2011-05-06 BZ Sensationelle Männerstimmen in Irland

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2011-05-06 BZ Sensationelle Männerstimmen in Irland
Kultur Basel
Freitag, 6. Mai 2011
www.basellandschaftlichezeitung.ch | az | 29
Männerstimmen
sorgen in Irland
für eine Sensation
Wenn Chansons heilend wirken
Gare du Nord Die klassische Sopranistin Sonia Theodoridou singt Jacques Brel
VON NIKOLAUS CYBINSKI
Brel-Chansons
Für das einzige Konzert in der
Schweiz kehrte die griechische Sopranistin Sonia Theodoridou nach Basel zurück, in die Stadt, mit der die
seit drei Jahren in Berlin lebende
Sängerin so viele schöne Erinnerungen verbindet, denn von 1991 bis
1998 gehörte sie zum Ensemble der
Basler Oper, und hier sang sie, auch
unter Herbert Wernickes Regie, die
entscheidenden grossen Partien der
Opernliteratur. Die im griechischen
Veria geborene Theodoridou studierte am Athener Konservatorium, gewann nach ihrem mit Auszeichnung
gemachten Abschluss ein Stipendium der Maria-Callas-Stiftung und
setzte ihre Gesangsstudien an der
Kölner Musikhochschule und in London fort. Mit Elisabeth Schwarzkopf
erarbeitete sie sich das deutsche Liedrepertoire. Ihre Karriere verlief glänzend, führte sie an zahlreiche grosse
europäische Opernhäuser und brachte die Zusammenarbeit mit fast allen
Theodoridou singt 14 Chansons, darunter: Voir un ami pleurer, Les bourgeois, L´amour est mort, J´arrive, Au
suivant, Les coeurs tenders, Les
bonbons und als Titel: Ne me quitte
pas. (Ne me quitte pas/ Il faut oublier/ Tout peut s´oublier/ Qui s´enfuit déjà/ Oublier le temps/ Des malentendus/ Et le temps perdu/ A savoir
comment/ Oublier ces heures/ Qui
tuaient parfois/ A coups de pourquoi/
Le coeur du bonheur…»). (CYB)
Brels Witwe, ob sie einverstanden
sei, dass sie Brel singe, und auf die
zustimmende Antwort hin arbeitete
sie zwei Monate lang in Brüssel mit
einem Schauspieler an ihrer französischen Aussprache. So gerüstet wagte
sie vor einigen Jahren ihre neue Karriere, sang die Chansons szenisch in
Athen und anderen europäischen
Städten. «Durch Brels Musik», bekennt sie, «wurde ich eine bessere
Künstlerin und entwickelte mich als
menschliches Wesen.»
Da ist der lebensnahe
Ton, der in einfacher,
für alle verständlicher
Sprache die Normalitäten des Lebens
ausspricht.
berühmten Dirigenten der alten- und
der klassisch-romantischen Musik.
Und nun singt sie am Freitag
abend (20 Uhr) in der Gare du Nord,
am Klavier begleitet von Kalliopi Germanou, Chansons von Jacques Brel.
Wie das? Lockt sie die volkstümliche
Muse? Nein, und doch ja. «Ich war
todkrank», sagt sie. Ihre Karriere
schien abrupt zu Ende zu sein. In diesem Zustand sensibilisierter Wahrnehmungen und ganz neuer Lebenserfahrungen begegneten ihr die Lieder Jacques Brels (1929, Schaarbeck/Belgien – 1978 Bobigny/ Frankreich), und diese Lieder elektrisierten
sie und machten ihr Mut, ihre Krankheit als Chance für einen Neuanfang
zu begreifen.
Sonia Theodoridou singt Brel zum ersten Mal in Basel.
«Brel», erzählt sie, «erschien mir
wie Cupido in meinem Herzen.» Seine Chansons wurden zu einem Bekehrungserlebnis. Vergessen war die
erfolgreiche Operndiva, denn jetzt
galt es, musikalisches Neuland zu
entdecken. «Ich näherte mich diesen
Liedern mit der Neugier und der Un-
HDU
verdorbenheit (pureness) eines Kindes, ohne Angst, mich zu verlieren.»
Und als sie gefragt wurde, ob sie anlässlich von Brels 30. Todestag einige
Chansons öffentlich singen wolle,
sagte sie spontan zu, und der Erfolg
des Rezitals ermunterte sie, «dranzubleiben.» Sie fragte in einem Brief
Die Angst vor der Einsamkeit
Gefragt, was sie an Brels Liedern
so fasziniere, kommen die Antworten spontan. Da ist zum einen der lebensnahe Ton, der in einfacher, für
alle verständlicher Sprache die Normalitäten des Lebens ausspricht: das
Mit- und Gegeneinander von Frauen
und Männern, das Erwachen und
Vergehen der Liebe, die Trauer, zum
Beispiel einen Freund weinen zu sehen, aber auch die geheime Sorge, eines Tages allein, weil verlassen zu
sein, und nicht zuletzt die gesellschaftskritischen Blicke auf den
«bourgeois.»
Diese Lieder sind weit weg von
opernhafter Theatralik. Sie singen
mit versöhnlicher Melancholie und
erträglicher Sentimentalität vom gewöhnlichen Leben. Und für Theodoridou singen sie, wie sie sagt, auf geheime Weise «meine Geschichte.»
Die Geschichte einer Heilung durch
Musik. Beethoven nannte das in seinem Streichquartett Nr. 15 a-moll
Op. 132 «Heiliger Dankgesang eines
Genesenen an die Gottheit.»
Chorwettbewerb Niemand hat das
erwartet – am wenigsten die Sänger
der Männerstimmen Basel selber. Am
vergangenen Wochenende nahmen
sie in Irland am «Cork International
Choral Festival» teil und sahnten an
einem der weltweit renommiertesten Chorwettbewerbe gleich drei
Preise ab. Im Rennen um den begehrten Preis «Fleischman Trophy» holten
sie hinter Chören aus Slowenien und
Schweden den dritten Platz.
«Wir hätten nie gedacht, dass wir
um die vorderen Plätze kämpfen»,
sagt Gregor Beermann, der Präsident
der Männerstimmen. «Wir waren
glücklich, dass wir überhaupt an den
Chorwettbewerb eingeladen wurden.» Immerhin hätten sich über 40
Chöre beworben. Nur neun – neben
Schweden und Slowenien auch aus
Tschechien, Lettland, Korea und Irland – durften schliesslich die irische
Bühne betreten. Die Männerstimmen
Basel waren von allen Teilnehmern
die Ersten auf der Bühne und hatten
zehn Minuten Zeit, um die Jury zu
überzeugen. Es wäre schön, wenn sie
nicht letzte würden, war die Einstellung, mit der sich die Sänger zwischen 20 und 31 Jahren an die Preisverleihung am Sonntag begaben.
Denn: «Die anderen Chöre waren alle
unglaublich gut», sagt Beermann.
Hymne an Basel macht ersten Preis
Doch auch zwei erste Preise
heimsten die Basler ein. Und zwar
sangen sie das beste Stück eines lebenden europäischen Komponisten.
Dies nämlich war eine Voraussetzung, um am Wettbewerb überhaupt
teilnehmen zu können. Der Basler
Musiker Rudolf Jaggi komponierte eigens für die Männerstimmen das
Stück «Basel 2010», eine zeitgemässe
Hymne an die Stadt am Rheinknie,
wie Beermann ausführt.
Zu guter Letzt erhielten die Basler
Sänger den Peace-Preis, der jenem
Chor verliehen wird, der den Festivalgeist am besten vertreten hat. Genauer: «Der Festivaldirektor hat erklärt, dass den Peace-Preis derjenige
Chor bekommt, der den Fokus nicht
nur auf den Wettbewerb legt, sondern sich auch für die anderen Chöre, die Stadt und die Leute interessiert», freut sich Beermann. (MUM)
Europäischer Jazz kann mehr als nur Schmusesound
Spiels des italienischen Pianisten
Glauco Venier kaum ins Gewicht.
Und Norma Winstone schliesslich beeindruckte neben ihrer mit unglaublicher Virtuosität gesungenen schnellen Linien vor allem durch die plastische Gestaltungskraft, mit der sie die
balladesk arrangierten Songs ausgestaltet.
Am gleichen Abend war noch der
schwedische Pianist Bobo Stenson
mit seinem Trio zu hören, der auf
eindrückliche Weise bewies, dass
der Skandinavische Jazz mehr zu
bieten hat als nur ein auf Hochglanz polierter Schmuse-Jazz à la
Viktoria Tolstoy oder Rebekka Bakken. Nicht allein dem ideenreichen
Pianospiel Bobo Stensons war es zu
verdanken, dass die Musik dieses
Trios eine Aura kerniger Energie
verbreitete.
Jazzfestival Unter dem Titel
«ECM Series II & III» präsentierte das deutsche Platenlabel
weitere Perlen in der Basler
Gare du Nord.
VON ROLF DE MARCHI
Wenn sich ein Musikensemble bei
seiner Benennung für den Namen einer der genialsten Cineasten des 20.
Jahrhunderts entscheidet, kann das
kein Zufall sein. Tatsächlich waren
beim Konzert des Tarkovsky Quartet
rund um den französischen Pianisten
Françoise Couturier im Rahmen des
Jazzfestivals Basel 2011 in der Gare
du Nord Parallelen zum russischen
Filmemacher Andrei Tarkovsky zu
hören. Wie dieser in seinen filmischen Meisterwerken tauchte das
Tarkovsky Quartet ein in rätselhafte
Klangwelten, deren magisch suggestiven Stimmungen sich exakter analytischer Zergliederung entzogen.
Mit vagen Andeutungen bewegte
sich dieses Quartett mit Anja Lecher
am Violoncello, Jean Louis Matiniers
am Akkordeon, Jean Marc Larché am
Sopransaxofon und Françoise Couturier am Piano weniger im amerikanischen Jazz als in europäischen Musiktraditionen. Zwischen impressionistischen Klangflächen, klassisch anmutenden Tonstrukturen, irisierend neutönerischen gestalteten Klangbildern
hinein bis in archaisch wirkende
Das Norma Winstone Trio überraschte ohne Schlagzeug.
Anklänge an osteuropäischer Volksmusik bewegte sich die ausdrucksstarken Musik dieses Quartetts.
Gesang, Bassklarinette und Klavier
Auch eher ungewöhnlich die Instrumentierung beim Norma Winstone Trio am dritten und letzten Abend
der «ECM Series» in der Gare du Nord.
Neben dem von Glauco Venier gespielten Piano sorgte vor allem der
Deutsche Klaus Gesing mit seiner
Bassklarinette und dem Sopransaxofon für eine spezielle Kolorierung des
exklusiven Sounds dieses Trios. Gesing verblüffte nicht nur durch seine
teils lyrisch, teils rotzig zupackend
gestalteten Solos, auch mit seinen
HEINZ DÜRRENBERGER
präzise ausgeführten Linien auf seiner Bassklarinette und dem Sopransaxofon, mit denen er die schnell
gesungenen Scats und Vokalisen der
Sängerin unterstützte, vermochte
der Ausnahmemusiker zu überzeugen.
Das Fehlen eines Schlagzeugs wiederum fiel dank des akzentuierten
Packende Triomusik
Auch die Rhythmusgruppe mit
Anders Jormin am Bass und im Besonderen der mit fiebriger Kreativität spielende Drummer Jon Fält trugen ihr Scherflein zur packenden
Musik des Trios bei.
Last but not least seien noch die
diversen Bands mit Studenten der
Jazzschule Basel wie beispielsweise
das erstaunlich professionell wirkende Simon Spiess Trio erwähnt, die an
diesen beiden Abenden in der Gare
du Nord ihr Können ebenfalls unter
Beweis stellen konnten.

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