Mögliche Mehrwertdienste für den Güterverkehr unter

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Mögliche Mehrwertdienste für den Güterverkehr unter
Seminar Sommersemester 2010:
Automobile Systeme in der Automatisierung
Prof. Dr. Dieter Zöbel, Universität Koblenz-Landau, FB Informatik
Mögliche Mehrwertdienste für den Güterverkehr unter
Berücksichtigung dessen Nachhaltigkeit
René Bing ([email protected])
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Zusammenfassung Die aktuelle Entwicklung der Güterverkehrssituation in Deutschland und die Ziele der Regierung erfordern effiziente, innovative Lösungen für den Güterverkehr und den Logistik-Sektor. In der Hochschulforschung im Bereich Informatik
ist in diesem Kontext vor allem die Nutzung von zukunftsträchtigen Technologien, wie
dem ERTMS oder dem Galileo Satellitennavigationssystem, für die Generierung von
Anwendungen und Mehrwertdiensten interessant. Im Folgenden sollen mögliche Forschungsgebiete aufgezeigt werden, aber auch die aktuelle Situation und die Gründe
für den Wandel im Güterverkehr betrachtet werden. Dies ist nötig, damit möglichst
zielgerichtet Forschung in diesem Bereich betrieben werden kann.
Schlüsselwörter Güterverkehr · Logistik · Nachhaltigkeit · Modal Split · Masterplan · ERTMS · ETCS · Galileo Satellitennavigation · Maut · Mehrwertdienste ·
Routenplanung · Verkehrsinformationen · Mautinformationen · Blockverdichtung
1 Einleitung
Der Güterverkehr erlebt seit einigen Jahren ein enormes Wachstum. Seit 1960 hat sich
der Güterverkehrsaufwand in Deutschland etwa vervierfacht (siehe Abbildung 1). Als
Hauptursache für diese Entwicklung wird die zunehmende internationale Arbeitsteilung gesehen [1]. Durch die stärker verteilte Herstellung von Produkten müssen immer
mehr Güter von Standort zu Standort transportiert werden. Dabei nehmen die Transportweiten seit Jahren zu.1 Aber auch die Tendenz zur Just-in-time Produktion, welche
zu häufigeren, dafür kleineren Lieferungen neigt, und die Zunahme des Versandhandels
bewirken einen höheren Güterverkehrsaufwand.
Das Wachstum des Güterverkehrs erfordert neben Infrastrukturen mit ausreichenden
Kapazitäten auch effiziente Lösungen im Logistiksektor. Dieser bildet mit einem Umsatz von 836 Mrd. Euro2 mittlerweile den drittgrößten Wirtschaftszweig in Europa.
Hier nimmt Deutschland mit ca. 2,6 Mio. Beschäftigten und einem Anteil von 21% am
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1 Im Zeitraum von 1997 bis 2005 um 32% beim LKW-Verkehr und um 31% beim Bahnverkehr
2 inklusive Norwegen und der Schweiz (Stand 2006)
2
Mögliche Mehrwertdienste für den nachhaltigen Güterverkehr: René Bing
Abb. 1 Entwicklung des Güterverkehrsaufwands in Deutschland 1960-20054
Gesamtumsatz (ca. 189 Mrd. Euro) als Schwergewicht im Logistikbereich eine besondere Rolle ein [2].
Die Regierung hat das wirtschaftliche Potential und vor allem die damit verbundene
Pflicht zur Regulierung erkannt und einen Masterplan zur Festigung Deutschlands als
“Logistikstandort” erstellt. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Nachhaltigkeit des Güterverkehrs gelegt. Der als Maßnahmenkatalog gestaltete Masterplan zielt
deshalb auf die “wirtschaftliche Effizienz, ... Umweltfreundlichkeit und ... soziale Verantwortung” 3 des Güterverkehrs und des Logistiksektors ab.
In dieser Arbeit sollen anhand des Maßnahmenkatalogs verschiedene Automatisierungspotenziale und mögliche Mehrwertdienste für den Güterverkehr per LKW und Bahn
unter Verwendung aktueller Technologien wie dem Galileo Satellitennavigationssystem
beschrieben werden. Dabei soll die Wichtigkeit für solche innovative Techniken hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Güterverkehrs genauso wie eine mögliche Umsetzung
im universitären Bereich betrachtet werden.
2 Probleme durch das Wachstum des Güterverkehrs
Das Hauptproblem beim Wachstum des Güterverkehrs liegt in seiner ungleichen Verteilung. Betrachtet man den Modal Split5 wird dies besonders deutlich (siehe Abbildung
2). Gab es 1960 noch eine nahezu Gleichverteilung des Güterverkehrsaufwandes, dominierte 2005 bereits der Straßengüterverkehr per LKW mit 72%. Bis 2025 soll der Anteil
des Straßengüterverkehrs sogar bei ca. 75% liegen [4]. Mit dieser Entwicklung verbun3
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), 2008, 16
Lambrecht, 2009, 13
5 Aufteilung des gesamten Güterverkehrsaufwandes auf die verschiedenen Verkehrsträger
(Straße, Schiene, Binnenschifffahrt). In dieser Ausarbeitung werden nur der Straßen- und Schienenverkehr betrachtet.
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3
Abb. 2 Entwicklung des Modal Split im Güterverkehr in Deutschland6
den ist eine intensivere Nutzung der Straßeninfrastruktur. Auch hier lässt sich ein ungleichmäßiges Wachstum des Verkehrsaufkommens feststellen. So nimmt der Verkehr
auf verschiedenen Fernverkehrsstraßen überdimensional zu, während andere Strecken
teilweise einen Rückgang des Verkehrs verzeichnen (siehe Abbildung 3). Dies liegt vor
allem an der Rolle Deutschlands als Transitland der Europäischen Union [3]. Der Studie zur Verkehrsentwicklung bis 2020 von Acatech zu folge nimmt der Verkehr auf den
Ost-West-Transitstrecken A6 und A2 in den kommenden Jahren um 181% bzw. 125%
zu. Bereits heute kommt es jedoch auf Deutschen Autobahnen regelmäßig zu Störungen
des Verkehrsflusses in Form von Staus. Ein weiterer Zuwachs des Verkehrsaufkommens
würde diese Lage zusätzlich verschlimmern.
Neben der Kapazitäts-Problematik des deutschen Straßenverkehrsnetzes stellt die Umweltbelastung durch den zunehmenden Güterverkehr ein ernst zu nehmendes Problem
dar. Erhöhte Schadstoff-Emissionen (z.B. CO2 und Stickstoffoxid), aber auch eine erhöhte Lärmbelästigung durch den Verkehr, sowie eine zunehmende Zerschneidung der
Landschaft durch den Bau neuer Straßen konnte festgestellt werden [1].
3 Ziele und Maßnahmen der Regierung
Um weiterhin als Logistikstandort und Transitland vom Güterverkehr profitieren zu
können, ohne dabei die Lebensqualität der Bürger durch zunehmende Luftverschmutzung, Lärmbelästigung usw. zu beeinträchtigen, müssen in Deutschland weitgreifende
Änderungen getroffen werden. Deshalb hat sich die Bundesregierung verschiedene Ziele
zur Umsetzung eines nachhaltigen Güterverkehrs gesetzt und diese in einem Masterplan
formuliert. Im Allgemeinen sieht die Bundesregierung eine Senkung der Transportintensität8 , der Schadstoff-Emissionen und der Lärmbelästigung durch den Güterverkehr,
sowie die Erhaltung der biologischen Vielfalt und unzerschnittener Räume vor.
6
Lambrecht, 2009, 15
Lambrecht, 2009, 17
8 die Transportintensität bezeichnet den Verkehrsaufwand (in Mrd. Tonnenkilometer) je
1.000 Euro des Bruttoinlandsproduktes
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4
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Abb. 3 Zu- und Abnahme des Personen- und Güterverkehrs 2002-20207
3.1 Masterplan Güterverkehr und Logistik
Der Masterplan für Güterverkehr und Logistik ist ein Maßnahmenkatalog, welcher
die verschiedenen Ziele der Regierung und mögliche bzw. geplante Maßnahmen zur
Umsetzung dieser aufführt [2]. Dabei wird in folgende Maßnahmen unterteilt:
–
–
–
–
–
–
Verkehrswege optimal nutzen – Verkehr effizient gestalten
Verkehr vermeiden – Mobilität sichern
Mehr Verkehr auf Schiene und Binnenwasserstraße
Verstärkter Ausbau von Verkehrsachsen und -knoten
Umwelt- und klimafreundlicher Verkehr
Gute Arbeit und gute Ausbildung im Transportgewerbe
Die beschriebenen Ziele und Maßnahmen sollen dabei nicht ausschließlich von der Bundesregierung vorangetrieben werden. Vielmehr wird versucht, durch Investitionen oder
gesetzliche Regelungen, die Industrie zu neuen innovativen Lösungen zu ermuntern.
Für die Informatik, auch hinsichtlich eines möglichen Forschungsgebietes im universitären Bereich, sind hier besonders die Ziele zur Effizienz- und Kapazitätssteigerung
der vorhandenen Infrastruktur, sowie die Vermeidung von Verkehr und die Verlagerung
des Verkehrs auf die Schiene interessant. Diese sollen im Folgenden genauer betrachtet
werden, um einen Überblick über mögliche Forschungsgebiete zu bekommen.
3.1.1 Verkehrswege optimal nutzen – Verkehr effizient gestalten.
Das zunehmende Verkehrsaufkommen erfordert eine Optimierung des Verkehrsnetzes.
Dabei soll vor allem die Nutzung der bereits vorhandenen Infrastruktur effizienter gestaltet werden. Dies soll nach Auffassung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Mögliche Mehrwertdienste für den Güterverkehr
5
Stadtentwicklung (BMVBS) durch den Ausbau von “elektronischen Verkehrslenkungsund Verkehrsmanagementsysteme[n] bei allen Verkehrsträgern” 9 erzielt werden. Verkehrsmanagementsysteme bieten die Möglichkeit, den Verkehr aktiv durch z.B. die
dynamische Anzeige von Höchstgeschwindigkeiten und Überholverboten zu steuern.
Im Falle eines Staus könnte mithilfe solcher Systeme für eine schnellere Auflösung
der Verkehrsballung gesorgt werden. Weiterhin wird die bundesweite Vernetzung der
Verkehrsleitsysteme vorgeschlagen. Dies würde das “Vorhersehen” von Störungen des
Verkehrsflusses durch die vorhandenen Verkehrsinformationen verbessern. Durch die
Verfügbarmachung dieser aktuellen Daten könnte sogar eine Verbesserung von Routenplanern erzielt werden (siehe Abschnitt 5.1).
Verkehrsinformationen werden auch durch das 2005 eingeführte Mautsystem generiert.
Aufgrund von Basisfunktionen, wie der satellitengestützten Standortbestimmung und
der Verwendung eines Mobilfunk-Kommunikationskanals zur Datenübertragung, eignet
sich das Mautsystem nach Meinung des BMVBS als “ideale Platform für TelematikMehrwertdienste” 10 . Hier gilt es sinnvolle Anwendungen zu finden und umzusetzen.
3.1.2 Verkehr vermeiden – Mobilität sichern.
Es ist “ein vordringliches Ziel der Bundesregierung, Güterverkehr, wo immer dies ohne
wirtschaftliche Beeinträchtigung möglich ist, zu vermeiden” 11 . Dieser Vorsatz soll vor
allem durch Optimierungen im Logistikbereich erreicht werden. Konzepte zur Bündelung von Transporten und ein effizienter Transitverkehr seien hier zielführend.
Zu den Maßnahmen zum Vermeiden von Verkehr, und besonders interessant für Unternehmen und Universitäten, gehören “verstärkte Investitionen in innovative und kapazitätssteigernde Technologien” 12 . Zu diesen Technologien zählt die Regierung unter
anderem mögliche Anwendungen des neuen Satellitennavigationssystems Galileo (siehe
Abschnitt 4.2), die Schnittstellenbildung zwischen Verkehrslogistik und Intralogistik13
und die Schaffung von ITS-Lösungen14 .
3.1.3 Mehr Verkehr auf Schiene und Binnenwasserstraße.
Zur Entlastung des Straßenverkehrsnetzes aber auch wegen des deutlich geringeren
CO2 -Ausstoßes (siehe Abbildung 4) soll der Güterverkehr zunehmend auf die Schiene
verlagert werden. Dabei möchte die Regierung verstärkt auf den kombinierten Verkehr15 setzen. Diese Variante des Transports von Gütern vereint die Vorteile von
Straßen- und Schienenverkehr. So sollen Güter auf langen Strecken per Bahn transportiert werden und an Umschlagbahnhöfen auf LKWs zur Feinverteilung umgesetzt
werden. Zu Optimierung dieses Vorgangs fordert das BMVBS innovative Umschlagtechniken.
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BMVBS, 2008, 19
BMVBS, 2008, 32
BMVBS, 2008, 19-20
BMVBS, 2008, 43
Intralogistik beschreibt den Güterverkehr innerhalb eines Betriebsgeländes
ITS: Intelligent Transport System
auch intermodaler Verkehr genannt
Lambrecht, 2009, 66
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Mögliche Mehrwertdienste für den nachhaltigen Güterverkehr: René Bing
Abb. 4 Vergleich der spezifischen CO2 -Emissionen im Güterverkehr16
4 Neue Technologien
Der in Abschnitt 3.1 beschriebene Maßnahmenkatalog fordert den Einsatz von neuen, innovativen Technologien, um die Ziele der Regierung zu erreichen. Aufgrund der
technologischen Vielfalt in den verschiedenen Teilbereichen des Logistiksektors sollen
im Folgenden zwei Technologien, die besonders interessant als Grundlage für mögliche
Mehrwertdienste im Bereich der Informatik sind, eingeführt werden. Dabei handelt es
sich um Technologien, die relativ neu sind, bzw. sich noch im Aufbau befinden.
4.1 ERTMS/ETCS
“Derzeit gibt es in Europa mehr als 20 verschiedene Zugsicherungssysteme” 17 . Aufgrund
ihrer Inkompatibilität wird der Transitverkehr zwischen den Länder erschwert. So müssen entweder die verschiedenen Sicherungssysteme in dem Führerhaus verbaut werden
(teuer) oder es muss ein zeitaufwendiger Austausch des Zugwaggons beim Grenzübergang durchgeführt werden. Ein kurzfristiges Einsetzen oder Umdisponieren eines Zuges wird deshalb problematisch. Das European Railway Traffic Management System
(ERTMS) soll die verschiedenen Systeme vereinheitlichen und somit die Problematik
der Inkompatibilität beseitigen.
ERTMS besteht im Wesentlichen aus zwei Grundkomponenten [5]:
4.1.1 European Train Control System (ETCS).
Dabei handelt es sich um ein automatisches Zugsicherungssystem18 . ETCS überprüft
während der Fahrt permanent die zulässige Höchstgeschwindigkeit und bremst den Zug
automatisch bei einer Überschreitung ab.
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18
Lambrecht, 2009, 94
auch ATP-System (automatic train protection system) genannt
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4.1.2 GSM-R.
Das Mobilfunkkommunikationsnetz GSM-R ist eine Erweiterung des Handynetzes GSM.
Es soll den Informationsaustausch zwischen Funkstellen und den Zügen ermöglichen.
Bereits heute wird ERTMS auf ca. 33000 km Wegstrecke weltweit eingesetzt [7]. Dabei unterscheidet man den Ausbau einer Strecke mit ERTMS in sogenannte “ERTMS
Levels” [6]:
4.1.3 Level 1:
ERTMS überlagert das bereits vorhandene Signalsystem. Die mit ERTMS ausgestatteten Züge werden durch sogenannte Eurobalisen19 gesteuert. Diese übermitteln z.B.
die aktuelle Höchstgeschwindigkeit an das ETCS an Bord des Zuges.
4.1.4 Level 2:
Es ist kein streckengebundenes Signalsystem nötig. Fahrt-Befehle und Höchstgeschwindigkeiten werden mittels GSM-R an den Zug übermittelt. Die Eurobalisen dienen nur
noch zur Bestimmung der Zugposition. Mit dieser Ausbaustufe sollen die Kosten für
die Wartung eines Signalsystems gesenkt werden.
4.1.5 Level 3:
Diese Ausbaustufe entspricht Level 2, setzt aber eine Zugvollständigkeitsprüfung20 im
Zug selbst vorraus. Dies ermöglicht eine Blockverdichtung der Züge, weil nicht mehr
gewartet werden muss, bis ein Zug einen “Block” komplett durchquert hat. Level 3
befindet sich momentan noch in der Entwicklung.
4.2 Galileo Satellitennavigationssystem
Galileo ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt mit dem Ziel ein Konkurrenzprodukt
zum amerikanischen GPS oder zum russischen GLONASS zu bieten [8]. Dabei soll es
durch technologische Weiterentwicklungen wie einer genaueren Positionsbestimmung
und einer umfasssenden Verfügbarkeit (auch in Tunneln, Gebäuden etc.) den Kontrahenten Marktanteile abnehmen. Galileo ist seit 2003 in Entwicklung und soll später aus
30 Satelliten bestehen, wobei jeweils 10 Satelliten auf drei verschiedenen Kreisbahnen
die Erde umrunden. Es ist ausschließlich für den zivilen Anwendungsbereich gedacht.
Geplant sind fünf verschiedene Dienste mit unterschiedlichen Leistungsniveaus und Sicherheitskriterien, um zielgruppengerechte Anwendungen bieten zu können. Der offene
Dienst ist z.B. für den Massenmarkt gedacht. Hier ist die Positionsbestimmung nicht
so genau wie beim kommerziellen Dienst. Besonders hervorzuheben im Kontext dieser
19 Eurobalisen werden zwischen den Gleisen montiert und dienen zur Kommunikation mit
den Zügen. Sie sie sind mit einer Zentrale verbunden, sodass diese feststellen kann, wann ein
Zug eine spezielle Balise überquert hat
20 Die Zugvollständigkeitsprüfung wird normalerweise mittels Gleisstromkreisen durchgeführt. Hierdurch kann allerdings nur ein Zug pro “Block” fahren
8
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Arbeit ist der sicherheitskritische Dienst, welcher für den Luft- und Bahnverkehr gedacht ist. Dieser zeichnet sich durch eine besonders hohe Zuverlässigkeit aus und bietet
Informationen über die Integrität des Systems.
Allein durch technologische Weiterentwicklungen lassen sich nicht im großen Umfang
Marktanteile im Bereich der Satellitennavigation erzielen. Dazu ist GPS zu sehr auf
dem Markt etabliert. Außerdem stehen für 2014 bereits Erweiterungen in Form von
neuen, leistungsfähigeren Satelliten für GPS an. Deshalb hat man es sich zur Aufgabe,
gemacht Galileo vor allem durch das Angebot von innovativen und leistungsfähigen
Anwendungen auf dem Markt zu platzieren [9].
4.2.1 European Satellite Navigation Competition (ESNC).
Die Idee der ESNC ist die Entwicklung von Anwendungen für Galileo voranzutreiben.
Seit 2004 konnte sie unter der Organisation des Anwendungszentrum Oberpfaffenhofen
und dem Bundesstaat Bayern einen stetigen Zuwachs von Teilnehmern verzeichnen.
Namhafte Unternehmen und Institute wie T-Systems, ESA (European Space Agency)
und DLR (Deutsches Luft- und Raumfahrtzentrum) sind mittlerweile Sponsoren und
vergeben für eigene “Special Topics” Preise. So sucht z.B. das DLR nach der “Next
Generation Navigation” [10]. Neben Preisgeldern werden die Gewinner auch bei der
Bildung von Start-Ups unterstützt. Dies macht die ESNC besonders für ambitionierte
Hochschulabsolventen interessant.
5 Beispiele für mögliche Mehrwertdienste
Die Bundesregierung legt mit dem Masterplan einen Grundstein für weitere Entwicklungen im Bereich Güterverkehr und Logistik. “Für die Maßnahmen, ..., stehen in der
Finanzplanung bis 2012 beträchtliche Mittel zur Verfügung” 21 . So standen den klassischen Verkehrsträgern und dem kombinierten Verkehr 2009 etwa 10,2 Mrd. Euro
zur Verfügung. Der Bedarf an innovativen Lösungen zeigt sich aber nicht nur durch
verstärkte Investitionen in den Güterverkehr, sondern auch durch die Schaffung von
Wettbewerben wie der ESNC, die zur Sammlung von Ideen und Entwicklung von Anwendungen dienen. Diese Voraussetzungen liefern eine gute Möglichkeit, sowohl als
Unternehmen, als auch als Universität Forschung und Anwendungsentwicklung in diesem Bereich zu betreiben.
Im Folgenden werden Beispiele für mögliche Anwendungen gezeigt. Diese sind bereits
Gegenstand aktueller Forschungen oder befinden sich noch im Ideenstadium.
5.1 Beispiel: Routenplanung
Die Nutzung satellitengestützter Routenplanung ist gegenwärtig weit verbreitet. Für
den Privatanwender reicht im Allgemeinen meist die Berechnung einer relativ kurzen Route aus. Im Logistikbereich kommt es jedoch darauf an, Güter mit minimalen
Kosten zu transportieren, da so der Gewinn gesteigert werden kann. Deshalb ist eine
möglichst optimale Routenplanung erforderlich.
Während statische Daten, wie das Verkehrsnetz, die Maximalgeschwindigkeit des LKWs
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BMVBS, 2008, 26
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oder die Lenkzeit des Fahrers, bereits bekannt sind, sind für die Berechnung von Routen auch dynamische Daten interessant. Dies können z.B. Streckeninformationen wie
Baustellen oder Verkehrsinformationen wie Staus und Unfälle sein. Das Hinzufügen
von diesen Daten könnte es z.B. möglich machen, eine Route noch während der Fahrt
an die aktuellen Gegenheiten anzupassen. Die dynamische Routenplanung ist bereits
u.a. als Projekt der Forschungsinitiative des BMWi unter dem Namen “Logistik-V’Info”
Forschungsgegenstand [11]. Woher erhält man jedoch die nötigen Verkehrsinformationen?
5.1.1 Maut als Informationslieferant.
Aufgrund der Verfügbarkeit von GPS und GSM eignet sich das deutsche Mautsystem
hervorragend als Infomationslieferant für Verkehrsdaten. Durch das GPS können die
Positionen (und zusätzliche Daten wie Geschwindigkeit, Fahrtrichtung) der LKWs festgestellt und diese mittels GSM weitergeleitet werden. Würden die Informationen z.B.
in einer Zentrale gesammelt, könnten diese für die Weiterverwendung aufbereitet und
als Service für Disponenten und Routenplaner verfügbar gemacht werden.
Vorteil und gleichzeitig Nachteil des Mautsystems ist, dass nur Verkehrsdaten der
LKWs verfügbar sind. Für eine optimale Routenplanung werden jedoch möglichst umfassende Verkehrsinformationen benötigt. Andererseits lassen sich durch die Mautinformationen z.B. Ballungen von LKWs an Logistikzentren aufdecken. Diese Informationen
sind ebenfalls hilfreich für den Disponenten.
5.1.2 Galileo als Informationslieferant.
Man kann davon ausgehen, dass bis 2025 nahezu jedes Automobil mit einem Satellitennavigationssystem ausgestattet ist. Galileo könnte bis dahin die dominierende Platform
sein, da es z.B. im Gegensatz zu GPS auch in urbanen Umgebungen funktionsfähig sein
soll. Unter der Annahme auf die produzierten Daten der Verkehrsteilnehmer zugreifen
zu können, wären umfassende Informationen über den Verkehr für eine optimale Routenplanung verfügbar.
Bei einer so hochfrequenten Ausstattung mit Galileo-Empfängern wäre sogar ein satellitenbasiertes Verkehrsmanagementsystem denkbar, welches z.B. Staus anhand von
Merkmalen wie einer sinkenden Geschwindigkeit von Verkehrsteilnehmern erkennt und
darauf eine Warnung an andere Verkehrsteilnehmer ausgibt [12].
5.2 Beispiel: Betriebsleittechnik Bahn
Auch bei der Bahn gilt es die vorhandenen Infrastrukturkapazitäten besser zu nutzen. Dazu gehört z.B. das Fahren von Zügen im Bremswegabstand und die sogenannte
Blockverdichtung. Dies erfordert aus Sicherheitsgründen eine genaue Positionsbestimmung der Züge, sowie eine Zugvollständigkeitsüberwachung. Bisher kann die Zugposition z.B. durch die Eurobalisen22 und die Zugvollständigkeit mittels Gleisstromkreisen
ermittelt werden. Dies ist aber nicht ausreichend, um eine Blockverdichtung zu erreichen.
Als Lösung könnte eine satellitengestützte Überwachung der Züge dienen. Mithilfe der
22
falls die Trasse mit ERTMS ausgestattet ist
10
Mögliche Mehrwertdienste für den nachhaltigen Güterverkehr: René Bing
Satellitendaten über Position, Länge und Geschwindigkeit eines Zuges, wäre das Fahren von Zügen in kürzeren Abständen möglich. Sogar eine “fliegende Überholung” 23
wäre mit dieser Technik denkbar.
Die Idee, die Positionsbestimmung mittels Satellit durch die Eurobalisen zu verifizieren
und somit eine erhöhte Genauigkeit zu erzielen, hat 2009 sogar den ESNC Special Topic Preis der DLR gewonnen [13]. Weiterhin forscht die RWTH Aachen in Kooperation
mit der DLR und Siemens an der Anwendbarkeit von Galileo für die Zugsicherung und
für automatische Zugbildung [14].
6 Ausblick und Fazit
Die aktuellen Entwicklungen des Güterverkehrs und des Logistiksektors bieten interessante Möglichkeiten für Unternehmen und Universitäten. Die verstärkten Investitionen der Bundesregierung in innovative Technologien ermöglichen Unternehmen in
diesem Bereich zu forschen. Dies wird oft in Zusammenarbeit mit Universitäten und
Fachhochschulen getan. Aufgrund des scheinbar weiterhin großen Bedarfs an neuen
Ideen werden in den nächsten Jahren vermutlich weitere solche Kooperation entstehen.
Für die Universitäten und Fachhochschulen gilt es deshalb, aktiv nach Forschungspartnern in diesem Bereich zu suchen. Besonders das Galileo Projekt scheint ein große Zahl
möglicher Anwendungen hervorbringen zu können. Dies lässt sich zum einen aus dem
Zuwachs an eingereichten Ideen bei der ESNC ablesen24 , zum anderen prognostiziert
dies das DLR [15].
Als problematisch anzusehen ist die terminliche Zuverlässigkeit der Inbetriebnahme
von Technologien, die als Grundlage für Anwendungen dienen sollen. So wurde z.B.
die Einführung des Mautsystems mehrfach von 2003 auf letztendlich 2005 verschoben.
Auch der Zeitpunkt der Fertigstellung von Galileo ist momentan noch ungewiss. Sollte
das Satellitennavigationssystem ursprünglich 2011 online gehen, rechnet man mittlerweile mit 2014. Solche Verschiebungen erschweren die Planung und Entwicklung von
Anwendungen immens.
Ein weiteres Problem ist in der Freigabe von Daten wie den Mautinformationen zu
sehen. Hier scheint es teilweise an den rechtlichen Grundlagen zu fehlen [16]. So musste
z.B. das Projekt “Truck Guide Hamburg” [17] auf eine Ausnahmegenehmigung für die
Verwendung der Mautdaten hoffen. Besonders prekär ist dies unter dem Gesichtspunkt,
dass mit den Mautinformationen und möglichen Mehrwertdiensten vor der Einführung
der Maut geworben wurde.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Güterverkehr und Logistik sehr interessante
Forschungsmöglichkeiten bieten. Zahlreiche Mehrwertdienste sind dank neuer Technologien denkbar. Es fehlen jedoch teilweise die nötigen Grundlagen (sowohl technische
als auch rechtliche), die eine Umsetzung der Ideen möglich machen. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung die genannten Probleme in naher Zukunft beseitigt und
somit die Entwicklung von Anwendungen in den nächsten Jahren unterstützt.
23 Ein Zug überholt einen anderen Zug während die Trasse mehrgleisig ist, ohne dass einer
der Züge anhalten muss
24 2008: 293 eingereichte Ideen; 2010: bereits 357 eingereichte Ideen
Mögliche Mehrwertdienste für den Güterverkehr
11
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LKW-Maut-Rechtliche-Grundlage-zur-ueberlassung-von-Mautdaten-fehlt-749777.
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