Brunfterlebnisse im Land der Hirsche

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Brunfterlebnisse im Land der Hirsche
Brunfterlebnisse im Land der Hirsche
Das im Grenzdreieck von Idaho, Montana und Wyoming gelegene Land wurde im
Jahre 1872 als erster Nationalpark weltweit unter Schutz gestellt. Seither lockt der
Name Yellowstone alljährlich bis zu drei Millionen Menschen mit seiner grandiosen
Landschaft und der üppigen Tierwelt. Der Park in den Rocky Mountains ist für
Naturbegeisterte speziell im Herbst ein wahres Mekka.
Markus P. Stähli
Eigentlich sträubte ich mich in der Vergangenheit immer dagegen, dem Yellowstone
Nationalpark einen Besuch abzustatten. Irgendwie fehlten mir Ansporn und Reiz. Zu viele
Dokumentationen und Bilder hatte ich von diesem Schutzgebiet schon gesehen. Zu
abgedroschen erschien mir das Thema. Doch ich konnte schlussendlich der Versuchung
trotzdem nicht widerstehen. Nach einem erlebnisreichen Fototrip in den kanadischen Rocky
Mountains packte ich die Gelegenheit beim Schopfe und flog kurzerhand nach Bozeman im
Bundesstaat Montana. Von dort fuhr ich weiter Richtung Süden nach Gardiner, einem
idealen Ausgangspunkt für Pirschfahrten im Yellowstone.
Es wäre vermessen zu glauben, innert weniger Tage könnte man den ganzen Yellowstone
Nationalpark kennen lernen. Mit seiner Fläche von 8'953 km2, den sehenswerten
Landschaften, den geologischen und geothermalen Aktivitäten und der faszinierenden Flora
und Fauna bleibt dies ein Ding der Unmöglichkeit. Die Besucher sind gezwungen, Prioritäten
zu setzen und sich auf einige Gebiete und Tierarten zu beschränken. Dies ist auch der
Grund, warum man immer wieder in den Yellowstone zurück kehren kann, um Neues zu
entdecken.
Üppige Tierwelt
Mit Ausnahme von Alaska gibt es wohl kaum eine bessere Region in Nordamerika,
Grosssäuger zu beobachten und zu fotografieren als im Yellowstone Nationalpark. Hier
findet man Grizzly- und Schwarzbären, Dickhornschafe, Bisons, Elche, den Wapitihirsch, die
Gabelantilope und viele weitere Säugetiere - insgesamt sind es 60 Arten.
© All rights reserved Markus P. Stähli, Rehweg 6, CH-9472 Grabs, Switzerland
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Seit 1995 - nach einer erfolgreichen Wiedereinbürgerung - sind im Park auch wieder Wölfe
anzutreffen. Bis heute haben mindestens 150 Wölfe in ihrer ursprünglichen Heimat wieder
Fuss gefasst. Auch der Vogelkundler kommt auf seine Rechnung - über 290 Vogelarten sind
im Schutzgebiet heimisch. Nicht ganz so gross, aber ebenfalls sehr artenreich ist der
Fischbestand. Mit 18 Arten vermag der Park auch das Herz des Petrijüngers zu erfreuen.
Ende September, wenn die Tage kürzer und die Nächte kälter werden, findet im Park und
der näheren Umgebung ein faszinierendes und erhebendes Schauspiel statt. Wapitihirsche
(cervus canadensis nelsoni), Elche (Alces alces) und Gabelantilopen (Antilocapra
americana) befinden sich in der Brunft. Meine Konzentration während des mehrtägigen
Aufenthaltes galt vor allem der Elk rut, also der Brunft des Wapitihirsches (Anm.: In
Nordamerika bezeichnet man den Hirsch als Elk und den Elch als Moose). Ich war mit der
Absicht hierher gereist, die Brunft an mehreren Schauplätzen zu verschiedenen Tageszeiten
zu beobachten und mit der Kamera festzuhalten.
Stolz und edel
Ich hatte noch das kräftige tiefe Röhren unseres heimischen Rothirsches in meinen Ohren.
Kurz vor meiner Abreise nach Übersee, Mitte September - habe ich noch den Beginn der
hiesigen Hirschbrunft in mich aufgenommen. Jetzt war ich also Tausende Kilometer entfernt
und sollte das Schauspiel der nordamerikanischen Gattung miterleben.
Die Sonne zeigte sich nicht am Horizont, als ich bereits aufbrach, die nördlichen Gebiete des
Yellowstone zu erkunden. Ein freundliches Lächeln und ein Glückwunsch der Rangerin am
Parkeingang (North Entrance) motivierten meine Spürnase. In der Gegend von Norris
entdeckte ich einen vielversprechenden Brunftplatz. Die ersten Sonnenstrahlen fielen ein
und tauchten das nach frostiger Nacht mit Rauhreif bedeckte Gras in wundervolles Licht. Im
fast hüfthohen, weiss glitzernden Gras ästen friedlich zahlreiche Wapitis. Aus dem den
Brunftplatz durchfliessenden Flüsschen stieg wallender Nebel auf. Die Sonne hauchte dem
Nebel Farbe ein. Mein Atem stockte. Aus dem Dunst tauchte, einem Geist gleich, plötzlich
ein riesiges Geweih auf - der König betrat die Arena. Sein Gebaren, sein Stolz und das
eigenartig tönende Röhren machten mir sofort klar, wer hier das Sagen hatte. Mit
Feldstecher, Kamera und langem Teleobjektiv bewaffnet, näherte ich mich vorsichtig dem
Schauplatz.
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„Vorsicht ist die halbe Lebensversicherung“, denn obwohl die Fluchtdistanz der Wapitis um
einiges geringer ist, als diejenige unseres Rothirsches - unterschätzen darf man die Tiere
nicht. Speziell während der Brunft sind die Stiere sehr agressiv und schon mancher zu
neugierige Beobachter musste dies schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Diesen
Grundsätzen folgend platzierte ich unweit der Strasse mein Stativ samt Kamera und langem
Teleobjektiv. Aus sicherer Entfernung folgte mein Blick fasziniert dem Brunfttreiben. Ich
bestaunte den stolzen Platzhirsch, seine Energie und Wildheit und seinen Kampfgeist
gegenüber unvorsichtigen und respektlosen Nebenbuhlern. Bild um Bild lief durch meine
Kamera, obwohl ich die vor Kälte klammen Finger kaum mehr spürte. Sie hatte mich gepackt
die Wapitibrunft - gleich auf der ersten Frühpirsch. Wie genoss ich es, diesem Schauspiel so
„hautnah“ beizuwohnen, ohne einen Tarnschirm verwenden zu müssen.
Wieder ertönte der markante Brunftschrei des Platzhirsches. Eigentlich würde man dem
Wapiti auf den ersten Blick eine viel „mächtigere“ Stimme zugestehen. Umso überraschter ist
man, wenn man das Röhren der nordamerikanischen Hirsche zum ersten Mal hört. Die
Tonlage ist um einiges höher als der Bass unseres heimischen Rothirsches. Ich kannte dies
ja bereits schon von meinen zahlreichen Pirschgängen in den kanadischen Bergen.
Ein sicherer Tipp
Es gibt sie auch, die sogenannten „Geheimtipps“ im Yellowstone Nationalpark. Gerne verrate
ich sie an dieser Stelle - denn unter Insidern sind sie eigentlich bestens bekannt. Die Wapitis
- insgesamt leben im Yellowstone 40'000 bis 50'000 dieser Tiere - haben selbstverständlich
auch hier ihre Lieblingsplätze bzw. ihre Sommer- und Wintereinstände. Folgende Orte sind
auf jeden Fall einen Besuch wert:
Zirka 20 Kilometer vom westlichen Parkeingang entfernt, bei der Madison Kreuzung
(Madison Junction) sind praktisch immer Wapitis anzutreffen. Sehr reizvoll ist dieser Ort bei
Sonnenaufgang - die aufgehende Sonne spiegelt sich im Madison Fluss. Was für eine
Szenerie, wenn genau in diesem Moment ein Hirsch den Fluss durchquert. Die Stiere sind
sich nicht zu schade, den Fluss hin und her zu schwimmen, bloss um ihr Harem beisammen
zu halten.
Wie bereits erwähnt, ist Norris ebenfalls ein ausgezeichneter Ort, die Wapitibrunft zu
beobachten. Das schlohweisse frostige Gras Ende September bzw. Anfang Oktober bildet
eine wundervolle Kulisse.
Sicher immer von Erfolg gekrönt ist ein Pirschgang zu den Mammoth Hot Springs, unweit
des nördlichen Parkeingangs. Das hydrothermal stark geprägte Gebiet bildet eine beinahe
unwirkliche, bizarre Brunftkulisse. Die Hirsche halten sich gerne um und auf den
prachtvollen, über Jahre gebildeten Sinterterrassen auf. Die urtümliche und atemberaubende
Landschaft mit ihren heissen Quellen lockt aber auch tagtäglich zahlreiche Touristen an. Viel
ruhiger und nicht weniger interessant kann es auch am Gardner River, kurz vor Gardiner, zu
und her gehen. Ich hatte da bei einer Abendpirsch mein spezielles, unvergessliches Erlebnis.
Unerwartetes Glück am Gardner River
Eigentlich dachte ich nicht mehr daran, etwas Interessantes zu entdecken. Mit meinen
Gedanken war ich bereits in Gardiner in der Lodge. Ich sehnte mich nach einem
anstrengenden Tag nach einer warmen Dusche. Jäh wurde ich aus meinen Gedanken
gerissen. Meine Müdigkeit war im Nu verflogen.
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Unweit der Parkstrasse entdeckte ich, am Ufer des Gardner Rivers, einen starken
Wapitibullen. Selbstbewusst trieb er sein Harem dem Fluss zu. Die ersten weiblichen Tiere
machten sich bereits daran, den Fluss zu durchqueren. Erst jetzt merkte ich - dies geschah
alles im schönsten, letzten warmen Abendlicht. Schnell war das Fahrzeug verlassen, das
Stativ aufgebaut und schon schnurrte meine Kamera. Ein prächtiger Kerl dieser Platzhirsch.
Aber er war nicht Einzelkämpfer auf dem Platz. Etwa fünfzig Meter weiter rechts krachte es
ohrenbetäubend im Unterholz. Ein etwa gleichstarker Wapiti brach durch das Gebüsch. Und
schon ertönte sein - an eine mächtige Holzflöte erinnernder Schrei - über das Tal.
Ich war hautnah dabei - doch die Tiere würdigten mich keines Blickes. Der Platzhirsch
versuchte sein Rudel so schnell wie möglich auf die andere Seite des Flusses zu treiben.
Der Nebenbuhler kam immer näher. Es ging nicht lange gut - die beiden Kontrahenten
gingen bald einmal aufeinder los. Der intensive Kampf spielte sich im Unterholz ab. Im
mannshohen Gebüsch krachte es und ich konnte nur ab und zu die Häupter mit den
gewaltigen Stirnwaffen entdecken.
Die Sonne machte Anstalten unterzugehen. Der Platzhirsch hatte wieder einmal gesiegt. Der
Unterlegene hatte sich aus dem Staub gemacht. Hocherhobenen Hauptes grüsste der König
die sinkende Sonne - der Brunftschrei schallte durch das Tal. Meine Güte. Wie hatte ich die
Zeit vergessen. Schweissnass fing ich an zu frösteln. Als ich mich umschaute, bemerkte ich,
dass neben mir zirka 20 weitere Zuschauer aus verschiedensten Winkeln der Erde - die
meisten mit Kamera und Feldstecher bewaffnet - diesem Schauspiel beigewohnt hatten. Auf
allen Gesichtern spiegelte sich eitel Freude. Wir beglückwünschten uns zu tollen Fotos und
vor allem freuten wir uns ungemein, dass wir an diesem speziellen Abend im Gardner Valley
dabei sein durften.
Nebenschauplätze
Beim Beobachten der faszinierenden Wapitibrunft dürfen natürlich die anderen Tierarten
nicht vergessen werden. Auf den herbstlichen Pirschfahrten sind weitere Horn- und
Geweihträger anzutreffen.
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Beste Voraussetzungen, die Elchbrunft im Park mitzuverfolgen sind die frühen
Morgenstunden. Meist entdeckt man die „unscheinbaren“ Riesenhirsche eher zufällig. Sie
sind nie so auffällig wie die Wapitis. Die den meisten aus Wildwest- und Indianerfilmen
bekannten Bisons sind ganztags aktiv. Bullenkämpfe sind selbst über die Mittagszeit zu
beobachten. Ein sicherer Tipp ist das Hayden Valley - dort grasen wieder riesige
Bisonherden. Mit etwas Glück kann man sogar ein sogenanntes River Crossing, d.h. das
Durchqueren des Yellowstone River beobachten. Gute Chancen, der Brunft des Gabelbocks
beizuwohnen, hat man in der Region von Gardiner - in der Nähe des Nordeinganges. Da die
Pronghorns (engl. Bezeichnung) ständig in Bewegung sind, ist auch der Pirschende
gefordert. Immer wieder muss man den Tieren parallel folgen, um sie nicht aus den Augen
zu verlieren. Manchmal kann man dies bequem vom Auto aus machen, meist muss man
jedoch zu Fuss den Tieren folgen.
Die Natur regiert
Momente wie der Abend, den ich am Gardner River erleben durfte, zeigen, dass im
Yellowstone nach wie vor die Natur das Zepter in der Hand hält. Sie ist weitgehend intakt.
Die Tier- und Pflanzenwelt geniesst absoluten Schutz. Das „Gebiet des Gelben Steins“
wurde eigentlich nicht wegen der artenreichen Flora und Fauna unter Schutz gestellt,
sondern wegen der bizarren, unglaublichen Landschaft. Zahllose Geysire, kochende
Schlammtümpel, heissen Quellen und tosende Wasserfälle gestalten die Landschaft auf
eindrucksvolle Weise seit Tausenden von Jahren. Der Mensch betritt den Park als Gast - er
darf nichts anderes hinterlassen als seine Fussspuren.
Der Naturschutz gibt auch heute noch - mehr als 130 Jahre nach der Parkgründung - zu
Diskussionen Anlass. Die beinahe jährlich ausbrechenden Waldbrände mit ihren immensen
Ausmassen provozieren immer wieder hitzige Debatten, ob, wie und wann der Mensch
eingreifen soll und darf. Waldbrände sind Bestandteil einer natürlichen Sukzession. Einzelne
Baum- und Pflanzenarten sind für die natürliche Vermehrung auf Feuer angewiesen.
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Es gibt aber auch andere Themen, die immer wieder aufgegriffen werden. So macht sich die
amerikanische Politik immer wieder Gedanken, Naturschutzgebiete wie den Yellowstone für
den Abbau von Rohstoffen (vor allem Erdöl) wieder nutzbar zu machen. Und dies nur, um
den unersättlichen Energiehunger der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft wieder für
einige Jahre zu stillen. Es bleibt zu hoffen, dass die Vernunft einmal mehr über den Raubbau
siegt. Denn es darf nicht vergessen, es geht nicht nur um den Yellowstone. Der Park ist nur
das Herz eines viel gewaltigeren, für den Menschen nutzbaren Gebietes.
Tipps
Anreise/Flug
• ab Zürich bis Salt Lake City
• Weiterflug von Salt Lake City bis Bozeman (Inland-Flug) für den Zugang zum nördlichen Teil des
Parkes, Fahrzeugmiete in Bozeman möglich (Empfehlung: Vorreservation aus der Schweiz)
• Fahrzeug-Miete ab Salt Lake City, Weiterfahrt bis zum Südeingang des Yellowstone
Unterkunft / Übernachtung
• Rund um den Park gibt es zahlreiche Hotels und Lodges in allen Preislagen. In der Hochsaison
(Sommer) sind diese jedoch frühzeitig zu reservieren.
• Ansonsten sind im Park verschiedene Campingplätze, einige davon nur für Wohnmobile
(Bärenschutz) anzutreffen.
Reisezeit / Klima
Die beste Reisezeit (vom Klima her) ist sicherlich von Mai bis Mitte September. Speziell aber Ende
September und Anfang Oktober ist ein Trip in den Yellowstone ungemein lohnend. Es ist die Zeit der
Hochbrunft. Das Wetter kann jedoch zu dieser Zeit bereits unwirtlich sein (Eiseskälte, Schneestürme
und Schneefall).
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