
aller Institute scheint auch zu diesem Zeitpunkt noch kein Konsens vorzuliegen.
Ab dem Kalenderjahr 1986 wurden die Kulturschaffenden dazu angehalten,
im Jahrbuch des Goethe-Instituts neben den statistischen Zahlenangaben
auch eine Art Situationsbericht, der Informationen in Bezug auf die jährlich
geleistete kulturelle Programmarbeit, die pädagogischen Verbindungsarbeit und m.E. auch Einschätzungen zur Gesamtlage der deutschen Kulturarbeit in Frankreich enthielt. Da diese ausführliche Form der Darstellung in
den Jahrbüchern erstmals ermöglicht, ein genaueres Profil eines jeden Instituts in Bezug auf die kulturelle Programmarbeit zu erstellen, soll im Anschluss anhand der letzten vier Jahresberichte (1986-1989) vor der
deutschen Wiedervereinigung mittels von Kurzportraits der Goethe-Institute eine Bestandsaufnahme der kulturellen Programmarbeit am Vorabend
der deutsch-deutschen Ereignisse im Herbst 1989 geleistet werden.
Das Goethe-Institut Bordeaux
Mehr als 25 Jahre nach seiner Gründung (1971) zog man in Bordeaux im
Jahrbuch des Kalenderjahres 1988 im Rahmen der Evaluation der Kulturveranstaltungen die nüchterne Bilanz, dass „das Auslandsinteresse (...) im
Südwesten Frankreichs nicht vorrangig der Bundesrepublik Deutschland
[galt], sondern stärker dem benachbarten Spanien.“362 Das Kulturprogramm des Instituts der späten 1980er Jahre war aus strategischen Grün362
Hamm-Brücher: Auswärtige Kulturpolitik beginnt zu Hause, in: Die Zeit, Ausgabe 40
(1977).
172
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
den nach „spezifischen Zielgruppen“363 und somit entsprechend der Nachfrage der Partner ausgerichtet. Die Jahresberichte der Jahre 1986 -1989
geben darüber Auskunft, dass es vorrangig historische, zeitgeschichtliche,
vor allem aber umweltpolitische Themen waren, die die Veranstaltungsreihen des Instituts im Südwesten Frankreichs aufgriffen. Als eines der
Schwerpunktthemen gegen Ende der 1980er Jahre bildete sich das Thema
„Umweltschutz“ heraus. Dieses Thema, so analysierte man seitens des Instituts, entsprach der damals jüngsten Entwicklung auf kommunalpolitischer Ebene, da „die Umweltschützer (...) im Vormarsch“ waren.364 Das
Goethe-Institut Toulouse beurteilte beispielsweise in dieser Hinsicht die
lokale Entwicklung als „sehr erfreulich“, weil man seitens des Städteverbands des Großraums Bordeaux auf das Angebot des Goethe-Instituts eingegangen war, eine umweltkritische, deutsche Ausstellung mit dem Namen
“Alptraum Auto“, zu zeigen , welche nach Ansicht des Instituts in Kontrast
„zu den optimistisch-sorgloseren lokalen Konzeptionen“365 stand. Bis auf
sehr wenige Ausnahmen, wie beispielsweise eine über mehrere Kalenderjahre sich erstreckende Reihe von ‘Komponistenportraits’, widmete man
sich in Bordeaux vorwiegend aktuellen, gesellschaftspolitischen Fragen. So
zum Beispiel griff man im Jahr der Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag des
Elyséevertrages in einer wirtschaftspolitisch ausgerichteten Veranstaltungsreihe zum einen die damals bevorstehende große Steuerreform und
ihre Auswirkungen auf das europäische Wirtschaftsgefüge auf, zum anderen wurde - unter Mitwirkung von Experten aus Berlin und Hamburg - die
Umstrukturierung des Hafengebietes Bordeaux thematisiert. Als wichtigste
Partner des damaligen Kulturprogramms führte das Goethe Institut Bordeaux von 1986-1989 die Ecole d’Architecture und die germanistischen
und zeitgeschichtlichen Lehr- und Forschungszentren der Universität Bordeaux an. Erstmals wird in einem Jahrbuch des Goethe-Instituts eine führende französische Regionalzeitung zitiert, welche das Goethe-Institut
Bordeaux und sein Kulturprogramm als „le plus jeune des Goethe installés
en France, mais ... le plus dynamique“366 lobend erwähnt hatte.
Das Goethe-Institut in Marseille schien bereits in den 1980er Jahren große
Schwierigkeiten zu haben, in Bezug auf seine Kulturveranstaltungen von
seinem Zielpublikum überhaupt wahrgenommen zu werden. In drei aufei363
Dabei ist anzumerken, dass nach unseren Recherchen die Angaben des Pariser Instituts
sogar falsch sind: an erster Stelle standen im Kalenderjahr 1985 die Filmveranstaltungen, weit vor den Wortveranstaltungen und den Ausstellungen.
364 Jahrbuch des GI 1988, S.58.
365 Jahrbuch des GI 1988, S.58.
366 Jahrbuch des GI 1988, S.58.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
173
nanderfolgenden Jahresberichten (1986-1988) führte man jeweils gleich
zu Beginn der Analysen an, dass es „nicht ganz leicht“ sei, beim Marseiller
Publikum mit Kulturveranstaltungen auf Interesse zu stoßen, „da die Neugier auf nördliche Kulturen nicht sehr ausgeprägt“367 sei. Im letzten Jahresbericht vor der Wiedervereinigung hatte man sich bereits mit dem
scheinbar mangelnden Interesse der Bewohner der großen südlichen Metropole abgefunden. Als Begründung wurden vorrangig ein fehlendes politisches Interesse seitens der Stadt angeführt: „ Wir haben allerdings zur
Kenntnis zu nehmen, dass die kulturpolitischen Bestrebungen der Stadt
Marseille sich in erster Linie auf den mediterranen Raum richten, in dem
man gerne eine metropolitane Rolle spielt.“368 Diese sehr pessimistische
Beurteilung der Gesamtlage durch das Goethe-Institut Marseille lässt darauf schließen, dass es Ende der 1980er Jahre im Bereich der kulturellen
Zusammenarbeit kaum erwähnenswerte Kooperationsprojekte mit der
Stadt Marseille gab. Dies war gerade vor dem Hintergrund bedauernswert,
als dass man seitens der Verantwortlichen für denselben Zeitraum auch
aufgeführt hatte, dass „das kulturelle Leben in Marseille im Laufe der letzten Jahre (und dies sicherlich im Gefolge der französischen Dezentralisierungsbestrebungen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre 369) großen
Aufschwung genommen hat.“370 An Stelle einer möglichen Kooperation mit
der Stadt Marseille wurden im entsprechenden Untersuchungszeitraum
vor allem die Germanistik an den Universitäten Aix/ Marseille, Nizza und
Avignon als Partnerinstitutionen hervorgehoben. Marseille verpflichtete
sich vorrangig dem engen Kulturbegriff. Die dominierende Veranstaltungsform waren vor allem Ausstellungen. So wurden exemplarisch für das
Kalenderjahr 1987 eine „große Ausstellung moderner deutscher Malerei
aus der Sammlung Ludwig“ und 1988 die Produktionsausstellung
„Deutschland und die Französische Revolution“ als „Mittelpunkte der Programmarbeit“371 angeführt.
Das dritte Goethe-Institut im Süden Frankreichs, das Goethe-Institut Toulouse, war gegen Ende der 1980er Jahre laut Jahresbericht durch seine
kulturelle Programmarbeit wesentlich besser in das kulturelle Leben der
367
368
369
370
371
Jahrbuch des GI 1988, S.58.
Jahrbuch des GI 1987, S.115.
Jahrbuch des GI 1986, S.94.
Jahrbuch des GI 1988, S.107.
Dieser Grund wird auch im Jahrbuch des Jahres 1987 explizit angeführt: „Dieser Aufschwung ist zweifellos noch eine Folge der Dezentralisierungspolitik der vorigen Regierung, die der Stadt Marseille weiterhin mehrheitlich nahesteht.“ In: Jahrbuch des GI 1987,
S.115.
174
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Stadt und der Region integriert als seine Nachbarn in Marseille und Bordeaux. Mit dem Ziel, „die pluralistische europäische Identität zu fördern“,
sah sich das Institut als „Partner französischer kultureller Institutionen“,
welches sich zum Ziel gesetzt hatte, „in der Region ein international bedeutendes europäisches Kulturzentrum aufzubauen.“372 Das Institut setzte
dabei vor allem auf Kontinuität in der Programmarbeit und Vermittlungsarbeit zwischen Deutschen und Franzosen. So konzentrierte sich das Kulturprogramm „auf relevante Beiträge zur Arbeit lokaler kultureller
Institutionen, die bedeutende deutsche wissenschaftliche und künstlerische Leistungen vorstellten“, sowie auf die Vermittlung von Kontakten zwischen deutschen Künstlern und Wissenschaftlern, die nach Toulouse
kamen, um so „Begegnungen mit Fachkollegen zu erleichtern.“373 Die Veranstaltungsformen im Institut variierten zwischen „Ausstellungen, Filmen,
Wortveranstaltungen und Musik.“374 Ein Höhepunkt in der Geschichte der
Stadt Toulouse und somit auch des dortigen Goethe-Instituts stellte das Kalenderjahr 1988 dar, denn in diesem Jahr war die Stadt an der Garonne gemeinsam mit der damals noch geteilten Stadt Berlin zur Kulturhauptstadt
Europas ernannt worden. Die meisten Veranstaltungen im Jahr 1988 dienten daher der Annäherung der beiden Städte. Mit thematischen Veranstaltungen wie „Berlin im Film“, „Filmstadt Berlin“, „Berliner Stadtlandschaften“
und „Atelier Berlin“ seien an dieser Stelle nur einige Höhepunkte dieses
Festjahres genannt. Trotz der Tatsache, dass Toulouse ein Jahr später im
internationalen Rampenlicht stehen würde, betonte man noch im Jahrbuch
des Jahres 1987, worin der eigentliche Schwerpunkt der Kulturarbeit lag:
in einer „Politik der kleinen, auf deutsch-französische Begegnungen gegründeten Schritte“,375 auf lokaler Ebene. Die Nennung zahlreicher Kulturveranstaltungen für den Untersuchungszeitraum lassen klar erkennen,
dass sich das Institut in Toulouse dem erweiterten Kulturbegriff verpflichtet hatte. Dies spiegelt sich auch in der großen Vielfalt unterschiedlicher Partner wider: das „Orchestre National de Chambre de Toulouse“ war
ebenso vertreten wie das deutsch-französische Institut in Ludwigsburg
oder zahlreiche lokale kulturelle Institutionen.
Das Goethe-Institut Nancy, Ende der 1980er Jahre noch verantwortlich für
die Außenstellen in Colmar und Straßburg, richtete in den 1980er Jahren
sein Veranstaltungsprogramm vor allem nach den überregionalen politi372
373
374
375
Jahrbuch des GI 1987, S.115.
Jahrbuch des GI 1987, S.115.
Jahrbuch des GI 1987, S.115.
Jahrbuch des GI 1986, S.124/125.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
175
schen Entwicklungen der SaarLorLux-Kooperation aus. Der transnationalen Kooperation innerhalb dieses „Drei-Länder-Ecks“ kam vor der Perspektive der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes durch die
Unterzeichnung des Maastricht Vertrages im Jahre 1992 als Keimzelle der
Europäischen Union eine ständig wachsende Bedeutung zu. Wichtigste
Etappen dieser interregionalen Kooperation in den 1980/90er Jahren
waren allen voran die Unterzeichnung eines zwischenstaatlichen Regierungsabkommens durch die Regionalkommission Saarland – Lothringen –
Luxemburg – Trier/Westpfalz (1980) und die Gründung des Interregionalen Parlamentarier-Rates (1986). Zu Beginn der 1990er Jahre erreichte die
interregionale Kooperation in dieser Großregion mit der Umsetzung erster Interreg-Projekte eine neue Dimension (1992). Das Goethe-Institut
stellte in den 1980er Jahren seine Programmarbeit und strategische Ausrichtung ganz in den Dienst des Gedankens der europäischen Integration:
„Das Goethe-Institut Nancy betreut zehn Départements in Ostfrankreich
mit so wichtigen Zentren wie Metz, Straßburg, Colmar, Epinal (...). Die Dynamik dieses Gebiets wird weitgehend bestimmt durch das erfolgreiche
Bemühen, in dem „Saar-Lor-Lux Raum“ (...) ein Mini-Europa im Herzen
des Kontinents zu schaffen, ein Bemühen, das auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene gleich wirksam ist.“376
Aus diesem Grunde sah sich das Goethe Institut Nancy auch als verantwortlichen Ansprechpartner für die Vermittlung von deutscher Kultur für
den gesamten „Raum Ostfrankreich.“ Im Rahmen der Kulturveranstaltungen wurde vor allem dem Ausbau des Deutschunterrichts „im Elsass und in
Lothringen“377 oberste Priorität eingeräumt. Als wichtigste Partner wurden in den Jahresberichten neben den Sekundarschulen vor allem die Universitäten Straßburg, Nancy, Metz und sogar Reims genannt. Was die
bewährten Veranstaltungsformen und thematische Ausrichtung des Instituts in Nancy angeht, führte man explizit als Schwerpunkt die Vermittlung
„zeitgenössischer Kunst“ an, was nach Ansicht der Kulturschaffenden auch
„den kulturellen Interessen der Region“378 entsprach. Auffallend ist, dass
das Goethe-Institut Nancy - wie auch andere Institute- bereits im Jahre
1987, die heutige Bundeshauptstadt Berlin zum zentralen Thema des Jahresprogramms machte. In diesem Rahmen wurden dem Publikum „fünf
376
377
378
Jahrbuch des GI 1986, S.125.
Jahrbuch des GI 1987, S.154.
Jahrbuch des GI 1988, S.113.
176
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Ausstellungen, ein Jazzkonzert, ein Kabarettabend, eine Theateraufführung,
ein Ballettabend und eine Filmserie“379 präsentiert.
Für das Goethe-Institut Lille stand bei der Konzeption der Kulturveranstaltungen gegen Ende der 1980er Jahre die Beziehung zu den lokalen Partnern im Mittelpunkt der Überlegungen. So beginnt die Präsentation der
Bilanz des Jahres 1987 mit den Worten: „Die kulturellen Veranstaltungen
wurden - soweit irgend möglich - mit Partnern durchgeführt.“380 Zu diesen
wichtigsten Partnern zählten während des Untersuchungszeitraumes vor
allem die Germanistische Abteilung der Universität Lille und die Stadt Lille.
Aus Sicht der Kulturschaffenden war dabei besonders die Stadt Lille für die
Imagebildung des Goethe-Instituts von herausragender Bedeutung: „Ganz
wichtig für das Ansehen des Instituts war die Zusammenarbeit mit dem
Festival de Lille, dem musikalischen Ereignis der Stadt.“381 Im Gegensatz zu
den anderen Goethe-Instituten wies das Goethe-Institut Lille in Bezug auf
die Themenvielfalt bei weitem das breiteste Spektrum aller Goethe-Institute in Frankreich auf. Ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Veranstaltungsformen seien an dieser Stelle nur einige der wichtigsten
Programmpunkte aus dem Kalenderjahr 1986 aufgeführt, welche diese
These stützen, so beispielsweise die Veranstaltungen „Reihe Videokunst“,
„Ökologie und Ökonomie“, „Neue deutsche Literatur“, „Moderne Plakatkunst“, „Stadterneuerung“ sowie „Kommunale Sportförderung.“ Im Bereich
Film jedoch wies das Institut während drei aufeinanderfolgender Jahre darauf hin, dass es zunehmend schwierig geworden sei, feste Partner an das
Institut zu binden: „Im Bereich des Films wird das Fehlen einer Kinemathek und damit eines wirklichen Partners immer wieder schmerzlich spürbar.“382 Und im Jahr der Wiedervereinigung wird hinzugefügt: „Das kann
keine Lösung auf Dauer sein.“383 In einigen Passagen der Jahrbücher wird
deutlich, dass das Liller Institut besonders dann Schwierigkeiten hatte,
Partner und Publikum zu finden, wenn es sich um innovative Kulturprojekte handelte. So klagt man im Jahr 1986, dass es in der Programmarbeit
oft schwierig sei, Partner für Projekte zu finden, „wenn es sich um Neues,
Ungewohntes handelt.“384 Sicherlich auch aus diesem Grunde waren es bis
zu Beginn der 90er Jahre vor allem die Wortveranstaltungen, welche „nach
wie vor den wichtigsten Bereich der Kulturarbeit in Lille“385 ausmachten.
379
380
381
382
383
384
385
Jahrbuch des GI 1987, S.120.
Jahrbuch des GI 1986, S.99.
Jahrbuch des GI 1987, S.120.
Jahrbuch des GI 1987, S.103.
Jahrbuch des GI 1988, S.120.
Jahrbuch des GI 1987, S.103
Jahrbuch des GI 1989, S.105.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
177
Das Goethe-Institut in Paris nahm schließlich, was die Qualität seiner Veranstaltungen anging, bereits gegen Ende der 1980er Jahre eindeutig eine
Sonderstellung ein. Diese Sonderstellung wurde in den betreffenden Jahrbüchern auch immer wieder von den Verantwortlichen eingefordert und
hervorgehoben, am deutlichsten im Jahre 1987: „Trotz der Fortschritte in
der kulturellen Zentralisierung in Frankreich hat Paris seine Vormachtstellung in Kunst und Wissenschaft, im Theater- und Musikleben beibehalten.“386 Entsprechend der hohen Konzentration von kulturellen
Angeboten auf Weltstadtniveau, sah sich das Institut - ganz im Gegensatz
zu den anderen Instituten in der Provinz - durchaus in einer Konkurrenzsituation zu anderen Kulturinstituten vor Ort. Die Aufgabe des Goethe-Instituts, so schreibt man im Jahresbericht 1988, könne „in einer Weltstadt,
die sich wie wenige andere im Schnittpunkt der geistigen und künstlerischen Strömungen der Zeit befindet“, nur sein, sich „nach Möglichkeit an
den Qualitätsansprüchen dieser Metropole zu messen.“387 Allem Anschein
nach wurde in dieser Periode nach Meinung der Kulturschaffenden vor Ort
diesem Anspruch durch die Zentrale in München noch keinesfalls Genüge
getan. In zwei Jahresberichten wird in Bezug auf das Kulturprogramm eine
„prekäre Personal - und Finanzsituation“388 im Bereich der kulturellen Programmarbeit beanstandet:
„Obwohl das Goethe-Institut die konzeptionellen und damit praktischen
Voraussetzungen für eine überzeugende Tätigkeit in diesem breiten Spektrum, den Sprachbereich ausgenommen, noch nicht erfüllt, versuchen zumindest einige Projekte des Kulturprogramms solchen Ansprüchen zu
genügen.“389
Das Kulturprogramm des Goethe-Instituts Paris hatte dabei nach eigener
Einschätzung nicht zum Ziel, ein „Modell Deutschland“390 vorzustellen,
sondern vielmehr die verschiedenen Grundeinstellungen Deutschlands und
Frankreichs zu wesentlichen Fragen wie z.B. dem Zentralismus/ Föderalismus, dem Nuklearbereich, der Ökologie bis hin „zu engeren kulturellen
oder philosophischen Fragen“391 aufzuzeigen. Einen Schwerpunkt der Pariser Veranstaltungen bildeten daher die so genannten „Dialogveranstal386
387
388
389
390
391
Jahrbuch des GI 1989, S.105.
Jahrbuch des GI 1989, S.105.
Jahrbuch des GI 1987, S.129.
Jahrbuch des GI 1988, S.120.
Jahrbuch des GI 1987, S.129.
Jahrbuch des GI 1988, S.120.
178
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
tungen“, in welchen interkulturelle Fragestellungen diskutiert werden sollten. Unter diesem Aspekt wurden 1986 die „Rencontres franco-germaniques“, der Dialogue franco-allemand“, das Symposium zu „Mensch und
Tod“, aber auch weitere zeitgesellschaftliche und gesellschaftskritische Fragestellungen wie zum Beispiel der Diskussionsabend zu „Stammheim“ im
Kulturprogramm angeboten. Diese Dialogveranstaltungen sollten laut Jahresbericht 1986 durch eine ständige Kooperation zwischen Goethe-Instituten und französischen Instituten
künftig auch in Deutschland
institutionalisiert werden.
Auch das weitere unter dem erweiterten Kulturbegriff konzipierte Kulturprogramm bestach durch seine große Qualität: so zählten beispielsweise im
Jahre 1986 Wolf Biermann, Eva-Maria Hagen und Konstantin Wecker bei Liederabenden ebenso zu den Gästen wie Sergiu Celibidache, welcher gar ein
mehrtägiges Seminar in der Avenue de Iéna abhielt. Eine weitere Konstante
im Programm war die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte im
europäischen Kontext. Als Höhepunkt dieses Programmschwerpunktes kann
sicherlich der Vortrag von Helmut Schmidt im Jahre 1989 angesehen werden,
welcher in seiner damaligen Funktion als Herausgeber der ZEIT „vor 1500
Zuhören“392 im Pariser Sitz der UNESCO zur aktuellen Weltlage sprach.
Neben dieser Strategie, gemeinsame Kulturprogramme mit europäischen
Partnerinstitutionen zu entwickeln, integrierte das Pariser Institut bei seiner Programmkonzeption scheinbar als einziges Zentrum die in den
1980er Jahren entstandenen „neuen Instrumente des (deutsch-französischen, G.F.) Austauschs, (...) den Deutsch-Französischen Kulturrat und das
Deutsch-Französische Hochschulkolleg“393. Zumindest führte das Pariser
Institut als einziges diese Partner im Jahrbuch explizit an.
392
393
Jahrbuch des GI 1986, S.105.
Jahrbuch des GI 1986, S.105.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
179
3.4.3 Fazit
Insgesamt muss festgehalten werden, dass die Bilanz der kulturellen Programmarbeit im Zeitraum von 1979 bis 1989 je nach Goethe-Institut sehr
unterschiedlich ausfiel, obwohl sich das Auswärtige Amt in Bonn zu Kontinuität und Vereinheitlichung der Kulturarbeit im Ausland verpflichtet
hatte. Diesen Befund unterstrich insbesondere der Vergleich der drei im
Süden und Südwesten Frankreichs wirkenden Institute in Toulouse, Bordeaux und Marseille: Die Institute in Toulouse und Marseille beklagten sich
über ein mangelndes Interesse seines Zielpublikums an deutscher Kultur
und führten die große Distanz zu Deutschland als Hindernis für eine erfolgreiche Kulturvermittlung an. Beide Institute schienen in den 1980er
Jahren einen Aufbruch nach Europa verschlafen zu haben. Anstatt aus der
geographischen Nähe zu Anrainerländern der Mittelmeerregion einen strategischen Nutzen zu ziehen, um ein europäisch ausgerichtetes Kulturzentrum mit deutsch-französischer Achse aufzubauen, beklagte man sich über
das mangelnde Interesse der lokalen Partner an deutscher Kultur. Einzig
dem benachbarten Zentrum in Toulouse gelang es gegen Ende der 1980er
Jahre, einen ersten Grundstein zu einer europäisch ausgerichteten Kulturund Programmarbeit zu legen. Entscheidender Erfolgsfaktor dieses Instituts war dabei der Grad der Kooperation mit lokalen Partnern aus der französischen Zivilgesellschaft.
Neben der Kooperation mit lokalen Partnern nahm in den 1980er Jahren
die Kooperation zwischen Goethe-Instituten und Universitäten oder Hochschulen eine Schlüsselrolle in der kulturellen Programmarbeit ein. Dies
wurde insbesondere in den Jahresberichten der Institute in Lille und Toulouse, aber auch in Paris und Nancy betont. In dieser wachsenden Verdichtung der Kooperationsprojekte zwischen Goethe-Instituten und
Universitäten lässt sich die von Lüsebrink anhand anderer Beispiele des
deutsch-französischen Kulturtransfers herausgearbeitete Tendenz (siehe
voran gegangenes Kapitel) der Elitenbildung der 1980er Jahre ablesen.
Dabei waren diese Kooperationen nicht selten auch Ausgangspunkte überregionaler wissenschaftlicher Netzwerkarbeit, wie es beispielsweise die
zahlreichen kulturellen Programmpunkte des Goethe-Instituts Nancy belegten. In dieser Zeit positionierte sich gerade dieses Institut als Schnittstelle
des kulturellen Austauschs zwischen den französischen Regionalhauptstädten Nancy, Metz und sogar Reims.
Wurde im vorangegangenen Kapitel in Bezug auf die deutsch-französischen
Kulturbeziehungen der Zeitraum der 1980er Jahre als Periode der Institutionalisierungen bezeichnet, da in dieser Zeit wichtige, auch heute noch wirkende, deutsch-französische Einrichtungen geschaffen wurden, so ist es
180
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
erstaunlich und bedauerlich, dass diese Einrichtungen von den Goethe-Instituten kaum als Partner in die Konzeption der Kulturveranstaltungen eingebunden wurden. Dies lässt vermuten, dass die damals verantwortlichen
Leiter der Goethe-Institute nicht unbedingt ausgewiesene Experten der
deutsch-französischen Kulturbeziehungen waren. Einzige Ausnahme bildete in dieser Hinsicht das Institut in der französischen Hauptstadt. Nur
hier wurden gegen Ende der 1980er Jahre innovative Veranstaltungen organisiert, welche entweder die neu geschaffenen Institutionen zum Thema
hatten oder gar in Kooperation mit diesen ausgerichtet wurden.
In den Zeitraum der 1980er Jahre fiel ohne Zweifel auch der Ausbau der
absoluten Sonderstellung des Pariser Goethe-Instituts. .Dies ließ sich unter
anderem -wie bereits aufgezeigt- an der sehr hohen Qualität der Veranstaltungen und der sehr elitären Auswahl der eingeladenen Gäste ablesen.
Auch in einem zweiten Punkt schlug das Hauptstadtinstitut einen innovativen Weg ein: das Goethe-Institut Paris setzte als erstes Institut mit seinen einer großen Anzahl von „Dialogveranstaltungen“ konsequent die vom
Auswärtigen Amt konzeptuell eingeforderten Themenkreise mit interkulturellen Schwerpunkt um. Es stellt sich natürlich hier die Frage, warum
diese Dialogveranstaltungen nur sehr vereinzelt auch von anderen Instituten der Provinz organsiert wurden.
Besonders das Goethe-Institut Paris behandelte in den 1980er Jahren
durchaus gesellschaftskritische Themenkreise wie Zentralismus-Föderalismus, Nuklearenergie oder auch Ökologie. Orientierte man sich am Goethe-Institut der Hauptstadt, traf in dieser Hinsicht die oben genannte
Bemerkung des konservativen Flügels der deutschen Bundesregierung
durchaus zu, dass das Goethe-Institut in Bezug auf seine Programmgestaltung Mitte und Ende der 1980er Jahre aktuellen und gesellschaftlichen Themen den Vorrang gab. Dennoch ergab unsere Analyse eindeutig, dass man
weit davon entfernt war, in Frankreich ein „düsteres Deutschlandbild“394
zu zeichnen, wie es beispielsweise Franz-Josef Strauß wiederholt gegen
Ende der 1980er Jahre zum Ausdruck gebracht hatte. Vielmehr spiegelte
das Kulturprogramm, dass man sich von diesem Zeitpunkt an partnerschaftlich mit deutsch-französischen Themenbereichen auseinandersetzte.
So lässt sich auch anhand der kulturellen Programmarbeit der Goethe-Institute die These belegen, dass die kulturellen Beziehungen zwischen
Deutschland und Frankreich nach der Phase der Aussöhnung nun endgültig in eine Phase der Freundschaft gemündet waren, in welcher nun der
kritische Dialog mit dem Partner die Gestaltung der Kulturprogramme bestimmte.
394
Jahrbuch des GI 1989, S.133.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
181
Neben diesen positiven Tendenzen der Programmentwicklung der GoetheInstitute der 1980er Jahre ließen sich jedoch auch einige negative Entwicklungen aufzeigen. Zum einen hatte das Goethe-Institut Lille in seinen
Jahresberichten mehrfach darauf verwiesen, dass es zunehmend auf
Schwierigkeiten gestoßen war, lokale Partner in seine Kulturveranstaltungen einzubinden. Dieser Rückgang des Engagements seitens der französischen Zivilgesellschaft äußerte sich laut Ansicht des Instituts vor allem
bei innovativen Projekten, so beispielsweise im Bereich des deutschen
Films. Dies legt die Deutung nahe, dass es etwa Mitte der 1980er Jahre in
Lille (noch) nicht gelungen war, eine neue Generation von Kooperationspartnern und Publikum an das Goethe-Institut zu binden, welche in dieser
Phase des deutsch-französischen Kulturaustauschs neue Impulse gegeben
hätte. An diesem Beispiel ließe sich die bereits angeführte, von Bock aufgestellte These belegen, dass in den 1980er Jahren „die (zivil-) gesellschaftliche
Interaktionsebene im europäischen wie im deutsch-französischen Rahmen
eher hinter der politischen Dynamik zurückblieb“395 Zum anderen führte
die Analyse zu dem alarmierenden Ergebnis, dass einzig das Goethe-Institut
Nancy in seiner kulturellen Programmarbeit die Bedeutung der Vermittlung
der deutschen Sprache unterstrich und dies auch explizit in seinem Jahresbericht anführte. 25 Jahre nach der Unterzeichnung des Elyséevertrags
setzte im Jahre 1987 allein dieses Kulturinstitut in dem Ausbau der deutschen Sprache die oberste Priorität seiner kulturellen Programarbeit. Dies
ist besonders vor dem Hintergrund von Bedeutung, als dass der Leiter des
Pariser Instituts quasi für alle Goethe-Institute noch ein Jahr zuvor festgestellt hatte, dass die „Kenntnis der Partnersprache (…) in den beiden Ländern vorrangiges Problem 396 sei.
Es ist auch festzuhalten, dass nach wie vor nur sehr wenige Veranstaltungen dem europäischen Einigungsprozess und europäischen Themen gewidmet waren. Hier stellten, wie bereits näher ausgeführt, die Strategien
der Institute in Toulouse und Nancy eine Ausnahmeerscheinung dar.
Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse gegen Ende der
1980er Jahre legen rückblickend die Jahrbücher des Goethe-Instituts noch
ein weiteres wichtiges Zeugnis ab: Keine einzige aufgeführte Veranstaltung
der Goethe-Institute bis 1988 wurde dem bereits Mitte der 1980er Jahre
einsetzenden Prozess der Perestroika gewidmet, welcher bereits mit der
Ernennung Michail Gorbatchows im März 1985 zum Generalsekretär des
Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion eingesetzt
hatte.
395
396
Jahrbuch des GI 1988, S.120.
Zitiert nach Kathe, ibid. S.350.
182
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Dieser „Umbau“ der Sowjetunion wurde erst Ende des Jahres 1989 in den
Kulturveranstaltungen thematisiert, als Gorbatschows Politik der Glasnost
(wörtlich: „Offenheit“) bereits das Ende des Kalten Krieges herbeigeführt
und erst den Fall der Mauer ermöglicht hatte. Diese Ereignisse überraschten die Kulturschaffenden scheinbar noch mehr als die verantwortlichen
Politiker im Auswärtigen Amt.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
183
3.5.1 Die deutsche auswärtige Kulturpolitik der 1990er Jahre:
im Spannungsfeld zwischen Wiedervereinigung,
europäischer Integration und Globalisierung
Vorbemerkungen
Die Auswärtige deutsche Kulturpolitik Deutschlands nach der Wiedervereinigung kann nur „im Spannungsfeld von deutscher Wiedervereinigung
und Globalisierung“397 richtig eingeordnet werden. Deshalb ist es für das
Verständnis insbesondere unserer Ausführungen im zweiten Teil dieses
Kapitels, welches sich mit der konzeptuellen Ausrichtung der deutschen
Kulturpolitik der 1990er Jahre und den deutsch-französischen Kulturbeziehungen auseinandersetzt, von grundlegender Bedeutung, zuvor kurz
näher auf den historischen Gesamtkontext nach der politischen Zeitenwende von 1989 und 1990 einzugehen; dass heißt auf die deutsche Innenpolitik und das dadurch im Ausland entstehende Deutschlandbild, die
europäische Integration und schließlich das Phänomen der Globalisierung.
Aufgrund der Komplexität dieser drei Themenbereiche werden die folgenden Ausführungen in diesem Sinne verkürzt dargestellt, als dass nur
für unsere Fragestellung relevante Tendenzen aufgegriffen werden.
Die deutsche Innenpolitik und das Deutschlandbild zur Zeit der
Wiedervereinigung
Mehr noch als in den vorangegangenen Phasen deutscher auswärtiger Kulturpolitik waren in der Zeit nach der Wiedervereinigung Kultur- Innenund Außenpolitik miteinander verknüpft. Nach dem Mauerfall im November 1989 führte der Prozess der Wiedervereinigung mit der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1991 zur Souveränität
Deutschlands. Die vertragliche Vereinbarung, die die Regierung Kohl und
Genscher binnen kürzester Zeit während der 4+2 Verhandlungen mit
Frankreich, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion ausgehandelt
hatte, konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der tief greifende
Prozess politischer, sozialer und gesellschaftlicher Umwälzungen in
Deutschland noch immer in vollem Gange war. Das Versprechen Helmut
Kohls im Juli des Jahres 1990 anlässlich des Inkrafttretens der WährungsWirtschafts-und Sozialunion, die Neuen Länder durch gemeinsame Anstrengungen in Ost und West innerhalb weniger Jahre in „blühende
Landschaften“398 zu verwandeln, konnte von der Regierung so schnell wie
angekündigt nicht umgesetzt werden. Neben der Umstellung der Plan397
398
Bock, Deutsch-Französische Kulturbeziehungen, in: Handbuch Französisch, ibid. S.606 .
Jahrbuch des GI 1986, S.105.
184
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
wirtschaft zur Marktwirtschaft blieben besonders zu Beginn der 1990er
Jahre viele innerdeutsche Probleme ungelöst. Stellvertretend für eine Reihe
Deutschlandexperten hatte Vaillant bereits im Jahre 1990 vorausgesagt,
dass der schwerste Teil der Wiedervereinigung noch vor den Deutschen
liegen würde: „Le plus difficile sera assurément de rapprocher mentalités
et cultures, de combler le fossé entre Allemands de l’Ouest et de l’Est.“399
Entsprechend machte auf deutscher Seite in dieser Phase der Wiedervereinigung der Ausdruck der „Mauer in den Köpfen“ die Runde, welcher die
Beziehungen zwischen „Ossis“ und „Wessis“ zum damaligen Zeitpunkt
mehr als treffend charakterisierte. Die innerdeutschen Spannungen gipfelten u. a. in fremdenfeindlichen Aktionen von Rechtsradikalen in Hoyerswerda, später Solingen und Mölln (von Rechtsradikalen verübte
Anschläge auf Zuwanderer, welche nach dem Fall des eisernen Vorhangs
teils als Asylbewerber, teils als deutschstämmige Aussiedler nach Deutschland gekommen waren). Bilder rechtsextremer Anschläge auf Einwanderer
wurden in Frankreich und der Welt ebenso wahrgenommen, wie die Lichterkette von Hunderttausenden von Deutschen, welche auf die Straße gegangen waren, um ihre Solidarität mit den Emigranten friedlich zu
bekunden.
Eine große Anzahl von französischen Deutschlandspezialisten kritisierte
bereits zu Beginn der 1990er Jahre im Verlaufe der Vereinigung wachsende
Ungleichheiten zwischen Ost und West, vor allem im sozialen und beruflichen Bereich. Ihre Kritik ging sogar so weit, dass man, wie Vaillant schrieb,
der Innenpolitik der Bundesregierung einen „esprit du colonisateur“400
unterstellen konnte. Folgendes Zitat des international anerkannten Historikers und Germanisten Gilbert Badia fasst die Kritik einer Reihe von französischen Germanisten an dem Vorgehen der damaligen bundesdeutschen
Innenpolitik zusammen: “Hier la RFA avait pour moi des aspects rassurants. L’Allemagne d’aujourd’hui me surprend, l’Allemagne de demain m’inquiète.“401
Diese Unsicherheit, ja „Angst“ vor dem wiedervereinigten Deutschland,
spiegelte sich zu Beginn der 1990er Jahre auch in der französischen Pres-
399
400
Singer, ibid. S.22.
„Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern
und Sachsen Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende
Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“ Helmut
Kohl: Fernsehansprache am 1. Juli 1990. In: Helmut-Kohl.de, 1. Juli 1990, Zugriff am 21.
7. 2008.
401 Jérôme Vaillant: L’unité allemande achevée et à faire. In: Allemagne d’aujourd hui, Nr. 114,
(1990), S.5-7.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
185
seberichterstattung wieder und wurde somit auch einer breiteren französischen Öffentlichkeit nähergebracht.402 Auch die Haltung des damaligen
französischen Staatspräsidenten Mitterrand kann als Indiz für die Perzeption des wiedervereinigten Deutschlands im Ausland angesehen werden.403 Noch während des 54. deutsch-französischen Gipfels am 2. und 3.
November 1989 in Bonn hatte Mitterrand auf die Frage nach einer möglichen Deutschen Einheit geantwortet, dass er keine Angst vor der deutschen
Wiedervereinigung habe, obwohl dies eine Frage sei, die in zunehmendem
Maße deutsche und französiche Politiker und Journalisten interessiere: „Je
n’ai pas peur de la réunification […] l’histoire est là. Je la prends comme
elle est.“404 Die Tatsache jedoch, dass Mitterrand bereits am 22. Dezember
1989 zu einem offiziellen Staatsbesuch in Ostberlin mit Ministerpräsident
Hans Modrow zusammentraf, machte deutlich, dass auch dem französischen Staatspräsidenten damals zwei Deutschland lieber waren als eins.
Als Gegner der deutschen Einheit ermunterte Mitterrand bei diesem Treffen Modrow, an dem Bestehen der DDR festzuhalten, ebenso wie er wenig
später in Kiew Gorbatschow vor einem neuen Großdeutschland warnte.
Mitterrand, wie damals auch die britische Premierministerin Thatcher, sah
in der Stabilität der DDR auch eine Sicherung des Gleichgewichts innerhalb
Europas.405
Das Vorgehen Mitterrands in Sachen deutscher Einheit, welches heute auch
aus französischer Sicht als historische Fehleinschätzung gewertet wird,
macht vor allem aber auch zweierlei deutlich: trotz ausgeprägter intergouvernementaler, institutioneller, aber auch zivilgesellschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich kam es in der Zeit nach
der Wiedervereinigung zu so starken Irritationen in den deutsch-französischen Beziehungen, dass alte Ängste eines übermächtigen Großdeutschlands wieder aufkamen. So belegt – laut dem Magazin Focus - im Jahre 2009
erstmals veröffentlichtes Material vom Londoner Außenministerium, dass
Mitterrand am 20. Januar 1990 in einem Gespräch mit Thatcher bemerkt
hätte, dass die Deutschen zur Zeit der Wiedervereinigung unter einem
402
Jérôme Vaillant: „Une hypothèse pessimiste: L’esprit du colonisateur apportant la civilisation aux peuples qu’il „aide“ s’affirme et déborde les frontières allemandes...“ In: Allemagne d’aujourd’hui Nr.120 (1992), S.7.
403 Gilbert Badia, Interrogations, in: Allemagne aujourd’hui, Nr. 120 (1992), S.17.
404 John Theobald/ Gertrud Zuber : La perception de la chute du mur de Berlin dans la presse
française et britannique, Kapitel: „La peur de l’unité allemande.” In: Allemagne d’aujourd’hui, Nr.125 (1993).
405 Hierzu auch die Doktorarbeit von Elisa Eidam: La tentation allemande. Nationale Identität und Nationalismus im vereinten Deutschland aus französischer Perspektive. Eine Presseanalyse. […]. i. E.
186
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
„geistigen Schock“ gestanden hätten und dadurch wieder zu „den schlechten Deutschen wurden, die sie früher waren“406
Der historischen Fehleinschätzung Mitterrands steht jedoch auch das Versäumnis der Regierung Kohl/ Genscher gegenüber, gerade zu Beginn der
1990er Jahre vorrangig innenpolitische Eigeninteressen verfolgt zu haben,
anstatt durch außenpolitische Akzente den Ängsten des französischen
Nachbarn oder auch anderen Partnern in der Welt entgegengetreten zu
sein. Es wird daher im Folgenden insbesondere zu überprüfen sein, ob sich
diese Tendenz auch in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen ablesen ließ.
Deutsche Auswärtige Kulturpolitik und die europäische Integration
Neben den innenpolitischen Herausforderungen der deutschen Wiedervereinigung, welche, wie oben kurz aufgezeigt, unweigerlich auch außenpolitische Wellen schlug, stellte die europäische Integration eine weitere
Herausforderung für die Regierung Kohl/ Genscher dar. Durch die Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht im Februar 1992 hatten sich die
Beitrittsländer neben einer Kooperation in den Bereichen Justiz und Inneres zu einer gemeinsamen Außen – und Sicherheitspolitik verpflichtet, was
bis dato den bedeutendsten Schritt europäischer Integration seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1967 darstellte. Der Artikel
128 „Kultur“ schaffte dabei einen europäischen Rahmen für die Erarbeitung eines gemeinsamen Kulturkonzepts. Die Gemeinschaft verpflichtete
sich darin erstens, „einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt, sowie
gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes“ zu leisten, zweitens, „durch ihre Tätigkeit die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten“ zu fördern und drittens, die Bereiche der „Verbreitung der
Kultur und Geschichte der europäischen Völker“, „des Schutzes des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung“ und des „nichtkommerziellen
Kulturaustauschs“407 zu fördern. Erstmals in der Geschichte der europäi-
406
407
Zitiert nach: www.mitterrand.org/spip.php?article250-Frankreich, Zugriff am: 21. 8.2011
Dazu auch Jérôme Vaillant: „Au contraire, la stabilité de la RDA apparaît comme nécessaire
à l’equilibre européen. L’Europe des douze peut contribuer à sa stabilisation à sa facon et
dans la mesure de ses moyens. Elle y contribuera d’autant mieux qu’elle sera plus unie. La
visite officielle de F. Mitterrand en RDA, trois jours seulement après le congrès extraordinaire du SED à la mi-décembre est une facon on ne peut plus claire d’affirmer ce point
de vue.” In: Allemagne d’aujourd’hui , Nr. 109/110 (1989), S.8.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
187
schen Kooperation wurde somit Kulturpolitik und ihre Förderung rechtsverbindlich festgeschrieben. Das für unsere Ausführungen wichtigste Prinzip des Maastrichter Vertrages war dabei das Prinzip der Subsidiarität,
welches besagte, dass auf europäischer Ebene Kulturprojekte nur dann gefördert werden sollten, wenn zuvor keine nationale Lösungen gefunden
worden waren. Dieses Prinzip war ein eindeutiger Aufruf zur europäischen
Kooperation im Kulturgeschäft, da die kulturellen Förderprogramme nur
komplementär zu bereits bestehenden europäischen Kooperationen abberufen werden konnten. Für die kulturelle Kooperation der 1990er Jahre
bedeutete dies, dass man einzig durch mehr Dialogbereitschaft, mehr
Transparenz in der Zusammenarbeit und mit gemeinsamer Zielsetzung die
Zukunft einer europäischen Kulturpolitik gestalten konnte. Neben Kolboom
und Barillaud sah eine große Anzahl von Experten zu Beginn der 1990er
Jahre die Zukunft der deutsch-französischen (Kultur-) Beziehungen in
einem „neuen Europa“408 mit einer gemeinsamen kulturellen Identität.
In Folge der Diskussionen um eine „europäische Kulturpolitik“, wurde leider erst gegen Ende der Legislaturperiode der christlich-liberalen Koalition die Frage diskutiert, wie auch auf institutioneller Ebene eine
fruchtbare Zusammenarbeit zu gestalten wäre. Als „verführerische Idee“409
wurde immer häufiger das Konzept „Europäischer Kulturinstitute“ diskutiert, um „Europa unter einem Dach“410 zusammenzufassen.
Im Rahmen der europaweiten Sparzwänge im Bereich der Kultur erschien
die Idee eines „Haus Europa“ vielen als beste Lösung:
„Kein europäisches Land kann auch nur annähernd weltweit präsent sein,
gemeinsam ginge es. Deshalb brauchen wir einen Modellversuch. Quasi
ein Haus Europa, in dem auch kleinere Länder Raum fänden. Ein Haus der
regionalen Identifikation und europäischen Integration. Die Europäer
unter einem Dach, ohne zentrale Federführung. Jeder müsste über seine
Programmarbeit souverän entscheiden können.“411
408 Imke Henkel: Was Thatcher und Mitterrand über die Deutsche Einheit dachten. In: Focus
Magazin, Nr 38 (2009), S.111.
Vertrag über die europäische Union, Amtsblatt Nr. C 191 vom 29. Juli 1992, Paragraph
128.
410 „Les Allemands et les Français doivent prendre conscience que la culture, par le poids
qu’elle a pris, sera un argument de plus en plus important pour légitimer les Etats et leurs
sociétés dans l’Europe de demain”, Ingo Kolboom/ Marie-Christine Barillaud : Les relations culturelles franco-allemandes dans la nouvelle Europe, in: Allemagne d’aujourd’hui,
Nr. 116 (1991), S.133.
411 Bruno Bourg-Broc: Eine verführerische Idee, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 1+2
(1997), S.7.
409
188
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Im den folgenden Ausführungen in Bezug auf die konzeptuelle Weiterentwicklung und die inhaltliche Gestaltung der Programmarbeit wird auch zu
prüfen sein, ob die deutsche auswärtige Kulturpolitik diese „Chance
Europa“ zu nutzen wusste.
Auswärtige Kulturpolitik und Globalisierung
Nach dem Ende der Blockkonfrontation bestimmte zunehmend auch der
Begriff der Globalisierung die Debatten um die Auswärtige Kulturpolitik.
Die Frage, was eine national ausgerichtete Kulturpolitik in einer Zeit bewirken konnte, in der sich „die Entscheidungszentren immer mehr zu den
internationalen Organisationen und Konzernen hin verschieben“412, stellte
der Prozess der Globalisierung (und stellt auch heute noch) die dritte große
Herausforderung der deutschen auswärtigen Kulturpolitik nach der Wiedervereinigung dar. Wie die Deutsche Einheit und die europäische Integration bedeutete dieser Prozess der zunehmenden weltweiten Verflechtung
aller Lebensbereiche gleichsam „Chancen und Risiken“413 der bundesdeutschen Kulturpolitik, wie es der damalige Bundespräsident Roman Herzog bei einer Rede anlässlich der Verleihung der Goethe–Medaille in
Weimar am 22. März 1998 deutlich machte. Seine Rede mit dem Titel „Globalisierung macht auswärtige Kulturpolitik erst möglich“414 forderte im
Bereich des globalen Kulturaustauschs von den Kulturschaffenden vor
allem die Fähigkeit ein, „mit Fremdheit umzugehen“ und Deutschland und
seine Kulturpolitik zu einer „Werkstatt des interkulturellen Dialogs“ zu machen.415 Herzog griff in einer zentralen Passage seiner Ausführungen die
1994 von Huntington aufgestellte These des „Clash of civilisations“416 auf.
Dieser hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende
des kalten Krieges in seinem 1996 ins Deutsche übersetzten Werk eine Verschiebung der Konflikte zwischen Ideologien hin zu Konflikten zwischen Zivilisationen prophezeit.
Auch wenn zahlreiche Untersuchungen mittlerweile belegt haben, dass der
„Anspruch von Wissenschaftlichkeit (der Thesen Huntingtons, G.F.) einer
412
413
414
415
416
Claus-Peter Grotz, Europa unter einem Dach, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 1+2,
(1997), S.6.
Grotz, Europa unter einem Dach, ibid. S.6.
Susanne Sporrer: Editorial, in: Zeitschrift für Kulturaustausch: Globale Herausforderung,
(1/1998), S.3.
Roman Herzog: Globalisierung macht auswärtige Kulturpolitik erst möglich, in: Zeitschrift
für Kulturaustausch: 1/98 (1998), S.124-126, Hier: S.124.
Roman Herzog: Globalisierung macht auswärtige Kulturpolitik erst möglich, in: Zeitschrift
für Kulturaustausch: 1/98 (1998), S.124-126.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
189
kritischen Analyse nicht stand (hält)“417, ist nicht von der Hand zu weisen,
dass die Veröffentlichung seiner Thesen die Debatte um die fundamentale
Bedeutung von Zivilisations- und Kulturvermittlung neu entfacht hatte.
Am besten erklärt der Romanist Robert Picht das Phänomen der Rezeption und den Einfluss der Thesen Huntingtons auf die Kulturdebatten der
späten 1990er Jahre. Seiner Meinung nach bestätigte nämlich damals bei
vielen bereits der bloße Titel des Buches, „was man sich irgendwie schon
immer gedacht hat“, auch wenn eine breite Öffentlichkeit, „die das zum
Titel gehörende Werk erst gar nicht gelesen“ [hatte]. Man [wusste] ja sofort,
was gemeint [war]“418. So ließ sich als Tenor der Debatten um den „Kampf
der Kulturen“ lediglich ableiten, was Bundespräsident Herzog forderte,
nämlich, dass es vorrangig die Aufgabe der Kulturpolitik sei, die These Huntingtons „in der Praxis der alltäglichen Kulturarbeit zu widerlegen.“419
Deutlich wurde durch die Diskussion um die Thesen von Huntington vor
allem eines: dass in Zeiten der Globalisierung und des „Zusammenpralls
der Kulturen“ einem Kulturdialog mit der Ziel der internationalen Konfliktvermeidung eine immer größere Bedeutung beizumessen war. Das
setzte vor allem eines voraus: dass Deutschland bei der Ausrichtung seiner Kulturpolitik auch die Bereitschaft erkennen ließ, von seinen Partnern
zu lernen.
Folgerungen
Aus den vorangegangen Überlegungen lassen sich folgende Leitfragen formulieren, die für die nun folgende Analyse der konzeptuellen Weiterentwicklung deutscher auswärtiger Kulturpolitik und der deutsch-französischen
Kulturbeziehungen der 1990er Jahre zielführend sein sollen:
1. Welchen Stellenwert nimmt die deutsche auswärtige Kulturpolitik im Rahmen
der deutschen Wiedervereinigung ein?
2. Welches Deutschlandbild soll vom wiedervereinigten Deutschland durch die Auswärtige Kulturpolitik vermittelt werden?
3. Welche Entwicklungstendenzen weisen die deutsch-französischen Kulturbeziehungen der 1990er Jahre auf?
4. Welche Rolle spielt die europäische Integration bei der Konzeption und der Programmgestaltung deutscher auswärtiger Kulturpolitik?
417
418
Roman Herzog, Globalisierung macht auswärtige Kulturpolitik erst möglich, ibid. S.127.
Samuel Phillips Huntington, The clash of civilizations (Der Kampf der Kulturen, Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert), New York 1996.
419 Siehe zuletzt bei Peter Stachel: Eine einfache Erklärung für einfache Probleme, in:
www.kakanien.ac.at/beitr/theorie/PStachel2.pdf, Zugriff am 21.08.2011.
190
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
5. Wie wird der „Dialog der Kulturen“ durch die Kulturpolitik weiterentwickelt?
6. Wie positioniert sich das Goethe-Institut in den Jahren des Sparzwangs?
Die offizielle Auswärtige Kulturpolitik des vereinten Deutschland
Im Zuge der europäischen Integration wurden immer mehr Schnittpunkte
zwischen nationaler und europäischer Kulturpolitik sichtbar. Auch im konzeptuellen Bereich ging es nicht mehr nur um nationale Interessen, sondern auch um die Frage, welchen Platz die deutsche Kulturpolitik im
Rahmen der Europäisierung und Internationalisierung einzunehmen hatte.
Erste vorsichtige offizielle Schritte zum Einläuten einer „Wendezeit“ in der
deutschen auswärtigen Kulturpolitik der 1990er Jahre wurden während
eines Symposiums im September 1990 im Bonner Wissenschaftszentrum
gemacht, welches zum einen die „Außenpolitik an einer Zeitenwende“, zum
anderen die „Europäische Kulturpolitik“420 zum Thema hatte.
An diesem Symposium nahmen 30 Teilnehmer und 90 Gäste aus allen Staaten des ehemaligen Ostblocks, aus fast allen übrigen Ländern Europas, aus
den Vereinigten Staaten, aus beiden Teilen Deutschlands sowie Vertreter
des Europarats und der Kommission der europäischen Gemeinschaften teil,
was durchaus als Signal an die deutschen Partner in der Welt gewertet werden kann: Ein neues Konzept deutscher auswärtiger Kulturpolitik sollte
durch einen weltweiten Dialog entwickelt werden.
In seinem Einführungsvortrag referierte der Leiter der Kulturabteilung des
Auswärtigen Amtes, Barthold C. Witte, erstmals Tendenzen der „Auswärtigen Kulturpolitik des vereinten Deutschland“421 seit dem Fall der Mauer.
Gleich zu Beginn seiner Rede machte Witte rückblickend deutlich, dass vor
dem Hintergrund der Zeit der Umbrüche und Konflikte in der Weltpolitik
[der Krieg in Jugoslawien, der Abbau der Kernwaffen, die Schuldenkrise in
der Dritten Welt, die Auflösung der Sowjetunion, G-F.) das vereinte
Deutschland in den vorangegangenen zwei Jahren dem aktuellen Krisenmanagement den Vorrang vor der konzeptuellen Weiterentwicklung der
Leitlinien der auswärtigen Kulturpolitik gegeben hatte.
Im ersten Teil seiner Ausführungen legte Witte vor allem Wert darauf, die
Kontinuität in der deutschen auswärtigen Kulturpolitik zu betonen: „Wir
machen im Kern weiter wie bisher.“422 Diese Kontinuität spiegele sich zum
einen in der allgemeinen Zielsetzung aller weiter bestehenden Mittleror420 Robert Picht: Der Konflikt der Kulturen und die große Mutation. In: Zeitschrift für Kultur421
422
austausch 44/4 (1994), S.438.
Herzog, ibid. S.125.
Zeitschrift für Kulturaustausch: Wendezeit – Zur Auswärtigen Kulturpolitik 2 (1992), S.7
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
191
ganisationen wider, welche das „friedens- und freiheitsfördernde Netzwerk
der kulturellen Kooperation zwischen Menschen und Völkern“423 ausbauen wollten. Zum anderen versprach Witte, dass es zu keiner Akzentverschiebung deutscher Kulturpolitik zu Lasten der Regionen im Westen
und Süden Europas in Richtung Osten geben würde: „Alle bisherigen Vorhaben (...) mit Westeuropa laufen weiter. Kein einziges Goethe-Institut
wird geschlossen, weil wir in Mittel- und Osteuropa neue Institute eröffnen (...).“424 Dennoch müsse man nun nach dem Ende der Teilung Europas
den „erzwungenen Rückstand“425 in den Kulturbeziehungen aufholen. Zur
Veranschaulichung nannte Witte Zahlen der Länderstatistik des Kulturhaushaltes des Kalenderjahres 1987, also vor der Öffnung Mittel-und Osteuropas: demnach standen 1987 für Westeuropa Ausgaben in Höhe von
14% des Gesamthaushalts (davon allein 4.3 % für Frankreich) lediglich
3.8% für Osteuropa gegenüber (davon 1,1 % für Polen und 0,5% für Russland).426 Mehrfach betonte Witte an dieser Stelle, dass es im Rahmen der
Auswärtigen Kulturpolitik keinen „deutschen Sonderweg“ - im Gegensatz
zu anderen europäischen Staaten - geben würde. Als lehrreich für die europäische Dimension von Kulturpolitik führte Witte dabei den „modellhaften“ partnerschaftlichen Dialog deutsch-französischer Kulturbeziehungen
an, welcher es durch eine dauerhafte Vernetzung von Vorhaben und Institutionen427 geschafft hätte, in „die dritte Dimension moderner auswärtiger
Kulturpolitik“428 vorzustoßen. In einem dritten Teil erörterte Witte das
Vorgehen der Integration der bisherigen DDR im Bereich der Auswärtigen
Kulturpolitik. Diese sei nach den Prinzipien der Pluralität und Liberalität
des interkulturellen Dialoges verlaufen, wobei „scharfe ideologische Ausrichtungen Ost-Berlins“ jedoch bei der Übernahme der Programme und
Personen „ihren Preis gefordert“ hätten. Keinesfalls sei mit einer „westdeutschen Dampfwalze alles plattgedrückt“429worden, was ursprünglich
zur Kulturpolitik der ehemaligen DDR gezählt hätte. Schließlich leitete
423
424
425
426
427
428
429
Barthold C. Witte: Die Auswärtige Kulturpolitik des vereinten Deutschland, in : Wendezeit
– Zur Auswärtigen Kulturpolitik, Bonn 1992, S.12-20.
Witte, ibid. S.13.
Witte, ibid. S.13.
Witte, ibid. S.13.
Witte, ibid. S.13.
Witte, ibid. S.13.
Als konkrete Beispiele nennt Witte an dieser Stelle das forschungsorientierte Stipendienprogramm Procope, das Deutsch-Französische Hochschulkolleg, das SaarbrückenMetzer Hochschulinstitut, den Deutsch-Französischen Kulturrat und den „Kulturkanal“.
Witte, ibid. S.14.
192
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Witte - im Sinne einer deutschen Kulturpolitik in Europa - für die kommenden Jahre deutscher auswärtiger Kulturpolitik, folgende Schwerpunkte
heraus:
1. Die Vermittlung eines friedlichen, demokratischen aber auch ungeschminkten Deutschlandbildes
2. Die Darstellung des vereinten Deutschlands
3. Die schnelle Eingliederung der neuen Länder in den internationalen
Austausch
4. Hilfestellung für die jungen Demokratien und Reformbewegungen430
Wenngleich Witte auch in zentralen Passagen seiner Ausführungen immer
wieder die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Dimension der Kultpolitik hervorhob, schloss er seinen Vortrag damit ab, die kulturellen Eigenständigkeiten der Mitgliedsstaaten zu bewahren: „Europäische
Kulturpolitik zielt nicht auf kulturelle Nivellierung, ganz im Gegenteil,“ ihre
eigentliche Stärke sei die „Vielfalt in der Einheit.“431
Insgesamt muss abschließend bewertend festgehalten werden, dass die
Präsentation der auswärtigen Kulturpolitik Wittes vor allem das Ziel verfolgte, die anwesenden Partner dahingehend zu beruhigen, dass das vereinte Deutschland an den Grundsätzen seiner Leitlinien zur auswärtigen
Kulturpolitik festhielt. Des Weiteren sollte auch der Sorge insbesondere
westeuropäischer Länder entgegengetreten werden, dass man osteuropäischen Ländern künftig großen Vorrang in der auswärtigen Kulturpolitik geben wolle. Auch wenn Witte die Außenpolitik des vereinten
Deutschlands mit den Schlagwörtern „Kontinuität“ und „Wandel“432 umschrieb, ist durch unsere Analyse auch deutlich geworden, dass in den
neuen Leitlinien kaum „Wandel“ festzustellen ist. Dieser Neuansatz war
zaghaft und zögerlich. In gewissen Sinne fühlte man sich gar an die Überlegungen zur Außenkulturpolitik der 1950er Jahre erinnert, in welchen die
Bundesrepublik eine ähnlich abwartende Haltung einnahm. Dabei bildete
die von Witte als „lehrreich“ angeführte Bilanz der deutsch-französischen
Beziehungen die einzige mutige und bekennende Ausnahme.
Dass es zumindest fraglich war, im Zuge der anwesenden Weltöffentlichkeit
die im Bereich der deutsch-französischen Kulturbeziehungen gewonnenen
Erfahrungen unreflektiert auf Drittländer zu übertragen, mahnte während
430
431
432
Witte, ibid. S.13.
Witte, ibid. S.16.
Witte, ibid. S.17-18.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
193
des Symposiums zumindest Robert Picht, damaliger Direktor des deutschfranzösischen Instituts in Ludwigsburg, kritisch an:
„Wirtschaftlich überziehen wir Mittel- und Osteuropa mit Strukturen und
Rezepten, die in aufwendigen Programmen zur Managerschulung verabreicht werden. Wir fragen viel zu wenig, inwieweit diese den örtlichen,
eben auch kulturellen Gegebenheiten angemessen sind. Wir lehren, wo
wir zugleich lernen sollten. Schon in Westeuropa ist wirtschaftliche Kooperation stark von der Berücksichtigung kultureller Differenzen abhängig. Wie mehr noch im Osten!“433
Erst in der 12. Wahlperiode des deutschen Bundestages, am 1. Juni 1993,
d.h. etwa vier Jahre nach dem Fall der Mauer und drei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, kam der deutsche Bundestag dazu, sich mit „dem
Bild des vereinten Deutschland als Kulturnation in einer sich wandelnden
Welt“434 zu befassen. Die Tatsache, dass es im ersten gesamtdeutschen Parlament nicht bereits früher zu einer Diskussion über die Ausrichtung der
Auswärtigen Kulturpolitik gekommen war, verdeutlichte, wie sehr die Regierung diesen Sektor bis dato vernachlässigt hatte. Maaß formulierte
hierzu treffend, dass die bundesdeutsche Politik „zu sehr mit sich selbst
beschäftigt (war), um ihr neues Bild im Ausland zu reflektieren.“ 435 Zum
einen lässt sich nachvollziehen, dass die Arbeit der bundesdeutschen Politiker zunächst verstärkt dem innerdeutschen Einigungsprozess gewidmet
worden war. Zum anderen jedoch war man seitens der Bundesregierung
auch früh alarmiert worden, dass das Bild des wiedervereinigten Deutschlands in der Welt in den Jahren nach der Wiedervereinigung zumindest
„starken Schwankungen“436 unterworfen war und besonders seitens der
westlichen Welt die Frage nach der zukünftigen Rolle Deutschlands in der
Welt zunehmend diskutiert wurde. Neben einer kritischen Bewertung der
Haltung Deutschlands im Golfkrieg wurden vor allem innenpolitische Ereignisse im Ausland negativ bewertet. Hierzu notierte die Bundesregierung
im Dezember 1993: „In jüngster Zeit hat die rechtsextreme Gewaltkrimi433
434
435
Witte, ibid. S.19.
Witte, ibid. S.17.
Robert Picht: Erklärungen und Diskussionsbeiträge der Teilnehmer II, in: Zeitschrift für
Kulturaustausch, 1 (1992), S.72.
436 Große Anfrage der CDU/CSU-FDP Fraktion, 12. Wahlperiode (1990–1994), Laufende
Nummer 72, Das Bild des vereinten Deutschland als Kulturnation in einer sich wandelnden Welt, Drucksache 12/5064, Bonn, den 1.7.1993.
194
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
nalität gegen Ausländer ebenso wie (die) Schändung jüdischer Friedhöfe
und Anschläge auf jüdische Gedenkstätten weltweit für negative Schlagseiten gesorgt. Dadurch ist das Deutschlandbild ganz erheblich getrübt
worden.“437
Dieses Bekenntnis verdeutlicht, dass - im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung - die deutsche auswärtige Kulturpolitik nur durch Druck von
außen erneut auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Erneut reagierte man
in Bonn zu spät, nämlich erst als sich bereits Konflikte mit Partnern im Ausland abgezeichnet hatten.
So verfolgte die Große Anfrage im Jahre 1993 nur vordergründig das Ziel,
zu eruieren, „inwieweit die AKP angesichts der durch die deutsche Vereinigung und den Zusammenbruch der kommunistischen Systeme veränderten politischen Situation in Europa und der Entwicklungen in der
übrigen Welt der Aufgabe gerecht wird, Deutschland als Kulturnation weltweit zu vermitteln.“438 Im Grunde sollte jedoch das nach der Wiedervereinigung entstandene, teilweise verzerrte Bild des vereinigten Deutschland
in der Welt korrigiert werden. Der Fragenkatalog der Großen Anfrage glich
in seiner Ausführlichkeit einer Bestandsaufnahme deutscher auswärtiger
Kulturpolitik im Zeitraum von 1970 bis in die Mitte der 1990er Jahre. Dabei
war vor allem verwunderlich, dass die damalige Bundesregierung erneut
zu den Leitlinien Dahrendorfs und der Enquête-Kommission der 1970er
Jahre Stellung beziehen sollte, so als hätte es im Bundestag seit 20 Jahren
keinerlei Auseinandersetzungen zu dieser Thematik gegeben!439
Die Große Anfrage gliedert sich in fünf Bereiche:
Der Fragenkatalog zu Grundsätzen und Zielen der Auswärtigen Kulturpolitik nach Wiederherstellung der deutschen Einheit beschäftigte sich neben
der bereits angesprochenen konzeptuellen Ausrichtung der Bundesrepublik vor allem mit strategischen Fragen, die den Umbruch in Mittel- und
Osteuropa und die Integration der früheren DDR in das Konzept der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik betrafen.
Teil 2 der Großen Anfrage setzte sich intensiv mit der Schlüsselfunktion der
deutschen Sprache im Rahmen deutscher Auswärtiger Kulturpolitik auseinander und beinhaltete die Aufforderung an die Regierung, die Stellung der
Kurt Jürgen Maaß: Vor neuen Herausforderungen, in: Musikforum, Nr. 90 (1999), S.2429.
438 Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der CDU/CSU-FDP Fraktion, 12. Wahlperiode (1990–1994), Laufende Nummer 72, Das Bild des vereinten Deutschland als Kulturnation in einer sich wandelnden Welt, Drucksache 12/6504, Bonn, den 22.12.1993.
S.3.
439 Antwort der Bundesregierung, ibid. S.3-4.
437
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
195
deutschen Sprache sowohl innerhalb Europas als auch weltweit neu zu
überdenken.
Im dritten Fragenkatalog, Regionale Schwerpunkte, sollte vor allem der
Frage nachgegangen werden, inwiefern Westeuropa und Nordamerika
unter veränderten geopolitischen Vorzeichen auch zukünftig als wichtige
Partner eines vereinten Deutschlands Prioritäten eingeräumt werden sollten. Schließlich erwartete man im Bereich 4 Finanzielle Mittel und Organisation von der Bundesregierung Aufklärung in Bezug auf die budgetäre
Strategie „im Lichte gewachsener Aufgaben.“440 Die Maßnahmen zur kulturellen Integration ausländischer Mitbürger in Deutschland, der letzte Fragenkatalog der Großen Anfrage, sind für die Fragestellung unserer Arbeit
nur von geringem Interesse.
Auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage bot zunächst
keinerlei Neuerungen konzeptueller Art, sondern hielt explizit an einer
„konzeptuellen Kontinuität“441 fest, indem sie auf die Ergebnisse des Berichts der Enquête-Kommission“ aus den 1970er Jahren verwies. Wesentliche Grundprinzipien der Antwort waren daher das Verständnis eines
erweiterten Kulturbegriffs, das Prinzip der Zweibahnstraße und die Betonung des hohen Stellenwerts der Auswärtigen Kulturpolitik im Rahmen
der deutschen Außenpolitik. Oberste Ziele der auswärtigen Kulturpolitik
blieben nach wie vor die Ansprüche, der „Erhaltung des bei den Partnern
im Ausland erworbenen Vertrauens“, das „Gewicht des vereinten Deutschland als Kulturnation in einer sich wandelnden Welt zu festigen“ und Sympathiewerbung „für unser Land“442 zu betreiben.
Insbesondere die Kulturprogramme der Mittlerorganisationen sollten in
zunehmendem Maße innenpolitische Veränderungen thematisieren. Die
von der Regierung empfohlenen Maßnahmen lassen sich wie folgt zusammentragen443:
1. „Umfassende Behandlung der Thematik Wiedervereinigung/ Integration der neuen Länder/ Gesamtprofil des vereinigten Deutschland (...)
2. Integration der neuen Bundesländer mit allen Aspekten ihres Kulturlebens(...)
440
441
Große Anfrage, ibid. S.1.
„Inwieweit gelten auch unter den neuen Bedingungen noch die Aussagen der Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Enquête-Kommission „Auswärtige Kulturpolitik des deutschen Bundestages?“, Große Anfrage, ibid. S.2.
442 Antwort der Bundesregierung, ibid. S.7.
443 Antwort der Bundesregierung, ibid. S.3.
196
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3. Aufnahme von künstlerischen Produktionen aus den neuen Bundesländern (Musik, Theater, Tanz, Kunstausstellungen)
4. Aufnahme von Dokumentationen ostdeutscher Regisseure in das Filmangebot im Ausland (...)
5. Förderung von Übersetzungen der Werke ostdeutscher Schriftsteller
(...)444
Das so durch diverse Formen von Kulturveranstaltungen entworfene, neue
Deutschlandbild hatte dabei generell „ausgewogen“ (also nicht kritisch,
G.F.) zu sein und nach Möglichkeit „Vorbehalten und Ängsten“445 offen entgegen zu treten.
Was die bis dato bestehenden Institutionen und Programme der ehemaligen DDR betraf, sollten diese nur dann in die bestehenden bundesdeutschen Strukturen integriert werden, soweit sie für eine Übernahme
„politisch und organisatorisch“446geeignet waren.
Der zweite große Abschnitt der Antwort setzte sich - wie oben angedeutet
- intensiv mit der Förderung der deutschen Sprache im Ausland auseinander, auf welche in Bezug auf unsere Thematik nur kurz eingegangen werden soll.
Zur Zeit der Wiedervereinigung sprachen laut Bericht ca. 92 Millionen Menschen Deutsch als Muttersprache in Europa, welchen ca. 20 Millionen Lerner Deutsch als Fremdsprache gegenüberstanden [alleine drei Viertel in
Europa und davon zwei Drittel in den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas, sowie der ehemaligen Sowjetunion, G.F.].
In Anbetracht der Tatsache, dass Deutsch im Gegensatz zum Englischen
keine Weltsprache war, verfolgte die Bundesregierung in der Antwort die
Strategie, die Attraktivität des Deutschen vor allem im Wirtschafts- und
Handelsbereich und als meist verbreitete zweite Fremdsprache in Europa
zu etablieren.447 Auch in Brüssel gab es gegen Ende der 1990er Jahre eine
Reihe von Initiativen, mit dem Ziel, die Zukunft des Deutschen in Europa zu
sichern.44 So setzte sich beispielsweise der Europapolitiker Werner Voigt
dafür ein, dass Deutsch neben Englisch und Französisch in allen europäischen Gremien als Arbeitssprache dienen sollte und dass die Bundes- und
Landesregierungen mehr als bisher die deutsche Sprache und die deutsche
Kultur im In- und Ausland fördern.“449 Obwohl die deutsche Sprache in
444
445
446
447
448
449
Antwort der Bundesregierung, ibid. S.2.
Antwort der Bundesregierung, ibid. S.4.
Antwort der Bundesregierung, ibid. S.4.
Antwort der Bundesregierung, ibid. S.3.
Antwort der Bundesregierung, ibid. S.6.
Antwort der Bundesregierung, ibid. S.9-10.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
197
den Ausführungen explizit als „Sesam-Öffne-dich“ zur historischen kulturellen Identität der Deutschen“ bezeichnet wurde, suchte man in der Antwort vergebens auf konkrete Hinweise, diesen Gedanken bei der
Konzeption von Kulturveranstaltungen zu Grunde zu legen. Lediglich im
Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ sollten kurzfristige Soforthilfemaßnahmen zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland ergriffen werden.
198
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Budgetäre Einschnitte – widersprüchliche Aussagen
Entsprechend der Großen Anfrage gehen die Ausführungen der Bundesregierung auch auf budgetäre Fragen zur Gestaltung deutscher Auswärtiger
Kulturpolitik ein. Hierzu sei bemerkt, dass in Folge der Wiedervereinigung
die Mittel im Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes bis einschließlich
1991 angestiegen waren. Diese Tendenz wurde im Jahre 1992 gestoppt, es
kam zu einer quasi - Stagnation der Subventionen: Im Jahre 1993 mussten
einzelne Programme „bereits mit weniger Mitteln als in den Vorjahren auskommen.“450 Dies galt insbesondere auch für Westeuropa und Nordamerika.
Diesbezüglich erklärte man, dass die kulturpolitischen Beziehungen zu den
Staaten Westeuropas [...] in den Jahren nach 1990 nicht nur intensiv fortgesetzt, sondern weiter ausgebaut und zahlreiche neue Initiativen und Programme entwickelt“451 worden seien.
Als Grund für die hohen finanziellen Belastungen wurden in dem Bericht in
zahlreichen Passagen die hohen Personalkosten der institutionellen Zuwendungsempfänger angeführt, was in Zukunft durch „Einsparungen in
anderen Bereichen aufgefangen werden müsse.“452 Obwohl die Bundesregierung in ihrer Antwort betonte, dass „die Wahrnehmung der auswärtigen
Kulturpolitik eine staatliche Aufgabe“ sei und „zu ihrer Erfüllung öffentliche Mittel eingesetzt“453 werden sollten, kündigte man an anderer Stelle
auch Bemühungen an, „private Sponsoren stärker für deutsche Bildungsund Kulturprojekte im Ausland zu interessieren, um (...) zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen.“454
450
451
452
453
454
Werner Voigt: Zur Zukunft des Deutschen und anderer Sprachen in Europa. Voigt warnt
an dieser Stelle vor einem „Europa mit einer Zunge“ und setzte sich in Brüssel für die Zukunft des Deutschen als Sprache der Bildung, Wissenschaft und Technik ein: „Mit dem
Verzicht auf die Pflege von Wortschatz, Terminologie und Sprachkultur geraten auch die
deutschsprachigen Eliten in die Gefahr, ‘’sprachlos’’ zu werden und auf den Stand eines
drittklassigen, nicht mehr in jeder Beziehung entwickelten Landes zu sinken. Das wäre
eine Bedrohung einer bisher voll ausgebauten Kultursprache - so Prof. Drosdowski. Und
wenn wichtige Vertreter eines Faches sich lieber auf Englisch äußern, besteht auch die Gefahr, dass wir den eigensprachlichen Diskurs in diesem Bereich einbüßen. Auch die geistigen Errungenschaften aus den USA und von anderswo müssen gedanklich und
sprachlich erarbeitet werden. Statt Austausch und Anverwandlung erleben wir heute zuviel bloße Rezeption, bloßes Hinterherlaufen.“ Unter: http://agiw.fak1.tu-berlin.de/Cricetus/SOzuC1/SOBFDtSpr/Archiv2/Vogt.htm. Zugriff am 21. 6. 2012.
Werner Voigt unterstützte dabei Aktiv den Aufruf der Gesellschaft für deutsche Sprache
und der Dudenredaktion, Unter: http://www.mitteleuropa.de/sprache01.htm, Zugriff am
21. 6. 2012.
Werner Voigt, ibid. S.30.
Werner Voigt, ibid. S.24.
Werner Voigt, ibid. S.30.
Werner Voigt, ibid. S.31.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
199
Wie auch drei Jahre zuvor die Ausführungen Wittes, ließ die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage erkennen, dass man im Auswärtigen Amt zwar bemüht war, die Auswärtige Kulturpolitik des vereinten
Deutschland einer veränderten Weltlage anzupassen, jedoch noch nicht in
der Lage war, ein neues Konzept vorzulegen. So glich die Antwort auf die
Große Anfrage eher einer Abarbeitung eines Fragenkataloges, als dass die
kulturpolitische Stellung Deutschlands in Europa und in der Welt neu reflektiert wurde.
Deutlich wird dies vor allem in Bezug auf die Integration der früheren DDR
in die bundesdeutsche Kulturpolitik: nach einer „Filterung“ stark ideologisch gefärbter Personen und Programme, adaptierte man einfach das System des Westens, ohne positive Ansätze der Kulturpolitik der ehemaligen
DDR zu berücksichtigen. Eine öffentliche Debatte zu dieser Thematik hatte
zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht stattgefunden. Diese sollte erst im
Anschluss erfolgen.
Wozu deutsche Auswärtige Kulturpolitik? Die Kritik an der
Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung durch die
Zivilgesellschaft
Obwohl die im Herbst 1990 in Bonn von Witte vorgetragenen Überlegungen zur Neuausrichtung deutscher auswärtiger Kulturpolitik und die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage des Jahres 1993 die ersten
nennenswerten offiziellen Dokumente nach der Wiedervereinigung darstellten, entwickelten sich konzeptuelle Neuerungen erst in Folge öffentlicher Stellungnahmen durch die deutsche Zivilgesellschaft. Auf dieses
Novum in der Geschichte der deutschen Kulturpolitik verweist heute eine
Vielzahl von einschlägigen Analysen zu diesem Thema. Maaß ist sogar rückblickend davon überzeugt, dass die in der Mitte der 1990er Jahre einsetzende öffentliche Debatte über Inhalte und Zukunft der Auswärtigen
Kulturpolitik nach dem Regierungswechsel im Jahre 1998 „zur Entwicklung eines neuen Grundsatzpapiers des Auswärtigen Amtes führte.“455
Einen ersten Beitrag leistete dabei der von Hilmar Hoffman (damaliger
Präsident des Goethe-Instituts) und Kurt Jürgen Maaß (damaliger stellvertretender Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen) herausgegebene Sammelband Freund oder Fratze, in welchem 26 Autoren des
Aus- und Inlands aus den Bereichen Politik, Kunst, Wissenschaft und Journalismus sowie Kulturschaffende zum Thema des Deutschlandbildes in der
Welt und den Aufgaben der Kulturpolitik Stellung bezogen.
455
Werner Voigt, ibid. S.4.
200
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Daran, dass das 1994 herausgegebene Werk als Réplique auf die Antwort
der Bundesregierung aus dem Vorjahr 1993 zu verstehen war, ließ bereits
das Vorwort keinen Zweifel. Die Autoren bezeichneten bereits an dieser
Stelle die aktuelle Kulturpolitik der Bundesrepublik als „Sackgasse“ und
warfen den Verantwortlichen vor, die neue Situation der Auswärtigen Kulturpolitik noch nicht „ausreichend reflektiert“ zu haben. Mehr noch: „Sie
(die Auswärtige Kulturpolitik, G.F) versucht Antworten auf neue Herausforderungen mit den Programmen und Prinzipien von gestern zu geben“
und sei daher nicht mehr „dritte Säule der Außenpolitik“.456 Dieser Mangel an Konzeptuellem hätte zur Folge, dass man sich zu sehr an kurzfristigen Zielen orientierte und „eher quantitative als qualitative Messlatten“457
bei der Auswahl der Programme und Projekte anlegte.
Aus diesem Grunde forderte Hoffmann in seinem Beitrag auch eine „neue
Offensive“458 des Nachdenkens über Außenkulturpolitik. In Anschluss an
einige historische Betrachtungen zur Entwicklung deutscher auswärtiger
Kulturpolitik, in welchen er zunächst Dahrendorfs „unübertroffene Leitsätze“459 würdigte, das 1980 von Hamm-Brücher organisierte Symposium
Brücke über Grenzen als „Höhepunkt“ und leider auch als „vorläufiges Ende
eines Booms der öffentlichen Nachdenkens über Außenkulturbeziehungen“ hervorhob, attestierte er der Regierung Kohl, für eine Phase der Auswärtigen Kulturpolitik verantwortlich zu sein, welche „vor sich hin
dümpele“460.
Allerdings griffen auch Hoffmanns anschließende Ausführungen insgesamt
auf Altbewährtes zurück: So verpflichtete er sich erneut dem erweiterten
Kulturbegriff, wobei die Goethe-Institute einen „Einblick in das Alltagsleben“ zu vermitteln hatten, forderte erneut „Pluralität und Offenheit“ als
Grundvoraussetzungen der Mittlerarbeit ein und verwies schließlich mit
der „Bereitschaft zum Geben und Nehmen“461 auf die Prinzipien des Kulturaustauschs der 1950er Jahre.
Einzig die Anregung, die deutschen Intellektuellen der Zivilgesellschaft in
einer „Situation weitreichender Verunsicherung und Neuorientierung“
zahlreiche Repräsentanten des kulturellen Lebens zu gewinnen462, lohnt
es, hier erwähnt zu werden.
456
457
458
459
460
461
462
Maaß: Auswärtige Kulturpolitik im Spannungsfeld, ibid. S.3.
Hilmar Hoffmann/ Kurt Jürgen Maaß: Freund oder Fratze? Frankfurt/Main, New York,
1994. S.7.
Hilmar Hoffmann/ Kurt Jürgen Maaß, ibid. S.8.
Hilmar Hoffmann/ Kurt Jürgen Maaß, ibid. S.13.
Hilmar Hoffmann/ Kurt Jürgen Maaß, ibid. S.13.
Hilmar Hoffmann/ Kurt Jürgen Maaß, ibid. S.14.
Hilmar Hoffmann/ Kurt Jürgen Maaß, ibid. S.16-21.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
201
Die weiteren Beiträge des Sammelbandes spiegeln mosaikartig die multiplen Facetten deutscher Kulturpolitik wieder. Die Arbeiten eint zunächst
der Konsens über die Kritik an der Arbeit der Bundesregierung. So beklagte
beispielsweise Hamm-Brücher, dass „unseren Kulturbeziehungen insgesamt die politisch überzeugende Aussagekraft, der konzeptionelle Gestaltungswille und [...] Elan fehlen“463, Fritz Pleitgen, damaliger WDR
–Hörfunkdirektor, forderte von den Verantwortlichen „Mehr Engagement,
bitte!“464 und stellte „boshaft fest“, dass die Auswärtige Kulturpolitik im
Laufe der Zeit zu einer „dritten Krücke“465 geworden sei.
Einen weiterer Hauptkritikpunkt neben der Konzeptlosigkeit der unterschiedlichen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes war vor allem die
Darstellung des Deutschlandbildes im Ausland. Nach der bereits erwähnten Welle von ausländerfeindlichen Handlungen, welche unmittelbar nach
der deutschen Einigung 1989 erfolgt waren, forderte nicht nur der zukünftige Bundeskanzler Gerhard Schröder: „nicht Augen schließen, unterschlagen und beschönigen“, sondern „Offenheit, Kritikfähigkeit und vor
allem Selbstkritik“ müssten in Zukunft die Maximen der Deutschlanddarstellung im Ausland sein.“ 466 Er warb in seinem Beitrag insbesondere für
mehr „Freiheit und Vertrauen“467 bei der Kulturarbeit im Ausland.
Vor dem Hintergrund einschneidender Sparmaßnahmen brachen einige
der Beiträge - im Gegensatz zu den diplomatischen Ausführungen der Bundesregierung - auch mit dem Tabu in Bezug auf Kürzungen, welche die
Haushaltsmittel der Goethe-Institute und ihre strategische Ausrichtung betrafen. Eine „Welt, die sich verändert hat“468, müsse logischerweise Umstrukturierungen zur Folge haben. So schrieb Kathinke Dittrich, damalige
Kunstdezernentin der Stadt Köln, in ihrem Beitrag offen: „Warum müssen
beispielsweise in Italien oder in Frankreich je sieben Goethe-Institute und
zahlreiche deutsch-italienische bzw. deutsch-französische Vereine vom
auswärtigen Amt subventioniert werden, obwohl die grenzüberschreitenden „Selbstläufer“ im Gegensatz zu den mittel- und osteuropäischen Staaten in Hülle und Fülle vorhanden sind?“469 Ihrer Meinung nach durfte die
Schließung von Goethe-Instituten auch kein Tabu bleiben, vorausgesetzt
463
464
465
466
467
468
469
Hilmar Hoffmann/ Kurt Jürgen Maaß, ibid. S.21.
Hildegard Hamm-Brücher: Die gefährdete Dimension unserer Außenpolitik, in: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.26.
Fritz Pleitgen: Mehr Engagement bitte! In: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.49.
Fritz Pleitgen, ibid. S.50.
Gerhard Schröder: Freiheit und Vertrauen, in: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.31.
Gerhard Schröder: Freiheit und Vertrauen, in: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.30-35.
Kathinka Dittrich: die Welt hat sich verändert, in: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.36-45.
202
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
„die frei werdenden Kapazitäten [würden] in anderen, bedürftigeren Regionen der Welt eingesetzt.“470
Noch härter ging der damalige Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen, IFA, Klaus Daweke, mit den Mittlern ins Gericht. Er sah in der
Finanzkrise gar eine „Chance zur Neuorientierung“471 und forderte die
Mittler zur Aufgabe ihrer „konservativen Grundhaltung“ auf: „Nach den sogenannten fetten Jahren kommt es zum Nachdenken über wahre Fässer
ohne Boden: „Überschneidungen, Unnötiges, Elitäres, Veraltetes, Aufgeblähtes, Selbstgefälliges.“472
Auch die ehemalige Leiterin der Goethe-Institute in Barcelona, New York,
Amsterdam und Moskau, Kathinka Dittrich, sprach sicherlich aus Erfahrung, wenn sie auch ein Umdenken in der Konzeption von Kulturveranstaltungen der Goethe-Institute einforderte: „Als Beispiel seien nur die
Feiern zum 20. Juli, dem Tag des deutschen Widerstands, genannt. Viele
Länder dieser Erde interessieren sich für derartige kostspielige Projekte
überhaupt nicht, weil sie nichts von deutscher Geschichte wissen und andere Probleme haben, bei denen die Deutschen helfen können.“473 Diese
Ansicht Kathinka Dittrichs kann durchaus auch als problematische Äußerung bewertet werden. Sie legt nämlich die Deutung nahe, dass in Zukunft
wichtige geschichtliche Ereignisse deutscher Geschichte in der kulturellen
Programmarbeit kaum Bedeutung beigemessen werden soll. Unserer Überzeugung nach muss sich ein deutsches Kulturzentrum im Sinne eines „Erinnerungsortes“ in jeder Phase seiner Entwicklung mit der deutschen
Geschichte auseinandersetzen. Das Lernen aus der gemeinsamen europäischen Vergangenheit im Dialog mit dem Partnerland ist ein wichtiger Bestandteil des Prozesses der europäischen Integration.
Das von Maaß und Hoffmann herausgegebene Kompendium zur Auswärtigen Kulturpolitik wird von Singer rückblickend richtig als grundlegendes
Werk der „Neubesinnung“474 zur Ausrichtung deutscher Kulturpolitik bewertet. Auch heute sind einzelne Ausführungen von brennender Aktualität,
sodass auf diese noch im Abschlusskapitel zurückgegriffen werden muss.
Das vorrangige Ziel des Sammelbandes war durch die Herausgabe der Beiträge erreicht worden: die deutsche Bevölkerung und Bildungselite war
nun aufgefordert, sich mit der deutschen auswärtigen Kulturpolitik auseinander zu setzen. Um mit den Worten Hoffmanns zu sprechen: „Dies ist die
470
471
472
473
474
Kathinka Dittrich, ibid: S.44.
Kathinka Dittrich, ibid: S.44.
Klaus Daweke: Löcher mit Löchern stopfen, in: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.53- 58.
Klaus Daeke: Löcher mit Löchern stopfen in: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.54.
Kathinka Dittrich, die Welt hat sich verändert, in: Hoffmann/ Maaß, S.41.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
203
Zeit, wo sich jeder aufgerufen fühlen kann, gewohnte Bahnen des Denkens
zu verlassen und nach kreativen, ungewöhnlichen Lösungen zu suchen.“475
475
Singer, ibid. S.25.
204
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Der Beitrag der deutschen Zivilgesellschaft zu einer neuen Konzeption bundesdeutscher Kulturpolitik
Hatten die von Hofmann und Maaß herausgegebenen Beiträge zunächst
versucht, Kritik zu bündeln, so konnte ein erster Schritt zu einer neuen
Konzeption deutscher auswärtiger Kulturpolitik erst im Jahre 1995 gemacht werden. Dies geschah durch einen Beitrag im Spiegel, welchen Hans
Magnus Enzensberger unter dem Titel: „Auswärts im Rückwärtsgang“476
veröffentlicht hatte. Der Untertitel „Zur Blamage der deutschen Kulturpolitik“477 provozierte dabei bewusst. Die Reflektionen Enzensbergers begannen zunächst mit einer Kritik des Rundumschlags an der damaligen
Regierung und mündeten schließlich in vier Vorschläge zum Umdenken in
der deutschen auswärtigen Kulturpolitik, die „sich sofort, ohne besondere
legislative Hürden“ verwirklichen [ließen].“478
Auch der Schriftsteller und Essayist Enzensberger kritisierte die Verantwortlichen in Bonn. Die Politiker , so Enzensberger, wüssten nicht, „was
unter Kultur zu verstehen sei“, die Herren in den Ministerien seien „überfordert“ und die Kulturattachés „entbehrlich.“479 Mangels konzeptioneller
Überlegungen drohe nun der Republik der „Ausverkauf der Auswärtigen
Kulturpolitik.“480 Neuartig an der Kritik Enzensbergers war jedoch, dass
er auch andere Gesellschaftsgruppen für diese Entwicklung mit in die Verantwortung nahm, welchen er Immobilismus vorwarft:
„Jeder, der in einer deutschen Zeitung blättert, kann feststellen, dass wir
in einem Land leben, das die Blockade seiner eigenen Möglichkeiten als
Lebensversicherung betrachtet. Renten-, Steuer- und Gesundheitsreformen - alles bleibt im Matsch der Gewohnheit stecken. Im Immobilismus
der Gewerkschaften, in der Trägheit der Universitäten, im verzweifelten
Weitermachen der Agrarpolitik - überall zeigt sich die entschiedene Weigerung, einen neuen Gedanken zu fassen.“481
Bei den Kulturschaffenden seien „regressive Tendenzen wie abnehmende
Neugier, schrumpfende Fremdsprachenkenntnisse und reumütige Einkehr
476
477
478
479
480
481
Hoffmann/ Maaß, ibid. S.35.
Hans Magnus Enzensberger: Auswärts im Rückwärtsgang, in: Der Spiegel, Nr. 37 (1995),
S.215-218.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.220.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.220.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.215.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.216.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
205
zu den nationalen Traditionen“ festzustellen. Diese Haltung hätte schließlich dazu geführt, dass der sich einst so kreative Kulturschaffende zum
„ewigen Bittsteller“ und „Einkläger“ für Subventionen entwickelt hätte und
so Kultur zu einem „hübschen Ornament“ geworden sei, „eine Art Schaumgebäck, das ohne weiteres vom Menü gestrichen werden kann, wenn es
darum geht, anderer Leute Gürtel etwas enger zu schnallen.“ 482 Diese Tendenz zur „Kultur als bloßes Dekor“483 sei auch bei den im Ausland organisierten Kulturveranstaltungen festzustellen: Der kulturelle Ehrgeiz richte
sich nunmehr vor allem auf kostspielige Großprojekte und Großveranstaltungen, die lediglich auf Repräsentation ausgerichtet seien.
Der größte Verdienst des Aufsatzes von Enzensberger war es jedoch, ein
Umdenken in der auswärtigen Kulturpolitik einzufordern, auf welche in
den späten 1990er Jahren „völlig neue Aufgaben zukommen“ 484 würden.
Mit dem Anknüpfen an die noch aus den 1960er Jahren stammenden Leitlinien, könne man laut Enzensberger, „den Konflikten, die sich abzeichnen,
nicht mehr beikommen.“485 In dieser Hinsicht müsse insbesondere die Dialog-Kompetenz der Auswärtigen Kulturpolitik gestärkt werden, um die
Grenzen zwischen Ost und West, Norden und Süden zu überwinden. Laut
Enzensberger müsse einer neuen auswärtigen Kulturpolitik die Aufgabe
zukommen, ein dialogfähiges Frühwarnsystem für die Bundesrepublik zu
entwickeln:
„Für den unvermeidlichen Streit der Zivilisationen müsste sie (eine neue
Auswärtige Kulturpolitik, G.F.) wenigstens so etwas wie eine intellektuelle Verhandlungsgrundlage schaffen und die nötigen Kenntnisse und
Kontakte vermitteln. Nebenbei könnte sie der Bundesrepublik zu einem
dialogfähigen Frühwarnsystem verhelfen und damit der Politik manchen
folgenreichen Fehler ersparen.“486
Diese Forderung von Enzensberger gewann besondere im Kontext der Ereignisse der früheren 1990er Jahre an Gewicht, in welchem Ausländer in
Deutschland bei Brandanschlägen zu Tode gekommen waren. Einer aufkommenden „Angst vor Deutschland“(Ulrich Wickert)487 hätte ein dialogfähiges Frühwarnsystem frühzeitig entgegenwirken können.
482
483
484
485
486
487
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.216-217.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.217.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.217.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.220.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.220.
Enzensberger, Auswärts im Rückwärtsgang, ibid. S.220.
206
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Ein zweiter, für die Weiterentwicklung der deutschen auswärtigen Kulturpolitik grundlegender Aufsatz, knüpfte an die Forderung Enzensbergers
nach mehr Dialogbereitschaft an. Am 24. April 1996 referierte Wolf Lepenies während der dritten Jahrestagung der Deutschen Nationalstiftung in
Weimar zum Thema “Wozu deutsche auswärtige Kulturpolitik?“488. Bereits der Titel seiner Analyse stand für ein neuartiges Programm:„Von der
Belehrungskultur zur Lernkultur.“489
Ausgangspunkt zu Lepenies’ Überlegungen waren zwei grundlegende Feststellungen: zum einen arbeitete er die untrennbare Verbindung zwischen
innerer und auswärtiger Kulturpolitik heraus, welche er als „zwei Seiten
der gleichen Medaille“ ansah. Nur durch eine engere Verzahnung beider
Politikbereiche, so Lepenies, könne eine langfristig ausgerichtete Auswärtige Kulturpolitik erfolgreich sein. Denn: „der Kulturexport verliere auf
Dauer seinen Sinn und seine Berechtigung, wenn wir zu Hause die Bildungspolitik (...) vernachlässigen.“
Zum anderen forderte Lepenies, die auswärtige Kulturpolitik „stärker als
bisher in europäischer, ja globaler Perspektive“ 490 zu sehen. Lepenies verwies an dieser Stelle auf die Debatte über den „Krieg der Kulturen“. Ausgehend von der These, dass im Zuge der Globalisierung Europa nun Gefahr
laufe, im Vergleich zu anderen Kulturen „vom Zeitgeber der Moderne“ zum
„Zeitnehmer“491 zu werden, forderte er in seinen Ausführungen „eine Umkehr unserer intellektuellen Antriebsrichtung sowie eine Umsteuerung der
Auswärtigen Kulturpolitik“ hin zu einer „import-orientierten Kulturpolitik.“492
Wie seine Vorgänger mahnte Lepenies an, dass nach dem Fall der Mauer
große Chancen vertan worden seien, von anderen Kulturen zu lernen, nicht
zuletzt, weil man sich in eine „Belehrungsorgie steigerte.“493
Die Zukunft Deutschlands, ja Europas, hänge langfristig, so schlussfolgerte
Lepenies, von der Bereitschaft ab, den Schritt von einer Belehrungskultur
zu einer Lernkultur zu machen. Viel werde in der „in der Weltgesellschaft
der Zukunft davon abhängen, dass sich zwischen den Kulturen zunehmend
Lerngemeinschaften herausbilden und dadurch Innovationspotentiale
wachsen.“494 Abschließend stellte Lepenies - neben der bereits erläuterten Forderung einer importorientierten Kulturpolitik und des Paradig488
489
490
491
492
493
Ulrich Wickert: Angst vor Deutschland, in: Hoffmann/Maaß, ibid. S.85.
Helmut Schmidt/ Henning Voscherau/ Wolf Lepenies/ Ignatz Bubis (Hg.): Wozu deutsche auswärtige Kulturpolitik? Stuttgart 1996.
Wolf Lepenies: Von der Belehrungskultur zur Lernkultur, in: Schmidt/ Voscherau: Wozu
deutsche auswärtige Kulturpolitik? Stuttgart 1996, S.33-55.
Lepenies, von der Belehrungskultur zur Lernkultur, ibid. S.41.
Lepenies, von der Belehrungskultur zur Lernkultur, ibid. S.43.
Lepenies, von der Belehrungskultur zur Lernkultur, ibid. S.47-49.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
207
menwechsels von der Belehrungskultur zur Lernkultur - drei weitere Thesen zu einer europäischen Kulturinnenpolitik auf, die für unsere Arbeit aufgrund des besonderen Interesses im Wortlaut zitiert werden sollen:
„In der Kulturpolitik muss der Ideenstreit gegen den Verteilungskampf
wieder an Bedeutung gewinnen. Hier liegt eine besondere Verpflichtung
für die kulturellen Eliten.[…]
Jede nationale Kulturpolitik muss sich zunehmend als europäische Kulturinnenpolitik begreifen, sie sollte nicht nur in Europa, sondern weltweit
in der Regel auf multilaterale, nicht auf bilaterale Kooperationen abzielen […]
In der europäischen Finanzierung lokaler Kultureinrichtungen ist in der
Regel eine Mischung aus privatem und öffentlichem Engagement anzustreben.“495
494
495
Lepenies, von der Belehrungskultur zur Lernkultur, ibid. S.48.
Lepenies, von der Belehrungskultur zur Lernkultur, ibid. S.48.
208
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Tendenzen deutsch-französischer Kulturbeziehungen der 1990er
Jahre: Von Frankfurt am Main nach Weimar
Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen der 1990er Jahre können
mit den Schlüsselbegriffen „Kontinuität“ und „Zäsuren“ am besten charakterisiert werden.
Kontinuität lässt sich zunächst an dem Bestreben beider Länder ablesen,
den in den 1980er Jahren begonnenen Aufbau einer Infrastruktur deutschfranzösischer Institutionen weiter voranzutreiben, beziehungsweise bereits beschlossene Projekte umzusetzen. So ging gemäß Entschluss des
Frankfurter Kulturgipfels (1986) der deutsch-französische Kulturkanal
ARTE am 31.5. 1992 erstmals auf Sendung und setzte neue europäische
Maßstäbe im Bereich der audiovisuellen Medien, mit dem Ziel, den „Dialog
zwischen den Völkern“496 zu fördern. Auch dem Vorsatz, im Bereich der
Hochschul- und Wissenschaftskooperation „profunde Kenntnisse der
Denkstrukturen und Denkweisen des Partners zu fördern und zu einem
gemeinsamen Herangehen an die Probleme beizutragen, denen unsere Gesellschaften gegenüberstehen“497 kam man durch die Schaffung einer
Reihe von interdisziplinären Zentren nach: so entstanden im Jahr 1992 in
Berlin das Centre Marc Bloch, 1993 in Genshagen das Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa sowie
eine Reihe von universitären Frankreich - und Deutschlandzentren.498
Ein weiterer Grundstein zur Vertiefung der deutsch-französischen Kooperation auf offizieller Ebene wurde durch das Weimarer Abkommen im September 1997 gelegt. Im Rahmen dieses 70. bilateralen Treffens wurde
erneut der Akzent auf die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bildungs- und Kulturbereich gesetzt. Die von Kohl und Chirac unterschriebene gemeinsame Erklärung verpflichtete sich, in einer Zeit neuer
Herausforderungen in den kommenden Jahren, folgende Ziele im deutschfranzösischen Kulturaustausch zu erreichen:
1. Die Gründung einer Deutsch-Französischen Hochschule;
2. Die Errichtung eines regelmäßigen deutsch-französischen Berufsforums
für bilinguale Studierende;
496
Lepenies, von der Belehrungskultur zur Lernkultur, ibid. S.48.
Gemeinsame Erklärung über kulturelle Zusammenarbeit vom 26. Oktober 1986.
497 Gemeinsame Erklärung über kulturelle Zusammenarbeit vom 26. Oktober 1986.
498 Neben Saarbrücken nennt Michael Werner noch die Zentren in Freiburg, Berlin, Dresden,
Leipzig, Paris Cergy-Pontoise, Bordeaux und Lille, in: Michael Werner, Deutsch-Französische Kulturbeziehungen, Kolboom, ibid. S.711.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
209
3. Die Gründung eines Zentrums für Deutschlandstudien für Frankreich;
4. Die Verdoppelung der Schülerzahlen in bilingualen Schulzweigen.
Im Gegensatz zu einer Vielzahl vorangegangener deutsch-französischer
Gipfel besticht die Weimarer Erklärung bis auf den letztgenannten Punkt
vor allem durch einen Katalog konkreter Maßnahmen. Im Zuge wurden
schließlich die ersten drei vorgeschlagenen Maßnahmen sehr zeitnah umgesetzt: Noch im selben Jahr (1997) wurde in Paris mit Unterstützung des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) das Centre Interdisciplinaire d’Etudes et de Recherches sur l’Allemagne (CIERA) gegründet;
zwei Jahre später, im Jahre 1999, ging aus dem Deutsch-Französischen
Hochschulkolleg in Mainz die Deutsch-Französische Hochschule hervor.
Der Sitz wurde unter anderen deshalb nach Saarbrücken verlegt, weil man
das Ziel verfolgte, im Rahmen des europäischen Binnenmarktes, „die Chancen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit voll (zu) nutzen.“499 Auch
das geplante Berufsforum, welches unter dem Dach der Deutsch-Französischen Hochschule organisiert wurde, fand dementsprechend erstmalig in
einer deutsch-französischen Grenzregion statt, nämlich 1999 in Strassburg.
Lüsebrink hebt rückblickend die Bedeutung dieses Forums für die deutschfranzösische Kooperation als Novum hervor:
„Erstmals wurden hier Wirtschaftsunternehmen, Kulturinstitutionen und
Hochschulen aus Deutschland und Frankreich zusammengeführt, um Herausforderungen, Chancen und Beschäftigungsmöglichkeiten für Akademiker/innen im Rahmen eines entstehenden (...) deutsch-französischen
Arbeitsmarktes zu präsentieren und zu diskutieren.“500
Zieht man in Betracht, dass auch die spätere Gründung der Deutsch-Französischen Filmakademie im Jahre 2000 in Ludwigsburg auf erste Gespräche während des Weimarer Abkommens zurückzuführen ist,501 kann man
rückblickend festhalten, dass mit der Weimarer Erklärung und seiner Umsetzung der Zenit der Institutionalisierung deutsch-französischer Kooperation am Ende der 1990er Jahre erreicht wurde.
Was das vierte Ziel der Erklärung, nämlich die „Verdoppelung der Schülerzahlen in bilingualen Schulzweigen“ angeht, so muss man in Bezug auf
499
500
501
Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde Frankreichs, ibid. S.235.
Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde Frankreichs, ibid. S.235.
„Wir sind ferner übereingekommen, die Gründung einer Deutsch-Französischen Akademie vorzubereiten“, Deutsch-Französische Konsultationen, Gemeinsame Erklärung der
Staats- und Regierungschefs, Weimar, 18-19. September 1997.
210
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
die Problematik der Sprachenfrage auch in diesem Falle leider von einer
Kontinuität sprechen: Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Frankfurter Abkommen setzte sich die negative Tendenz im Spracherwerb in Bezug auf
die Zahl der französischen Schüler, die die Partnersprache Deutsch lernten, fort. Lüsebrink hat für den gesamten Zeitraum von 1980 bis 2000 nachgewiesen, dass „ allein zwischen 1994 und 1998 die Zahl der französischen
Schüler, die im öffentlichen Schulwesen (Enseignement public) Deutsch als
erste Fremdsprache wählten, von 13.1 % auf 9.4% [zurückging], das heißt
um fast ein Drittel“. Lüsebrink führt diese Tendenz vor allem auf die differierende Motivationslage zurück, die sich nach der Nachkriegszeit grundlegend geändert hätte.502 Diese „Tendenz zwischen Desinteresse und
Desinformation“503 stellte auch Jacques Morizet, damaliger französischer
Botschafter und Generalsekretär des Deutsch-Französischen Kulturrats,
bereits während der Vorbereitungen zum Weimarer Gipfel fest. Auch wenn
dieser in dem Erlernen der Partnersprache eine „vorrangige Aufgabe“ sah:
Das Ziel, binnen 5 Jahre die Schülerzahl in den bilingualen Schulzweigen
zu verdoppeln, war von vorne herein illusorisch.
Goethe-Institute und Deutsch-Französische Häuser in den 1990er
Jahren
In einem Ausblick zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen der
1990er Jahre arbeitete Michael Werner heraus, dass sich nach dem Fall der
Mauer und dem vereinten Deutschland zwei gegenläufige Haltungen in
Frankreich herausgebildet hatten. Auf der einen Seite führte dies „bei
einem Teil der Intelligenz zur Wiederbelebung alter Ängste vor angeblichen deutschen Hegemonialbestrebungen in Europa“, welche wiederum
begleitet wurden von der Angst, Deutschland würde seine „intensive Bindung an Frankreich lockern“ und sich nun verstärkt Osteuropa zuwenden.
Auf der anderen Seite konstatierte er eine „wachsende Neugier bei den Studenten und jüngeren Wissenschaftlern für deutsche Fragen,“504 insbesondere für Probleme der Einigung.
Auch das vorangegangene Kapitel hat diese beiden gegenläufigen Tendenzen aufgezeigt: zum einen kann man in Bezug auf das Netzwerk von
deutsch-französischen Institutionen gegen Ende der 1990er Jahre von
502
503
Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde, ibid. S.235.
Jacques Morizet: Wozu ein deutsch-französischer Kulturgipfel? In: Dokumente 1 (19),
S.117.
504 Werner, Deutsch-französische Kulturbeziehungen, ibid. S.712 .
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
211
einem Höhepunkt der deutsch-französischen Kooperation sprechen, zum
anderen brachte diese Institutionalisierung der deutsch französischen Beziehungen ein Erstarren des Austausches gegen Ende der 1990er Jahre mit
ich, die sich besonders in der mangelnden Motivation zum Erlernen der
Sprache zukünftiger Generationen widerspiegelte.
Eine dritte gegenläufige Tendenz in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen zeichnete sich gegen Ende der 1990er Jahre ab: Aufgrund der
erforderlichen Sparmaßnahmen und der Öffnung der bundesdeutschen
Kulturpolitik nach Mittel- und Osteuropa musste - besonders in Frankreich
- ein Gleichgewicht zwischen Abbau und Bewahrung der kulturellen Präsenz gefunden werden: auf der einen Seite musste man der erhöhten Nachfrage Rechnung tragen, auf der anderen Seite war man mittelfristig dazu
gezwungen, das institutionelle Netzwerk von Goethe-Instituten im Nachbarland abzubauen. Es ist daher angemessen, in Bezug auf die 1990er Jahre
zum einen von einer Hochkonjunktur in Bezug auf die Nachfrage an deutscher Kultur in Frankreich zu sprechen, zum anderen von einer Rezession,
was die gesamtwirtschaftliche Lage der auswärtigen Kulturpolitik anging.
Diese beiden Entwicklungstendenzen wirkten sich in Frankreich auf höchst
unterschiedliche Weise auf das Netzwerk deutsch-französischer Kulturinstitute in Frankreich aus, wie das folgende Kapitel belegen wird.
Die Schließung des Goethe-Instituts in Marseille
Allen Beteuerungen des Auswärtigen Amtes zu Beginn der 1990er Jahre
zum Trotz kam es im Jahre 1998 zu einer „unscheinbaren Katastrophe“505
im deutsch-französischen Kulturaustausch, so zumindest der in Aix-en-Provence tätige Germanist und Essayist Karl Heinz Götze in der ersten Ausgabe der Zeitschrift für Kulturaustausch desselben Jahres. Karl-Heinz Götze,
Professor für deutsche Literatur und Zivilisation an der Universität Aix-enProvence, hat eine Reihe von Werken zur deutschen Literatur herausgegeben. Sehr anregend ist insbesondere seine essayistische Schrift zur
französischen Gesellschaft „Französische Affären.“506 Im letzten Amtsjahr
der Bundesregierung Kohl entschieden Verantwortliche die Schließung des
Goethe-Instituts in Marseille. Diese Schließung stieß nicht nur bei den Mit-
Karl Heinz Götze: Eine unscheinbare Katastrophe, in: Zeitschrift für Kulturaustausch,
(1/1998), S.17-18.
506 Karl Heinz Götze: Französische Affairen. Ansichten von Frankreich. S.Fischer Verlag,
Frankfurt 1993.
505
212
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
gliedern des deutsch-französischen Kulturrats auf großes Bedauern, zumal
die Entscheidung für die Mitglieder „völlig überraschend“507 kam.
Götze bezeichnete die Schließung des Instituts in der zweitgrößten Stadt
Frankreichs, welche die Nationalsozialisten von November 1942 bis August 1944 besetzt hatten, als „fatales Missverständnis von Kulturpolitik“,
wenn diese von der Maxime ausgehe, dass man deutsche Kultur vor allem
dorthin bringen sollte, „wo die größte Nachfrage besteht.“508
Neben dem Wegfall der Deutschkurse bedauerte er vor allem den Verlust
des Kulturprogramms, welches den französischen Besuchern Erfahrungen
vermittelt hätten, „die sich in keinem Rechenschaftsbericht des Goethe-Instituts beziffern“509 ließen.
Götze kritisiert – ähnlich wie der deutsch-französische Kulturrat - den Mangel an Transparenz und Dialogbereitschaft bei dem Entscheidungsprozess
seitens der verantwortlichen deutschen Behörden und unterstellte dabei
strategische Überlegungen:
„Paris kann man nicht schließen. Lyon auch nicht. Von Nancy aus werden
auch die Filialen in Strassburg und Colmar betreut (...) In Lille befindet
sich das Goethe-Medienzentrum für Frankreich. Toulouse wurde jüngst
partiell mit dem Institut in Bordeaux zusammengelegt, Bordeaux aufwendig renoviert. Also Marseille (...).“509
Zum Zeitpunkt der Schließung des Instituts standen laut Götze 1,3 Millionen Mark Personalkosten 40000 Mark Programmkosten gegenüber. Die
Möglichkeit, das Institut „schlanker zu führen“ sei jedoch niemals mit den
französischen Partnern diskutiert worden. Sicherlich hatten die Verantwortlichen in der Münchener Zentrale gemeinsam mit dem Auswärtigen
Amt bereits zu diesem Zeitpunkt eine Lösung für den Mittelmeerraum diskutiert, über welchen bereits im Mai 1998 der Spiegel unter dem Titel „Goethe lebt“ berichtet hatte:
507
Sechster Bericht des deutsch-französischen Kulturrats an die Regierungen: „Im Rahmen
seiner Plenarsitzung in Marseille wurde der Rat mit der Schließung des Goethe- Instituts
Marseille konfrontiert. Diese Entscheidung kam für die Mitglieder des Deutsch-Französischen Kulturrates völlig überraschend und wurde getroffen, ohne eine vorherige Stellungnahme abzugeben oder eine Suche nach alternativen Möglichkeiten durchgeführt zu
haben. Im übrigen bestätigt diese Schließung die in den letzten zehn Jahren bereits mehrfach geäußerte Befürchtung des Rates, dass das kulturelle Netz Deutschlands immer weniger ganz Frankreich abdecken wird.“ In: www.hccfa.org/ktml2/images/uploads/
6-bericht.pdf, Zugriff am 14.8.2011.
508 Götze, ibid. S.18.
509 Götze, ibid. S.17.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
213
„In Marseille verhandeln Goethes Unterhändler derzeit mit dem „Tübingen-Haus“ im benachbarten Aix-en-Provence: Dort sei noch Platz für die
unlängst geschlossene Bibliothek aus Marseille. Das „Tübingen-Haus“, ein
deutsch-französisches Kulturinstitut, kostet das Auswärtige Amt 110 000
Mark im Jahr; Goethe schlug in Marseille bislang mit jährlich 1,9 Millionen Mark zu Buche.“510
Neben dieser Tendenz einschneidender struktureller Maßnahmen in
Frankreich lässt sich in den 1990er Jahren noch eine weitere Entwicklung
ablesen, welche die kulturelle Programmarbeit in Frankreich gefährdete. In
ihrem Artikel „Auswärtige Kulturarbeit – Magd oder Muse?“511 belegt
Karin Herrmann richtig, dass die Ausgaben der Bereiche Sprachförderung
und Kulturprogramm im Zeitraum von 1991 bis 1994 unterschiedliche
Tendenzen aufwiesen. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass im Bereich
der Kulturförderung ein Rückgang von 17% zu verzeichnen sei, dem ein
deutlicher Anstieg der Subventionen für Sprachförderung gegenüberstehe.
Herrmann kritisiert in ihren Ausführungen diese Schwerpunktverschiebung aufs Schärfste und sieht in dem „Mangel an Ausgewogenheit“ zwischen den Bereichen Sprachförderung und Kulturprogramm die Tendenz,
“ausschließlich Spracharbeit zum wichtigsten Inhalt und Instrument der
Kulturvermittlung im Ausland zu machen.“512 Auch wenn sie hervorhebt,
dass die Vermittlung der deutschen Sprache nicht vernachlässigt werden
solle, fordert sie, dass im Zentrum der Kulturarbeit die „Sachebene (Inhaltsebene)“ stehen solle, deren Vermittlung nicht in erster Linie auf
Deutsch stattfinden muss.
Der Spiegel: 19(1998), S.145.
Karin Herrmann: Auswärtige Kulturarbeit – Magd oder Muse?“ in: Hoffmann/ Maaß, ibid.
S.77.
512 Karin Herrmann, in: Hoffmann/ Maaß, ibid. S.77.
510
511
214
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Frischer Wind in der Provinz: die Gründung deutsch-französischer
Häuser in den 1990er Jahren
Im selben Maße, wie gegen Ende der 1990er Jahre das Goethe-Institut in
Frankreich eine rückläufige Tendenz in Bezug auf die Bereitstellung von
Subventionen zu verzeichnen hat, so sehr nutzte eine Reihe von deutschfranzösischen Kulturgesellschaften in der französischen Provinz die Gunst
der Stunde, um der durch die Wiedervereinigung bedingten großen Nachfrage nach deutscher Zivilisation und Kultur zu entsprechen. Während das
Goethe-Institut aufgrund von Sparmaßnahmen sein Engagement in Frankreich verringert, werden in den 1990er Jahren in vier unterschiedlichen
Provinzhauptstädten, nämlich Dijon (1991), Aix-en Provence (1993),
Nantes (1993) und Brest (1995) weitere, deutsch-französische Kulturinstitute gegründet. Dabei bekannten sich alle neu gegründeten Häuser zum
Modell des 1966 in Montpellier gegründeten Heidelberg-Hauses. Für deren
unterschiedliche Grundsteinlegung und Ausrichtung gilt: nomen est omen:
Die 1991 in Dijon entstandene Maison de Rhénanie-Palatinat konnte zur
Zeit seiner Gründung auf bereits bestehenden Kooperationsstrukturen aufbauen, da seit 1956 ein deutsch-französischer Freundschaftskreis die Regionalpartnerschaft zwischen Burgund und Rheinland-Pfalz förderte.
Gegen Ende der 1990er Jahre betreute dieser Freundeskreis bereits rund
130 kommunale Partnerschaften. Von Beginn an setzte das deutsch-französische „Kulturunternehmen“513 der Hauptstadt der Bourgogne im Gegensatz zu den Goethe-Instituten auf eine deutsch-französische
Mischfinanzierung der Struktur- und Programmkosten. Hauptträger der
Festkosten der Maison waren zur Gründungszeit neben dem Auswärtigen
Amt das Land Rheinland-Pfalz und der bereits oben genannte Partnerschaftsverband. Der Conseil Régional der Region Burgund förderte die Arbeit des Hauses durch die Bereitstellung großzügiger Räumlichkeiten in
der rue Buffon. in welchen das Haus im Jahre 2011 sein 20-jähriges Bestehen feiern konnte. Diese deutsch-französische Mischfinanzierung, so Wielgroß, mache die Maison von Beginn an zu einem „genuin
deutsch-französischen Projekt.“514 Seit seiner Gründung finanzierte das
Haus im Burgund seine Programmarbeit durch die Einnahmen aus Sprachkursen, aber auch durch Sponsoring aus der privaten Wirtschaft. Im Gegensatz zum Rotationsprinzip des Goethe-Instituts (in Bezug auf die
513
Leiter Till Meyer, in: Tanja Wielgroß: Die Fédération des Maisons franco-allemandes: Frischer Wind im deutsch-französischen Kulturgeschäft, Dokumente 2, (1999), S.239-245.
Hier: S.241.
514 Wielgroß, ibid. S.241.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
215
führenden Angestellten) setzte das Rheinland-Pfalz Haus auf Kontinuität:
Sein Leiter, Till Meyer, hatte bereits bei der Grundsteinlegung des Instituts
mitgewirkt und übt heute neben seiner Funktion als Leiter des Hauses die
Funktion des deutschen Konsuls aus.
Vier Jahre nach dem Fall der Mauer und fast zeitgleich zur Eröffnung des
Rheinland-Pfalz Hauses in Dijon entstand in Aix-en Provence die Maison
de Tübingen. Wie sein Name verrät, entstand auch dieses Centre Franco-Allemand de Provence durch eine enge deutsch-französische Kooperation,
diesmal bedingt durch die Städtepartnerschaft zwischen Aix-en Provence
und Tübingen. Zur Zeit der Gründung konnte man auch in Aix auf eine dreißigjährige Partnerschaft zurückblicken, die in diesem Fall von beiden Universitäten initiiert worden war. Von Beginn an fuhr das Haus unter der
Führung des damaligen und heutigen Leiters Joachim Rothacker eine Doppelstrategie: Neben der Maison de Tübingen wurde bereits im Jahre 1993
mit der Schaffung des Club d’Affaires Franco-Allemand eine Parallelstruktur unter dem gleichen Dach ins Leben gerufen. Die vorgesehene Finanzierung ähnelte ebenfalls den Statuten des Heidelberg-Hauses: Neben der
Stadt Aix engagieren sich seit Beginn der 1990er Jahre das Auswärtige Amt,
der Conseil Genéral und der Conseil Régional. Mitgliedsbeiträge des Trägervereins sowie des Wirtschaftsclubs ergänzen die deutsch-französische
Kofinanzierung. Im selben Jahr öffnete auch das Centre-Culturel FrancoAllemand in Nantes seine Türen. Nachdem das Auswärtige Amt auch in der
Stadt an der Loire (wie übrigens auch in Dijon) von der Idee Abstand genommen hatte, ein Goethe-Institut zu errichten, führte auch hier das Engagement der deutsch-französischen Zivilgesellschaft zur Eröffnung des
Kulturzentrums. Seit den frühen 1990er Jahren wirkt das Centre als „Bindeglied zwischen der Universität und der Stadt Nantes.“515 Mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Auslandsamtes (DAAD) stellt seit 1993
die germanistische Abteilung der Universität Nantes dem Kulturzentrum
einen sogenannten Fachlektor ab, der während seines Mandats (zwischen
3-6 Jahren) als Direktor des Zentrums wirkt. Auch in Nantes gibt es ein
deutsch-französisches Tandem, denn der DAAD- Lektor arbeitet eng mit
der 1993 gegründeten Association Les Amis du Centre Culturel Franco-Allemand zusammen, ein Verein, welcher nach französischem Recht von
einem Président geführt wird. Im Gegensatz zu den bereits erwähnten Häusern in Dijon und Aix, welche seit ihrer Gründung kontinuierlich von einem
Leiter geführt werden, wird in Nantes die Kontinuität durch Angehörige
der germanistischen Fakultät gesichert. Hier wäre allen voran der Germa515
Wielgroß, ibid. S.242.
216
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
nist Jean-Paul Barbe zu nennen, welcher nicht nur einer der Gründerväter
des Zentrums war, sondern auch heute noch an der strategischen und inhaltlichen Ausrichtung des Zentrums mitwirkt. Seit seiner Gründung zählte
der Trägerverein der Freunde des deutsch-französischen Kulturzentrums lediglich drei Präsidenten, was ebenfalls dem Wunsch nach Kontinuität entspricht : Elisabeth-Schön Emonts (ehemalige Buchhalterin), Jean-Claude
François (Professor für Germanistik an der Universität Nantes) und Marc
Chateigner (ehemaliger Ingenieur). Neben dem DAAD, dem Auswärtigen
Amt und der Universität wird das deutsch-französische Kulturzentrum
strukturell vor allem von der Stadt Nantes getragen, welche die Räumlichkeiten im Herzen der Stadt zur Verfügung stellt. Weitere punktuelle Subventionen zur Finanzierung des Kulturprogramms erhält das
Kulturzentrum vom Département Loire Atlantique, der Région des Pays de
la Loire und den Einnahmen der Mitgliederbeiträge des Trägervereins.
Trotz unterschiedlicher Entstehungsgeschichten einte die zu Beginn der
1990er Jahre in Frankreich entstandenen Deutschlandhäuser von Beginn
an das Ziel, kulturelle Aktivitäten als Dienstleister in gemeinsamer Kooperation mit der französischen Zivilgesellschaft der Partnerregion zu entwickeln. Um diesen „Initiativen der deutsch-französischen Zivilgesellschaft“
noch mehr Nachdruck zu verleihen und Synergieeffekte zu erzielen, gründeten die Häuser im Jahre 1997 die Föderation deutsch-französischer Häuser, welcher sich ebenfalls die Maison de Brest anschloss.
Der Gründungspräsident der Föderation, Kurt Brenner, seit nunmehr über
40 Jahren Leiter des Heidelberghauses in Montpellier, übte zum Zeitpunkt
der Gründung der Föderation durchaus Kritik an der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik des vergangenen Jahrzehnts, von der er mehr „Phantasie statt Bürokratie“516 einforderte:
„Sie (die Häuser, G.F.) haben sich zu einer Föderation zusammengeschlossen, die den aktuellen Anforderungen aus dem Alltag der deutschfranzösischen Kooperation besser entsprechen soll. Eine alternative Form
des Kulturdialogs hat sich herausgeschält, bei dem der Integrationsgrad in
das jeweilige sozio-kulturelle Umfeld, das Prinzip geteilter Verantwortung, das Etablieren dauerhafter Beziehungen, das elastische Reagieren
auf lokale und regionale Bedürfnisse zu entscheidenden Kriterien geworden sind. Dazu ist es wichtig, dass die Leiter der Häuser für eine längere
516
Kurt Brenner: Deutsch-französische Kulturbeziehungen: Bürokratie statt Phantasie? In:
Zeitschrift für Kulturaustausch 4 (1999), S.7.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
217
Dauer im Amt bleiben und eben nicht wie Diplomaten oder Goethe-Institutsleiter von Ort zu Ort ziehen.“517
Es bleibt jedoch zu klären, ob diese Form der „lokalen und regionalen Kulturarbeit“ der Häuser, welche sich in den 1990er Jahren als komplementäre
und alternative Form der Kulturarbeit etablierten, die „Zukunft der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik“518 in Frankreich auch in Bezug auf die
kulturelle Programmarbeit sich darstellen können.
517
518
Kurt Brenner, ibid. S.7.
Heike Denscheilmann: Neue Mittler in der Kultur? Zur Zukunft der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik in Frankreich, in: Schneider, Dialog als Prinzip, ibid. S.91-100.
218
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3.5.2 Evaluation der Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
1990-1998
Zum Korpus
Im Zeitraum von 1990 bis 1998 lässt sich die kulturelle Programmarbeit
der Goethe-Institute anhand der unterschiedlichen Darstellungsformen in
zwei unterschiedliche Phasen einteilen: 1990 bis 1993 und 1994 bis 1998.
In der ersten Phase, dem Zeitraum von 1990 bis 1993, wurden zunächst
die alten Kategorien aus den 1980er Jahren weitergeführt, nämlich Veranstaltungen insgesamt, Wissenschaft/Literatur, Musik, Theater, Film und Ausstellungen. Entsprechend den vorangegangenen Untersuchungsphasen
schlossen sich an die quantitative Erfassung der Kulturveranstaltungen in
Tabellenform erneut Kurzportraits der einzelnen Institute an. Aufgrund
der tiefgreifenden Ereignisse der deutschen Innenpolitik sowie dem Prozess der europäischen Integration neigten die jeweiligen Institute in ihren
Berichten jedoch mehr als in den vorangegangenen Jahren dazu, zunächst
den kulturpolitischen Stellenwert ihres Standortes zu bewerten und einen
„Blick von außen“ auf die Entwicklung des wiedervereinigten Deutschlands
zu werfen. Auch ist augenfällig, dass die vorliegenden Jahresberichte besonders zu Beginn dieser Dekade darauf abzielten, die Stimmung innerhalb der französischen Bevölkerung in Bezug auf das wiedervereinigte
Deutschland mit einzufangen. In der zweiten Phase, von 1994 bis 1998,
wurde die Darstellung der kulturellen Programmarbeit umgestaltet. Sie begann mit einer Zusammenfassung kultureller Höhepunkte der sieben in
Frankreich tätigen Institute, welche erstmals unter dem Titel „Region
Frankreich“ zusammengefasst wurden. Diese Bilanzen griffen Themen wie
die deutsche Innenpolitik, den europäischen Kontext, die deutsch-französischen Kulturbeziehungen, die Entwicklung der kulturellen Programmarbeit, sprachpolitische Diskussionen und allgemeine bildungspolitische
Fragen auf, was ein Umdenken in der Darstellung der kulturellen Programmarbeit in den Jahrbüchern bedeutete: die Höhepunkte der kulturellen Programmarbeit wurden erstmals im Kontext eines deutsch-französische
Kulturdialogs reflektiert. In einem zweiten Teil wurden schließlich die Höhepunkte eines Veranstaltungsjahres angeführt, dies jeweils nach Veranstaltungsform geordnet: Wissenschaft und Literatur, Musik, Spiel,
Experimental-, Dokumentarfilm, Ausstellungen und pädagogische Verbindungsarbeit. Erst der dritte Teil entsprach wieder der Darstellungsform
früherer Jahre: in synoptischer Form führte man erneut die Anzahl der organisierten Kulturprogramme auf. Entsprechend unseren theoretischen Vorüberlegungen im vorangegangenen Teil soll die nun folgende Analyse der
Kulturveranstaltungen u.a. folgenden Fragestellungen nachgegangen werden:
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
219
1. Welche Auswirkungen hatte der deutsche Einigungsprozess auf das
Deutschlandbild des französischen Zielpublikums?
2. Inwiefern wurden auch die Neuen Länder im Kulturprogramm des
Goethe-Instituts berücksichtigt?
3. Welche Rolle spielte der europäische Einigungsprozess in der kulturellen Programmarbeit?
4. Inwiefern fand auch die zunehmende Globalisierung Eingang in die
Themenwahl?
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
220
Quantitative Analyse der Kulturveranstaltungen von 1990 bis 1998
Übersicht 29: Die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 19901998 (1990=1)
2,000
1,800
1,600
1,400
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
1,200
Musikveranstaltungen
Theaterveranstaltungen
1,000
Ausstellungen
0,800
Filmvorführungen
Aktivitäten insgesamt
0,600
0,400
0,200
0,000
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Wie bereits im theoretischen Teil dieses Kapitels aufgezeigt, war der Untersuchungszeitraum von 1990 bis 1998 unter Bundeskanzler Helmut Kohl
und Außenminister Hans-Dietrich Genscher durch einen starken Rückgang
der auswärtigen Kulturförderung geprägt, welcher insbesondere ab dem
Kalenderjahr 1993 einsetzte: Nachdem zunächst in Folge der Wiedervereinigung die Mittel im Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes bis einschließlich 1991 angestiegen waren, musste insbesondere die Region
Westeuropa mit weit weniger Mitteln auskommen als zuvor. Die Übersicht
29 belegt deutlich, wie sehr sich diese finanziellen Einschnitte auf die Anzahl der in Frankreich organisierten Kulturveranstaltungen auswirkten:
Ab dem Kalenderjahr 1993 nahm die Gesamtzahl der Kulturveranstaltungen kontinuierlich ab. Wie stark dieser Einschnitt die einzelnen Veranstaltungsformen betraf, darüber gibt die Übersicht 30 Auskunft:
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
221
Übersicht 30: Die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 19901998 in absoluten Zahlen
Entwicklung der Aktivitäten normiert (1990 = 1)
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
1,000
1,196
1,029
1,373
1,235
0,912
1,059
0,971
1998
0,922
Musikveranstaltungen
1,000
1,571
1,204
1,163
1,367
1,633
0,959
0,612
0,755
0,390
0,585
0,520
Theaterveranstaltungen
1,000
0,691
0,472
0,301
0,228
Ausstellungen
1,000
1,100
1,800
0,978
1,178
0,978
0,889
0,944
0,678
Filmvorführungen
1,000
0,958
0,659
1,682
1,389
1,270
1,062
0,276
0,397
0,179
Aktivitäten insgesamt
1,000
1,006
0,846
1,327
1,191
1,071
0,903
0,473
0,494
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Insgesamt ging über den gesamten Zeitraum hinaus die Anzahl der in
Frankreich organisierten Kulturveranstaltungen ca. um die Hälfte zurück,
von ursprünglich 719 Gesamtveranstaltungen im Jahre 1990 auf 355 Veranstaltungen im Jahre 1998. Dies entsprach in etwa jenem Wert, der für
das Veranstaltungsjahr 1971, der Aufbauphase deutscher Kulturarbeit in
Frankreich von 1965 bis 1971 errechnet werden konnte, in welcher die
Goethe-Institute frankreichweit insgesamt 417 Veranstaltungen organisiert hatten. Während die Anzahl der Wortveranstaltungen mit einem
Rückgang von nur ca. 8% fast noch an das Niveau zu Beginn des Jahrzehnts
anknüpfen konnten, reduzierten die Kulturschaffenden vor allem die Veranstaltungsformen der Filmvorführungen – welche einen Rückgang von
über 70% verzeichneten - die Theatervorstellungen nahmen sogar über
80% ab. Einzig die Musikveranstaltungen konnten bis ins Jahr 1995 eine
positive Entwicklung verzeichnen. Sie stiegen bis zu diesem Zeitpunkt um
über 60% an, wobei sich in den letzten drei Jahren des Untersuchungszeitraums auch in diesem Bereich ein merklicher Rückgang der musikalischen Aktivitäten verzeichnen ließ. An dieser Stelle stellt sich die Frage,
warum gerade zu Beginn der 1990er Jahre vorrangig die Veranstaltungsform der Musikveranstaltungen gewählt wurde, um in Frankreich den
hohen Informationsbedarf zu den Neuen Bundesländern, der in Folge der
Wiedervereinigung beim französischen Zielpublikum entstanden war, zu
decken? In Bezug auf die Veranstaltungsformen wiesen die Goethe-Institute in dieser Phase erstmals eine homogene Auswahl in Bezug auf die Veranstaltungsformen auf, wie die folgende Übersicht 31 belegt:
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
222
Übersicht 31: Die Aktivitäten der Goethe-Institute 1990-1998 je nach Institut
in Zahlen
Aktivitäten der Goethe-Institute 1990-1998
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
Bordeaux
Lille
174
Lyon
Marseille
Nancy
Paris
Toulouse
96
165
141
121
230
62
Gesamt
989
Musikveranstaltungen
77
29
67
53
96
130
51
503
Theaterveranstaltungen
81
17
77
36
149
108
69
537
Ausstellungen
71
100
147
120
179
169
73
859
Filmvorführungen
246
298
336
631
447
822
306
3.086
Aktivitäten insgesamt
649
540
792
981
992
1.459
561
5.974
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Ausnahmslos alle Institute organisierten in diesem Zeitraum eine hohe Anzahl von Filmvorführungen, die als prioritäre Veranstaltungsform jeweils
die erste Wahl der Kulturschaffenden war. An zweiter Stelle standen entweder Ausstellungen oder Wortveranstaltungen. Dies ist sicherlich durch
die Tatsache zu erklären, dass durch die Bereitstellung von Sondermitteln
zu den Themen „Wiedervereinigung“ und „Neue Bundesländer“ von Inter
Nationes Wanderausstellungen zur Verfügung gestellt wurden, welche
jedes Institut präsentierte und welche in der Regel von einer Diskussionsrunde begleitet wurden. Einen Höhepunkt erlebte die Veranstaltungsform
der Ausstellungen zwei Jahre nach der Wiedervereinigung, im Kalenderjahr 1992 (siehe Übersicht 30). Besonders aufschlussreich in Bezug auf die
Gesamtaktivitäten der einzelnen Institute ist folgende Übersicht 32, wobei
insbesondere die Aktivitäten des Goethe-Instituts Marseille ein Jahr vor
seiner Schließung unser Interesse erwecken sollten:
Übersicht 32: Die Aktivitäten der Goethe-Institute 1997 je nach Institut in
Zahlen
Aktivitäten der Goethe-Institute in 1997
Lyon
Marseille
Nancy
Paris
Toulouse
17
12
27
17
9
14
3
99
Musikveranstaltungen
3
4
2
9
5
4
3
30
Theaterveranstaltungen
4
5
6
4
1
4
4
28
Ausstellungen
11
11
17
12
18
12
4
85
Filmvorführungen
23
41
20
8
2
0
4
98
Aktivitäten insgesamt
58
73
72
50
35
34
18
340
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
Bordeaux
Lille
Gesamt
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Mit insgesamt 50 organisierten Kulturveranstaltungen im Kalenderjahr
1997, das heißt wenige Monate vor seiner Schließung im März 1998, organisierte das Institut in Marseille fast dreimal so viele Kulturveranstaltungen wie das Institut in Toulouse, aber auch deutlich mehr
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
223
Veranstaltungen als Nancy oder gar Paris. Betrachtet man den gesamten
Untersuchungszeitraum von 1990 bis 1998 (Übersicht 31), stand das Institut im Süden Frankreichs in Bezug auf die Anzahl der organisierten Veranstaltungen mit 981 organisierten Veranstaltungen hinter dem Institut
aus der Hauptstadt (1459 Veranstaltungen) und dem Institut in Nancy (981
Veranstaltungen) knapp an dritter Stelle, deutlich vor Bordeaux, Toulouse
und Lille. Die Quantität der geleisteten kulturellen Aktivitäten kann demnach kein entscheidendes Kriterium für die Schließung des Instituts gewesen sein, die Ursache muss entweder in der Qualität der
Veranstaltungen, im zurückgehenden Publikumsinteresse oder im wenig
ausgebauten Netzwerk mit der französischen Zivilgesellschaft zu suchen
sein. Auf diese Thematik wird insbesondere im letzten Kapitel dieser Arbeit, wenn es um die Auswertung der Experteninterviews geht, eingegangen werden.
224
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Qualitative Analyse der Kulturveranstaltungen von 1990 bis 1998
Die erste Phase von 1990 bis 1994
Die Jahrbücher als Zeugnis der Wahrnehmung des Deutschlandbildes in
Frankreich
Bereits gegen Ende des Jahres 1989 vermerkten die Goethe-Institute in den
Jahrbüchern eine enorm gestiegene Nachfrage nach Informationen zum
wiedervereinigten Deutschland, mit der man in diesen Ausmaßen offensichtlich nicht gerechnet hatte. Diese äußerte sich nicht nur in einer rasanten Zunahme der Sprachkursteilnehmer - Bordeaux berichtet allein im
Jahr 1989 von ca. 30% mehr Teilnehmern - sondern auch an einem großen
Mehrbedarf an Kulturveranstaltungen. So schrieb beispielsweise das Goethe-Institut in Toulouse im Jahr des Mauerfalls: „Ganz unvermutet etwa der
Publikumsdrang (an die 300 Zuhörer) bei einem Podiumsgespräch mit Robert Picht (Ludwigsburg) und hiesigen Germanisten/Soziologen Ende November 1989 zum Thema „Berlin und Wiedervereinigung“519. Das große
Interesse an der innenpolitischen Entwicklung Deutschlands hatte bereits
vor dem Vollzug der Wiedervereinigung eingesetzt, wie aus einem Jahresbericht (1989) des Goethe-Instituts in Lille hervorgeht. So füllte ein Podiumsgespräch im Vorfeld der deutschen Einigung angeblich „den
Veranstaltungssaal bis auf den letzten Platz,“520 eine Erfahrung, die das Institut in den vorangegangenen Jahren vermutlich nur äußerst selten gemacht hatte. Im Gegensatz zu der großen nationalen Euphorie, welche in
den ersten Jahren der Wiedervereinigung bis ca. 1992 in Deutschland
herrschte, dokumentieren die Jahresberichte dieser Phase auf beeindruckende Weise, wie aus Sicht der Kulturschaffenden der Goethe-Institute
das französische Zielpublikum auf den Prozess der Wiedervereinigung reagierte. So spiegelten im Jahr der Wiedervereinigung laut Goethe-Institut
Lyon, zahlreiche Diskussionen mit dem Publikum „die durch den raschen
deutschen Einigungsprozess aufgekommenen Urängste vor dem deutschen
Nachbarn wider“521. Auch in Marseille „gab es nicht nur Freude über die
deutsche Vereinigung.“522 Unabhängig voneinander stellten so auch im selben Veranstaltungsjahr 1990/91 die Goethe-Institute in Lille und Marseille
fest, dass der deutsch-deutsche Einigungsprozess beim französischen Publikum mit „Besorgnis“523 betrachtet wurde. Diese Haltung erreichte im
519
520
521
522
523
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.161.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.107.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.114.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.122.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.105 und S.120.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
225
Folgejahr ihren Höhepunkt, nachdem es im August 1992 in Rostock bei der
Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber zu den größten fremdenfeindlichen Ausschreitungen der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik gekommen war. Das Goethe-Institut der Hauptstadt sprach in diesem
Zusammenhang gar von einem in Frankreich entstandenen „Schreckbild“524 von Deutschland. Nach den in Deutschland verübten Anschlägen
wurde sogar die „Frontseite des Goethe-Instituts Paris mit Schmähparolen
beschmiert“, einige Mitarbeiter erhielten „persönliche Drohungen.“525 In
dieser Periode zielten die Kulturveranstaltungen der Institute vor allem
darauf ab, „falsche Bilder zu berichtigen und behutsam von den großen
Schwierigkeiten, die bevorstanden, zu berichten.“526 Das Goethe-Institut
Nancy erklärte die sehr kritische Haltung der französischen Zielgruppe vor
allem durch „erstaunliche Informationsdefizite“527, das Institut in Bordeaux notierte: Deutschland sei „im Bewusstsein der Bewohner (…) ein
Land, dass man nicht gut kennt.“528 Hieraus ergab sich für die ersten Jahre
nach der Wiedervereinigung eine neue Priorität für die kulturelle Programmarbeit des Goethe-Instituts, nämlich „einem deutlichen Informations - und Erklärungsbedarf nachzukommen.“529 Diese Strategie, d.h. in den
ersten Jahren nach der Wiedervereinigung als deutsches „Informationszentrum“ aufzutreten, wirkte sich auch auf die inhaltliche Konzeption der
Veranstaltungen aus. Vorrangig wurden deutsch-deutsche Themen aufgegriffen, der deutsch-französische Dialog trat dabei in den Hintergrund (Einzige Ausnahme zu der schwierigen Thematik des neu aufkommenden
Rassismus in Deutschland stellte in dieser Beziehung ein im Herbst des Jahres 1993 in Lyon organisiertes Kolloquium dar, welches sich offensiv mit
der Frage der Ausländerfeindlichkeit auseinandersetzte. An der Debatte
nahmen Daniel Cohn-Bendit und Azouz Begag teil.530) Erneut kann man
einen Großteil der in den Goethe-Instituten geleisteten kulturellen Programmarbeit dieser Phase in die Rubrik „Exportkultur“ einordnen. Der erneute Repräsentationscharakter der Veranstaltungen wurde besonders bei
Kulturveranstaltungen deutlich, welche der Thematik der Neuen Bundesländer gewidmet waren. Zu viele Themen wurden isoliert im deutsch-deutschen Kontext betrachtet, zu wenig wurde die innerdeutsche Problematik
in den europäischen Integrationsprozess eingeordnet.
524
525
526
527
528
529
530
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1992/93, S.141.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1992/93, S.140.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.122.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1992/93, S.132.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.62.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.62.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.123.
226
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die Neuen Bundesländer und die Programmarbeit der Goethe-Institute
Im Jahresbericht 1989/90 des Goethe-Instituts Paris stößt man auf einen
lakonischen Kommentar in Bezug auf die am 3. Oktober 1990 erfolgte
Schließung des erst 1983 in Paris eröffneten Kulturzentrums (KUZ) der
DDR531: „Im engeren kulturellen Bereich stieß die Schließung des DDRKulturzentrums in Paris bei den Medien und bei dem betroffenen Publikum
(Hervorhebungen von mir, G.F.) auf großes, jedoch kurzlebiges Interesse.532
Ulrich Pfeil skizziert die letzten Monate dieses „deutsch-deutsch-französischen Dreiecks“ in der französischen Hauptstadt in seinem Unterkapitel
„Die Rückkehr der gesamtdeutschen Kulturnation im DDR Kulturzentrum
in Paris“533 auf vortreffliche Weise. Für ihn spiegelt sich in der „Fusion“
beider Zentren das bundesdeutsche Vorgehen bei der staatlichen Wiedervereinigung wider:
„Der anfängliche Optimismus bei den Mitarbeitern des KUZ, mit dem Pariser GI zu fusionieren und die eigenen Erfahrungen in eine zukünftige gemeinsame Arbeit einbringen zu können, erwiesen sich schnell als
überholt. So wie auf staatlicher Ebene das bundesdeutsche System auf das
Gebiet der ehemaligen DDR übertragen wurde, mussten auch die Angestellten des KUZ ihre eigene Abwicklung und die Schließung ihres Instituts am 3. Oktober erleben.“534
Dieser „Abgesang“ auf die kulturellen Bemühungen der ehemaligen DDR
in der Hauptstadt ließ zum einen Distanz zu einer bestimmten französischen Zielgruppe erkennen, welche sich bereits vor der Wiedervereinigung
mit der Kultur der DDR auseinandergesetzt hatte, zum anderen ist auch
ein Anklang von Arroganz in Bezug auf die DDR als Kulturnation in dieser
Notiz nicht von der Hand zu weisen. Tatsache war, dass mit der Schließung
des DDR-Instituts und besiegelt durch die Wiedervereinigung, die in Frankreich ansässigen Goethe-Institute ab Oktober 1990 offiziell die Aufgabe
übernahmen, auch einen Teil dieser „anderen deutsch-französischen Kulturbeziehungen“ zu repräsentieren. Es stellt sich daher an dieser Stelle die
531
Dazu näher: Ulrich Pfeil: Die Rückkehr der gesamtdeutschen Kulturnation, das DDR-Kulturzentrum in Paris, in: Lendemains, Französisch-deutsche Kulturbeziehungen: Entente
Cordiale?, Nr. 103/104, (2001) S.108-125. Oder: Ulrich Pfeil: Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949–1990 (Zeithistorische Studien des
Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, Bd. 26), Köln, Böhlau, 2004, 704 Seiten.
532 Jahrbuch des Goethe-Instituts 1989/90, S.137.
533 Ulrich Pfeil: Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, ibid. S.528-548.
534 Ulrich Pfeil: Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, ibid. S.545.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
227
Frage, in welchem Umfang, in welcher Form und mit welchen Mitteln diese
Aufgabe gerade in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung in den
einzelnen Goethe-Instituten gestaltet wurde. Setzt man diese neue Zielsetzung zunächst in den Kontext der von der Regierung Kohl/ Genscher beschlossenen Sparmaßnahmen zu Beginn der 1990er Jahre, wird schnell
klar, dass sich die Institute, gerade, was die gesteigerte Nachfrage an Kulturveranstaltungen mit dem Themenschwerpunkt Neue Bundesländer anging, in einem Dilemma befanden, was u.a. der Jahresbericht des Jahres
1991/92 des Goethe-Instituts Paris widerspiegelte:
„Es erweist sich als immer schwieriger, mit gleichen Mitteln und Personal zusätzliche Informations - und Kulturarbeit über die fünf neuen Bundesländer zu leisten, die in ihrer Problematik für einen Nachbarn wie
Frankreich ein neues Verständnis erforderlich machen.“535
Dem Goethe-Institut in Paris gelang es in dieser Phase dennoch mit einem
ebenso anspruchsvollen wie vielseitigen Kulturprogramm diese hohen Erwartungen zu erfüllen. Einen vorläufigen Höhepunkt zur Thematik der
neuen Bundesländer stellte dabei das Pariser Veranstaltungsjahr 1991/92
dar. Das Zentrum organisierte eine Reihe in der ehemaligen DDR verbotener Filme („Verbotsfilme“), Retrospektiven zu Frank Beyer und Heike Misselwitz, Dokumentarfilme zur Ost-West Beziehung, Symposien zur
Literatur der DDR und zahlreiche politische Debatten zu aktuellen Themen.
Als Redner traten in diesem Jahr unter anderen die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel (damals stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU),
der heutige Bundespräsident Joachim Gauck (als Beauftragter für die StasiUnterlagen) und der heutige Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im
Bundestag, Gregor Gysi (Vorsitzender der Bundestagsgruppe PDS), auf.
Auch im Folgejahr knüpfte man in Paris an die herausragende Qualität des
Kulturprogramms des Vorjahres zur Thematik der Neuen Länder an. So
sprach beispielsweise Joachim Gauck über die Stasi-Akten, Rita Süßmuth
über die Zukunft Deutschlands und Joachim Bitterlich, enger Mitarbeiter
von Bundeskanzler Helmut Kohl und Experte für Fragen der Europapolitik
gemeinsam mit Alfred Grosser über die deutsch-französischen Beziehungen.
Für Lesungen konnte man in diesem Kalenderjahr u.a. den ostdeutschen
Dramaturgen Heiner Müller gewinnen. In dieser Phase baute das Institut in
Paris seine Sonderstellung in Bezug auf die Qualität seiner Veranstaltungen
mehr und mehr aus. Dies schien auch von den anderen Goethe-Instituten
535
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1991/92, S.136.
228
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
wahrgenommen zu werden, denn im Jahrbuch 1993/94 begann das Goethe-Institut Toulouse seinen Jahresbericht mit dem vielsagenden Satz:
„Paris ist nicht Frankreich, und alles, was nicht Paris ist, ist Provinz.“536
Das Kulturprogramm des Instituts in Bordeaux im Zeitraum von 1990/91
bis 1992/93 soll an dieser Stelle stellvertretend für andere Kulturinstitute
in der Provinz in Bezug auf die Neuen Bundesländer exemplarisch analysiert werden. Im Jahr der Wiedervereinigung nannte der Jahresbericht des
Goethe-Instituts in Bordeaux Veranstaltungen zu folgenden Themen : die
„Entartete Kunst München 1937“,deutsch-französische Seminare zur „Rolle
der Regionen im europäischen Integrationsprozess“, „die Wechselbeziehungen zwischen deutschen und französischen Eliten während der Französischen Revolution,“ die Ausstellung „Deutscher Widerstand gegen
Hitler“, „Komponistenportraits von Adriana Hölsky und Robert H.P. Platz“
und ein Workshop mit Susanne Linke. Fazit: nur eine einzige aufgeführte
Kulturveranstaltung, ein Vortrag von einer „Dozentin“ (Name wurde nicht
genannt!) aus der ehemaligen DDR zum Thema der „Eigenständigkeit der
DDR Literatur“537 wurde den Neuen Ländern gewidmet. Das kommende
Jahresprogramm im Veranstaltungsjahr 1993/94 wurde im Jahrbuch des
Goethe-Instituts Bordeaux in einem Satz zusammengefasst: eine FritzLang-Retrospektive, ein Monatsprogramm unter dem Titel „Allemandes“
und ein Tanzabend mit der in Lüneburg geborenen Solotänzerin Susanne
Linke.538 Von einer intensiven und nachhaltigen Auseinandersetzung mit
den neuen Bundesländern, wie sie das Pariser Institut in dieser Phase betrieb, konnte in Bordeaux in den ersten drei Jahren nach der Wiedervereinigung keine Rede sein. Dies ist insofern sehr verwunderlich, als dass man
noch zuvor am selben Ort eine große Nachfrage zu diesen Themen in der
französischen Bevölkerung ausgemacht hatte:
„Über die mutmaßliche Rolle dieses größeren Deutschlands, seine zu
fürchtende Rolle wirtschaftliche Übermacht, seinen nach Osten verschobenen Schwerpunkt, seine Absichten und seine zukünftige Haltung zu
Europa wurde in Frankreich viel nachgedacht, geredet und geschrieben.“539
Klassifiziert man die in der Provinz angebotenen Kulturprogramme dieser
ersten Phase der 1990er Jahre nach ihrer inhaltlichen Ausrichtung, wird
536
537
538
539
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.187.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.64.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.187.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.187.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
229
zudem deutlich, dass nur ein sehr geringer Anteil der Veranstaltungen dem
engen Kulturbegriff zugeordnet werden kann. Er ist beispielsweise sehr
verwunderlich, dass im Veranstaltungsjahr 1990/91 nur ein einziger
Schriftsteller der ehemaligen DDR in ein Goethe-Institut der französischen
Provinz eingeladen wurde, nämlich Hans Joachim Schädlich nach Nancy.
Es wäre an dieser Stelle jedoch zu einfach, die in dieser Zeit in Bordeaux
zum Thema Neue Bundesländer geleistete Kulturarbeit als stellvertretend
für alle weiteren Institute der Provinz anzusehen. So gab es im Goethe-Institut Lille einige kulturelle Höhepunkte, beispielsweise die Diskussion
über „das Verhältnis der Deutschen in Ost und West nach 45 Jahren Trennung“ (1990/91) mit dem DDR-Bürgerrechtler Jens Reich oder das Kolloquium „Geschichtsunterricht in Deutschland vor – und nach der Wende“
(1991/92) mit den Geschichtsdidaktikerinnen Böhme (Dresden) und
Kappler (Halle). Auch in Lyon zählten sicherlich die rencontres mit Joachim
Gauck (1991) und dem ostdeutschen Schriftsteller und Büchner-Preisträger Durs Grünbein (1993) zu den Höhepunkten der Kulturveranstaltungen
des jeweiligen Kalenderjahres. Dennoch sind diese vereinzelten Veranstaltungen im Rahmen des Jahresprogramms als Ausnahmeveranstaltungen anzusehen, da die Institute in der Provinz vorrangig andere
Schwerpunkte als das Thema Neue Bundesländer setzten. So sprachen beispielsweise sowohl Gauck als auch Grünbein im Rahmen eines Zyklus, welche das Goethe-Institut Lyon als Rencontres Européennes ankündigte.
230
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Europa in der Programmarbeit der Goethe-Institute.
Nach dem Mauerfall und vor dem Hintergrund der Europäischen Integration musste die kulturelle Programmarbeit der Goethe-Institute zu Beginn
der 1990er Jahre auch den Nachweis erbringen, dass „mit wichtigen
deutsch-französischen und damit europäischen Dialogthemen“540 beim
französischen Publikum eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem zukünftigen Europa angeregt wurde. Mit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages im Jahre 1992 war ein bedeutender Schritt in Richtung
europäische Integration gelungen. Das Ergebnis des französischen Referendums im September 1992, bei welchem lediglich 51% der Franzosen
für den Vertrag gestimmt hatten, zeigte jedoch, wie hauchdünn die Mehrheit der Franzosen diesem Zukunftsmodell gegenüberstand. Im Jahresbericht 1992/93 stellte das Pariser Goethe-Institut die These auf, dass vor
allem das negative Deutschlandbild für den knappen Ausgang des französischen Referendums verantwortlich gewesen sei: „Beide politischen Lager
führten dabei (beim Maastricht-Referendum, G.F.) das Schreckbild eines
übermächtig gewordenen Deutschlands als Argument in die Diskussion ein,
für, bzw. gegen das Maastrichter Europamodell zu stimmen.“541 Das gesellschaftspolitische Klima Frankreichs in Bezug auf die europäische Integration wurde in dieser Phase laut einzelner Jahresberichte durch die
“allgemeine wirtschaftliche Rezession“542 noch zusätzlich getrübt. Welche
Themenkreise im Rahmen der europäischen Integration die kommenden
Jahre vorrangig in den Goethe-Instituten aufgegriffen werden sollten, zeigte
der Jahresbericht (1992) des Pariser Goethe-Instituts auf: Ökologie, die
Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit, multikulturelle Gesellschaften, Rechtsextremismus, Ausbildungsfragen und die Kenntnis der
Nachbarsprachen.543 Es ist daher lohnenswert, anhand einzelner Institutsprofile zu überprüfen, wie diese von Paris angeregte Marschrichtung in
den einzelnen Instituten umgesetzt wurde. Schon vorab kann gesagt werden, dass die einzelnen Institute in der französischen Provinz sich der Thematik der europäischen Integration in der Anfangsphase der 1990er Jahre
auf sehr unterschiedliche Weise und mit sehr ungleichem Engagement widmeten. Kulturveranstaltungen, welche im Kontext zum europäischen Einigungsprozess standen, wurden gleich zu Beginn der 1990er Jahre allen
voran vom Goethe-Institut Lyon organisiert, dies übrigens in Form eines
540
541
542
543
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1991/92, S.136.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1992/93, S.136.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1992/93, S.63.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1991/92, S.136.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
231
Verbundprogramms mit dem 1990 gegründeten Rheinland-Pfalz-Haus in
Dijon. Dabei gelang es den Kulturzentren sogar, auch in institutioneller Zusammenarbeit „europäisch“ innovative Wege zu gehen: „Hauptanliegen
war unser Zusammenwirken mit den Kollegen vom italienischen Kulturinstitut in Lyon, British Council Paris, sowie dem spanischen Generalkonsulat Lyon, um eine Serie von Rencontres Européennes zu initiieren.“544
Besonders für das Goethe-Institut Lille und die Region des französischen
Nordens war in den Anfangsjahren der 1990er Jahre der Europäische Einigungsprozess fassbar: 1992 wurde die lang geplante TGV-Linie ParisLille in Betrieb genommen, anschließend erfolgte die Eröffnung des
Tunnels unter dem Ärmelkanal nach Großbritannien. In einem der Jahresberichte verwies das Goethe-Institut Lille auf das übergeordnete politische
Ziel der Region Nord-Pas de Calais „den Norden Frankreichs als Euro Region auszubauen“ und „die Metropole des Nordens auch zu einem wichtigen europäischen Verwaltungs-, Konferenz-, und Kulturzentrum“545 zu
machen. Vor diesem Kontext stellte das Goethe-Institut in seinem Bericht
des Jahres 1990 zweierlei neue Tendenzen fest: Zum einen zeigte sich im
Norden Frankreichs „ein wachsendes Interesse am Aufbau der Beziehungen zu den europäischen Nachbarländern“, zum anderen hätte es jedoch
auch eine „große Zahl von Einzelinitiativen in Richtung auf eine europaweite kulturelle Öffnung noch nicht vermocht, „das recht selbstgenügsame
und oft provinzielle kulturelle Klima der Region“546 zu ändern. Ziel der
kommenden Jahre sei es demnach, das französische Publikum in Bezug auf
europäische Themen aus seiner „Provinzialität“547 zu erwecken. Besonders im Jahr 1990 setzte das Institut in Lille verstärkt auf Kulturveranstaltungen zum Thema Europa. Exemplarisch sei an dieser Stelle eine
Veranstaltung im bildungspolitischen Bereich erwähnt: die Ausrichtung
des trinationalen Kolloquiums „Die Entwicklung der pädagogischen Praxis
und ihre sozialen Auswirkungen in Italien, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich in den letzten 20 Jahren.“548 Neben der inhaltlichen
Ausrichtung verfolgte dieses Kolloquium ein übergeordnetes, soziales Ziel,
im Sinne einer nachhaltigen Kulturpolitik, nämlich beispielhaft aufzuzeigen, „dass Grundfragen der menschlichen (europäischen, Zusatz von mir,
G.F.) Gesellschaft nur noch auf gemeinsamer Basis gelöst werden kön-
544
545
546
547
548
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990, S.114.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.114.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.114.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.114.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.107.
232
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
nen.“549 Mit diesem Ansatz ging das Institut neue Wege, indem es versuchte, durch Kulturveranstaltungen europäische Werte zu vermitteln. Es
ist jedoch zu vermuten, dass das Goethe-Institut Lille in den beiden folgenden Jahren auf Schwierigkeiten stieß, lokale Partner für ähnliche europäische Kulturprojekte zu finden. Zumindest legt folgender Eintrag in das
Jahrbuch aus dem Jahre 1991/92 diese Interpretation nahe: „In der Zusammenarbeit mit Partnern lassen sich im allgemeinen keine kontinuierlichen Programmreihen bilden.“550 Auch im Folgejahr führte das Institut im
Norden Frankreichs im Jahresbericht keine Veranstaltung mit dem Schwerpunkt Europa auf. Erst 1993 schien man in Lille eine neue Strategie zu entwickeln, welche langfristig auf ein regionales Interesse stieß und welche
lokale Partner an Kulturprojekte zu binden schien: durch interregional ausgerichtete Veranstaltungen zum Thema Europa der Regionen. Auftakt zu
einer Reihe von Veranstaltungen mit diesem Kern bildete im Jahr 1993 der
sechsteilige Vortragszyklus „Zwei Regionen im Wandel.“ Diese Veranstaltung hatte die Zielsetzung „über die Grenzen hinweg Probleme gemeinsam
zu lösen“551 und die Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und
Nord-Pas de Calais enger zu knüpfen. Auch im Goethe-Institut Bordeaux
wollte man zu Beginn der 1990er Jahre im Rahmen der Kulturarbeit die
„regionale Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinaus“ unterstützen. Obwohl im Jahre 1994 das 30-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft zwischen Bordeaux und München gefeiert wurde, wurde jedoch
im Jahrbuch keine einzige Kulturveranstaltung in dieser europäischen Perspektive aufgeführt. Stattdessen stehen in diesem Jahr ausschließlich Themen auf dem Programm, die auch ohne Wiedervereinigung und
europäische Integration hätten behandelt werden können: ein Wim Wenders Filmzyklus, eine Ausstellung der Sammlung Elsbeth Kasser (Werke
aus Deutschland vertriebener Künstler), ein Georg Büchner Verbundprogramm und schließlich ein Werner Herzog Filmzyklus.
549
550
551
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.107.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1991/92, S.105.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1993/94, S.115.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
233
Europa und die Globalisierung
Im Goethe-Institut Paris organisierte man vor allem Großereignisse zum
Thema Europa im globalen Kontext, an welchen herausragende deutsche
Intellektuelle und Künstler teilnahmen. Im Kalenderjahr 1990 bezogen beispielsweise Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger und Wolf Biermann
kritisch Stellung zum Golfkrieg (1990) mit dem Ziel, die pazifistische deutsche Sonderstellung, welche sich deutlich von den Interventionen anderer
Mitglieder des UN- Sicherheitsrates abgrenzte, zu erklären. Im Jahr 1992
folgte das zweitägige Kolloquium zum Thema „Multikulturelle Gesellschaften“, unter Mitwirkung von Joachim Gauck und Rita Süßmuth. Das
Goethe-Institut der Hauptstadt war in dieser Phase sichtlich bemüht, die
Formen der institutionellen Zusammenarbeit auf einer binationalen und
später multinationalen Ebene weiter zu führen. Dazu sollte insbesondere
das Anfang der 1990er Jahre gegründete Netzwerk interréseaux (siehe folgendes Kapitel) zwischen Goethe-Instituten (in Frankreich) und den Instituts Français (in Deutschland) als Modell für Europa dienen.552 Insgesamt
muss jedoch für die Periode von 1990 bis 1994 auch für das Institut in Paris
festgehalten werden, was auch für alle weiteren Goethe-Institute galt: Veranstaltungen zu europäischen Themen oder gar zu globalen Fragen blieben - trotz politischer Dringlichkeit - nur Randerscheinungen bei der
kulturellen Programmarbeit. Mit Ausnahme der Institute in Lyon, wo sich
die Kulturveranstaltungen dem Prinzip der Nachhaltigkeit verschreiben
hatten und in Lille, wo man versuchte, langfristig angelegte kulturelle Kooperationen zwischen europäischen Regionen zu unterstützen, ließen die
weiteren Institute keinerlei strategische oder konzeptuelle Programmarbeit zu dieser Thematik erkennen.
Die zweite Phase von 1994 bis 1998
Wie bereits eingangs erwähnt wurde, gestaltete sich die zweite Phase der
1990er Jahre (von 1994 bis 1998) in den Jahrbüchern neu. Erstmals wurde
die Arbeit der sieben Goethe-Institute als Einheit betrachtet und dargestellt, dies allerdings zunächst auf Kosten der Vollständigkeit der Informationen. So wurden beispielsweise im Veranstaltungsjahr 1994/1995
stellvertretend für alle Institute lediglich 12 exemplarische Kulturveranstaltungen aufgeführt, welche über die in Frankreich geleistete kulturelle
552
„Die bereits bewährten Formen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen den Instituts Français in Deutschland und den Goethe-Instituten in Frankreich könnten hier für
eine künftige multilaterale Kooperation in Europa als Modell dienen.“ In: Jahrbuch des
Goethe-Instituts 1991/92, S.136.
234
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Programmarbeit des vergangenen Kalenderjahres exemplarisch Auskunft
geben sollten. Zweitens verschwanden leider in diesem Überblick auch die
(selbst-) kritischen Darstellungen der einzelnen Institute. Statt Selbstreflektion und Kritik am Kurs des Auswärtigen Amtes - insbesondere das
Goethe-Institut Paris hatte sich beispielsweise über die Sparmaßnahmen
der Regierung beklagt - hatten die Jahresberichte der Goethe-Institute in
dieser Phase den Charakter eines öffentlichkeitswirksamen Werbeträgers,
was beispielsweise folgende Passage belegt:
„(…) allen Goethe-Instituten [sind] in Frankreich neue Aufgaben zugewachsen: die Koordinierung europäischer Initiativen, die Durchführung
multilateraler Projekte (…).Darüber hinaus übernimmt das Goethe-Institut Paris Informations- und Koordinierungstätigkeiten, besonders im
Filmbereich, für andere Goethe-Institute in der frankophonen Welt.“553
Dies hatte auch zur Folge, dass vor allem die Darstellung der staatlichen
Einflussnahme beider Länder (in Form von Sponsoring) bei diversen Kulturveranstaltungen weit mehr in den Vordergrund rückte, als dies noch
zuvor der Fall gewesen war. So wurden im ersten Bericht dieser Phase ausdrücklich in mehreren Passagen die Meriten deutscher und französischer
„Ministerien“ hervorgehoben, was zur Folge hat, dass der Leser dieser Jahresberichte den Eindruck gewinnen musste, dass das Kulturprogramm der
Goethe-Institute in dieser Phase eine beinahe staatstragende Rolle spielte.
Unter diesen drei Prämissen müssen die Jahresberichte des Zeitraums
1994-1998 ausgewertet und in ihren kulturpolitischen Zusammenhang gesetzt werden. Der Schwerpunkt des Kalenderjahres 1994/95 lag laut Jahresbericht auf dem Feiern wichtiger Jubiläums- und Gedenkdaten: 100
Jahre Film, 50 Jahre Kriegsende, 5 Jahre Mauerfall und 5 Jahre Wiedervereinigung, wobei der erste Jahresbericht lediglich auf zwei Veranstaltungen
näher einging, die mit den Gedenkfeiern zum Kriegsende in Verbindung
standen. Es handelt sich dabei um „eine Zusammenarbeit mit Überlebenden in Auschwitz (Goethe-Institut Marseille) und eine Kooperation mit der
nationalen Vereinigung der Deportierten und Gefangenen (Bordeaux).“554
Schließlich wurden noch zwei weitere Veranstaltungen explizit aufgeführt,
welche beide in Paris stattfanden: ein Kolloquium über den deutschen und
französischen Widerstand und eine Pariser Ausstellung zum Berliner
553
554
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1990/91, S.107.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1994/95, S.75.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
235
Mahnmal des deutschen Widerstands.555 Nähere Informationen zur kulturellen Programmarbeit der Institute in Lille, Lyon, Nancy und Toulouse
sucht man in diesem Jahresüberblick vergebens. Stattdessen gab das Jahrbuch ausführlich darüber Auskunft, dass das „Regionalinstitut Paris“ in
naher Zukunft neben den bereits angeführten „Informations- und Koordinierungstätigkeiten“ auch für die kulturelle Koordination zwischen den
Partnerstädten Paris, Berlin und Moskau zuständig sein würde. Erstmals
wurde jedoch in einem Jahresbericht auf die Bedeutung von kultureller
Netzwerkarbeit am Beispiel des deutsch-französischen Netzwerks „Interréseaux“ hingewiesen, in welchem sich die Goethe-Institute in Frankreich
und die Instituts Français in Deutschland mit dem Ziel zusammengefunden hatten, gemeinsame Kulturprojekte zu konzipieren, zu produzieren,
zu kommunizieren und auch durchzuführen. Die „Planung und Umsetzung
(…) solcher beispielhafter Netzwerkprojekte“, so der Jahresbericht des Jahres 1994/95, stellten in Zukunft „eine große und personalintensive Herausforderung dar.“556 Laut Jahresbericht 1995/96 stand das
Veranstaltungsjahr der sieben Goethe-Institute „im Filmland Frankreich“
ganz im Zeichen des deutschen Films. In Paris zeigte man eine sechswöchige Ernst Lubitsch-Reihe und Walter Ruttmanns Stummfilm „Berlin - die
Symphonie der Großstadt“, in Lyon wurde als Höhepunkt der Filmreihe
Fritz Langs „Metropolis“ projiziert, in Toulouse fand ein internationales
Treffen diverser Filmakademien statt. Als weitere regionale Programmschwerpunkte wurden der deutsche Expressionismus (Marseille/ Toulouse) und ein Kolloquium zum Thema „Deutscher Widerstand“ (Paris) im
Jahrbuch erwähnt. Als erstes Interréseaux-Projekt (dazu mehr im Folgekapitel) entstand in diesem Kalenderjahr die Wanderausstellung „Abbilder
zeitgenössischer Architektur in Frankreich und in Deutschland“, welche
sowohl in Frankreich als auch in Deutschland in diversen Goethe-Instituten und Instituts Français gezeigt wurde. Aus dem Rahmen fiel die Darstellungsweise der kulturellen Programmarbeit im Folgejahr, 1996/97,
welcher mit der Darstellung der französischen Innenpolitik begann:
„Die Finanz- und Privatisierungspolitik der Regierung Juppé führten im
vergangenen Jahr zu einer langen Reihe von Arbeitsniederlegungen. Bereits die Massenstreiks im Winter 1995/96 waren ein Ausdruck verbreiteten Unwillens über die Anwendung der Kriterien des
Maastrichtvertrages gewesen.“557
555
556
557
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1994/95, S.75.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1994/95, S.75.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1996/97, S.50.
236
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Laut Jahresbericht legten die sieben Goethe-Institute in diesem Kalenderjahr vor allem im Bereich der wissenschaftlichen Veranstaltungen ihren
Veranstaltungsschwerpunkt auf „gesellschaftspolitische Themen aus
deutsch-französisch-europäischer Sicht.“558 Das Goethe-Institut Nancy
griff dabei die Thematik der Arbeitslosigkeit, Paris die EU-Erweiterung, Bordeaux, Lyon und Marseille die europäische Währung auf.559 Neben einer
Reihe von Verbundprogrammen, insbesondere zum Thema Berlin, hob der
Jahresbericht erneut die „regionalen Spezifika“560 der einzelnen Institute
hervor, welche im folgenden Schaukasten zusammengefasst werden:
Übersicht 33: die regionalen Spezifika der einzelnen Goethe-Institute (ohne
das Goethe-Institut Lyon) nach dem Jahresbericht 1996/97:
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+ Quelle: eigene Darstellung nach Angaben der Jahresberichte des Goethe-Instituts 1965-2011
Im Zeitraum von 1994 bis 1998 wurden unter den Rubriken Wissenschaft
und Literatur, Film, Ausstellungen und Theater insgesamt 70 Kulturveranstaltungen erfasst, wobei diese Veranstaltungen nur einen kleinen, repräsentativen Ausschnitt aller organisierten Kulturveranstaltungen dieses
Typus‘ in diesem Zeitraum darstellen. Eine Auswertung der in Übersicht 34
zusammengestellten Angaben muss dieser Tatsache Rechnung tragen.
558
559
560
561
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1996/97, S.50.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1996/97, S.50.
Jahrbuch des Goethe-Instituts 1996/97, S.50.
Siehe unter: Jahrbuch des Goethe-Instituts 1996/97, S.51.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
Übersicht 34: Die im Jahrbuch des Goethe-Instituts aufgeführten
Kulturveranstaltungen Wissenschaft und Literatur, Film,
Ausstellungen und Theater im Zeitraum von 1994-1997
237
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Quelle: eigene Darstellung nach den Jahrbüchern des Goethe-Instituts 1965-2011
238
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Zunächst einmal fällt sofort die überaus große Anzahl von aufgeführten
Veranstaltungen aus dem Goethe-Institut Paris ins Auge: mehr als jede
dritte (ca. 37%) in den Jahrbüchern dieser Periode aufgeführte, „nennenswerte“ Veranstaltung wurde in der Hauptstadt organisiert. Insgesamt wurden in dieser Periode 28 Veranstaltungen im Bereich Wissenschaft und
Literatur (ca. 40%), 17 Ausstellungen ( ca. 24%), 15 Filmveranstaltungen
(ca. 21%) und 10 Theaterveranstaltungen (ca.15%) als exemplarische Veranstaltungen in die Jahrbücher aufgenommen. Sieht man sich die inhaltliche Ausrichtung dieser Kulturveranstaltungen an, lässt sich eine Reihe von
Feststellungen treffen: Jede siebte genannte Kulturveranstaltung (ca. 14%)
wurde dem Thema Berlin gewidmet (4/8/9/10/13/22/37/48/49/50), nur
in einem einzigen Fall war eine andere deutsche Region oder Stadt Gegenstand einer Kulturveranstaltung, so je einmal die Städte Köln (20), Hamburg (47), Dresden (62) und die Region SaarLorLuxRegion (59). Im Bereich
Literatur lässt sich feststellen, dass Veranstaltungen mit klassischen deutschen Autoren wie Heinrich Heine (11/46/55/56), Bertolt Brecht (61)
oder Peter Weiß (67) deutlich häufiger in den Jahrbüchern präsentiert
wurden, als eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Schriftstellern.
Namentlich werden lediglich bei einer einzigen Lesung in Marseille Autoren wie Thomas Brussig, Christoph Hein und Monika Maron genannt
(54)562. Im Bereich der Filmveranstaltungen ist eine ähnliche Tendenz feststellbar: hier dominierten bei der Nennung ausgewählter Veranstaltungen
vor allem klassische Filme deutschsprachiger Regisseure der frühen
Stumm- und Tonfilmära: Ernst Lubitsch (6), Walter Ruttmann (8), Georg
Wilhelm Pabst (15) und allen voran Fritz Lang (28/42). Vergeblich sucht
man in dieser Liste aktuelle deutsche Filme wie Schlafes Bruder (1995/ Joseph Vilsmaier), Jenseits der Stille (1996/ Caroline Link), das Leben ist eine
Baustelle (1997/ Wolfgang Becker) oder gar Lola rennt (1998/ Tom Tykwer), welche in dieser Phase gedreht wurden. Zehn der insgesamt siebzig
genannten Veranstaltungen wiesen bereits in der ausgewählten Thematik
eine interkulturelle deutsch-französische Thematik auf: inhaltliche Schwerpunkte waren dabei die Partnersprachen (1), die deutsch-französische Geschichte (4/51), Stadtentwicklung (13), Architektur (16), Literatur (31/
53), das deutsch-französische Bildungssystem (35), Medien (59) und
Europa (44/59). Was den Schwerpunkt Europa angeht, ist auffällig, dass
lediglich fünf von siebzig Veranstaltungen (1/27/41/44/59) diese Thematik aufgriffen. Abschließend muss festgehalten werden, dass nur die
Minderheit der genannten Veranstaltungen aktuellen Themen oder jungen
562 Die Veranstaltungen 31und 53 ließen leider keine genauere Zuordnungen zu.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
239
deutschen Künstlern gewidmet war: Die Veranstaltungsform Theater bildete hier die Ausnahme, da in diesem Veranstaltungsbereich insbesondere
zeitgenössische Theaterautoren wie beispielsweise Dea Loher (39) oder
Christoph Marthaler (17/23) in Frankreich inszeniert wurden.
240
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3.5.3 Fazit
Setzt man voraus, dass die Jahresberichte des Goethe-Instituts der Jahre
1990 bis 1998 die in diesem Zeitraum geleistete kulturelle Programmarbeit
der sieben Goethe-Institute in Frankreich widerspiegeln, so muss man die
Bilanz ziehen, dass nur wenige konzeptuelle und inhaltliche Vorgaben des
Auswärtigen Amtes und Anregungen aus der deutschen Zivilgesellschaft
zur Gestaltung der kulturellen Kulturarbeit umgesetzt worden sind. Hauptgrund für diese Tendenz war sicherlich die Tatsache, dass die innenpolitischen Veränderungen der Wiedervereinigung über ein Jahrzehnt lang eine
außenpolitische Umorientierung verzögerten. Diese Verzögerung gilt zunächst für den Schwerpunkt der Darstellung eines friedlichen, demokratischen, vereinigten Deutschlands und der Neuen Länder. Mit Ausnahme des
Programms des Goethe-Instituts Paris der frühen 1990er Jahre und einiger
herausragender Veranstaltungen in den Goethe-Instituten der Provinz
wurde diese Thematik nur marginal und vor allem im Bereich der Wortveranstaltungen behandelt. Keinesfalls kann man davon sprechen, dass die
Neuen Bundesländer mit allen Aspekten ihres Kulturlebens in die kulturelle Programmarbeit integriert wurden, geschweige denn künstlerische
Produktionen aus den Neuen Bundesländern (Musik, Theater, Tanz, Kunstausstellungen) einen neuen Schwerpunkt in der kulturellen Außendarstellung des vereinten Deutschlands bildeten. Das gleiche Manko gilt für
die Förderung ostdeutscher Schriftsteller. Dieser Schwerpunkt hätte jedoch seitens des französischen Publikums einer großen Nachfrage entsprochen, wie in verschiedenen Jahrbüchern dieses Zeitraums deutlich
herauszulesen war. Auch Vorbehalten und Ängsten, die das Deutschlandbild
in Frankreich vor allem zu Beginn der 1990er Jahre prägten, trat man im
Sinne eines „Frühwarnsystems“ erst sehr spät und nur mit sehr vereinzelten Veranstaltungen entgegen. Die Jahresberichte offenbarten diesbezüglich auch, dass man in dieser Phase nur viel zu selten mittels der kulturellen
Programmarbeit mit dem Partnerland in einen kritischen und nachhaltigen Dialog trat. Vielmehr konzentrierte man sich auf deutsch-deutsche Themen, was offenbarte, dass man bis in die Mitte der 1990er Jahre hinein
noch zu sehr mit den innerdeutschen Entwicklungen beschäftigt war, um
diese Thematik konzeptuell nachhaltig umzusetzen. Innovative Ansätze
waren dabei in den einzelnen Goethe-Instituten, wie oben aufgezeigt,
durchaus zu erkennen. Gerade in dieser Phase deutscher Kulturarbeit in
Frankreich wäre es jedoch notwendig gewesen, die jeweiligen Best-Practice
Erfahrungen auszutauschen, an weitere Institutsprofile anzupassen und
konzeptuell zu festigen. Die Analyse der Kulturveranstaltungen der zweiten Hälfte der 1990er Jahre belegte auch, dass man – von einigen wenigen
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
241
Ausnahmen abgesehen - in den Goethe-Instituten leider zu schnell wieder
zur Tagesordnung der kulturellen Programmarbeit vor der Wiedervereinigung übergegangen war. Auch das Schwerpunktthema Europa spielte so
offenbar nur eine sehr marginale Rolle. Dies kann zum einen durch die Tatsache erklärt werden, dass das französische Zielpublikum, aber auch potentielle Kooperationspartner insbesondere zu Beginn der 1990er Jahre
einem Europa von Maastricht noch besonders kritisch gegenüber standen.
Diese These wurde besonders durch die Analysen der Jahrbücher des Goethe-Instituts in Lille gestützt. Dennoch hätte man sich gewünscht, dass die
Goethe-Institute in dieser schwierigen Phase der europäischen Integration
in enger Kooperation mit der französischen Zivilgesellschaft eine Vorreiterrolle, im Sinne des Aufbaus einer nachhaltigen conscience européenne,
gespielt hätten. Über einzelne interessante Ansätze inhaltlicher (GoetheInstitut Lyon) und struktureller Kooperation (Goethe-Institut Paris/ Goethe-Institut Lille) kam man jedoch auch in dieser Thematik nicht hinaus.
Auch in Bezug auf diesen Schwerpunkt lag gegen Ende der 1990er Jahre
noch kein frankreichweites Konzept vor. Auch Themen mit dem Schwerpunkt Kulturpolitik und Globalisierung wurden nur punktuell, vor allem
durch das Goethe-Institut Paris aufgegriffen. So fand beispielsweise eine
intensive Auseinandersetzung mit den 1994 von Huntington vertretenen
Thesen des clash of civilisations scheinbar kaum statt. Auch hier haben die
Goethe-Institute durch die Gestaltung ihres Kulturprogramms nicht den
Nachweis erbracht, Partner einer internationalen Lerngemeinschaft zu sein,
wie es zuvor noch von Lepenies angeregt worden war. Zu sehr blieb man
tradierten und traditionellen Strukturen verhaftet.
242
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
3.6.1 Die deutsche Auswärtige Kulturpolitik von 1998 bis 2011:
Nationalstaatliche Interessen, europäische Integration und
der Wunsch nach einem neuen Deutschlandbild in der Welt
Der Bundeskanzler der rot-grünen Koalition, Gerhard Schröder, symbolisierte zum einen als erster deutscher Kanzler die „Berliner Republik“, zum
anderen einen Generationswechsel deutscher Nachkriegspolitiker, da mit
Schröder, Jahrgang 1944, erstmals ein Kanzler die Führung Deutschlands
übernahm, dessen Kindheit nicht entscheidend durch die Herrschaft der
Nationalsozialisten oder den 2. Weltkrieg geprägt worden war. In seiner
ersten Regierungserklärung am 10. November 1998 zählte sich Schröder
auch explizit zu jener zweiten „Protestgeneration“, welche mit Stolz auf die
Leistungen des vereinten demokratischen Deutschlands zurückblicken
könne.
In Frankreich wurde dieses neue, von Schröder verkörperte Deutschlandbild, in einer Reihe von Veröffentlichungen gerade zu Beginn seiner Amtsübernahme lebhaft diskutiert und analysiert. Allein einige der Buchtitel,
die zwischen 1998 und 2000 zum Thema Deutschland in Frankreich erschienen, wiesen darauf hin, dass in diesem Zeitraum erneut Ängste vor
einem übermächtigen Deutschland im Nachbarland entstanden: Philippe
Delmas‘ De la prochaine guerre avec l’Allemagne563, Michel Korinmanns
Deutschland über alles564, oder Michel Meyers Le Démon est il allemand?565
sind nur einige Beispiele für diese Tendenz, auf welche auch Joachim Umlauf verwies.566
Das neue deutsche Selbstverständnis drückte sich politisch zuerst auf dem
Gipfel von Nizza im Jahre 2000 aus. Was war geschehen? Noch vor dem
Gipfel hatte die deutsche Bundesregierung mit Verweis auf die demografische Entwicklung der Bundesrepublik, welche aufgrund der Wiedervereinigung die Bevölkerungszahl Frankreichs nun um ca. 20 Millionen
Einwohner übertraf, aus rechnerischen Gesichtspunkten beantragt, ein entsprechend größeres Stimmgewicht im EU-Ministerrat zu bekommen. Dieser Antrag, den später beispielsweise der Frankreichexperte Joseph Jurt
als „politisch unklug“567 verurteilte, hatte zu einer deutlichen Abkühlung
563
564
565
566
Philippe Delmas: De la prochaine guerre avec l’Allemagne, Paris 1999.
Michel Korinmann: Deutschland über alles. Le pangermanisme 1890-1945, Paris 1999.
Michel Meyers: Le Démon, est il allemand? Paris 2000.
Joachim Umlauf: Wohin mit dem Bilateralen? In: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege
aus der Routine, 4(2000), S.71-74. Hier: S.71.
567 Joseph Jurt: Den Neuanfang wagen, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege aus der
Routine, 50. Jahrgang, 4(2000), S.29.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
243
der deutsch-französischen Beziehungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
geführt und dazu beigetragen, „irrationale Ängste von einem Deutschland
zu schüren, das eine exklusive Führungsrolle in der Europäischen Union“
568 beanspruchte.
Der langjährige Deutschlandkorrespondent von Le Monde, Henri de Bresson, entwarf wenig später in seinem Buch La nouvelle Allemagne 569 das
Bild einer neuen deutschen Gesellschaft, welche sich nach Jahrzehnten des
Aufbaus und des „rheinischen Provinzialismus“ nun in einer Phase der
Transformation („une société en métamorphose“) auf dem Weg zu einer
neuen Rolle im großen Europa („Grande Europe“) befand. De Bresson verglich das Verhalten Deutschlands in Bezug auf den Prozess der europäischen Integration in dieser Phase jedoch mit dem einer Schnecke:
„Trop souvent encore, l’Allemagne donne l’impression de balancer entre
deux attitudes: d’un côté de la fierté de retrouver une influence à sa mesure en Europe, et à travers elle dans le monde, de jouer un rôle moteur
dans l’émergence d’une nouvelle identité européenne ; de l’autre, la tentation, à la moindre alerte, de se replier dans ses obsessions sécuritaires,
dans sa peur de risques. L’ Allemagne est un peu comme un escargot, qui
avance, mais, à la moindre alerte, se renferme, avant de repartir.“570
Nationales Denken auf der einen, Entschlossenheit zur Gestaltung eines
großen Europas auf der anderen Seite, besser kann auch das Spannungsfeld
deutscher auswärtiger Politik in dieser Phase der europäischen Integration wohl kaum zusammengefasst werden. Im Bereich der auswärtigen
Kulturpolitik standen dabei paradoxerweise zunehmende nationalstaatliche Interessen dem Phänomen der Entstaatlichung von Kultur gegenüber.
So setzten auf der einen Seite ab etwa 2005 in Deutschland lebhafte Diskussionen um ein weltweites Nation-Branding571 auch im kulturellen Bereich ein, welches die Vermarktung einer wettbewerbsfähigen Identität
Joseph Jurt: Den Neuanfang wagen, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege aus der
Routine, 50. Jahrgang, 4 (2000), S.29.
569 Henri de Bresson: La nouvelle Allemagne, Paris 2001, S.167.
570 Henri de Bresson: La nouvelle Allemagne, ibid. S.167.
571 „Der Begriff Nation Branding dient zur Beschreibung des systematischen Prozesses der
Ausrichtung von Aktionen, Verhalten, Investitionen, Innovationen und Kommunikationen eines Landes im Hinblick auf eine klare Strategie für eine verbesserte wettbewerbsfähige Identität.“ Simon Anholt: Deutschlands „Brand Image“ und seine Trümpfe für eine
erfolgreiche Vermarktung, unter: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk2005/deutschland-von-aussen/marke-rechtschaffenheit/, Zugriff am 4.3.2012.
568
244
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Deutschlands zum Ziel hatte. Auf der anderen Seite aber sollte ein Abbau
der vom Staat wahrzunehmenden Aufgaben im Bereich des kulturellen
Sektors eingeleitet werden. Für Horst Harnischfeger, den späteren Generalsekretär des Goethe-Instituts, stand die deutsche auswärtige Kulturpolitik um die Jahrtausendwende daher vor einem Wendepunkt572, da seiner
Meinung nach die staatliche Souveränität nach „innen und außen löchrig“
geworden war:
„So wie die einzelnen Staatsbürger heute nicht mehr wie zu Hochzeiten
des Nationalstaats ihre Identität wesentlich über die Zugehörigkeit zu
einem Staat definieren, so hat auch dieser zunehmend seine nahezu alle
Lebensbereiche umfassenden Ambitionen aufgegeben. (...) Der Begriff wie
die Sache der Nationalkultur verlieren in einer multikulturellen Gesellschaft ihre Wirkungs- und Prägekraft.“573
Auch die deutsch-französischen Kulturbeziehungen standen in dieser
Phase erneut auf dem Prüfstand: sie mussten nun den Nachweis erbringen,
inwiefern die durch die deutsch-französische Aussöhnung gewonnenen Erfahrungen auch für europäische Drittländer nutzbar gemacht und ob
deutsch-französische Modelle auch auf andere europäische Länder übertragen werden konnten. Die Frage nach dem „Mehrwert“574 dieser privilegierten Beziehungen für Drittländer stand daher zusehends im Fokus des
öffentlichen Interesses.
Schließlich müssen in Zusammenhang mit unserer Fragestellung die
deutsch-französischen Kulturbeziehungen dieses Zeitraums in Bezug auf
ihre Bürgernähe untersucht werden. Seit der Einführung des Euro im Jahre
2002 war zwar jeder europäische Bürger der Eurozone täglich in seinem
Alltagsleben mit dem Euro und Europa konfrontiert, die entscheidende
Frage war jedoch: auf welche Weise konnte eine bürgernahe Auswärtige
Kulturpolitik den Citoyens d’Europe Europa auch kulturell fassbar machen?
Das Scheitern des französischen und niederländischen Referendums im
Jahre 2005 hatte deutlich gemacht, wie bürgerfern bis dato die Idee eines
vereinigten Europas in der Bevölkerung aufgenommen worden war.
Schließlich müssen die deutsch-französischen Beziehungen auch unter
572
Horst Harnischfeger: Die Auswärtige Kulturpolitik vor einem Wendepunkt. In:
http://www.bpb.de/publikationen/XKJCTT,0,Die_ausw%E4rtige_Kulturpolitik_vor_eine
m_Wendepunkt.html, Zugriff: 26.2.2012.
573 Harnischfeger, Wendepunkt, ibid.
574 Nicole Hurtz: Modell mit Mehrwert, die deutsch-französischen Kulturbeziehungen, Bestandsaufnahme und Empfehlungen, IFA Dokumente 1/2005, Stuttgart 2005.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
245
dem Aspekt der Innovation beleuchtet werden. Hierbei ist die zentrale
Frage, ob es im Zeitraum von 1998 bis 2011 durch innovative Projekte gelungen ist, „an jene Neugier und jene Faszination für die Spezifika der anderen Kultur anzuknüpfen, die jahrzehntelang der entscheidende Antrieb
der deutsch-französischen Kulturbeziehungen gewesen waren“575, wie es
Lüsebrink formulierte. Aus diesen Grundüberlegungen ergibt sich die
Struktur des vorliegenden Kapitels. Zunächst sollen in einem ersten Schritt
bedeutende Kooperationsprojekte und Meilensteine der deutsch-französischen Kulturbeziehungen des letzten Jahrzehnts exemplarisch dargestellt
und in Bezug auf ihre Bürgernähe, den Grad der Innovation und ihre europäische Ausrichtung kritisch bewertet werden. Die Darstellung kann dabei
aufgrund der Vielfalt der Projekte keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Anschließend werden in einem zweiten Schritt Stellungnahmen von
Experten zur Entwicklung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen
dieser Epoche zusammengefasst. Das Kapitel schließt mit einer Analyse
der Strategiepapiere und Konzeptionen des Auswärtigen Amts zur auswärtigen Kulturpolitik, welche insbesondere in Bezug auf die deutsch-französischen Kulturbeziehungen ausgewertet werden.
575
Hans-Jürgen Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde Frankreichs, 3. Auflage, ibid.
S.237.
246
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen bis 2011
Der salon du livre
Einer der Höhepunkte der deutsch-französischen Kulturbeziehungen dieser Phase fand gleich im Jahre 2001 statt: Zum zweiten Mal nach 1989
wurde Deutschland die Ehre zuteil, Ehrengast („pays à l’honneur“) des jährlich stattfindenden Salon du livre an der Porte de Versailles zu sein. Dieses
kulturelle Großereignis kann aus vielerlei Hinsicht als symbolisch für die
deutsch-französischen Beziehungen und die deutsche Auswärtige Kulturpolitik zu Beginn des neuen Jahrtausends angesehen werden. Zum einen
muss der große diplomatische Aufwand dieser Veranstaltung hervorgehoben werden: Messeeröffnung durch Jacques Chirac und Gerhard Schröder,
anschließender Empfang im Hôtel Matignon durch Lionel Jospin, Empfänge
beim französischen Außenminister und in der Deutschen Botschaft. Die
Berliner TAZ schrieb: „Diplomatisch höher hängen ließ sich der deutsche
Auftritt in Paris eigentlich nicht.576 Das gouvernementale Engagement
wurde noch durch den immensen medialen Aufwand unterstützt (Sonderbeilagen in den führenden französischen Zeitungen und täglich begleitende
Sondersendungen, beispielsweise auf France Culture), was schließlich in
Frankreich zu einer gesteigerten Wahrnehmung der Veranstaltung führte.
Zweitens muss die herausragende Qualität des salon hervorgehoben werden: Rund 50 deutschstämmige Schriftsteller waren in die Hauptstadt gereist, um dem französischen Publikum ihre Werke näher zu bringen.577
Organisiert und geplant wurde er u.a. durch die bereits in einem früheren
Kapitel erwähnte Übersetzerin und Präsidentin der Association „Le roi des
Aulnes“, Nicole Bary, welche sich im Vorfeld der Autorenlesungen ebenfalls als Vermittlerin französischer Übersetzungen der deutschen Autoren
engagiert hatte: Eine große Anzahl der in Paris vorgestellten Bücher wurde
erst anlässlich der Buchmesse ins Französische übersetzt. Drittens verfolgte die 21. Pariser Buchmesse das Ziel, Imagewerbung für das neue, moderne Deutschland zu betreiben. Dieses übergeordnete strategische Ziel
576
Ruth Spietschka: Stolpernd ins Le Stübli, die Enkel von Grass und der Globalisierung: Mit
junger Literatur mühte sich die Bundesrepublik beim „Salon du Livre“ in Paris um eine Imagekorrektur, Die Tageszeitung (TAZ), Nr. 6402 vom 21.1.2012, S.14.
577 Laut Katalog waren folgende Schriftsteller eingeladen: Jakob Ajourni, Lothar Baier, Jutta
Bauer, Sybille Berg, Marcel Beyer, Pieke Biermann, Bastian Böttcher, Braun Volker, Quint
Buchholtz, Karl Dedecius, Roza Domascyna, Doris Dörrie, Wolf Erlbruch, Mario Giordano,
Günther Grass, Ingeborg Hecht, Christoph Hein, Judith Hermann, Wolfgang Hilbig, Barbara Honigman, Felicitas Hoppe, Hanna Johansen, Georg Klein, Thomas Kling, Ole Könnecke, Helmut Krausser, Michael Krüger, Michael Kumpfmüller, Benjamin Lebert, Perikles
Monioudis, Herta Müller, Elke Naters, Jose Oliver, Inka Parei, Christoph Peters, Matthias
Politycki, Katrin Schmidt, Peter Schneider, Raoul Schrott, Ingo Schultze, Zafer Senocak,
Peter Sloterdijk, Birgit Vanderbecke, Alissa Walzer, Feridun Zaimoglu.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
247
wurde auch in der deutsch-französischen Presse wahrgenommen. So titelte beispielsweise die Wochenzeitschrift l’Express: „Littérature allemande: la relève. Fini, les sombres questions du passé. Les successeurs de
Grass et de Walser sont avides de frivolité et d’insouciance. Naissance d’une
littérature qui a envie d’être aimée.“578 Die „taz“ schlug damals sogleich
einen kritischeren Ton an: „Mit junger Literatur mühte sich die Bundesrepublik beim „Salon du Livre“ in Paris um eine Imagekorrektur.“579 Um den
gewollten Imagewandel durch die neue deutsche Literatur voranzutreiben,
bot man dem französischen Publikum die gesamte Bandbreite deutscher
Schriftsteller. Zunächst mit Martin Walser und dem Nobelpreisträger Günter Grass, die „klassischen“ deutschen Schriftsteller, dann mit Sybille Berg,
Thomas Brussig und Durs Grünbein die jüngste Schriftstellergeneration
der EX-DDR, welche vor allem im Zeitraum von 1980 bis 1990 zu schreiben
begonnen hatte. Drittens jene junge westdeutsche Generation, wie Inka
Parai oder Christoph Peters, welche sich in der neuen Hauptstadt zusammengefunden hatte, um sich vom Wandel der Berliner Republik inspirieren
zu lassen. Viertens waren auch Stellvertreter der ehemaligen Literaturszene der DDR, unter anderen Wolfgang Hilbig, Christoph Hein, Volker
Braun, nach Paris gekommen. Schließlich vertrat eine letzte Gruppe mit
der in Hamburg lebenden Japanerin Yoko Tawada, der türkischstämmigen
Feridun Zaimoglu oder der Sorbisch und Deutsch schreibenden Róßa Domascyna das neue, multikulturelle Deutschland.580 Dieser Frühling der
deutschen Literatur in Frankreich war durchaus auch auf kulturelle Nachhaltigkeit ausgerichtet: eine Reihe der nach Paris eingeladenen Autoren
stellte im Anschluss an die Pariser Buchmesse in den deutsch-französischen Häusern und Goethe-Instituten gemeinsam mit ihren französischen
Übersetzern noch bis Ende Mai 2001 ihre Werke vor.581 Die Bemühungen
um dieses Großereignis konnten jedoch das französische Publikum kaum
verführen, geschweige denn ein neues Deutschlandbild vermitteln. Auch
Michel Crépu: Littérature allemande: la relève, In : L’Express, 15/03/2001, Unter:
http://www.lexpress.fr/informations/litterature-allemande-la-releve_641666.html, Zugriff am 22.3.2012.
579 Ruth Spietschka, Stolpernd ins Le Stübli, Die Enkel von Grass und der Globalisierung: Mit
junger Literatur mühte sich die Bundesrepublik beim „Salon du Livre“ in Paris um eine
Imagekorrektur, Die Tageszeitung (TAZ) Nr, 6402 vom 21.1.2012, S.14.
580 Diese Informationen sind dem sehr aufschlussreichen Werk von Karin Gürttler entnommen: Die Rezeption der DDR-Literatur in Frankreich, Reihe: Kanadische Studien zur
deutschen Sprache und Literatur - Band 49. Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main,
New York, Oxford, Wien 2004.
581 So gab es beispielsweise Lesungen von Christoph Peters, Inka Parei und Birgit Vanderbeke in Nantes.
578
248
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
der Buchmarkt reagierte kaum. Viele Experten sahen nach wie vor die Ursache dieses Phänomens in dem fortwährenden Imageproblem Deutschlands:
„L’édition allemande est assez friande de littérature française: elle en
achète quatre fois plus que nos éditeurs n’achètent de livres allemands en
France. Problème d’image... Dans l’Hexagone, les passeurs ne manquent
pourtant pas: Nicole Bary, Bernard Lortholary (traducteur du Parfum, de
Patrick Süskind, et de Bernard Schlink), Alain Lance, qui a fait connaître
Ingo Schulze, chez Fayard, Martina Wachendorff, éditrice de l’admirable
W. G. Sebald chez Actes Sud, Anne Freyer, au Seuil...“582
Die gemeinsame deutsch-französische Erklärung vom 22. Januar 2003
Einen weiteren symbolischen Meilenstein in der Geschichte der deutschfranzösischen Beziehungen dieser Phase bildeten die Feierlichkeiten zum
40-jährigen Bestehen des Elyséevertrags im Jahre 2003, was zu einer gemeinsamen Erklärung beider Staatsoberhäupter führte: In 43 Punkten bekannten sich Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac
dazu, „die deutsch-französische Freundschaft im Dienste einer gemeinsamen Verantwortung für Europa“583 weiter führen zu wollen.
Vorausschickend kann in Bezug auf diese gemeinsame Erklärung bereits
an dieser Stelle festgehalten werden, dass ihr Hauptakzent nach wie vor
eindeutig auf dem Bestreben beider Länder lag, „die Solidarität zwischen
Deutschland und Frankreich durch intensivere Zusammenarbeit [zu] stärken.“ Dem Anspruch, die deutsch-französische Freundschaft in den Dienst
„einer gemeinsamen Verantwortung für Europa“ zu stellen, wie der obige
Wortlaut versprach, wurde sie jedoch kaum gerecht. In nur wenigen der
41 Punkte ging die Erklärung über bloße Willensbekundungen beider Staaten hinaus, was unter anderem folgende Passage der Erklärung belegt:
„Deutschland und Frankreich sind sich ihrer gemeinsamen historischen
Verantwortung im Dienste Europas bewusst. Sie wollen weiterhin eine
treibende Kraft sein, die Vorschläge einbringt und ihre Partner mitziehen
kann, ohne diesen etwas aufzuzwingen.“584
582
583
Crépu Michel, Littérature allemande, ibid.
Siehe unter: http://www.france-allemagne.fr/Gemeinsame-Erklarung-zum-40,366.html,
Zugriff am: 26.2.2012.
584 Siehe unter: http://www.france-allemagne.fr/Gemeinsame-Erklarung-zum-40,366.html,
Zugriff am: 26.2.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
249
Nur sieben der 43 aufgeführten Punkte betrafen explizit die Bereiche Bildung oder Kultur (Punkte 15-21). Zwei für die Arbeit wichtige Punkte sollen aufgrund ihrer Bedeutung hier kurz zusammengefasst werden:
1. die Erklärung des 22. Januar zum offiziellen „Deutsch-Französischen
Tag“ (Punkt 16)
2. die Förderung des Erlernens der Partnersprache (Punkt 15)
Aus heutiger Sicht wirkte sich vor allem der Punkt 16 dieser Erklärung, welcher den 22. Januar zum „deutsch-französischen Tag“ erklärte, nachhaltig
auf die deutsch-französische Zivilgesellschaft aus. Hier hieß es:
„Wir wünschen, dass dieser Tag künftig in allen Einrichtungen unserer
Bildungssysteme der Darstellung unserer bilateralen Beziehungen, der
Werbung für die Partnersprache und der Information über die Austauschund Begegnungsprogramme sowie über die Möglichkeiten des Studiums
und der Beschäftigung im Partnerland gewidmet wird.“585
Diese Aufforderung beider Regierungen, am 22.Januar eines jeden Jahres
mit einer Reihe von Aktionen die Einzigartigkeit der deutsch-französischen
Beziehungen zu feiern, wird auch fast zehn Jahre nach seiner Begründung
von einer Vielzahl von Schulen, Vereinen und Universitäten beider Länder
aufgenommen und weiterentwickelt. Der deutsch-französische Tag hat
heute eine Eigendynamik entwickelt, welche von einer breiten zivilgesellschaftlichen Basis mitgetragen wird.
Von entscheidender Bedeutung in Bezug auf diese gemeinsame Erklärung
war jedoch nach wie vor die Sprachenfrage. Unter Punkt 15, Jugend, Bildung und Sport hieß es in der gemeinsamen Erklärung:
„Die Vielfalt der Sprachen ist ein Reichtum der Europäischen Union. Ihr
Erlernen ist Quelle der Entfaltung und Chance für die junge Generation.
Wir möchten das Erlernen der Partnersprache entschlossen fördern und
unterstützen generell ein Bildungsmodell, das es den Jugendlichen unserer beiden Länder ermöglicht, zwei europäische Fremdsprachen zu beherrschen.“586
585
Siehe unter: http://www.france-allemagne.fr/Gemeinsame-Erklarung-zum-40,366.html,
Zugriff am: 26.2.2012.
586 Siehe unter: http://www.france-allemagne.fr/Gemeinsame-Erklarung-zum-40,366.html,
Zugriff am: 26.2.2012.
250
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Da uns diese Thematik der Partnersprachen in nahezu jedem der vorangegangen Kapitel begleitet hat, soll an dieser Stelle ein ausführlicherer, aktueller Situationsbericht der Entwicklung der Partnersprache Deutsch in
Frankreich für den entsprechenden Untersuchungszeitraum eingefügt werden. Unsere Bilanz konzentriert sich dabei auf die Stellung des Deutschen
im schulischen Bereich, weil sie als hinreichender Indikator für die Motivation der Partnersprache in Frankreich angesehen werden kann.
Ein Jahr nach der Erklärung durch den französischen Staatspräsidenten
und den deutschen Kanzler trafen sich am 12. November 2004 in Saarbrücken die Rektoren der französischen Akademien und die deutschen Kultusminister im Rahmen der Kultusministerkonferenz, um ein gemeinsames
strategisches Vorgehen in den Partnersprachen abzustimmen.587 Die für
Frankreich besprochenen Zielvorgaben (der so genannte „plan de Sarrebruck“) sahen für den Zeitraum ab 2005 u.a. folgende fünf ehrgeizige Entwicklungstendenzen vor:
– „ augmenter de 20% le nombre d’élèves germanistes dans le premier
degré (1)
– augmenter de 50% le nombre de sections bilangues (2)
– augmenter le nombre des sections Abibac et en ouvrir une dans chaque
académie (3)
– augmenter de 20 % le nombre de sections européennes de langue allemande (4)
– mettre en œuvre des certifications aux niveaux A2 e B1 pour un nombre
croissant d’élèves de collège et de lycée. (5)“588
Das erste Ziel, eine Steigerung der Deutschlerner in der Grundschule konnte
bis 2010 nicht erreicht werden. Betrug der Anteil der Deutsch Lernenden
2004/2005 noch ca. 10%, so ist diese Zahl bis auf 7.79% (2009-2010) gesunken. Das zweite strategische Ziel, nämlich die Zunahme der zweisprachigen Sektionen um 50% konnte im gleichen Zeitraum nicht nur erreicht,
sondern sogar übertroffen werden. Hier gibt es einen Anstieg der sections
bilangues allemand-anglais von 1179 (2004/2005) auf 2789 (2009/2010)
zu verzeichnen, d.h. eine Steigerung von 136%. Laut Nikodème (IGEN)
führte diese „Welle“ der Einschreibungen für die „section bilangues“ in
587 Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf den Untersuchungen von Raymond Nico-
dême, Inspecteur Général d’allemand: La situation de l’Allemand en 2009-2010, in: Robert Bosch Stiftung (Hg.): DeutschMobil, Zehn Jahre für die deutsche Sprache und Kultur
durch Frankreich, Stuttgart 2010, S.92-99.
588 Raymond Nicodême, ibid. S.92.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
251
Frankreich bereits im Schuljahr 2009/2010 zu einem Anstieg der Deutschlerner im Collège, welcher sich seiner Meinung nach auch in den Universi
täten schon im Jahre 2012 positiv auswirken müsste. Was die Zielsetzung
der Öffnung weiterer Abibac-Schulen angeht (Ziel 3), so konnten laut Angaben von Nikodème auch in diesem Bereich positive Tendenzen festgestellt werden. Im Vergleich zum Schuljahr 2004/2005, in welchem lediglich
28 Sections Abibac geöffnet worden waren, waren es im Jahre 2009/2010
bereits 68, was ebenfalls eine Steigerung um ca. 140 % bedeutet. Im gleichen Zeitraum stieg die absolute Anzahl erfolgreicher Abibac-Abiturienten
von 358 auf 803. Auch die Steigerung der Anzahl der Deutschlerner in den
classes européennes, was der vierten oben genannten Zielsetzung entspricht, konnte realisiert werden, hier nahm die Zahl der Deutschlerner um
ca. ein Drittel zu, wobei jedoch kritisch angemerkt werden muss, dass im
Jahre 2010 nur noch ca. 15% der Schüler Deutsch sprachen, eine Quote,
die in etwas auch heute noch ihre Gültigkeit hat. Schließlich konnte man
auch für den Untersuchungszeitraum von 2005 bis 2010 einen deutlichen
Anstieg der abgelegten A2 und B1 Prüfungen erkennen, was bedeutet, dass
auch die fünfte Zielsetzung des plan de Sarrebruck umgesetzt werden
konnte. Waren es lediglich 8000 Schüler im Jahre 2006, welche die Prüfung DAF (Deutsch als Fremdsprache) ablegten, so meldeten sich im Jahre
2010 mit 24000 Prüfungen fast dreimal so viele Schüler für diese Prüfung
an. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die überwiegende Mehrheit der
durch den plan de Sarrebruck abgesteckten Ziele im entsprechenden Zeitfenster umgesetzt werden konnte.
Auskunft über die Gesamtentwicklung des Deutschen an französischen
Schulen für den Zeitraum von ca. 1998 bis 2010 geben u.a. zwei Untersuchungen von Jean-Michel Hannequart, welcher sich zunächst als Präsident,
später als Vizepräsident der Association pour le développement de l’enseignement de l’allemand en France (ADEAF) für das Erlernen der deutschen
Sprache in Frankreich eingesetzt hat589. Über den gesamten Untersuchungszeitraum sind zwei unterschiedliche Phasen zu erkennen, was die
folgende Übersicht 35 verdeutlicht:
589
Jean-Michel Hannequart: L’enseignement de l’allemand en France. État des lieux“, in : Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 163 (2003), S.14-18.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
252
Übersicht 35: Verteilung der Schüler der 6ème nach erster gewählter Fremdsprache in Prozent*
1965-66 1975-76 1985-86
2001-02 2004-05
2005-06 2008-09
Englisch
82
82,9
86,6
90,5
93,2
94,1
**
Deutsch
12,7
13,9
11,5
8,5
9,5
10,4
11,6
* 1. Klasse des Collège; französisches Mutterland, öffentlicher und privater Sektor in Prozent. Quelle:
Ministère de l’Education nationale, direction de la programmation et du développement. ** hier
sind auch bei Hannequart keine Angaben vorhanden,
Quelle: eigene Darstellung, nach Angaben von Hannequart.
Die erste Phase beginnt ca. Mitte der 1980er Jahre und endet im Jahr
2002/2003: Im Schuljahr 2003/2004 erreichte eine negative Tendenz
ihren Höhepunkt, welche ca. 20 Jahre zuvor begonnen hatte. Noch 1999
hatte eine Gruppe namhafter französischer Germanisten in der Zeitschrift
Allemagne d’aujourd’hui unter Federführung von Jean-Francois Tournadre
und Jérôme Vaillant die Zukunft des Deutschunterrichts in Frankreich als
„déclin inexorable“590 beschrieben: „Dans la situation plus que préoccupante où se trouve aujourd’hui l’allemand en France, rien ne serait pire que
la contemplation morose de la débâcle annoncé ou le repli défensif sur un
coin de territoire présumé protégé.“591 Bis ins Jahr 2003 hinein musste
Hannequart in einem ersten Zustandsbericht einen „kontinuierlichen Rückgang“ und ein „wachsendes Desinteresse“ seitens der französischen Schüler in Bezug auf das Erlernen der deutschen Sprache in Frankreich
bestätigen. Die Übersicht 35 belegt dies eindeutig: im Jahr 2001/2002 hatten sich lediglich 8,5 Prozent der französischen Schüler der 6ème für
Deutsch als erste Fremdsprache neben Englisch entschieden. Das Schuljahr 2004/2005 ließ erstmals eine Trendwende erkennen: beständig konnten seitdem jährlich die Einschreibezahlen für das Fach Deutsch in
derselben Klassenstufe um ca. 1 Prozent erhöht werden. Im Jahre 2010
legte Hennequart eine neue Studie mit den gleichen Parametern vor, welche
ebenfalls in der obigen Übersicht 35 erfasst wurde. Nur vorsichtig sprach er
590
Jean-Francois Tournadre, Jérôme Vaillant : La situation de l’enseignement de l’allemand
en France, un déclin inexorable? Avant propos. In: Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 150,
(1999), S.3-5.
591 Jean-Francois Tournadre, Jérôme Vaillant, La situation de l’enseignement de l’allemand en
France, ibid. S.3.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
253
in seiner Untersuchung „Rémission ou renaissance“ - l’enseignement de
l’allemand en France“ - von einer Kehrtwende in der Entwicklung der Partnersprache Deutsch im Nachbarland. Hannequart führte die erstmals seit
Jahrzehnten positive Entwicklung der letzten Jahre auf die Einführung
zweisprachiger deutsch-französischer Klassen mit Englisch ab der sixième
zurück. Die Untersuchungen der Kulturveranstaltungen der Goethe-Institute und der deutsch-französischen Häuser im zweiten Teil dieses Kapitels
werden jedoch auch belegen, dass diese „Trendwende“ unter anderem auch
dem Projekt „DeutschMobil“ zu verdanken ist, welches im Jahre 2001 von
der Föderation deutsch-französischer Häuser lanciert wurde.
Abschließend muss jedoch auch erwähnt werden, dass diese positive Tendenz in der Sprachenwahl nicht ohne Einschränkungen auf alle französischen Regionen übertragbar ist. So wies Hannequart in seiner Bilanz
eindringlich auf große regionale Ungleichheiten in der Statistik der Sprachenwahl hin:
„Dès ce moment, des disparités fortes apparaissent entre les académies
qui mettent en place une politique de diversification de l’enseignement
des langues et utilisent avec souplesse le dispositif bilangue et d’autres
académies qui, arguant du fait qu’il n’est qu’expérimental, se refusent à
accorder un traitement de faveur aux langues menacées.“592
Dennoch kritisiert Hannequart die seiner Meinung nach rückschrittliche
und kontraproduktive Einstellungspolitik der französischen Regierung
unter Präsident Nicolas Sarkozy. So ständen ca. 600-700 Pensionierungen
von Germanisten lediglich 150 Neueinstellungen gegenüber, was langfristig zwangsläufig zu Engpässen an qualifiziertem Lehrpersonal in zweisprachigen Klassen in der Oberstufe führen müsse. Den Ausführungen
Hannequarts konnte nicht entnommen werden, ob diese Regierungspolitik
der vorangegangenen negativen Entwicklung der Schülerzahlen entsprochen hatte.
592
Jean-Michel Hannequart: Rémission ou renaissance - l’enseignement de l’allemand en
France, in: Dokumente 3, (2010), S.38-40.
254
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Das deutsch-französische Geschichtsbuch (DFGB)
Besondere Aufmerksamkeit im Rahmen der deutsch-französischen Kulturbeziehungen des letzten Jahrzehnts verdient ebenfalls die von beiden
Regierungen gewünschte Herausgabe eines deutsch-französischen Geschichtsbuches. In unserem Kontext ist es auch deshalb lohnenswert, auf
dieses deutsch-französische Projekt näher einzugehen, weil sich an diesem
Beispiel Stärken und Schwächen des deutsch-französischen Kulturaustauschs des letzten Jahrzehnts exemplarisch darstellen lassen.593 Die Herausgabe der geplanten drei Bände Geschichte/ Histoire erstreckte sich
über einen Zeitraum von ca. sechs Jahren: 2006 wurde der erste Band 1945
– Gegenwart, 2008 der zweite Band Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis 1945 herausgegeben. Die Herausgabe eines dritten Bandes, welcher die deutsch-französische Geschichte in der Zeit vor dem Wiener
Kongress („Von der Antike bis zum Wiener Kongress 1815, Auflage: 10000
Exemplare) behandeln soll, ist für 2012 geplant. Die Entstehungsgeschichte
des Schulbuches geht bis in das Jahr 2003 zurück, dem Jahr der Feierlichkeiten zum 40-jährigen Jubiläum des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages. Im Rahmen eines Treffens des Deutsch- Französischen
Jugendparlaments wurde angeregt, mit einer gemischten deutsch-französischen Autorengruppe ein gemeinsames Geschichtswerk zu entwerfen,
welches später gleichzeitig in einem deutschen und französischen Verlag
erscheinen und in Schulen beider Länder zum Einsatz kommen sollte. Das
DFGB ist also auf eine gemeinsame deutsch-französische Initiative zurückzuführen, ein bis dato in Europa einzigartiges, innovatives und „beispielloses Experiment“594, wie der Gießener Spezialist der Didaktik des
Fremdverstehens und des interkulturellen Lernens, Herbert Christ, das
DFGB später nennen wird. Im Vorwort des zweiten Bandes Geschichte/
Histoire hoben die deutsch-französischen Autoren den dreifachen Mehrwert des Schulbuchs hervor: erstens der mögliche Einsatz des Buches im
593
Siehe hierzu auch folgende Untersuchungen: Florent Claret : Le manuel franco-allemand
d’histoire, de l’utopie à la réalité », in : Lendemains 122-123 (2006), S.235- 240.
Etienne François: Le manuel franco-allemand d’histoire. Une entreprise inédite, in : Vingtième siècle 94, 2007, S.73-86. Peter Geiss: Das deutsch-französische Geschichtsbuch. Ein
Werkstattbericht. In: Oliver Mentz/ Sebastian Nix/ Paul Palmen (Hg.): Bilingualer Unterricht in der Zielsprache Französisch, Gießen 2007, S.137-154. Reiner Marcowitz/ Ulrich
Pfeil: Dossier: Gemeinsames Geschichtsbuch. In: Dokumente 62, (2006), S.53-104.
594 Herbert Christ: Das deutsch-französische Geschichtsbuch „Histoire/Geschichte“ – ein beispielloses Experiment, Unter: http://www.france-blog.info/pdf/herbert-christ-jenageschichtsbuch.pdf, Zugriff am 22.3.2012. Die Zusammenfassung der Genese des
Projektes lehnt sich an Christs Vortrag an.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
255
Geschichts – und Fremdsprachenunterricht beider Länder, zweitens didaktisch vielseitig einsetzbare, moderne Unterrichtsmaterialien und
schließlich der innovative didaktische Ansatz des regard croisé, welcher es
Schülern wie Lehrern ermöglichen sollte, miteinander verbundene Geschichtsverläufe aus unterschiedlichen Perspektiven zu entdecken und zu
beurteilen.
Dieses Leuchtturmprojekt deutsch-französischer Kooperation ist heute
dennoch herber Kritik ausgesetzt. Zahlreiche Wissenschaftler werfen dn
Auoren des Werks vor, die Geschichte Europas vernachlässigt und die
deutsch-französischen Beziehungen zu sehr in den Vordergrund gestellt
zu haben. Einer seiner Hauptkritiker ist der polnische Wissenschaftler
Woijciech Roskowski, welcher den Autoren vor allem die Vernachlässigung
der Geschichte Großbritanniens, Mittel- und Osteuropas vorwarf, soie eine
„unzureichende Darstellung der kulturellen Entwicklung Europas.“595
„L’intention de créer une mémoire franco-allemande commune chez les
jeunes générations est devenue le monde entier pour les auteurs. Puisque
(...) l’intégration européenne prend tant de place, pourquoi n’y a-t-il pas
d’information sur les problèmes de l’Irlande, de la Suède, de la Finlande,
du Danemark, de l’Italie, du Portugal, de la Grèce ou de Chypre, sans mentionner les pays d’Europe centrale et de l’Est? Le savoir provenant du manuel formera la croyance incorrecte des étudiants que surmonter les
nationalismes français et allemands a permis à l’Europe de résoudre ses
principaux problèmes et que ces deux pays sont censés jouer un rôle spécial en Europe, et que leur mission est de gérer les affaires de l’Union européenne et de la mémoire historique européenne.596
Neben weiteren inhaltlichen und didaktischen Bedenken, die eine Reihe
namhafter Spezialisten wie unter anderen Alfred Grosser597, Rainer
595
Dieses Zitat stammt aus einem Aufsatz von Hanna Grzempa, welcher die Kritik am
deutsch-französischen Geschichtsbuch trefflich zusammenfasst. Hanna Grzempa: Wie sollen junge Europäer die Geschichte Europas lernen? In: Eckert, Das Bulletin, S.9.
596 In: http://www.euroclio.eu/download/2009/Wojciech%20Roszkowski%20-%20Criticism%20of%20New%20History%20Textbook.pdf. Zugriff am 24.03.2012.
597 „Das Buch, das „Europa und die Welt seit 1945“ behandelt, ist jedoch in zweierlei Hinsicht problematisch: erstens sind die Lehrpläne für Geschichte in den beiden Ländern
nicht dieselben. Und zweitens soll, obwohl das Werk von beiden Regierungen angeregt
wurde, nicht der Eindruck entstehen, dass es eine Art offizielles Schulbuch ist und die
Lehrer in ihrer traditionell freien Bücherwahl eingeschränkt werden.“ In: Alfred Grosser:
Die deutsch-französische Kulturarbeit ist bedroht, Dokumente 4 (2006), S.14-15.
256
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Hudemann598 und Ulrich Pfeil599 vorgebracht haben, muss vor allem die
Frage nach der Anwendung des Geschichtswerks im Unterricht gestellt
werden. Allein die Entwicklung der Auflagenzahl verdeutlicht die heute geringe Nachfrage nach diesem Werk, welche in keinster Weise den ursprünglichen Erwartungen beider Regierungen und vor allem beider
Verlage entspricht: 60.000 Exemplare für die Auflage des ersten Bandes
stehen heute lediglich 10.000 Exemplare für den dritten Band gegenüber.
Anvisiert waren zu Beginn des Projektes ca. 100 000 Exemplare. Noch vor
Herausgabe des dritten und letzten Bandes titelte Le Monde in Bezug auf
das deutsch-französische Lehrwerk: „Malheureux manuel franco-allemand.“600 Als Grund für ein „fehlendes Happy End“ dieses zu Beginn so
ambitionierten Projektes wird die von Nicolas Sarkozy durchgesetzte Reform der Gymnasien genannt: „En France, la „rupture“ de Nicolas Sarkozy
est passée par là. La réforme des lycées bouleverse les programmes. En terminale S, l’histoire n’est plus qu’optionnelle.“601 Vor allem die Tatsache,
dass das gemeinsame deutsch-französische Geschichtsbuch heute bei nur
sehr wenigen Schülern zum Einsatz kommt, führt dazu, dass das Projekt
von vielen Spezialisten als gescheitert angesehen wird:
598
„Die Symbolik des Buches sei ungeheuer stark, meint Professor Rainer Hudemann, Spezialist für deutsch-französische Beziehungen an der Universität des Saarlandes und an
der Université Paris IV. Kritisch sieht er allerdings die zu schablonenhafte Darstellung
der deutsch-französischen Beziehungen, in der die Bedeutung der Saarlandfrage nicht
vorkomme.“ In: Saarbrücker Zeitung: „Großartig oder schablonenhaft? Französischer Erziehungsminister wirbt für deutsch-französisches Geschichtsbuch.“ 20.1.2010.
599 „Allerdings gibt es auch Kritisches anzumerken – sowohl in Bezug auf Details, als auch generell: Wie schon im ersten Band überzeugt u.a. die Gliederung nicht immer: Historische
Zusammenhänge werden auseinander gerissen, ohne dass hierauf hingewiesen wird. So
werden im ersten Teil Ereignisse behandelt, die dann auch noch einmal 300 Seiten später im letzten Kapitel aufgegriffen werden, unter Einbeziehung ergänzender Informationen, die Lehrer und Schüler bereits vorher sehr gut hätten gebrauchen können. So aber
bleibt manches ihrem Entdeckerglück vorbehalten – das mag seinen Reiz haben, geht
aber an der Realität eines unter einem immer größeren Zeitdruck stehenden Unterrichtsalltags vorbei.“ In: Corine Defrance, Reiner Markowitz, Ulrich Pfeil, Dossier zum
deutsch-französischen Geschichtsbuch: Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis
1945, in: http://www.gei.de/index.php?id=1300&L=0&print=1&no_cache=1&tx_ablinklist_pi1%5Baction%5D=&tx_ablinklist_pi1%5Buid%5D=&tx_ablinklist_pi1%5Bcategory_uid%5D=&tx_ttnews%5Btt_news%5D=&tx_ttnews%5Bcat%5D=&tx_ttnews%5Bba
ckPid%5D=&tx_ttnews%5Bpointer%5D, Zugriff am 25.5.2012,
600 Frédéric Lemaître: Malheureux manuel franco-allemand, in : Le Monde, Nr. 20632,
25.5.2011, S.30.
601 Lemaître, ibid. S.30.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
257
„Ce manuel serait-il une fausse bonne idée ? (…) Fruit d’une initiative initiée mais aussi en partie détruite par des responsables politiques, salué
dans le monde entier mais snobé par le public visé, ce livre est, en fait, un
symbole parfait de la relation franco-allemande.“602
Das „Weimarer Dreieck“ als ein mögliches Modell zukünftiger trinationaler
kultureller Kooperationen
Eine Reihe von Deutschlandkennern, allen voran die französischen Germanisten Jérôme Vaillant und Henri Ménudier, sahen in dieser Phase
deutsch-französischer Kulturbeziehungen vor allem in der „Wiederbelebung“ des sogenannten „Weimarer Dreiecks“ eine Möglichkeit, die deutschfranzösische Kooperation gemäß der deutsch-französischen Erklärung aus
dem Jahre 2003, zu einer „treibenden Kraft“ in Europa zu machen. Das
„Weimarer Dreieck“ wurde bereits am 28. August 1991 von Genscher,
Dumas und Skubiszewski, am Geburtstag Goethes ins Leben gerufen. In der
gemeinsamen Erklärung hatten sich die Außenminister der drei Länder
dazu bekannt, „die Netze der Kooperation immer dichter zu knüpfen, die
die Völker und Staaten über einst trennende Grenzen hinweg auf allen Ebenen und in der ganzen Breite des Lebens miteinander verbinden.“603 Mit
dieser Zielsetzung kam es im Zeitraum von 1998 bis 2011 insgesamt zu
sechs Gipfeltreffen der drei Staats- und Regierungschefs.604
Im Jahre 2001, anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Erklärung von Weimar widmete die Zeitschrift Allemagne d’aujourd’hui dieser Thematik eine
gesamte Ausgabe, wobei nicht nur die Beziehungen der drei Länder, sondern auch die der zahlreichen Regionen im Fokus der Untersuchungen
standen.605 Die umfassende Sammlung von Aufsätzen zeigte Möglichkeiten
und Perspektiven auf, welche Vorreiterrolle das deutsch-französisch-polnische Modell in Zukunft für Europa spielen könnte. Zum einen etwa im
Sinne der Herausbildung einer „conscience européenne, beispielsweise bei
der Bewältigung der gemeinsamen europäischen Vergangenheit. Diese
These unterstrich vor allem der Aufsatz von Michel Cullin, „Les avatars de
la mémoire.“606 Zum zweiten wies vor allem Jérôme Vaillant bereits sehr
602
603
Lemaître, ibid. S.30.
In: http://www.warschau.diplo.de/Vertretung/warschau/de/03/WeimarerDreieck/Erklaerung1991.html, Zugriff am 26.2.2012.
604 1998 in Posen, 1999 in Nancy, 2001 in Neustadt an der Weinstraße, 2003 in Breslau, 2005
in Nancy, 2006 in Mettlach und 2011 in Warschau.
605 Le Triangle de Weimar a dix ans, Les relations franco-germano-polonaises, des Etats et
des Régions, in : Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 158 (2001).
606 „Il faut comprendre que ce n’est donc pas l’oubli qui aide à assumer le présent et à assurer l’avenir comme le pensent encore beaucoup de nos concitoyens“, Michel Cullin: Les
avatars de la mémoire. In: Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 158 (2001), S.48-54. Hier: S.49.
258
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
frühzeitig darauf hin, dass das auf Länderebene trinational angelegte Projekt langfristig auch sehr fruchtbare Auswirkungen auf den kulturellen Austausch zwischen der Zivilbevölkerung der jeweiligen Partnerregionen
haben könne, denn: „(...) il ne s’agit plus désormais seulement des relations entre Etats, les Régions (Hervorhebung von mir, G.F.) se trouvent également de plus en plus impliqués.“607 Dennoch kam es trotz Aufbaus
zahlreicher trinationaler Netzwerke im Jahre 2003 zu einem „Bruch“ der
trinationalen Kooperation auf Regierungsebene, welche durch die unterschiedliche Haltung der drei Länder zum Irakkrieg hervorgerufen wurde:
Während sich Deutschland und Frankreich gemeinsam gegen eine Intervention und eine Entsendung von Truppen entschieden hatten, sprach sich
die Regierung Polens für die militärische Beteiligung aus, was zu einem diplomatischen Zerwürfnis der drei Staaten führte. Heute muss die Frage gestellt werden, ob die Bemühungen in Bezug auf diese trinationale
Kooperation Früchte getragen haben und ob hier ein Modell mit Mehrwert
auch für die Gestaltung der deutschen auswärtigen Kulturpolitik entstanden ist. Laut Daniela Schwarzer, Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hat das Weimarer
Dreieck „zu keinem Zeitpunkt {...} europapolitische Bedeutung erlangt“, wie
sie jüngst in einem Artikel in Die Zeit bilanziert hat.608 Ihrer Meinung nach
sei nämlich diese Dreier-Kooperation „weder zu einer wirklichen Klammer
zwischen den beiden zentralen Mitgliedstaaten der alten Europäischen
Union mit dem wichtigsten Land aus Ostmitteleuropa geworden“, noch
habe es „effektiv zur Koordinierung oder Ordnung europäischer Politik beigetragen.“609 Auch Henri Ménudier stellte in einer Zwischenbilanz im Jahre
2006 fest:
„Quel gâchis ! Depuis le dernier élargissement de l’Union européenne, le
1er mai 2004, la France, l’Allemagne et la Pologne partagent la même communauté de destin. Au lieu de se laisser aller à des récriminations réciproques, ces pays feraient mieux de réfléchir en commun aux problèmes
de fond de l’UE et de se concerter pour relever, avec les autres partenaires,
les grands défis qui se présentent à eux.“610
Jérôme Vaillant: Migrations, mémoire, mobilité. La Pologne en Europe, in : Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 158 (2001), S.3-8. Hier: S.3.
608 Daniel Schwarzer: „Das Weimarer Dreieck – mehr Schein als Sein“ in: Die Zeit online,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-02/weimarer-dreieck. Zugriff am 7.2.2011.
609 Daniel Schwarzer, ibid.
610 Henri Ménudier: Le triangle de Weimar écorné, in: Libération. Zugriff am 7.2.2011.
http://www.liberation.fr/tribune/010158723-le-triangle-de-weimar-ecorne.
607
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
259
Daniela Schwarzer versah ihre Ausführungen zur trinationalen deutschfranzösisch-polnischen Kooperation mit dem Titel: “Weimarer Dreieck mehr Schein als Sein“.
Zusammenfassend mag dieses Diktum auch für die deutsch-französischen
Kulturbeziehungen des letzten Jahrzehnts gelten: Mit großem, öffentlichkeitswirksamem gouvernementalem Aufwand wurden Projekte lanciert,
Kooperationsmodelle entwickelt und Erklärungen verabschiedet, die über
ein allmähliches kulturelles Desengagement beider Länder im Nachbarland
hinwegtäuschen. Lediglich jene Projekte, welche auf breiter Basis von der
jeweiligen Zivilgesellschaft mitgetragen wurden, sei es beispielsweise das
Engagement in der Partnersprache, der deutsch-französische Tag, aber
auch die „triangles régionaux“ im Rahmen des Weimarer Dreiecks, konnten
eine nachhaltige Wirkung in den Kulturbeziehungen erzielen. Der Nachweis, dass durch intergouvernementäre kulturelle Kooperation der Schritt
von der Versöhnung zur Europäischen Integration in dieser Dekade gelungen ist, konnte bisher nicht erbracht werden. Beispiele des deutschfranzösischen Kulturaustauschs, wie das Deutsch-Französische Schulbuch
oder die Bilanz des Weimarer Dreiecks, zeigten auf, dass eine größere politische Unabhängigkeit von den jeweils verantwortlichen Politkern beider
Länder als notwendig und erstrebenswert erschien.
260
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen zu Beginn des 21.
Jahrhunderts: von der Versöhnung zur europäischen Integration?
Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen in der Kritik
Unter dem Titel „Auswege aus der Routine“611 veröffentlichte die Zeitschrift für Kulturaustausch im letzten Quartal des Jahres 2000 eine Reihe
von alarmierenden Stellungnahmen namhafter deutsch-französischer Mittlerpersönlichkeiten, welche auf treffende Weise die Situation der deutschfranzösischen Kulturbeziehungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
widerspiegelte.612 Auslöser der kritischen Auseinandersetzungen, so ordnete zumindest der Chefredakteur der Zeitschrift, Sebastian Körber, die
Beiträge historisch ein, war der schwierige Verlauf des Gipfels von Nizza
desselben Jahres, welcher große Divergenzen zwischen beiden Ländern offenbart und daher fast zu scheitern gedroht hatte. Dieser Gipfel hatte - wie
bereits erwähnt - zu einer Verschlechterung der deutsch-französischen Beziehungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts geführt. Nach Ansicht Jurts, des
damaligen Vorsitzenden des Frankreichzentrums der Universität Freiburg
und Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrats, stand jedoch der Gipfel von Nizza bereits am Ende einer längeren Phase der Entfremdung beider Staaten, welche seiner Meinung nach schon bald nach der
Wiedervereinigung eingesetzt hatte. Jurt zitierte in seinen Ausführungen
zum einen den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, welcher auf
diese Tendenz bereits in einem Artikel in der Zeit hingewiesen613, zum anderen den Kulturtheoretiker Wolf Lepenies, der von einer „verblassenden
deutsch-französischen Freundschaft“614 gesprochen hatte. Jurt kam
schließlich in seinem Artikel zu dem Schluss, dass in den deutsch-französischen Beziehungen zu Beginn des neuen Jahrtausends „sowohl im Alltag
wie im politischen Bereich eine Ernüchterung, eine Banalisierung eingetreten [sei]“615 und dass man nun, so auch der Titel seiner Ausführungen,
Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege aus der Routine, 50. Jahrgang, 4/2000.
Auf deutscher Seite bezogen damals unter anderem Joseph Jurt, Vorsitzender des Frankreichzentrums der Universität Freiburg und Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrats, Rudolf von Thadden, Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit im
Auswärtigen Amt, Henrik Uterwedde, Leiter des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, Joachim Umlauf, Leiter der Maison Heinrich Heine in Paris und auf französischer Seite Frédéric Hartweg, Professor an der Universität Straßburg, Isabelle Bourgeois,
Forscherin am CIRAC und Jean Paul Picaper, Deutschlandkorrespondent des Figaro eine
kritische Bilanz der deutsch-französischen Beziehungen.
613 „So stellte Helmut Schmidt in einem Artikel in die Zeit schon im August 1999 fest, Paris
und Bonn seien seit 1989 langsam auseinander gedriftet.“ Zitiert nach Jurt, ibid. S.28.
614 Jurt, Den Neuanfang wagen, ibid. S.29.
615 Jurt, Den Neuanfang wagen, ibid. S.28.
611
612
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
261
„den Neuanfang wagen“616 müsse. Kennzeichnend für diese Phase zu Beginn des Jahres 2000 sei nach Jurt vor allem die Tatsache, dass das Interesse für die Kultur des Nachbarlandes in beiden Ländern stark
abgenommen hätte. Diese These stützt er abschließend durch drei Beispiele: die negative Bilanz des Erlernens der Partnersprache, den Rückgang
der Anzahl von Übersetzungen und zunehmende Informationsdefizite, wie
zum Beispiel „die stockende Aufnahme des zeitgenössischen französischen
Denkens in Deutschland.“617
Eine Möglichkeit eines Neuanfangs des deutsch-französischen Dialogs sah
Jurt vor allem in der Öffnung des „exklusiven Bilateralismus [...] in Richtung Europa“618:
In der Tat lässt sich die Entfremdung (zwischen Deutschland und Frankreich, G.F.) nur mit einem Projekt überwinden, das über den reinen Bilateralismus hinausführt. Ein solches Projekt kann zum Europa der Bürger
werden [...]. Ohne Verankerung im Bewusstsein der Bürger wird aber das
Projekt Europa nicht dauerhaft tragfähig werden.“619
Auch Rudolf von Thadden, damaliger Direktor des 1993 gegründeten Berlin-Brandenburgischen Instituts für deutsch-französische Zusammenarbeit
in Europa, kam an gleicher Stelle zu einem ähnlichen Schluss: Hauptaufgabe Deutschlands und Frankreichs sei es nun vor allem, sich „trotz aller
Differenzen auf ein gemeinsames Ziel für Europa zu einigen.“620 Seiner Ansicht nach hänge die Zukunft Europas von der Kompromissfähigkeit beider Nachbarländer ab. Die zentrale Frage sei dabei die Beziehung beider
Staaten zum Nationalismus, wobei „vor allem Deutsche und Franzosen mit
ihrer kontrastreichen Geschichte so unterschiedliche Erfahrungen mit Nationalismen und nationalen Gefühlslagen gemacht [hätten], dass es nicht
leicht fällt, unterschiedliche Verhaltensmuster zu empfehlen.“621 Aufgrund
dieser unterschiedlichen Erfahrungen ließe sich schließlich vor allem eine
gegensätzliche Einstellung beider Länder in Bezug auf den Nationalstaat
feststellen, welche die Verhaltensmuster beider Gesellschaften nachhaltig
prägten: so orientiere sich laut von Thadden die deutsche Nachkriegsge616
617
618
619
620
Jurt, Den Neuanfang wagen, ibid. S.28.
Jurt, Den Neuanfang wagen, ibid. S.31.
Jurt, Den Neuanfang wagen, ibid. S.31.
Jurt, Den Neuanfang wagen, ibid. S.31.
Rudolf von Thadden: Schwierige Balance, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege aus
der Routine, 4 (2000), S.33-35.
621 Von Thadden, Schwierige Balance, ibid. S.34.
262
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
sellschaft nach einer „postnationalen Gesellschaft, für die der Nationalstaat
nicht nur überholt , sondern auch unverträglich mit dem Aufbau Europas
ist“, während Frankreich hingegen „am Nationalstaat festhielte.“622 Die Zukunft Europas entscheide sich daher an der „Kompromissfähigkeit“ beider
Partner, was gleichbedeutend sei mit einer „Bereitschaft beider zur Traditionskritik.“623
Auch Henrik Uterwedde, damaliger stellvertretender Leiter des DeutschFranzösischen Instituts in Ludwigsburg, warnte vor einem „Verharren in
nationalen Denkmustern.“624 In einer Zeit, wo die wirtschaftliche und finanzielle Integration Europas eine rasche Entwicklung vollzogen hätte, sei
es laut Uterwedde „ungleich mühsamer, Brücken zwischen unterschiedlichen Kulturen und Traditionen zu bauen.“625 Die Idee Europas müsse allen
voran von einem „Projekt der Eliten in eine europäische Bürgergesellschaft
wachsen“, welche sich durch die Kompetenz einer „europäischen Dialogfähigkeit“626 kennzeichne.
Diese kritische Bewertung der deutsch-französischen Beziehungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde auch von einer Reihe französischer Mittlerpersönlichkeiten geteilt. So stellte auch Anne-Marie Le Gloannec,
damalige stellvertretende Leiterin des Centre Marc Bloch in Berlin, ein „affadissement des relations“ [franco-allemandes] fest. Sowohl für die politischen als auch für die kulturellen Beziehungen beider Länder gelte das
Paradox: „l‘Europe s’unifie – et paradoxalement les relations franco-allemandes perdent en même temps en substance.“627 Für Gloannec waren
vor allem auch das schwindende Interesse an dem Erlernen der Partnersprache und an der anderen Kultur Ursachen dieser negativen Entwicklung: „L’intérêt pour la langue du voisin s’estompe [...]. Mais il semble aussi
que l’intérêt pour le voisin, présumé connu, s´émousse. “628 Abschließend
forderte sie in ihrem Artikel, dass Deutschland und Frankreich in Zukunft
vereint die Aufgaben einer europäischen Avant-Garde übernehmen sollten,
„une avant-garde à laquelle d’autres partenaires peuvent appartenir.“629
Isabelle Bourgeois, Forscherin am CIRAC, bemängelte in ihren Ausführungen
622
623
624
625
626
627
628
629
Von Thadden, Schwierige Balance, ibid. S.34.
Von Thadden, Schwierige Balance, ibid. S.34.
Henrik Uterwedde: Lasst Hundert Blumen blühen! In: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege aus der Routine, 4 (2000), S.67-68. Hier: S.67.
Uterwedde, ibid. S.67.
Uterwedde, ibid. S.67.
Anne-Marie Le Gloannec: Pour une nouvelle avant-garde, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege aus der Routine, 4 (2000), S.12-13. Hier: S.13.
Le Gloannec, ibid. S.14.
Le Gloannec, ibid. S.14.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
263
allen voran, dass die deutsch-französischen Kulturbeziehungen in Bezug
auf die europäische Integration zu Beginn des 21. Jahrhunderts weit hinter
den deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen zurücktraten. Sie
schloss daher ihre Ausführungen mit der Bilanz : „Si le moteur franco-allemand est effectivement bien réel dans les domaines que sont les finances
et l’économie, il n’en va pas de même pour la culture.“630
Auswege aus der Routine durch Anregungen deutsch-französischer Experten
der Zivilgesellschaft: inhaltliche und strukturelle Öffnungen
Vor dem Hintergrund der kulturellen Kluft, welche sich zwischen Deutschland und Frankreich in Bezug auf den europäischen Einigungsprozess und
die wachsende Globalisierung zu Beginn der Jahrtausendwende aufgetan
hatte, brachte Joachim Umlauf, damals noch Leiter der Maison Heinrich
Heine in Paris, die Problematik auf den Punkt, indem er die Frage aufwarf:
„Wohin also mit dem Bilateralen?“631 In seinem gleichnamigen Artikel forderte er eine Neuausrichtung deutscher und französischer Kulturinstitute
durch „inhaltliche und strukturelle Öffnungen“632, welche zum Ziel haben
müssten, die Idee eines „Kerneuropas“ konsequenter umzusetzen. In diesem Zusammenhang bewertete Umlauf die Tendenz positiv, dass sich in
Bezug auf die inhaltliche Programmgestaltung der deutschen Kulturinstitute der „Kulturbegriff zwar mehr und mehr erweitert habe“, im Gegensatz
dazu jedoch die „kulturelle Repräsentanz als solche (…) stark in nationalen
Mustern verhaftet geblieben“633 sei. Eine „Neubesinnung“, wie sie Umlauf
auch in der inhaltlichen Ausrichtung der Institute einforderte, hätte bisher
- insbesondere aufgrund der Ereignisse infolge des Mauerfalls - noch nicht
stattgefunden. Umlauf stellt in seinen Ausführungen die These auf, dass die
Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen zu Beginn des 21. Jahrhunderts „weitestgehend positiv bewältigt“634 worden sei. Zu Beginn des
21. Jahrhunderts sollte aber der „außergewöhnliche Erfolg dieses Prozesses“ endlich nutzbar gemacht werden, „um andere Versöhnungs- und Integrationsprozesse anzuschieben und zu festigen.“635 Denkbar wären
seiner Meinung nach im Rahmen der kulturellen Programmarbeit Maß-
630
631
632
633
634
635
Isabelle Bourgeois: Moteur d’une conscience européenne, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege aus der Routine, 4 (2000), S.30-31. Hier: S.31.
Joachim Umlauf: Wohin mit dem Bilateralen? In: Zeitschrift für Kulturaustausch, Auswege
aus der Routine, 4(2000), S.71-74. Hier: S.71.
Umlauf, ibid. S.74.
Umlauf, ibid. S.74.
Umlauf, ibid. S.74.
Umlauf, ibid. S.74.
264
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
nahmen im Hinblick auf „Demokratie und Menschenrechte“, zum anderen
aber vor allem „multilaterale Veranstaltungen und Projekte.“636
Wie bereits oben angeführt, sah Umlauf auch mögliche Neuansätze
deutsch-französischer Kulturarbeit im strukturellen Bereich. So müssten
seiner Meinung nach „gemeinsame deutsch-französische Kulturhäuser entstehen, die zudem nichts Exklusives hätten, sondern sich gerne weiteren
europäischen Staaten öffnen sollten.“637
Als positives Beispiel führte Umlauf an dieser Stelle die Erweiterung des
Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes zu einem Centre Culturel Européen an. Auch die Struktur der seit 1997 bestehenden Föderation
deutsch-französischer Häuser würdigte Umlauf als innovative Alternative
zum Netzwerk der Goethe-Institute:
„Sie (die zur Föderation gehörenden Häuser, G.F. ) erfüllen alle Aufgaben
der Goethe-Institute, mit denen sie eine Zusammenarbeit auf vielen Gebieten verbindet. (...) Die intensive Einbettung in ihre lokale Struktur ist
eine ihrer Stärken. Der deutsch-französische Dialog ist damit in die Struktur der Institution getragen, die Häuser erscheinen nicht nur als bundesdeutsche Kulturrepräsentanz auf französischem Boden, sondern als von
der französischen Zivilgesellschaft gewollte und unterstützte Institutionen.“638
Auch Nicole Hurtz äußert in ihrer bereits angeführten Bilanz der deutschfranzösischen Beziehungen Bedenken, dass sich in Zukunft mehr und mehr
europäische Staaten ausgeschlossen fühlen werden, wenn nicht Dritte in
diese Kooperationsform eingeschlossen werden. Jérôme Vaillant schlug bereits anlässlich der 40-jährigen Feierlichkeiten des Elyséevertrag vor, diese
Verpflichtung Deutschlands und Frankreichs vertraglich abzusichern, um
so eine Neubegründung der deutsch-französischen Beziehungen einzuläuten: „[…] il faudrait davantage refonder celles-ci [les relations franco-allemandes, G.F.) par un nouveau traité qui prenne en compte les changements
fondamentaux intervenus en Europe et dans le monde depuis la signature
du Traité le 22 janvier 1963.“639
636
637
638
639
Umlauf, ibid. S.74.
Umlauf, ibid. S.73.
Umlauf, ibid. S.72/73.
Jérôme Vaillant: Refonder les relations franco-allemandes: pour quoi faire? In: Allemagne d’aujourd’hui, Nr.162 (2002), S.4-8.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
265
Die Neugierde am Nachbarn durch interkulturelles Lernen fördern.
Lüsebrink sah „im Zeitalter (...) der gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen vor allem im
Erwecken von „Interesse, aber auch Neugier und Faszination“640, welche
„Voraussetzungen interkulturellen Lernens“ seien, die entscheidenden Antriebsfaktoren für die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen. Er
verwies in seinen Ausführungen auch auf die Ergebnisse der Arbeiten des
Düsseldorfer Romanisten Fritz Nies, welcher bereits einige Jahre zuvor die
deutsch-französischen Beziehungen mit dem Ausdruck der „touristischen
Scheinvertrautheit“ betitelt hatte. Nies sah vor allem im Aufzeigen der
Fremdheit einen „Stimulans“ und ein „Elixier zur Interessenlosigkeit.“641
Isabelle Bourgeois arbeitete heraus, dass Deutschland und Frankreich nach
Jahren intensiven Austauschs immer noch nicht dieselbe Sprache sprechen
würden. Beispielhaft führte sie die Bereiche „paysages médiatiques, diversité des contextes et systèmes de références culturels“642an. Auch für die
am CIRAC forschende französische Germanistin Isabelle Bourgeois liegt die
Zukunft der deutsch-französischen Kulturbeziehungen in der Vermittlung
interkultureller Schlüsselkompetenzen.643 Mit der Zielsetzung, die Komplementarität der deutschen und französischen Gesellschaft in Bezug auf
den Kulturaustausch noch mehr in den Mittelpunkt zu rücken, nennt Bourgeois an gleicher Stelle eine Reihe von kontrastiven Themenbereichen, welche auf dem Weg zu dem oben genannten Europäischen Gewissen eine
erzieherische Wirkung auf das Zielpublikum in beiden Nachbarländern
haben könnten: „catholicisme/ protestantisme, culture latine orientée sur
le verbe/ culture „nordique“ ancrée sur le texte, culture centralisée à
structure pyramidale prononcée/ culture fédérale à hierarchies plates, culture de la formation générale/ culture du métier, culture polychronique/
culture monochronique, comme disent les sociologues et anthopologues.“644 Für Frank Morawitz und Nicolas Moll, welche im Auftrag des
640
641
Hans-Jürgen Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde Frankreich, 3. Auflage, ibid. S.337.
Fritz Nies, Zitiert nach Hans-Jürgen Lüsebrink, Einführung in die Landeskunde Frankreich, 3. Auflage, ibid. S.337.
642 Bourgeois, Moteur d’une conscience européenne, ibid. S.34.
643 „En un mot: la nécessité de la prise en considération des profondes divergences culturelles par-délà les objectifs communs. Peut-être devrions nous dans le cadre du dialogue
culturel (au sens large) franco-allemand développer encore plus cette compétence-clef
en modifiant notre approche communautaire du couple franco-allemand pour en faire
surgir la dynamique de complémentarité.“ In: Bourgeois, ibid. S.34.
644 Bourgeois, Moteur d’une conscience européenne, ibid. S.31.
266
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Deutsch-Französischen Jugendwerks interkulturelle Trainings für Jugendliche in Europa anbieten, sollten Kulturinstitute „ganz konkret interkulturelle Lernprozesse fördern“645 und dies als „Lernfeld“ für die globalen
Herausforderungen für junge Europäer.
Die Mittler im Focus: Budgetäre Kürzungen als Chance sehen
Der angekündigte Umstrukturierungsprozess des Goethe-Instituts ab dem
Jahr 2000 (u.a. die Fusion mit Inter Nationes, Evaluationsmaßnahmen und
Controlling) wurde insbesondere zu Beginn der Reformen von den einzelnen Institutsleitern scharf kritisiert. Stellvertretend seien an dieser Stelle
die Ausführungen des ehemaligen Leiters des Goethe-Instituts Lyon, Dieter
Strauss, zitiert, welcher vor allem die zunehmenden administrativen
Zwänge (wie beispielsweise zusätzliche Konferenzen, Projektanträge oder
Fragebögen) als unnötige Last empfand:
„Aurait-on oublié les trois éléments dont on a vraiment besoin: du „nez“,
c’est à dire un feeling pour le pays d’accueil, de la chance et surtout du
zèle! Lorsque ces éléments sont rassemblés, il est possible, aujourd’hui
comme hier, d’aller contre vents et marées pour réaliser des projets passionnants. A moins que l’on ne soit occupé avec la comptabilité analytique
imposée par la cour des comptes... “646
Diese Einstellung zu den vom Bundesaußenminister Fischer angekündigten Reformprozessen und vom Goethe-Institut umgesetzten Maßnahmen
spiegelte grosso modo die allgemein sehr kritische Haltung der Deutschland- und Frankreichexperten zum Thema wieder. Im Jahre 2006 gipfelte
die Kritik an der Politik des Goethe-Instituts und der offiziellen deutschfranzösischen Kulturarbeit in einem kurzen aber alarmierenden Aufsatz
von Alfred Grosser mit dem Titel: „Die deutsch-französische Kulturarbeit
ist bedroht.“647 In diesem Artikel belegte Grosser das schwindende kulturelle Engagement Deutschlands und Frankreichs im Nachbarland durch
die Schließungen oder Umstrukturierungen von Goethe-Instituten und Instituts Français der vergangenen Jahre: „Mehrere Goethe-Institute wurden,
Frank Morawitz/ Nicolas Moll, Eine Beziehung im Dienste Europas, in: Dokumente 1
(2010). S.9-10.
646 Dieter Strauss : Je me consacre corps et âme aux réformes – et rien que cela, à propos du
processus de réforme à l’Institut Goethe, in : Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 162 (2002),
S.165-166. Hier: S.165.
647 Alfred Grosser: Die deutsch-französische Kulturarbeit ist bedroht, in: Dokumente 4
(2006), S.36.
645
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
267
wie in Marseille, einfach geschlossen oder, wie in Lille, Toulouse und Bordeaux, in ihren Arbeitsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Auch Nancy
und Lyon sind inzwischen von Mittelkürzungen bedroht.“648 In Marseille
hätten, so Grosser weiter, „weder die Stadt noch die Region den geringsten
Versuch unternommen, das Goethe-Institut zu retten.“649 Grossers Kritik
ging also in zwei Richtungen: Zum einen war sie an das Auswärtige Amt
adressiert, welches durch seine zunehmenden Mittelkürzungen und die
neue strategische Ausrichtung seiner Kulturarbeit in Richtung Osteuropa
langfristig die Arbeit deutscher Kulturinstitute bedrohte, zum anderen jedoch versteckte sich in dem Verweis auf die „unterlassene Hilfeleistung“
im Fall des Goethe-Instituts in Marseille der Aufruf an die französische Zivilgesellschaft, die Zukunft deutscher Kulturarbeit in Frankreich mit den
Partnern vor Ort selbst zu gestalten. Grosser führte an gleicher Stelle auch
Beispiele aus Deutschland an, wo „deutsche Gemeinden in die Bresche gesprungen“650 seien, um französische Institute in Tübingen oder Aachen zu
retten. Auch Joseph Jurt war für die Notwendigkeit eingetreten, Bürokratie durch „Phantasie“ zu ersetzen. Immer sei es die „schlechteste Lösung,
ein Kulturinstitut nach vielen Jahren kultureller Ausstrahlung zu schließen,
da mit einer Entscheidung „sämtliche kontinuierliche Aufbauarbeit […] zunichte gemacht“ werde. Auch war er einer der ersten Experten, welcher gerade in Zeiten knapper Kassen forderte: „In Zeiten des Sparzwangs muss
Kulturarbeit als Versöhnungs-, Aufklärungs- und Informationsarbeit im
Nachbarland weitergehen. Die Phantasie ist gefragt. Die Sache ist es
wert.“651
Die deutsche Auswärtige Kulturpolitik Deutschlands von 1998 bis
heute:
Konzeptuelle Weiterentwicklungen
In dieser Phase der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik übernahmen in
Deutschland drei Außenminister unterschiedlicher Parteizugehörigkeit die
Leitung des Auswärtigen Amts: Zunächst war im Zeitraum vom 27. Oktober 1998 bis zum 22. November 2005 mit Joschka Fischer erstmals ein Mitglied der Partei Die Grünen für das Auswärtige Amt verantwortlich.
648
649
650
651
Alfred Grosser, ibid. S.36.
Alfred Grosser, ibid. S.36.
Alfred Grosser, Die deutsch-französische Kulturarbeit ist bedroht, ibid. S.36.
Joseph Jurt: Von den Franzosen lernen, in: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/
archiv/zfk-1999/die-zukunft-der-erinnerung/deutsch-franzoesische-kulturbeziehungenbuerokratie-statt-phantasie/jurt0/, Zugriff am 4.3.2012.
268
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Anschließend übernahm in der Zeit der Großen Koalition, vom 22. November 2005 bis zum 28. Oktober 2009, der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier dieses Ressort. Seit dem 28. Oktober 2009 trägt Guido
Westerwelle (FDP) als Vizekanzler die Verantwortung für die deutschen
Auswärtigen Angelegenheiten. Die Auswärtige Kulturpolitik dieser Periode war jedoch - trotz Verantwortlicher unterschiedlicher Parteizugehörigkeit - durch einen parteiübergreifenden Konsens in den Grundfragen
der Gesamtausrichtung gekennzeichnet. Um einen besseren Überblick über
die unterschiedlichen Schwerpunkte der jeweiligen Regierungen zu gewähren, seien an dieser Stelle die wichtigsten Konzepte zusammengefasst.
Mit der Konzeption 2000 legte am 1. Dezember 1999 Bundesaußenminister Joschka Fischer dem zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages das umfassendste Konzeptpapier dieser Epoche vor. Es gilt bis heute
unter Experten als letzte grundlegende Auseinandersetzung einer Bundesregierung zu diesem Politikbereich.652
Die Konzeption 2000 ist in fünf Teile gegliedert. Teil 1 setzt sich mit den
Zielen und Grundsätzen der Auswärtigen Kulturpolitik auseinander, Teil 2
widmet sich den aktuellen Herausforderungen der deutschen AKP in einer
sich ändernden Welt, Teil 3 entwirft eine Strategie für die unmittelbare Zukunft und Teil 4 beinhaltet Strategiepapiere, welche Auskunft über die
wichtigsten Inhalte der AKP geben. Die Konzeption 2000 schließt mit dem
Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes des Haushaltsjahres 2000, welcher
sich im 5. Teil als Anhang befindet. Aufgrund des besseren Verständnisses
beginnt die Zusammenfassung mit dem 2.Teil, den „neuen Herausforderungen der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik.“
Die Konzeption 2000653 beginnt mit einem Verweis auf die zuletzt in den
1970er Jahren entworfenen Grundsätze zur Auswärtigen Kulturpolitik
durch den deutschen Bundestag. Dies macht deutlich, wie lange von offizieller Seite keine konzeptuellen Neuerungen in der auswärtigen Kulturpolitik mehr vorgelegt worden sind. 30 Jahre später sei nun eine
„Neujustierung“ der Auswärtigen Kulturpolitik notwendig, was durch die
„veränderten Rahmenbedingungen auf deutscher, europäischer und globaler Ebene“ bedingt sei. Was die „deutsche Ebene“ (Punkt II.1) betrifft, sei
652
Siehe unter anderem in: Wolfgang Schneider (Hg.): Auswärtige Kulturpolitik, ibid. So wird
an dieser Stelle neben den in unseren Ausführungen ausführlich besprochenen Leitsätzen
für die Auswärtige Kulturpolitik (1970) von Hamm-Brücher auch im Anhang lediglich die
Konzeption 2000 als Quelle bereitgestellt. Siehe dazu: S.222ff.
653 Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): http://www.ifa.de/pdf/aa/
akbp_konzeption2000.pdf, Zugriff am 4.3.2012. Alle in diesem Kapitel zitierten Passagen
beziehen sich auf diese Quelle.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
269
durch die deutsche Wiedervereinigung „die besondere Herausforderung
(...), die sich aus der „Existenz zweier deutscher Staaten und der Konfrontation der Blöcke {ergeben habe}, nun „Geschichte.“ Das wiedervereinigte
Deutschland müsse sich von nun an den gestiegenen „internationalen Erwartungen“ stellen, sei aber durchaus bereit, diesbezüglich „eine gestaltende Rolle zu übernehmen.“ Auf der Ebene des „zusammenwachsenden
Europas“ (Punkt II.5) gelte es von nun an, einen Beitrag zur „Entwicklung
und Stärkung der europäischen Identität“ zu leisten. Vor allem müsse nun
„die kulturelle Dimension der europäischen Einigung (...) für Europas Bürger erlebbar“ gemacht werden. Die zunehmende Globalisierung (Punkt II.4)
wird in der Konzeption 2000 sowohl als Chance als auch als Gefahr bewertet. Auf der einen Seite begünstige die schnelle Entwicklung einer weltweiten Informationsgesellschaft den „Wettbewerb und Austausch der
Kulturen im global village“, auf der anderen Seite könne diese Entwicklung
zum „Verblassen zahlreicher Regionalkulturen“ führen, dem entgegenzuwirken sei. Kurz: „der Bedarf an Stabilisierung und Konfliktprävention
durch Dialog, Förderung demokratischer Entwicklungsprozesse und Verwirklichung der Menschenrechte wächst.“ Dadurch müsse diesen neuen
Herausforderungen auch die Rolle der staatlichen Institutionen angepasst
werden, wobei von der Auswärtigen Kulturpolitik „ein angemessener Beitrag zur allgemeinen Haushaltskonsolidierung“ zu leisten sei. Als Devise
für die Zukunft wird in der Konzeption 2000 daher abschließend folgende
Parole ausgegeben: „Ressourcen zu bündeln, die Effizienz zu erhöhen, zugunsten prioritärer Bereiche Mittel umzuschichten und verstärkt nichtstaatliche Träger für die Auslandskulturarbeit zu gewinnen.“
Aus dieser Neujustierung der AKP ergeben sich die Grundsätze der Auswärtigen Kulturpolitik, welche insgesamt in der Kontinuität einer durchaus
innovativen Entwicklung der 1970er Jahre steht. Nach wie vor sieht die
Bundesregierung in der AKP einen „integralen Teil“ seiner Außenpolitik,
was von der Begrifflichkeit her jedoch einen Rückschritt in Bezug auf die
„dritte Säule“ oder gar die „dritte Dimension“ bedeutet. Grundsätzlich rückt
diese Konzeption in Zeiten der Globalisierung Werte wie „Demokratieförderung, Verwirklichung der Menschenrechte, Nachhaltigkeit des Wachstums (...), Armutsbekämpfung“ mehr in den Mittelpunkt und fordert die
Mittlerorganisationen dazu auf, „eindeutig“ Position zu beziehen (Punkt
I.2). Nach wie vor wurde auch weiterhin die dialogische Form der Kulturvermittlung propagiert, wobei der Gedanke, dass Deutsche Kultur „als Teil
europäischer Kultur vermittelt werden soll“ (Punkt I.3), erstmals in einem
offiziellen Konzept Erwähnung findet. Auch wird in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit verwiesen, langfristige Netzwerke aufzubauen,
270
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
allerdings lediglich mit dem Ziel der „politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit.“ (Punkt 1.4).
Der fortschrittlichste Teil der Konzeption 2000 ist der dritte Abschnitt, welcher eine „Strategie für eine unmittelbare Zukunft“ aufzeigt und konkrete
Handlungsempfehlungen an die Verantwortlichen im Auswärtigen Amt, die
im Ausland vertretenen Mittlerorganisationen, aber auch die Kulturschaffenden beinhaltet, die cum grano sanis direkt, d.h. „unmittelbar“ umgesetzt
werden sollten. Diese strategischen Überlegungen erinnern in vielen Passagen an die theoretischen Anregungen aus der deutschen Zivilgesellschaft
der späten 1990 Jahre. Im Strategiepapier findet man vor allem die Ideen
von Wolf Lepenies, Hans-Magnus Enzensberger und Hilmar Hoffmann wieder, auf welche im voran gegangenen Kapitel näher eingegangen wurde. In
Anlehnung an die Forderungen von Enzensberger, welcher in der Auswärtigen Kulturpolitik vor allem die Aufgabe eines „Frühwarnsystems“ für internationale Konflikte gesehen und dazu aufgerufen hatte, durch
interkulturellen Dialog „internationale Lerngemeinschaften“ zu bilden. In
diesem Frühwarnsystem sieht man die „zentrale Aufgabe [deutscher Auswärtiger Kulturpolitik], der kommenden Jahre.“ Oberstes Ziel sei es, in Zukunft „Foren des Dialogs und globale Netzwerke aufzubauen“ um in
„solchen „Lerngemeinschaften, Konflikten durch besseres Wissen voneinander und mehr Verständnis füreinander vorzubeugen (Punkt III.1).“
Von diesem Grundprinzip ausgehend wurde in der Konzeption 2000 erstmals die Friedenssicherung zum obersten Primat der Auswärtigen Kulturpolitik erklärt. Dies geschah rund zwei Jahre vor den Ereignissen, welche
das erste Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts entscheidend prägten, nämlich die
Attentate des 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Diese neue Priorisierung erforderte zwangsläufig eine Umorientierung
deutscher AKP in Bezug auf die ausgewählten Schwerpunktregionen: zum
einen bedeutete dies eine Verstärkung deutschen kulturellen Engagements
„in den Nachbarstaaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, in Schwellenländern und Wachstumsregionen außerhalb Europas sowie in Staaten auf
dem Weg zu Demokratisierung und Verwirklichung der Menschenrechte(Punkt III.6).“ Dem gegenüber stand anderen Schwerpunktregionen
ein „allmählicher Abbau eigener Strukturen“(Punkt III.3) bevor. Explizit
nennt die Konzeption 2000, welche Regionen von diesem Abbau vorrangig
betroffen sein würden, nämlich insbesondere „westliche Industrieländer
(…) in denen „über Jahrzehnte ein dichtes Geflecht sowohl staatlicher als
auch privater kultureller Beziehungen gewachsen ist.“ Auch wenn das
Nachbarland Frankreich nicht genannt wird: Die Beschreibung der von den
Kürzungen betroffenen Regionen trifft nur allzu gut auf Frankreich zu. An
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
271
gleicher Stelle, dem vierten Punkt des Strategiepapiers, wird zugleich auch
richtungsweisend aufgezeigt, wie zukünftig die Verminderung der Subventionen für Struktur-und Projektkosten in diesen Ländern aufgefangen
werden soll, nämlich „unter gleichzeitiger Verlagerung auf lokale, regionale und privatrechtliche Trägerstrukturen.“ Einsparungen, die laut Konzeption 2000 vor allem im Bereich der Strukturkosten erzielt werden
sollen, sollen allen voran „der Stärkung der Projektmittel“ (Punkt III, 4),
also der kulturellen Programmarbeit zu Gute kommen. Des weiteren gibt
die Konzeption 2000 den Kulturschaffenden im Bereich der kulturellen
Programmarbeit die Empfehlung, von nun ab Dienstleistungen lediglich
„soweit wie möglich gegen Gebühren“ Kosten deckend zu erbringen (Punkt
III.5). Erstmals kündigt ein Konzeptionspapier des Auswärtigen Amtes in
diesem Sinne auch eine Evaluation der auswärtigen Kulturarbeit an: „Weitere Reformen der Instrumente und Verbesserungen bei der Effizienz auf
der Basis interner und externer Evaluation sind erforderlich (Punkt III.5).“
Sämtliche Programme der Auswärtigen Kulturpolitik seien zukünftig auf
„Qualität, Relevanz und Nachhaltigkeit“ (Punkt III.8) zu evaluieren.
Der vierte Teil der Konzeption 2000, Strategiepapiere, führt das zukünftige
strategische Vorgehen des Auswärtigen Amtes in Bezug auf inhaltliche
Schwerpunktsetzung und Evaluation noch genauer aus. Für die Untersuchung reicht es jedoch aus, sich auf die drei Unterpunkte, Goethe-Institut
(IV.1.3), kulturelle Programmarbeit (IV.2), Europäische und multilaterale
Kulturpolitik (IV.4) und Förderung der deutschen Sprache in Form von kurzen Zusammenfassungen (IV.5) zu beschränken.
Im Rahmen der Konzeption 2000 wurde vom Auswärtigen Amt auch die
Struktur des Goethe-Instituts neu ausgerichtet, welches als Mittler von
„strukturellen Einschnitten besonders betroffen“ (Punkt IV.1) war. Zu diesem Zeitpunkt stand die geplante Fusion von Goethe-Institut und Inter Nationes, von der sich das Amt insbesondere „eine Steigerung der Effizienz
und des finanziellen Spielraums für die Projektarbeit“ (Punkt IV.1.) erwartete, bereits fest: sie sollte im zweiten Halbjahr 2001 umgesetzt werden. Das Auswärtige Amt drückt in seinem Strategiepapier zunächst sein
Bedauern über die anstehenden „Schließungen und Teilschließungen aus“.
Übergeordnete Ziele sind die Notwendigkeit einer „Effizienzsteigerung“
und die „strukturelle Beweglichkeit.“ Die angekündigten Maßnahmen lassen sich in vier Punkten zusammenfassen:
1. Schwerpunktsetzung der Institutspräsenz „auf bestimmte Bereiche und
Standorte“
272
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
2. „Enge Kooperation auf vertraglicher Basis mit lokalen Trägern z.B. bilateralen Kulturgesellschaften“
3. „Verstärkte Verbindungsarbeit durch Ausbau von Multiplikatorennetzen“
4. „Verstärkte Nutzung moderner Medien und Technologien“ (Punkt IV.1.)
Die kulturelle Programmarbeit steht, nach der Strategie der Neujustierung
des weltweiten Auftrags der Goethe-Institute, in der Konzeption 2000 an
zweiter Stelle des Strategiepapiers, was ihre zunehmende Bedeutung im
Rahmen der deutschen AKP unterstreicht. Die Programmarbeit verfolgt
dabei im Ausland das Ziel, „ein aktuelles Bild vom künstlerischen Leben
und Schaffen in Deutschland“ zu vermitteln und Deutschland „im Bereich
von „Literatur, Film, Musik und darstellende Kunst“ (…) „als kreativen Kulturstaat in Europa“ zu präsentieren (IV.1). Der Eindruck, dass das Auswärtige Amt hier zu einem „engen Kulturbegriff“ zurückkehrt, wird in den
folgenden Ausführungen noch bestätigt, wenn es um die „wichtigsten Instrumente der Programmarbeit“ geht. Explizit werden an dieser Stelle und in dieser Reihenfolge - nämlich nur die Literaturförderung, die Filmförderung, die Unterstützung von Gastspielen, die Instrumenten - und Musikalienspenden, die Förderung von Festivals, Kongressen und Seminaren,
die Lehr- und Beratertätigkeit sowie die Förderung von Ausstellungen aufgeführt (unter IV.2). Eine genaue Definition des Kulturbegriffs sucht man
in der Konzeption 2000 vergebens. Hauptzielgruppen der auswärtigen Kulturpolitik seien „aktuelle und künftige Führungsgruppen, Multiplikatoren
und Meinungsbildner in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien.“ Auch die Begegnung und der Austausch junger Menschen sei dabei
„ein wichtiges Instrument (III.10).“
Als Vorgabe für die Auswahl „geeigneter Projekte“ gibt das Strategiepapier
drei Kriterien vor, die die Kulturschaffenden in Zukunft bei der Gestaltung
der kulturellen Programmarbeit in Betracht zu ziehen haben: „die künstlerische Qualität, die Aufnahmebereitschaft im Partnerland (Relevanz) und
die Wirkung der jeweiligen Maßnahme (Nachhaltigkeit, IV.4).“
Auf den Begriff der Nachhaltigkeit soll aufgrund seiner Bedeutung an dieser Stelle kurz näher eingegangen werden, weil er die Ausrichtung deutscher Kulturpolitik nachhaltig prägte. Im Jahre 2002 legte die deutsche
Bundesregierung in einem mehr als 300 Seiten umfassenden Strategiepapier Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung vor, welche neben den
Bereichen Generationengerechtigkeit (z.B. Ressourcenschonung, Klimaschutz, Erneuerbare Energien, Artenvielfalt, Innovation, Bildung), Lebensqualität (Wirtschaftlicher Wohlstand, Ernährung, Gesundheit, Kriminalität)
und sozialer Zusammenhalt (Beschäftigung, Perspektiven für Familien,
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
273
Gleichberechtigung, Integration ausländischer Mitbürger) auch Vorgaben
zu Deutschlands internationaler Verantwortung machte. Der Begriff der
Nachhaltigkeit wurde in diesem Dokument als oberstes „Leitbild für die
Zukunft“ definiert:
„Nachhaltige Entwicklung zielt auf eine Zukunft in einer größer und bunter werdenden Welt, deren Umwelt sauber und gesund ist und in ihrer natürlichen Vielfalt erhalten bleibt, in der es mehr Demokratie und
Wohlstand gibt und das gemeinsame kulturelle Erbe gepflegt wird. Nicht
auf Kosten künftiger Generationen oder der Menschen in anderen Teilen
der Welt leben – das ist ein wichtiger Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung. Eine ausgewogene Balance zwischen unseren heutigen Bedürfnissen und den Lebensperspektiven künftiger Generationen soll eine hohe
Lebensqualität, den Erhalt von Natur und Umwelt, den sozialen und kulturellen Zusammenhalt und die Wahrnehmung internationaler Verantwortung in einer globalisierten Welt gewährleisten.“654
Viele der im Strategiepapier aufgezeigten Initiativen waren auf die Lokale
Agenda 21 – eine Anspielung an die AGENDA 21, welche 1992 auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de
Janeiro von 172 Staaten beschlossen worden war, zurückzuführen, welche
sich zum Ziel gesetzt hatte, dass Städte und Gemeinden durch die Gewährung von mehr Autonomie eigene Akzente für eine zukunftsorientiere Entwicklung setzen. In diesem Strategiepapier „Perspektiven für Deutschland“
spielte auch die Nachhaltigkeit von Kultur und sozialem Lernen eine wesentliche Rolle, Kulturpolitik wurde als „wichtiger Eckpfeiler“ für nachhaltige Entwicklung hervorgehoben, denn „kulturelle Grundwerte der
Gesellschaft, Lebensstile, Religion und ethische Verhaltensnormen, Bildung
und soziales Engagement verhelfen dem Individuum, seine geistigen und
sozialen Fähigkeiten auszubilden.“655 Was die auswärtige deutsche Kulturpolitik und somit die „Internationale Verantwortung Deutschlands betrifft, forderte das Strategiepapier mehr „nationales Handeln in
Verantwortung für Eine Welt“, in der „Europa gestärkt“656 werden sollte.
654
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): http://www.nachhaltigkeitsrat.de/
fileadmin/user_upload/dokumente/pdf/RNE_Dialogpapier.pdf, Zugriff am 22.03.2012,
S.1.
655 In: http://www.nachhaltigkeitsrat.de/fileadmin/user_upload/dokumente/pdf/RNE_Dialogpapier.pdf, Zugriff am 22.03.2012. S.8-9.
656 In: http://www.nachhaltigkeitsrat.de/fileadmin/user_upload/dokumente/pdf/Nachhaltigkeitsstrategie_komplett.pdf, Zugriff am 22.03.2012, S.42-48.
274
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auch die Definition der einzelnen Zielgruppen in der Konzeption 2000 bedarf einiger Erläuterungen. Unter Punkt IV.6 geht es um die künftigen Zielgruppen der kulturellen Programmarbeit. An dieser Stelle wird im Konzept
des Auswärtigen Amtes zwischen zwei unterschiedlichen Zielgruppen unterschieden. Auf der einen Seite sollen durch das Kulturprogramm der einzelne Endverbraucher, auf der anderen Seite jedoch „bevorzugt“
Multiplikatoren angesprochen werden. Aus dem Kontext des Konzeptionspapiers kann erschlossen werden, dass mit dieser Zielgruppe Akteure
gemeint sind, welche aufgrund ihrer Stellung in der Öffentlichkeit oder
ihrer Kompetenzen durch ihr berufliches oder soziales Netzwerk als Mittler für Deutschland wirken können. Dies gilt sowohl für die Weitergabe von
Informationen, als auch für die Vermittlung von Werten. Neben Multiplikatoren aus dem bildungspolitischen Bereich, wie Lehrer und Forscher,
sind hier an erster Stelle Journalisten, Intellektuelle und Entscheidungsträger aus der Politik und Wirtschaft zu nennen. Dieser Zielgruppe der Multiplikatoren sollte sowohl ein „nachfrageorientiertes“ als auch ein
„angebotsorientiertes“ Kulturprogramm angeboten werden (Punkt IV.6),
was ebenfalls einem Paradigmenwechsel in der Kulturvermittlung entsprach.
Um diesen Prozess näher zu erläutern, soll exemplarisch näher auf einen
Aufsatz von Norbert Siewers, dem Geschäftsführer der Kulturpolitischen
Gesellschaft in Bonn verwiesen werden, welcher die Diskussion um eine
Kulturpolitik zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung im Jahre
2005 trefflich auf den Punkt brachte. Laut Siewers würden heute öffentlich geförderte Kulturinstitute nur einen Teil ihrer Legitimation aus dem
angebotsorientierten „Vermittlungsanspruch kultureller Werke und Inhalte“657 ziehen. Die zweite Legitimation und Zielsetzung eines erfolgreichen Kulturprogramms sei es, „bei stagnierenden oder gar zurückgehenden
öffentlichen Finanzierungsanteilen“ jedoch, ein nachfrageorientiertes Kulturprogramm zu entwickeln, was schließlich den Paradigmenwechsel zur
Folge hätte, dass Kulturpolitik in steigendem Maße „vom Publikum her“658
konzipiert werden müsse. Kritisch hinterfragte Siewers in seinem Beitrag
schließlich, ob im heutigen Kulturbetrieb der Kunde wirklich „König sei“659
oder aber, ob statt „Kultur für alle“ nicht doch eher „Kunst für wenige“660
657
Norbert Siewers: Kulturplitik zwischen Angebots-und Nachfrageorientierung, Konzeptionelle Anmerkungen zum 3. Bundespolitischen Bundeskongress, Kulturpolitische Mitteilungen, Nr.108, I/2005, S.24-26.
658 Siewers, ibid. S.24.
659 Siewers, ibid. S.26.
660 Siewers, ibid. S.26.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
275
angeboten werden würde. Auch die Konzeption 2000 und ihre praktische
Umsetzung im Ausland muss vor dem Hintergrund dieser anhaltenden Debatte analysiert werden. Auf die Problematik des „Spagats“ zwischen angebotsorientierten- und nachfrageorientierten Kulturveranstaltungen soll
im letzten Teil der Arbeit (Blanz und Perspektiven) noch genauer eingegangen werden.
Auch die Förderung der deutschen Sprache bleibt weiterhin eine der Kernaufgaben der Auswärtigen Kulturpolitik. Wichtigstes Novum der Konzeption 2000 in Bezug auf die Spracharbeit ist die Einsicht, dass die kulturelle
Programmarbeit einen wichtigen Teil zur Vermittlung der deutschen Sprache beitragen kann, so z.B. „indirekt durch deutschsprachige Wortveranstaltungen, Theateraufführungen und Filmvorführungen.“ (IV.5.1). Auch
die Sprachförderung müsse jedoch aufgrund knapper Mittel „weiter optimiert werden“, was insbesondere durch eine Intensivierung der Kooperationen deutscher Mittlerinstitutionen vor Ort gewährleistet werden soll.
Zusammenfassend ist in Bezug auf die Konzeption 2000 festzuhalten, dass
Joschka Fischer in einem Artikel der Zeitschrift für Kulturaustausch im
Nachhinein mit diesem Konzeptpapier das Ziel verfolgte, Standorte und
Strategien deutscher AKP 10 Jahre nach dem Fall der Mauer im Ausland
neu zu überprüfen und mit „weniger Geld, mehr Präsenz“661 zu sichern.
Der damalige Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, Albert
Spiegel, sah dazu vor allem in Frankreich Neuansätze „wie das HeidelbergHaus in Montpellier, das Rheinland-Pfalz Haus in Dijon, oder das Haus Tübingen in Aix-en Provence. Diese Kulturhäuser sind aus der Partnerschaft
der Regionen entstanden und beziehen ihre Mittel aus deutschen und französischen Quellen.“662
Im Zeitraum von 2000 bis 2004 lassen sich aus den Berichten der Bundesregierung keine wesentlichen konzeptuellen Neuerungen erschließen. Auffällig sind jedoch in Bezug auf das Thema wichtige Veränderungen in der
Struktur und der inhaltlichen Gestaltung der Tätigkeitsberichte des Auswärtigen Amtes. Ab dem Kalenderjahr 2002 wurde das Kapitel „Bilaterale
Kultur-und Bildungsbeziehungen“ - in welchem bis dato an erster Stelle
eine Bilanz der deutsch-französischen Kulturbeziehungen gezogen wurde
Joschka Fischer: Sensibel in der Form, fest in der Sache, Zeitschrift für Kulturaustausch,
in: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk-2001/mit-kultur-gegen-krisen/
fischer0//type/98/ Zugriff am 4.3.2012.
662 Albert Spiegel: Neue Wege in der Auswärtigen Kulturpolitik, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, unter: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk-2000/sport/
spiegel/type/98/, Zugriff am 27.2.2012.
661
276
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
- durch das Kapitel „Multilaterale Kulturzusammenarbeit“ ersetzt. Schließlich wurden im Tätigkeitsbericht des Jahres 2004 in einem offiziellen Bericht des Auswärtigen Amtes Kulturgesellschaften - erstmals seit ihrem
Bestehen - als offizielle Mittler deutscher AKP aufgeführt. Mit ihnen wird
gar der Bericht der Bundesregierung abschlossen:
„Die Kulturgesellschaften leisten einen wichtigen Beitrag zum bilateralen
Dialog und Kulturaustausch und gewinnen Sympathien für Deutschland in
ihrem Land. Durch lokale Trägerstruktur sind sie gut im Gastland verankert und erhöhen in Ergänzung zu den Goethe-Instituten und anderen
Mittlern die Reichweite der AKBP in Länder oder Landesteile hinein, in
denen das Goethe-Institut nicht (mehr) präsent sein kann.“663
In der Ära Steinmeier wurden in Bezug auf die auswärtige Kulturpolitik
und die unter Fischer vorgelegte Konzeption 2000 keine grundlegenden
Neuerungen eingeführt. Einige Ergänzungen sind dennoch in dem Bericht
der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2005 / 2006664 zu finden, die an dieser Stelle der Vollständigkeit halber angeführt werden sollen. Im diesem Bericht fordert das Auswärtige Amt zunächst eine
Modernisierung des Instrumentariums der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. In diesem Zusammenhang verfolgt das Amt vor allem zwei
Ziele, zum einen die systematische Förderung und Verstärkung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften, zum anderen die Einführung „neuer Managementinstrumente in der AKBP“. Die Bundesregierung orientierte ihre
AKBP nach vier Zielen, wobei auffällig ist, dass neben der „Förderung von
kultur- und bildungspolitischen Interessen“, der „Förderung des Integrationsprozesses“ und der „Förderung der Konfliktprävention“ der „Sympathiewerbung für Deutschland“ erstmals ein besonders hoher Stellenwert
eingeräumt wird. Was die Arbeit des Goethe-Instituts als wichtiger Mittlerorganisation des Landes angeht, verweist das Auswärtige Amt an dieser Stelle lediglich auf die zunehmende Bedeutung von Kooperationen des
Goethe-Instituts mit anderen europäischen Instituten. Leider handelt es
sich ausschließlich um Beispiele mit positiven Kooperationserfahrungen in
663
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): http://www.ifa.de/pdf/aa/
akbp_bericht2004.pdf, Zugriff am 27.2.2012.
664 Alle folgenden Zitate in diesem Kapitel sind folgender Quelle entnommen: In: Bericht der
Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2005 / 2006. http://www.ifa.de/pdf/aa/
akbp_bericht2005.pdf, Zugriff am 27.2.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
277
anderen europäischen Ländern außerhalb des deutsch-französischen Kontextes.665
Eine letzte, bedeutende Bestandsaufnahme zur „Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung“666 mit dem Untertitel Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten, wurde unter der Verantwortung von Bundesaußenminister Guido Westerwelle im September
2011 vorgelegt. Überraschend an diesem Konzeptpapier ist vor allem zunächst einmal die historische Bilanz der deutschen AKBP. So stellt man zum
einen rückblickend auf den Prozess der europäischen Integration fest, dass
„Deutschland zum ersten Mal in seiner Geschichte nur noch von Freunden
umgeben“ sei. Zum anderen stellte man an dieser Stelle auch ernüchternd
fest, dass sich in naher Zukunft das natürliche Gewicht Deutschlands in der
Welt verringern wird: so stünde Deutschland heute in Bezug auf die Bevölkerungszahl auf dem 15. Rang, den Prognosen nach würde es bis 2050
auf den 26. Rang zurückfallen. Eine ähnlich negative Tendenz zeichne sich
in der Positionierung Deutschlands als Wirtschaftsmacht ab: bis 2050
würde Deutschland aller Voraussicht nach seinen führenden Platz als Wirtschaftsmacht an China, Indien, Brasilien und Russland verlieren. Oberstes
Ziel sei es daher, durch eine angepasste „cultural diplomacy […] Einfluss in
der Welt zu sichern und die Globalisierung verantwortlich mit zu gestalten“. Um in diesem Sinne dem negativen Trend der Bevölkerungsentwicklung entgegenzuwirken, soll die AKBP in Zukunft auch einen Beitrag dazu
leisten „Menschen nach Deutschland zu bringen, „ die temporär oder dauerhaft hier bleiben wollen.“ Neben den bereits unter den Vorgängern Fischer und Steinmeier ausgegebenen Zielen der Friedenssicherung und der
Stärkung Europas sollen die Mittler laut Konzeptpapier künftig „Alte
Freundschaften pflegen, neue Partnerschaften gründen.“ Frankreich, wie
im Übrigen ganz Westeuropa und die USA, werden explizit zu diesen „alten
Freunden“ gezählt. Wie man die Stärkung Europas erzielen will, darüber
gibt gleichnamiger Abschnitt des Konzeptes Auskunft: durch das „Beheben von Ungleichgewichten“ und die „Beseitigung von Schieflagen.“ Eine
665
„In Stockholm öffnete im April 2005 das gemeinsam vom Instituto Cervantes und Goethe-Institut betriebene Kulturinstitut. Im Juni 2005 konnten das einjährige Bestehen der
Kollokation von Alliance Française und Goethe-Institut in Glasgow sowie die Einweihung
des gemeinsam mit dem British Council genutzten Gebäudes in Kiew gefeiert werden.“ In:
Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2005 / 2006, in: http://
www.ifa.de/pdf/aa/akbp_bericht2005.pdf, Zugriff am 27.2.2012.
666 Alle folgenden Zitate in diesem Kapitel sind folgender Quelle entnommen: http://
www.auswaertigesamt.de/cae/servlet/contentblob/595030/publicationFile/161964/AKBP-Konzeption-2011.pdf, Zugriff am 4.3.2012.
278
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
derartige Schieflage liege beispielsweise zwischen den Ländern Frankreich
und Italien (mit je sieben Goethe-Instituten) auf der einen und Polen (zwei
Institute) und der Tschechischen Republik (nur ein Institut) auf der anderen Seite vor. In Osteuropa bestünde demnach „Nachholbedarf“, dem entsprochen werden müsse, ohne jedoch „Bewährtes in Frage zu stellen.“
Konkrete Institutsschließungen in Frankreich oder Italien werden an dieser Stelle zwar (noch) nicht angekündigt, stattdessen aber eine Anzahl von
„konkreten Schritten“, die man unter dem Oberbegriff „Optimierung“ der
Ressourcen zusammenfassen könnte. So werden die Auslandsinstitute
dazu aufgefordert, „Partner in der Wirtschaft, bei Stiftungen und im Ausland [zu] gewinnen“ oder aber Mittel „effizienter“ einzusetzen. Weitere Hinweise zur künftigen Gestaltung der AKBP gibt der Abschnitt „Allgemeine
Grundsätze der AKBP“, in welchem man sich nicht nur einem „weiten Kulturbegriff“ verpflichtet, sondern auch den Ansatz einer „regierungsfernen“
Auslandskulturarbeit vertritt, welche ihre staatliche Förderung im Ausland
auf jene Regionen beschränkt, „wo Bedarf“ besteht. Eine Neugestaltung zukünftiger Kulturarbeit im Ausland solle dabei folgende Gestalt annehmen:
„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist keine bürokratisierende Kulturförderung im Ausland. Sie soll dort erfolgen, wo der kulturelle Austausch aus eigener Kraft auf schwierige Bedingungen stößt. Wo immer
der Umfang des kulturellen und zivilgesellschaftlichen Austauschs es zulässt, kann die staatliche Förderung zurücktreten. Generell streben wir
eine starke Beteiligung des privaten Sektors (public private partnership,
Sponsoring) an.“
Als neue Partner und Schwerpunktregionen werden in den Ausführungen
des Auswärtigen Amtes Indien, Vietnam, Lateinamerika, Argentinien, die
Türkei und Russland genannt. Für Frankreich und die weiteren Partnerländer in Westeuropa scheint es keine klar umrissene Strategie zu geben.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
279
3.6.2 Evaluation der Kulturveranstaltungen von 1999-2011
Vorbemerkungen
Das folgende Kapitel gliedert sich in vier Abschnitte. In einem ersten Teil
werden die Jahrbücher der Goethe-Institute im Zeitraum von 1999 bis
2011 qualitativ und quantitativ ausgewertet, wobei dieser Untersuchungszeitraum in den Jahrbüchern der Goethe-Institute in zwei Phasen
unterteilt wurde (Phase 1: 1999-2007, Phase 2: 2008-2011). Dabei stehen
vor allem die Untersuchungskriterien Themenschwerpunkte und Kooperationspartnerschaften im Mittelpunkt der Betrachtungen. Dies geschieht anhand dreier Fallbeispiele, der Goethe-Institute in Bordeaux, Lille und Paris.
Im zweiten Teil dieses Kapitels wurden erstmals auch exemplarisch die Tätigkeitsberichte eines der deutsch-französischen Häuser, des Hauses Rheinland-Pfalz in Dijon, ausgewertet. Diese Vorgehensweise trägt zum einen
der Tatsache Rechnung, dass die Jahresberichte der Goethe-Institutee im
Zeitraum von 2008 bis 2011 immer weniger Informationsgehalt hatten.
Zum anderen ermöglicht uns eine vergleichende Analyse der kulturellen
Programmarbeit der Goethe-Institute und eines der Häuser aufzuzeigen,
welche unterschiedlichen „Wege aus der Routine“ des deutsch-französischen Kulturaustauschs diese unterschiedlichen Institutsformen seit der
Krise zu Beginn des Jahrtausends genommen haben. Im dritten Teil wird
ein exemplarisches Projekt der Föderation deutsch-französischer Häuser,
die Aktion DeutschMobil, eingehend analysiert.
Das Kapitel schließt mit einer Bilanz der erzielten Ergebnisse.
Entsprechend der theoretischen Vorüberlegungen im vorangegangenen
Teil soll die Analyse der Kulturveranstaltungen u. a. folgenden Fragestellungen besonders nachgehen:
Gelang es den deutschen Kulturinstituten durch ihre kulturelle Programmarbeit den besorgniserregenden Trend des Rückgangs der Partnersprache Deutsch an französischen Schulen in Frankreich zu beeinflussen,
welcher Ende der 1990er Jahre ihren vorläufigen Tiefpunkt erreicht hatte?
War eine Tendenz erkennbar, welche belegte, dass zunehmend lokale, regionale und privatrechtliche Trägerschaften in die kulturelle Programmarbeit integriert wurden?
Ließen die Kooperationsformen inhaltliche und strukturelle Öffnungen erkennen, welche belegen, dass die kulturelle Programmarbeit aus der Exklusivität der deutsch-französischen Bilateralität ausbrach und durch
multilaterale europäische Kooperationen neue Akzente setzte?
Legt eine Analyse der Kulturveranstaltungen die Interpretation nahe, dass
die Kriterien Qualität, Relevanz und Nachhaltigkeit bei ihrer Konzeption
eine übergeordnete Rolle spielten?
280
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Gelang es den deutschen Kulturinstituten im Sinne eines erfolgreichen Nation-Brandings zu einem verbesserten Deutschlandbild in Frankreich beizutragen?
Lassen die Programmschwerpunkte der Kulturinstitute erkennen, dass
neue Zielgruppen erschlossen werden sollten und eine Schwerpunktverschiebung von einem angebotsorientierten hin zu einem nachfrageorientierten Kulturprogramm vollzogen wurde?
Zum Korpus
Die erste Periode der Jahrbücher von 1999 bis 2007
Der Zeitraum von 1999 bis 2011 lässt sich anhand der unterschiedlichen
Darstellungsformen in den Jahrbüchern der Goethe-Institute in zwei Phasen unterteilen: 1999 bis 2007 und 2008 bis 2011. Im Vergleich zum vorangegangenen Untersuchungszeitraum (1990-1998) fehlte in diesem
Zeitraum nicht nur das Kurzportrait der einzelnen Institute, sondern auch
die strategische Bewertung der kulturellen Programmarbeit der „Region
Frankreich“. Stattdessen wurde die Arbeit der einzelnen Goethe-Institute
knapp auf etwa einer halben Jahrbuchseite dargestellt: ein erster Paragraph gibt zunächst stichpunktartig Auskunft über die wichtigsten Eckdaten des Instituts. Die Beschreibungskriterien lauteten dabei Gründungsjahr,
Leiter, Anzahl der Mitarbeiter/innen, Kulturprogramme, Bibliothek/ Mediothek, Deutschkurse und Prüfungen, Pädagogische Verbindungsarbeit und
Sonderkurse. In einem zweiten Paragraph mit dem Titel Programmauswahl
führten die einzelnen Institute ca. fünf Kulturveranstaltungen auf, welche
exemplarisch die Höhepunkte des vergangenen Kalenderjahres widerspiegelten. Die aufgeführten Veranstaltungen gaben zunächst Auskunft
über den Titel und die Form der Veranstaltung. In aller Regel wurden in
einem zweiten Schritt die wichtigsten Redner oder Künstler der einzelnen
Veranstaltungen aufgeführt. Einige wenige Goethe-Institute gaben zudem
noch Auskunft darüber, welche verschiedenen Kooperationspartner an der
jeweiligen Veranstaltung mitgewirkt hatten. In der zweiten und letzten Untersuchungsphase (von 2007/08 bis 2011) wurde die Darstellung der kulturellen Programmarbeit noch reduziert. Auf vier Seiten wurde im
Jahrbuch 2009/2010 unter dem Titel „Südwesteuropa“ die Arbeit von „22
Goethe-Instituten, 272 Mitarbeitern, davon 25 Entsandten“667 zusammenfassend dargestellt. Zu Südwesteuropa wurden Belgien (ein Institut),
667
In: Jahrbuch des Goethe-Instituts 2009/2010. Das Jahrbuch 2010/2011 lag im April des
Jahres 2012 noch nicht vor.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
281
Frankreich (sieben Institute668), Italien (sieben Institute), Luxemburg (ein
Institut), Portugal (zwei Institute) und Spanien (vier Institute) gezählt.
Nach Kurzinformationen zum Namen des Leiters/Leiterin, dem Gründungsjahr und dem Verweis auf die Webseite folgte lediglich eine zahlenmäßige Erfassung der vier Bereiche Kultur und Information (unterteilt in
Programme und Reichweite), Bildungskooperation Deutsch (unterteilt in
Programme und Reichweite), Information und Bibliothek (unterteilt in Medienbestand, Entleihungen, Entleiher/innen und Informationsanfragen pro
Monat) und Deutschkurse und Prüfungen (unterteilt in Unterrichtseinheiten, Einschreibungen, Kurse, Prüfungsteilnehmer/innen).
668
Ab dem Jahresbericht des Jahres 2007/8 wurden die Kulturveranstaltungen des GoetheInstituts in Straßburg nicht als Anntenne des Instituts in Nancy sondern als unabhängige
Veranstaltungen aufgeführt.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
282
Quantitative Analyse der Kulturveranstaltungen von 1999 bis 2010
Übersicht 36: Die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 19992007
3,000
2,500
2,000
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
Musikveranstaltungen
Theaterveranstaltungen
1,500
Ausstellungen
Filmvorführungen
Aktivitäten insgesamt
1,000
0,500
0,000
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Die Übersicht 36 verdeutlicht, wie unregelmäßig die einzelnen Veranstaltungsformen im Zeitraum von 1999 bis 2007 von den Goethe-Instituten in
Frankreich insgesamt betrieben wurden. Dies lässt sich am genauesten an
der Zickzackkurve Aktivitäten insgesamt ablesen. Fast alle Veranstaltungsformen unterliegen in dieser Phase in Bezug auf die Quantität der Frequenz
starken Schwankungen (man beachte beispielsweise die Entwicklung im
Bereich Film der Kalenderjahre 2004 bis 2006). Am konstantesten war in
dieser Zeitspanne die Veranstaltungsform der Wortveranstaltungen vertreten. Dennoch muss trotz dieser frappierenden Unbeständigkeit der
Quantität der Veranstaltungen hervorgehoben werden und zwar über den
gesamten Zeitraum hinweg. Die Gesamtzahl der Kulturveranstaltungen
bleibt relativ stabil. Lediglich im Kalenderjahr 2000, in welchem Außenminister Fischer seine Konzeption 2000 vorlegte, wurde die Marke von
dreihundert Kulturveranstaltungen pro Jahr unterschritten. Wie stark
diese Unregelmäßigkeiten die einzelnen Veranstaltungsformen im Detail
betrafen, darüber gibt die Übersicht 37 Auskunft:
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
283
Übersicht 37: Die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 19992007 in absoluten Zahlen
Entwicklung der Aktivitäten
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
74
77
63
70
77
92
66
49
2007
72
Musikveranstaltungen
26
27
34
23
35
20
9
46
31
44
Theaterveranstaltungen
46
16
110
75
93
119
58
29
Ausstellungen
74
45
65
41
138
40
33
34
39
Filmvorführungen
137
120
276
135
174
73
340
202
378
Aktivitäten insgesamt
357
285
548
344
517
344
506
360
564
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Neben der bereits erwähnten relativen Stabilität der Wortveranstaltungen
unterlagen vor allem die Theaterveranstaltungen und die Filmvorführungen starken Schwankungen. So erreichte die Anzahl der Theaterveranstaltungen im Jahr 2004 einen vorläufigen Höhepunkt. Es ist davon
auszugehen, dass vor allem vom Salon du livre in Paris im Jahr 2001 wichtige Impulse für diesen Veranstaltungsbereich ausgegangen sind, was zu
einem sprunghaften Anstieg (von 16 Theateraufführungen im Kalenderjahr
2000 auf 110 Aufführungen im Jahre 2001) führte. Eine noch größere Amplitude wies in diesem Untersuchungszeitraum jedoch die Kurve der Filmvorführungen auf: Von nur 73 Filmvorführungen im Jahre 2004 stieg die
Zahl der Projektionen auf 340 im Folgejahr. In den letzten drei Jahren des
Untersuchungszeitraums (von 2005 bis 2007) gewannen die Filmvorführungen in den Goethe-Instituten konstant an Gewicht. Im Jahre 2007/8
machten sie gar zwei Drittel (ca. 67%) aller Kulturveranstaltungen aus.
Über den gesamten Untersuchungszeitraum ergaben sich jedoch pro Institut erneut unterschiedliche Profile:
Übersicht 38: Die Entwicklung der Aktivitäten der Goethe-Institute 19992007/8 in absoluten Zahlen
Aktivitäten der Goethe-Institute 1999-2007
Lyon
Nancy
Paris
Toulouse
103
68
142
132
107
88
640
Musikveranstaltungen
25
13
41
36
96
40
251
Theaterveranstaltungen
53
40
160
35
235
67
590
Ausstellungen
46
39
83
199
99
43
509
Filmvorführungen
51
205
96
130
1.110
243
1.835
278
365
522
532
1.647
481
3.825
Wortveranstaltungen (Wissenschaft, Literatur)
Aktivitäten insgesamt
Bordeaux
Lille
Gesamt
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
284
Im Goethe-Institut Bordeaux dominierten die Wortveranstaltungen, in Lille
entwickelte man ein Institutsprofil um die Veranstaltungsformen Wortveranstaltungen und Film, in Lyon ergaben sich die beiden Schwerpunkte
Wortveranstaltungen und Theaterveranstaltungen und Nancy bemühte sich,
Theaterveranstaltungen, Filmvorführungen und Wortveranstaltungen gleichermaßen häufig im Veranstaltungsprogramm aufzunehmen. In Paris und
Bordeaux schließlich dominierten eindeutig Filmvorführungen das Programm, in Paris gefolgt von Theaterveranstaltungen und Wortveranstaltungen, während in Toulouse die Wortveranstaltungen an zweiter Stelle
standen.
Die zweite Periode der Jahrbücher von 2007/8 bis 2009/10
Wie bereits eingangs aufgezeigt, lassen sich den letzten Jahrbüchern der
Goethe-Institute nur noch sehr wenige Informationen zur kulturellen Programmarbeit entnehmen. So wurden beispielsweise die Veranstaltungen
der kulturellen Programmarbeit lediglich nur noch rein quantitativ erfasst,
inhaltliche Informationen zu den einzelnen thematischen Schwerpunkten
entfielen gänzlich. In Bezug auf den Untersuchungsbereich Kultur und Information wurden lediglich die Anzahl der Programme und die Reichweite,
das heißt die Anzahl der Besucher der Kulturveranstaltungen insgesamt,
erfasst.
Die Übersicht 39 fasst das Ergebnis der letzten Jahrbücher zusammen:
Übersicht 39: Die Aktivitäten der Goethe-Institute im Zeitraum von
2010/11
Aktivitäten der Goethe-Institute 2008/9
Programme
Reichweite
Aktivitäten der Goethe-Institute 2009/10
Programme
Reichweite
Aktivitäten der Goethe-Institute 2010/2011
Programme
Reichweite
Bordeaux
Lille
Lyon
Nancy
Paris
Toulouse
Straßburg
Gesamt
41
24
51
46
36
53
12
263
17.326
48.680
49.676
37.900
515.600
19.051
13.045
701.278
Paris
Straßburg
Gesamt
Bordeaux
Lyon
Nancy
25
27
44
40
54
38
11
228
19.094
17.100
56.416
52.303
65.945
952.629
7.120
1.163.487
Paris
Straßburg
Gesamt
Bordeaux
Lille
Lille
Toulouse
Lyon
Nancy
41
21
41
47
66
Toulouse
39
13
255
121.648
5.574
42.468
45.132
64.968
10.995
11.013
290.785
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
285
Laut Übersicht der Kalenderjahre 2007/8 bis 2009/10 organisierten die
sechs669 noch bestehenden Goethe-Institute zwischen 24 und 54 Veranstaltungen pro Institut und p.a. Der Durchschnitt lag daher über den gesamten Untersuchungszeitraum bei fast genau 40 Veranstaltungen pro
Jahr. Einzig die Goethe-Institute Lille und Bordeaux (Bordeaux allerdings
nur in einem der beiden Jahre) unterschritten diese Anzahl der Kulturveranstaltungen erheblich, wobei sich das Ergebnis in Lille aufgrund der erheblichen personellen Einschnitte der vergangenen Jahre erklären lässt.
Was die Reichweite der Programme angeht, legte die Übersicht 3 erneut
Zeugnis über die Schwäche einer repräsentativen Datenerhebung der Jahrbücher ab: So erzielte das Goethe-Institut im Jahr 2008/9 laut Jahrbuch
noch eine Reichweite von über 500 000 Besuchern, im darauffolgenden
Kalenderjahr fiel die Besucherzahl auf lediglich 65945 Besucher ab. Ein
gleiches Phänomen war auch in Toulouse festzustellen: hier konnte man
im Gegensatz zu Paris laut Jahrbuch eine Steigerung der Reichweite im gleichen Zeitraum um 5000 % erzielen. Es ist stark anzunehmen, dass das jeweilige Goethe-Institut in dem entsprechenden Veranstaltungsjahr Partner
einer Großveranstaltung war und anschließend die Anzahl der Besucher
der Großveranstaltung in die Statistik übernahm. Zieht man jedoch pro Kalenderjahr den jeweils niedrigsten und höchsten Wert ab, kommt man im
Kalenderjahr 2007/8 auf einen Durchschnitt von ca. 38827 Besuchern pro
Institut und Kalenderjahr und im Folgejahr auf ca. 48440 Besuchern, was
dennoch eine Steigerung um ca. 25% bedeuten würde. Deutlich unterschritten wurden diese Durchschnittswerte im Kalenderjahr 2007/8 von
den Instituten in Bordeaux und Toulouse und im Kalenderjahr 2009/10
von Lille und Bordeaux.
669
Das Goethe-Institut in Straßburg wurde bis 2007/8 als Antenne des Goethe-Instituts
Nancy in den Jahrbüchern aufgeführt. Dies änderte sich im Jahre 2007/8. Der Kontinuität halber zählt die Studie weiterhin die Goethe-Institute in Straßburg und Nancy als eine
Außenstelle, obwohl in der obenstehenden Tabelle – wie in den Jahrbüchern dieser Phase
die Kulturveranstaltungen beider Häuser separat aufgeführt wurden.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
286
Qualitative Analyse der Kulturveranstaltungen
Zur qualitativen Analyse der Kulturveranstaltungen wurden die Einträge
der Jahrbücher zweier Goethe-Institute aus der Provinz und der Hauptstadt analysiert und in einem zweiten Schritt miteinander verglichen.
Exemplarisch wurden die Jahresberichte der Institute in Bordeaux, Lille
und Paris ausgewertet.
1. Das Goethe-Institut Lille
Übersicht 40: die in den Jahrbüchern des Goethe-Instituts aufgeführten Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts im Zeitraum von
1998-2005670
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Quelle:
Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
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Unsere Übersicht 40 fasst die im Zeitraum von 1998 bis 2005 in den Jahrbüchern des Goethe-Instituts aufgeführten Kulturveranstaltungen der Bereiche Wissenschaft und Literatur (I), Ausstellungen (II), Film (III),
Pädagogische Verbindungsarbeit (IV) und Theater des Goethe-Instituts
Lille zusammen. Auch wenn man davon ausgeht, dass es sich hierbei nur
670
Die Analyse der Jahresberichte berücksichtigt erstmals auch den Programmbereich der
pädagogischen Verbindungsarbeit, da in dieser Phase der Jahrbücher die PV –Arbeit erstmals auch unter der Rubrik „Kulturveranstaltungen“ aufgeführt wurden. Die Veranstaltungsform Konzert wurde nicht in die Übersicht aufgenommen.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
287
um einen Ausschnitt des gesamten Kulturprogramms handelt, ist es möglich, anhand dieser in den verschiedenen Jahrbüchern aufgenommenen
Veranstaltungen ein Institutsprofil mittels der geleisteten kulturellen Programmarbeit zu erstellen. Zunächst ist hervorzuheben, dass das Institut in
Lille sich in diesem Zeitraum wie kein zweites Goethe-Institut dem erweiterten Kulturbegriff verpflichtete und seinem Zielpublikum eine sehr breite
Themenvielfalt anbot: Inhalte wie Architektur671 (1,6), Geschichte (2,8),
Ökologie (3), Politik (4,10,12), Philosophie (7), Kulturpolitik (9) und Literatur (12) wurden beispielsweise allesamt allein im Veranstaltungsbereich
Wissenschaft und Literatur aufgegriffen. Ein Großteil der Veranstaltungen
wies zudem einen starken Gegenwartsbezug auf, sodass man dem Zielpublikum ein modernes Deutschlandbild vermittelte. Zu dieser Strategie zählen
auch Veranstaltungen zu Themen wie Stadtentwicklung (1), Stadtökologie
(3), Stadtplanung (6), neue Architektur (6), aber auch Deutschland nach den
Wahlen (4), die deutsche Jugendbuchausstellung (21), Jugend und Politik (10)
oder auch diverse Filmzyklen zum Thema Neuer deutscher Film (23, 24).
Eine weitere Konstante des Liller Kulturprogramms der Jahre 1998 bis
2005 war der dialogische Charakter der Veranstaltungen, welche ca. 20 %
der Gesamtveranstaltungen ausmachten und eine Reihe von Themen aus
deutsch-französischer Perspektive behandelte. Bei diesen regards croisés
wurden folgende Themen behandelt: Stadtökologie (3), moderne Architektur (6), Kulturpolitik (9), Jugend und Politik (10) sowie deutsche und
französische Filme der 20er und 30er Jahre (23). Auch europäische Themenbereiche standen in diesem Zeitraum auf dem Kulturprogramm, dies
im Rahmen geschichtlicher, philosophischer und ästhetischer Fragestellungen (2, 7, 13). Eine exemplarische kulturelle Programmarbeit im Sinne
einer nachhaltigen Kulturpolitik leistete das Goethe-Institut Lille vor allem
im Bereich der Filmvorführungen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum erstreckten sich thematisch ausgerichtete Filmzyklen und leisteten so
einen konstanten Beitrag zur Filmerziehung des französischen Zielpublikums (22-30). Die Tatsache, dass in diesem Zeitraum unter der Rubrik Pädagogische Verbindungsarbeit auch eine Reihe von Veranstaltungen aus
diesem Sektor der kulturellen Programmarbeit zugeordnet wurde, unterstrich, dass man hier die interne Kooperation der einzelnen Organisationsbereiche zunehmend verknüpfte. In diesen Veranstaltungen stand
erstmals das Werben für die deutsche Sprache im Vordergrund der Kulturveranstaltungen (31-34), wobei besonders hervorgehoben werden
671
Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf die in der Übersicht aufgeführten Kulturveranstaltungen. Die Beispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
288
sollte, dass durch diese Veranstaltungen die Zielgruppe der Kinder angesprochen werden sollte (31,34). Insgesamt kann man daraus ableiten, dass
sich das Kulturprogramm des Liller Goethe-Instituts in diesem Zeitraum
an ein breites Publikum richtete.
2. Das Goethe-Institut Bordeaux
Übersicht 41: die in den Jahrbüchern des Goethe-Instituts aufgeführten Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts Bordeaux im Zeitraum von 1998-2005
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Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Die Übersicht 41, welche die Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts
Bordeaux zusammenfasst, unterstreicht, dass das Goethe-Institut Bordeaux
in dem entsprechenden Untersuchungszeitraum ein vom Goethe-Institut
Lille sehr abweichendes Institutsprofil aufwies. Im Gegensatz zum GoetheInstitut Lille entsprachen die aufgeführten Veranstaltungen dem engen
Kulturbegriff, welcher „literarische von nicht literarischen Texten
trennt.“672 Allein zehn der dreißig aufgeführten Veranstaltungen, also jede
dritte Veranstaltung, wurde dem Bereich der Literatur gewidmet (1, 2, 3, 6,
672
Ansgar Nünning (Hg): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, 4. Auflage, Stuttgart,
Weimar 2008, ibid. S.432.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
289
12, 21, 23, 28, 29, 30). Die aufgeführten Veranstaltungen lassen sich nicht
dem erweiterten Literaturbegriff im Sinne einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Literaturwissenschaft zuordnen. Diese definieren Ansgar Nünning und Roy Sommer wie folgt:
„Im Rahmen einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Literaturgeschichte sind literarische Texte weniger als Quellen oder transparente Dokumente für alltagsgeschichtliche Phänomene anzusehen, sondern als
Formen der kulturellen Selbstwahrnehmung und Selbstthematisierung
[...], die unverzichtbar sind, um Funktionsgeschichten der Literatur, Geschichten des Sozialsystems Literatur und Mentalitätsgeschichten zu
schreiben. Wenn es sich aus kulturwissenschaftlicher Sicht bei literarischen Texten um eine der materialen Formen bzw. textuellen Medien handelt, an denen mentale Aspekte der Kultur beobachtbar werden, dann
stellt sich nicht mehr die Frage, was Literatur ,ihrem Wesen nach ist’, noch
die nach der Hierarchisierung oder der Reihenfolge von Text und Kontext.
Vielmehr manifestieren sich die kulturbestimmenden sozialen Konstellationen, Diskurse und Mentalitäten in Texten.“673
Nur zwei der oben angeführten Veranstaltungen hatten die zeitgenössische deutsche Literatur im Fokus. (1,2). Auch die Veranstaltungen aus dem
Bereich der Philosophie (9,12) sind diesem Kulturbegriff zuzuordnen. Veranstaltungen mit dialogischem Charakter und deutsch-französischer Perspektive (1, 6, 13) hatten eher Seltenheitswert. Eine Ausnahme bildete hier
das Kolloquium „Deutschland und Frankreich angesichts der Osterweiterung der europäischen Union (15).“ Europäische Themen wurden im Goethe-Institut Bordeaux dreimal aufgeführt, wobei die Veranstaltungstitel
nahe legten, dass es sich jeweils um kritische Auseinandersetzungen zur
Thematik der europäischen Integration handelte. Behandelt wurden neben
der bereits erwähnten Osterweiterung die „Migration in Europa“ (14) und
die Problematik des Englischen als dominierende „Lingua franca in
Europa“ (7). Auch in Bordeaux reagierte man demnach auf die beängstigende Entwicklung des Deutschen als Partnersprache an französischen
Schulen. Ähnlich wie in Lille setzte man sich nun auch hier mittels der kulturellen Programmarbeit mit der Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts intensiver auseinander und bemühte sich, verstärkt Werbung für
673
Ansgar Nünning/Roy Sommer: Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft, Disziplinäre Ansätze, Theoretische Positionen, Transdisziplinäre Perspektiven Tübingen 2004.
S.159-160.
290
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Deutsch als Unterrichtssprache zu betreiben. Ingesamt fanden vier Veranstaltungen zu dieser Thematik Eingang in die Jahrbücher der Goethe-Institute (7, 18, 19, 20). Nur sehr wenige Veranstaltungen des Instituts
können jedoch als innovativ oder nachhaltig bezeichnet werden. Dies
wurde vor allem im Bereich der Filmvorführungen deutlich: Im Gegensatz
zum Goethe-Institut Lille, wo man dem Publikum nachhaltig im Jahresrhythmus Einblicke in Entwicklungen des neuen deutschen Films gab, dominierten in Bordeaux erneut Filme der 1920er Jahre das Filmprogramm
(15,16). Die Projektion des Films „Weiße Raben“ (17), welcher im Jahre
2007 in Deutschland mit dem Grimme Preis geehrt wurde, lässt noch kein
Konzept im Bereich Filmförderung erkennen. Betrachtet man die Gesamtheit der im Goethe-Institut Bordeaux in den Jahrbüchern des Zeitraums
1998-2005 aufgeführten Veranstaltungen, so kommt man zu dem Schluss,
dass sich sein Programm überwiegend an Deutschlandspezialisten und
Mittler richtete.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
291
3. Das Goethe-Institut Paris
Übersicht 42: die in den Jahrbüchern des Goethe-Instituts aufgeführten Kulturveranstaltungen des Goethe-Instituts Bordeaux im Zeitraum von 1998-2005
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Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Jahrbücher des Goethe-Instituts 1965-2011
Zunächst einmal fällt die große Anzahl von Verbundprogrammen ins Auge,
welche das Goethe-Institut Paris in diesem Zeitraum organisierte. Diese, in
den 2000er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnende Veranstaltungsform, soll an dieser Stelle kurz definiert werden. Unter Verbundprogrammen versteht man eine Reihe unterschiedlicher Veranstaltungsformen
zu einer übergeordneten Thematik. In der Regel finden diese Veranstaltungen innerhalb eines begrenzten Zeitraumes unter Mitwirkung einer
Reihe von unterschiedlichen Partnerinstitutionen statt. Im entsprechenden Untersuchungszeitraum hatte das Goethe-Institut Lille zwei Verbundprogramme, das Institut in Bordeaux hingegen kein einziges
Verbundprogramm in den Jahresberichten aufgeführt. Am Goethe Institut
Paris wurden hingegen im Zeitraum von 1998 bis 2005 insgesamt sieben
Verbundprogramme organisiert, dies vor allem im literarischen Bereich
mit Themen wie Heinrich Heine (1) Goethe (4), Faust II (33) und der Neuen
deutschen Dramatik (5). Weitere Verbundprogramme hatten historische
Schwerpunkte, wie zum Beispiel 10 Jahre Mauerfall (6) und Mémoire his-
292
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
torique (7) oder thematisierten landeskundliche Aspekte wie den Vergleich
zwischen den beiden Hauptstädten Berlin und Paris (2). Diese Verbundprogramme des Goethe-Instituts Paris, welche sicherlich zu den Höhepunkten der kulturellen Programmarbeit der entsprechen Kalenderjahre
zählten, sind überwiegend dem engen Kulturbegriff zuzuordnen. Nur zwei
der 34 aufgeführten Veranstaltungen ließen durch ihren Titel erkennen,
dass deutsch-französische Fragestellungen diskutiert wurden: die Werbekampagne Deutsch und Französisch-Partnersprachen für Europa (22) und
die Filmreihe Expressionismus-Exil-Film noir (16). Gleichermaßen wie das
Goethe-Institut Lille und sicherlich in enger Kooperation mit dem Institut
des Nordens, begann das Goethe-Institut Paris, das in den späten 1990er
Jahren ins Leben gerufene Festival de Cinéma Allemand nachhaltig in der
französischen Hauptstadt zu etablieren. Der Titel „Amour - Dérive - Évasion“, welcher beispielsweise für die Ausgabe des Festivals im Jahre 2003
als Motto ausgewählt wurde, lässt den Schluss zu, dass man mittels der Projektionen neuer deutscher Filme auch das Ziel verfolgte, für das Image
eines toleranten und offenen Deutschlands zu werben.674
Auffällig an den aufgeführten Veranstaltungen ist ebenfalls, dass allgemeine
Grundfragen zur europäischen Integration in diesem Zeitraum am Pariser
Institut eine eher untergeordnete Rolle spielten. Stattdessen wurde auch im
Pariser Goethe-Institut die Bedeutung der Fremdsprachen für die Zukunft
Europas zumindest durch zwei Veranstaltungen (22,23) hervorgehoben.
Als einziges Goethe-Institut in Frankreich nutzte das Institut in der Avenue de Iéna die mediale Aufmerksamkeit während der Pariser Buchmesse,
indem sie die Rolle der deutschen Literatur als Ehrengast des Salons explizit thematisierte (8). Allerdings sucht man im Bereich Wissenschaft und Literatur sowohl im Jahr der Buchmesse 2001 als auch später vergebens nach
Verbundprogrammen, welche nachhaltig die neue deutsche Literatur gefördert hätten. Alles in allem muss, was die kulturelle Programmarbeit des
Goethe-Instituts in Paris während dieser Periode angeht, festgehalten werden, dass von ihr nur wenige, innovative und nachhaltige Impulse ausgingen. Ähnlich wie das Institut in Bordeaux richtete sich das Programm an
eine eher begrenzte Zielgruppe, welche sich vorrangig für deutsche Literatur, Philosophie und Geschichte interessierte.
674
So heißt es im Vorwort zur Broschüre der 8. Ausgabe des Festival du Cinéma allemand
beispielsweise : „Un cinéma en marge : underground, gay mucical. A l’occasion du Festival du cinéma allemand, le Goethe-Institut propose en collaboration avec l’Export Union
du Cinéma Allemand, un cycle de films en marge du paysage cinématographique allemand, des films originaux et engagés, souvent radicalement personnels.»
In: http://www.festivalcineallemand.com/festival2003/www/cinemaenmarge/01.php,
Zugriff am 23.04.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
293
Die Segmente Film und Pädagogische Verbindungsarbeit setzten diese innovativen Akzente vor allem in Bezug auf ihre Themenschwerpunkte und
Veranstaltungsformen. Die große Anzahl von Verbundprogrammen in diesem Veranstaltungssegment belegte, dass das Institut zunehmend bemüht
war, zum einen durch Großveranstaltungen in der Hauptstadt an Profil zu
gewinnen, zum anderen neue Kooperationspartner in ihre kulturelle Programmarbeit zu binden.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
294
Übersicht 43: Die in den Jahrbüchern des Goethe-Instituts aufgeführten
Partner der Goethe-Institute in Bordeaux, Lille und Paris im
Zeitraum von 1998-2005
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Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
295
Die Übersicht 6 berücksichtigt zum einen, mit welchen Partnern die GoetheInstitute in Bordeaux, Lille und Paris im Zeitraum von 2001 bis 2007 kooperiert haben (Spalten 2 und 4), und zum anderen, welche Leiter und
Leiterinnen sich für die Auswahl der Kooperationspartner verantwortlich
zeichneten (Spalte 1). In allen drei aufgeführten Instituten kam es nämlich
zu drei Wechseln in der Führungsposition. So übernahmen ab dem Kalenderjahr 2002/2003 Marion Haase und später ab 2006/2007 Angelika Ridder die Leitung des Goethe-Instituts Paris und Carmen Marcou 2005/6 die
Leitung im Goethe-Institut Bordeaux. Die zuvor am Goethe-Institut Lille
für die Programmarbeit verantwortliche Dorothee Ulrich übernahm
2006/7 die Leitung des Instituts im Nord-Pas de Calais.
Kooperationspartner der Goethe-Institute Bordeaux, Lille und Paris
Die in den Jahrbüchern zitierten Kooperationen des Goethe-Instituts Bordeaux belegen zunächst einige Kooperationen im Hochschulbereich. Neben
lokalen Kooperationen mit der Universität Bordeaux (1, 52) und dem dortigen Konservatorium führte man je einmal eine Zusammenarbeit mit der
Universität Paris IV (Sorbonne) und dem Institut de Relations Internationales et Stratégiques (IRIS) auf. Als weitere konstante Partner sind die lokalen Museen zu nennen, das Musée d’Art Contemporain (48) und das
Musée des Beaux Arts (12,70). Zudem arbeitete das Institut in diesem Zeitraum mit einer Reihe weiterer deutscher oder anderer europäischer offizieller Behörden zusammen, so mit dem Deutschen Generalkonsulat (3),
dem deutschen Auswärtigen Amt (89), dem Schweizer Generalkonsulat
(49), dem Vizekonsulat Italien (51) und dem französischen Außenministerium (71). Nur im Kalenderjahr 2003/4 kam es zu einer Kooperation mit
mehreren weiteren offiziellen Kulturinstituten anderer Länder, dem British Council (13,14) und dem Instituto Cervantes. Kooperationsprojekte
mit der Stadt Bordeaux (90) und der Region Aquitanien (46) wurden nur
jeweils einmal aufgeführt. Nur je zweimal stößt man auf Kooperationen
mit lokalen Vereinen, so beispielsweise mit dem Centre Jean Vigo (16,32)
oder aber mit der Société Philosophique in Bordeaux (17,34). Insgesamt
ist festzuhalten, dass kein einziger Kooperationspartner über mehrere
Jahre hinaus konstant aufgeführt wird. Auch wenn der relativ kurze Untersuchungszeitraum von zwei Jahren keine dezidierten Aussagen zulässt,
wird deutlich, dass die ab 2005/6 für das Institut verantwortliche Französin Carmen Marcou in Bezug auf die Kooperationspartner eine andere Richtung einschlug: sie privilegierte von Beginn an Kooperationen mit lokalen
Trägerschaften: so zum Beispiel mit der Stadt Bordeaux (90), der Buchmesse Bordeaux (93) und den französischen Schulbehörden (91). Zugleich
296
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
integrierte sie die kulturelle Programmarbeit des Instituts in das Festival
Tendances (92) und das Festival International Féminin (94).
Im Gegensatz zum Goethe-Institut Bordeaux stand die Übernahme der Leitung des Goethe-Instituts in Lille durch Dorothee Ulrich, was die Kooperationspartner angeht, ganz im Zeichen der Kontinuität. Über den gesamten
Zeitraum hinweg lassen sich vor allem zwei konstante Achsen der Kooperation bestimmen: Einer der wichtigsten Kooperationspartner des Instituts war zunächst der Hochschulbereich, wobei diverse lokale und
regionale Fakultäten bei der Gestaltung der kulturellen Programmarbeit
mitwirkten: Neben der Universität und der Akademie Lille (5) wurden in
den Jahrbüchern die Architekturhochschule des Nordens (7), das Universitätsinstitut für Lehrerfortbildung (8), die Universität Arras (37) sowie
das Institut für Politikwissenschaften Lille (99) genannt. Als zweite Kooperationsachse – neben dem Hochschulbereich - ist auch der hohe Grad
der Integration lokaler sowie regionaler Kooperationspartner auffällig:
Exemplarisch sind an dieser Stelle der Rat für Architektur, Stadtplanung
und Umwelt (6, 97), das Zentrum für Photographie Nordfrankreich (20),
die Stadtbibliothek Arras (40), das Théâtre du Nord (56,82), der Regionalrat Nordfrankreich (58), der Regionalfond moderner Kunst (FRAC, 9), die
staatliche Kulturverwaltung Nordfrankreich (96) und natürlich allen voran
die Stadt Lille zu nennen. Auch die Tatsache, dass ein Großteil der hier genannten Partner in der Untersuchungsperiode mehrfach mit dem GoetheInstitut kooperierte, belegt den hohen Grad der Integration des Zentrums
in die kulturelle Landschaft der Regionalhauptstadt und unterstreicht
durch die Vielzahl der unterschiedlichen Institutionen, dass es dem Institut in dieser Periode gelungen war, bei bestimmten Themenschwerpunkten ein verlässliches Netzwerk an Partnern zu vereinen. So wurden
beispielsweise im Bereich Film neben den bereits aufgeführten regionalen
und nationalen Partnern sechs verschiedene Partner aufgeführt (38, 54,
55,79, 80, 81). Was die Öffnung in Richtung multinationale Partnerschaften mit anderen europäischen Kulturinstituten angeht, wurden am Goethe-Institut Lille nur sehr wenige Kooperationspartner aktenkundig.
Einzige Ausnahme war eine Kooperation innerhalb des internen Netzwerks zwischen den Goethe-Instituten und den Instituts Français (Interréseaux, 9).
Im Gegensatz zu den Instituten in Bordeaux und Lille führte das Goethe-Institut Paris im Zeitraum von 2001 bis 2007 nur ein einziges Kooperationsprojekt mit dem französischen Hochschulbereich auf: im Jahre 2003/4 mit
der École des Hautes Etudes en Sciences Sociales (EHESS) mit einem Kolloquium zu Adorno (Adorno - der ästhetische Erfahrungsbegriff). Stattdes-
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
297
sen entstanden mehrere Kooperationsprojekte in Zusammenarbeit mit
„Europäischen Kulturinstituten“ (10, 24, 88, 101). Namentlich werden in
den Jahrbüchern jedoch nur das Schweizer Kulturinstitut (26) und das Niederländische Kulturinstitut (44) genannt. Die Tatsache, dass diese multilateralen Partnerschaften in fünf von sechs Kalenderjahren stattfanden,
belegt, dass das Goethe-Institut in Paris zu Beginn der 2000er Jahre begann, in einem Netzwerk europäischer Kulturinstitute zu arbeiten.
Ein zweiter konstanter Vektor der Pariser Kooperationspartnerschaften
war die Zusammenarbeit mit deutschen und französischen Ministerien.
Hierzu zählten das französische Erziehungs- (83) und Kultusministerium
(28, 45, 86) und auf deutscher Seite die Deutsche Botschaft (62, 102) und
der Deutsche Akademische Austauschdienst (106). Auch die sehr konstante
Partnerschaft mit der Fédération Française pour la Coopération des Bibliothèques (FFCB) ist dieser strategischen Ausrichtung zuzuordnen: Der
Verein (heutiger Name: FILL, Fédération interregionale du livre et de la
lecture), welcher sich der Förderung von Schriftstellern und des literarischen Lebens in Frankreich verschrieben hat, wird zu großen Teilen vom
Ministerium für Kultur und Kommunikation gestützt. Bei vielen weiteren
Kooperationspartnern handelte es sich um Institutionen von nationaler Bedeutung, was die hohe Qualität des Pariser Instituts auszeichnet. Hierzu
sind insbesondere Kooperationen im medialen Sektor zu nennen, wie beispielsweise mit ARTE (23, 64, 106), dem Centre National du Cinéma (CNC,
65), France 3 (106) oder der Zeitschrift Le Monde (41). Die Übersicht belegt
jedoch auch, dass sich durch den zweifachen Wechsel der Leitung des Goethe-Instituts Paris die Kooperationsstrukturen veränderten: Unter Dieter
Strauss schien es nur wenige Projekte mit Kooperationspartnern zu geben.
Vereinzelt kam es jedoch im assoziativen Sektor zu Kooperationen mit weiteren Instituten. Unter Marion Haase war zum einen ein rapider Anstieg
der Kooperationen zu verzeichnen, zum anderen zeichnete sich die Institutsleiterin dadurch aus, dass sie Partnerinstitutionen aus zahlreichen unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen für die Projekte des Goethe-Instituts
gewann. Die dritte Verantwortliche für das Goethe-Institut Paris, Angelika
Ridder, favorisierte hingegen wiederum Kooperationen mit deutschen Institutionen und setzte hier erneut den Schwerpunkt auf die exklusiven bilateralen deutsch-französischen Beziehungen. Zusammenfassend muss
daher für das Goethe-Institut Paris festgestellt werden: Jeder neue Leiter
schien in dieser Dekade in Bezug auf die Kooperationspartner neue
Schwerpunkte zu setzen, eine konstante und nachhaltige Netzwerkarbeit
schien nicht die oberste Priorität zu sein.
298
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die kulturelle Programmarbeit des Hauses Rheinland-Pfalz als
exemplarisches Beispiel der Kulturarbeit der Föderation DeutschFranzösischer Häuser
Abschließend sollen im Rahmen der Fragestellung auch die konzeptionellen Überlegungen und die kulturelle Programmarbeit eines der zur Föderation gehörenden Deutsch-Französischen Häuser im Zeitraum von 2005 bis
2010 untersucht werden. Dabei fiel die Wahl auf das von Till Meyer geleitete Centre Culturel Franco-Allemand en Bourgogne in Dijon (auch Maison
de Rhénanie Palatinat oder Haus Rheinland-Pfalz genannt). Der Auswahl
des Kulturzentrums, des Corpus und des Untersuchungszeitraums gehen
folgende Vorüberlegungen voraus: Das Haus Rheinland-Pfalz in Dijon wird
seit seiner Gründung im Jahre 1991 durchgängig von einem Institutsleiter,
Till Meyer, geleitet. Am Beispiel dieses Hauses lässt sich daher exemplarisch eine durch Kontinuität in der Leitung bestimmte Ausrichtung kultureller Programmarbeit analysieren. Zweitens ist Till Meyer seit 2007 als
gewählter Präsident der Föderation offizieller Vertreter der deutsch-französischen Häuser. Was den Corpus der Tätigkeitsberichte betrifft, sind die
von Till Meyer verfassten Bilanzen im Zeitraum von 2005 bis 2010 drittens auch ein wichtiges Zeugnis konzeptueller Auseinandersetzungen zu
Zukunft, Evaluation und Strategie der Deutsch-Französischen Häuser in
Frankreich. Ab dem Kalenderjahr 2005 veröffentlichte nämlich das Zentrum grundlegende Überlegungen, welche heute als programmatisch für
die Ausrichtung auch der weiteren zur Föderation gehörigen Häuser angesehen werden können. Schließlich verspricht die Analyse der Tätigkeitsberichte dieses Zeitabschnitts wichtige kontrastive und
komplementäre Informationen zu den Jahrbüchern des Goethe-Instituts
des letzten Jahrzehnts, da diese – wie oben aufgezeigt – zunehmend weniger Informationen zur Gestaltung der kulturellen Programmarbeit enthielten, als noch in den Jahren zuvor. Die Tätigkeitsberichte des Hauses
Rheinland-Pfalz von 2000 bis 2010 sind in deutscher Sprache im Internet
abrufbar.675
675
Unter: http://www.maison-rhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am
30.4.2012. Till Meyer hatte mir freundlicherweise die Gesamtheit der Berichte in Papierform zur Verfügung gestellt.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
299
Die Tätigkeitsberichte des Hauses Rheinland-Pfalz als Quelle konzeptueller und strategischer Grundüberlegungen zur Ausrichtung der kulturellen Programmarbeit der Häuser
Im Tätigkeitsbericht des Jahres 2005/6 zeigte Meyer in Bezug auf die Entwicklung der Veranstaltungsformen seines Instituts folgende Entwicklungstendenzen auf: anders als in den Jahren zuvor hätte man im Haus
Rheinland-Pfalz zunehmend weniger „Klassische Veranstaltungen“ wie
Ausstellungen, Film und Lesungen im Institut selbst organisiert. Stattdessen kristallisierten sich, so Till Meyer, zunehmend drei Tendenzen heraus,
welche langfristig die Gestaltung der kulturellen Programmarbeit in Dijon
beeinflussen würden: erstens die Tendenz der Verlagerung von Veranstaltungen außerhalb des Kulturzentrums, was zu einer „größeren Resonanz
und Nachhaltigkeit der Projekte“676 führen würde. Zweitens eine Zunahme
sogenannter „Sonderprojekte“ (dies entspricht in etwa den bereits erwähnten Verbundprogrammen der Goethe-Institute), welche viele Partner
in einzelnen Projekten vereinte. Diese Zunahme an Großprojekten führe
schließlich zu einer dritten Tendenz, einem gesteigerten Bedürfnis an Kooperation und Koordination bei allen Partnern auf lokaler und nationaler
Ebene. Meyer bezeichnet gerade diese letzte Tendenz der Kooperationsbereitschaft in seinem Bericht als „Investition in die Zukunft.“677
Im Tätigkeitsbericht des Jahres 2006 entwarf Meyer daher „drei Leitlinien“,
nach welchen die kulturelle Programmarbeit seines Zentrums ausgerichtet
werden sollte: Qualität, Kooperation und Innovation. Eine wichtige Grundvoraussetzung für eine langfristige Qualitätssicherung der Kulturarbeit in
Frankreich war für Meyer zunächst eine „gezielte Zusammenarbeit der einzelnen Arbeitsbereiche678 bei Großprojekten mit hohen Öffentlichkeitswert.“679 Dieser Forderung ging die Beobachtung voraus, dass die
einzelnen Arbeitsbereiche in seinem eigenen wie in anderen Instituten in
der Vergangenheit zu selten miteinander kooperiert hatten. Neben der Verbesserung dieser internen Kooperation, sollte als zweite Leitlinie in Zukunft auch die externe Kooperation mit Partnerinstitutionen weiter
676
Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2005/2006, S.17, Unter http://www.maison-rhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
677 Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2005/2006, S.13, Unter http://www.maison-rhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
678 Aus den Tätigkeitsberichten geht hervor, dass das Rheinland-Pfalz Haus seine Arbeit in
die Tätigkeitsbereiche (1) Kultur: regionale und interregionale Projekte, (2) Deutschkurse und Werbung für Deutsch (3) DeutschMobil, (4) Praktika, Mobilität, Europa, (5) Information und (6) das Haus als Generalkonsulat unterteilte.
679 Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2005/2006, S.12, Unter http://www.maison-rhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
300
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
ausgebaut werden. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Till Meyer die
Kooperation mit Mittlern auf nationaler Ebene auf eine Stufe mit Kooperationen stellte, welche zwischen den beiden Partnerregionen Burgund und
Rheinland-Pfalz vermittelten. Einen neuen Ansatz bot allen voran jedoch
die dritte Leitlinie, Innovation. Hier heißt es:
„Lebendigkeit bekommen die Beziehungen zwischen Deutschland und
Frankreich, zwischen Rheinland-Pfalz und Burgund in dem Maße, in dem
es gelingt, aktuelle Maßnahmen zu hören, darauf zu antworten und zeitgemäße Formen der Antwort zu finden. (...) Dabei will das Haus Rheinland-Pfalz (...) mit wechselnden Partnern Vorstellungen und neue Projekte
zu unterschiedlichen Themen entwickeln und neue Zielgruppen erreichen.“
Meyer versteht demnach unter innovativen Projekten, erstens mit Partnern
konzipierte Projekte, zweitens Projekte, welche neue Zielgruppen ansprachen. Dem Aspekt der Nachhaltigkeit verpflichtete Veranstaltungen sind
nach dem Verständnis von Meyer Veranstaltungsreihen, welche sich über
mehrere Jahre hinaus einem thematischen Schwerpunkt widmeten. Entsprechend der drei von ihm entwickelten Leitlinien, legte das RheinlandPfalz Haus im Tätigkeitsbericht des Jahres 2006/7 erstmals eine Evaluation
der eigenen Projektarbeit vor. Die Beurteilungskriterien waren dabei erstens die Anzahl der Kooperationen mit deutschen oder französischen Partnern, zweitens der Innovationsgrad der eigenen Veranstaltungen (nach
oben aufgeführter Definition) und drittens die Nachhaltigkeit (nach oben
aufgeführter Definition) der einzelnen Veranstaltungen. Auch wenn die
einzelnen Definitionen Meyers von Nachhaltigkeit oder Innovation nicht
mit den von uns zuvor angeführten Definitionen übereinstimmen und man
sich eine externe Evaluation der Kulturveranstaltungen des RheinlandPfalz Hauses gewünscht hätte, ist das Ergebnis der Selbstevaluation des
Kulturinstituts aussagekräftig: Laut Angaben des Tätigkeitsberichtes hatte
das Kulturzentrum in Dijon im Kalenderjahr 2007 ca. 79 % seiner Projekte
mit Partnern durchgeführt. Dies war für die Verantwortlichen ein Indikator dafür, „wie eng die Arbeitsweise des Hauses (...) mit seiner Zielsetzung,
die deutsch-französische Zusammenarbeit zu vertiefen, verknüpft war und
ist.“680 Zweitens zeichnete sich dieser Zeitraum laut Bilanz durch einen
hohen Innovationsgrad aus. Es ist dabei anzumerken, dass in dieser Eva680
Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2006/07, S.13, in: http://www.maisonrhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
301
luation auch jene Projekte als innovativ eingestuft wurden, welche „erstmalig durchgeführt“681 worden waren. Die Evaluation kam so zu dem Ergebnis, dass 67% aller Projekte des Kalenderjahres 2007 als „innovativ“
gewertet werden können. Etwa die Hälfte dieser innovativen Veranstaltungen ließ dabei auch einen inhaltlichen Schwerpunkt erkennen: sie zielten auf eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den beiden
Partnerregionen Burgund und Rheinland-Pfalz ab. Ein ähnliches Resultat
erzielte man bei der Auswertung der Kulturveranstaltungen in Bezug auf
das Kriterium der Nachhaltigkeit. Circa 2/3 der Veranstaltungen seien laut
Evaluation des Jahresberichts ebenfalls dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet gewesen. 682
Welche strategische Bedeutung dem Themenschwerpunkt Europa im Kontext der kulturellen Programmarbeit im Rheinland-Pfalz Haus beigemessen wurde, belegte insbesondere der Tätigkeitsbereicht aus dem Jahre
2007/8. Hier betonte man vor allem, wie eng man den europäischen Einigungsprozess mit der deutsch-französischen „interregionalen Zusammenarbeit“683 verknüpfte. Das Haus in Dijon setzte also in dieser Phase der
europäischen Integration - ähnlich wie das Goethe Institut Lille - auf die
Unterstützung der europäisch-interregionalen Partnerschaftsverbände.
Hierzu Meyer: „Explizit hat der Gedanke, die bilaterale Partnerschaft zwischen Land und Region vermehrt aus dem europäischen Kontext zu begreifen, durch die Gründung des Vierernetzwerks zwischen Rheinland-Pfalz,
Burgund, Oppeln und Mittelböhmen (...) Aufwind bekommen.“684 Durch eine
Reihe von Projekten gab das Institut besonders im Veranstaltungsjahr 2007
dieser interregionalen Kooperation wichtige Impulse. Exemplarisch seien
an dieser Stelle die Öffnung eines Praktikantenbüros für Studenten aus
Opole und Mittelböhmen und der Aufbau eines Masterstudiengangs für die
vier Partnerregionen genannt.
Der Tätigkeitsbericht des Jahres 2008/9 legte Zeugnis dafür ab, dass insbesondere die schnelle Zunahme an Sonderprojekten dazu beigetragen
hatte, dass das Haus Rheinland-Pfalz „vermehrt als Partner im europäischen
681
Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2005/2006, S.13, in: http://www.maisonrhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
682 Unter nachhaltigen Veranstaltungen verstand man dabei Projekte, welche „Folgen hatten und noch haben.“ Unter: Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2005/2006,
S.14, in: http://www.maison-rhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am
30.4.2012.
683 Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2007/8 S.7, Unter http://www.maisonrhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
684 Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2007/8 S.7, Unter http://www.maisonrhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
302
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Kontext wahrgenommen“ 685 wurde. Dies äußerte sich nicht zuletzt in der
Tatsache, dass man mit der Strategie der Erschließung neuer Zielgruppen
im Zeitraum von 2007 bis 2010 das erreichte Publikum mehr als verdoppeln konnte, was der Tätigkeitsbericht des Jahres 2010 aufzeigt: von ursprünglich 10 000 „direkt erreichten Personen“ stieg die Anzahl auf 23 000.
Insgesamt konnte das Rheinland-Pfalz Haus mit Projekten, welche auch an
anderen Orten stattfanden, im Jahr 2010 rund 42000 Personen erreichen.
Zum Vergleich: die Jahrbücher der Goethe-Institute bezifferten im gleichen
Jahr die Anzahl der durchschnittlich erreichten Zuhörer ebenfalls auf etwa
40 000.
685
Tätigkeitsbericht des Hauses Rheinland Pfalz 2007/8 S.14, Unter http://www.maisonrhenanie-palatinat.org/about-2/rapports, Zugriff am 30.4.2012.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
303
Die kulturelle Programmarbeit des Rheinland-Pfalz Hauses im
Zeitraum von 2005-2011
Übersicht 44: die in den Tätigkeitsberichten des Rheinland-Pfalz Hauses
aufgeführten Kulturveranstaltungen im Zeitraum von 20052010686
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Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an die Tätigkeitsberichte des Rheinland-Pfalz Hauses
2005-2010
686
Nicht integriert in unsere Übersicht wurden Kulturveranstaltungen, welche unter dem
Titel „Haus Rheinland-Pfalz anderswo“ im Tätigkeitsbericht gesondert aufgeführt wurden.
304
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die in Übersicht 44 aufgeführten Veranstaltungen des Rheinland-Pfalz-Hauses in Dijon belegen zunächst die strategische Ausrichtung des Instituts,
als vermittelnde Instanz zwischen den Partnerregionen Burgund und
Rheinland-Pfalz sowie den Partnerstädten Mainz und Dijon zu wirken. Dies
wird vor allem im Veranstaltungssektor der Ausstellungen deutlich: Ausstellungen wie „Dijon 1956“ (38), „Mai 68 à Dijon (46), en France, en Allemagne“ (46) „Neues, altes Mainz“ (55) und „50 visages de citoyens de
Mayence“(47) unterstrichen dabei vor allem die Bedeutung dieser deutschfranzösischen Städtepartnerschaft. Das Kulturinstitut konnte bei diesen
Veranstaltungen auf die Unterstützung hochrangiger deutscher (Kurt Beck,
Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, 56) und französischer
(François Rebsamen, 61) Politiker zählen, was als ein Indikator für eine regionale Integration des Zentrums angesehen werden kann. Das Kulturzentrum zeichnete sich allen voran durch das sehr breite Themenspektrum
seiner kulturellen Programmarbeit aus: zum einen wendete sich eine große
Anzahl von Lesungen, welche mehr als ein Drittel der Veranstaltungen ausmachen, an Spezialisten, Mittler und Deutschlandkenner und überzeugten
durch die hohe Qualität der Beiträge. Auf der anderen Seite sprach das
Rheinland-Pfalz Haus auch ein größeres Zielpublikum an und wirkte, insbesondere durch seine zahlreichen Ausstellungen, auf diese Weise als lieu
de rencontre und als Begegnungsstätte interkulturellen Austauschs.
Der Bereich Film ließ hingegen noch keinerlei thematische Schwerpunkte
oder gar eine nachhaltige Förderung des deutschen Films erkennen. Im gesamten Zeitraum wurden lediglich drei Filme von Ruth Zylberman, Edgar
Reitz und Werner Herzog projiziert. Hier fehlte es offenbar noch an einem
nachhaltigen Konzept, wie es beispielsweise im Goethe-Institut Lille umgesetzt wurde. Im Gegensatz zu den Goethe-Instituten organisierte das
Rheinland- Pfalz Haus eine Vielzahl von Veranstaltungen, welche einem
breiten Publikum Gelegenheit gab, mit der deutschen Kultur in Dialog zu
treten. Exemplarisch sind hier die zahlreichen Weinproben, welche in der
Tradition der Regionalpartnerschaft zwischen Burgund und RheinlandPfalz stehen, zu nennen, aber auch Großveranstaltungen wie „Was ist rue
Buffon“, welche in den vergangenen Jahren jeweils ca. 3000 Besucher versammelte. Entsprechend der Erhöhung der Zahl von Verbundprogrammen
in den Goethe-Instituten, organisierte das Haus Rheinland-Pfalz so eine
Reihe von Sonderprojekten, welche auf eine größere Öffentlichkeit abzielten. Auch diese Sonderprojekte lassen sich inhaltlich eher dem Bereich Traditionen und Feste zuordnen. Bei seinen Veranstaltungen konnte das Haus
Rheinland-Pfalz eine große Anzahl von Partnern an sich binden. Dies belegt
u.a. folgende Übersicht 45:
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
305
Übersicht 45: Kooperationspartner des Hauses Rheinland-Pfalz in Burgund
im Zeitraum von 2005/6 bis 2010687
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Quelle: Eigene Darstellung nach Angaben der Tätigkeitsberichte des Rheinland-Pfalz Hauses von
2005-2010
687
Der Tätigkeitsbericht des Jahres 2009 lag dem Rheinland-Pfalz Haus nicht vor. Auch im
Internet war er als einziger nicht abrufbar (Zugriff: 5.5.2012.). Die Übersicht ist jedoch unserer Meinung nach dennoch aussagekräftig.
688 Die Zahl in Klammern (2) bedeutet in diesem Fall, dass in diesem Kalenderjahr mindestens zweimal mit diesem Partner kooperiert wurde.
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306
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Erst ab dem Kalenderjahr Jahr 2007 des Untersuchungszeitraums wurden
in den Tätigkeitsberichten des Rheinland-Pfalz Hauses die Partner der einzelnen Kulturinstitute konstant aufgeführt. Dies ist ein Indikator dafür, wie
sehr man sich in den letzten fünf Jahren der Bedeutung der Kooperationspartner für die gemeinsame Gestaltung der kulturellen Programmarbeit
bewusst geworden ist. Zieht man die jeweils in den Klammern aufgeführten Mehrfachkooperationen der einzelnen Kalenderjahre in Betracht, kam
das Institut insgesamt allein in drei Kalenderjahren auf fast 90 Kooperationen. In diesem Zeitraum organsierte man 44 Kulturveranstaltungen, was
bedeutet, dass man im Durchschnitt ca. zwei Kooperationspartner für jede
Veranstaltung gewinnen konnte. Wichtigste Partner waren allen voran mit
neun Kooperationsprojekten (6, 21,44) die Stadt Dijon und an zweiter
Stelle der Conseil Régional de Bourgogne mit acht Nennungen (11,24, 53).
Tendenziell ist bis ins Jahr 2010 sogar eine Intensivierung dieser Kooperationen zu verzeichnen. Bemerkenswert ist ebenfalls die neue strategische Ausrichtung des Instituts, zunehmend mit den Goethe-Instituten
zusammen zu arbeiten: allein sieben Mal kam es im Kalenderjahr 2010 zu
einer Zusammenarbeit. Ähnlich wie das Goethe-Institut Lille kooperierte
auch das Rheinland-Pfalz Haus mit diversen Fakultäten des Hochschulwesens. So zum Beispiel mit der Ecole Nationale des Beaux Arts (3,43), der
Universität Dijon (6, 33, 60) und dem Institut Sciences Politiques (12, 20,
52). In Bezug auf Public Private Partnership Kooperationen ging das Haus
in Dijon ebenfalls neue Wege: In drei aufeinanderfolgenden Jahren konnte
man für einige Projekte Partner aus der Privatwirtschaft (21, 22, 23) gewinnen, welche Großveranstaltungen des Kulturzentrums nachhaltig unterstützten. Die Sponsoren waren allesamt in der verschwisterten
Partnerregion Rheinland-Pfalz angesiedelt. Welche Möglichkeiten sich aus
einer erfolgreichen Public-Private-Partnership Kooperation für die Förderung der kulturellen Programmarbeit in Frankreich ergeben, belegt allen
voran ein Projekt, welches das Haus Rheinland-Pfalz und die weiteren Häuser der Föderation im vergangenen Jahrzehnt entwickelt haben: das Projekt DeutschMobil.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
307
Das Projekt DeutschMobil: ein exemplarisches Beispiel eines zivilgesellschaftlichen Beitrags zur Förderung deutscher Sprache und Kultur in Frankreich im Rahmen der kulturellen Programmarbeit
Wir hatten es bereits im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt: um die Jahrtausendwende (1999-2001) hatte die Entwicklung des Deutschen an französischen Schulen ihren Tiefpunkt erreicht: nur noch ca. 8,5% der
französischen Schüler wählten im Schuljahr 2001/2002 in der 6ème
Deutsch als erste Fremdsprache. Für Kurt Brenner, den damaligen Präsidenten der Föderation deutsch-französischer Häuser, war ein Jahr vor dem
europäischen Jahr der Sprachen (2001) “ein Alarmpegel erreicht, der für
alle im deutsch-französischen Beziehungsgeflecht Verantwortung Tragenden nicht mehr hingenommen werden konnte.“689 Seiner Ansicht nach
waren vor allem zwei Tendenzen für diesen negativen Trend verantwortlich. Zum einen die Tatsache „alter Klischeevorstellungen über Deutschland“ und zum zweiten Klischeevorstellungen über den schwierigen
„Erwerb der deutschen Sprache“, die dazu geführt hatten, dass „Deutsch
lernen für die Jugendlichen „nicht mehr „cool“ war und mit zu vielen negativen Vorzeichen besetzt war.“690 Um auf dieses negative Deutschlandbild
und die Wahl der Fremdsprache der französischen Schüler Einfluss zu nehmen, musste man laut Brenner „von unten kommen“, d.h. die Primarschüler der 6ème der Collèges direkt ansprechen und in einem zweiten Schritt
mit ihren Eltern als weitere Entscheidungsträger in Kontakt treten, um
auch diese für eine Wahl für Deutsch als Partnersprache zu überzeugen.
Zur Umsetzung dieses Zieles hatte man in der Föderation von Beginn an
eine Leitidee: „junge, diplomierte deutsche LektorInnen in direkten Kontakt mit französischen Schülern der Primar - und Collègestufen zu bringen,
um dieselben auf spielerische Weise (Hervorhebungen von mir, G.F.) mit
der deutschen Sprache in Verbindung zu bringen.“691 Nachdem man vor
der Lancierung des Projektes die Zustimmung der entsprechenden Schulakademien, der Schuldirektoren und der Deutschlehrer in vier französischen Akademien (Nantes/ Dijon/ Montpellier/ Aix-Marseille) eingeholt
hatte und auf eine hohe Nachfrage für dieses Projekt gestoßen war, setzte
man von Projektidee an auf ein Public-Private Partnership, um dieses finanziell aufwändige Kulturprojekt zu finanzieren: man gewann schließlich
689
Kurt Brenner: Initiative „DeutschMobil“, eine Aktion der Föderation Deutsch-Französischer Häuser zur Förderung der deutschen Sprache und Kultur, in: Dokumente 1(2003),
S.39-43.
690 Kurt Brenner, ibid. S.39
691 Kurt Brenner: Das Projekt DeutschMobil, in: http://www.deutschmobil.fr/Kurt-Brenner?lang=de, Zugriff am 1.5.2012.
308
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
die Robert Bosch-Stiftung für die Förderung der Lektoren, der DaimlerChrysler Konzern stellte nach den Wünschen der Föderation eingerichtete
Kleinbusse zur Verfügung. Hierzu Brenner: „Die Unterstützung der Robert
Bosch-Stiftung und des DaimlerChrysler-Konzerns für diese neuartige kulturpolitische Aktion illustrierte die Wirkung zivilgesellschaftlichen Engagements im Bereich deutscher auswärtiger Kulturpolitik.“692 Erst in einem
zweiten Schritt schlossen sich dem Projekt Vertreter beider Regierungen
an und so konnte am 15. 12. 2001 im Bundesratsgebäude in Berlin durch
den amtierenden Bundesratspräsidenten und Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für die deutsch-französische Zusammenarbeit,
Kurt Beck und den französischen Botschafter in Berlin, Claude Martin, der
Startschuss für die Aktion DeutschMobil gegeben werden. Die ersten vier
DeutschMobil Lektorinnen wurden in vier Häusern der Föderation, am
Centre Franco-Allemand de Provence in Aix-en-Provence, am Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes, in der Maison de Heidelberg in Montpellier und der Maison de Bourgogne angesiedelt.
Das Projekt DeutschMobil hatte zunächst experimentellen Charakter. Die
Vorgehensweise in den Schulen beschrieb Evelyne Rust, DeutschMobilLektorin der ersten Stunde, wie folgt:
„Allen Besuchen liegt ein gemeinsamer Zeitrahmen von 50 Minuten zugrunde. Ziel ist es, (...) den Schülern einen affektiven Zugang zu Sprache
und Land zu verschaffen. Sie sind nach einem DeutschMobil – Besuch in
der Lage, sich auf Deutsch vorzustellen, zu sagen, woher sie kommen und
wo sie leben, sowie ihr Alter anzugeben. Außerdem geben ihnen gemeinsames Singen zur Gitarre, (...) Diskussionen mit einem echten Deutschen,
ein Videofilm über Jugendliche in Berlin und ein Quiz Spiel gute Einblicke
in den deutschsprachigen Kulturraum.“693
Zusätzlich nutzten die Lektorinnen in Verbindung mit jedem Einsatz die
Möglichkeit, mit den Eltern der Schüler in Verbindung zu treten, sei es in
Form eines Elternabends oder im Rahmen eines Informationsabends. Hier
unterstrichen die Lektorinnen insbesondere die Bedeutung des Deutschen
für das Erlernen der englischen Sprache oder verwiesen auch auf die Berufschancen. Auch wurde über das bestehende Deutschlandbild diskutiert.
Kurt Brenner fasst rückblickend die Eindrücke der Lektorinnen während
der ersten Unterrichtsbesuche wie folgt zusammen:
692
693
Kurt Brenner, das Projekt DeutschMobil, ibid. S.40.
In: Kurt Brenner, das Projekt DeutschMobil, ibid. S.41
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
309
„Was uns alle an der Aktion Beteiligten von Mal zu Mal betroffen gemacht
hat, ist, wie weit der nächste Nachbar Deutschland der Mehrzahl französischer Jugendlicher entrückt ist. Es scheint, als ob der Schatten, der aus
der Tiefe der Vergangenheit erwachsen ist, länger geworden sei. Ihr
Deutschlandbild, soweit bruchstückhaft vorhanden, ist eher negativ besetzt. Wie oft ist es den LektorInnen passiert, dass auf die spontane Frage,
was sie (die Schüler der 6ème, G.F.) von Deutschland kennen, der unselige
Name Hitlers zuerst im Klassenraum auftauchte.“694
Im Anschluss an diese Interventionen der Lektoren evaluierten die einzelnen, am Projekt teilnehmenden Kulturinstitute der Föderation das Ergebnis, indem sie die Einschreibezahlen der besuchten französischen Schulen
in der 6ème im Jahr vor und nach der Intervention miteinander verglichen.
Zeigte man sich seitens der Föderation nach den ersten Einsätzen des
DeutschMobils im ersten Tätigkeitsbericht noch unsicher, „welchen Effekt
der Besuch des DeutschMobils auf die Zahl der Deutschschüler tatsächlich
hat“695, so belegte laut Brenner bereits die erste Evaluation einen „Erfolg
auf der ganzen Linie:“696 Die Erhebungen in der Anfangsphase konnten
nachweisen, dass „sich nach der Sprachanimation der Lektorinnen 25 %
mehr Schüler (der vier besuchten Akademien, G.F.) spontan für Deutsch
als erste Fremdsprache und 50% mehr Schüler für Deutsch als 2. Fremdsprache“697 entschieden hatten. Dieser Erfolg konnte auch in den kommenden Jahren an anderen Schulen wiederholt werden.698
Der experimentelle Charakter des Projekts lässt sich anhand von drei Leitlinien zusammenfassen, welche sich aus diversen Interviews der DeutschMobillektorinnen herauskristallisieren:
1. Die Lektorinnen versuchten in ihren Einsätzen gegen Stereotypen und
Vorurteile gegenüber Deutschland einzutreten, allem voran dem Vorurteil: Deutsch ist eine schwere Sprache.
2. Ein erster Zugang zur deutschen Kultur und zur deutschen Sprache sollten durch interkulturelles Handeln spielerisch erlernt werden .
3. Die Einsätze des DeutschMobils sollten ein modernes und attraktives
Deutschlandbild vermitteln.
694
695
696
Kurt Brenner, Das Projekt DeutschMobil, ibid. S.41
Unter: http://www.deutschmobil.fr/IMG/pdf/rapport1.pdf, Zugriff am 3.5.2012.
DeutschMobil, Zehn Jahre für die deutsche Sprache und Kultur durch Frankreich, Robert
Bosch Stiftung, 2011, S.28.
697 DeutschMobil, Zehn Jahre für die deutsche Sprache und Kultur durch Frankreich, Robert
Bosch Stiftung, 2011, S.28.
698 Dies belegen u.a. die Zwischenberichte der Jahre 2003 und 2004. In: http://
www.deutschmobil.fr, Zugriff am 3.5.2012
310
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auch der weitere Projektverlauf unterstreicht, dass es sich bei dem Projekt DeutschMobil um einen experimentelles Projekt handelt: Im Zeitraum
von 2001 bis 2011 wurde das Projekt vor allem inhaltlich und geographisch
weiterentwickelt.
In der seit 2011 vorliegenden Bilanz „Zehn Jahre für die deutsche Sprache
und Kultur durch Frankreich“ werden die weiteren Meilensteine des Projektes anschaulich zusammengestellt: am 30. Juli 2002 entstand mit der
Lancierung des Projekts FranceMobil (welche an die hiesigen Instituts
Francais angeschlossen wurden) durch Bundeskanzler Gerhard Schröder
und Staatspräsident Jacques Chirac während des 79. deutsch-französischen
Gipfels in Schwerin „die spiegelbildliche Aktion“699 des DeutschMobils in
Deutschland. Im Juni 2003 erfolgte die Vernetzung von DeutschMobil und
FranceMobil via Internet („Klasse@Classe“), welche Internetpartnerschaften
zwischen deutschen und französischen Schulklassen initiierte. In Anspielung
an die Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen des Elyséevertrages organisierten die deutsch-französischen Häuser mit Hilfe des DeutschMobils im
gleichen Jahr 40 Rendez-vous avec l’Allemagne, welche teilweise an den jeweiligen Instituten, größtenteils jedoch bei französischen Partnern durchgeführt wurden. Das DeutschMobil wurde so zum „KulturMobil.“700 2004
erhielt das DeutschMobil gemeinsam mit dem FranceMobil seine „bislang
höchste Auszeichnung,“701 den Adenauer - de Gaulle Preis. Im selben Jahr
wurden, unter der organisatorischen Führung der Föderation, weitere
DeutschMobile an die Goethe-Institute in Frankreich angegliedert. Heute,
im Jahre 2012, sind in Frankreich zehn DeutschMobile am Start und zwar
in den Regionen Languedoc-Roussillon (Maison de Heidelberg), Pays de la
Loire (Centre Culturel Franco-Allemand), Normandie (Conseil Général du
Calvados), Lothringen (Goethe-Institut Nancy), Aquitanien (Goethe-Institut
Bordeaux), Burgund (Maison du Rhénanie-Palatinat), Provence-Alpes Côte
d’Azur (Maison Franco-Allemand de Provence), Paris, Ile de France (Maison
Heinrich Heine), Midi-Pyrénnés (Goethe-Institut Toulouse) und RhôneAlpes (Goethe-Institut Lyon).
Auch konnte man zahlreiche weitere Partner für das Projekt gewinnen,
welche die Gründungspaten Robert Bosch Stiftung und DaimlerChrysler
AG (Name der Gruppe von 1998 bis 2007, ab 2007 umbenannt in Daimler
AG) unterstützen: Neben den Goethe-Instituten sichern heute allen voran
699
Robert Bosch Stiftung (Hg): DeutschMobil, Zehn Jahre für die deutsche Sprache und Kultur durch Frankreich, 2011, S.54.
700 Robert Bosch Stiftung (Hg): DeutschMobil, ibid. S.36.
701 Robert Bosch Stiftung (Hg): DeutschMobil, ibid. S.60.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
311
der Deutsche Akademische Austauschdienst, das Auswärtige Amt, das französische Erziehungsministerium und das Deutsch-Französische Jugendwerk das Fortbestehen des Projekts. Aber auch französische
Gebietskörperschaften konnten für die Werbung des Deutschen in Frankreich als langfristige Partner gewonnen werden: Die Conseils Régionaux
d’Aquitaine, Midi-Pyrénnés und Rhône-Alpes „tragen die Begleitkosten für
die DeutschMobile in Bordeaux, Toulouse und Lyon“ und der Conseil Général du Calvados in Caen stellt heute „seine Infrastruktur“702 zur Verfügung. Film- und Werbematerial zu aktuellen Deutschlandthemen sponsern
ARTE, das Informationszentrum der deutschen Botschaft Paris (CIDAL)
und die deutsche Zentrale für Tourismus, Verlage wie Hueber, Klett und
Langenscheidt versorgen die Lektoren regelmäßig mit Bücherpaketen.
Auch zwei ehrenamtliche Vereine, Aktion FranceMobil und OuverTüre unterstützen heute die Aktion. Auf der eigens für das Projekt erstellten Webseite zieht man im Jahre 2012 folgende Bilanz für das „KulturMobil“: seit
Januar 2001 haben die Lektoren des DeutschMobils 8350 französische
Schulen besucht, mit mehr als 20600 Klassen gearbeitet, sind mit mehr als
525000 Schülern in Kontakt getreten und haben ca. 870 Elternabende veranstaltet.703 Das Engagement aller Lektorinnen ließ sich nicht zuletzt an
der Anzahl der gefahrenen Kilometer ablesen: bis dato legten sie über eine
Million Kilometer zurück.704 Heute ist das Projekt DeutschMobil, welches
auf die zivilgesellschaftliche Initiative der Föderation deutsch-französischer Häuser zurückzuführen ist und maßgeblich zu der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Trendwende der Deutschlernerzahlen in
Frankreich beitrug, auch zum Vorzeigeprojekt offizieller deutsch-französischer Kulturpolitik geworden. So schreibt Reinhard Schäfers, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Frankreich:
„(...) die Deutschlernerzahlen zeigen wieder nach oben. Für diese Erfolgsgeschichte, hinter der unermüdlicher Einsatz vor Ort steht, steht stellvertretend ein Name: DeutschMobil. Neben einem innovativen Ansatz
zeichnet sich das DeutschMobil durch seine Organisation aus. Es handelt
sich um eine beispielhafte zivilgesellschaftliche Initiative der Föderation
Deutsch-Französischer Häuser, die zusammen mit dem DAAD und dem
Goethe-Institut sowie französischen Schulakademien umgesetzt wird.“705
702
703
704
Robert Bosch Stiftung (Hg): DeutschMobil, ibid. S.155.
Unter: http://www.deutschmobil.fr, Zugriff am 3.5.2012.
Angaben unter: http://www.deutschmobil.fr/IMG/pdf/Flyer-DeutschMobil_201112_de.
pdf, Zugriff am 3.5.2012.
705 Robert Bosch Stiftung (Hg): DeutschMobil, ibid. S.8.
312
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Dieser Auszug, welcher sich wie ein Werbetext für die kulturelle Programmarbeit deutsch-ausländischer Kulturgesellschaften und Goethe-Institute liest, dokumentiert die Tendenz des Auswärtigen Amtes, selber aktiv
in die Kulturpolitik einzugreifen und Sympathiewerbung für den Standort
Deutschland zu betreiben.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
313
3.6.3 Fazit
Nicht bei allen Goethe–Instituten ließ sich anhand ihrer Auswahl der Themenschwerpunkte und Kooperationspartner im Bereich der kulturellen Programmarbeit nachweisen, dass das vom Auswärtigen Amt ausgegebene,
übergeordnete strategische Ziel der lokalen und regionalen Integration
stringent umgesetzt wurde. Anhand der drei Fallbeispiele der Institute in
Bordeaux, Lille und Paris wurde erneut die Unterschiedlichkeit der Profile
deutlich: mittels der gewählten Untersuchungskriterien ließ sich nachweisen, dass das Institut an der Garonne nur wenige konstante regionale und
lokale Partner in die kulturelle Programmarbeit integrierte. Das GoetheInstitut Lille hingegen – welches seine Veranstaltungen kontinuierlich mit
regionalen Partnern durchführte – ließ einen hohen lokalen Integrationsgrad erkennen. Während das Goethe-Institut Lille auch eine Vielzahl kleinerer lokaler Vereine als Partner in die Konzeptualisierung und
Ausrichtung des Kulturprogramms mit einbezog, baute das Institut in Paris
insbesondere bei Großveranstaltungen mit großem Öffentlichkeitsinteresse auf Institutionen nationaler und internationaler Reputation. Das zur
Föderation der deutsch-französischen Häuser gehörende Haus RheinlandPfalz in Dijon setzte den vom Auswärtigen Amt ausgegebenen Aufruf zur
vermehrten lokalen und regionalen Kooperation den Untersuchungen zufolge am konsequentesten um: im Durchschnitt konnte man pro Veranstaltung ca. zwei Kooperationspartner gewinnen. Mehr noch: das Kriterium
der Kooperation fand im Institut sogar Eingang in die konzeptuellen Vorüberlegungen zur Gestaltung der kulturellen Programmarbeit und deren interner Evaluation, was die Analysen der Tätigkeitsberichte des Hauses
belegten.
Was den Themenschwerpunkt Europa angeht, dominierten auch in dieser
Phase nach wie vor bilaterale deutsch-französischen Themen die Programmgestaltung. Das Goethe-Institut Bordeaux legte in dieser Hinsicht
sogar den Akzent auf einen engen Kulturbegriff, was die Themenvielfalt
noch stärker einschränkte. Hier wurde das Thema „Europa“ - wenn überhaupt - meist mit kritischen Fragestellungen aufgegriffen. Das Goethe-Institut Lille und das Rheinland-Pfalz Haus in Dijon setzten den europäischen
Einigungsprozess vor allem in den Kontext der interregionalen Zusammenarbeit. Die kulturelle Programmarbeit diente in diesen beiden Instituten vor allem als vermittelnde Instanz zwischen bereits bestehenden
trinationalen Partnerschaftsverbänden. Nur selten kam es in diesen Instituten jedoch zu multilateralen Kooperationen mit anderen europäischen
Kulturzentren. Diese Form der Kooperation wurde wiederholt lediglich
durch das Goethe-Institut in Paris umgesetzt: bereits zu Beginn der 2000er
314
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Jahre kooperierte man in einzelnen Veranstaltungen mit bis zu zehn verschiedenen europäischen Kulturzentren. Besonders bürgernah wurde der
Veranstaltungsschwerpunkt „Europa“ im Rheinland-Pfalz Haus in Dijon gestaltet. Durch spielerische und humoristische Veranstaltungen sprach man
hier vor allem ein großes Publikum an, wohingegen sich die Veranstaltungen des Pariser Instituts vorrangig an die französische Bildungselite adressierten. Insgesamt muss jedoch kritisch festgehalten werden, dass auch in
dieser letzten Dekade noch keinesfalls eine Schwerpunktverschiebung in
der kulturellen Programmarbeit in Richtung Europa stattgefunden hatte.
Nach wie vor war das Kriterium der Qualität das wichtigste Merkmal der
in Frankreich angebotenen Kulturveranstaltungen. Dabei war die Tendenz
festzustellen, dass sich bei der Mehrzahl der Institute in der letzten Dekade
eine neue Veranstaltungsform durchsetzte, die sogenannten Verbund- oder
Sonderprogramme. In diesen Programmen, kam die Kompetenz der Netzwerkbildung der einzelnen Institute besonders zum Tragen. Als exemplarisch sind hier für Lille die Filmvorführungen und politisch orientierte
Veranstaltungen, in Paris die Lesungen und die Filmvorführungen und in
Dijon die Lesungen und Ausstellungen zu nennen. Auch das Kriterium der
Nachhaltigkeit – definiert man wie einige Institute als konstante partnerschaftliche Kooperationen - wurde von den einzelnen Instituten auf sehr
unterschiedliche Weise umgesetzt: In Bordeaux wurden die Partner konstant gewechselt, in Paris hing die Partnerwahl grosso modo von dem Profil des Leiters ab. In Lille und Dijon hingegen waren feste Partner ein Garant
nicht nur für die Qualität einzelner Kulturveranstaltungen, sondern auch
für die Ausrichtung eines nachhaltig orientierten Kulturprogramms.
Dass es den deutschen Kulturinstituten durch ihre kulturelle Programmarbeit in der letzten Dekade 2010-2011 allerdings gelang, den besorgniserregenden Trend des Rückgangs der Partnersprache Deutsch an
französischen Schulen zu wenden, wurde vorrangig durch das Projekt
DeutschMobil erzielt, welches im Jahre 2001 durch eine Initiative der
deutsch-französischen Häuser entstand. Bei diesem Projekt handelte es
sich jedoch keinesfalls um einen Glücksfall kultureller Programmarbeit,
sondern um ein professionell umgesetztes Projekt der deutsch-französischen Zivilgesellschaft.
So betrieb man zunächst bei zahlreichen Schülern und deren Eltern ein erfolgreiches Nation Branding, indem man gegen veraltete Sprachlehrmethoden und ein negatives Deutschlandbild in Frankreich ankämpfte. Das
Projekt DeutschMobil ist nachfrageorientiert, weil man sich zuvor durch
eine Vielzahl von Einzelgesprächen mit Mittlern, Schulbehörden und Lehrern
über den Projektverlauf im Dialog ausgetauscht hatte. Das DeutschMobil
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
315
bewegt sich auf seine Zielgruppen zu und ist somit dialogorientiert. Dieser
Gedanke ist dem Gedanken einer Exportkultur mit Repräsentationscharakter entfernt. Auch im Bereich des Public-Private Partnership ging das
DeutschMobil neue Wege: von Beginn an setzte man nicht auf eine staatliche, sondern auf eine private Förderung der kulturellen Programmarbeit.
Die Kulturschaffenden wurden selbst unternehmerisch tätig. Das Projekt
zeigt auch: kulturelle Programmarbeit ist evaluierbar, der Erfolg messbar.
Die von den Häusern durchgeführten Statistiken über einen Zeitraum von
zehn Jahren belegen heute auf beeindruckende Weise, welche Auswirkungen kulturelle Programmarbeit auf die Fremdsprachenwahl haben können.
Die Zukunft der kulturellen Programmarbeit in Frankreich ist daher untrennbar mit der Entwicklung der Partnersprache im Nachbarland verbunden.
Schließlich zeigt das Projekt auch: erfolgreiche Kulturarbeit beruht auf
langfristigen Kooperationen: seit fast einem Jahrzehnt arbeiten mittlerweise alle deutschen Goethe-Institute und deutsch-französischen Häuser in
Frankreich, aber auch die Instituts Français in Deutschland in einem Netzwerk zusammen. Das Projekt DeutschMobil konnte so zu einem europäischen, ja weltweit präsenten deutschen Kulturprojekt wachsen: die Mobile
kommen heute in Polen ebenso zum Einsatz wie in Kanada.
316
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
4. Positionen und Sichtweisen der Kulturmittler
4.1 Herangehensweise und Methodik
Wie bereits eingangs erwähnt, unterscheidet Lüsebrink im Rahmen des
Phänomens des Kulturtransfers drei unterschiedliche Formen von Prozessen: Selektionsprozesse, Rezeptionsprozesse und interkulturelle Vermittlungsprozesse. Die Analyse der interkulturellen Vermittlungsprozesse
untersucht unter anderem die Rolle personaler Vermittlungsprozesse706.
Im nun folgenden Kapitel sollen daher die Positionen und Sichtweisen einzelner Mittler zur Ausrichtung und Aufgaben deutscher Kulturinstitute im
Rahmen der Auswärtigen Kulturpolitik aufgezeigt werden. Dabei wurde
als wissenschaftliche Methodik das in der empirischen Sozialforschung angesiedelte Verfahren des Experteninterviews angewendet. Die Auswertung
der Experteninterviews zielt erstens darauf ab, eine Bilanz bisher in Frankreich geleisteter deutscher Kulturarbeit zu ziehen, zweitens Zukunftsperspektiven des deutsch-französischen Kulturaustauschs aufzuzeigen und
schließlich Perspektiven für eine dauerhafte Präsenz deutscher Kulturinstitute in Frankreich aufzuzeigen. Im Rahmen der Studie ist daher das folgende Kapitel vorrangig von praktischer Relevanz.
Definitionen des Begriffs „Experte“
Da der Begriff des „Experten“ im Rahmen der quantitativen empirischen
Sozialforschung umstritten ist, soll er an dieser Stelle kurz definiert und in
den Kontext der Arbeit gesetzt werden: Alexander Bogner und Wolfgang
Menz unterscheiden in ihrem Aufsatz zum theoriegenerierenden Experteninterview707 in der Methodendiskussion drei unterschiedliche Arten
706
Unter personalen Vermittlern versteht Lüsebrink „Reisende, freie Journalisten, Hauslehrer, Auslandskorrespondenten, Austauschlehrer und -studierende, Ballett- und Orchesterchefs aus anderen Kulturen sowie Übersetzer. Im Tourismusbereich zählen hierzu
Fremdenführer, Museumsführer, Dolmetscher sowie das Personal an Hotelrezeptionen;
im Unternehmens- und Wirtschaftsbereich die so genannten interkulturellen Interfaces,
zu deren Aufgaben u. a. der Kontakt mit Kund/innen aus anderen Kulturen zählt, wie Außenhandelsmitarbeiter/innen, Sekretär/innen, insbesondere Fremdsprachensekretär/
innen und Fremdsprachenkorrespondent/innen, Marketingverantwortliche, Übersetzer/innen, Konferenzdolmetscher/innen und Messehostessen sowie Werbe- und Kommunikationsverantwortliche in Unternehmen, Institutionen und Agenturen“. In: H.-J.
Lüsebrink: Interkulturelle Kommunikation, Stuttgart, Weimar, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2008, S.133.
707 Alexander Bogner/ Wolfgang Menz: Expertenwissen und Forschungspraxis: die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten, in: Bogner, Alexander / Littig, Beate / Menz, Wolfgang (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode,
Anwendung. Wiesbaden 2005.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
317
von Expertenbegriffen: Der voluntaristische Expertenbegriff geht von der
Feststellung aus, dass „jeder Mensch mit besonderen Informationen, Fähigkeiten usw. für die Bewältigung des eigenen Alltagslebens ausgestattet
ist“, was zu Folge hat, dass prinzipiell „alle Menschen zugleich Experten,
und zwar Experten ihres eigenen Lebens“ 708 sind. Eine zweite Definition,
die wissenssoziologische Fokussierung, versucht den Experten über sein spezifisches Wissen zu deuten, sozusagen als „Wissenschaftler mit sicherem,
eindeutigem Wissen“709 Die dritte konstruktivistische Definition reflektiert
laut Bogner und Menz die Tatsache, dass „bis zu einem gewissen Grad, jeder
Experte auch das „Konstrukt“ eines Forscherinteresses ist, insofern man
innerhalb einer Untersuchung davon ausgeht, dass der ausgewählte Experte ein relevantes Wissen über einen bestimmten Sachverhalt hat. Die
im Rahmen dieser Arbeit interviewten Experten wurden alle aufgrund
ihres Expertenwissens über den Sachverhalt der Kulturvermittlung deutscher Institute in Frankreich ausgewählt.
Neben diesem Ansatz von Bogner und Menz besteht unter einer Reihe von
Forschern710 Konsens, dass auch der Aufsatz von Michael Meuser und Ulrike Nagel „ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht“711
„der Ausgangs- und Bezugspunkt der aktuellen Diskussion um das Experteninterview ist“ 712, welcher der vorliegenden Arbeit auch zu Grunde liegt.
Wie definieren Meuser und Nagel den Begriff „Experte“? Meuser und Nagel
rücken in ihren Untersuchungen in Bezug auf die Definition des Begriffs
708
709
710
711
712
Alexander Bogner/ Wolfgang Menz: das theoriegenerierende Experteninterview; Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion. In: Alexander Bogner/ Beate Littig/ Wolfgang Menz, (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden
2005. Seiten S.40-41.
Alexander Bogner / Wolfgang Menz: das theoriegenerierende Experteninterview; 2005,
S.40.
So weisen u.a. folgende Arbeiten auf die bahnbrechende Leistung dieser Arbeit: Michaela
Pfadenhauer: Auf gleicher Augenhöhe reden; das Experteninterview – ein Gespräch zwischen Experte und Quasi – Experte. In: Alexander Bogner/ Beate Littig/ Wolfgang Menz
(Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden 2005. S.117
oder: Gabriele Abels/ Maria Behrens: ExpertInnen-Interviews in der Politikwissenschaft;
geschlechtertheoretische und politikfeldanalytische Reflexion einer Methode. In: Alexander Bogner/ Beate Littig/ Wolfgang Menz (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden 2005, S.173.
Michael Meuser/ Ulrike Nagel: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht.
Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In: Alexander Bogner/ Beate Littig/
Wolfgang Menz (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden 2005, S.71-93.
Alexander Bogner/ Wolfgang Menz : Expertenwissen und Forschungspraxis: die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten, in: Alexander Bogner/ Beate Littig, Wolgang Menz (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode,
Anwendung. Wiesbaden 2005. S.20.
318
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
„Experte“ den Forscher, den Forschungsgegenstand und das Forschungsdesign in den Vordergrund. In ihrem Sinne kann - abhängig vom Untersuchungsgegenstand und der Fragestellung der Arbeit - jeder ein Experte
sein, denn: „der Expertlnnenstatus wird in gewisser Weise vom Forscher
verliehen, begrenzt auf eine spezifische Fragestellung.“ Und weiter: „ob jemand als Expertin angesprochen wird, ist in erster Linie abhängig vom jeweiligen Forschungsinteresse.“713 Bei der Auswahl der Interviewpartner
ist insbesondere diesem von Meuser und Nagel vertretenen Ansatz Rechnung getragen worden, da neben aktiven Entscheidungsträgern aus der
Leitungsebene auch außen stehende Spezialisten als Experten befragt wurden. Dabei ist die Problematik der Vorgehensweise durchaus bekannt, die
Expertenmeinungen betroffener Akteure als auch außenstehender Mittlerpersönlichkeiten in einem Experteninterview zusammenfassen.
Auf das problematische Verhältnis von Akteur und Zeitzeuge im Rahmen
von akteurzentrierten Untersuchungen im Rahmen des Kulturtransfers hat
bereits Michael Werner – hier allerdings im Kontext der deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen - verwiesen:
„Der Wissenschaftler, der über die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen arbeitet, steht vielfach in einer gewissen Nähe zu seinem Gegenstand. Von daher verringert sich der Abstand zwischen Zeitzeuge und
Beobachter, zwischen beobachtetem Vorgang und persönlicher Verwicklung in diesen Vorgang.“714
Werner kommt jedoch zu dem Schluss, dass „das nicht unbedingt ein Nachteil für das Einsammeln der verfügbaren von Informationen“ sei und Zeitzeugenschaft “Primärerfahrungen vermittele, die später „aus Quellen nur
schwer oder gar nicht mehr zu erschließen sind.“715
713
Michael Meuser/ Ulrike Nagel: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung.
Wiesbaden 2005, S.73.
714 Michael Werner, Im Zwischenfeld, ibid. S.382-383.
715 Michael Werner, Im Zwischenfeld, ibid. S.383.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
319
Vorüberlegungen zur Auswahl der Experten
Bei der Auswahl der Experten wurde insbesondere darauf Wert darauf gelegt, leitende Kulturmittler der Goethe-Institute in gleichem Maße zu Worte
kommen zu lassen wie die Verantwortlichen der Deutsch-Französischen
Häuser. Ein zweites Kriterium war es auch, außenstehende Expertenmeinungen aus der deutsch-französischen Zivilgesellschaft in die Analyse mit
einfließen zu lassen. In Bezug auf die Fragestellung war es für die
Betrachtungen nicht zwingend notwendig, ausnahmslos alle Institutsleiter
und Institutsleiterinnen zu befragen, an dieser Stelle sollte exemplarisch
vorgegangen werden. Insgesamt wurden daher in einem Zeitraum von 18
Monaten 9 von 12 in Frankreich wirkende Verantwortliche und vier externe Mittler befragt.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
320
Übersicht 46: Im Rahmen der Arbeit interviewte Experten
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) Leitfadeninterview
Das
Das Interview wurde in Form eines Leitfadeninterviews vorbereitet und
durchgeführt. Das Leitfadeninterview ist ein halbstrukturiertes Interview,
dessen Ziel es ist, dem zu führenden Interview einen Rahmen zu geben. Vor
dem Interview wurde daher ein Katalog mit ausformulierten Fragen vorbereitet, wobei bei der Durchführung des Interviews die Reihenfolge der
Fragen verändert wurde. Der Leitfaden hatte das Ziel, die Gesamtproblematik des Themenbereiches einzugrenzen und auf das Untersuchungsinteresse zu fokussieren. In der vorliegenden Studie bestand das
Leitfadeninterview aus drei verschiedenen Themenkomplexen. Teil 1 beinhaltete grundlegende Fragen zur Rolle deutscher Kulturinstitute im Rahmen der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik, allgemeine Fragen zur
Kulturvermittlung und spezielle Fragen zur Positionierung deutscher Kulturinstitute in Frankreich. Der zweite Fragenkomplex verfolgte das Ziel, die
Alleinstellungsmerkmale der Häuser und Goethe-Institute aus Sicht der
Mittler herauszuarbeiten und die bisherige Kooperation zwischen den Goethe-Instituten und den deutsch-französischen Häusern näher zu untersuchen. Der dritte Teil war schließlich der kulturellen Programmarbeit
gewidmet.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
321
Auswertung der Interviews
Neben dem Verdienst der Arbeit von Meuser und Nagel, die Begrifflichkeiten des Experteninterviews zu definieren, leistet ihr Ansatz auch den Beitrag einer klar strukturierten Auswertungsmethodik. So entwerfen sie an
gleicher Stelle fünf Auswertungsschritte, an deren Ende die theoretische
Generalisierung der Interviews steht. Die Auswertungsschritte sollen an
dieser Stelle kurz zusammengefasst werden, da auch die Erfassung der Interviews nach diesem Schema erfolgte: Der Auswertung der Interviews
geht eine Transkription der auf Tonband aufgenommenen Interviews voraus.716 Im Vordergrund der Transkription stand dabei das Forschungsinteresse: je besser das Gespräch verlief, umso besser war auch die Qualität
der Transkriptionen. Bei sehr gelungenen Interviews liegt eine fast vollständige Transkription vor. Der zweite Auswertungsschritt war die Paraphrase. Die Paraphrase ist für Meuser und Nagel der erste Schritt des
„Verdichtens des Textmaterials“717. Die Entscheidung, welche Teile des Interviews transkribiert und welche paraphrasiert werden, liegt in diesem
Auswertungsschritt beim Forscher und erfolgt in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand. Eine gute Paraphrase sollte laut Maurer und Nagel inhaltsorientiert sein, um zu vermeiden, dass keine antizipierten Themen
oder Aspekte verloren gehen. Das Zusammenstellen von Überschriften war
der zweite Schritt der Verdichtung des Materials. In diesem Arbeitsschritt
werden Hauptüberschriften formuliert, die den Inhalt sämtlicher Passagen
abdecken. Im nächsten Schritt der Analyse, dem thematischen Vergleich
wurden thematisch vergleichbare Textpassagen zusammengestellt und anschließend in Form von Überschriften vereinheitlicht. Ziel dieser Phase ist
es, sehr textnah zu arbeiten. Im besten Fall können laut Meuser und Nagel
sogar einzelne Begrifflichkeiten und Schlüsselwörter der Interviewpartner
übernommen werden. Hierzu Meuser und Nagel:
„Die Überschriften der Paraphrase werden als „Steigbügel“ benutzt, um
den Äußerungen die Relevanzstrukturen des Expertlnnenwissens abzulesen: typische Erfahrungen, Beobachtungen, Interpretationen und Kon-
716
„Da es bei Expertlnneninterviews um gemeinsam geteiltes Wissen geht, halten wir aufwendige Notationssysteme, wie sie bei narrativen Interviews oder konversationsanalytischen Auswertungen unvermeidlich sind, für überflüssig. Pausen, Stimmlagen sowie
sonstige nonverbale und parasprachliche Elemente werden nicht zum Gegenstand der
Interpretation gemacht.“ In: Michael Meuser/ Ulrike Nagel: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden 2005, S.83.
717 In: Michael Meuser/ Ulrike Nagel: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung.
Wiesbaden 2005. S.84.
322
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
struktionen, Verfahrensregeln und Normen der Entscheidungsfindung,
Werthaltungen und Positionen, Handlungsmaximen und Konzepte im
Rahmen der Funktionsausübung.“718
Im nächsten Schritt sollte Abstand zu den Texten gewonnen werden, um
neue, eigene Begrifflichkeiten einzuführen. Dieses Kategorisieren bildet laut
Meuser und Nagel die letzte Etappe der Verdichtung: „In einer Kategorie ist
das Besondere des gemeinsam geteilten Wissens eines Teils der Expertlnnen verdichtet und explizit gemacht. “719 Das Ziel dieser Etappe war es,
„das Gesagte neu zu ordnen und zu typisieren, um so allgemeine Deutungsmuster zu erstellen.“720 Erst nach Abschluss dieser fünf ersten Auswertungsschritte wurde das Interviewmaterial in Bezug auf die
vorangegangenen Kapitel (historischer Ansatz und Evaluation des Kulturprogramms) ausgewertet. Hierzu Meuser und Nagel abschließend:
„Erst ab dieser Stufe wandeln wir nicht mehr auf den Spuren des Expertlnnenwissens, sondern auf denen (soziologischer) Theorien. (...). Bei
diesem rekonstruktiven Vorgehen werden Sinnzusammenhänge zu Typologien und zu Theorien verknüpft, und zwar dort, wo bisher Addition
und pragmatisches Nebeneinander geherrscht haben.“721
Der Verlauf der Experteninterviews
Da ein Großteil der Interviewpartner bekannt war, konnten die Gespräche
schnell organisiert und durchgeführt werden. In einzelnen Fällen machte
der eine- oder andere Experte sogar auf weitere potentielle Gesprächspartner aufmerksam. Nur ein Interview wurde am Telefon durchgeführt.
Im Vergleich zu Massenumfragen zeichneten sich die Interviewpartner
durch einen sehr hohen Grad an Motivation aus: Die Interviewpartner
konnten vergleichsweise leicht zur Teilnahme am Interview mobilisiert
werden. Das Dauerproblem der Interviewforschung, Motivation zu schaffen, wo „sie primär fehlt“722, traf auf die durchgeführten Experteninterviews daher nicht zu. Auch die Tatsache, dass manche Interviewpartner
den Interviewer entweder aus dem „Relevanzsystem Wissenschaft“ oder
718
719
In: Michael Meuser/Ulrike Nagel: Das Experteninterview, ibid. S.85.
In: Michael Meuser/ Ulrike Nagel: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung.
Wiesbaden 2005. S.88
720 In: Michael Meuser/ Ulrike Nagel, ibid. S.88
721 In: Michael Meuser/ Ulrike Nagel, ibid. S.89
722 Heiner Meulemann: Soziologie von Anfang an: Eine Einführung in Themen, Ergebnisse
und Literatur (Studienskripten zur Soziologie), Köln 2006, ibid. S.77.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
323
aus dem „Relevanzsystem Kulturmanagement“723 kannten, erleichterte
den Zugang zu dieser Form von Interviews und führte schließlich zu einer
„dichten Datengewinnung“.724 Die große Kooperationsbereitschaft der Interviewpartner kennzeichnete auch den Verlauf der Interviews. Die Tatsache, dass eine Mehrzahl der Befragten den Interviewer als ehemaligen
Kulturmittler kannte, ließ bei der überwiegenden Mehrheit der Experten
den Wunsch entstehen, im Rahmen des Interviews auch politisch zu wirken. Bogner und Menz sprechen in diesem Kontext von einer „annähernden
symmetrischen Kommunikationsbeziehung“725. Dennoch muss selbstkritisch eingestanden werden, dass es in manchen Passagen der Interviews
an fehlender Objektivität mangelte, da das Interview aufgrund der persönlichen Bekanntschaft zu einzelnen Experten zwischen einem Auf- und
Abbau von Distanz zum Interviewten schwankte.
In Bezug auf diese persönliche Komponente sowohl des Experten, als auch
des Interviewers steht der von Meuser und Nagel entworfene Ansatz auch
in der wissenschaftlichen Kritik. Zum einen wird vor allem die „Person“
des Experten kritisch hinterfragt, so beispielsweise in den Arbeiten der Politikwissenschaftlerinnen Gabriela Abels und Maria Behrens. Sie stellen in
Bezug auf den „Subjektstatus“ der Interviewpartner fest:
„Nichtsdestotrotz sind Expertlnnen im Interview als Person präsent. Mehr
noch: Wenn der Subjektstatus der Befragten geleugnet wird, dann stellt
dies psychodynamisch eine narzistische Kränkung dar, wodurch das erforderliche Vertrauensverhältnis in der Interviewsituation empfindlich
gestört wird und der Erfolg des Interviews zur Disposition stehen
kann.“726
723
„Oftmals verspricht die gemeinsame Beheimatung von Frager und Befragtem im „Relevanzsystem Wissenschaft“ eine vergleichsweise leichte Mobilisierung zur Teilnahme am
Interview. Gerade die Professionalität des Experten, der es oftmals gewohnt ist, öffentlichkeitswirksam und -nah zu agieren; das stille Bewusstsein seiner wissenschaftlichen
und/oder politischen Bedeutung aufgrund seines hervorgehobenen Tätigkeitsbereichs
oder persönlicher Leistungen; sein Wunsch, vermittels des Interviews - in wenn auch
sehr beschränktem Ausmaß - zu „wirken“; seine professionelle Neugier an Thema und
Fragestellung oder auch sein Interesse am Gedankenaustausch mit einem fachfremden
Experten - das alles sind Faktoren der Sekundärmotivation. In: Alexander Bogner/ Wolfgang Menz : In: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden 2005,
ibid. S.8.
724 Alexander Bogner, Wolfgang Menz : In: Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden 2005. S.8.
725 Alexander Bogner, Wolfgang Menz: das theoriegenerierende Experteninterview; 2005.
S.41.
726 Gabriele Abels/ Maria Behrens: ExpertInnen-Interviews in der Politikwissenschaft. In:
Alexander Bogner/ Wolfgang Menz : Expertenwissen und Forschungspraxis: die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten, Das Experteninterview, S.176.
324
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
4.2 Zusammenfassung der Ergebnisse der
Experteninterviews
4.2.1 Einordnung der Kulturarbeit der deutschen Institute in den
Gesamtkontext der deutsch-französischen Beziehungen.
Die Sonderstellung der deutsch-französischen Beziehungen
„Rien n’est jamais acquis“727 - kein Zitat fasst wohl treffender die Meinung
aller befragten Experten zu einer Bestandsaufnahme der deutsch-französischen Beziehungen im Allgemeinen und der bisher geleisteten deutschen
Kulturarbeit seit Beginn der 1960er Jahre im Nachbarland im Besonderen
zusammen. Und dies, obwohl man unisono davon überzeugt ist, dass „unter
den guten politischen Beziehungen eine ganz feste Basis der Zivilgesellschaft liegt, (...) die so reichhaltig ist, wie es eigentlich nirgendwo sonst zwischen zwei Ländern der Fall ist“728, so die Generalsekretärin des
Deutsch-Französischen Jugendwerks, Sabine Kuntz, Vertreterin einer der
wichtigsten Partnerinstitutionen der deutschen Kulturinstitute in Frankreich. Sowohl das angeführte Zitat Aragons, als auch die Bewertung von
Kuntz sind für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen zutreffend: Vieles ist bisher geleistet worden, Vieles noch zu tun: Lässt sich jedoch allein
durch die von Kuntz angesprochene dichte Verflechtung beider Zivilgesellschaften nach wie vor eine Sonderstellung des „Deutsch-Französischen“729
im Zuge der Globalisierung ableiten, welche rechtfertigt, dass nach wie vor
ein Großteil des Gesamtetats des Goethe-Instituts in Westeuropa und somit
auch in Frankreich investiert wird?
Die Legitimation für die Sonderstellung der deutsch-französischen (Kultur- )
Beziehungen wird von den Mittlern in den durchgeführten Interviews vor
allem durch die Verantwortung des deutsch-französischen Tandems innerhalb des europäischen Einigungsprozesses legitimiert. So unterstreicht
Jérôme Vaillant, dass die deutsch-französische Kooperation „eindeutig
schon seit Jahrzehnten“ darauf abziele, „Europa voranzutreiben“730, (...)
aber nicht eigentlich nur für Frankreich und Deutschland.“ Besonders im
Hinblick auf schwierige Eurokrisen, welche „gefährliche Momente für
727
728
Louis Aragon: Il n y a pas d’amour heureux, in: La Diane Française, Paris 1946, S.45.
Sabine Kuntz, Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerks, Interview vom
28.8.2010 in Paris.
729 Diesen Begriff verwendet unter anderem Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts
Paris, Interview vom 26.08.2010 in Paris.
730 Jérôme Vaillant: „Deutschlandbild pflegen – deutsch französische Kooperation praktizieren, aber nicht eigentlich nur für Frankreich und Deutschland, sondern eindeutig schon
seit Jahrzehnten im Sinne von Europa, um Europa voranzutreiben (...),“Interview vom
13.7.2011 in Lille.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
325
Europa beinhalten“, so Vaillant, stelle sich die deutsch-französischen Kooperation in den Dienst Europas. Kuntz verweist in diesem Zusammenhang
gar auf die Tatsache, dass mittlerweise in dieser Hinsicht gar die europäischen Partner vom deutsch-französischen Tandem immer mehr diese
Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten einforderten.731 In letzter Konsequenz
könne dies daher auch nur bedeuten: wenn man davon überzeugt ist, dass
die „vertiefte Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen immer
noch der „vielbesprochene Motor Europas“732 sei, dann müsse man davon
ableiten: „Wir müssen uns um dieses Verhältnis kümmern.“733 Eines der
übergeordneten Hauptziele deutscher auswärtiger Kulturpolitik, so formuliert es Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts in Paris, sei daher
schlichtweg, „für die guten deutsch-französischen Verhältnisse zu sorgen.“734
Stellvertretend für alle befragten Mittler wird daher auch von Kuntz gefordert: „Es ist ganz wichtig, dass man in Frankreich weiter vertreten ist
und dies „ganz unabhängig davon, ob man sich an anderen Orten der Welt
vielleicht mehr engagieren möchte.“735
Sowohl die Verantwortlichen der deutschen Kulturinstitute als auch deren
französische Partner vor Ort, sind sich dabei dessen bewusst, dass in den
kommenden Jahren die Weichen für eine erfolgreiche und nachhaltige Präsenz deutscher Kulturarbeit in Frankreich gestellt werden müssen.
Vaillant bringt dabei das Dilemma deutscher auswärtiger Kulturpolitik auf
den Punkt, indem er sich fragt, wie ein Staat und eine Institution wie das
Goethe-Institut eine neue Politik in Richtung „China, Indien und auch
Schwellenländer“ betreiben kann, „ohne die alten Beziehungen zu sehr darunter leiden zu lassen?“736
731
732
733
734
735
736
„Das habe ich oft genug auch bei meiner Arbeit vorher im Presse- und Informationsamt
der Bundesregierung mitbekommen, bei europäischen Räten. (...) Dass man natürlich auf
der einen Seite gerne sagt: das sind die beiden großen und die wollen Europa dominieren
und haben ein wenig Angst davor. Aber wenn ein Gipfel einmal richtig lange dauert, zum
Beispiel wie in Nizza, weil sich Deutsche und Franzosen nicht einigen, dann haben sie
nachts auch viele kleine Länder (...), die ihnen dann sagen: jetzt nehmt endlich einmal
eure Verantwortung wahr und ihr wisst doch: ohne Deutschland und Frankreich, wenn
ihr euch nicht einigt, dann geht nichts voran. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland
und Frankreich immer noch eine ganz besondere Rolle in Europa spielen. Wenn man
davon überzeugt ist, dann muss man dann aber auch ableiten: wir müssen uns um dieses
Verhältnis kümmern.“ Kuntz, Interview, ibid.
Joachim Umlauf, Leiter des GI Paris, Interview vom 26.08.2010 in Paris.
Kuntz, Interview, ibid.
Joachim Umlauf, Interview, ibid.
Kuntz, Interview, ibid.
Jérôme Vaillant, Interview vom 13.7.2011 in Lille.
326
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
4.2.2 Die Unabhängigkeit der Mittler
In den durchgeführten Interviews versuchen die Mittler unter anderem,
Perspektiven in Bezug auf dieses eben aufgezeigte Dilemma aufzuzeigen,
indem sie zum einen die Arbeit der deutschen Kulturinstitute im Rahmen
deutscher auswärtiger Kulturpolitik (rückblickend) bewerten und zum anderen versuchen, diese neu zu positionieren. Dabei lässt sich anhand der
unterschiedlichen Stellungnahmen sowohl eine übergeordnete Konstante
deutscher Kulturarbeit im Ausland herausarbeiten, an der es laut Experten festzuhalten gilt, als auch Forderungen nach einem Paradigmenwechsel in der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. Die wesentliche Konstante
sine qua non sehen die Mittler in dem Fortbestehen der politischen Unabhängigkeit der Mittlerinstitutionen. In dieser Hinsicht verweisen die Experten vor allem auf die Erfolge der Autonomie deutscher Institutionen zur
Zeit der Wiederaufnahme der deutsch-französischen Kulturbeziehungen
durch die Kooperation deutscher Kulturinstitute mit der französischen Zivilgesellschaft in den 1960er Jahren. Was damals galt, so Vaillant, sei auch
heute noch wesentlich für eine nachhaltige deutsche auswärtige Kulturarbeit: nämlich, dass es ein Goethe-Institut gibt, welches zwar „im Auftrag
des Außenministeriums, also des Auswärtigen Amtes arbeitet, aber doch
seine Politik weitgehend selbstständig gestaltet.“737 Einzig eine vom Auswärtigen Amt unabhängige Ausrichtung der Programmarbeit sei auch in
Zukunft Garant dafür, so Vaillant weiter, dass Kulturpolitik keine „Kulturpropaganda“ sei, was „ein wesentlicher Punkt nach dem Krieg und nach
der Gründung der Bundesrepublik Deutschland“ gewesen sei.738
Ulrich Sacker, Leiter des Goethe-Instituts Lyon, sieht in der Unabhängigkeit deutscher Mittlerorganisationen gar ein europaweites Alleinstellungsmerkmal deutscher Kulturinstitute, welches sich - neben der
Personalführung - auch auf die strategische Ausrichtung der Programmgestaltung eines Instituts auswirken würde. So seien die Goethe-Institute
beispielsweise im Vergleich zum Institut Cervantes oder dem British Council in einer besseren Situation, was die Unabhängigkeit der programmatischen Auswahl angehe.739
737
738
739
Vaillant, Interview, ibid.
Vaillant, Interview, ibid.
„Insofern sind wir in einer etwas besseren Situation als z.b. Cervantes und British Council, (...) und andere Kulturinstitute, die nicht so unabhängig sind, und wir bestehen auf
dieser Unabhängigkeit. (...) Ulrich Sacker, Leiter GI Lyon, Interview vom 30.9.2011 (Telefongespräch, Lyon-Saarbrücken).
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
327
Beispielsweise gäbe es laut Sacker zwar einzelne Programme, wie zum Beispiel die deutschen Wochen oder die Deutschen Tage, welche vom Auswärtigen Amt in Kooperation mit dem jeweiligen Goethe-Institut organisiert
werden würden, die überwältigende Mehrheit der Programme werde jedoch nach wie vor vom Goethe-Institut bestellt.
4.2.3 Der Interkulturelle Dialog
Ein entscheidender Paradigmenwechsel habe laut Experten jedoch in
Bezug auf die strategische Ausrichtung der Kulturinstitute stattgefunden:
die Arbeit der Goethe-Institute, so Sacker weiter, richte sich heute „nach
den Bedürfnissen vor Ort“ und nicht mehr „nach den Absichten einer Regierung oder eines Außenministeriums.“740 Selbst der Regionalbeauftragte
und somit für die strategische Ausrichtung der Goethe-Institute in Frankreich verantwortliche Leiter des Goethe-Instituts in Paris, Joachim Umlauf,
nimmt in Bezug auf diese weitgehend überkommene „Top Down“ Strategie
des Goethe-Instituts zur konzeptionellen inhaltlichen Ausrichtung eine kritische Haltung ein, wenn er hinterfragt:
„Was taugen denn eigentlich unsere Konzeptionen, die wir (das Goethe-Intitut, G.F.) regional erstellen, was die Vermittlung von Kultur betrifft, in
Hinblick auf die Erwartungen und die Ansprüche in den jeweiligen Ländern? Das ist eine Grundfrage, die sich bei jeder Konzeption stellen muss,
und man muss nun deutlich sagen: jede Konzeption des Goethe-Instituts
hat da gewisse Schwächen, weil sie quasi eben eine sozusagen Top-Down
verordnete Konzeption ist, und nicht wirklich aus eruierten Bedürfnissen
(Hervorhebung von mir, G.F.) vor Ort abgelesen werden kann.“741
Die Tatsache, dass bei der Konzeption der kulturellen Programmarbeit den
Bedürfnissen im Nachbarland nach wie vor zu wenig Rechnung getragen
wird - was ja einer „Bottum-up“ Strategie entsprechen würde – lese sich
nach Umlauf auch am Beispiel des nach wie vor gängigen Rotationsprinzips der Besetzung des Leiters eines Goethe-Instituts ab, demzufolge es ja
im Grunde darum ginge, „immer aus Deutschland frisch erworbenes Kulturwissen nach Frankreich“ zu bringen, was „quasi der alten Idee einer Repräsentationskultur“742 entspräche.
740
741
742
Sacker, Interview, ibid.
Joachim Umlauf, Leiter des GI Paris, Interview vom 26.08.2010 in Paris.
Umlauf, Interview, ibid.
328
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die Überzeugung, dass der Kern der zukünftigen Kulturarbeit noch stärker partnerbezogen sein muss, wird nahezu von allen Akteuren mitgetragen, wenn auch auf unterschiedlichen Bedeutungsebenen. Während für
Dorothee Ulrich, Leiterin des Goethe-Instituts Lille, bei ihrer täglichen Kulturarbeit vor allem der interkulturelle Dialog, „der dialogische Moment“ als
„Essenz“ 743 ihrer Arbeit im Vordergrund steht, verweist Jean-Paul Barbe,
Gründer des Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes darauf, dass vor
allem der Gedanke des interkulturellen Austausches bereits bei der Gründung und Namensgebung des Centre Culturel franco-allemand in Nantes
Pate gestanden hätte und auch zukünftig gestaltendes Element der Kulturarbeit sein wird: „Das vor allem war der Grund, warum wir uns deutschfranzösisch genannt haben, nämlich als Vermittlungsebene für die Kultur in
beide Richtungen.“744 Elisabeth Schraut, Leiterin des Goethe-Instituts in
Nancy, setzt diesen Gedanken gar in den Kontext der Europäischen Integration, indem sie die Hauptaufgabe deutscher auswärtiger Kulturpolitik
darin sieht, „Deutsche Kultur in einem europäischen und internationalen
Kontext nach außen zu kommunizieren und zwar sehr gezielt auf die Partner ausrichtet.“745
Welche Schlüsse müssen aus diesen einzelnen Forderungen der Mittler geschlossen werden? Die Einzigartigkeit der deutsch-französischen Beziehungen und ihre Bedeutung für Europa, das Alleinstellungsmerkmal der
Unabhängigkeit der deutschen Mittler und der intensivierte interkulturelle
Dialog mit dem französischen Nachbarn lassen es gerade vor dem Hintergrund weiterer drohender budgetärer Einschnitte in Westeuropa immer
notweniger erscheinen, dass in Frankreich ein Modell deutscher Kulturinstitute im Rahmen der kulturellen Programmarbeit entworfen werden
muss, welches von allen beteiligten Partnern mitgetragen wird. Dieses Modell muss auf zwei verschiedenen Eben anwendbar sein, nämlich sowohl
auf interinstitutioneller Ebene (die Kooperation zwischen Häusern und
Goethe-Instituten betreffend) als auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene, die
Kooperation mit den französischen Partnern betreffend. Gerade der Bereich der kulturellen Programmarbeit scheint aufgrund der intensiven Vernetzung mit französischen Akteuren dabei besonders prädestiniert zu sein,
neue Konzepte der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu entwickeln.
An dieser Stelle könnte man durchaus aus der Geschichte deutscher Insti-
743
744
Dorothee Ulrich, Leiterin des GI Lille, Interview vom 13.7.2011 in Lille.
Jean Paul Barbe, Gründer des Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes, Interview vom
2.10.2010 in Nantes.
745 Schraut, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
329
tutionen in Frankreich lernen, um Entwicklungen des Auswärtigen Amtes
vorzugreifen: Anders als bei der von den französischen Partnern als „Zäsur“
im Zuge der Einheit wahrgenommenen negativen Tendenz im Zuge der Einheit, wo „in München auf einmal beschlossen wurde, dass im Prinzip die
deutsch-französischen Beziehungen so gut wie ein geregeltes Problem darstellen würden“ und man „nicht mehr unbedingt so viel Kultur zwischen
den beiden Ländern brauchen würde“746, so Vaillant, sollten in Zukunft die
französischen Partner von Beginn an auch in einen strategischen ausgerichteten Dialog integriert werden, um mit den deutschen Mittlern gemeinsam Konzepte und Lösungsansätze zu erarbeiten. Denn: die Häuser
und Goethe-Institute in Frankreich sind seit langem auch zu festen deutschfranzösischen Institutionen geworden. Unter dieser Zielsetzung ist auch die
Auswertung der Experteninterviews erfolgt: Die Gegenüberstellung der Expertenmeinungen zu zentralen Fragen der kulturellen Zusammenarbeit
sollen jeweils zu einem Modell mit konkreten Handlungsempfehlungen
führen, wie ein zukünftiger Austausch zwischen, deutschen Kulturinstituten und der französischen Zivilgesellschaft gestaltet werden könnte.
746
Vaillant, Interview, ibid.
330
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
4.2.4 Das Kulturkonzept der Mittler
Bevor die strategische Ausrichtung und die inhaltliche Programmgestaltung der deutschen Institute in Frankreich erörtert wird, soll zunächst kurz
darauf eingegangen werden, welches Grundverständnis des Kulturbegriffs
bei den Kulturschaffenden vorliegt.
Grosso modo verpflichten sich heute alle befragten Experten der kulturanthropologischen Definition von Kultur, wie es Jean-Paul Barbe in Bezug
auf den Gründungsgedanken der Nanteser Institution treffend definiert:
„Was wir meinten, war eher die kulturanthropologische Definition von
Kultur: die Kultur einer Gruppe ist das Ganze, nicht nur der ästhetischen
Leistungen dieser Gruppe, sondern all der Vorstellungen und Handlungsweisen, die sie von den anderen unterscheidet, das Spezifische. (...) Ungefähr: wie dieses Nachbarvolk denkt und lebt. Die Voraussetzung war
natürlich, dass ich geglaubt habe, es gibt noch tiefgehende, nicht unbedingt sehr sichtbare und spektakuläre Unterschiede in der Art, wie man
mit der Umwelt, mit den Partnern, mit den Mitmenschen umgeht.“747
Ausnahmslos alle Mittler verpflichten sich in diesem Sinne bei der Konzeption von Kulturveranstaltungen, somit diesem erweiterten Kulturbegriff, und distanzieren sich ausdrücklich vom engen Kulturbegriff als
„Gesamtheit der schönen Künste.“748
Der Leiter des Rheinland-Pfalz Hauses in Dijon, Till Meyer, nahm im Jahre
2011 sogar eine Namensänderung seines Instituts vor, indem er das Adjektiv „culturel“ aus dem Namen seines Zentrums strich. Hierzu Meyer:
„Das hängt mit der Praxis des Rheinland-Pfalz Hauses zusammen. Wir führen im Jahr 140 Projekte durch. Ungefähr 25 davon sind kulturelle Projekte und dann gibt’s noch Sprachprojekte. Und dann gibt’s noch
Austausch, Wirtschaftskontakte (...). Dieser Realität wollten wir mit der
Umbenennung gerecht werden. (…) Wir haben einen sehr weiten Kulturbegriff gepflegt, der soziale, gesellschaftliche, politische und manchmal
sogar ökonomische Interessen oder Ausrichtungen mit einbezog.“749
Die Expertenmeinungen stimmen auch in dem Punkt überein, dass das
übergeordnete Ziel kultureller Programmarbeit die Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes ist, „in all seinen kulturellen, aber natürlich auch
747 Jean Paul Barbe, Interview vom 2.10.2010 in Nantes.
748 Jean Paul Barbe, Interview vom 2.10.2010 in Nantes.
749 Till, Meyer, Interview vom 30.10. 2011 in Mainz.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
331
politischen und sozialen Facetten.“750 Die Mittler nannten in diesem Zusammenhang explizit die Themenkreise Alltagskultur751, aktuelle Ereignisse752, geschichtliche Themen753, Kino und Mode754, aber auch
zeitgenössische Kunst755. Von besonderem Interesse ist in diesem Kontext
für uns jedoch die Frage, welches Deutschlandbild durch die kulturelle Programmarbeit heute in Frankreich entworfen werden soll. Im Rahmen des
oben skizzierten Kulturverständnisses ist nach Auffassung der Experten
ein deutsches Kulturzentrum in Frankreich in erster Instanz immer zunächst ein Informationszentrum und – wie Brenner es ausdrückt – „Schaufenster“756 Deutschlands. Gerade die befragten französischen Experten
heben dabei die existentielle Bedeutung der Deutschlandinformation hervor, da sie davon ausgehen, dass in weiten Teilen der französischen Bevölkerung noch immer, ein negatives Deutschlandbild vorherrscht757. Die
Studie ergibt, dass die Deutschlandinformation an erster Stelle steht. So sei
in Nantes laut Marc Chateigner, Präsident des Centre Culturel Frano-Allemand, und Jean-Paul Barbe fast 20 Jahre nach Gründung des dortigen Kulturzentrums noch immer oberste Priorität, durch Kulturveranstaltungen
über das Nachbarland Deutschland aufzuklären:
„Un grand nombre d’enquêtes menées depuis plusieurs années ont montré à quel point l’Allemagne était mal connue, voire mal perçue du public
français. Je pense que notre premier rôle est de trouver des remèdes, des
solutions pour faire que l’Allemagne soit mieux perçue en France.“758
750
751
752
753
754
755
756
757
Umlauf, Interview, ibid.
Stefanie Neubert, Interview, ibid.
Interviews von Rothacker und Vaillant, ibid.
Vaillant , Interview, ibid.
Interviews von Ulrich und Sacker, ibid.
Rothacker, Interview, ibid.
Kurt Brenner, Interview, ibid.
Allein Umlauf verweist in seinem Interview auf die Tatsache, dass sich das negative
Deutschlandbild in Frankreich insbesondere nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 in
Deutschland gewandelt habe: “Es gibt natürlich eine Reihe von Studien, die ja zeigen, dass
Deutschland erstaunlicherweise ein Gutteil des Bildes der Vergangenheit losgeworden
ist, dass es jetzt als modernes, aufgeklärtes sympathisches, freundliches Land gilt. Vielen
war die Weltmeisterschaft 2006 (...) dafür ein leuchtendes Beispiel, für diese Art von
neuer Sympathiewerbung eines lockeren, leichten, schönen LandeS.Berlin als Anziehungspunkt aller möglichen alternativen Künstler usw. Also da hat sich natürlich viel
getan.
758 Marc Chateigner, Präsident des Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes, Interview
vom 2.10.2011 in Nantes. Dazu auch Barbe: „Manchmal hat man den Eindruck, dass man
einfach umsonst gearbeitet hat, wenn man sieht, wie groß die Vorurteile sind (...). Nach
wie vor informiert auch die große Regionalpresse (Ouest France, G.F.) praktisch nicht
über das Nachbarland. Das ist genau wie vor 20 Jahren. Über das Regionalfernsehen läuft
nichts.“ Barbe, Interview, ibid.
332
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auch Vaillant gesteht ein, bei der Mitgestaltung des Programms des GoetheInstituts in Lille immer wieder einen „roten Faden“ verfolgt zu haben, nämlich „bestimmte Korrekturen an einem noch vorhandenem negativen
Deutschlandbild anzubringen.“759
Auch Stefanie Neubert, Leiterin des Goethe-Instituts in Toulouse, attestiert,
dass das in Frankreich vorherrschende Deutschlandbild „zwar nicht negativ, aber immer noch zu einseitig sei“760 und leitet daraus die Forderung ab,
dass durch die kulturelle Programmarbeit vor allem die „Lust“ und „Motivation“761 zu schaffen sei, sich eindringlicher mit Deutschland zu befassen.
Ein gestaltendes Element der Kulturveranstaltungen, das in Frankreich
scheinbar nach Ansicht einiger Experten noch weit verbreitete, stereotype
und oftmals noch negative Deutschlandbild zu verbessern, scheint daher
das Bekämpfen von kulturellen Typisierungen762 und Stereotypen763 zu
sein. Stellvertretend sei an dieser Stelle Barbe zitiert, welcher nach 20 Jahren kultureller Programmarbeit in Nantes eine ernüchternde Bilanz in
Bezug auf diese Stereotypenbildung zieht, wenn er sagt: „Manchmal hat
man den Eindruck, dass man einfach umsonst gearbeitet hat, wenn man
sieht, wie groß die Vorurteile sind.“764 Die Interviews zeigen in dieser Beziehung, dass die Mittler großen Wert darauf legen, Deutschland als innovatives, originelles, kreatives, vor allem aber auch sozial engagiertes
Nachbarland zu präsentieren. Da zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es um
die Positionierung der einzelnen Institute geht, noch intensiver auf den Aspekt der Imagewerbung durch Kulturveranstaltungen eingegangen wird,
seien an dieser Stelle nur einige wenige Beispiele angeführt, wie die Mittler diesen Typisierungen und Stereotypenbildungen bisher entgegengetreten sind. So stellt beispielsweise für Ulrich Sacker in Lyon u.a. deutsche
Mode jenen großen Teil deutscher Kultur dar, der im Nachbarland kaum
wahrgenommen werde. Auch wenn seiner Meinung nach die Deutschen
„noch (...) Probleme mit Mode“ haben „weil das nicht zur Gesprächskultur
der Deutschen per se gehört“765, greift er insbesondere diesen Aspekt vor759
760
761
762
Vaillant, Interview, ibid.
Stefanie Neubert, Leiterin des GI-Toulouse, Interview vom 11.05.2011.
Stefanie Neubert, Interview, ibid.
Hierzu Lüsebrink: „Kulturelle Typisierungen anderer Völker und Kulturen reduzieren in
ähnlicher Weise soziale Vorstellungsweisen auf ein häufig sehr begrenztes, stereotypes
Ensemble von Merkmalen.“ In: Hans-Jürgen Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation,
2008, ibid. S.88.
763 Hierzu Lüsebrink: „Häufig äußern sich Stereotypen in formelhaften Wendungen und Gemeinplätzen.“
In: Hans-Jürgen Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, 2008, ibid. S.88.
764 Barbe, Interview, ibid.
765 Sacker, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
333
rangig als Programmpunkt auf. Auch sein für 2013, anlässlich der 50-jährigen Feierlichkeiten zum Elyséevertrag geplantes Projekt, in Lyon eine erste
Universität für Kulinarik Europas zu gründen, bei der u. a. kulinarische Institute aus Deutschland und Italien Pate stehen sollen, zielt darauf ab, das
in Frankreich verbreitete Deutschlandbild zu aktualisieren, „weil es doch
immer noch sehr viele Franzosen gibt, die glauben, dass wir von Wurst und
Bier leben.“766 Auch Neubert will ihr Zielpublikum durch ihre Themenwahl
davon überzeugen, dass das aktuelle Deutschland nicht nur „das Land ist,
in dem effizient gearbeitet wird und wo es eine starke Wirtschaft gibt, sondern in dem sehr viele originelle Dinge sich abspielen“767 und denkt dabei
an zukunftweisende Bereiche wie Deutschlands Engagement für „Solarenergie und Elektroautos.“768 Eine weitere Konstante, um das Deutschlandbild der Franzosen zu korrigieren, äußert sich beispielsweise in dem
Bestreben der Mittler, im Ausland auch Kulturförderung junger deutscher
Künstler zu betreiben, was zugleich auch ein soziales Ziel verfolgt. Diese
soziale und innovative Komponente hat sich unter anderem der Leiter der
Maison de Provence, Joachim Rothacker zum Ziel gesetzt:
„Unsere Aufgabe ist es auch, die weniger bekannten Schriftsteller, Musiker
und Tänzer (...) in Frankreich bekannt zu machen. Nicht nur die Elite. Nicht
nur Günter Grass, ich meine, Günter Grass ist natürlich prima, aber ich
gehe davon aus, dass Günter Grass uns nicht mehr braucht.“769
Neben einer nach Aktualität und Innovation ausgerichteten Kulturarbeit
ist das Streben nach kultureller Vielfalt ein weiterer erkennbarer Schwerpunkt in der Strategie der Mittler, für Deutschland zu werben. Vor allem
Vaillant spricht sich in seinem Interview deutlich für ein Fortbestehen der
kulturellen Vielfalt in der Programmarbeit aus, indem er nachdrücklich für
ein Bild Deutschlands wirbt, welches Rücksicht auf die „regionalen Befindlichkeiten nimmt“:
Ich glaube, dass auch Auswärtige Kulturpolitik von der Vielfalt lebt. In dem
Augenblick, wo man versucht, ein einheitliches Bild Deutschlands im Ausland zu liefern besteht die Gefahr, dass man eben doch zurück zu einer
Art Propaganda kommt, das bestimmt wird von einem bestimmten
766
767
768
769
Sacker, Interview, ibid.
Neubert, Interview, ibid.
Neubert, Interview, ibid.
Rothacker, Interview, ibid.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
334
Schema im Auswärtigen Amt. Ich finde es viel schöner, wenn die jeweiligen Kulturinstitute zwar im Rahmen einer allgemeinen Orientierung (..)
frei sind, ihre Programme zu gestalten, mit Rücksicht auf eben die regionalen Wünsche.770
Kulturelle Vielfalt bedeutet für die Mittler in zweiter Instanz auch, dem föderativen System der Bundesrepublik Rechnung zu tragen, indem man versucht, dem französischen Zielpublikum die Andersartigkeit der einzelnen
Regionalkulturen näherzubringen. In diesem Sinne, so berichtet beispielsweise Barbe771, hatte sich das Deutsch-Französische Kulturzentrum in
Nantes bereits in den Anfangsjahren nach seiner Gründung zum Ziel gesetzt, jedes Jahr eines der neuen Bundesländer im Rahmen seines Kulturprogramms vorzustellen. In besonderem Maße widmen die Maison de
Bourgogne in Dijon, die Maison de Tübingen in Aix-en-Provence und die
Maison de Heidelberg in Montpellier daher einen Großteil ihres Kulturprogramms Themen zur Partnerregion, bzw. der Partnerstadt. Kulturelle
Vielfalt bedeutet für die Kulturschaffenden in dritter Instanz und in zunehmendem Maße jedoch auch, ein multikulturelles Deutschland in Frankreich zu präsentieren. So will Neubert mit ihrem Kulturprogramm im
Goethe-Institut Toulouse unter anderem aufzeigen, dass es in Deutschland
viele „Regionalkulturen“ gibt.772 Für sie stand bereits einen Monat nach
ihrem Amtsantritt als Verantwortliche des Goethe-Instituts in Toulouse im
Jahre 2010 fest, dass sie im Rahmen ihrer kulturellen Programmarbeit Fragen nach der multikulturellen Identität des aktuellen Deutschlands wie zum
Beispiel: „Wer ist „wir“, wer gehört dazu?“773 besondere Aufmerksamkeit
schenken würde.
Auch Ulrich Sacker verpflichet sich diesem Credo: er will in Lyon nicht nur
Deutsche Kultur, sondern Kultur aus Deutschland im Ausland vermitteln.
Darin sieht er übrigens ein Alleinstellungsmerkmal deutscher auswärtiger
Kulturpolitik im europäischen Kontext: Im Gegensatz zu den französischen
Instituts Français etwa, welche ausschließlich Franzosen als Künstler oder
Gastredner oder Künstler französischer Nationalität für ihre Veranstaltungen gewinnen dürfen, seien die Leiter der Goethe-Institute bei der Auswahl
ihrer Gäste nicht an deren deutsche Nationalität gebunden:
770
771
772
773
Vaillant, Interview, ibid.
Barbe, Interview, ibid.
Neubert, Interview, ibid.
Neubert, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
335
„Wir zeigen nicht Deutsche Kultur sondern Kultur aus Deutschland, das ist
ein ganz wichtiger Unterschied. Wir haben jetzt Fatih Akin hier diese
Woche (...), zum Filmfestival und den können wir als Deutschen genau so
behandeln, wie jemanden, der schon seit ewigen Zeiten in Deutschland
lebt und Deutscher ist. Tony Craig zum Beispiel ist Engländer, aber Leiter
der Akademie in Düsseldorf und den könnte ich ohne Probleme einladen,
was andere, zum Beispiel die Institut Français nicht machen können. Die
können nur Franzosen einladen als Referenten oder als Künstler, während wir jedermann aus Deutschland einladen können, der in Deutschland arbeitet und zur Kultur in Deutschland beiträgt.“774
Groso modo muss als Ergebnis der Interviews festgehalten werden, dass
sich die Mittler in Bezug auf das zu vermittelnde Deutschlandbild immer
mehr der Tendenz zu verpflichten scheinen, durch die kulturelle Programmarbeit „Sympathiewerbung“ und „Branding“ für die „Marke Deutschland“775 zu betreiben, wie Umlauf es treffend auf den Punkt bringt. Auch
wenn alle Beteiligten, wie im ersten Kapitel der Auswertung der Experteninterviews deutlich geworden ist, ihre Unabhängigkeit betonen, ist doch
nicht von der Hand zu weisen, dass bei einzelnen Kulturveranstaltungen
die deutschen Mittler zusehends Gefahr laufen, zum verlängerten Arm des
Auswärtigen Amtes zu werden. Vaillant würde eine derartige Entwicklung
in der deutschen auswärtigen Kulturpolitik für folgenreich halten:
„Ich glaube es wäre fatal, wenn der DAAD, das Goethe-Institut, die Botschaft, (...) und deutsch- französische Häuser zusammen, gemeinsam an
einem einzigen Strang ziehen, um ein bestimmtes Deutschlandbild zu produzieren. Das kann nur das Wunschbild von Kulturbeamten sein und nicht
von (...) Kulturakteuren.“776
Umlauf geht in seiner Gesamtbeurteilung der Tendenzen der letzten Jahre
in dieselbe Richtung, wenn er mutmaßt:
„Im Moment gibt es eine Tendenz des Auswärtigen Amtes, dem Goethe-Institut zweckgebundene Mittel zur Verfügung zu stellen. Nicht nur dem
Goethe-Institut, beim DAAD ist das genauso.
774
775
776
Sacker, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Vaillant, Interview, ibid.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
336
Für die Durchführung bestimmter Programme. Das lässt dem Goethe-Institut zwar noch die Freiheit innerhalb dieser Programme, beschränkt es
aber insgesamt. Das Auswärtige Amt hat die Tendenz, selber aktiver in
der Kulturpolitik zu sein. Das äußert sich auch daran, dass überall das
Logo erscheinen muss, usw. Das ist aber eine allgemeine Entwicklung, die
man jetzt noch nicht so richtig einschätzen kann. Dies liegt bestimmt auch
an dem Zusammenschluss der Abteilungen Kommunikation und Medien
mit der Auswärtigen Kulturpolitik und natürlich an einer allgemeinen
Tendenz zum Eventcharakter unserer Gesellschaft. Das führt dazu, dass
man uns immer stärker unter Druck setzt, auch selber Events zu organisieren, also große, öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen (…)“777
Treffen die Mutmaßungen von Umlauf zu, ist in den kommenden Jahren
damit zu rechnen, dass man seitens des Auswärtigen Amtes zusehends
Großveranstaltungen mit Eventcharakter fördern wird, bei denen das Auswärtige Amt als Mitorganisator wirken und auftreten wird. Dies hätte zum
einen zur Folge, dass die Mittlerorganisation einen Teil ihrer Unabhängigkeit verlieren würden. Zum anderen muss man befürchten, dass diese meist
einmaligen Großveranstaltungen zu Lasten der kulturellen Nachhaltigkeit
von Kulturarbeit gehen würden. Beide Tendenzen könnten dazu führen,
dass langfristig die Kulturveranstaltungen deutscher Kulturinstitute an
Qualität verlieren.
777
Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
337
4.2.5 Die Kooperation zwischen Häusern und Goethe-Instituten
Seit dem Haushaltsjahr 2008 greift eine Veränderungsmaßnahme des Auswärtigen Amtes, nach welcher die finanzielle Verwaltung der Zuschüsse
für die Kulturgesellschaften778 und Kulturhäuser weltweit, so auch in
Frankreich, dem Goethe-Institut übertragen wurde. Diese bedeutsame Veränderung der Subventionsmodalitäten wirkt sich auch auf die institutionelle Förderung der Häuser aus, denn im Zuge dieser Maßnahme stellte
man seitens des Goethe-Instituts die teilinstitutionelle Unterstützung der
Häuser (d.h. etwa die Finanzierung von Personal oder anderen Festkosten)
ein, zugunsten einer reinen Projektunterstützung, jedoch mit der Zugabe,
dass man seitdem die Personal -und Verwaltungskosten in jedes Programm
einrechnen kann. Diese grundlegende Veränderung beeinflusst auch nachhaltig die Konzeption von Kulturveranstaltungen. Der damalige Präsident
der Föderation deutsch-französischer Häuser, Brenner, stellt rückblickend
fest:
„Das ist die Umstellung, die uns fast auch aus der Kurve geworfen hätte,
denn wir mussten innerhalb von kurzer Zeit umstellen von einer institutionellen, teilinstitutionellen Unterstützung vom Auswärtigen Amt auf
reine Projektunterstützung.“779
Dem Leiter des Pariser Goethe-Instituts, Joachim Umlauf, kommt seit seinem Amtsantritt im Jahre 2010 als Regionalleiter u.a. für Frankreich auch
die Mitverantwortung der Gestaltung der Kooperation der Goethe-Institute und der deutsch-französischen Häuser zu. Auch er erinnert sich daran,
dass die Umsetzung der vom Auswärtigen Amt vorgegebenen, administrativen Veränderungen, anfangs „nicht ohne Polemik, Widerwehr und Befürchtungen“780 ablief, stellt aber heute fest, dass sich die neue
Kooperationsstruktur „ganz gut“781 bewiesen hätte. Umlauf ist es in Bezug
auf seine Koordinationsaufgabe wichtig, darauf hinzuweisen, dass es ihm
keinesfalls um die Uniformisierung oder Vereinheitlichung deutscher Kulturarbeit in Frankreich geht:
778
Neben den zur Föderation deutsch-französischer Häuser gehörenden Kulturgesellschaften werden heute folgende weitere Institutionen in Frankreich vom Auswärtigen Amt
über das Goethe-Institut verwaltet und gefördert: die Association Franco-Allemande Avignon, die Association Caennaise pour la connaissance de l’Allemagne, die Les Amis du Roi
des Aulnes, das Centre Franco-Allemand Rennes und das Centre Franco-Allemand de
Touraine.
779 Kurt Brenner, Interview, ibid.
780 Joachim Umlauf, Interview, ibid.
781 Joachim Umlauf, Interview, ibid.
338
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
„Ich glaube an das Subsidiaritätsprinzip782 oder an die Dezentralisierung,
an die Delegation, wie es im Jargon der Auswärtigen Kulturpolitik heißt.
Das heißt: Jeder kann im Endeffekt machen, was er will, jeder kann seine
eigene Konzeption und Strategie vor Ort angemessen, je nach Größe und
Ausrichtung des Hauses, haben. Das soll jeder selber machen, es sollte
aber bestimmte Punkte geben, wo man gemeinsam an einem Strang
zieht.“783
Bei dieser scheinbar unverbindlichen Konzeption Umlaufs ohne hierarchische Ansprüche stellt sich die Frage, welche Bilanz die Mittler rückblickend in Bezug auf die bisher geleistet Kooperationsarbeit zwischen
deutsch-französischen Häusern und Goethe-Instituten ziehen und in welchen „bestimmten Punkten“ und mit welchem Ziel man bisher „gemeinsam
an einem Strang“ gezogen hat?
Um es vorweg zu nehmen: sowohl die Verantwortlichen der Häuser als
auch die Leiter der Goethe-Institute sehen in einer intensiveren Kooperation zwischen ihren Instituten ein wichtiges Potential zur Gestaltung künftiger Kulturarbeit in Frankreich. Stellvertretend sei an dieser Stelle Ulrich
Sacker zitiert:
„Die Kooperation ist jetzt (seit der Übernahme der administrativen Aufsicht des Goethe-Instituts über die Häuser, G.F.), viel enger, weil wir uns
natürlich früher nicht um diese Kulturgesellschaften gekümmert haben
und jetzt informieren wir uns gegenseitig und es ist ein Potential, das sich
gegenseitig stützt.“784
Zutreffend ist, dass die Bilanz bezüglich der bisherigen Zusammenarbeit
aus Sicht der Leiter der Goethe-Institute im Sinne Sackers zwar als „ausbaufähig“, jedoch insgesamt durchgehend positiv bewertet wird, während
die Stellungnahmen der Verantwortlichen der Häuser deutlich (selbst-) kritischer ausfallen. So konstatiert Chateigner auf der einen Seite, „cela (La
coopération, G.F) n’a pas beaucoup évolué depuis plusieurs années, il y a
fort peu de projets nouveaux,“785 und Brenner bekennt, dass „es bedauer782
Nach diesem Prinzip sollen auch in Zukunft die Aufgaben im kulturellen Sektor soweit
wie möglich von den von der Struktur her kleineren Häusern selbständig übernommen
werden und lediglich dann interveniert werden, wenn größere, übergeordnete Ziele besser auf einer gemeinsamen Ebene erreicht werden können.
783 Umlauf, Interview, ibid.
784 Sacker, Interview, ibid.
785 Chateigner, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
339
licherweise zu wenig größere Kooperationsprojekte gibt.“786 Einen Grund
sieht Chateigner in der Tatsache begründet, dass den Leitern der Institute
nur ein sehr geringes Zeitfenster für die Erarbeitung gemeinsamer Konzepte zur Verfügung steht787, was auch der heutige Präsident der Föderation deutsch-französischer Häuser, Till Meyer, in seinem Interview
bedauernd feststellt:
„Kooperation kostet Zeit und Energie (...) und Geld. Was ich aber für viel
wichtiger halte, ist die Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort. Insofern
würde ich die Zusammenarbeit mit Goethe-Instituten und mit den Häusern der Föderation immer für eine nachgeordnete Geschichte halten, die
vielleicht ein qualitatives Plus bringen kann, aber ich würde immer, wenn
ich die Wahl hätte, dem Partner in Dijon den Vorrang geben, dann (an
zweiter Stelle, G.F. ) die Kooperation mit Rheinland-Pfalz. Und dann muss
die Kooperation auch so funktionieren, dass man deutlich sieht: da ist ein
Mehrwert.“ 788
Die Verantwortlichen der Deutsch-Französischen Häuser sind sich im Klaren, dass durch die Veränderung der Subventionsmodalitäten seitens des
Auswärtigen Amts der Druck auf die Häuser und somit der Notwendigkeit
zu einer optimierten Kooperation - insbesondere mit den Goethe-Instituten - zugenommen hat. Rothacker fasst die Lage der Häuser und somit die
Verantwortung der Leiter wie folgt zusammen: „Wir sind ja praktisch zum
Erfolg verdammt.“789
Es stellt sich daher die Frage, welche Erwartungshaltung die einzelnen
Mittler in Bezug auf eine zukünftige Kooperation im Bereich der kulturellen Programmarbeit haben, welche Synergieeffekte sie erhoffen und welchen Herausforderungen sie sich in Zukunft stellen wollen. Zu diesem
Zweck sind die Kulturschaffenden im Rahmen des Interviews zunächst aufgefordert worden, zu erläutern, was sie im Kontext ihrer täglichen Kulturarbeit unter dem Begriff der Kooperation im Bereich der kulturellen
Programmarbeit verstehen und was sie zur Zusammenarbeit motiviert.
786
787
Brenner, Interview, ibid.
Chateigner unterstreicht in seinem Interview „le manque de temps et d’investissement
personnel des différents directeurs responsables de la fédération.“ Chateigner, Interview,
ibid.
788 Till Meyer, Interview, ibid.
789 Rothacker, Interview, ibid.
340
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auf die Frage, bei welchen konkreten Projekten im Bereich der kulturellen
Zusammenarbeit es bisher zu einer Kooperation zwischen den Goethe-Instituten und den deutsch-französischen Häusern gekommen sei, nannten
die Mittler (hier in der Häufigkeit der Nennungen der Reihe nach geordnet) folgende Kooperationsprojekte:
1. Das Projekt DeutschMobil790
2. Die Organisation von Lesereisen (zuletzt mit Christoph Hein)791
3. Das Festival des jungen Deutschen Films792
4. Das Mittelmeer „Villes à venir“793
5. Das Projek „Mettez-vous en résEAU, das Wasserprojekt 2011“794
6. Wanderausstellungen (z.B. die Geschichte des deutschen Kabaretts)795
Befragt man die einzelnen Mittler, welche konkreten Vorteile aus den gemeinsamen Kooperationsprojekten erzielt werden konnten, lassen sich die
Antworten in zwei Rubriken unterteilen, welche den bereits erwähnten
zwei Grundprinzipien von Kooperation entsprechen, nämlich die der additiven Kooperation, womit Kooperationsprozesse gemeint sind, die akkumulierende Effekte auf das gemeinsame Projekt haben und auf der anderen
Seite die synergetische Kooperation, durch welche ein neues Kulturprojekt
geschaffen wird.
Kulturveranstaltungen mit dem Effekt der additiven Kooperation
In den vergangenen Jahren kam es besonders im Bereich gemeinsam organisierter Lesereisen deutschsprachiger Schriftsteller zu einer Kooperation zwischen den Häusern und den Goethe-Instituten, wie beispielsweise
die Tournee des 1944 in Schlesien geborenen Schriftstellers Christoph Hein
im Jahre 2010. Diese Lesereisen werden seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit der von Nicole Bary in Paris geleiteten Association Les Amis du
Roi des Aulnes796, welche sich seit nunmehr fast 30 Jahren für die Verbrei-
790
791
792
793
794
795
796
Explizite Nennung in den Interviews von Brenner, Meyer, Umlauf, Rothacker und Ulrich.
Explizite Nennung in den Interviews von Umlauf, Rhein, Rothacker.
Explizite Nennung in den Interviews von Rhein und Ulrich.
Explizite Nennung in den Interviews von Schraut, Ulrich, Umlauf und Rothacker.
Explizite Nennung in den Interviews von Rhein und Umlauf.
Explizite Nennung in den Interviews von Meyer und Sacker.
Nicole Bary: „Dans l’Europe élargie, langues et littératures sont les dépositaires de nos
histoires et de nos mémoires. Elles sont notre patrimoine commun. Leur connaissance, les
rencontres avec leurs auteurs et les échanges entre écrivains ainsi que la traduction de
leurs œuvres contribuent à dissiper les malentendus et à briser les tabous. Elles ouvrent
le dialogue pour une meilleure compréhension mutuelle de notre rapport au monde.“ In:
www.leroidesaulnes.org/fr/asso.html, Zugriff am 26.10.2011.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
341
tung und Übersetzung deutscher und europäischer Literatur in Frankreich
einsetzt, organisiert. Die Auswahl des deutschen Schriftstellers trifft dabei
die Association, in einem zweiten Schritt werden dann Lesungen an allen interessierten, deutschen Kulturinstituten organisiert, welche in der Regel
auch mit Unterstützung des jeweiligen französischen Übersetzers stattfinden. Bei dieser Art von Kooperation profitieren die deutschen Kulturhäuser von der Expertise der Pariser Association.
Die Mittler nennen jedoch an erster Stelle finanziellen Nutzen von Kooperationen.
So führt Rhein stellvertretend für seine Kollegen zum Beispiel das Argument an: „Man kann bei Dichterlesungen das Honorar besser verhandeln
und die Reisekosten minimieren.“797
Als zweites vorrangiges Ziel gemeinsamer Kooperation wird von vielen Akteuren die größere Sichtbarkeit der Kulturveranstaltungen im Sinne einer
gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit genannt. Zu diesem Zweck hat sich Umlauf beispielsweise seit dem Jahr 2011 als Regionalleiter daher zum Ziel
gesetzt, das Réseau Culturel Allemand in Frankreich unter einem gemeinsamen Logo zusammenzufassen, um so eine größere, frankreichweite
Sichtbarkeit deutsch-französischer Kulturinstitute zu erreichen, um so „als
eine gewisse Einheit gebendes Netz“798 aufzutreten. Hier sei man, so Umlauf, jedoch erst am Anfang eines gemeinsamen Konzeptes. Beispielsweise
werden die oben angesprochenen Lesereisen deutscher Schriftsteller
immer noch ausschließlich durch institutsinterne Werbeträger beworben,
sodass es für Außenstehende kaum sichtbar wird, dass es sich um eine
frankreichweite Veranstaltung deutscher Kulturinstitute handelt. Umlauf
ist sich in Bezug auf ein gemeinsames Auftreten des „Netzwerkes deutscher
Kulturinstitutionen“ im Sinne einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit jedoch auch bewusst, dass man mit der Darstellung der Dichte deutscher Kulturveranstaltungen und Kulturinstitute in Frankreich nach außen durchaus
„auch vorsichtig“799 sein muss: „Das birgt eine Gefahr“, denn man könne
seitens des Goethe-Instituts oder des Auswärtigen Amtes zu dem Schluss
kommen, „denen können wir ja ruhig etwas wegnehmen“ oder : „wenn
etwas geschlossen wird, ist es auch nicht schlimm.“800
Als drittes Kooperationsziel kann die Verbesserung der „internen“ Kommunikation zwischen Häusern und Goethe-Instituten angesehen werden.
797
798
799
800
Rhein, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
342
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Zu diesem Zweck finden die sogenannten regionalen Arbeitsbesprechungen (RAB) statt, zu welchen die Leiter der Goethe-Institute und der Häuser
zweimal im Jahr im Goethe-Institut Paris zusammenkommen. Diese verbindlichen bi-annuellen Arbeitstreffen sind durch ihre Regelmäßigkeit verpflichtendes und bindendes Element der Kooperation zwischen den
Mittlern geworden. Ziel dieser Sitzungen ist unter anderem der „Austausch
von Best-Practice Erfahrungen“801 im Bereich der kulturellen Programmarbeit. Auch Fragen, welche Maßnahmen einzelne Projekte nachhaltig im
kulturellen Angebot des Netzwerkes verankert werden können, werden
hier diskutiert. Für den erfahrenen Gründungsvater des Heidelberg-Hauses, Brenner, ist der Gedanke des Informationsaustauschs Grundlage jeder
Kooperation. Für ihn bedeutet das konkret, dass „man z.B. eigene gute oder
vielleicht weniger gute Erfahrungen, die man am Platz gemacht hat, [dem]
benachbartem Partner weitergibt.“802 Brenner spricht in dieser Beziehung
von einer Zweibahnstraße, denn er erwartet im Gegenzug auch von seinen
Partnern, dass auch sie Hinweise auf eine „glänzend verlaufende Veranstaltung, mit einem glänzendem Redner“803 an ihn weitergeben.
Nicht immer scheint der Informationsaustausch und somit die Kommunikation zwischen den Verantwortlichen dem Prinzip des Gebens und Nehmens verpflichtet zu sein, zumindest könnte man die Aussage von Ulrich,
seit vielen Jahren die Verantwortliche für die inhaltliche Konzeption deutscher Filmfestivals in Frankreich und große Spezialistin des deutschen
Films, in dieser Hinsicht interpretieren:
„Unsere Beziehung zu den deutsch-französischen Häusern beschränkt sich
eigentlich auf die Belieferung und Zulieferung von Filmen. Heute ist es eigentlich eher so, (...) dass die Häuser ja auch sehr selbstständig ihre Filmarbeit verfolgen und relativ genau wissen, was sie wollen und dann
schauen, ob sie das bei uns im Katalog finden. Kooperation, insofern:
durch die Bereitstellung von dem Filmmaterial, wobei man Kooperation
auch intensiver verstehen kann.“804
801
802
803
Neubert, Interview, ibid.
Brenner, Interview, ibid.
Brenner dazu an gleicher Stelle weiter: Da fühle ich mich verpflichtet, dass ich dann meine
Umgebung und interessierte Partner darauf aufmerksam mache. (...) Und so erwarte ich
ja eigentlich auch von den Partnern, dass diese Hinweise auch zu mir kommen. (....) Das
kann ein Goethe-Institut sein, das kann der DAAD sein, das können Universitäten sein.
Und es sind auch die Mitglieder von der Föderation.
804 Ulrich, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
343
Ulrich führt an gleicher Stelle jedoch an, dass die Tatsache, dass sich im
Umfeld von Lille kein deutsch-französisches Haus befände, die Kooperation mit den Häusern durchaus erschwere.
Im Prinzip sind sich jedoch in puncto Intensität des Informationsaustausches zwischen den einzelnen Institutionen alle Verantwortlichen einig:
Mehr Erfahrungsaustausch, mehr gemeinsame Treffen wären „natürlich
besser“805, allerdings sei dies aus „zeitlichen“806 und „finanziellen“807
Gründen wohl kaum machbar.
Rückblickend auf seine in Holland gewonnenen Erfahrungen wirft Umlauf
in diesem Zusammenhang zumindest die Frage auf, ob der Wille zu einer
partnerschaftlichen, kooperativen Zusammenarbeit nicht auch eine interkulturelle Frage sei. So bereichtet er: „In Amsterdam, waren wir zehn Kulturinstitute. Wir haben uns einmal im Monat getroffen, und daraus sind
natürlich aus dem direkten Kontakt (...) jede Menge Projekte entstanden.“808 Als oberste Priorität der Kooperation zwischen Häusern und Goethe-Instituten nannte die große Mehrheit der Mittler jedoch die
Erweiterung des institutionellen Netzwerkes. Für Rhein, den Leiter des Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes, ist es eine verhältnismäßig neue
Tendenz, dass sich beide Institutsformen in dieser Hinsicht quasi auf Augenhöhe begegnen: „Es gibt beim Goethe-Institut eine Tendenz, die
deutsch-französischen Häuser auch mehr einzubeziehen und zunehmend
auf diese Netzwerkbildung zu setzen.“809 Dieser Aspekt, so auch Brenner,
sei besonders beim gemeinsamen Projekt DeutschMobil von großer Bedeutung, welches mittlerweile zum „vernetztesten Projekt zwischen
Deutschland und Frankreich“810 avanciert sei. Die Verantwortlichen sind
sich in dieser Beziehung einig, dass in der Verbindung der teilweise sehr
unterschiedlichen Netzwerke der Häuser auf der einen und der GoetheInstitute auf der anderen Seite, durchaus eine „win-win“ Situation vorliegt.
So ist Rothacker fest davon überzeugt, dass beispielsweise sein europäisch
ausgerichtetes Projekt „Villes à venir“, welches die Zukunft und Stadtentwicklung der vier Hafenstädte Marseille - Kulturhauptstadt im Jahre 2013
- Istanbul, Tanger und Hamburg thematisiert, ohne das Netzwerk der Goethe-Institute „gar nicht zu leisten“ wäre. Auf der anderen Seite ist er sich
805
806
807
808
809
Sacker, Interview,ibid.
Meyer, Interview, ibid.
Sacker, Interview,ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Jan Rhein, Leiter des Centre Culturel Franco-Allemand de Nantes, Interview vom
2.10.2010 in Nantes.
810 Brenner, Interview, ibid.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
344
aber auch sicher, dass die Goethe-Institute, welche seiner Meinung nach in
Frankreich nach wie vor als „deutsche Kulturinstitute im Ausland“ wahrgenommen werden, dank der Zusammenarbeit mit den deutsch-französischen Häusern „auch an ganz andere Partner herankommen.“ Für Kuntz,
als verantwortliche Akteurin des DFJW und somit einer der wichtigsten externen Partnerinstitutionen der Häuser und der Goethe-Institute , ist die
Netzwerkbildung im Sinne der Idee eines „Deutschen Hauses“ in Frankreich - zu welchem für sie die Gesamtheit aller deutsch-französischen Mittler in Frankreich zu zählen wäre - besonders in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten geradezu von existentieller Bedeutung:
„In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, aber nicht nur dann, sondern überhaupt, macht es schon Sinn, (...) dass wir uns (...) in dem Netzwerk zusammenzusetzen und schauen: wo können wir etwas gemeinsam tun, wo
gibt es Synergien, wer hat welche Schwerpunkte, was kann man daraus
machen? Das wäre das, was ich unter dem Deutschen Haus verstehen
würde: das Angebot, das es in Frankreich gibt, um etwas über deutsche
Sprache und Kultur zu vermitteln. Innerhalb dieses deutschen Hauses sind
die Rollen ja ganz unterschiedlich, (...) wo sich jeder auf seine Weise und
auf Augenhöhe einbringen kann.“811
Als Verantwortlicher des Goethe-Instituts in Paris, „wohlmöglich der Stadt
mit den meisten ausländischen Kulturinstituten weltweit“812, ist sich Umlauf sicher, dass die Kooperationsfrequenz, „besonders in Hinsicht auf europäische Kulturinstitute“813, verstärkt werden muss, was gerade vor dem
Hintergrund der übermächtigen Konkurrenz zum wichtigen Alleinstellungsmerkmal des Netzwerkes deutscher Kulturinstitute in Frankreich
werden kann.
Synergetische Form der Kooperation
Nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl der von den Mittlern genannten
Projekte lässt sich hingegen der synergetischen Form der Kooperation zuordnen. Dies ist besonders vor dem Hintergrund erstaunlich, dass unter
den befragten Kulturschaffenden ein jeder davon überzeugt ist, dass gerade diese Form der Kooperation weiter entwickelt werden muss. Chateigner merkte in dieser Frage kritisch an, dass die Kooperation mit den
811
812
813
Kuntz, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
345
Häusern und Goethe-Instituten kaum zu Synergieeffekten führe: „Je ne constate pas vraiment de synergie entre nos actions. C’est plus une juxtaposition d’actions. Il n’y a pas de synergie.“814 Im Gegensatz zur additiven Form
der Kooperation hat die synergetische Form der Kooperation die gemeinsame Entwicklung eines Kulturprojektes zum Ziel. Die Einzelaktivitäten
eines jeden Instituts sollten dabei verbindlich mit den anderen abgestimmt
werden, was mitunter auch eine Einschränkung der Handlungsautonomie
der Leiter zur Folge haben könnte.
Diese Form der Kooperation hält vor allem für Ulrich, Leiterin des Instituts
in Lille, für erstrebenswert:
Die optimale Kooperationsform ist für mich, dass man sich von Anfang an
(zusammensetzt, G.F.). Man hat eine Idee und holt sich den Partner dazu,
von dem man glaubt, dass er sich dafür interessieren könnte. Und bevor
man dann ein fertiges Konzept (vorlegt, G.F.), dieses Konzept gemeinsam
entwickelt wird. Dass man nicht mit einem fertig geschnürten Paket
kommt.“815
Im Rahmen der kulturellen Programmarbeit versteht Ulrich unter einer synergetischen Kooperation eine Zusammenarbeit der Partner in allen Projektphasen, von der Konzeption über die Durchführung bis hin zur
Auswertung. Für Stefanie Neubert wirkt sich diese Art der Kooperation besonders auf die Nachhaltigkeit von Kultveranstaltungen, „bei Initiativen,
die einen längeren Atem haben und müssen“816, aus. Ein weiteres wichtiges Moment dieser Art von Kooperation ist dabei das gemeinsame Brainstorming der Partner während des genauen Themenfindungsprozesses.
Ulrich beschreibt diesen bei der synergetischen Form der Kooperation anhand eines Beispiels folgendermaßen:
„In Lille gibt es einen großen Plan der Offenlegung ehemaliger Kanäle in
der Altstadt und wir wissen, dass die Stadt Lille (..) sehr intensiv Konzepte
entwickelt, die jetzt auch konkret werden. Und insofern kam unsere Vorschlag: wir möchten gern etwas machen zum Thema Wasser.“ 817
814
815
816
817
Chateigner, Interview, ibid.
Ulrich, Interview, ibid.
Neubert, Interview, ibid.
Ulrich, Interview, ibid.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
346
Rhein denkt in dieser Hinsicht gar noch weiter, indem er feststellt, dass
auch immer mehr die „gemeinsame Kommunikation (der deutsch-französischen Häuser und Goethe-Institute, G.F.) in den Vordergrund rücke“818
und die Häuser und die Goethe-Institute die Möglichkeit hätten, durch eine
Zusammenarbeit an der Frankreichplattform des Goethe-Instituts mitzuarbeiten und so auf dem Weg zu einem gemeinsamen Marketing wären. In
Bezug auf die oben von den Verantwortlichen genannten, gemeinsamen
Kooperationsprojekte, scheint einzig das jüngste Mittelmeerprojekt „Villes à venir“ der Idealvorstellung der Kooperation zwischen Häusern und
Goethe-Instituten zu entsprechen. Die Tatsache, dass sowohl Goethe-Institute, Häuser und weitere Partner von Beginn der Projektidee an gemeinsam an der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Großprojektes arbeiten,
könnte darauf hinweisen, dass in Zukunft die synergetische Form der Kooperation mehr Platz in der Zusammenarbeit beider Institutsformen einnehmen könnte. Geht man gar einen Schritt weiter, sollte gar dies in
Zukunft die einzig mögliche Form kultureller Programmarbeit sein. Hierzu
Umlauf:
„Im Grunde wäre das eine Zielvorstellung: keine oder fast keine Veranstaltung zu machen, bei der nicht ein französischer, lokaler Partner einbezogen ist.“819
Zieht man eine Bilanz der von deutsch-französischen Häusern und GoetheInstituten meist zitierten Kooperationsformen bei Kulturveranstaltungen,
so stellt man fest, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Projektkooperationen um additive Kooperationen handelt. Sie dienen daher
dem übergeordneten Ziel, die eigene institutionelle Arbeit zu optimieren
und Aktionen mit den Kollegen auszuführen, welche teilweise sogar nicht einmal in ein gemeinsames Projekt (Beispiel: deutsches Kinofestival) münden.
Jeder Mittler kann so, ausgenommen die verpflichtenden bi-annuellen regionalen Arbeitsbesprechungen (RAB), seine individuelle Handlungsautonomie weitestgehend bewahren und gleichzeitig seine eigene
institutionelle Struktur stützen. Diese Form der Kooperation ist zugleich
für die Mittler unverbindlich und lehnt sich an das auch von Umlauf propagierte Prinzip der Subsidiarität der Mittlerinstitutionen an. Diesem Prinzip der Kooperation entsprechen die von den Mittlern explizit
angesprochenen Veranstaltungen wie Lesereisen, das deutsche Filmfestival, Wanderausstellungen, aber auch das Projekt DeutschMobil.
818
819
Rhein, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
347
4.2.6 Positionierung der Deutsch-Französischen Häuser und
Goethe-Institute: die Alleinstellungsmerkmale
A.Grundüberlegungen: Variatio delectat oder weg vom Allspartenhaus?
Die Zukunft der deutschen Häuser und Goethe-Institute hängt auch in entscheidendem Maße davon ab, wie sich die Institute durch ihre Kulturveranstaltungen in Bezug auf ihr Umfeld positionieren. Um diese Thematik
aufzugreifen, wurde im Leitfadeninterview den Mittlern bewusst die sehr
provokative Frage gestellt, warum ihr jeweiliges Institut noch heute in der
kulturellen Landschaft ihrer Region präsent sei. Zu diesem Zweck wurden
die Mittler in einem ersten Schritt befragt, durch welche Alleinstellungsmerkmale sich ihr jeweiliges Institut ihrer Meinung nach bisher ausgezeichnet hat. In einem zweiten Schritt sollte dieses Alleinstellungsmerkmal
auch in Bezug auf die zukünftige kulturelle Programmarbeit bewertet werden.
Für Joachim Umlauf ist die Frage nach den Erfolgsfaktoren und somit den
Alleinstellungsmerkmalen deutscher Kulturinstitute in Frankreich zunächst mit der Grundsatzfrage verbunden, ob man seitens der Mittler auch
in Zukunft das Ziel verfolgen solle, ein „Allspartenhaus“820 mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Veranstaltungsformen zu betreiben oder ob
man sich nicht mehr auf bestimmte Veranstaltungsformen konzentrieren
solle:
„Warum ist das so wichtig? Das ist deshalb so wichtig, weil Sie natürlich
sagen können: alles zu machen, ist das Alleinstellungsmerkmal eines Kulturinstituts. Andere Kultureinrichtungen wie Kinos, Opernhäuser, Museen (...) machen z.B. auch Vorträge (...), aber sie konzentrieren sich
eigentlich auf eine Form der Darbietung.“821
Das zunächst vorrangige Alleinstellungsmerkmal eines Kulturinstituts,
nämlich seinem Zielpublikum eine breite Palette unterschiedlichster Veranstaltungsformen anzubieten, ist dabei für Umlauf „Schwäche und
Stärke“822 der deutschen Institute zugleich. Dabei denkt er bei den Schwächen nicht - was naheliegend wäre - an finanzielle Nachteile oder gar Kompetenzfragen, wenn man viele unterschiedliche Veranstaltungsformen
anbietet, sondern vielmehr an das Image und die Wahrnehmbarkeit der
Institute durch das Zielpublikum. Er unterstützt seine These, indem er ein
820
821
822
Umlauf, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
348
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
konkretes Beispiel aus dem Bereich der Musikveranstaltungen (Konzerte)
gibt. Seiner Meinung nach würde es dem Goethe-Institut in diesem Veranstaltungssegment nicht gelingen, „ein wirklich treues Fachpublikum aufzubauen“, weil (das Goethe-Institut, G.F.) eben nicht der Ort sei, „wo so
etwas in einer genügenden, regelmäßigen Art gespielt werden kann.“823
Erst bei einer Frequenz von etwa zwei oder drei Konzerten pro Woche, so
Umlauf, würde man als „Player“824 in diesem Segment überhaupt wahrgenommen werden. Auch Till Meyer, Präsident der Föderation Deutsch-Französischer Häuser, scheint diese Meinung zu teilen: „Wir können in vielen
Bereichen als Kulturinstitut, weil es Kooperationen auf sehr hohem Niveau
gibt, auch gar nicht mehr (qualitativ, G.F.) mithalten, das ist im Theaterbereich so, das ist im Bereich der Museen so, das ist bei den Tanzfestivals so
(…).“825
So stellt sich für ihn daher prinzipiell die Frage, ob man auch in Zukunft an
diesem Alleinstellungsmerkmal festhalten solle und „durch die Bank alles
präsentieren wolle“ oder aber, ob man sich auf einzelne Veranstaltungsformen konzentrieren und spezialisieren solle. In diesem Sinne schlägt er
vor, einen „Bauchladen“ von verschiedenen Veranstaltungsformen zu
haben, „in dem man verschiedene Sachen präsentiert.“826
B. Der Wortbereich als wichtigstes Alleinstellungsmerkmal
Neben diesem ersten grundlegenden Kriterium ist für Umlauf, wie auch für
die überwiegende Mehrheit der Mittler, das wichtigste Alleinstellungsmerkmal deutscher Kulturveranstaltungen in Frankreich der Wortbereich.827 Für Brenner ist dieses Veranstaltungssegment, was die Förderung
der Spracharbeit durch Kulturveranstaltungen betrifft, gar Garant für das
weitere Fortbestehen deutscher Kulturinstitute im Nachbarland. Er betont,
dass er sich in Bezug auf diese Schwerpunktbildung sogar wiederholt mit
den Verantwortlichen des Auswärtigen Amtes auseinander gesetzt hat:
„Wichtiger Teil unserer Arbeit - und ich habe ja immer darauf gedrängt ist die Spracharbeit, die zum Institut dazu gehört. Ich hab einmal eine
ganze Nacht lang mit dem damaligen Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes ein Streitgespräch geführt. Er hat gesagt, das macht doch
823
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826
827
Umlauf, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Meyer, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
„Von dem, was wir machen, wo haben wir denn da Alleinstellung? Die Antwort fällt ja nun
relativ einfach aus: Alleinstellung haben wir im Wortbereich.“ Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
349
nichts aus, um Geld zu sparen, geben wir die Sprachkurse ab in die Privatschulen und ich war ganz dagegen, (...) dass es ein Kulturinstitut gibt
ohne Spracharbeit. Dann sind wir eher ein Gesellschaftszentrum. Spracharbeit ist die Basis.“828
Dass Spracharbeit auch gewinnbringend mit dem Bereich der kulturellen
Programmarbeit verknüpft werden kann, unterstreicht der Erfolg des im
Jahre 2000, anlässlich des europäischen Jahrs der Sprachen von der Föderation Deutsch-Französischer Häuser ins Leben gerufene Projekt DeutschMobil: 2003 wurde es durch den Adenauer-De Gaulle Preise und den
Initiativpreis Deutsche Sprache ausgezeichnet. Aufgrund seiner exemplarischen und innovativen Veranstaltungsform soll auf dieses Projekt jedoch
erst in der abschließenden Bilanz näher eingegangen werden.
Auch Barbe ist davon überzeugt, dass das Centre Culturel Franco-Allemand
in Nantes heute in der Loire-Atlantique unter anderem noch deshalb präsent ist, weil das Centre bis in die heutige Gegenwart in Kooperation mit
Lehrern der ganzen Akademie Nantes „dazu (beiträgt), dass Deutsch als
Unterrichtsfach nicht ganz von der Bildfläche verschwindet.“829 Vaillant
würdigt in diesem Sinne den Einsatz des Goethe-Instituts für die Ausbildung der Deutschlehrer in Frankreich „nicht nur in Lille, sondern auch bis
nach Caen, Rouen.“830
In Bezug auf dieses Alleinstellungsmerkmal der Förderung der deutschen
Sprache kristallisiert sich heraus, dass die einzelnen Institute neben gemeinsamen Projekten wie den bereits erwähnten Lesereisen und dem Projekt DeutschMobil auch unterschiedliche Strategien entwickeln. So wollen
Brenner in Montpellier und Rothacker in Aix-en-Provence831 im Wortbereich in dieser Beziehung in Zukunft noch stärker „Kinder- und Jugendliche“832 einbinden, Rhein hingegen zielt in Nantes darauf ab, mit
innovativen Projekten, wie z.B. Poetry-Slams das traditionelle deutschlandbezogene Nanteser Publikum anzuziehen, „das dann tatsächlich zu
einem Poetryslam kommt, obwohl es den Begriff vorher noch nie gehört
hat“ -833 und Umlauf setzt in der französischen Hauptstadt auf Vorträge,
828 Brenner, Interview, ibid.
829 Barbe, Interview, ibid.
830 Vaillant, Interview, ibid.
831 „Die Kinder von heute sind ja unsere Teilnehmer von morgen(...).“ Rothacker, Interview,
832
ibid.
„Das muss sogar soweit gehen, dass man heute bei Kindern und Jugendlichen schon anfängt. (...) Da haben wir ein Publikum. Und wir fangen ja bei den 3 bis 5-Jährigen schon an.“
Brenner, Interview, ibid.
350
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Kolloquien und Tables Rondes zu aktuellen deutschen Themen, vor allem
aber seit 2010 auf „regelmäßige Reihen mit Schriftstellerlesungen in der
Bibliothek.“834
C. Lieu de rencontre oder Forum des Dialogs?
Wenn Umlauf darauf besteht, diese Schriftstellerlesungen in der Bibliothek
des Pariser Goethe-Instituts stattfinden zu lassen, ist damit ein weiteres
Alleinstellungsmerkmal genannt, welches eine Reihe von Mittlern als wesentlich für erfolgreiche deutsche Kulturpolitik in Frankreich nennt, nämlich das Kulturinstitut als Ort der Begegnung und des interkulturellen
AustauschS.Sowohl die Goethe-Institute als auch ein Großteil der Häuser
sind heute in zentrumsnahen, großzügigen und somit zur interkulturellen
Begegnung einladenden Räumlichkeiten untergebracht. Vor allem Elisabeth Schraut, Leiterin des Goethe-Instituts Nancy, versucht durch ihre Kulturveranstaltungen, die Örtlichkeiten ihres Instituts als strategisches Mittel
einzusetzen, um so näher mit ihrem Zielpublikum in Kontakt zu treten. Das
Institut in der rue de la Ravinelle in Nancy verfügt neben einer sehr hellen,
zu einem großen Garten liegenden Bibliothek unter anderem auch über
einen Veranstaltungssaal für ca. 80 Personen, welcher sich sowohl für Konferenzen, Konzerte als auch Filmvorführungen eignet. Schraut, welche die
Verantwortung für das Institut im Westen Frankreichs im Jahre 2010 übernahm, hat sich so zum Ziel gesetzt, das Publikum „an das Haus zu binden.“835 Daher organisiert sie regelmäßig im Anschluss an ihre
Veranstaltungen kleine Empfänge, weil sie es für wichtig hält, „dass man
nach den Veranstaltungen ein Glas zusammen trinkt, darüber (über die
Veranstaltung, G.F.) redet, die Kontakte, die Vernetzung fördert.“ 836
Rothacker stimmt dieser Einschätzung von Schraut nur mit Einschränkungen zu, denn er warnt vor der Gefahr, dass diese von den deutschen Instituten organisierten Veranstaltungen, vom Zielpublikum auch leicht als
Folkloreveranstaltungen wahrgenommen werden. Er wehrt sich daher
gegen den Begriff lieu de rencontre, weil diese Bezeichnung eines Kulturzentrums auch zu einem gewissen Imageverlust führen könnte. Dazu Rothacker: “Lieu de rencontre, nein, eher Forum des Dialogs. Es muss auch ein
gewisses Niveau haben. Keine Folkloreveranstaltungen. Kein Oktoberfest,
kein Sauerkrautessen, das ist nicht unsere Aufgabe.“837 Für Vaillant ist der
833
834
835
836
837
Rhein, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Schraut, Interview, ibid.
Schraut, Interview, ibid.
Rothacker, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
351
Moment des interkulturellen Austauschs ein wichtiger Bestandteil der Motivation des Zielpublikums, um überhaupt die Räumlichkeiten der einzelnen Institute aufzusuchen: Seiner Meinung nach „kommen die Leute mit
der Vorstellung: da wird etwas angeboten, über Deutschland, was uns weiter bringt. Begegnung und Information und das bringt uns voran.“838 Vaillant geht an anderer Stelle sogar noch weiter, wenn er die Räumlichkeiten
des Liller Instituts in der rue Stations quasi mit einem Erinnerungsort
gleichsetzt. In diesem Sinne plädiert er immer wieder dafür, dass „man so
viele Veranstaltungen wie nur möglich in dem alten Vortragssaal des Goethe-Instituts (abhalten solle, G.F.), um einfach daran zu erinnern: man ist
immer noch irgendwie hier zu Hause und man kann immer noch große kulturelle Veranstaltungen machen.“839
Till Meyer, dem Leiter des Rheinland-Pfalz Hauses in Dijon, ist es gar gelungen, mit der jährlich zu Abschluss eines Veranstaltungsjahres stattfindenden Veranstaltung „Was ist das - rue Buffon?“ eine identitätsstiftende
Großveranstaltung ins Leben zu rufen, welche mittlerweise ca. 3000 multikulturelle Gäste rund um sein Haus in der rue Buffon empfängt. Unter der
Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten aus Rheinland-Pfalz, Kurt Beck,
fand im Rahmen dieses multikulturellen Straßenfestes im Jahre 2011 eine
Vielzahl unterschiedlichster Veranstaltungsformen statt, vom Informationsstand des DeutschMobils über Konzerte bis hin zum Improvisationstheater. In Bezug auf den Erfolg dieser Veranstaltung erklärt Meyer:
„Die Leute fragen mich schon während des Jahres: wann ist denn euer
Fest? Da kommen Leute ins Haus, die wir sonst nicht sehen. Das ist für die
eine Art Begegnung mit Deutschland. Jeder macht sein Fest in Dijon, aber
man mischt sich nicht. Bei uns kommen Junge und Alte, Studenten und
Politiker und Journalisten. Insofern ist das auch ein Event (...).“840
D. Das Profil des Leiters: Rotationsprinzip versus deutsch-französische Kompetenz
Auch das Profil des Leiters wirkt sich laut Experten maßgeblich auf die
Konzeption der Kulturveranstaltungen aus. Bereits im ersten Teil dieses
838
839
Vaillant, Interview, ibid.
Vaillant, Interview, ibid. Und weiter an selber Stelle: „Begegnungsort war das Goethe-Institut vor allem dadurch, dass es eben die Vorträge, die vielen Ausstellungen und so weiter gab und dass man regelmäßig zu vielen Leuten, Deutschen und Franzosen (...) in
diesem großen Konferenzraum zusammenkam.“ Dass ein „Bedarf fortbesteht“, leitet Vaillant insbesondere am Erfolg der „Wahlabende“ ab, die weiterhin regelmäßig bei wichtigen deutschen Wahlen vom Institut angeboten werden.
840 Meyer, Interview, ibid.
352
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Kapitels (Die Unabhängigkeit der Mittler) wurde Joachim Umlauf mit seiner kritischen Aussage zitiert, dass seitens des Goethe- Instituts durch das
Rotationsprinzip, nach welchem in der Regel auch heute noch die Institutsleitungen alle 5-6 Jahre gewechselt werden, im Grunde am alten
Schema einer Repräsentations- und Exportkultur deutscher Kultur im Ausland festgehalten wird. So war beispielsweise der Leiter des Goethe-Instituts Lyon, Ulrich Sacker, unmittelbar zuvor für die Leitung des
Goethe-Instituts in Berlin verantwortlich. Stellvertretend für die Vorteile
dieses Rotationsprinzips wird im Jahre 2011 auf der offiziellen Webseite
des Goethe-Instituts Kristina Pavlovic, Leiterin der Spracharbeit und stellvertretende Institutsleiterin am Institut Kiew, zitiert:
„Die Rotation ist beim Goethe-Institut prinzipiell eine sehr sinnvolle Einrichtung, da dadurch ein Institut immer wieder neue Impulse bekommt.
Rotation fördert Innovation. Und für einen selbst bietet es die Möglichkeit, sich immer wieder zu verändern und vielfältige Erfahrungen auf den
unterschiedlichsten Stellen zu machen.“841
Mit Ausnahme der Verantwortlichen des Centre Culturel Franco-Allemand
in Nantes und dem Heinrich-Heine Institut in Paris, welche beide durch
den Deutschen Akademischen Austauschdienst für mehrere Jahre nach
Frankreich vermittelt werden und in der Regel zwischen 3 bis 5 Jahren im
Amt bleiben, sind die Leiter der Häuser im Gegensatz zu den Verantwortlichen der Goethe-Institute seit der Eröffnung ihres jeweiligen Instituts und
somit seit mehreren Jahrzehnten in der Funktion des Leiters tätig. Brenner beschreibt die Situation der vom Goethe-Institut aus Deutschland Entsandten aus seiner Sicht folgendermaßen:
Sie (die entsandten Leiter, G.F.) kommen an, sie brauchen eine Zeit des
Einlebens (...). Selbst ein geschickter Diplomat (...) braucht seine Zeit, um
das Umfeld kennenzulernen, in einer Stadt wie Lyon, beispielsweise. Und
dann muss er sich in seinem letzten Jahr darum kümmern: wie geht es
weiter, wohin gehe ich? Wie bereite ich mich auf diese neue Sache vor?
Deshalb ist es (auch) wichtig, dass es Ortskräfte gibt, die bleiben, auf die
er bauen kann. Und bei uns ist dieser Vorteil, dass die Leiter, wie im übrigen das Personal, langjährig am Platz sind.842
841
Kristina Pavlovic http://www.goethe.de/uun/bew/pot/de4464553.htm, Zugriff am
31.10.2011.
842 Brenner, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
353
In ihren Interviews sprechen sich die Leiter der Häuser deshalb auch einstimmig gegen das Rotationsprinzip des Goethe-Instituts aus, indem sie
den für das Rotationsprinzip sprechenden, oben genannten Argumenten
der „Innovation“ und der „Aktualität“ das Autoritätsargument der „deutschfranzösischen Kompetenz“ 843 entgegensetzen. Hierzu Rothacker: „Wir (die
Leiter der deutsch-französischen Häuser, G.F.) haben natürlich die deutschfranzösische Kompetenz. Unter diesem Begriffspaar versteht Rothacker
nicht nur das Expertenwissen der einzelnen Leiter in bestimmten Themenbereichen844, sondern eine durch interkulturelle Kompetenz erworbene Fähigkeit, in Frankreich als Vermittler zwischen Deutschland und
Frankreich auftreten zu können. Nur ein vom Nachbarland in dieser Hinsicht als kompetenter Mittler wahrgenommener Leiter sei, so Rothacker,
letztendlich vor Ort in der Lage, dem Partner wichtige „Ideen“ und „Anstöße“845 für nachhaltige Kulturarbeit zu geben. Im besten Falle führe dies,
so Rothacker, zur vollkommenen Integration des Leiters in das jeweilige
regionale Umfeld. Dies sei besonders im Süden Frankreichs ein entscheidender Erfolgsfaktor:
„Wenn man länger vor Ort ist, (...) ergeben sich auch persönliche Beziehungen und das erleichtert dann schon Manches. Wenn hier (...) jemand
alle 3-4 Jahre neu kommt, der muss sich ja dann alles aufbauen.(...) Vor
allen Dingen auch in Südfrankreich, da läuft sehr Vieles über Beziehungen.“846
Festzuhalten bleibt, dass sich in dieser Hinsicht zumindest, was die Länderregion Frankreich angeht, im Goethe-Institut in dieser Beziehung ein
Richtungswechsel anzukündigen scheint: ein Großteil der zuletzt neu zu
besetzenden Direktorenstellen wurde durch sogenannte „Ortskräfte“ besetzt, welche durchaus auch die Möglichkeit haben, auf das Rotationsprinzip zu verzichten und wesentlich länger vor Ort zu bleiben. Dies ist der Fall
in den Instituten in Lille, Nancy, Toulouse und jüngst auch in Lyon.
843
Brenner weist in seinem Interview ebenfalls auf diesen Vorteil des Rotationsprinzips hin:
„Ein neuer Leiter kann mit neuen Ideen kommen, kann einen neuen Stil einführen, kann
Neugier erregen (...).“ Brenner, Interview, ibid.
844 So beispielsweise sieht Rothacker sich als Spezialist im Bereich der „zeitgenössischen
deutschen und französischen Kunst“, Rothacker, Interview, ibid.
845 Rothacker, Interview, ibid.
846 Rothacker, Interview, ibid.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
354
E. Der Grad der lokalen Integration als Erfolgsfaktor für die Organisation
und Inhalte von Kulturveranstaltungen
Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal für die deutschen Kulturinstitute
scheint heute jedoch der Grad der lokalen Integration der einzelnen Institute zu sein. Wie bereits der historische Ansatz der Untersuchung gezeigt
hat, war bei vielen Instituten das Konzept der lokalen Integration wichtigster Gründungsgedanke. In diesem Sinne sei noch einmal auf Umlaufs
kritische Stellungnahme in Bezug auf die globale Kulturpolitik des GoetheInstituts verwiesen, die eingangs in diesem Kapitel zitiert wurden, in welcher er als das „verordnete bottom-up Konzeption“ kritisiert. Umlauf
folgert daraus, dass der Kern der Kulturarbeit „immer das Feetback der Bedürfnisse der lokalen Institutionen vor Ort“847 zu berücksichtigen habe.
Dies würde jedoch cum grano salis eine Umkehr der Arbeitsrichtung des
Goethe-Instituts bedeuten: Während man in der Zentrale des Goethe-Instituts in München bemüht ist, strategische Leitlinien für eine abstrakte,
globale Strategie deutscher auswärtiger Kulturpolitik und somit kultureller Programmarbeit zu entwerfen, welche dann durch die untergeordneten
Institute durchaus auf spezielle, konkrete Kulturprojekte zugeschnitten
werden sollen, geht der Bottom-up Prozess die genau umgekehrte Richtung: er orientiert sich zunächst nach konkreten Bedürfnissen und Anregungen vor Ort und generiert erst in einem zweitem Schritt konzeptionelle
Leitlinien. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich das Goethe- Institut in Bezug auf diese Arbeitsrichtung grundsätzlich von jener der
Deutsch-Französischen Häuser unterscheidet, welche sich ja von Beginn
an dem grundlegendem Prinzip der regionalen Integration und somit dem
„bottom up – Prinzip“ verschrieben haben. Joachim Rothacker sieht in diesem Grundprinzip das entscheidende Kriterium für die „Überlebensfähigkeit“ der Deutsch-Französischen Häuser:
„Wir sind ja praktisch zum Erfolg verdammt. (...) Bei uns ist es ja eine
Mischfinanzierung, nur ein Teil wird finanziert von Deutschland. Wir müssen also auch für die Rathäuser und auch für die Départements und die
Region vor Ort als attraktiv und wichtig für das kulturelle Leben wahrgenommen werden.“848
847
848
Umlauf, Interview, ibid.
Rothacker, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
355
Dieses neue Grundverständnis kommt einem Perspektivenwechsel gleich,
der die Konzeption der kulturellen Programmarbeit entscheidend beeinflusst. Die deutsche Kulturarbeit wird zur Dienstleistung vor Ort, ein Begriff, der auch explizit auf der Webseite der Maison de Rhénanie-Palatinat
verwendet wird: „Votre centre culturel allemand en Bourgogne est à votre
service pour vos projets (Hervorhebung von mir, G.F.) avec l’Allemagne et la
Rhénanie-Palatinat.“849 Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang
auch die Tatsache, dass alle Webseiten der Häuser in französischer Sprache, die Webseiten der Goethe-Institute hingegen nach wie vor in deutscher
Sprache verfasst sind.
F. Kulturelle Programmarbeit als Dienstleistung für den Partner
In diesem Sinne nennen die einzelnen Mittler in den durchgeführten Interviews auch eine Reihe von Projekten unterschiedlichster Couleur, welche sich diesem Verständnis der Kulturvermittlung als Dienstleistung
verpflichten.850
Diese lassen sich vereinfachend in vier unterschiedliche Formen von
Dienstleistung unterteilen.
1. Unterstützung historisch gewachsener deutsch-französischer Netzwerke
der Zivilgesellschaft. So sieht beispielsweise das Centre Culturel franco-allemand in der Unterstützung der Städtepartnerschaft zwischen Nantes und
Saarbrücken eine seiner Hauptaufgaben. Zu diesem Zweck entwickelte man
in Kooperation mit Verantwortlichen beider Stadtverwaltungen im Sinne
einer „intensiven Weiterführung der Städtepartnerschaft“851, in den letzten Jahren u. a. kleinere Initiativen wie den gemeinsamen Fotomarathon,
aber auch wissenschaftliche Projekte wie die deutsch-französische Sommeruniversität (seit 2001 in Kooperation u.a. mit dem Frankreichzentrum
der Universität des Saarlandes), aber auch das Deutsch-Französische Praktikantenbüro, welches seit 2006 Studenten der Universitäten Nantes und
Saarbrücken Praktika in der Partnerstadt vermittelt. Dieses Projekt wird
unter anderem durch zwei „junge Botschafter“ geleitet, welche durch das
Programm „Arbeit beim Partner“ des deutsch-französischen Jugendwerks
gefördert werden. Chateigner stellt in Bezug auf die Rolle des Nanteser Instituts fest, dass man auf diese Weise zu einem wichtigen Bestandteil des
Netzwerkes der internationalen Beziehungen der Stadt Nantes geworden
849
850
In: www.maison-rhenanie-palatinat.org , Zugriff am 3. 11.2011.
An dieser Stelle werden aufgrund der Vielzahl durchgeführter Veranstaltungen im Anschluss nur einige wenige exemplarische Projekte aufgeführt, die auch explizit von den
Befragten genannt wurden.
851 Jean Paul Barbe, Interview, Ibid.
356
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
sei. Durch das Projekt Praktikantenbüro gewinne man auf diese Weise auch
ein ganz neues Publikum:
„On est un des acteurs de la politique de la ville. L’autre type de soutien,
c’est le bureau des stages. Ce soutien nous permet d’accéder à un public
de jeunes nantais auquel nous n’avions pas accès auparavant: des jeunes
des quartiers sensibles, des jeunes un petit peu moins intégrés.“852
Das Projekt eines deutsch-französischen Praktikantenbüros wurde von Till
Meyer, dem Leiter des Rheinland-Pfalz Hauses, entwickelt. Meyer vermittelt in Kooperation mit dem Mainzer Institut Maison de Bourgogne Praktikanten zwischen den Regionen Burgund und Rheinland-Pfalz. Offiziell
wurde der Partnerschaftvertrag zwischen diesen beiden Regionen als einer
der ersten bereits im Jahre 1963 geschlossen.
2. In der Förderung der deutsch-französischen Regionalpartnerschaften
sehen die Experten auch in Zukunft ein enormes Potential853 kulturellen
Engagements. Sicherlich hat auch das deutsche Kulturinstitut in Dijon maßgeblich dazu beitragen, dass 40 Jahre nach Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages, im Jahre 2002, diese Art der Kooperation mit dem
Adenauer-de-Gaulle-Preis ausgezeichnet wurde. Schwerpunkte der Kulturarbeit in Dijon in Verbindung mit der Regionalpartnerschaft sind dabei
neben Kulturveranstaltungen, vor allem die Bereiche Wirtschaft und Tourismus. Zu der Konzeption seiner Arbeit stellt Meyer fest: „Das Deutschlandbild, das wir propagieren, ist sehr stark subsidiär gefärbt. Wir machen
keine Staatskultur, sondern setzen den Fokus auf Regional- und Kommunalkultur. Wir müssen etwas von unseren Herkunftsregionen und Kommunen erzählen.“854 Vaillant hat sogar die Vision, durch die Förderung von
Regionalpartnerschaften ein durch Kulturveranstaltungen vernetztes
Europa der Regionen im Sinne eines „regionalen Weimarer Dreiecks“855
aufzubauen: „Er spricht in dieser Hinsicht von einem „regionalen Weimarer Dreieck“856, wobei dem Goethe-Institut zwei Aufgaben zukämen. Zum
852
853
Chateigner, Interview, ibid.
„Man kann viel bewegen in der regionalen Kooperation. Nun ist in meinem Fall das einzige Bedauerliche, meine Region, Languedoc-Roussillon hat die meisten Partnerschaften
mit Baden Württemberg, aber es gibt keine Regionalpartnerschaft.“ Brenner, Interview,,
ibid.
854 Meyer, Interview, ibid.
855 Vaillant, Interview, ibid.
856 Vaillant, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
357
einen „als Schaufenster von Deutschland in Lille und Region“, zum anderen aber zugleich ein Institut „mit Ausstrahlung nach Kattowitz und Düsseldorf .“857
3. Förderung institutioneller deutsch-französischer Netzwerke interregionaler Prägung.
Am häufigsten wurde von den befragten Mittlern in Bezug auf diesen
Dienstleistungsgedanken die Unterstützung bestehender deutsch-französischer Universitätspartnerschaften genannt. Bereits im ersten Teil der Arbeit wurde die Bedeutung der Universitäten bei der Grundsteinlegung
einzelner Institute aufgezeigt. Nachhaltige Kulturarbeit knüpft, laut Experten, an diese bereits bestehenden Kooperationen an und wirkt unterstützend auf diese ein.
Brenner schlägt einen Bogen, indem er -auf die Entstehungsgeschichte und
die Zukunft seines Hauses verweisend- das heutige Heidelberg Haus gar
als „universitäre Begegnungsstätte“ und „deutsches Kulturinstitut partnerschaftlicher Prägung“ bezeichnet:
„Das Heidelberg-Haus war eine mutige Sache, am Anfang eigentlich der
Zivilgesellschaft. Da haben die Uniprofessoren gesagt: wir wollen ein Begegnungshaus für die Studenten der Deutschen und Franzosen in Montpellier. Dann hat sich die Universität eingeschaltet und so kam eigentlich
das Haus als universitäre Begegnungsstätte zustande. (...) Das hat sich
heute entwickelt zu einem deutschen Kulturinstitut partnerschaftlicher
Prägung, in dem die städtischen Partner, Heidelberg- Montpellier und die
universitären Partner präsent sind, indem sie auch tatsächlich das Haus
unterstützen und nicht zu vergessen auch das Land Baden-Würtemberg,
das eingesprungen ist, weil die Uni eine Landeseinrichtung ist.“858
Auch andere Mittler, so vor allem auch Vaillant859 und Rhein860 heben die
herausragende strategische Bedeutung der Kooperation mit dem universitären Sektor explizit hervor. Als jüngstes Beispiel einer derartigen Mittlerfunktion im deutschen und französischen Hochschulbereich zitiert
Meyer das erste vom Haus Rheinland-Pfalz ihm Oktober 2011 mitorganisierte „Colloque franco-allemand sur le management de la culture à
857
858
859
860
Vaillant, Interview, ibid.
Brenner, Interview, ibid.
Vaillant, Interview, ibid.
Rhein, Interview, ibid.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
358
Dijon“861, welches vor dem Hintergrund der finanziellen Krisensituation
die Zukunftsperspektiven von Kulturinstituten zum Thema hatte. Meyer
verweist in seinem Interview darauf, dass man „noch mehr den pragmatischen und praktischen Nutzen der Einrichtung in den Vordergrund stellen
sollte,“862 wenn man an einem langfristigen Erhalt der deutschen Einrichtungen in Frankreich interessiert sei.
Auch in diesem Dienstleitungsbereich gilt das bereits zitierte Bonmot „rien
n‘est jamais acquis“: wie sensibel dieser Programmschwerpunkt in Bezug
auf eine nachhaltige und kontinuierliche Weiterführung bereits bestehender institutioneller (und persönlicher) Kontakte reagiert, zeigt Umlauf auf,
welcher bekennt, dass das Goethe-Institut in Paris in der jüngsten Vergangenheit der 1990er Jahre durchaus Fehler begangen habe, nämlich die Zusammenarbeit mit den Universitäten und ihrem Lehrpersonal u.a. im
Bereich der Germanistik vernachlässigt habe.863
„Schon in den 90er Jahren hat das GI hier angefangen, die alten Vertreter
des franco-allemand zu schmähen oder einfach nicht mehr in ihre Arbeit
einzubeziehen, also mit der Ansicht, die Versöhnungsgeneration habe ihre
Arbeit erledigt, es gelte jetzt neue Ufer, neue Leute zu gewinnen. Nicht
immer mit denselben, Grosser, Ménudier und anderen zu arbeiten. Man
hat diese Kreise bis zu einem gewissen Grade, einschließlich der Germanistik, vernachlässigt. Und das halte ich für einen Riesenfehler. (...) Wenn
sie nicht die Sympathie und die Unterstützung derjenigen haben, die sich
vor Ort professionell mit Deutschland beschäftigen, dann ist die Arbeit natürlich sehr schwer. Wenn Herr Grosser allenthalten zehnmal pro Jahr in
die Maison Heine geht und kein einziges Mal ins Goethe-Institut , dann ist
das natürlich von einer gewissen Symbolik.“864
4. Förderung und Vermittlung von Kooperation zwischen französischen Institutionen
Nur durch einen engen und beständigen Kontakt mit diversen französischen Partnern vor Ort können Feinabstimmungen in Bezug auf die Ausrichtung eines Kulturprogramms vorgenommen werden. Besteht nach
einer Vielzahl von Jahren kulturellen Engagements ein Vertrauensverhältnis zwischen dem deutschen Mittler und den regionalen Akteuren,
861
862
863
864
Meyer, Interview, ibid.
Meyer, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
359
kann man, so Ulrich, im interkulturellen Dialog mit dem Partner in ganz
andere Dimensionen der Kulturvermittlung vordringen. Ulrich sieht deshalb heute das Goethe-Institut Lille als einen der „Akteure im kulturellen
Netzwerk (...) vor Ort.“ Dies bedeutet für sie, dass sich ihre Vermittlerrolle
nicht nur auf die Vermittlung deutscher Kultur beschränkt, sondern ihrem
Institut insbesondere die Aufgabe zukommt, diejenigen französischen Kulturschaffenden und Institutionen in Verbindung zu bringen, die vielleicht
nicht dazu tendiert hätten, „miteinander in Dialog zu treten.“865
„Weil wir (das Goethe-Institut, G.F.) nicht in lokalen Sparten denken oder
in Zuständigkeitsbereichen. Da uns diese Zuständigkeitsbereiche sogar
manchmal fremd sind oder wir diese mit einer gewissen Unschuld oder
Naivität betrachten.“866
Ulrich sieht gerade in der Funktion des neutralen, außenstehenden Mittlers
„eine wunderbare neue Chance und Aufgabe, (...) Dinge in Bewegung zu
bringen, die vielleicht ohne uns in der Form nicht so gelaufen wären.“867
Auch Ulrich Sacker sieht sein Lyoner Institut in diesem Sinne in der Rolle
des „Scouts“868 der jeweiligen Kulturszene vor Ort. Diese Funktion des Kulturvermittlers im Dienste des Partners wäre eine völlig neuartige Dimension deutscher auswärtiger Kulturpolitik. Das gegenseitige Geben und
Nehmen wäre vor dem Hintergrund des interkulturellen Austausch neu definiert: der Kulturaustausch würde so zu einer multikulturellen Lerngemeinschaft. So sagt Umlauf in Bezug auf das partnerschaftliche Arbeiten
vor Ort:
„Partnerbezogenes Arbeiten (...) hat einen Sekundäreffekt: man betreibt
selber ja auch lebenslanges Lernen und wenn man mit anderen zusammen arbeitet auch ein Stück seiner eignen Kultur preisgibt, nämlich die
Art wie man arbeitet, wie man miteinander in Kontakt tritt und der andere hoffentlich auch. Also: interkulturellen Dialog betreiben.“869
865
866
867
868
Ulrich, Interiew, ibid.
Ulrich, Interiew, ibid.
Ulrich, Interiew, ibid.
Sacker, Interview, ibid: Wir gelten sozusagen als Scout der jeweiligen Szene. Wenn wir da
entdecken, dass da eine Lücke ist. Zum Beispiel hier in Lyon gibt es noch einen Bedarf an
Informationen, an Beispielen, an Modellen für zeitgenössische Kunst.
869 Umlauf, Interview, ibid.
360
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Auch Ulrich ist fest davon überzeugt, dass im interkulturellen Dialog mit
Partnern vor Ort „neue Ideen generiert“ werden und dass Deutschland
durch diese Dialogbereitschaft ein wichtiges Zeichen setze „dass es sich für
die Kultur des anderen interessiere.“870 Ulrich geht sogar noch weiter,
indem sie unterstreicht, dass allein die „physische Präsenz eines Kulturinstituts ein lebendiges Zeichen dafür sei, dass man diesen Dialog sucht.“871
870
871
Ulrich, Interview, ibid.
Ulrich, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
361
4.2.7 Die Vernetzung mit der Zivilgesellschaft als
Schlüsselkompetenz
Noch in der Mitte des Jahres 2011 nahm der Leiter des Rheinland-Pfalz
Hauses, Till Meyer, auf Anraten seines Kollegen Joachim Rothacker, Leiter
des Hauses in Aix-en-Provence, eine nicht unwesentliche Namensänderung
seines Instituts vor: die Maison de Rhénanie Palatinat bekam den Zusatz:
Centre culturel allemand en Bourgogne.872 Dies wirft die Frage auf, inwiefern dieses aus der französischen Zivilgesellschaft entstandene Modell des
„offiziellen Vertreters“ deutscher Kulturarbeit im Ausland auch Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung der kulturellen Programmarbeit
haben kann. Barbe unterstreicht dabei, dass sich die Entstehungsweise der
Häuser auch heute noch auf deren Arbeitsweise auswirke:
„Man hatte uns ein Goethe-Intitut versprochen. Das es (das Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes, G.F.) so entstanden ist, ist auch eine Folge
des Mauerfalls und der totalen Umstrukturierung der kulturellen Auslandspolitik der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung: Lieber
Alma-Ata als Nantes. Wir hatten keine andere Möglichkeit mehr als: uns
selber helfen.“873
Die Tatsache, dass man „sich selber helfen musste“, führte zum einen dazu,
dass man in den Häusern - im Gegensatz zum Goethe-Institut - Organisationsstrukturen entwickelte, die sich jeweils den Bedürfnissen der deutschen
und französischen Zivilgesellschaft vor Ort bestens anpasste. Vor allem der
Aspekt der Flexibilität dieser Strukturen, welcher sicherlich als Gegensatz
zur starren Organisationsstruktur weltweit agierender Goethe-Institute
angesehen werden muss, wird von Akteuren wie Partnern als struktureller Vorteil der Häuser angesehen. So wählte man beispielsweise in Nantes
die Form der Association, um dem deutsch-französischen Kulturzentrum
einen flexiblen organisatorischen Rahmen zu geben. Sein Präsident Marc
Chateigner hebt heute die Vorteile dieser Struktur hervor:
„Ce système associatif a le grand avantage d’être d’une grande souplesse,
c.à.d. que nous avons une facilité de travail bien supérieure à des instituts
plus officiels et donc plus encadrés. Cela nous permet de recevoir des subventions, cela nous permet d’engager l’argent de facon immédiate et rapide, donc cette forme associative pour ce type de projet est parfaite.“874
872
873
874
Meyer, Interview, ibid.
Barbe, Interview, ibid.
Chateigner, Interview, ibid.
362
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die Flexibilität der Struktur wird auch von den Partnern der Häuser wahrgenommen, so beispielsweise auch von der Generalsekretärin des DeutschFranzösischen Jugendwerks, welche an den Häusern schätzt, dass diese
„schneller“ auf Bedürfnisse vor Ort reagieren können und auch „ihr Programm sehr viel individueller zuschneiden können als das das Goethe-Institut kann.“875 Die erfolgreiche „Rettung“ des Goethe-Instituts Lille im
Jahre 2000, welche nur durch Umstrukturierungsmaßnahmen durchgesetzt werden konnte, zeigt, dass man in Bezug auf die Organisationsstruktur durchaus auch im Goethe-Institut andere Wege einschlagen kann. So
gesteht Vaillant, der maßgeblich an der Konzeption der neuen Institutsform beteiligt war, rückblickend ein:
„Um ganz aufrichtig zu sein, ich habe nicht gekämpft, damit [kein] Personal entlassen wird, sondern ich habe dafür gekämpft, dass ein deutsches
Kulturzentrum in Lille einfach fortbesteht um kulturell in Lille und in die
Region - und darüber hinaus - auszustrahlen und ich war der Meinung,
man kann durchaus Kompromisse eingehen.“876
Bei den Verhandlungen mit dem Goethe-Institut ist Vaillant als Vertreter
der französischen Zivilgesellschaft aufgetreten. Die Tatsache, als Vertreter
der französischen Zivilgesellschaft und nicht als offizieller Vertreter der
Bundesrepublik aufzutreten, wirkt sich laut Verantwortlicher der Häuser
auch entscheidend auf die Entstehung und Durchführung von Kulturveranstaltungen aus. Ein erster Aspekt betrifft dabei die Thematik von Kulturveranstaltungen. Es konnte herausgearbeitet werden, dass im Rahmen
der Konzeption 2000, wie es auch Umlauf bestätigt, der Auswärtigen Kulturpolitik immer mehr die Aufgabe einer Softpower zukommt, das heißt
„die Möglichkeit, unterstützend zu anderen Bereichen der Diplomatie und
der Politik zu wirken.“877 Wenngleich bereits aufgezeigt wurde, dass dieser Aspekt der Auswärtigen Kulturpolitik nur in sehr geringem Maße für
den französischen Nachbarn zutrifft, gibt es gerade im Bereich der kulturellen Programmarbeit Beispiele, in denen auch heute noch Pionierarbeit
geleistet werden kann: So zum Beispiel wurde im Rahmen des Projektes
DeutschMobil eine deutsche Lektorin nach Oradour-sur-Glane eingeladen,
jenen französischen Ort im Limousin, der am 10. Juni 1944 vollständig von
875
„Die Häuser sind sehr viel flexibler und können sehr viel schneller reagieren auf Bedürfnisse vor Ort. Und sie können eben ihr Programm auch sehr viel individueller zuschneiden als das das Goethe-Institut kann.“ Kuntz, Interview, ibid.
876 Vaillant, Interview, ibid.
877 Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
363
einer SS-Einheit zerstört wurde und dessen Einwohner auf brutalste Weise
ermordet wurden. Brenner erinnert sich dennoch an ein gemeinsames Projekt mit der deutsch-französischen Zivilgesellschaft:
„Unsere Lektorin (DeutschMobil) war eingeladen nach Oradour-sur-Glane
. Und da war bis jetzt noch nichts Offizielles von Deutschland. Das war ein
Riesenerfolg, den wir eben auch medienmäßig nicht (ausnutzen) wollten,
sondern möglichst diskret behandeln wollten.“878
Ein weiterer, abschließender Aspekt verbindet die strukturellen und themenspezifischen Eigenheiten der Häuser als Vertreter der französischen
Zivilgesellschaft. Wobei auch hier das Projekt DeutschMobil von Brenner
als exemplarisch und richtungsweisend angesehen wird. Dieses Projekt
wird von ihm als genuines Produkt der Zivilgesellschaft angesehen, „dass
nur so zustande kommen konnte“879, weil es durch keinerlei administrative Zwänge behindert worden sei:
„Es wäre schwierig gewesen, hätte das Auswärtige Amt so ein Projekt von
sich aus initiiert. Wer wagt es? Das sind die administrativen Zwänge. Wer
autorisiert einen Institutsleiter oder einen Referatsleiter, dass er mit Mercedes direkt verhandelt? Oder dass er mit Bosch von sich aus verhandelt?
Es ist tatsächlich ein Programm der Zivilgesellschaft, in das jetzt der DAAD
und Goethe-Institute eingebunden sind.“880
In Zeiten finanzieller Engpässe im Bereich der deutschen auswärtigen Kulturpolitik kann der Grad der Vernetzung mit der französischen Zivilgesellschaft das entscheidende Kriterium für das Fortbestehen eines deutschen
Kulturzentrums in Frankreich sein. Es wurde im vorangegangenen Kapitel darauf hingewiesen, dass Karl-Heinz Götze die Schließung des GoetheInstituts in Marseille als eine „unscheinbare Katastrophe“881 bezeichnete,
wobei er besonders die Tatsache kritisierte, dass im Vorfeld der Schließung
keinerlei Austausch in Bezug auf mögliche Umstrukturierungsmaßnahmen
zwischen dem Goethe-Institut und den Partnern vor Ort stattgefunden
hätte.
878
879
880
881
Brenner, Interview, ibid.
Brenner, Interview, ibid.
Brenner, Interview, ibid.
Götze, Zeitschrift für Kulturaustausch, ibid.
364
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Anders hingegen in Lille. Als im Jahre 2000 dem Liller Institut gleichermaßen die Schließung drohte, mobilisierte sich die französische Zivilgesellschaft vor Ort. Die heutige Institutsstruktur des Goethe-Instituts Lille, so
erinnert sich Vaillant, konnte erst nach einem langen „Kampf“882 durchgesetzt werden. Neben der Unterstützung durch die deutsche Botschaft Paris
war vor allem das Engagement der französischen Zivilgesellschaft und einiger französischer Deutschlandspezialisten vor Ort, also der hohe Grad
der lokalen Integration des Instituts, dafür ausschlaggebend, dass man gemeinsam eine auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnittene Strategie und Institutsform entwickeln konnte. Hierzu Vaillant:
„Es spielte selbstverständlich eine wesentliche Rolle bei diesem Kampf,
denn es war schon ein Kampf , dass (wir es) bei einer ersten Aktion geschafft hatten, 10 000 Unterschriften zu sammeln und 2 Jahre später in
viel kürzerer Zeit noch 14 - oder 15 000, wobei es inzwischen die Möglichkeit gab, mehr auf Emails usw. zurückzugreifen, sodass die Mobilisierung viel schneller möglich wurde.“883
Die Entwicklung einer Strategie durch einen Spezialisten sei laut Vaillant
ebenso wichtig, wie die Unterstützung von mehreren Tausend Interessenten.884 Aus diesem Grunde ist er auch zuversichtlich, dass das in Lille entwickelte Modell Zukunft haben wird, da sich das Institut „weiterhin auf der
Grundlage der Netzwerke“ entwickeln kann. Auch Rothacker ist sich bewusst, dass sein Institut in der Vergangenheit deshalb in der französischen
Kulturlandschaft der Provence behaupten konnte, weil insbesondere auf
Seiten der französischen Partner in Aix-en-Provence der politische Wille
bestand, das Institut weiter zu fördern: „Wir hatten ja auch eine Reihe von
Schwierigkeiten zu bewältigen und sofort haben dann die Politiker aus Aix
gesagt: es muss weitergehen.“ 885Die Bilanz in Bezug auf die Bedeutung
der Vernetzung mit der Zivilgesellschaft eines Instituts kann daher nur lauten: je mehr deutsche Kulturinstitute von den jeweiligen Regionen und
Städten, aber auch von anderen Institutionen und Mittlerpersönlichkeiten
882
883
884
Vaillant, Interview, ibid.
Vaillant, Interview, ibid.
„Die Entwicklung einer Strategie durch einen Spezialisten ist eine Sache, die Unterstützung durch 18000 Interessenten ist genauso eine wichtige Sache.“ Vaillant, Interview,,
ibid.
885 „Wir hatten ja auch eine Reihe von Schwierigkeiten zu bewältigen und sofort haben dann
die Politiker aus Aix gesagt: es muss weitergehen.“ Der Druck kam dabei, so Rothacker,
„von der französischen Seite“(gemeint ist hier insbesondere die Stadt Aix-en-Provence,
G.F.). Rothacker, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
365
als ihre „eigene Einrichtung“886 wahrgenommen werden, desto mehr
scheint langfristig seine kulturelle Präsenz in Frankreich gesichert.
Gerade aus diesem Grund wäre es auch fatal für die weitere Zukunft einzelner Institute, wenn die Verantwortlichen der Goethe-Institute planten,
langfristig auf sogenannte „Antenneninstitute“ zu setzen, welche von der
französischen Hauptstadt aus ohne direkten Ansprechpartner vor Ort verwaltet werden würden. Dies betont auch Vaillant nachdrücklich, wenn er
sagt: „Ich glaube, man würde einen Fehler begehen, wenn man meinte, Lille
wäre zum Beispiel von Paris aus zu versorgen und man könne deswegen
das Liller Institut schließen.“887
886
887
Rothacker, Interview, ibid.
Vaillant, Interview, ibid.
366
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
4.2.8 Die Qualität der Veranstaltungen als Auswahlkriterium
Wie bereits eingangs erwähnt, werden die deutsch-französischen Häuser
seit dem Haushaltsjahr 2008 unter der Rubrik „ausländische Kulturgesellschaften“ vom Auswärtigen Amt finanziell gefördert und die von ihm bereit
gestellten Zuwendungen durch das Goethe-Institut verwaltet. Dies bedeutet in der Praxis, dass die Häuser unter denselben Kriterien gefördert werden, wie weitere in Frankreich bestehende Kulturgesellschaften. Sie stehen
damit indirekt im Konkurrenzkampf um die jährlich vom Auswärtigen Amt
zur Verfügung stehenden Mittel. Aus diesem Grunde ist es seitens der Leiter der Häuser verständlicherweise das Ziel, dem Mittel-verwaltenden Goethe-Institut den Nachweis zu erbringen „wo die Unterschiede sind,
zwischen kleinen lokalen Vereinen, einer kleineren Kulturgesellschaft und
auch einer größeren Kulturgesellschaft wie z.B. dem Heidelberg Haus“888,
um eventuell auch in Zukunft in Bezug auf die weiteren Kulturhäuser für
die Finanzierung der kulturellen Programmarbeit bevorzugt zu behandelt
zu werden. Die Leiter der Häuser stimmen mit den Verantwortlichen der
Goethe-Institute überein, wenn sie betonen, dass vor allem die Qualität der
angebotenen Kulturveranstaltungen auch in Zukunft ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal der Kulturveranstaltungen bleiben soll.889 Gerade die
2008 vom Auswärtigen Amt durchgesetzte Veränderung der Subventionsmodalitäten der deutsch-französischen Häuser scheint jedoch für Brenner
die Qualität der angebotenen Kulturveranstaltungen zu gefährden890. Seiner Meinung nach kann ohne Teilfinanzierung der Häuser durch das Auswärtige Amt „auf die Dauer die Qualität der Veranstaltungen nicht aufrecht
erhalten werden.“891 Und weiter : „Wir wollen ja Qualität. Wir wollen ja
nicht nur einen Begegnungsclub oder so’ ne Geselligkeit (...) wie ein Tanzverein.“892 Brenner steht mit seiner Auffassung nicht allein, wenn er unter
einem qualitativ-hochwertigen Kulturprogramm die deutliche Abgrenzung
zwischen Kulturveranstaltungen und Folkloreveranstaltungen macht. Die
Qualität eines Kulturprogramms zeichnet sich laut befragter Experten
dabei vor allem durch die Auswahl der Themen und der eingeladenen Gäste
888
889
Rhein, Interview, ibid.
„Insgesamt ist das wichtig: das Haus muss Qualität bieten.“ Interview, ibid. Oder auch Ulrich: „ Es spielt eher die Qualität der Veranstaltungen eine Rolle, denn die Anzahl der Zuschauer.“ Brenner, Interview, ibid.
890 „Also das (die Umstellung, von einer institutionellen, teilinstitutionellen Unterstützung
vom Auswärtigen Amt auf eine reine Projektunterstützung, G.F.) ist ein echtes Problem für
die deutsch-ausländischen Kulturgesellschaften und da muss die auswärtige Kulturpolitik sich Gedanken machen, ob man den Kulturgesellschaften nicht auf eine andere Weise
noch hilft.“ Brenner, Interview, ibid.
891 Brenner, Interview, ibid.
892 Brenner, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
367
aus. Vaillant nennt hier in Bezug auf die Qualität der Veranstaltungen exemplarisch - wie bereits zuvor zitiert - die „Wahlabende“ im Goethe-Institut
Lille, Brenner führt die jahrzehntelangen Bemühungen des Heidelberg Hauses an, sehr viele Veranstaltungen zum Thema Aufarbeitung der Vergangenheit angeboten zu haben, die der deutsch-jüdischen Aussöhnung
gewidmet waren. Besonders die Inhalte der Kulturveranstaltungen in der
französischen Hauptstadt seien diesem Qualitätsanspruch verpflichtet, so
Umlauf: „Wenn man hier (in Paris, G.F.) in irgendeiner Form wahrgenommen werden will, muss man auch sich selbst einen gewissen intellektuellen Anstrich geben.“893 Allen Sparmaßnahmen zum Trotz sind sich die
Kulturschaffenden also in diesem Punkt einig: an der Qualität der Kulturveranstaltungen darf auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht gespart werden! Einige Mittler gehen dabei sogar so weit, der Qualität der
Veranstaltungen Priorität vor der Nachfrage seitens des Zielpublikums zu
geben. Befragt, ob die Ratio zwischen Zuschauern und Budget einer Kulturveranstaltung bei der Konzeption einer Veranstaltung eine Rolle spiele,
fordert Ulrich: „Nicht nur auf die Zahlen schauen. Zahlen haben ihre Relevanz, aber noch wichtiger ist die inhaltliche Qualität.“894 Und Schraut
pflichtet ihr bei: „Es spielt eher die Qualität der Veranstaltungen eine Rolle,
denn die Anzahl der Zuschauer.“895 Neubert gibt in dieser Hinsicht dennoch auch zu bedenken, dass man in Bezug auf die Qualität der Veranstaltungen „nicht elitär an der Publikumsnachfrage vorbei planen und vorbei
produzieren könne.“896
Entscheidender Faktor sei dabei neben der bereits angesprochenen Zuschauerrelevanz des Themas vor allem auch die Frage, welche Art Zielpublikum durch die Veranstaltung angesprochen werde. In diesem Sinne
führt Ulrich ihre Argumentation weiter aus897:
„Manchmal kann bei einer Veranstaltung mit 20 Leuten (…) jemand drinsitzen, der ein wunderbarer Multiplikator ist und auf dich zukommt und
sagt: ihr habt da etwas gemacht, was mich wirklich überzeugt hat von der
Qualität, ich würde gerne etwas anderes mit euch machen.“898
893
894
895
896
897
Umlauf, Interview, ibid.
Ulrich, Interview, ibid.
Schraut, Interview, ibid.
Neubert, Interview, ibid.
Auch Brenner unterstützt das Argument der Multiplikatoren: „Dann gibt es Spezialfälle,
wo es ganz wertvoll sein kann, man hat beispielsweise einen besseren Architekten, (...)
und da brauche ich Multiplikatoren, da brauche ich ja nicht unbedingt das große Publikum.
Und da kann ich wirken, wenn ich weiß, in meinem Umfeld, in Deutschland, ist ein Mann,
der kann mit seinen Erfahrungen im Gastland was bringen.“ Brenner, Interview, ibid.
898 Ulrich, Interview, ibid.
368
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die Mittler räumen dabei ein, dass die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen Qualität der Veranstaltung, Besucherzahl und Budget durchaus
eine „legitime Überlegung [sei], die bei der Konzeption von Veranstaltungen in die Praxis eingreifen darf und soll.“899 Rhein kommt bei der Betrachtung des Verhältnisses von eingesetztem Budget, Personal und
Zuschauerzahl insgesamt zu dem Schluss, „dass dieses etwa im Vergleich zu
deutschen Opern oder Theatern ein „sehr, sehr gutes Verhältnis“ sei und
kommt bei einer Rechnung auf etwa „zehn eingesetzte Euro pro Teilnehmer“900 pro Veranstaltung.
In Bezug auf die Qualität der Veranstaltungen verfolgt er eine „Doppelstrategie“901, die er am Beispiel der Lesereise von Christoph Heym verdeutlicht:
„Bei Christoph Heym hätte ich (...) natürlich auch investiert, wenn nur
fünfzig Zuschauer gekommen wären. Ich versuche dann sozusagen einzelne Leuchtturmprojekte zu machen, die wirklich hochwertig sind, die
im Prinzip auch diesem Anspruch dann genügen, den man eben gegenüber den deutschen Partnern hat. Dann andere Sachen, die diesem Anspruch meiner Meinung nach auch genügen, bei denen man auf das Budget
nicht angewiesen ist.“902
Die Ausführungen der Experten haben belegt, dass das Kriterium der Qualität für die Entscheidungsträger der deutschen Kulturinstitute auch in Zukunft von großer Bedeutung sein wird. Besonders die deutschen Häuser
sind dabei im Rahmen ihrer Kulturarbeit dazu aufgefordert, den Nachweis
von Qualität zu erbringen, um weiterhin vom Auswärtigen Amt gefördert
zu werden. Eine Frage, die sich dabei nicht nur für sie stellen wird, ist, wie
899
900
Neubert, Interview, ibid.
„Ich habe einmal geschätzt: etwa 4000 Zuschauer für 40000 Euro Budget. Das macht
etwa 10 eingesetzte Euro pro Zuschauer. Wenn man das einmal mit einer deutschen Oper
vergleicht (...) ist das ein sehr, sehr gutes Verhältnis.“ Rhein, Interview, ibid.
901 Den Begriff der Doppelstrategie verwendet in diesem Zusammenhang auch Neubert: „
Wieviel Geld darf mich diese oder jene Veranstaltung kosten? Ich würde das jetzt mal vergleichen mit dem Programm von manchen Verlagen. Die Verleger haben oft eine Doppelstrategie, nämlich sie machen Bücher, die sich gut verkaufen, die eine hohe Nachfrage
haben und mit denen dann ein finanzieller Grundstock reinkommt und mit dem Geld,
was sie sozusagen für die Existenzsicherung reinholen, kann man dann auch Experimente
wagen und kleinere Autoren oder kleine Projekte lancieren, von denen völlig ungewiss
ist, auf welche Nachfrage sie stoßen. Das wäre in meinen Augen eine Strategie. Wenn man
sich nur nach der Nachfrage richtet, kann man auch nichts Neues und vielleicht Originelles und ein bisschen Gewagtes ausprobieren.“ Neubert, Interview, ibid.
902 Rhein, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
369
man in Zukunft den Spagat zwischen reduzierten Subventionen und steigenden Qualitätsansprüchen bewältigen kann. Auch einen zweiten Aspekt
machen die durchgeführten Interviews deutlich: Selbst wenn die befragten Akteure Einigkeit in der Forderung nach qualitativ hochwertigen Kulturveranstaltungen zeigen, ist es mehr denn je nötig, dass die Häuser
gemeinsam mit den Goethe-Instituten Qualitätskriterien entwickeln, nach
denen man die kulturelle Programmarbeit messen und bewerten kann. Auf
die Einführung und Erstellung dieser Qualitätskriterien haben sich die Häuser und Goethe-Institute bisher scheinbar noch nicht verständigt.
4.2.9 Europa als Erfolgsfaktor
Erweiterung der Kooperationen in Richtung Europa
Die Herausforderung, die deutsche Auswärtige Kulturpolitik in den Kontext der europäischen Integration zu setzen, wird in den einzelnen Instituten sehr unterschiedlich umgesetzt. Zunächst ist zu bemerken, dass die
Kulturhäuser nur in den wenigsten Fällen in den letzten Jahren strukturelle Maßnahmen getroffen haben, die eine stärker europäisch ausgerichtete kulturelle Programmarbeit ermöglichen würden. Den größten Schritt
in Richtung Europa hat aus struktureller Sicht das Centre Culturel francoallemand in Nantes gemacht, welches sich im Jahr 1998 neben dem Centre
Culturel franco-italien (gegründet im Jahre 2000) und dem Centre Culturel
franco-britannique (gegründet im Jahre 2004) der französischen Association Centre Culturel Européen angeschlossen hat. Die Struktur der weiteren Häuser lässt noch keine strukturelle Erweiterung und Öffnung nach
Europa erkennen. Die in Frankreich vertretenen Goethe-Institute hingegen verfolgen auf institutioneller Ebene eine Kooperationsstrategie mit anderen nationalen Kulturinstituten, dies jedoch (noch) nicht unter einem
Dach: Unter dem Label EUNIC (European Union National Institutes for Culture)903 schlossen sie sich im Februar 2007 gemeinsam mit anderen nationalen Kulturinstituten der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
zusammen. Im Jahre 2011 zählte diese Union bereits ca. 30 nationale Organisationen aus 25 verschiedenen Mitgliedsstaaten. Ziel dieser Union ist
es, europaweite Kooperationen und Netzwerke aufzubauen und die kulturelle Vielfalt zu fördern. Diese Vereinigung mit Sitz in Brüssel hat heute
Niederlassungen in zahlreichen europäischen Städten. In Frankreich ist der
Hauptsitz in Paris, wobei seit Mitte des Jahres 2008 zwei weitere Gruppierungen gegründet wurden: zunächst im Großraum Lyon (EUNIC Lyon) und
903
Deutsch: Vereinigung Nationaler Kulturinstitute in der Europäischen Union
370
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
wenig später im Großraum Toulouse die „EUNIC Bordeaux Aquitaine“ (übrigens durch Bürgermeister Alain Juppé). Im Jahre 2011 gehörten der
Gruppe in der Stadt an der Garonne beispielsweise die Alliance Française,
das Goethe-Institut, das Instituto Cervantes und die Società Dante Alighieri
an. In der zuerst gegründeten EUNIC Paris haben sich bis 2011 15 nationale
Kulturinstitute zusammengeschlossen 904, welche auch seit diesem Kalenderjahr von Joachim Umlauf repräsentiert werden.
Anfängliche Skepsis bei der Schaffung neuer Strukturen
Als Gründungsvater des Centre Culturel Européen in Nantes weist Jean Paul
Barbe in seinem Interview darauf hin, dass gerade die Integration des deutschen Kulturzentrums in eine europäische Dachorganisation anfangs nicht
ohne Schwierigkeiten über die Nanteser Bühne gegangen sei und sogar als
„Verrat am Deutsch-Französischen“ angesehen wurde. Barbe erinnert sich
diesbezüglich rückblickend:
„Es war schwer, das (Centre Culturel Européen) aufzubauen. Als wir, als
ich erreichen wollte, dass mehrere andere Kulturzentren kommen, (..)
wurde das praktisch als schnöder Verrat, angesehen, dadurch, dass die
Deutschen an Platz und Bedeutung verlieren würden. Aber das ist nicht
der Fall gewesen(...).“905
Während Barbe in der Erweiterung des deutsch-französischen Kulturinstituts zu einem europäischen eine Möglichkeit zur inhaltlichen Weiterentwicklung sah, befürchtete eine Reihe von französischen Partnern die
Gefahr einer Vernachlässigung des „Franco-Allemand“ zu Gunsten von
Europa. Auch Joachim Umlauf warnt in dieser Frage vor einem „falschen
Zungenschlag“, „einfach deshalb, weil man denken könnte, dass gleichzeitig die bilaterale Arbeit zwischen Deutschland und Frankreich „runtergefahren“906 werden könnte. Diesen Fehler dürfe man laut Umlauf auf keinen
Fall begehen. Vielmehr müsse man in Zukunft, so auch Barbe, die deutschfranzösische Kulturarbeit im europäischen Verband in den Vordergrund
der Kulturvermittlung rücken:
904
Zu dieser Vereinigung zählten im November 2011 folgende Kulturinstitute: British Council, Centre Culturel Bulgare, Centre Tchèque, Centre Wallonie-Bruxelles à Paris, Forum
Culturel Autrichien, Goethe-Institut, Institut Finlandais, Institut Hongrois, Institut Polonais, Institut Slovaque de Paris, Institut Suédois, Instituto Camoes à Paris, Instituto Cervantes de Paris, Institutul Cultural Român, Istituto Italiano di Culture.
905 Barbe, Interview, ibid.
906 Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
371
„Multinationale Themen anzugehen, das ist notwendig, weil man sonst
Gefahr läuft, wenn die bilaterale Arbeit, wenn sie gut gelingt, dass sie trotzdem ins Leere läuft, irgendwann, weil kein dritter Anhaltspunkt da ist,
kein anderer Partner, der im Stande ist, diese Polarisierung der Bilder auf
bilateraler Basis zu relativieren. Insofern finde ich es unentbehrlich, dass
diese deutsch-französische Kulturarbeit im europäischen Verband oder
Zusammenhang stattfindet.“907
Umlauf unterstützt den Standpunkt Barbes. Immer weniger, so Umlauf,
böten sich Veranstaltungsthemen an, welche ausschließlich eine ganz spezifisch deutsch-französische Thematik hätten. Dies würde auch einem
Wandel in der Erwartungshaltung seines Zielpublikums entsprechen:
„Ich glaube, dass insgesamt auch im deutsch-französischen Kontext sich
die Dinge ändern, das heißt, die Leute weniger bilateral, eng bezogen denken und handeln, sondern insgesamt immer eigentlich das Dreierprinzip
walten lassen. Ganz selten sind nur noch die Sachen, wo sie sagen: jetzt
haben wir etwas ganz spezifisch Deutsch-Französisches.“908
Europa als Garant für Qualität
Jan Rhein, im Jahre 2011 der jüngste Leiter eines deutschen Kulturzentrums in Frankreich mit Studien- und Berufserfahrungen in Holland, Polen
und Bulgarien, formuliert diesen Gedanken noch weiter aus: „Ich kann einfach nicht nur in diesem deutsch-französischen Kontext denken.“909 Daher
hat sich Rhein im Rahmen seiner Funktion in Nantes das Ziel gesetzt,
„Deutschland als offenes, europäisches Land zu präsentieren, immer im europäischen Kontext, nicht mehr in diesem nationalstaatlichen.“910 Allein
aus Gründen der Qualität, so Rhein, könne man die kulturelle Programmarbeit heute nicht mehr in einem rein bi-nationalen Rahmen konzipieren,
„wenn man qualitativ hochwertige Kunst vermitteln möchte.“911 Dies finge,
so Rhein, bereits mit der Vita der einzuladenden Gäste an, welche immer
seltener eine „rein Deutschland geprägte Biographie“ sei. Ähnlich sei es mit
den neuesten Produktionen, wie zum Beispiel im Bereich der Filmproduktion. Als Beispiel führt Rhein den deutschen Film „Sturm“ von Hans Christian Schmid an, welcher 2009 während des Festival du Cinéma Allemand
907 Umlauf, Interview, ibid.
908 Umlauf, Interview, ibid.
909 Rhein, Interview, ibid.
910 Rhein, Interview, ibid.
911 Rhein, Interview, ibid.
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
372
Nantes den Preis jungen Jury gewann. Dieser Film, so Rhein, hat „eine rumänische und australische Hauptdarstellerin, einen polnischen Kameramann, handelt von den Kriegsverbrechen im Kosovo und wurde in Brüssel
gedreht.“912 In dieser Perspektive lud Rhein am deutsch-französischen Tag,
dem 22. Januar 2010, zu einer Lesung der in Südkorea geborenen, in Österreich lebenden Schriftstellerin Anna Kim ein, die - im Rahmen einer Ausstellung über die deutsch-polnische Grenze - in deutscher Sprache einen
Roman über den Kosovo geschrieben hat. Die Lesung fand in Kooperation
mit dem Centre Culturel Européen Nantes statt, welches am Beispiel der Thematik „Grenzen“ ein zentrales Thema der Europäischen Union aufnahm. Analog zu dieser Art von Kulturveranstaltungen mit einer innereuropäischen
Thematik, organisierte Umlauf im Jahre 2010 im Goethe-Institut in Paris
einen Diskussionsabend zum Themenkomplex Migration und Integration:
die Burka im europäischen Vergleich.
Trotz der Vielzahl der sich bietenden Möglichkeiten zu europäischen Kooperationen und der Vielfalt an Themen, sollte man jedoch nach Umlauf
auch zukünftig weiterhin zwei Bereiche nicht aus den Augen verlieren, in
denen die Kulturarbeit ganz deutlich bilateral bezogen bleiben sollte: Dies
sei zum einen, trotz Einsatzes des Goethe-Instituts für die aufgeklärte
Mehrsprachigkeit, die intensive Förderung der deutschen Sprache in
Frankreich und zum anderen die Pflege des guten deutsch-französischen
Verhältnisses im Dienste Europas:
„Ich glaube, die positive, vertiefte Zusammenarbeit zwischen Deutschen
und Franzosen ist und bleibt dieser vielbesprochene Motor Europas (...)
oder sagen wir es einmal so: alle politischen Entscheidungen, die in Hinsicht auf Europa aber auch auf die Haltung Europas gegenüber der Welt
getroffen werden, die Franz und Deutsche nicht in eins sieht, haben es
schwieriger. Es bleibt für uns eines der Hauptziele, für die guten deutschfranzösischen Verhältnisse zu sorgen.“913
912
913
Rhein, Interview, ibid.
Umlauf, Interview, ibid.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
373
5. Bilanz und Perspektiven
Im Fokus dieser Studie stand die Analyse der kulturellen Programmarbeit
deutscher Kulturinstitute in Frankreich. Die Arbeit zielte dabei zunächst in
einem ersten historisch-orientierten Teil darauf ab, interkulturelle Vermittlungsprozesse zu untersuchen. Neben der Frage, welche Rolle zivilgesellschaftliches Engagement und kulturdiplomatische Bemühungen bei der
Gestaltung deutscher Auswärtiger Kulturpolitik spielten, sind in diesem
Kapitel der Arbeit auch die Konstituierungsgeschichten deutscher Kulturinstitute und die wichtigsten deutsch-französischen Vertragswerke dieser
Phase - von der Annäherung bis zur Versöhnung -eingehender untersucht
worden.
Eine Analyse der Phase der Wiederaufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich (1945 bis 1954) hat zunächst aufgezeigt, dass die deutsche Auswärtige Kulturpolitik der jungen
deutschen Republik durch ein zögerliches, kleinschrittiges Vorgehen ohne
strategische Ausrichtung und Konzept gekennzeichnet war, da die deutsche Diplomatie zunächst darauf bedacht war, im Nachbarland außenpolitische Fehler zu vermeiden. Dieses Vorgehen des Auswärtigen Amtes ließ
sich zum einen durch die Tatsache erklären, dass in weiten Teilen der französischen Bevölkerung bis in die 1960er Jahre hinein noch Ressentiments
gegenüber der Bundesrepublik bestanden.914 Zum anderen konnte die vorliegende Studie die These bestätigen, dass die deutsche Kulturdiplomatie in
dieser ersten Periode deutsch-französischer Kulturbeziehungen das Ziel
verfolgte, durch die Unterstützung zivilgesellschaftlicher kulturpolitischer
Initiativen im Nachbarland neues Vertrauen auch für die offizielle deutsche
Kulturpolitik zurück zu gewinnen:915 Durch offiziöses Engagement wurden gleich zu Beginn der 1950er Jahre erste deutsch-französische Kulturgesellschaften ins Leben gerufen, welche sich für die Verbreitung der
Sprache und Kultur des deutschen Nachbarn, aber auch für den deutschfranzösischen Kulturaustausch einsetzten. Aus diesen deutsch-französischen Gesellschaften ging später eine Reihe von deutschen Kulturinstituten
hervor.
914
Hans-Jürgen Lüsebrink: Perzeption des Partners in Frankreich und in der Bundesrepublik,
Kontinuitätslinien und Brüche seit den 1950er Jahren, in: Hélène Miard-Delacroix/ Rainer Hudemann: Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre, München 2005, S.223-240.
915 Ulrich Pfeil (Hg.): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20.
Jahrhundert, Hier: Ulrich Pfeil: Das Deutsche Historische Institut Paris, S.281- 308.
374
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Die Analyse dieser Phase des rapprochement916 in den deutsch-französischen Kulturbeziehungen hat außerdem ergeben, dass das erste offizielle
Vertragswerk – dem am 23. Oktober 1954 ratifizierten Kulturabkommen
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung
der Französischen Republik – nur sehr geringe Auswirkungen auf den offiziellen deutsch-französischen Kulturaustausch hatte, auf der anderen Seite
hingegen den zahllosen zivilgesellschaftlichen Initiativen wichtige Impulse
geben konnte.
In der Zeit zwischen dem Kulturabkommen von 1954 und der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags im Jahre 1963, welche innenpolitisch durch
Deutschlands Aufstieg zur Wirtschaftsmacht („Wirtschaftswunder“) geprägt war, nahm der außenpolitische Druck auf das deutsche Auswärtige
Amt zu, seiner Strategie der Zurückhaltung ein Ende zu setzen und von der
Rolle des „Nehmenden“ in die Rolle des „Gebenden“ überzugehen. Die vorliegende Arbeit belegte anhand einer Analyse von Situationsberichten der
Kulturabteilung der deutschen Botschaft und des Auswärtigen Amtes zu
Beginn der 1960er Jahre, wie kritisch auch seitens der deutschen Kulturdiplomatie das bisherige Vorgehen der offiziellen deutschen Auswärtigen
Kulturpolitik in Frankreich bewertet worden war. In dieser Phase der Versöhnung wurden die ersten deutschen Kulturinstitute auf französischen
Boden errichtet, welche jedoch höchst unterschiedliche Konstituierungsbedingungen aufwiesen. Im Rahmen der Arbeit konnten jedoch Parameter
erarbeitet werden, die einen Vergleich der divergierenden Entstehungsgeschichten ermöglichten: so zum Beispiel die Bedeutung universitärer
Mittler, das Engagement französischer Partner und die diplomatischen
Zwänge. Eine übergeordnete Konstante der unterschiedlichen Konstituierungsbedingungen war die Unterstützung durch die deutsch-französische
Zivilgesellschaft.
Die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten der Institute haben zugleich
eine Reihe von zeitlichen Asymmetrien (nach Werner917) offen gelegt, da
es in den einzelnen Fällen -bedingt durch die großpolitische Lage zwischen
Deutschland und Frankreich - zu erheblichen Zäsuren und Verzögerungen
916
Siehe: Hélène Miard-Delacroix/ Rainer Hudemann: Deutsch-französische Wandlungsprozesse in den 1950er Jahren, S.13-27, In: Hélène Miard-Delacroix/ Rainer Hudemann
(Hg.): Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherungen der fünfziger Jahre,
München 2005.
917 Michael Werner: Dissymmetrien und symmetrische Modellbildungen in der Forschung
zum Kulturtransfer, in: Hans-Jürgen Lüsebrink/Reichardt Rolf (Hg.): Kulturtransfer im
Epochenumbruch, (Band 9.1 der Deutsch-Französischen Kulturbibliothek). Leipzig 1997,
S.87-102.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
375
in der Umsetzung der einzelnen Projekte kam. So hat beispielsweise der
Vergleich der Entstehungsgeschichten der Goethe-Institute in Paris und
Lille den Nachweis erbracht, dass man hier sogar von einer mehrdimensionalen Asymmetrie, im Sinne einer Verknüpfung von zeitlicher und räumlicher Asymmetrie sprechen kann.
Die Analyse des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages vom 22. Januar 1963 im Kontext der Untersuchungsgegenstandes deutscher Auswärtiger Kulturpolitik konnte nachweisen, dass das bilaterale Abkommen
eine katalysierende Wirkung918 auch auf die Gründung weiterer deutscher
Kulturinstitute in Frankreich in den 1960er Jahren hatte: Erst im Anschluss
an die Unterzeichnung des Elyséevertrags griff nämlich das Auswärtige
Amt durch die Setzung regionaler Schwerpunkte erstmals aktiv in die Gestaltung eines Netzwerks offizieller deutscher Kulturinstitute in Frankreich ein, indem es sich teils für, teils gegen die Eröffnung eines
Goethe-Instituts an bestimmten Standorten entschied. Diese Standortauswahl erfolgte nach zwei Kriterien: zum einen sollte das institutionelle Netzwerk der Goethe-Institute in Frankreich möglichst flächendeckend
ausgerichtet, zum anderen regionale Konzentrationen von Instituten vermieden werden. So entstanden ab etwa Mitte der 1960er Jahre, d.h. nach
der Unterzeichnung des Elyséevertrages, jene zwei unterschiedliche Modelle deutscher Kulturvermittlung, welche auch heute noch komplementär die kulturelle Landschaft deutscher Kulturinstitute in Frankreich
prägen: die offiziellen Goethe-Institute auf der einen und die offiziösen
deutsch-französischen Kulturgesellschaften auf der anderen Seite.
In Bezug auf die interkulturellen Vermittlungsprozesse deutsch-französischer
Kulturbeziehungen des gesamten Zeitraums von 1945 bis zur Unterzeichnung
des Elyséevertrags im Jahre 1963 hat das historisch-orientierte Kapitel der vorliegenden Studie den Nachweis erbracht, dass die Wiederaufnahme offizieller
Kulturbeziehungen aus institutionengeschichtlicher Sicht allen voran zivilgesellschaftlichen Initiativen französischer Associations und deutsch-französischen
Gesellschaften, aber auch deutsch-französischen Universitätspartnerschaften zu verdanken war. Offizielle deutsche Behörden, wie die deutsche Botschaft in Paris und das Auswärtige Amt in Bonn, nahmen diese
kulturpolitischen Signale aus der Zivilgesellschaft erst spät in ihre strategischen Planungen auf, was schließlich zur oben beschriebenen Gestaltung
der institutionellen Infrastruktur deutscher Kulturinstitute in Frankreich
führte.
918
Znined-Brand, ibid. S.103.
376
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Als zweiter interkultureller Vermittlungsprozess standen in diesem historisch- orientierten Kapitel auch die personalen Vermittler im Fokus des Forschungsinteresses. Hier konnten die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten
der einzelnen Kulturinstitute ein bahnbrechendes Engagement einzelner zivilgesellschaftlicher Akteure, aber auch einzelner Kulturdiplomaten belegen,
die als Vorreiter und Wegbereiter im Rahmen der deutsch-französischen Kulturbeziehungen gewirkt haben. In diesem Zusammenhang wurde anhand
einer Reihe von Beispielen der Nachweis erbracht, dass es insbesondere
Mittlerpersönlichkeiten aus dem universitären Bereich waren, die einen
maßgeblichen Anteil am Aufbau der institutionellen Infrastruktur hatten.
Der erste Teil der Studie lenkt zugleich den Blick auf eine Reihe von nicht
eruierten Forschungsfeldern, welche in der vorliegenden Studie nicht behandelt wurden. So konzentrierte sich die Studie der Konstituierungsbedingungen deutscher Kulturinstitute auf die Darstellung einiger weniger
Fallstudien, die es jedoch erlaubten, ein Fundament von Vergleichsparametern zu schaffen, auf dem andere Untersuchungen zu weiteren Entstehungsgeschichten aufbauen können. Man kann in diesem Zusammenhang
zum Beispiel feststellen, dass bisher nur diejenigen Konstituierungsbedingungen von Instituten untersucht wurden, welche in der Folge auch zu
einer Gründung eines deutschen Kulturinstituts führten. Diese Fälle stellen
jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Es wäre daher auch ein Anliegen
dieser Studie, Anstoß zu weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu geben, welche unter anderem den Fragen nachgehen, in welchen
französischen Städten und aus welchen Gründen weitere Projekte zur
Gründung deutscher Kulturinstitute in Frankreich scheiterten.
Auch die Analyse der Einflüsse deutsch-französischer, zivilgesellschaftlicher Partnerschaften wie beispielsweise Universitäts-, Städte- und Regionalpartnerschaften auf den deutsch-französischen Kulturtransfer stellt eine
weitere Herausforderung zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung dar.
Der Einfluss dieser multiplen Netzwerke auf Entstehen und Wirken deutscher kultureller Mittlerorganisationen der ersten Stunde ist ebenfalls –
von einigen wenigen interessanten Ansätzen919 abgesehen – weitestgehend unerforscht.
Betrachtet man schließlich die jüngst herausgegebenen wissenschaftlichen
Untersuchungen mit institutionengeschichtlichem Ansatz im deutsch-
919
Siehe hierzu: Corine Defrance, Les premiers jumelages franco-allemands, 1950-1963. In:
Lendemains 84 (1996), Seite 83 ff.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
377
französischen Kontext920, so muss man feststellen, dass ein Großteil der Forschungsarbeiten Pariser Institutionen gewidmet ist. Entstehungsgeschichten von deutschen Kulturinstituten in der Provinz finden bisher in der
Forschungsliteratur noch kaum Beachtung. Dabei wäre es gerade vor dem
Hintergrund des europäischen Einigungsprozesses von besonderem Interesse, Konstituierungsbedingungen einzelner Kulturinstitute in Grenzregionen (wie beispielsweise des Goethe-Instituts in Nancy) eingehender zu
untersuchen. Gleiches gilt für monografische Studien zu Mittlerpersönlichkeiten im Kontext der deutsch-französischen Kulturbeziehungen der
1950er bis 1960er Jahre. Noch stehen zu sehr jene Mittler im Fokus des
Forschungsinteresses, die zwischen Paris und Bonn vermittelt haben. Im
Sinne einer „Dezentralisierung des Forschungsinteresses“ sollten künftig
auch personale Vermittler, welche beispielsweise im Rahmen der Städtepartnerschaften zwischen Mainz und Dijon, Nantes und Saarbrücken, Montpellier und Heidelberg, Lille und Köln wirkten, in der Forschungsliteratur
mehr Beachtung finden.
Der zweite Hauptteil der Arbeit war zunächst den wichtigsten Konzepten
zur Gestaltung deutscher Auswärtiger Kulturpolitik der letzten fünf Jahrzehnte gewidmet, wobei jeweils die wichtigsten Konzepte eines Jahrzehnts
zusammengefasst wurden. In einem zweiten Schritt wurden grundlegende
offizielle Positions- und Strategiepapiere des Auswärtigen Amtes und konzeptionelle Überlegungen der deutsch-französischen Zivilgesellschaft mit
den jeweiligen kulturellen Praktiken deutscher Kulturinstitute verglichen,
um Konvergenzen und Divergenzen zwischen Theorie und Praxis herauszuarbeiten. Was die Konvergenzen angeht, sei an dieser Stelle auf die Bilanzen der einzelnen Kapitel verwiesen. Jeder einzelne der fünf
Untersuchungszeiträume von den 1960er Jahre bis heute konnte jedoch
anhand zentraler konzeptueller Kriterien auch das Auseinanderklaffen von
Programm und Programmatik in den einzelnen Phasen kultureller Praxis
detailliert belegen.921 Die wichtigsten Ergebnisse dieser qualitativen
920
Martin Raether: Maison Heinrich Heine Paris. 1956 - 1996. Quarante ans de présence culturelle.” Bonn, Paris 1998 ; Hans Manfred Bock: Topographie deutscher Kulturvertretung
im Paris des 20. Jahrhunderts Edition lendemains, Tübingen 2010, in: Ulrich Pfeil:
Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert, München 2007.
921 Es ist an dieser Stelle nicht das Ziel der Bilanz, diese Ergebnisse nochmals zusammenzufassen. Dies wäre zum einen redundant, zum anderen würde eine erneute Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Gefahr laufen, unvollständig zu sein. Es sei daher
an dieser Stelle auf das jedes Kapitel abschließende Fazit verwiesen, welches jeweils en
détail die vorangegangenen Untersuchungsergebnisse resümiert.
378
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Selektionsprozesse sollen hier anhand von zentralen Parametern nochmals
kurz zusammengefasst werden922:
1. Kulturarbeit als interkultureller Dialog mit dem Partnerland
Von den ersten konzeptuellen Thesen zur Auswärtigen Kulturpolitik Dieter Sattlers der 1960er Jahre („Seilbahn“), über die Leitsätze Ralf Dahrendorfs der 1970er Jahre („Zweibahnstraße“), bis hin zur Maxime der
heutigen Bundesregierung („Alte Freundschaften pflegen, neue Partnerschaften gründen“), ist das Prinzip des interkulturellen Austauschs mit dem
Partnerland oberstes Primat ausnahmslos aller grundlegenden Konzeptionen zur kulturellen Programmarbeit. Die Qualität dieses interkulturellen Austauschs ist evaluierbar. Ein erster Indikator für diesen
interkulturellen Dialog mit dem Partnerland ist die konstante Integration
lokaler, regionaler und nationaler Kooperationspartner in die Gestaltung
der kulturellen Programmarbeit. Die Intensität des interkulturellen Dialogs dokumentiert sich zweitens in der Auswahl interkultureller Themenschwerpunkte der kulturellen Programmarbeit. Die vorliegende Studie
konnte belegen, dass das Kriterium der Dialogbereitschaft nur von wenigen
Goethe-Instituten konsequent umgesetzt wurde.
2. Die Erweiterung des Kulturbegriffs
Seit der Konzeption Ralf Dahrendorfs in den 1970er Jahren war die Erweiterung des Kulturbegriffs ein weiteres Postulat sowohl aller Konzeptionspapiere des Auswärtigen Amtes als auch der Auseinandersetzungen der
deutsch-französischen Zivilgesellschaft mit dieser Thematik. Um zu überprüfen, inwiefern dieses Konzept in der jeweiligen kulturellen Programmarbeit umgesetzt wurde, wurden jeweils in den fünf aufeinanderfolgenden
Untersuchungsphasen die Themenschwerpunkte der einzelnen Goethe-Institute analysiert und anschließend dem engen oder erweiterten Kulturbegriff zugeordnet. Eine stichprobenartige Analyse der kulturellen Programmarbeit einzelner Goethe-Institute hat in diesem Punkt ergeben, dass auch in
Bezug auf dieses Beurteilungskriterium große Divergenzen zwischen den
konzeptionellen Leitgedanken und der praktischen Umsetzung vor Ort festzustellen waren. Diese Diskrepanz traf jedoch nicht auf alle Goethe-Institute zu. So verpflichtete sich beispielsweise das Goethe-Institut in Lille über
922
Diese verallgemeinernde, theoriegenerierende Darstellungsweise kann daher nur bedingt
einzelne Institutsprofile berücksichtigen. In Bezug auf diese besonderen Institutsprofile
sei daher an dieser Stelle nochmals auf die detaillierten Darstellungen vorangegangener
Kapitel verwiesen.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
379
Jahrzehnte hinaus bei der Gestaltung seiner kulturellen Programmarbeit
dem erweiterten Kulturbegriff.
3. Die Erweiterung des Zielpublikums
Bereits in den frühen 1970er Jahren regten sowohl das Peisert-Gutachten
als auch die Leitlinien von Dahrendorf dazu an, durch die Erweiterung des
Kulturbegriffs auch eine Erweiterung des Zielpublikums der Goethe-Institute anzustreben. Bereits im Rahmen der Vorverhandlungen zum Elyséevertrag hatten sich Mittlerpersönlichkeiten aus der französischen
Zivilgesellschaft (darunter auch Alfred Grosser) für diese Erweiterung der
Zielgruppen ausgesprochen. Wenngleich sich die vorliegende Arbeit lediglich auf eine Analyse der inhaltlichen Schwerpunkte der Kulturprogramme
der Goethe-Institute stützte und keinerlei Studien zu Herkunft, sozialem
Status oder Bildungsstand der Zielgruppen betrieben hat, legt eine
Auswertung der Programmschwerpunkte die Deutung nahe, dass die Goethe-Institute durch ihre kulturelle Programmarbeit grosso modo in durchgehend allen Untersuchungszeiträumen vornehmlich Multiplikatoren oder
die Bildungselite – und somit ein begrenztes Zielpublikum – angesprochen
haben. Diese These ließ sich auch durch die Auswertung der wichtigsten
Kooperationspartner bei Kulturveranstaltungen (an erster Stelle stand hier
in vielen Fällen die Hochschulkooperation) stützen.
4. Das Kriterium der Nachhaltigkeit
Die Untersuchungen haben dokumentiert, dass im Zuge der europäischen
Integration und der Globalisierung das Prinzip der kulturellen Nachhaltigkeit in den konzeptionellen Grundüberlegungen des Auswärtigen Amtes
zunehmend an Bedeutung gewann: So war das Kriterium der Nachhaltigkeit zuletzt auch fester Bestandteil der Konzeption 2000. Die Umsetzung
des Prinzips der Nachhaltigkeit wurde anhand der Kriterien konstanter
Kooperationspartner und der kontinuierlichen Themenschwerpunkte
überprüft. Die Analyse einer großen Anzahl von Untersuchungsphasen belegte auch hier, dass, bis auf einige wenige Ausnahmen, bei der Gestaltung
der kulturellen Programmarbeit dem Kriterium der Nachhaltigkeit nicht
entsprochen wurde. Einen wichtigen Erklärungsansatz für Divergenzen
zwischen Programm und Programmatik lieferten die fortwährenden Wechsel in der Institutsleitung, die sich aus dem Rotationsprinzip der Mittlerorganisation ergaben.
380
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
5. Politische und ideologische Zielsetzungen als Antriebskräfte von Kulturtransferprozessen923: die deutsche Wiedervereinigung, die Europäische
Integration und das Deutschlandbild im Spiegel der kulturellen Programmarbeit.
Insbesondere Ende der 1980er Jahre, als die deutsche Auswärtige Kulturpolitik im Spannungsfeld zwischen der deutschen Wiedervereinigung und
der europäischen Integration eine konzeptuelle Neuausrichtung mit veränderter inhaltlicher Schwerpunktsetzung vollziehen musste, traten Abweichungen zwischen den politischen und ideologischen Zielsetzungen
deutscher Auswärtiger Kulturpolitik des wiedervereinten Deutschlands
und der praktischen Umsetzung in der kulturellen Programmarbeit der
Goethe-Institute besonders deutlich zu Tage. Dieses Ergebnis wurde anhand einer Analyse der in den Jahrbüchern aufgeführten Schwerpunktthemen Neue Bundesländer und Europa, aber auch anhand der Auswertung
der institutionellen Kooperationspartner, erzielt. Obwohl dem GoetheInstitut nach der Wiedervereinigung ab Oktober 1990 auch die Aufgabe
zukam, in seiner kulturellen Programmarbeit das vereinte Deutschland
darzustellen und die Neuen Bundesländer zu einem der Schwerpunktthemen der 1990er Jahre zu machen, wurde in der Studie deutlich, dass in diesem Zeitraum nur ein schwindend geringer Anteil der Kulturveranstaltungen
der Goethe-Institute in Frankreich dieser Thematik gewidmet wurde. Dieser Befund ist umso erstaunlicher, wenn man in Betracht zieht, dass man in
den Außenstellen der Goethe-Institute in dieser Phase einen hohen Informationsbedarf zu den Neuen Ländern seitens des französischen Zielpublikums festgestellt hatte.
Die gleiche Tendenz ließ sich auch in Bezug auf die Behandlung des Themas
Europa und die Europäische Integration in der kulturellen Programmarbeit
feststellen. So belegte beispielsweise eine Auswertung der Jahrbücher aller
Goethe-Institute im Zeitraum von 1994 bis 1997, dass weniger als 10 Prozent der Gesamtveranstaltungen in den Kontext der Europäischen Integration eingeordnet werden konnten. Auch in dieser entscheidenden Phase
nach der Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht wurden die Goethe-Institute nicht dem konzeptuellen Anspruch gerecht, über biltaterale,
deutsch-französische Themenkreise hinauszugehen und ein Kulturprogramm mit Mehrwert für Europa zu schaffen. Bestätigt wurde diese These
auch durch das Ergebnis der Auswertung dauerhafter institutioneller Kooperationspartner: Eine Analyse der Kulturprogramme der Goethe-Institute
923
Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. S.140-141.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
381
der letzten zwei Jahrzehnte führte zu dem Ergebnis, dass die Institute mittels der kulturellen Programmarbeit – mit Ausnahme des Goethe-Instituts
Paris – langfristig kaum institutionelle europäische Kooperationspartner
an sich binden konnten. Dabei ließen einzelne Institute durchaus positive
Ansätze zu europäischen Kooperationen erkennen: So prägte zum einen
die Kooperationsbereitschaft mit weiteren offiziellen Kulturinstituten anderer Länder die kulturelle Programmarbeit des Goethe-Instituts Lyon in
der Mitte der 1990er Jahre, zum anderen kooperierte das Goethe-Institut
Lille im Rahmen des Weimarer Dreiecks mit Partnern aus polnischen Regionen. Diese innovativen Impulse wurden jedoch von den weiteren Außenstellen kaum aufgenommen.
Anhand der unterschiedlichen Konzeptionen zur deutschen auswärtigen
Kulturpolitik wurde in der vorliegenden Arbeit stets auch auf das durch
die kulturelle Programmarbeit zu vermittelnde Deutschlandbild – als bedeutende Antriebskraft des Kulturtransfers – eingegangen. Dabei haben
die unterschiedlichen Untersuchungsabschnitte deutlich gemacht, dass
deutsche Innen- und Außenkulturpolitik stets als zwei Seiten einer Medaille zu bewerten waren. Für die fünf analysierten Jahrzehnte deutscher
Auswärtiger Kulturpolitik lassen sich – stark vereinfachend – fünf unterschiedliche Phasen herausarbeiten: So sollte das in den 60er Jahren zu vermittelnde Deutschlandbild - als Gegenpol zum deutschen Wirtschaftswunder
- Wert auf die deutsche Kulturnation legen und verpflichtete sich daher dem
engen Kulturbegriff. Bedingt durch die gesellschaftskritischen innenpolitischen Tendenzen der 70er Jahre, entwarfen die deutschen Mittlerorganisationen in ihrer kulturellen Programmarbeit ein aktuelles, kritisches
Deutschlandbild. Was die 80er Jahre betrifft, haben die Untersuchungen
durchaus eine gespaltene Meinung deutscher (Kultur-) Politiker zum im
Ausland zu vermittelnden Deutschlandbild aufgezeigt. Auf der einen Seite
verfocht man im sozialliberalen Lager die Ansicht, im Ausland weiterhin
ein deutschlandkritisches Bild zu vermitteln, während man im konservativen Lager mittels eines engen Kulturbegriffs ein positives Deutschlandbild
im Ausland entwerfen wollte. Vor dem Hintergrund des deutschen Einigungsprozesses der 90er Jahre sollte die kulturelle Programmarbeit das
vereinte Deutschland in der Welt als friedliche, demokratische, aber auch
selbstkritische Nation darstellen. Symbolisiert durch die „Berliner Republik“, begann schließlich im vergangenen Jahrzehnt ein Prozess, welcher im
Sinne eines Nationbrandings Imagewerbung für ein neues, modernes
Deutschlandbild betrieb.
Die Analyse wies jedoch auch nach, dass in den entscheidenden Stadien
deutscher Auswärtiger Kulturpolitik das Deutschlandbild, welches
382
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Deutschland durch seine Kulturpolitik in Frankreich vermitteln wollte, mit
dem in Frankreich verbreiteten Fremdbild nicht immer übereinstimmte.
Gerade in innen- wie außenpolitisch schwierigen Phasen der deutsch-französischen Beziehungen entsprach der konzeptionelle Anspruch der Außenkulturpolitik, „dritte Säule“ (Brandt) und „Frühwarnsystem“(Enzensberger)
zu sein, nicht der praktischen Realität. Diese These konnte unter anderem
durch die Analyseergebnisse des Untersuchungszeitraums unmittelbar nach
der Deutschen Wiedervereinigung von 1989 bis 1993 gestützt werden. In
Bezug auf „Generatoren von Kulturtransferprozessen“ stellt Lüsebrink in
Bezug auf „emotionale und affektive Faktoren“ fest, dass diese „gleichfalls
für Kulturtransferprozesse eine zum Teil nur schwer fassbare, aber kaum
zu überschätzende Rolle [spielen].“924 Die Studie belegte so anhand der
Jahresberichte zu Beginn der 1990er Jahre, dass sich in der französischen
Bevölkerung, aber auch unter den deutschlandinteressierten Besuchern
der einzelnen Goethe-Institute, die Angst vor einem in Europa übermächtigen, wiedervereinigten Deutschland zu verbreiten schien. Hätte man im
Auswärtigen Amt schon frühzeitig, im Sinne einer „kulturellen Zweibahnstraße“ (Dahrendorf) und eines „dialogfähigen Frühwarnsystems“ (Enzensberger) auf Signale der Außenstellen der Goethe-Institute reagiert,
hätte eine Neujustierung in Bezug auf das kulturpolitische Vorgehen
Deutschlands in Frankreich, Europa und der Welt bereits viel früher erfolgen können. Es dauerte jedoch vier Jahre, bis 1993, bis das Auswärtige Amt
ein Umdenken in der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik vollzog.
6. Die Rolle der Zivilgesellschaft
Die Analyse der Tätigkeitsberichte der deutsch-französischen Häuser und
des Projektes DeutschMobil haben gezeigt, dass – versteht man die Föderation der Deutsch-Französischen Häuser als Initiative der deutsch-französischen Zivilgesellschaft und komplementäres Modell zur offiziellen
deutschen Mittlerorganisation der Goethe-Institute – die Häuser in den
letzten zwei Jahrzehnten, insbesondere, was die Praxis ihrer kulturellen
Programmarbeit angeht, zu einem gleichwertigen Partner der Goethe-Institute avanciert sind. Wesentliche, oben aufgezeigte Grundprinzipien deutscher Auswärtiger Kulturarbeit, wie z.B. der interkulturelle Austausch, die
Kooperationsbereitschaft mit der französischen Zivilgesellschaft, die Erweiterung des Kulturbegriffs, die Öffnung der kulturellen Programmarbeit
auf neue Zielgruppen und die Ausrichtung der kulturellen Programmarbeit nach dem Kriterium der Nachhaltigkeit, wurden im letzten Jahrzehnt
924
Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. S.141.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
383
von diesen deutsch-französischen Kulturgesellschaften konsequent und
konstant umgesetzt. Dies konnte exemplarisch unter anderem anhand des
Projekts DeutschMobil und der Auswertung der Tätigkeitsberichte eines
der Häuser über einen längeren Zeitraum belegt werden.
Zivilgesellschaftliche Debatten zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik
Die Untersuchung hat auch belegt, dass insbesondere in den letzten zwei
Jahrzehnten öffentlich geführte Debatten der deutsch-französischen Zivilgesellschaft zur deutschen Auswärtigen Kulturpolitik maßgeblich dazu beigetragen haben, dass bestehende offizielle Konzepte des Auswärtigen
Amtes weiterentwickelt und innen- wie außenpolitischen Veränderungen
effektiver angepasst wurden. Exemplarisch sei an dieser Stelle nochmals
an die Debatten deutscher Intellektueller um Lepenies und Enzensberger
in der Mitte der 1990er Jahre zur Neujustierung deutscher auswärtiger
Kulturpolitik und die intensiv geführte Debatte deutsch-französischer Mittlerpersönlichkeiten um die Jahrtausendwende erinnert, welche „Auswege
aus der Routine“ des deutsch-französischen Kulturaustauschs aufzeigten.
Grundlegende Forderungen der Zivilgesellschaft fanden später sogar Eingang in die Konzepte des Auswärtigen Amtes, was unter anderem anhand
der Konzeption 2000 aufgezeigt wurde.
Auch aus den vorangegangenen, zusammengefassten Ergebnissen des
zweiten Teils der Untersuchungen ergibt sich eine Reihe von Forschungsdesiderata. Zunächst einmal wurde durch die Ausführungen der Nachweis
erbracht, dass Programmhefte, Jahrbücher und Tätigkeitsberichte von Kulturinstituten als Korpora und Untersuchungsgegenstand des deutsch-französischen Kulturtransfers eine Vielzahl von Untersuchungsansätzen
zulassen. In Bezug auf den Forschungsbereich der deutschen Auswärtigen
Kulturpolitik wäre es beispielsweise von großem Interesse, Langzeitstudien über die Programmhefte einzelner Institute zu verfassen und diese
hinsichtlich der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen und
der Europäischen Integration auszuwerten. Neben diesen Langzeitstudien
wären auch Querschnittstudien von Interesse: So wäre es beispielsweise
sehr gewinnbringend, die kulturelle Programmarbeit deutscher kultureller
Programmarbeit im Zeitraum von 1988 bis 1998 vor dem Hintergrund der
deutschen Wiedervereinigung und des europäischen Einigungsprozesses
zu untersuchen. Der Rahmen der Methodik des Kulturtransfers bietet insbesondere im Bereich der Analyse von Rezeptionsprozessen weitere Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der kulturellen
Programmarbeit deutscher Kulturinstitute in Frankreich. Zahlreiche Kulturinstitute verfügen in ihren Archiven über eine große Anzahl gesammelter
384
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Presseartikel zu den einzelnen Kulturveranstaltungen. Hier wäre es wünschenswert, Studien mit dem Schwerpunkt der Rezeptionsforschung
durchzuführen, anhand derer der Zusammenhang zwischen kultureller
Programmarbeit und Fremdwahrnehmung eruiert werden könnte.
Schließlich sollte dieses Kapitel auch Türen zur empirischen Forschung öffnen. Die Studie hat insbesondere in diesem Teil offen gelegt, wie sehr die
Zukunft kultureller Vermittlungsarbeit von der Fähigkeit der Mittler abhängt, auf ihre Zielgruppen zuzugehen, sich neue Zielgruppen zu schaffen
und somit ein Gleichgewicht zwischen angebots- und nachfrageorientierten Kulturveranstaltungen herzustellen. Diese Forschungslücke kann nur
durch eine Reihe von wissenschaftlichen Evaluationsforschungen (dazu
mehr im folgenden Teil) geschlossen werden.
Das letzte Kapitel der Arbeit untersuchte anhand einer Reihe von Experteninterviews Positionen und Sichtweisen einzelner Experten in ihrer Rolle
als personale Vermittler im Kontext des deutsch-französischen Kulturtransfers. Dieser Teil der Studien war insbesondere von praktischer Relevanz und zielte neben einer Bilanz der Mittlerpersönlichkeiten zur bisher
in Frankreich geleisteten Kulturarbeit darauf ab, Zukunftsperspektiven des
deutsch-französischen Kulturaustauschs aufzuzeigen.
Ein Konsens der Experten bestand zunächst in der Forderung, den deutschfranzösischen Beziehungen auch zukünftig eine Sonderstellung im Rahmen
der Europäischen Integration zukommen zu lassen, was die Experten insbesondere durch die Bedeutung der deutsch-französischen Achse in europäischen Krisensituationen begründeten. Diese von allen eingeforderte
Sonderstellung werde, auch das ergab die Auswertung der Experteninterviews, nicht zuletzt durch das weltweit einzigartige Netzwerk zivilgesellschaftlichen Austauschs gestützt. Vor dem Hintergrund weiterer drohender
Sparmaßnahmen im Bereich der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik in
Westeuropa waren sich die Mittler jedoch auch weitestgehend einig, dass
der Zeitpunkt gekommen ist, Weichen für eine langfristige Präsenz deutscher Kulturinstitute in Frankreich zu stellen. Eine Reihe in der Studie aufgezeigter Alleinstellungsmerkmale (unter anderem z. B. die deutsche
Spracharbeit, das Kulturzentrum als Begegnungsstätte, das Kulturinstitut
als lokaler Dienstleister und die Qualität der Kulturveranstaltungen) deutscher Kulturinstitute sprechen dafür, dass auch in Zukunft eine kulturelle
Nische für deutsche Kulturinstitute in Frankreich Bestand haben wird. Dennoch hat die Auswertung der Interviews auch deutlich vor Augen geführt,
dass die Arbeit der deutschen Kulturinstitute in vielen Bereichen der kulturellen Zusammenarbeit optimiert werden muss. Die wichtigsten strate-
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
385
gischen Empfehlungen sollen an dieser Stelle zusammengefasst und kommentiert werden.
1. Spezialisierung auf einzelne Veranstaltungssegmente
Zunächst sollten sich - laut Experten - die deutschen Kulturinstitute mit
der strategischen Frage auseinandersetzen, ob - und unter welchen Umständen - es vor dem Hintergrund weiterer drohender Sparmaßnahmen
Sinn hat, an dem Prinzip eines „Kulturinstituts als Allspartenhaus“ festzuhalten, welches im Gegensatz zu anderen Kulturstätten wie beispielsweise
Opern oder Kinos, eine Vielzahl unterschiedlicher Veranstaltungsformen
anbietet. Im Sinne einer zunehmenden Spezialisierung und Profilisierung
der Kulturinstitute scheint es den Aussagen zufolge heute sinnvoll, auch in
Bezug auf die Auswahl von Veranstaltungsformen Schwerpunkte zu setzen. Das schließt nicht aus, dass sich jeweils regional unterschiedlich ausgerichtete Institutsprofile herauskristallisieren können. Auch könnten
einzelne Kulturinstitute bestimmte Veranstaltungsformen oder Kulturprojekte für das Netzwerk der Goethe-Institute und der deutsch-französischen Häuser konzipieren, wie es beispielsweise im Bereich des deutschen
Films (Goethe-Institut Lille) und der Dichterlesungen bereits der Fall ist.
Diese Form der internen Projektkooperation müsste jedoch dem Prinzip
der „Zweibahnstraße“ untergeordnet sein, was heißt, dass jedes Institut in
einem anderen Veranstaltungssegment die Verantwortung für das gesamte
Netzwerk deutscher Kulturinstitute in Frankreich zu übernehmen hätte.
2. Verbesserung der internen und externen Kommunikation
Aus den Interviews geht hervor, dass Goethe-Institute und Deutsch-Französische Häuser sich zunächst zu einem regelmäßigen Austausch von BestPractice Erfahrungen verpflichten sollten. Dieser Austausch sollte
verbindlich alle zwei bis drei Monate stattfinden und zwischenzeitlich
durch eine regelmäßige Nutzung moderner Kommunikationstechnologien
(z. B. durch regelmäßige Videokonferenzen) ergänzt werden. Gegenstand
dieser Besprechungen sollten vorrangig der Inhalt geplanter Kulturveranstaltungen, die Auswahl von Kooperationspartnern, die Ausrichtung des
Public-Private Partnership und die Strategie der Öffentlichkeitsarbeit sein.
3. Harmonisierung inhaltlicher Schwerpunkte
Drittens, so die Experten, sollten Deutsch-Französische Häuser und Goethe-Institute dazu angehalten werden, gemeinsame Kulturprojekte zu entwickeln. Angestrebt werden sollte bei diesen Kooperationsprojekten die
Form der additiven Kooperation, d.h. Kooperationsformen mit einem
386
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
größtmöglichem Mehrwert für alle beteiligten Partner. Es versteht sich von
selbst, dass diese Form der Kooperation keinesfalls mit einer Uniformisierung und Vereinheitlichung deutscher kultureller Programmarbeit gleichzusetzen ist, denn alle Experten hatten sich in den Interviews ebenfalls
deutlich dafür ausgesprochen, die regionale Identität ihres jeweiligen Kulturzentrums wahren zu wollen. Daher dürften diese gemeinsamen Großprojekte nur einen Teil der konzipierten Veranstaltungen darstellen.
4. Schaffung von einheitlichen Evaluationskriterien zur Bewertung der
kulturellen Programmarbeit
Viertens sollten die in Frankreich wirkenden deutschen Kulturmittler dazu
angehalten werden, eigene Evaluationskriterien für ihre Kulturveranstaltungen zu entwickeln und sich gegenseitig im Sinne von „kritischen Freunden“ zu evaluieren. Erste Ansätze dieser Art Selbstevaluation waren in den
Tätigkeitsberichten des Rheinland-Pfalz Hauses in Dijon zu finden. Die Analyse der Konzeptionen des Auswärtigen Amtes, die Untersuchung der kulturellen Praxis anhand der Jahrbücher und die Auswertung der
Experteninterviews legen bereits eine Reihe von Evaluationskriterien nahe,
die als Leitfaden für diese Selbstevaluation von Kulturveranstaltungen geltend gemacht werden könnten. Zu ihnen zählen sicherlich die oben genannten Kriterien des erweiterten Kulturbegriffs, der Erweiterung von
Zielgruppen, der kulturellen Nachhaltigkeit, der regionalen Relevanz der
Kulturveranstaltungen und schließlich der Anzahl der Kooperationspartner. Es wäre im Sinne von Joachim Umlauf, dem Regionalleiter der GoetheInstitute in Frankreich, sogar in einem zweiten Schritt zu überlegen, in
welchem Maße in Zukunft Kulturveranstaltungen durch staatliche Subventionen nur dann gefördert werden sollten, die einem Großteil dieser
Kriterien entsprechen.
5. Erweiterung der Zielgruppen
Schließlich sollte in Zukunft auf die unterschiedlichen Zielgruppen der
deutschen Kulturinstitute noch mehr eingegangen werden. Dies legt vor
allem die Handlungsempfehlung nahe, dass die einzelnen Kulturinstitute
auch externe wissenschaftliche Evaluationen zur Generierung von Erfahrungswissen durchführen sollten. Diese Evaluationen sollten vier unterschiedliche Evaluationsziele925 verfolgen:
den Gewinn von Erkenntnissen (z.B. Untersuchungsgegenstand: kulturelle
Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen)
925
Hierzu: Reinhard Stockmann, Handbuch zur Evaluation, Münster 2007, S.36.
Das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik
387
die Ausübung von Kontrolle (z.B. Untersuchungsgegenstand: Bilanz, ob die
angestrebten Ziele der Relevanz oder Nachhaltigkeit erreicht wurden)
die Schaffung von Transparenz und Dialogmöglichkeiten, um Entwicklungen voranzutreiben (z.B. Untersuchungsgegenstand: Bilanz mit den unterschiedlichen Kooperationspartnern zu einzelnen Kulturveranstaltungen)
die Legitimation der durchgeführten Maßnahmen (z.B. Untersuchungsgegenstand: Effizienz der eingesetzten finanziellen Mittel)
Ein letztes Forschungsdesideratum wäre schließlich die Ausweitung der
Interviews auf weitere Experten: Im Mittelpunkt der in der vorliegenden
Studie durchgeführten Experteninterviews standen zunächst nur die verantwortlichen Leiter und Leiterinnen der einzelnen Kulturinstitute sowie
einzelne wenige, den Instituten nahestehende Experten. Weitere Interviews
im kooperativen Umfeld der einzelnen Kulturinstitute könnten jedoch zu
einer Reihe von wichtigen Erkenntnissen über die Vermittlerleistung deutscher Kulturinstitute in Frankreich führen. Auch dieser Bereich eröffnet
weitere Untersuchungsansätze, zu welchen die vorliegende Studie Anstoß
geben will.
388
Von der Versöhnung zur Internationalisierung
Schlusswort
Ein Blick in die Zukunft deutscher Kulturinstitute in Frankreich ist mit
einem Blick in die Vergangenheit deutsch-französischer Kooperation verbunden: in einer Phase abnehmenden staatlichen Engagements schließt
sich am Ende der Kreis: zivilgesellschaftliches Engagement prägte die
deutsch-französischen Kulturbeziehungen über das gesamte 20. Jahrhundert. Fünfzig Jahre nach Unterzeichnung des Elyséevertrags verfügen die
deutschen Mittlerorganisationen heute über ein dichtes Netzwerk von Kooperationspartnern, welches weltweit einzigartig ist. Mehr denn je muss
sich der deutsch-französische Kulturaustausch daher auf die Kooperation
beider Zivilgesellschaften stützen. Auf dieser Basis müssen die deutschen
Kulturinstitute in Frankreich aufbauen und den Nachweis erbringen, dass
sie die kulturelle Vermittlerarbeit in Zukunft auch mit bescheideneren Mitteln gemeinsam gestalten können. Die einzelnen Kulturmittler müssen
dazu unternehmerisch tätig werden und selbst Verantwortung für die strategische Ausrichtung der einzelnen Institute übernehmen. Dazu müssen
Diskussionen über den Spagat zwischen einem nachfrageorientierten und
angebotsorientierten Kulturprogramm, aber auch über den zu verkörpernden Kulturbegriff, sei es der „intellektuell-ästhetische Kulturbegriff“926 oder der anthropologische Kulturbegriff, geführt werden. Die
letzte öffentliche und kritische Debatte zu Gestaltung und Perspektiven
deutscher Auswärtiger Kulturpolitik liegt bereits über ein Jahrzehnt zurück. Ohne kontrovers geführte, öffentliche Debatten wird jedoch deutsche
Auswärtige Kulturpolitik im Rahmen der Europäischen Integration im Stillstand verharren.
Die nunmehr teilweise seit über fünf Jahrzehnten in Frankreich wirkenden
Kulturinstitute sind im Sinne von Pierre Nora längst zu „symbolischen Erinnerungsorten“927 der deutsch-französischen Verständigung geworden.
Der Schlüssel für ihr Fortbestehen liegt dabei in der Fähigkeit aller Institutionen, im interkulturellen Dialog mit der französischen Zivilgesellschaft
und in enger Kooperation mit anderen deutsch-französischen sowie europäischen Kulturinstituten, Modelle zu entwickeln und gemeinsame Synergieeffekte besser zu nutzen. Gelingt dies, kann hier ein dauerhaftes Modell
mit Mehrwert für Europa entstehen.
926 Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, ibid. S.10.
927 siehe hierzu: Pierre Nora (Hg): Les lieux de mémoire I. La république. Paris 1984; Les lieux
de mémoire II. La Nation. Paris 1986; Les lieux de mémoire III. Les France. Paris 1992.
389
6. Bibliographie
6.1 Nicht veröffentlichte Quellen:
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn
VI, 400-00
Kulturelle Beziehungen Deutschlands zum Ausland
VI, 400-00
Kulturpolitik
VI, 402-01
Deutsche Sprachpflege, Goethe-Institut
600/400-03
Kulturelle Beziehungen Deutschlands zum Ausland
600/400-19
Deutsche Kulturinstitute im Ausland
600/83-00
Aufgaben deutscher Kulturinstitute, Bibliotheken, Leseräume
sowie deutscher Kulturgesellschaften im Ausland
6.2 Nur zum Teil veröffentlichte Quellen:
Zentrale des Goethe-Instituts München
Jahrbücher 1965 – 2011
Haus Rheinland-Pfalz in Dijon
Tätigkeitsberichte 2000-2011
390
6.3 Interviews (Name, Institution, Funktion zur Zeit des Interviews,
Datum und Ort des Interviews)
Barbe, Jean-Paul:
Centre Culturel Européen Nantes, Gründer (2.10.2010 in Nantes).
Brenner, Kurt:
Maison de Heidelberg, Montpellier, Leiter (8.10.2010 in Frankfurt).
Chateigner, Marc:
Centre Culturel Franco-Allemand, Nantes, Präsident (1.10.2010 in Nantes).
Kuntz, Eva-Sabine:
Deutsch-Französisches Jugendwerk, Generalsekretärin (26.08.2010 in Paris).
Meyer, Till:
Haus Rheinland-Pfalz, Dijon, Leiter, Präsident der Föderation deutschfranzösischer Häuser (30.10. 2011 in Mainz).
Neubert, Stefanie:
Goethe-Institut Toulouse, Leiterin (30.3.2011 in Paris).
Rhein, Jan:
Centre Culturel Franco-Allemand, Nantes, Leiter (1.10.2010 in Nantes).
Rothacker, Joachim:
Centre Franco-Allemand de Provence, Aix-en-Provence, Leiter
(17. 9.2010 in Tübingen).
Sacker, Ulrich:
Goethe-Institut Lyon, Leiter (30.9.2011, Telefongespräch: Lyon-Saarbrücken).
Schraut, Dagmar:
Goethe-Institut Nancy, Leiterin (24. 8.2010 in Nancy).
Ulrich, Dorothee:
Goethe-Institut Lille, Leiterin (13.7.2011 in Lille).
Umlauf, Joachim:
Goethe-Institut Paris, Leiter (26.08.2010 in Paris).
Vaillant, Jérôme:
Professor für Deutschlandstudien an der Universität Lille 3 (13.7.2011 in Lille).
391
6.4 Sekundärliteratur:
Abels, Gabriele/ Behrens, Maria: ExpertInnen-Interviews in der Politikwissenschaft.
In: Alexander Bogner, Wolfgang Menz : Expertenwissen und Forschungspraxis:
die modernisierungstheoretische und die methodische Debatte um die Experten, in: Bogner, Alexander/ Littig, Beate/ Menz, Wolfgang, (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden 2005.
Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1953-1955, Stuttgart 1966.
Anholt, Simon: Deutschlands „Brand Image“ und seine Trümpfe für eine erfolgreiche Vermarktung. In: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk2005/deutschland-von-aussen/marke-rechtschaffenheit/, Zugriff am 4.3.2012.
Arnold, Hans: Auswärtige Kulturpolitik, ein Überblick aus deutscher Sicht,
München 1980.
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung, Partner gewinnen, Werte vermitteln,
Interessen vertreten, in: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/595030/publicationFile/161978/AKBP-Konzeption-2011.pdf, Zugriff
am 26.5.2012.
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Deutsch-Französisches Kulturabkommen vom 23. Oktober 1954, in: http://www.zaoerv.de/16_1955_56/
16_1955_1_b_102_2_106.pdf, Zugriff am 18. 6.2012.
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): Leitsätze für die Auswärtige
Kulturpolitik, Unter: http://www.ifa.de/pdf/aa/akbp_leitsaetze1974.pdf,
Zugriff am 18. 6.2012.
Auswärtiges Amt (ohne weitere Angabe des Autors): http://www.auswaertigesamt.de/cae/servlet/contentblob/382830/publicationFile/4282/AKBPBericht0506.pdf, Zugriff am 30.9.2012.
Badia, Gilbert: Interrogations, in: Allemagne d’aujourd’hui, (April 1992) Nr.120,
S.12-14.
Bauer, Gerd Ulrich: Viel Praxis, wenig Theorie – Kulturelle Programmarbeit - Kunst,
Musik, Literatur, Film, Architektur. In: Kurt-Jürgen Maaß (Hg.), Kultur und Außenpolitik: Handbuch für Studium und Praxis, 1. Aufl., Baden-Baden 2005,
S.95 - 114.
Gerd Ulrich Bauer: Kulturelle Programmarbeit, in: http://www.ifa.de/fileadmin/content/informationsforum/dossiers/downloads/akp_bauer.pdf, Zugriff
am 14.3.2009.
392
Bock, Hans Manfred (Hg.): Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik:
Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen, Tübingen 2005. Hier:
S.11-37.
Bock, Hans Manfred: Wiederbeginn und Neuanfang in den deutsch-französischen
Kulturbeziehungen 1949 bis 1955, in: Lendemains 21(1996) 84, S.58-66.
Bock, Hans Manfred (Hg.): Projekt deutsch-französische Verständigung : die Rolle
der Zivilgesellschaft am Beispiel des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg 1998.
Bock, Hans Manfred / Defrance, Corine/ Krebs, Gilbert und Pfeil, Ulrich (Hg.): Les
jeunes dans les relations transnationales. L’Office franco-allemand pour la jeunesse 1963–2008, Paris, 2008.
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fischer_cover_1304_Layout 1 18.07.2013 13:01 Seite 1
Gerrit Fischer, heute Mitarbeiter des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes und Lehrer am Deutsch-Französischen
Gymnasium in Saarbrücken, leitete von 2000 bis 2005 im Auftrag
des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) das
Deutsch-Französische Kulturinstitut in Nantes.
Deutsche Kulturinstitute in Frankreich (1945-2012)
Von der „Versöhnung“ zur Internationalisierung
Das institutionelle Netzwerk deutscher Kulturinstitute und die
große Anzahl zivilgesellschaftlicher Verflechtungen zwischen
Deutschland und Frankreich im kulturellen Sektor sind in Europa
nach wie vor einzigartig. So auch die bisher gewonnenen Erfahrungen. Auf diesen muss aufgebaut werden, um ein neues, zukunftsfähiges Konzept kultureller Präsenz deutscher Kulturinstitute in
Frankreich zu entwickeln, woraus langfristig ein innovatives Modell
für Europa hervorgehen kann.
Der vorliegende Band analysiert die Entwicklung der kulturellen
Programmarbeit deutscher Kulturinstitute von 1945 bis 2012, von
der Phase der „Versöhnung“ bis zur Internationalisierung.
Von der „Versöhnung“
zur Internationalisierung:
das Auseinanderklaffen von
Programm und Programmatik
Gerrit Fischer
universaar
Universitätsverlag des Saarlandes
Saarland University Press
Presses Universitaires de la Sarre