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Scheinselbständigkeit als aktuelles Problem in der Logistikindustrie Von Dr. Stefan Röhrborn S pätestens seit dem „Eismann-Fall“ (BGH NZA 1999, 53) ist klar, dass die Problematik der Scheinselbstständigkeit insbesondere auch die Logistikbranche trifft. Bei der Frage der Scheinselbstständigkeit geht es um die Abgrenzung eines selbständigen (Sub-) Unternehmers vom sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Nicht selten treffen wir in der Wirklichkeit Fallgestaltungen, wonach Mitarbeiter mit Fahrzeugen des Unternehmers Transportdienste leisten ohne für den Wettbewerb tätig sein zu dürfen und nach dem äußeren Erscheinungsbild (Dekoration und Branding des Fahrzeugs, Dienstkleidung und Visitenkarten des Auftraggebers, Handynummernkreis des Auftraggebers etc.) Arbeitnehmermerkmale aufweisen, obwohl vertraglich geregelt ist, dass der Fahrer als selbstständiger Vorunternehmer und Auftragnehmer für den Auftraggeber tätig ist. Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit abgeschafft Seit 1999 wurden die in Deutschland geltenden gesetzlichen Regelungen zur Scheinselbstständigkeit mehrfach überarbeitet bis hin zur vollständigen Streichung des Katalogs nach § 7 Abs. 4 SGB IV. Bis zur Gesetzesnovelle des Sozialgesetzbuchs wurde eine Scheinselbstständigkeit – widerleglich – vermutet, wenn mindestens drei von fünf Kriterien erfüllt waren, nämlich: · Im Wesentlichen und auf Dauer wird für einen einzigen Auftraggeber gearbeitet (rund 5/6 des Gesamtumsatzes). · Der Unternehmer beschäftigt selbst keine sozialversicherungspflichten Mitarbeiter. 30 LogReal.direkt · Der Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig auch durch seine fest angestelltenArbeitnehmer verrichten. · Der Unternehmer lässt keine unternehmertypischen Merkmale erkennen. (z.B. eigene Werbung). · Die Tätigkeit entspricht ihrem äußeren Erscheinungsbild nach einer Tätigkeit, die vorher für denselben Auftraggeber in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wurde. Diese Vorschrift ist mit Wirkung zum 01. Juli 2009 ersatzlos gestrichen worden. Gleichwohl ist der Gesetzgeber schon seit langem bemüht, Scheinselbstständigkeit zu bekämpfen. Im Zuge dessen hat der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 SchwarArbG die sogenannte Scheinselbstständigkeit einen Unterfall der Schwarzarbeit definiert. Zum einen wird (BAG Urteil vom 15.02.2012- 10 AZR 111/12) die wirtschaftliche Abhängigkeit als ein wesentliches Merkmal angeführt, wobei die wirtschaftliche Abhängigkeit für sich genommen nicht ausreicht, um das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses anzunehmen. Dasselbe gilt auch für die sogenannte soziale Schutzbedürftigkeit hinsichtlich der Einkünfte, wenn diese Einkünfte zu einem ganz überwiegenden Teil nur von einem einzigen Auftraggeber stammen (BAG Urteil vom 21.06.2011 – 9 AZR 820/09). Auch die Eingliederung des Fuhrunternehmers in die organisatorischen und zeitlichen Vorgaben des Auftraggebers ist ein bedeutsames Kriterium zur Beurteilung der Frage, ob eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt (OLG Saarbrücken vom 11. 04. 2011 – 5 W 71/11). Eismann 1997 Einzelfallentscheidungen seit 2009 Seit 2009 gibt es zahlreiche ober- und höchstgerichtliche Entscheidungen zur Problematik der Sozialversicherungspflicht von Fuhrunternehmern. Sämtlichen Entscheidungen ist gemeinsam, dass für die Beurteilung einer Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder aber als selbstständige Tätigkeit nicht einzelne Merkmale, sondern vielmehr das Gesamtbild der Dienstleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht nach den von den Beteiligten gewählten vertraglichen Beziehungen ist. Sämtlichen Entscheidungen ist gemein, dass sie auf die sogenannte Eismannentscheidung aufbauen. Nach der Eismannentscheidung aus den Jahren 1997 und 1998 war der Sachverhalt eines angeblich selbstständigen Fuhrunternehmers (Franchise-Nehmer) zu beurteilen. Der Unternehmer hatte das Alleinverkaufsrecht für ein bestimmtes für ihn geschütztes Gebiet. In der Zusammenarbeit hatte man sich auf der Grundlage eines Handbuchs verständigt. Dieses Handbuch enthielt detaillierte Regelungen über die bereits zu erhaltende Ware, die Aufstellung von Tourenplänen, die wöchentlichen Einsatzzeiten (Tagestouren von Montag bis Freitag und Samstag bzw. Tage für Büroarbeiten), Staupläne für das Tiefkühlfahrzeug sowie zahlreiche weitere Durchführungshinweise. Insbesondere musste der Mitarbeiter mit einem für seinen Auftraggeber gekennzeichneten Fahrzeug tätig sein. Gesamtbild zu bewerten, ob eine weisungsgebundene abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Tätigkeit vorliegt oder eben eine Selbstständigkeit. Vorsicht bei der Vertragsgestaltung Die Wirklichkeit zählt, nicht die Bezeichnung des Vertrags Seinerzeit hatten die Arbeitsgerichte und das Landesarbeitsgericht schon festgestellt, dass es bei der Beurteilung eines Rechtsverhältnisses nicht darauf ankommt, wie das Rechtsverhältnis bezeichnet wird, sondern welches sein tatsächlicher Geschäftsinhalt ist. Ob der Fuhrunternehmer Arbeitnehmer oder selbstständig ist, richtet sich allein danach, ob er weisungsgebunden und abhängig ist oder ob er seine Chancen auf dem Markt selbstständig und im Wesentlichen hinsichtlich Art und Weise, Ort und Zeit seiner Tätigkeit weisungsfrei suchen kann. Der Grad der Freiheit, nach der sich der Unternehmer in seinem Vertragsgebiet selbstständig organisieren kann, ist in jedem Einzelfall zu ermitteln. Danach ist nach dem An der tatsächlichen Problematik hat sich in der Rechtswirklichkeit nichts geändert, auch wenn die Vermutungsregelungen im Sozialgesetzbuch § 7 Abs. 4 SGB IX ersatzlos gestrichen sind. Die Vielzahl von Entscheidungen zum Thema Scheinselbstständigkeit bis in die jüngste Vergangenheit hinein, geben Anlass zu der Vermutung, dass viele Auftraggeber nach wie vor versuchen Arbeitnehmer in die sogenannte Scheinselbstständigkeit zu drängen, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen,den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz zu umgehen und somit – vermeintlich – die Arbeitsleistung des Auftragnehmers zu verbilligen. In den meisten Fällen, die höchstrichterlich entschieden wurden, ist das Ergebnis, dass tatsächlich eine Arbeitnehmereigenschaft und damit Sozialversicherungspflicht vorliegt. Schon aus dieser Statistik heraus ist bei der Vertragsgestaltung mit Subunternehmern im Logistikbereich äußerste Vorsicht geboten. Jeder Einzelfall muss gesondert bewertet werden, ein Patentmuster für die Vertragsgestaltung von Spediteuren und Fuhrunternehmern mit deren Subunternehmern gibt es nicht. Die Herangehensweise: Es wird schon gut gehen oder wo kein Kläger da kein Richter, ist grob fahrlässig und kann schnell zu empfindlichen wirtschaftlichen Belastungen führen. Wirtschaftliche Risiken treffen nur den Unternehmer Das Risiko der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern trifft wirtschaftlich gesehen zum allergrößten Teil den Arbeitgeber, d. h. den Auftraggeber. Eine Abwälzung dieser Nachzahlungen auf den Subunternehmer, der dann als Arbeitnehmer eingestuft wird, ist rechtlich nur in ganz engen Grenzen möglich. Daher: Aufgepasst bei der Vertragsgestaltung und vor allem bei der Vertragsdurchführung. Röhrborn Biester Juli Arbeitsrecht ist eine auf das Arbeitsrecht spezialisierte Kanzlei mit Sitz in Düsseldorf. Die Kanzlei berät und vertritt bundesweit Unternehmen und Unternehmer aus allen Bereichen der deutschen und internationalen Wirtschaft zu allen nur denkbaren Themen des Arbeitsrechts. Röhrborn Biester Juli, Arbeitsrecht gehört zu den führenden Arbeitsrechtskanzleien Deutschlands. Dr. Stefan Röhrborn ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er begleitet seit fast 20 Jahren erfolgreich Unternehmen bei allen arbeitsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere bei Restrukturierungen und Unternehmenstransaktionen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Beratung und Vertretung von Geschäftsführern, Vorständen und leitenden Mitarbeitern. Dr. Röhrborn gehört zu den in Deutschland führenden Anwälten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. LogReal.direkt 31