Verhalten von Kunststoffen beim Erwärmen 1. Grundlegender

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Verhalten von Kunststoffen beim Erwärmen 1. Grundlegender
Labor für Werkstoffe
Prof. Dr. Karin Lutterbeck
Prof. Dr. Helmut Winkel
Fachhochschule Köln
Campus Gummersbach
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Verhalten von Kunststoffen beim Erwärmen
Verhalten von Kunststoffen beim Erwärmen
Stand: 23.03.2009
1.
Grundlegender Aufbau von Polymeren
Kunststoffe (Polymere) sind organische Werkstoffe, die aus Makromolekülen aufgebaut sind. Sie werden durch Umwandlung von Naturprodukten oder heute fast ausschließlich durch Synthese von Primärstoffen aus Erdöl, Erdgas und seltener aus
Kohle hergestellt. Die makromolekularen Stoffe unterscheiden sich durch folgende
Faktoren:
- Art und Anordnung der an ihrem Aufbau beteiligten Atome (chem. Aufbau)
- Gestalt der Makromoleküle
- Größe der Makromoleküle
- Ordnung der Makromoleküle untereinander.
Zu den organischen Polymeren zählen diejenigen, deren Hauptkette vorwiegend aus
Kohlenstoff-Atomen (C) und Wasserstoff (H) aufgebaut ist. Kommen andere Elemente wie Sauerstoff (O2), Chlor (Cl2), Fluor (F2), Stickstoff (N2), und Schwefel (S) dazu,
so bezeichnet man diese als Heteroatome. Eine besondere Gruppe stellen die halborganischen Polymere wie z.B. die Silikone dar. Hier besteht das Molekülgerüst aus
dem anorganischen Element Silizium (Si). Die freien Valenzen werden durch organische Gruppen abgesättigt.
Die Kunststoffe bauen riesige Molekülketten aus niedermolekularen Verbindungen,
den sogenannten Monomeren auf. Zur Kettenbildung müssen die genannten Elemente Hauptvalenzen betätigen. Die entstehenden Hauptvalenzbindungen (Primärbindungen) sind bei Kunststoffen in chemischer Sicht immer Atombindungen (Elektronenpaarbindungen, kovalente Bindungen), da die Makromolekülketten aus Nichtmetallen bestehen. Nur in Seitengruppen oder in Vernetzungsbrücken zwischen den
Ketten werden manchmal auch Metallionen eingebaut, dort bestehen dann Ionenbindungen.
Als Makromoleküle bestehen Kunststoffe aus sehr großen Molekülketten, in denen
mehrere hundert bis zu vielen tausend kleiner Bausteine, die Monomere (monos =
allein, meros = Teil), miteinander verbunden sind /2/.
Eine Auswahl wichtiger monomerer Ausgangsstoffe für die Kunststofferzeugung sind
/3/:
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2.
Herstellung der Polymere
Aus vielen Monomeren werden über Polyreaktionen Polymere aufgebaut /4/.
Die Polyreaktionen können sein:
Polymerisation
Polykondensation
Polyaddition
Dies ist nur möglich, wenn entweder
ungesättigte Bindungen oder
reaktionsfähige Endgruppen
in bzw. an den monomeren Ausgangsmolekülen vorhanden sind. Diese ungesättigten Kohlenwasserstoffverbindungen oder Kohlenwasserstoffverbindungen (gesättigt oder ungesättigt) mit reaktionsfähigen Endgruppen sind reaktionsfähige Monomere.
Von den 3 Polyreaktionsverfahren ist die Poymerisation die bis heute wichtigste.
2a)
Polymerisation
Ungesättigte Bindungen oder Kohlenstoff-Kohlenstoff-Mehrfachbindungen
Die Strukturformel des Methans zeigt, dass jede Bindung des 4-wertigen Kohlenstoffs mit einem Wasserstoff(H)-Atom besetzt ist. Diese Verbindung ist gesättigt und
reaktionsträge.
Kohlenstoffe können mit sich selbst auch Mehrfachbindungen zu ungesättigten, reaktionsfreudigen Verbindungen mit Doppelbindungen (Alkene) eingehen.
Aromaten sind ringförmige Kohlenwasserstoffe, z.B. Benzol C6 H12 .
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Bei den reaktionsfreudigen Molekülen mit Doppelbindungen werden Reaktionen
durch das Aufbrechen der Doppelbindungen, der Bildung von Radikalen, möglich /5/.
Die Polymerisation läuft ab nach einer Startreaktion, d.h. dem Aufbrechen der Doppelbindungen in den Monomeren, z.B. durch Strahlung, Wärme, Druck oder mittels
Katalysatoren. Es entstehen Radikale, die exotherm in einer Kettenwachstumsreaktion zusammengefügt werden. Nach der Kettenwachstumsreaktion folgt die Kettenabbruchreaktion /5/. Diese wird i.d.R. durch Hinzufügen einer Reglersubstanz herbeigeführt, z.B. durch Hinzufügen von Wasser.
allgemein dargestellt: (Monomer A + Monomer A) n = Polymer A
Diese Reaktion kann entweder in der Substanz erfolgen, d.h. ohne Hilfsmittel, (Massepolymerisation), in Lösung (Lösungs- bzw. Fällungspolymerisation) oder in Emulsion (Emulsionspolymerisation).
Der Polymerisationsgrad n ist eine kennzeichnende Größe für thermoplastische
Kunststoffe, wobei n die Anzahl der in einem Makromolekül enthaltenen Monomere
ist. Der Polymerisationsgrad (auch P) ist ein Maß für die durchschnittliche Kettenlänge und für die durchschnittliche Molekülmasse. Je nach Polymer ist n sehr unterschiedlich. In der Regel beträgt n = 5000 bis 20000.
Polymerisationsgrad n =
Molekülmasse des Polymers
Molekülmasse des Monomers
(in g/mol)
(in g/mol)
Kunststoffe haben keine definierten, sondern z.T. sehr stark unterschiedliche Molekülmassen /3/. Der Polymerisationsgrad kann als Zahlenmittelwert Mn, als Gewichtsmittelwert Mw oder als Viskositätsmittelwert Mv angegeben werden. Die sogenannte Molekülmassenverteilung = Uneinheitlichkeit U = Polydispersität hat großen
Einfluß auf die Verarbeitungs- und vor allem auf die mechanischen Eigenschaften.
U= Mw / Mn
Somit hat ein Polymer eine um so einheitlichere Molekülgröße, je mehr das Verhältnis Mw / Mn sich 1 nähert /6/.
Mit zunehmendem Polymerisationsgrad n nehmen zu :
Schmelzviskosität, Zugfestigkeit, Bruchdehnung und Schlagzähigkeit
Mit zunehmendem Polymerisationsgrad n nehmen ab :
Fließfähigkeit, Kristallisationsneigung, Quellung und Spannungsrißbildung.
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Mit zunehmendem Polymerisationsgrad werden die Kunststoffschmelzen zähflüssiger (höher viskos) bzw. bei extrem hoher Kettenlänge können Polymere auch durch
hohe Drücke kaum noch zum Fließen gebracht werden, so dass herkömmliche Verarbeitungsverfahren, wie Spritzgießen, Extrusion, Extrusionsblasformen und Schweißen nicht mehr durchführbar sind. Da diese Kunststoffverarbeitungsverfahren unterschiedliches Fließvermögen erfordern, muss für die störungsfreie Verarbeitung eine
Formmasse geeigneten Fließvermögens, also passender Kettenlänge, gewählt werden. So müssen in der Reihenfolge Spritzgießen – Extrudieren - Extrusionsblasformen – Kalandrieren Formmassen mit zunehmender Kettenlänge bzw. abnehmender
Fließfähigkeit (steigender Viskosität) eingesetzt werden /9/.
0,3 - 0,6
2 - 10
20 - 30
30 - 300
sehr zähe Extrusionsmasse
leicht fließende Extrusionsmasse, zähe Spritzgießmasse
leicht fließende Spritzgießmasse
Beschichtungsmasse, Sintermasse
Die Kunststoffrohstoffhersteller müssen daher dem Kunststoffverarbeiter Angaben
über die Fließfähigkeit der Massen machen. Dies erfolgt durch den Schmelzindex
(MFI-Wert = Melt-Flow-Index oder MFR = Melt-Flow-Rate) nach DIN EN ISO 1133.
Der Schmelzindex gibt diejenige Masse (in Gramm) an schmelzflüssigem Kunststoff
(Thermoplasten) an, die während 10 Minuten bei einer bestimmten Temperatur und
unter einer bestimmten auf die Schmelze wirkenden Kraft durch eine genormte Düse
gedrückt wird. Der MFI-Wert ist also eine von vereinbarten Prüfbedingungen abhängige technologische Kenngröße zur Abschätzung des Fließverhaltens der Kunststoffschmelze. Unter verschiedenen Bedingungen ermittelte MFI-Werte können aber nicht
ineinander umgerechnet werden. Mit steigendem MFI-Wert verbessert sich die Fließfähigkeit und nimmt die relative Molekülmasse beim gleichen Kunststoff ab /9/.
Copolymere
Bei der Polymerisation müssen keineswegs die Ketten aus gleichen Grundbausteinen aufgebaut sein, vielmehr können verschiedene Monomere in die gleiche Kette
eingebaut werden /1/. Je nach Anordnung der unterschiedlichen Bausteine in der
Kette unterscheidet man die Copolymere in statistische, alternierende, Block- und
Propfpolymere. Bei der Herstellung sind im Reaktionskessel beide Monomere gleichzeitig vorhanden oder sind unmittelbar nacheinander eingeführt worden.
Bei der Pfropfpolymerisation wird in einem separaten Arbeitsgang ein Polymer als
Seitenkette auf die Grundkette aufgepfropft.
2b)
Polykondensation und Polyaddition
Monomere mit reaktionsfähigen Endgruppen
Moleküle, die zwei oder mehr reaktive Endgruppen besitzen, können sich mit anderen Molekülen, mit deren anderen Endgruppen eine Reaktion entsteht, ebenfalls zu
Makromolekülen aneinanderlagern.
Solche reaktionsfähigen Endgruppen sind:
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Bei der Polykondensation (PK) werden 2 verschiedene Monomere mit jeweils 2
gleichen reaktiven Endgruppen oder 1 Monomer mit 2 verschiedenen Endgruppen
aneinandergereiht. Bei dieser Reaktion wird immer ein Spaltprodukt (meist Wasser)
frei. Die PK ist eine endotherme Gleichgewichtsreaktion, die nur stattfindet, wenn das
Spaltprodukt abgeführt wird. Aus Monomeren mit 2 reaktiven Endgruppen entstehen
Thermoplaste (z.B. PA), aus Monomeren mit mehr als 2 reaktiven Endgruppen Duromere (z.B. PF). Die PK läuft schrittweise ab und kann an beliebigen Stellen unterbrochen werden. Das ist wichtig für Herstellung, Lagerung und Verarbeitung von duroplastischen Polykondensaten.
allgemein dargestellt: (Monomer A + Monomer B) n = PolymerC
Bei der Polyaddition (PA) werden 2 verschiedene Monomere mit 2 oder mehr reaktionsfähigen Endgruppen infolge Umlagerung von H-Atomen verknüpft. Die PA kann
endotherm oder exotherm erfolgen und über die Zugabe des Reaktionspartners gesteuert werden. Es wird kein Spaltprodukt frei.
allgemein dargestellt: (Monomer A + Monomer B) n = Polymer C
3.
Einteilung der Kunststoffe
Mit der Unterscheidung der Kunststoffe nach Polymerisaten, Polykondensaten und
Polyaddukten ist die Kennzeichnung dieser Produkte noch unzureichend. Anwendungsbetont ist folgende Einteilung üblich:
Standard- bzw. Massenkunststoffe, z.B.: PE, PP, PVC, PS
(Dauergebrauchstemperatur bis 90 °C)
Technische Kunststoffe, z.B.: PMMA, ABS, PA, PBT, PET, PPE, POM, PC, PTFE
(Dauergebrauchstemperatur bis 140 °C)
Hochleistungskunststoffe, z.B.: PSU, PES, PBMI, PEC, PI, PEEK, PPS, PAI, PBI
(Dauergebrauchstemperatur über 140 °C)
Bei den Polyreaktionen können sich die Kettenmoleküle im Kunststoff unterschiedlich
anordnen.
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Die langen Zweige der Hauptkette stellen eine Langkettenverzweigung dar. Zweige
aus max. etwa 10 Monomereinheiten nennt man Kurzkettenverzweigungen. Beide
(stets unregelmäßigen) Verzweigungen erniedrigen die Härte und die Schmelztemperatur des Polymers. Seitengruppen, die regelmäßig an jeder Polymereinheit sitzen,
können Härte und Schmelztemperatur erhöhen, wie z.B. bei PE und PP.
Thermoplaste enthalten Kettenmoleküle mit bis zu 10 Atomen. Bei eng vernetzten
Duroplasten und lose vernetzten Elastomeren kann man nur noch von einem „Riesenmolekül“ sprechen.
Amorphe Thermoplaste bestehen aus langen Kettenmolekülen, die sich bei ihrer
Bildung ineinander verschlingen und verfilzen /7/. Wegen ihres unsymmetrischen
Aufbaus bzw. großen Seitengruppen kristallisieren sie nicht, sie sind daher glasklar,
wenn sie nicht modifiziert sind. Sie haben meist gute optische Eigenschaften und
weisen geringe Verarbeitungsschwindung auf. Sie sind hart und spröde, besitzen
einen hohen E-Modul. Die Einsatztemperaturbereiche von amorphen Thermoplasten
liegen unterhalb der Glastemperatur Tg (Einfriertemperatur). Dort verhalten sie sich
energieelastisch, oberhalb der Glastemperatur entopieelastisch (gummiartig). Sie
besitzen keinen festen Schmelzpunkt.
Weil Fadenmoleküle ohne chemische Bindungen untereinander vorliegen, können
amorphe Thermoplaste nach allen „thermoplastischen“ Verarbeitungsverfahren wie
Spritzgießen, Extrudieren, Warmumformen und Schweißen ver- bzw. bearbeitet werden.
Teilkristalline Kunststoffe haben teilweise geordnete Molekülbereiche, die als kristalline Bereiche bezeichnet werden /7/. Zwischen den kristallinen Bereichen befinden sich immer amorphe Phasen. Solche Ordnungszustände sind möglich, z.B. bei
symmetrischem und weitgehend linearem Molekülaufbau (PE-HD). Mit zunehmender
Kristallinität nimmt die Transparenz der teilkristallinen Kunststoffe ab. Sie sind opak.
Ist die amorphe Phase unterhalb Tg, ist sie sprödhart und damit das Gesamtsystem.
Der Kunststoff besitzt hohe Festigkeit, einen hohen E-Modul und geringe Duktilität.
Ist die amorphe Phase oberhalb Tg , besitzt der Kunststoff eine hohe Zähigkeit und
eine gute Abriebfestigkeit.
Im Gegensatz zu amorphen Kunststoffen findet man bei teilkristallinen einen scharfen Übergang vom Feststoff zur Schmelze. Bei einer bestimmten Temperatur Tm
schmelzen die Kristallite auf und das Polymer liegt dann als Schmelze vor. Beim Abkühlen aus der Schmelze kristallisiert das Polymer wieder. Dabei steigt die Dichte in
den kristallinen Bereichen stark an, das Volumen verkleinert sich ----> starke
Schwindung und Verzug. Die Kristallisation ist nach der Entformung aus dem Spritzgießwerkzeug i.a. noch nicht abgeschlossen. Es kommt zur Nachkristallisation, dies
kann sich unter Umständen über mehrere Wochen hinziehen.
Die Einsatztemperaturbereiche liegen zwischen der Glasübergangstemperatur Tg
und der Kristallitschmelztemperatur Tm.
Verarbeitungsmöglichkeiten sind gleich wie bei amorphen Thermoplasten, jedoch
haben die Abkühlbedingungen und die Werkzeugtemperatur großen Einfluß auf die
Eigenschaften wegen unterschiedlicher Kristallinität und Nachkristallisation.
Die Eigenschaften von Thermoplasten sind abhängig vom chemischen Aufbau der
Grundbausteine, von der Kettenlänge, der Kristallinität und den Kräften zwischen den
Molekülen (Nebenvalenzen) /3/.
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Elastomere bestehen aus Hauptvalenzketten, die nur lose vernetzt sind /7/. Bei verhältnismäßig geringen Kräften können die Hauptvalenzketten gegeneinander abgleiten. Sie bleiben jedoch miteinander verbunden und stellen sich zurück. Elastomere
sind bei Raumtemperatur und höherer Temperatur gummielastisch. Sie sind nicht
schmelzbar, nur begrenzt löslich, jedoch quellbar.
Duroplaste sind engmaschig über Hauptvalenzen verknüpft. Man kann nur noch von
einem einzigen „Riesenmolekül“ reden. Sie sind bei RT hart und spröde, in der Wärme je nach Vernetzungsgrad mehr oder weniger zähelastisch /7/. Ihre Formgebung
muss vor der Vernetzung erfolgen. Duroplaste sind chemisch und thermisch sehr
widerstandsfähig und wärmestandfest.
4.
Einfluß der Temperatur auf die mechanischen Eigenschaften
Wie bei allen Werkstoffen besteht auch bei Kunststoffen die Tendenz, daß bei tieferen Temperaturen die Festigkeit und die Steifigkeit steigen, während die Verformungsfähigkeit abnimmt. Dabei kann infolge von Gefügeänderungen eine ausgeprägte Versprödung eintreten. Weiterhin werden das Kriechen und Altern verzögert.
Bei höheren Temperaturen wird die entgegengesetzte Tendenz beobachtet, die Festigkeitswerte nehmen ab, die Formänderungsfähigkeit nimmt zu, die Werkstoffe werden weniger schlag- und kerbempfindlich. Die Temperaturabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften ist im Zugversuch und im Kerbschlagversuch sowie im Zeitstandversuch beschrieben. Bei Elastomeren gibt es beim Erreichen des Einfriertemperaturbereiches eine sprunghafte Eigenschaftsänderung. Duroplaste zeigen keine
sprunghaften Veränderungen in Abhängigkeit von der Temperatur. Thermoplaste
dagegen zeigen infolge von Einfriervorgängen, kristallinen Veränderungen und Erweichung unstetige Eigenschaftsänderungen. Auf die Möglichkeit der thermischen
Schädigung bei der Verarbeitung sei hingewiesen.
Bei Formteilen aus Kunststoffen besteht der Wunsch nach Definition einer GrenzGebrauchstemperatur. Diese ist jedoch schwierig anzugeben, weil Formteile beim
Gebrauch den unterschiedlichsten Anforderungen unterworfen sind, wobei neben der
Temperatur die Formgestaltung und die Belastung einen mitentscheidenden Einfluss
auf die Formstabilität haben. Technologische Versuchsanordnungen haben zum Ziel,
Anhaltspunkte für die Grenz-Gebrauchstemperatur zu geben.
Dies ist z.B. die Bestimmung des Vicat-Erweichungspunktes von nicht härtbaren
Kunststoffen nach DIN EN ISO 306 und die Bestimmung der Wärmeformbeständigkeitstemperatur HDT (Heat-Distortion-Temperatur) nach DIN EN ISO 75 Teil 1
und 2. In diesen Prüfungen werden unterschiedliche Verformungsgrenzen bei bestimmter Belastung festgelegt. Bei stetig steigender Temperatur wird als Kennzahl
die Temperatur ermittelt, bei der unter konstanter Belastung die Grenzverformung
am Probekörper erreicht ist.
Bei der Vicat-Prüfung wird das Eindringen des sog. Vicat-Stiftes in Probekörper
zugrunde gelegt, die Prüfung nach Norm gilt nur für Thermoplaste. Die praktische
Dauereinsatzgrenze, bei der sich Formteile noch nicht unter Eigengewicht unzulässig
verformen, liegt bei ca. 15K unter der Vicattemperatur.
Während die Vicattemperatur von der Herstellung und Vorbehandlung der Prüfkörper
verhältnismäßig unabhängig ist, werden die Heat-Distortion-Werte von der Formge-
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bung und Vorbehandlung des Prüfkörpers beeinflusst. Bei HDT misst man die Temperatur, bei welcher sich ein Normstab (Prüfkörper) im Flüssigkeitsbad unter Biegespannung um 0,2 bis 0,4 mm (je nach Höhe der Probe) durchgebogen hat.
Beide Prüfungsarten liefern nur Vergleichswerte, die nicht ineinander umgewertet
werden können. Das unterschiedliche elastische und viskoelastische Verhalten der
Kunststoffe lässt mit derartigen Versuchen die Ermittlung von echten Kennwerten
nicht zu, insbesondere nicht bei teilkristallinen Thermoplasten mit mehreren Umwandlungsbereichen. Die Prüfungen sind aber apparativ nicht sehr aufwendig und
verhältnismäßig schnell durchzuführen, so dass sie in der Praxis viel verwendet werden .
5.
Literatur
/1/
Menges G.
Werkstoffkunde der Kunststoffe, Carl Hanser Verlag,
München Wien 1990
/2/
N.N.
Kunststoffe- Werkstoffe unserer Zeit,
Arbeitsgemeinschaft Deutsche Kunststoffindustrie AKI,
Frankfurt, 1988, S. 42
/3/
Hellerich, W.
Harsch, G.
Haenle, S.
Werkstoff-Führer Kunststoffe Carl Hanser Verlag,
München Wien, 1996, S 2-18
/4/
Blume, R. u.a.
Chemie für Gymnasien (Sek.1) Länderausgabe D,
Teilband 2, Cornelsen Verlag, Berlin 1994, S. 328
/5/
Seidel, W.
Werkstofftechnik, Carl Hanser Verlag, München Wien
1999, S. 282
/6/
Krehbiehl, G.
Arbeitsblätter Chemie 1, Semester K 1 + P 1
/7/
Schwarz, O.
Kunststoffkunde, Vogel Verlag, Würzburg 1992, S.
251 - 257
/8/
Ehrenstein, G.W.
Polymerwerkstoffe, Carl Hanser Verlag, München Wien
1978, S. 73
/9/
Gnauck, B.,
Fründt, P.
Einstieg in die Kunststoffchemie, Carl Hanser Verlag,
München Wien, 3. Auflage, S. 36 - 37