Wissensschub statt Partyexzesse

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Wissensschub statt Partyexzesse
Cannes
Juni_2009
Wissensschub statt Partyexzesse
Weniger Einreichungen, weniger Teilnehmer, weniger Feste. So lauten die Vorzeichen
für das 56. Cannes Lions International Advertising Festival. Dafür ist beim
Kongress-Part von der Krise nichts zu spüren. Ein Vorgeschmack. text clemens coudenhove
2008
war für die Organisatoren
schließlich bleibt der Wettbewerb in elf
Jurypräsident fungiert Lord Tim Bell,
der wichtigsten Werbever­
Kategorien
weltweite
Chairman von Chime Communications
anstaltung der Welt ein Rekordjahr, was
Award mit Teilnehmern aus 86 Ländern“,
und Mitbegründer von Saatchi & Saatchi.
die
Arbeiten
und in dieser Größenordnung befindet sich
Bell „positionierte“ Margret Thatcher als
(28.284) betrifft. Und dass dieser Erfolg
das Festival noch immer allein auf weiter
Wahlkampfmanager
im Jahr des wirtschaftlichen Abschwungs
Flur. Und dennoch: Press Lions minus 32,2
Party in den Jahren 1979, 1983 sowie 1987,
nicht getoppt werden kann, war wohl allen
Prozent, Film Lions minus 25,4 Prozent,
und übernahm die PR-Unit der Lowe Group
klar. Mit minus 20 Prozent (22.652 Einrei­
Outdoor Lions minus 23 Prozent, Cyber
(Lowe Bell Communications) im Jahr 1989.
chungen) ist das Cannes-Lions-Team rund
und Lions Direct je minus 20 Prozent. Mini­
Bell spricht lieber von „Reputation Ma­
um Chairman Terry Savage und CEO Phi­
male Zuwächse gibt es diesmal nur in der
nagement“ und ist überzeugt, dass die
lip Thomas dennoch halbwegs zufrieden­
2008 neu eingeführten Kategorie Design
neuen Kategorien „Sector-Related PR“,
stellend davongekommen. Die Fleißigsten
sowie bei den Promo Lions. Fazit: Einge­
„Product & Services“ sowie „PR-Tech­
waren die Agenturen aus den USA mit
reicht wird weitaus selektiver als bisher.
nique“ die Akzeptanz des Festivals noch
Zahl
der
eingereichten
der
„ultimative
der
Conservative
weiter verstärken werden.
2.726 Einreichungen, aus Deutschland lie­
gen der Jury 2.131 Einreichungen vor, ge­
Reputation Management
folgt von Brasilien mit 1.519.
Verschönert wird das Einreichergebnis
172 Löwen-Chancen
„Bei den Teilnehmern könnte der Rück­
durch die erstmals zu vergebenden PR
Aus Österreich rittern diesmal 172 Arbei­
gang 40 bis 50 Prozent betragen“, sagt
­Lions. Cannes-Lions-CEO Philip Thomas
ten um die begehrten Löwen-Statuetten,
­Savage gegenüber BESTSELLER (siehe In­
freut sich besonders, dass die neue Kate­
im Vorjahr waren es noch 246. Lowe GGK
terview). Richtig besorgt scheint Cannes-
gorie mit 431 Entries von 239 Unterneh­
liegt mit 24 eingereichten Arbeiten vorne,
Lions-CEO Philip Thomas nicht zu sein,
men aus 48 Ländern unterstützt wird. Als
gefolgt von Jung von Matt/Donau (19) und
38_BESTSELLER
172 Chancen für Österreich
Die österreichischen Einreicher
Obwohl heuer der Sparzwang
deutlich spürbar ist: Partys
gehören zum Cannes Lions
Festival einfach dazu.
Einreicher
Anzahl der Arbeiten
Lowe GGK
24
Jung von Matt/Donau
19
Draftfcb Kobza
18
Demner, Merlicek & Bergmann
17
Euro RSCG Vienna
13
PKP proximity
11
TBWA\Wien
11
Ogilvy
6
MediaCom
6
Die Goldkinder
5
McCann Ericksson
4
Traktor
4
Publicis
4
Blink
3
CCP,Heye
3
Wien Nord
3
Wortwerk Arnis Army
2
Vogel Audiovision
2
One’s own
2
Rahofer
2
Red Bull Creative
2
AHA Group
1
Büro X
1
bwin
1
CMF Studios
1
Himmer, Buchheim & Partner
1
Jerk Films
1
Neue Sentimental
1
Reichl und Partner
1
Scoop
1
Spirit Design
1
MAB Media Audience Beratung GmbH
1
Draftfcb Kobza (18). Walter Zinggl, ORFEnterprise-Chef und heimischer CannesLions-Repräsentant, betont, dass sich der
Kostendruck der österreichischen Agen­
turen dem globalen Trend entsprechend
natürlich auf die Zahl der Delegierten aus­
wirke. Rund 40 Anmeldungen aus Öster­
reich gebe es derzeit, Zinggl hofft auf
kurz­entschlossene Besucher in Cannes:
„Auch wenn der Gegenwert, der in Cannes
geboten wird, die Kosten mehr als recht­
fertigt, rechnen Unternehmen und Agen­
turen natürlich Reise- und Unterkunfts­
fotos Cannes Lions Festival (2)
kosten dazu“ (siehe Interview Seite 42).
Auf die große Herausforderung einer Ju­
rierung in Cannes freuen sich die drei hei­
mischen Juroren, die diesmal nominiert
wurden: Andreas Putz (Kreativgeschäfts­
führer von Jung von Matt/Donau) vertritt
Österreich in der Cyber-Jury, nachdem
seine Agentur 2008 einen ­bronzenen
Ausgelassene Stimmung im Jahr 2008: Welche Arbeiten heuer für Jubel und B
­ egeisterung
sorgten, erfahren Sie in BESTSELLER 7/8, der am 24. August erscheint.
BESTSELLER_39
Cannes
Juni_2009
­Cyber-Lion für das Eigenmailing „Geseg­
nete Weihnachten“ gewonnen hat: „Online
ist derzeit sicher das aufregendste Me­
Mit drei Juroren ist Österreichs Kreativbranche heuer beim Cannes Lions
­Festival vertreten: Joachim Feher (MediaCom) beurteilt Media, Gerda ReichlSchebesta (TBWA\Wien) Direct und Andreas Putz (Jung von Matt/Donau) Cyber.
dium. Sein Stellenwert in unserem Leben
wird immer größer. Noch immer gibt es
dort Möglichkeiten zu entdecken, die noch
nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Kein an­
schiedlichen Antworten auf die immer
gramm mit über 80 Seminaren, Work­
deres Medium vermittelt derart stark das
­gleiche Frage: Welche Idee bewegt das
shops und Präsentationen. Die Highlights
Gefühl: Alles geht. In keinem anderen Me­
­Publikum am meisten?“ Und Joachim Fe­
bilden naturgemäß jene Veranstaltungen,
dium sind schlechte Ideen derart schnell
her, CEO der Mediaagentur MediaCom und
die von den Kapazundern einer Branche
derart tot. In keinem anderen Medium ver­
Juror der Media Lions, erwartet sich „1.000
im Wandel präsentiert werden: Ober­
breiten sich gute Ideen derart schnell und
Einreichungen, anstrengende Tage (und
werber und WPP-Boss Sir Martin Sorrell
umfassend. In keiner anderen Jury wäre
Nächte), anregende, befruchtende und
­moderiert eine Diskussion über die Aus­
ich lieber als in dieser“, freut sich Putz und
harte Diskussionen und letztendlich Löwen­
wirkungen der Rezession mit den Marke­
zieht Parallelen zum deutschen Naturfor­
gewinner für Mediaumsetzungen, die Kon­
tingleitern von Procter & Gamble, Kraft
scher und Entdecker Alexander von Hum­
sumenten nachhaltig beeindruckt haben“.
Foods und McDonald’s. David Plouffe,
boldt: „Bei Cyber gibt es immer neue Ar­
Als einzige Österreicherin ist Daniela
Wahlkampfmanager von US-Präsident
ten, die man entdecken kann.“ Putz zufolge
Krautsack mit ihrer Agentur Cows in Ja­
Obama, verrät die Erfolgsgeheimnisse
wäre das Problem vor rund acht Jahren
ckets als Spezialistin für Ambient-Wer­
von Online-Kampagnen. Ex-UN-General­
rund um den Internethype Folgendes ge­
bung und Sonderformen im öffentlichen
sekretär Kofi Annan spricht über die
wesen: „Es gab zwar auch damals interes­
Raum im Kongressprogramm vertreten,
Rolle der Kreativbranche in Sachen
sante Ideen und Lösungen, allerdings war
und zwar zum vierten Mal. Im Rahmen ei­
­Klimawandel. Als „Media Person of the
die Geschwindigkeit der Rechner für die
nes Workshops mit dem Titel „The art of
Year“ wird Microsoft-Boss Steve Ballmer
Konsumenten noch nicht so weit.“
projectionism – urban trends to creatively
ausgezeichnet, als „Advertiser of the
Dass ein Aufenthalt in Cannes vor allem die
­leverage the public space“ wird die
Year“ Volkswagen. Über ihre Karrieren
Gelegenheit ist, einen umfassenden Über­
­ehemalige MediaCom-Mitarbeiterin ein
sprechen übrigens auch Musikgrößen
blick über die Kommunikationsindustrie zu
11-Punkte-Manifest zum Thema Werbung
wie der erfolgreiche Produzent Harvey
erhalten, betonen die Juroren allesamt:
im öffentlichen Raum präsentieren (23.
Goldsmith oder „The Who“-Frontman
Gerda Reichl-Schebesta von TBWA\Wien
Juni von 15 bis 17 Uhr).
­Roger Daltrey.
Vom 21. bis 27. Juni 2009 heißt es also Dau­
(bronzener Direct-Löwe 2008 für „Alser­
grunder Briefmarkenbörse“) bringt es auf
Sorrell, Ballmer und The Who
men halten für Österreichs Kreative. Die
den Punkt: „Das Spannendste an einer in­
Mindestens ebenso wichtig wie die Jagd
Löwengewinner in den elf Kategorien fin­
ternationalen Jury sind die weltweit unter­
nach den Löwen ist das Kongresspro­
den Sie pünktlich auf www.horizont.at.
„Du kriegst, was du gibst“
Terry Savage, Chairman des Cannes Lions International Advertising Festivals, im Interview
­Ausrichter von Werbepreisen sehen sich einer sinkenden Anzahl an
­Einreichungen gegenüber. Was erwarten Sie bezüglich Einreichungen
und Besucherzahlen?
terry savage Cannes spiegelt das Business wider, und wenn das Business
schrumpft, dann wird auch Cannes schrumpfen, sowohl was Einreich- als auch
was Teilnehmerzahlen betrifft. Bei den Einreichungen gehen wir von einem Rückgang von nicht mehr als 20 Prozent aus, bei den Teilnehmern könnten es 40 bis
50 Prozent werden. So weit unsere Erwartungen. Aber selbst wenn die Zahl
­kleiner wird, die Bedeutung und Werte von Cannes werden erhalten bleiben,
was man an der Stärke unseres Seminarprogramms erkennen kann.
Kann die neue Kategorie PR diesen Rückgang ausgleichen? Was kommt
nach „Design“ 2008 und „PR“ 2009, gibt es überhaupt noch Kategorien,
die man einführen könnte?
savage In Cannes geht es um Relevanz. Wir werden neue Kategorien einführen,
wenn wir der Meinung sind, dass sie für die Form und die Richtung der Branche
relevant sind – für 2010 haben wir, was neue Kategorien betrifft, noch keine
­Entscheidungen getroffen.
Es scheint, das Cannes Lions Festival wird in ernsteren Zeiten ebenfalls
­ernster. Mehr Seminare, mehr Konferenzen, mehr kongressartige
­Veranstaltungen, die mehr abdecken, als die klassische Werbung …
savage Das ist nichts Neues. Cannes war während der letzten Jahre eine richtige Lernerfahrung. Das ist das dritte Jahr in Folge, in dem wir mehr als 50 Seminare und 25 Workshops haben. Die dynamische Veränderung in der Branche er-
fordert die ständige Aufmerksamkeit der Leute in der Branche. Die momentane
Wirtschaftskrise wird diese Geschwindigkeit in der Veränderung noch erhöhen.
Es ist ironisch, dass in Zeiten, in denen die Branche sich all dieser Themen
­annehmen sollte, die Teilnehmerzahlen sinken. Das bedeutet aber nicht, dass
­Inspiration aus der Arbeit kein Schlüsselfaktor mehr wäre, oder dass NetworkingMöglichkeiten an Bedeutung verlieren. Es bedeutet aber, dass Cannes unter
­Berücksichtigung dieser drei Faktoren ein Pflichttermin ist, oder sein sollte.
Es scheint so, als fänden in Cannes heuer weniger, oder einfachere Partys
statt. Kann das ein Vorteil für das Image von Cannes sein: „Lerne mehr,
­feiere weniger“?
savage Du kriegst von Cannes, was du Cannes gibst. Die Möglichkeit, durch die
Seminare zu lernen, ist der Schlüssel. Die Partys machen Spaß. Wenn es hier eine Balance gibt, wird die Cannes-Erfahrung maximiert. Werden wir kleinere und
weniger Partys sehen? Ja, aber das ist auch nicht der Schlüssel zu Cannes. Es ist
der „Wissensschub“, der den wichtigsten Aspekt darstellt.
Worauf freuen Sie sich persönlich ­
heuer am meisten?
savage Darüber, dass – wie ich meine –
wir heuer das stärkste Seminarprogramm
in der Geschichte von Cannes erleben werden. Redner, die den Weg vorgeben, die
­Inspiration bieten – nehmen Sie eine gute
Idee aus Cannes mit und sie kann zehnmal
die Kosten der Teilnahme hereinbringen.
Terry Savage, Chairman des Cannes Lions
International Advertising Festivals.
40_BESTSELLER
fotos Cannes Lions Festival, MediaCom, TBWA, Archiv
bestseller Aufgrund der Krise kürzen Werbeagenturen ihre Budgets.
Cannes
Juni_2009
„Der Markt
bestimmt die
Kategorien“
Walter Zinggl, ORF-Enterprise-­
Geschäftsführer und Österreich-­
Repräsentant des Cannes Lions
­International Advertising Festivals,
im Interview. text clemens coudenhove
bestseller Wie stark belastet die Krise das Cannes Lions
­Festival heuer?
walter zinggl Fakt ist, dass sich die Krise auf die Einreichzahl,
sowohl aus Österreich als auch weltweit, auswirkt. Die Agentu­
ren haben einen enormen Ergebnisdruck. Viele Kunden nützen
die Krise, um die Honorare der Agenturen nachzuverhandeln.
Daher gehen die Einreichzahlen klar zurück. Bei den Delegierten
werden wir ein ähnliches Bild haben, rund 40 sind derzeit aus
­Österreich angemeldet, das sind mehr als 50 Prozent weniger als
2008. Auch wenn der Gegenwert, der in Cannes geboten wird, die
Kosten mehr als rechtfertigt, rechnen Unternehmen und Agentu­
ren natürlich Reise- und Unterkunftskosten dazu. Das sind schon
chungen will, für die Reputation des Festivals mag der Rückgang
ordentliche Budgets, auch wenn man – und davon bin ich über­
an Entries aber nicht das Schlechteste sein.
zeugt – heuer so günstig wie noch nie in Cannes wohnen kann,
auch ohne den berühmten Festivalzuschlag. Ich hoffe, dass einige
Stichwort profitorientiertes Unternehmen, um nicht zu sagen
Werber und Agenturvertreter kurz entschlossen nach Cannes rei­
Geldmaschine: Es gibt immer neue Kategorien, 2008 Design,
sen. Für Cannes ist es ein spannendes Jahr, ein Jahr der Kurzfris­
heuer PR. Ist jetzt nicht bald eine Grenze in Sachen
tigkeit, die sich mittlerweile zur Normalität entwickelt hat.
­Kommunikation erreicht?
zinggl Die Frage, welche Kategorien bei einer Award-Show an­
Sämtliche Werbe-Award-Ausrichter müssen heuer mit weniger
geboten werden, wird in Wahrheit vom Markt bestimmt. Wenn es
Einreichungen rechnen. Einreicher überlegen sich noch genauer,
ein Schlagwort in den letzten fünf bis zehn Jahren gegeben hat,
was Chancen hat. Bedeutet das nicht, dass auch die Qualität der
dann war es holistische Kommunikation, 360 Grad, wie auch im­
­Arbeiten steigen könnte?
mer man es nennen will. Daraus folgt nota bene, dass die Festi­
zinggl Wenn der Trend ein globaler ist, kommen trotzdem nur
vals, die sich als Spiegel der Branche verstehen, hier nachziehen.
die besten Arbeiten nach Cannes. Der Gap zwischen allen Einrei­
Ich persönlich meine, dass man in Cannes das gesamte Spektrum
chungen und der Shortlist ist ein relativ starker, egal in welcher
der Kommunikation gut abbildet.
gensatz. Ob man in Cannes eine Chance hat oder nicht, ist bis zu
Wie lautet der Tenor bei den Briefings der einzelnen Jurys
einem gewissen Grad auch abhängig von der Ausrichtung, die
in Cannes? Worauf kommt es an?
eine Jury an den Tag legt und die sich immer wieder ändert. An­
zinggl Eine Kampagne muss in irgendeiner Form beispielge­
dererseits hängt es auch von der Anzahl der Einreichungen in ei­
bend sein. Bei jedem Jurybriefing, an dem ich teilgenommen
ner Kategorie ab. Es gibt ja – wie etwa beim Film – unzählige Sub­
habe, sagte der Jurypräsident: „Einen goldenen Löwen kann es
kategorien. Wenn beispielsweise bei Spots zum Thema Lotterien
nur für eine Kampagne geben, die uns in die Zukunft weist.“ Man
wenig eingereicht wird und der österreichische Beitrag heraus­
hat die Möglichkeit, Entwicklungen zu sehen, wie auf herkömmli­
sticht, war das immer ein guter Zustand. Wenn zum Beispiel bei
che Kommunikationsaufgaben mit neuen und innovativen Lösun­
non-alcoholic beverages 400 Einreichungen da sind, ist die Chance
gen geantwortet wird. Das sieht man nur in Cannes. Aus österrei­
zu punkten entsprechend geringer. Am Ende ist es natürlich gut,
chischer Sicht habe ich auch den Eindruck, dass man über
wenn die Qualität, die in Cannes immer gegeben war, auch da­
Trauben, die zu hoch hängen, manchmal ein wenig schimpft.
durch beeinflusst wird, dass sich die Agenturen noch genauer
überlegen was sie einreichen. Natürlich ist das Festival ein wirt­
Apropos: Von vielen österreichischen Agenturvertretern
schaftlich denkendes Unternehmen, das möglichst viele Einrei­
wurde etwa der Xbox-Spot „Halo 3“ von McCann San Francisco
42_BESTSELLER
foto Peter Svec
Kategorie, am offensichtlichsten beim Film. Ein fulminanter Ge­
kritisiert, der 2008 den Film-Grand-Prix gewonnen hat,
Das ist der Kern des Cannes Lions Festivals, der lange auch die
­Stichwort ­pädagogisch bedenklich. Berechtigte Kritik?
einzige Kategorie war und noch immer als wichtigste Kategorie
zinggl Ich bin der Erste, der zugibt, dass dieser Spot auch für
gesehen wird, für mich aus sentimentalen Gründen. In Wahrheit
mich befremdlich war. Aber wenn etwas produziert und verkauft
ist der Titanium-Löwe der wichtigste, eine Form der integrierten
­werden kann, muss dieses Ding auch kommuniziert werden dür­
Kommunikation, die man noch nie gesehen hat. Persönlich ist für
fen, freedom of commercial speech hat sich nicht an Gusto und
mich Media am wichtigsten, weil das meine unmittelbaren Auf­
persönlichen Einstellungen zu orientieren. Das Faszinierende an
traggeber sind. Cyber und Direct sind wahrscheinlich für viele
Halo 3 war, dass das Spiel durch die Kampagne ins Leben geholt
Auftraggeber, die nach Cannes fahren, wichtiger als ein Film-
wurde. Das Ganze wurde – nicht nur in der Kampagne – derma­
Löwe. Das ist eine grundlegende Veränderung in Cannes: Mindes­
ßen überhöht, dass man von einer Kommunikationsleistung ers­
tens ein Drittel der Delegierten sind Auftraggeber. Vor drei Jah­
ten Ranges sprechen kann.
ren waren über 300 Procter-&-Gamble-Delegierte vor Ort. Viele
große Unternehmen organisieren parallel zum Festival Meetings,
In den vergangenen Jahren haben sich die Kategorien Direct
um das, was sie gesehen haben, sofort zu diskutieren und für sich
und Media aus österreichischer Sicht als Erfolg versprechend
zu verwerten. Die Seminare sind aufgrund der Nachfrage von
herauskristallisiert. Beschreiben Sie Ihr Bauchgefühl für heuer,
Auftraggeberseite heillos überbucht. Cannes heißt nicht im Kino
nachdem Sie die 172 heimischen Einreichungen gesehen haben.
sitzen und am Strand liegen, sondern sich mit allen Formen und
zinggl Dasselbe Gefühl wie jedes Jahr: Ich hoffe! Es ist schwer
Aspekten der Kommunikation auseinanderzusetzen.
einzuschätzen, in welchen Kategorien österreichische Arbeiten
ORF-Enterprise-Chef
und Österreich-Re­
präsentant der Cannes
Lions Walter Zinggl:
„Mein alljährliches
­berufliches Highlight.“
international wettbewerbsfähig sind. Dass wir
Worauf freuen Sie sich heuer am meisten?
kein Jahr wie 2002 mit neun Löwen erleben
zinggl Nicht auf einzelne Programmpunkte. Ich freue mich dar­
werden, ist wohl jedem klar. Durch den Brot­
auf, mich ein paar Tage mit dem übergeordneten Geschäft zu be­
beruf des ORF-Enterprise-Geschäftsführers
fassen. Man findet in Cannes heraus, wo die Reise hingeht. Das
mit dem Hauptmedium Fernsehen hoffe ich
kann bei Gesprächen im Café, im Kino oder beim Betrachten der
natürlich sehr, dass wir nach 1981 („Men“)
Cyber-Einreichungen sein. Cannes ist mein alljährliches berufli­
wieder einmal einen Film-Löwen gewinnen.
ches Highlight.

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