Übungsfall 1 Aufregung in Schwäbisch Hall – das SEK und die Presse
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Übungsfall 1 Aufregung in Schwäbisch Hall – das SEK und die Presse
Prof. Dr. Bernd Grzeszick, LL.M. Institut für Staatsrecht, Verfassungslehre und Rechtsphilosophie ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN RECHT FÜR FORTGESCHRITTENE (SoSe 2015) Übungsfall 1 Übungsfall 1 Aufregung in Schwäbisch Hall – das SEK und die Presse Im Sommer 2013 gelingt der baden-württembergischen Polizei ein aufsehenerregender Schlag gegen die organisierte Kriminalität: In einem Stuttgarter Hotel wird der mutmaßliche „Sicherheitschef“ (S) der russischen Mafia-Organisation Ismajlovskaja festgenommen, dem zahlreiche schwerste Gewaltdelikte, seiner Organisation gewerbsmäßige Geldwäsche, Rauschgift- und Menschenhandel im großen Stil vorgeworfen werden. Seither sitzt S in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Hall in Untersuchungshaft. Der Fang beschäftigt die Medien tagelang und wird in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Während der Untersuchungshaft treten bei S medizinische Probleme auf, die den medizinischen Dienst der Justizvollzugsanstalt in fachlicher Hinsicht überfordern. Der Häftling soll mithin bei einer Facharztpraxis in der Schwäbisch Haller Fußgängerzone vorgeführt werden. Da die Mafia-Organisation, der S mutmaßlich angehört, als extrem gewaltbereit gilt und dies auch bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat, wird S nicht von Beamten der Justizvollzugsanstalt, sondern von Kräften des Spezialeinsatzkommandos der Polizei Baden-Württemberg (SEK) zum Arzt begleitet. Am 13.3.2014 um 9:45 Uhr wird S mit einem zivilen Sicherheitsfahrzeug in Begleitung von zwei SEKBeamten vor die Praxis gefahren. Zwei weitere SEK-Beamte in zwei weiteren sondergeschützten DienstKFZ des SEK sichern den Einsatzort; ein SEK-Beamte steht auf der gegenüberliegenden Straßenseite; der Einsatzleiter (E) sichert den Hauseingang der Arztpraxis. Um in der belebten Fußgängerzone kein unnötiges Aufsehen zu erregen, treten alle Beamten in Zivil sowie ohne Masken auf und benutzen Personenkraftwagen, die nicht als Polizeifahrzeuge gekennzeichnet sind. Dabei führen sie allerdings Mannwaffen, der Einsatzleiter zusätzlich eine Maschinenpistole, die er nur halb verborgen unter dem Mantel trägt. Gegen 10:30 Uhr melden die Innenkräfte, dass die Untersuchung in 10 Minuten abgeschlossen sei. Just in diesem Moment nähern sich den Beamten zwei Journalisten der B-Zeitung (B), die als GmbH organisiert ist, weisen sich als Pressevertreter aus und fragen nach Grund und Details des Polizeieinsatzes. Der Einsatzleiter teilt ihnen mit, dass ein Gefangener der Justizvollzugsanstalt beim Arzt vorgeführt werde und verweist sie für weitere Auskünfte an die Pressestelle der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Hall oder der Polizeidirektion. Daraufhin setzt einer der Journalisten dazu an, Fotoaufnahmen der Beamten und ihrer Fahrzeuge anzufertigen. Der zuständige Einsatzleiter bittet ihn zunächst höflich, diese Aufnahmen zu unterlassen. Die Identität der Beamten dürfe keineswegs offenbart werden, da verlässliche kriminalistische Erfahrungen zeigten, dass sie und ihre Familien andernfalls Sanktionen der Gegenseite zu befürchten hätten. Als die Journalisten entgegnen, dass es sich um einen spektakulären Einsatz handle, an dem ein hohes Berichterstattungsinteresse besteht, und dass infolge ihrer ständigen Praxis der Redaktion durch Verpixelung der Gesichter dafür gesorgt werde, dass niemand erkennbar sei, droht der Einsatzleiter schließlich die Beschlagnahme der Kamera und des Filmmaterials an, um zu verhindern, dass Bilder „in die Hände der Gegenseite“ gelangen. Schließlich könne er nicht darauf vertrauen, dass die Journalisten etwaige gefährdende Bilder nicht auch veröffentlichen würden. Ferner habe die Vergangenheit gezeigt, dass sich das „mafiöse Umfeld des S“ etwaige Bilder auch ohne Veröffentlichung anderweitig beschaffen könne. 1 Prof. Dr. Bernd Grzeszick, LL.M. Institut für Staatsrecht, Verfassungslehre und Rechtsphilosophie ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN RECHT FÜR FORTGESCHRITTENE (SoSe 2015) Übungsfall 1 Daraufhin sehen die Journalisten von Fotoaufnahmen ab, entfernen sich in Richtung Marktplatz und beobachten das Geschehen aus der Entfernung von 20 Metern. Kurz darauf wird S aus der Arztpraxis geführt und zurück in die Justizvollzugsanstalt gebracht. Die B-Zeitung, die auch künftig von SEK-Einsätzen auch bebildert berichten will, will gerichtlich geklärt wissen, dass sowohl die Untersagung der Aufnahmen als auch die Androhung der Beschlagnahme rechtswidrig gewesen seien. Die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit sei – wie sich aus § 1 LPresseG ergebe – „polizeifest“. Auch habe B sich bislang immer entsprechend ihrer presserechtlichen Verpflichtungen verhalten. Nach vorhergehendem Briefwechsel erhebt sie am 14.04.2015 Klage vor dem Verwaltungsgericht. Aufgabe: Prüfen Sie in einem umfassenden, gegebenenfalls hilfsgutachtlichen Rechtsgutachten, ob die Klage der B Erfolg hat. Bearbeitervermerk: Auf die folgenden Bestimmungen des Kunsturhebergesetzes (KunstUrhG) wird hingewiesen. § 22 Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, daß er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten. § 23 (1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden: 1. Bildnisse aus dem Breich der Zeitgeschichte 2. Bilder auf neen die Personen nur als Beiwerk einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiten erscheinen; 3. Biler von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben; 4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient. (2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird. § 33 (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. 2