Küss mich, Libussa

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Küss mich, Libussa
Küss mich, Libussa
Sophie Strohmeier
Küss mich,
Libussa
Roman
Sophie Strohmeier: Küss mich, Libussa
Alle Rechte vorbehalten
© 2013 edition a, Wien
www.edition-a.at
Lektorat: Anatol Vitouch
Cover und Gestaltung: Hidsch
Druck: Theiss (www.theiss.at)
Gesetzt in der Premiera
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ISBN 978-3-99001-059-4
edition a
Erster Teil
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Auf dem dunklen Holztisch vor mir dampfte bereits der dritte
Kaf­fee in Folge. Alle Geräusche in dem Prager Studen­ten­kaf­fee­
haus ka­men mir viel zu laut vor. Als hätten die Aus­flugs­schiffe
die Mol­dau verlassen, um mit ihren riesigen Dieselmo­toren in
meinen Ohren zu rat­tern.
»Wir wollten doch zu dir gehen«, sagte ein Mädchen am Ne­
ben­tisch zu einem jungen Mann.
Sie flüsterte, aber für mich klang es wie liebevolles Gebrüll.
»Ich habe dich doch angerufen, aber dein Telefon war ausge­
schal­tet«, hörte ich den jungen Mann antworten.
»Ein Bier, bitte«, sagte jemand, und es hörte sich für mich
wie »Ich liebe dich« an.
Ich konnte nicht aufhören, einmal das linke über das rechte,
dann wieder das rechte über das linke Bein zu schlagen. Mei­ne
Kniekehlen brannten, als wäre ich in Hotpants durch ein Brenn­­­
nesselfeld gelaufen. Immer wieder wurde mir schwarz vor Au­
gen. Die Menschen um mich kamen mir wie unruhige Schat­t en
vor, laut und verschwommen. Ich hatte Durst, mein Mund war
tro­cken, meine Kehle brannte, aber ich trank dennoch nur Kaf­
fee, um mich mit seinem Koffein zu beleben, weil ich Angst vor
einer Ohnmacht hatte.
An der Wand über mir hing ein Bild, das eine brünette Frau
in grüner Bluse zeigte. Zwischen ihren grellroten Lippen leuchteten die weißen Zähne wie poliertes Porzellan. Ihre schlanken
Finger hatten schon gut ein Drittel der Blusenknöpfe geöffnet.
Mir wurde heiß. Ein Schweißausbruch klebte mir das Hemd
an die Haut. Ich zog mir den Rollkragenpullover aus und fuhr
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mir mit den kalten Handflächen über die Schlüsselbeine. In
der Öffentlichkeit traute ich mich nicht, mit den Fingern bis zu
den Brüsten zu wandern. Meine Brustwarzen waren hart und
drückten gegen den Stoff meines Hemds, der mir jetzt viel rauer vorkam als zuvor. Der Kellner musste meinen Zustand erkannt haben und brachte mir unaufgefordert ein Glas Wasser.
Seine Hände sahen ungemein weich aus, wie die eines Prinzen.
Seine Arme waren muskulös und hoben sich mit ihren kantig geschnittenen Muskeln schön vom dunklen Hintergrund
ab. Sein Nacken leuchtete hell unter dem schwarzen Haar, das
denselben Glanz hatte wie das gepflegte Haar von Miloš. Auf
Miloš wartete ich hier seit Stunden, weil ich vor Ungeduld viel
zu früh zum vereinbarten Treffpunkt gekommen war. Ich war
einfach zu verliebt.
Miloš war Assistent am Prager Institut für Tschechische Li­
teratur, an dem ich mein Auslandsstudienjahr verbrachte. Wäh­
rend der vormittäglichen Vorlesung über die Romantik hatte er
der Professorin kopierte Skripten vorbeigebracht. Ich hätte am
liebsten sofort mit ihm gesprochen. Er hatte mir zugelächelt.
Nach der Vorlesung hatte er gerade nur so viel Zeit, um mit mir
unser Treffen zu vereinbaren, dann musste er zu seiner eigenen
Lehrveranstaltung.
Ich war mit meiner Sehnsucht für drei Stunden allein­ge­
las­sen. Also wollte ich zuerst an der Moldau spazieren ge­hen
und die schneeweißen Möwen beobachten, die schreiend von
Eis­scholle zu Eisscholle flogen, aber mir war zu kalt. Ich fühlte
mich zu einsam und musste mich unter Menschen auf­wär­men.
In einem überfüllten Café würde auch niemandem die Unruhe
auffallen, in der mein Herz das Geheimnis meiner Liebe in die
Welt hinausschrie, dachte ich. Das kleine Stu­den­ten­café hatte ich schon in den ersten Tagen meines Auf­ent­halts in Prag
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ken­­nen­gelernt. Es befand sich gleich um die Ecke von meiner
Fakultät, es war meist überfüllt, das Bier war leicht und schmeck­
te kräftig, und die Kellner sparten nicht mit Lei­tungs­was­ser. Mir
war sofort klar gewesen, dass dieses Kaf­fee­haus mein Basisla­ger
werden würde.
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Milošs Augen waren schwarz wie ein Waldsee, in dessen Mitte
eine Nym­­phe auf einer Insel unter einem blühenden Obstbaum
ihr langes, feurig rotes Haar kämmt. Seine Brauen waren dunkel und dicht. Sein Ge­sichtsausdruck war hart und zärtlich zugleich. Wenn er lachte, bil­­deten sich unter seinem Bart kaum
erkennbare Grübchen auf den Wan­gen. Sein Nacken war stark
und breit, seine Schultern wie die Krone einer alten, rauschenden Linde, deren Grün aus der Ferne über weite, wogende Fel­
der flackert. Immer trug er alte, dunkle Anzüge, denen erst sein
Auftreten und seine Figur eine besondere Eleganz verliehen.
Die Tür des Cafés öffnete sich. Miloš trat mit Zigarette im
Mund­­winkel ein. Er lachte, als er mich sah, und bestellte zwei
Bier. Dann ergriff er meine verschwitzte Hand und gab mir einen Kuss auf die heiße Wange. »Ahoj, liebe Marie«, grüßte er,
»du trinkst Kaffee, obwohl es schon Nachmittag ist? Der Kaf­fee
ist zwar dunkel wie der Abend. Aber man muss sich die Aben­
de mit dem Gold des hellen Biers zu sonnenerleuchteten Tagen
machen.«
Sein Lachen beruhigte mich und steckte mich gleichzeitig
an. Ich erstrahlte, sobald ich ihn sah, und konnte nicht anders,
als seinen Gedanken über Tag und Nacht weiterzuspinnen.
»Die Nacht lässt mich träumen. Am liebsten träume ich ewig
und bei vollem Bewusstsein«, sagte ich. »Deshalb der Kaffee.«
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»Mit Bier träumt man schöner. Und entspannter.«
Wir stießen an. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie heftig mein
Durst geworden war. Ich setzte den Krug an, ein Schluck folgte dem anderen, und mein Bier war in einem langen Zug zur
Hälf­t e geleert.
»Hast du dich schon von unserem Eishockeyspiel erholt?«,
fragte Miloš.
Ich nickte, obwohl sich bei seiner Frage in meinem rechten
Knie ein Stechen ausbreitete. Ondra, Feri und Milošs übri­ge
Freunde, deren Namen ich mir nicht gemerkt hatte, waren raue
Gesellen und hatten gar nicht daran gedacht, zurückzustecken,
nur weil ein Mädchen mit ihnen spielte. Aber ich hatte jetzt
ein wichtigeres Anliegen und wollte nicht darauf zu spre­chen
kom­men, dass ich mir zum Studieren ausgerechnet ein Land
aus­gesucht hatte, in dem selbst die intellektuellen Män­ner jeden Winter auf zugefrorenen Teichen ohne Schutz Eis­hockey
spie­len, und dann noch unschuldige österreichische Stu­den­
tin­nen wie mich zum Mitmachen zwingen.
»Wie war die Vorlesung bei der Königin?«, fragte Miloš weiter und grinste. »War es so interessant, dass es dir die Sprache
verschlägt?«
Ich hatte tatsächlich etwas wie einen verknoteten Frosch im
Hals und beobachtete lieber wortlos Milošs Hände, die langsam
die Zigarette im schmutzigen Aschenbecher ausdämpften. Erst
nach einer Weile stotterte es aus mir heraus. »Ich … konnte
mich nicht … gut konzentrieren«, sagte ich.
»Wie sollen sich junge Frauen auch konzentrieren, wenn sie
Ewig­keiten lang stillsitzen müssen, anstatt draußen ihren Ins­
tinkten und Trieben nachzugehen?«
»Ich wollte ja nachher einen Spaziergang machen«, sagte
ich, »aber du hattest keine Zeit, und überhaupt war es nicht
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mög­lich. Die Instinkte und Triebe waren zu stark.«
Er nickte. »Wassermann?«, fragte er dann.
»Ja, sie hat mit uns die Ballade über den Wassermann durchgenommen.«
»Was hast du dir gemerkt?«, fragte er wie ein echter Pro­fes­
sor, obwohl er nur Assistent war.
»Karel Jaromír Erben hat das geschrieben.«
»Das ist schon ein guter Anfang«, sagte er und zündete sich
eine weitere Zigarette an.
Ich war froh, dass ich statt über meine Gefühle über Lite­ra­
tur sprechen konnte, und mein Stottern ließ nach. »Der Was­
ser­mann ist so etwas wie eine dunkle Macht und ein böser Ehe­­
mann gleichzeitig«, sagte ich. »Die junge Frau wird von ihm
gefangen, bekommt ein Kind von ihm. Aber sie hat Sehn­sucht
nach ihrer alten Mutter. Der Wassermann erlaubt ihr, sie zu besuchen, nur lässt die Mutter sie nicht wieder gehen. Der Was­
sermann tötet das Kind.«
»Was bedeutet das?«
»Das Kind … ist tot?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Mutter hat ihre Tochter ins Un­
glück gestürzt, weil sie sie nur für sich haben wollte«, erklärte
er. »Hätte sie die Tochter wieder zurück in den See zu ihrem
Ehe­mann gehen lassen, wäre dem Kind nichts zugestoßen. So
ist jetzt auch die Bindung zwischen Mutter und Tochter zerstört.«
»Ich kann mich zumindest noch erinnern, dass am Ende das
Kind in zwei Hälften geschnitten ist.«
»Wenigstens etwas. Das ist auch ein Bild für die Zerrissenheit
der Tochter, zwischen der Liebe zu ihrem Kind und der zu ihrer Mut­t er. Natürlich sieht man daran auch, wie gefährlich der
Mutter die Tren­nung von ihrer Tochter erscheint. Die Tochter
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ist weg bei irgendeinem Ehemann, noch dazu bei einem Was­
ser­mann unten am Grund des Sees, und niemand kann ahnen,
wie es ihr dort geht.«
»Ich habe schon gesagt, dass ich mich nicht gut konzentrieren konn­te.«
»Schade«, sagte er, »über diese Ballade spricht die Königin
am liebsten.«
Die Professorin hieß in Wirklichkeit Libuše Herzová. Auf­
grund des Respekts, den sie allen einflößte, und aufgrund ihrer
Vor­namens­gleichheit mit einer mythischen, matriarchali­schen
Herr­scherin nannten sie am Institut einige Leute »Fürstin«, andere »Königin«. Ich hatte sie wegen ihrer weißen Haut und ihrer kühlen Schönheit auf »Schnee­königin« umgetauft.
Miloš wollte offenbar mehr über Jaromír Erbens Balladen
er­zählen, aber ich konnte mich nicht mehr halten. Ich musste
end­lich aussprechen, was in mir seit Semesteranfang wütete
und was mir alles andere nebensächlich erscheinen ließ. Zu
die­sem Zweck hatte ich ja das Treffen mit Miloš vereinbart.
»Ich bin verliebt«, sagte ich.
Miloš schluckte. »Sehr gut«, antwortete er unbestimmt.
»Ich konnte es nicht erwarten, es dir zu sagen. Wem könnte ich es auch sonst sagen, wenn nicht dir? Ich bin schon ganz
wahn­sinnig vor Sehnsucht. Mein Körper macht, was er will, ich
kann mich selbst nicht mehr beherrschen, so stark ist es. Meine
Liebe ist so stark! Das kannte ich noch nicht, bisher.«
Miloš war erstarrt und sah ein bisschen aus wie der David
von Mi­chelangelo. Er kratzte sich elegant aber kompliziert an
der Schul­ter. Es stand ihm gut. So verdutzt hatte ich ihn noch
nie erlebt.
»Ich liebe die Schneekönigin«, sagte ich.
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Nachdem Miloš mein Liebesgeständnis vernommen hatte, sagte er zunächst nichts und starrte mich an. Dann lachte er laut
auf, nahm einen großen Schluck Bier und schüttete dabei sein
Sakko an. »Ich dachte schon, deine Liebe gilt mir. Ich brauche
einen Schnaps«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel den
Mund ab.
»Was soll ich tun?«, fragte ich, weil ich mir von ihm ernsthaften Rat erhoffte.
»Langsam, langsam«, bremste mich Miloš, »zuerst musst du
mir etwas erklären. Du bist also lesbisch?«
»Ich denke schon. Ein wenig. Offensichtlich.«
»Ein wenig oder wirklich?«
»Ein wenig wirklich. Scheint so. Würde ich sagen.«
Miloš brummte etwas vor sich hin, hielt die Augen gesenkt
und spiel­te mit den Gläsern auf dem Tisch. Er sah enttäuscht
aus. Immer noch mit gesenktem Blick fragte er nach: »Du
meinst, du bist so wirklich, wirklich stark in die Königin verliebt?«
»Unbeschreiblich wirklich!«, rief ich. »Schon seit Semes­ter­
beginn.«
Endlich hob er seinen Blick, das Weiß seiner Augen glänzte, das Schwarz war durchdringend dunkel. »Naja«, seufzte er,
»dann weiß ich zumindest, was Sache ist.«
Ich war sprachlos. Wollte denn er das Objekt meiner Begierde
sein? Ich wusste nicht, ob ich ihn jetzt trösten sollte. Es war mir
peinlich, des­wegen schwieg ich lieber und wartete ab.
Nachdem Miloš, der Assistent meiner Angebeteten, sich für
kurze Zeit entschuldigt hatte und bald mit zwei weiteren Bier
und zwei Zwetsch­gen­schnäpsen zurückgekommen war, fasste
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er sich. »Trinken wir! Du, Marie, erkläre mir genau, wie es zu
deiner Liebe gekommen ist.«
Wir blieben bis nach Mitternacht im Kaffeehaus sitzen, und
ich berichtete ihm im Detail, wie ich die Schneekönigin zum
ersten Mal bei meiner ersten Vorlesung im großen Hörsaal zu
Gesicht bekommen hatte, wie ich mich vor ihr zuerst gefürchtet
hatte, als sie in ihrem grauen Kostüm hinter ihrem Pult stehengeblieben war, den Bücherstapel auf die Platte gelegt und alle
Studenten mit ihren eisblauen Augen gemustert hatte.
Es war damals vollkommen still im Hörsaal gewesen. Ich
bildete mir höchstens ein, das ängstliche Schlucken mancher
meiner Kollegen zu vernehmen. Von der Schneekönigin ging
etwas wie eine tödliche Strahlung aus, die allen Anwesenden
Freu­de und Wärme zu entziehen drohte. Mich fröstelte, und ich
musste meine Hände aneinander reiben, um sie aufzuwärmen.
Zum Glück saß ich ganz oben im Hörsaal, in der letzten Rei­he,
wo noch etwas warme Luft war. Denn unten, um das Lesepult,
war das Raumklima von einem arktischen Seewind geprägt.
Eine glasklare, eisige Aura umgab die Pro­­fessorin, als wäre sie
das Zentrum eines Bergkristalls. So zumin­dest kam es mir vor.
Als die Schneekönigin die Skripten zur Hand nahm, um sie
einer Studentin in der ersten Reihe zum Verteilen zu reichen,
fiel mir auf, wie elegant sie in jeder ihrer Bewegungen war. Ihre
Schritte waren leicht, sie hielt den Kopf aufrecht, als entstamm­
te sie dem höchsten Adels­geschlecht, die Schultern trug sie wie
eine Tänzerin oder Eis­kunst­läuferin. Ihre Handgelenke bewegte sie geschmeidig und locker, und ich musste unwillkürlich an
den Flügelschlag von Raben denken. Das schwarze Gefieder der
Raben glänzt bläulich, dachte ich, bläulich wie ein glatter, gefrorener See. Wie schimmerndes Eis, so hell, so geheimnisvoll
schienen mir ihre zarten, weißen Handgelenke zu sein.
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Unerwartet stieg in mir eine quälende Eifersucht gegen die
Stu­den­tin in der ersten Reihe auf, die den Papierstoß entgegengenommen hatte. Während der Vorlesung war ich wie versteinert und hörte einzig der Sprachmelodie der Professorin zu.
Ich war wie ein Grabstein, auf den sich eine Nachtigall gesetzt
hat und der gerne in ihren Gesang ein­stimmen würde, der aber
keine Lunge hat, um dafür Luft zu holen.
In der nächsten Woche kam ich fast eine Stunde vor Vor­le­­­
sungs­be­ginn, um mir einen Platz ganz vorne, dem Lesepult genau gegenüber zu sichern. Es passierte etwas Wunderbares. Im
Vortrag über poetische Ver­gleiche brach die Stimme der Pro­fes­­
sorin mitten im Wort ab. Ihr Blick hatte den meinen gefun­den.
Einen ewigen Moment lang hatten wir Augenkontakt. Völ­­lige
Stille. Die ganze Welt hielt inne, es herrschte absoluter Still­
stand. Ihre blauen Augen leuchteten mich an, wie zum Ste­hen
ge­­kommene Gletscher. Da löste sich etwas in ihr, als wür­den die
tieferen Schich­ten schmelzen und als würden sich die Eis­mas­
sen mit einem gewaltigen Dröhnen ein kleines Stück tal­wärts
bewegen. Die Schneekönigin lächelte.
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Nach Sperrstunde spazierten Miloš und ich noch eine Weile
flussauf­wärts an der Moldau entlang. Es schneite. Die gro­­ßen
Flo­cken glänz­­­ten golden in der gelben Prager Stra­ßen­be­­leuch­
tung. Wir setzten unsere Füße in die tiefe Neu­schnee­decke und
fühlten uns wie die ersten Menschen. Für mich galt das besonders, weil ich nach Wochen end­lich von meinem Ge­heimnis
be­freit war, das schwer auf mir gelastet hatte. Eine Nacht­­stra­
ßen­bahn fuhr lautlos an uns vorbei, als wären die Schie­­nen
aus Watte.
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Bei der Galerie Mánes, deren Wasserkraftwerk leise rauschte, verließen wir die Straße und gingen hinunter zum Fluß auf
die Náplavka, die ehemalige Holzschwemme. Unter der Jirás­
kův-most-Brücke blieben wir stehen und hörten längere Zeit
den Eis­schol­len zu, die an den Brückenpfeilern brachen. Zwei
Schwäne glitten silbern über den schwarzen Strom der Moldau.
Wir schauten hinaus auf den Fluss und schwiegen.
Etwas später bestellte Miloš mir ein Taxi. Er selbst wohnte
im schönen Viertel Vinohrady, das sich auf einem Bergkamm
befindet, an dessen Hängen früher die königlichen Weinberge
lagen. Mein Stu­­den­tenwohnheim hingegen lag in Jižní město,
der Süd­stadt, wo sich weithin sichtbare Plattenbauten mit gut
versteckten Vil­len­an­sammlun­gen abwechselten. Ich hatte mich
zu spät um eine Unterkunft gekümmert und nur noch einen
Platz im riesigen Plattenbau der Stu­denten der Hochschule für
Chemie und Technologie ergattert. Ich wohnte nun also wirklich nicht gerade am hübschesten Ende von Prag. Miloš drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, bevor er die Tür des
Taxis hinter mir schloss. »Bis dann, Marie.«
Das Taxi schlich über die vom frischen Schnee bedeckte
Autobahn, die auf einer langen, ewig hohen Brücke über das
Stadt­viertel Nusle führte. Zu meiner Rechten erahnte ich die
zweite, ältere Burg von Prag, den Vyšehrad, der in der Barock­
zeit zu einer gewaltigen Festungsanlage umgebaut worden war.
Vyšehrad war der Sitz der mythischen Fürstin Libuše gewe­sen,
zu Deutsch: Libussa. Sie war eine große Seherin gewe­sen, die
unter anderem von den Zinnen ihrer Burg aus die Gründung
von Prag prophezeit haben soll. Libuše hieß auch meine Pro­fes­
sorin. Ich wurde trübsinnig. Der Taxifahrer bot mir eine Zi­ga­­
rette an. Ich mach­te es mir im Sitz bequem, kurbelte das Fenster
he­runter und ließ mir den kalten Wind über die Stirn streichen.
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Ich dachte darüber nach, wie es wohl wäre, mit einer Frau
zu schlafen. Ich kannte diese Erfahrung noch nicht, obwohl ich
Miloš gegenüber behauptet hatte, lesbisch zu sein. Zwar konnte
ich mir schon vorstellen, dass sich Lesben gegenseitig lecken
und streicheln, aber was man als Frau mit einer Frau sonst noch
tun kann, wusste ich nicht so genau. Irgendwie wollte ich es
mir gar nicht ausmalen.
In Wien hatte ich ein eher braves Leben geführt. Meine El­
tern hatten mir die Wohnung gezahlt, ich hatte sie ab und zu
zum Mittagessen getroffen. Der einzige Akt der Revolte meinerseits bestand darin, dass ich Tschechisch zu studieren begann
anstatt Rechtswissenschaften oder Medizin, wie es sich mein
Vater gewünscht hätte. Er hielt Tschechisch für sinnlos, ebenso
wie ich es am Anfang meines Erwachsenwerdens für unwichtig hielt, viel auszugehen und die Geheimnisse der Liebe zu erforschen. Natürlich war ich hin und wieder mit Freundinnen
abends unterwegs gewesen und hatte bei diesen und anderen
Ge­le­genheiten Männer kennengelernt und Sex gehabt. Einen
festen Freund hatte ich aber nie gehabt. Mir hatte bei Männern
immer etwas gefehlt. Ich hatte mir darüber nie ernsthafte Ge­
dan­ken gemacht, sondern war davon ausgegangen, dass der
Rich­tige schon früher oder später kommen würde.
Während der Taxifahrt stellte ich mir immerfort vor, mit der
Schnee­königin Libuše Herzová zu verschmelzen. Ihre größe­ren
Brüste an mei­nen kleinen. Ihr glattes blondes Haar, das sich
mit meinen braunen Locken vermischte. Meine Hand in der
ihren. Die Beine verflochten wie Scheren in den festen Zöpfen
duf­t en­der Mädchen.
Um zwei Uhr morgens stieg ich aus dem Taxi. Die Bäume vor
dem Wohnheim Sázava starrten unter der funkelnden Schnee­­­­­
last. Der scheppernde Aufzug brachte mich ins siebente Stock­
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werk. Auf Ze­henspitzen schlich ich ins Zimmer, um meine Mit­
bewohnerin Daphne nicht aufzuwecken.
Nach einer schlaflosen Weile bemerkte ich, dass auch Daph­
ne noch wach war. Ich konnte in der nächtlichen Stille kei­nen
schwe­ren Atem ausmachen, wie er für Schlafende typisch war.
Nur der Ra­di­a­tor gab Geräusche von sich, als würde trockenes
Rei­sig brechen.
Hielt Daphne so wie ich ihren Atem an und gab sie so wie
ich den Schlaf nur vor?
Ich war ungeduldig und wollte mir ihres Schlafs unbedingt
sicher sein. Langsam und möglichst geräuschlos fuhr ich mir
unters Hemd. Ich konnte es nicht erwarten, an mir herumzu­
spielen. Die Wärme meiner bebenden Handfläche auf meinem
rasenden Herzen machte meine Unrast nicht besser. Ich press­te
meine Augenlider zusammen, ich zwickte meine linke Brust­
warze zwischen Ring- und Mittelfinger ein und atmete vorsichtig durch die Nase, um ja keine unkontrollierten Lau­te auszustoßen. Die andere Hand lag wie ein Brett an meiner Seite. Ich
hatte ihr streng verboten, sich meiner Scham zu nähern, solange ich mir nicht sicher war, dass Daphne schlief.
Vielleicht dachte meine Mitbewohnerin dasselbe wie ich?
War­tete auch sie auf meinen Schlaf, um es sich in Ruhe selbst
zu ma­chen? Hatte ich sie mit meiner Ankunft vielleicht sogar
da­bei unterbrochen?
5
Die Nacht verging, und die Bilder von den Brüsten der Schnee­
königin mischten sich in meinem Kopf mit meiner Erinnerung
an die Minuten, die ich mit Daphne einmal gemeinsam in der
Dusche verbracht hatte. Erbauliche Minuten zu zweit in einem
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engen, dampferfüllten Quadrat, das wir uns mit den Mädchen
aus dem Nachbarzimmer teilten. Der durch­dringend eisblaue
Blick der Schneekönigin blitzte wie ein Dia­bild auf meinen ge­
schlossenen Lidern, die nassen roten Haare Daphnes folg­ten,
die Gesichter der zwei Frauen vermischten sich in meinen Vor­
stel­­lungen. Die hohen Wangenknochen der Professorin wech­
sel­ten sich mit den Sommersprossen meiner kleinen Mit­be­
woh­nerin ab. Die gewölbte Figur und die scharf geschnittene
Tail­le, die ich im Hör­saal immer wie­der unter verschiedenen
grauen und gräulich blauen Kos­tümen beob­achtet hatte, wandelten sich zur knabenhaften Gestalt Daph­nes, der ich zugesehen hatte, wie sie sich zuerst in der heißen Du­sche ent­spann­te,
um dann unter der Einwirkung des trocknenden Hand­tuchs
wieder straff zu werden.
Offenbar brauchte ich eine Frau. Zwischen meinen Beinen
wurde es warm und wärmer. Die Hand, die wie ein Brett daliegen sollte, hatte sich selbsttätig erhoben und fand ihren Weg
von alleine. Schon war sie ihrem Ziel näher, schon war sie nah,
schon berührte sie fast die empfindlichste Stelle. Aber da entwich mir ein ungeschicktes Geräusch.
»Marie?«, hörte ich Daphne aus der Dunkelheit.
Ich drückte meinen Kopf ins Kissen. Dann schluckte ich
und antwortete. »Was ist denn?«
»Kannst du auch nicht schlafen?«
Ich rollte mich auf den Rücken, fühlte mich meiner Träume
beraubt. »Mach dir doch einen Tee«, sagte ich zornig.
Daphne war einundzwanzig, zwei Jahre jünger als ich, und
stammte aus New York. Sie studierte Biochemie, betrachtete
sich aber gleichzeitig als Künstlerin und fotografierte am liebs­
ten Asphalt, Mülltonnen und Baumrinden sowie hässliche klei­
ne Hunde und nachdenkliche Kin­der. Ihre Eltern hatten sie
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nach Europa geschickt, weil sie angesichts einiger Exzesse befürchteten, dass sie daheim auf die schiefe Bahn geraten und
der Drogensucht anheim fallen würde. Daphne hielt diese Sorge
für lächerlich, hatte aber nichts gegen ein Auslandsstudium
ein­zuwenden gehabt.
»Ich möchte keinen Tee«, sagte sie. Weil sie offenbar davon
ausging, dass mich alles an ihr interessierte, fügte sie noch hinzu: »Ich habe gerade so schlecht geträumt. Von malmenden, rollenden Steinen. Jetzt tun mir die Zähne weh.«
Ich verstand nicht gleich, dass sie offensichtlich Nähe suchte
und seufz­te nur enttäuscht, weil ich meine Selbstbefriedigung
auf später ver­schieben musste. Ich musste an ihre Zähne den­
ken. Sie waren irgendwie typisch für eine Tochter reicher ame­­
ri­­kanischer Eltern. Kräftig durch gute Pflege und von einer
teu­­ren Zahnspange schön geordnet, füllten sie ihren kleinen,
hüb­­schen Mund. Er war rot und hatte eine feste, plumpe Un­­
ter­­­lippe.
Es war immer noch stockfinster im Raum. In meiner Vor­stel­
lung ent­wickelte sich aus ihren roten Lippen ihr ganzer ju­gend­
licher Körper. Sehnig, gebräunt, mit runden kleinen Schul­tern,
sportlichen Schenkeln und einem fülligen Hintern. Die Brüs­te
waren fein, dezent und gekrönt von prominenten, dunkelrosa
Brustwarzen. Ich konnte mich erinnern, wie sie gleich nach der
Dusche locker und geschwollen waren von der Hitze des Was­­
sers, um sich nach dem Abtrocknen an der kühlen Luft zu fei­
nen, zuckenden Sonnen zusammenzuziehen.
Meine Fantasien hatten zunächst vor allem der Schnee­kö­
nigin gegolten. Nun bestärkte ich mich darin, dass mein Ver­lan­
gen auch mit einem anderen weiblichen Kör­per befriedigt wer­­
den konnte, dass es sogar unbedingt mit wel­chem weiblichen
Körper auch immer befriedigt werden musste.
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»Was ist mit deinen Zähnen?«, fragte ich, als ob es mich
kümmerte.
»Ich weiß nicht«, murmelte Daphne traurig, »sie fühlen sich
ganz blutig an.«
»Jetzt aber …«, sagte ich unbestimmt, aber entschlossen,
schlüp­fte unter meiner Decke hervor und machte den einen
Schritt auf die andere Seite des winzigen Zimmers, wo sich
Daph­nes Bett befand. Sie lag mir zugewandt auf der Seite, ihre
lan­gen, roten Locken auf dem Kissen ausgebreitet. Ich strich
ihr über die Stirn, nahm sie mit beiden Händen sanft an den
Wan­gen und hob leicht ihren Kopf. »Zeig her. Mach deinen
Mund auf.«
Folgsam öffnete Daphne ihren Mund. »Aah«, machte sie.
Ich sah überhaupt nichts, weil es stockdunkel war. Nur ihre
weißen Zähne glänzten ein wenig in der Ahnung von Licht,
das durch die Ja­lou­sien drang. Ihr Atem roch nach Schlaf und
Zahn­­pasta. Ihre Wangen waren zart und flaumig.
»Ist doch alles in Ordnung«, sagte ich, und ohne ihre Wan­
gen loszulassen, küsste ich sie am Haaransatz. Daphne berührte mei­nen Arm und räkelte sich ein wenig. Sie trug ihr weißes
Rü­schenunterhemd und bestimmt auch eine ihrer winzigen
Unter­hosen, die eigentlich genau gar nichts verdeckten. Ich
war unter meinem Hemdchen nackt und fühlte diese Nacktheit
umso mehr, je mehr meine Muschi die Steuerung des Körpers
übernahm. »Ich bleibe noch ein bisschen bei dir«, flüsterte ich
und kletterte unter ihre Decke.
Daphne holte scharf Luft. Ihre Hand umschlang fest meinen Unter­arm. Mit der Fingerkuppe des Mittelfingers strich
ich ihr eine Haar­strähne aus dem Gesicht, löste die verkrampfte Um­klammerung ihrer Hand, führte sie zu meinem Mund
und küsste ihr leise die Handfläche. Dabei stellte ich mir vor,
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die schneeweiße Hand der Königin zu liebkosen. »Möchtest
du, dass ich noch ein wenig bleibe?«, fragte ich mit schwerer
Zunge, weil ich jetzt doch ein wenig schüchtern geworden war
und nicht einfach schweigen konnte. Daphne atmete schnell
und antwortete nicht, also küsste ich sie auf den Mund.
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Es dauerte keine Sekunde, da beantwortete Daphne meinen
Kuss mit ihrer Zunge. Ich war überrascht, als sie ihre Hände
in mein Haar grub und mein Gesicht an das ihre zog. Ihre warme Stirn berührte die meine, unsere Nasen suchten zögerlich
einen Weg aneinander vorbei, um den Mündern freie Bahn zu
schaffen. Daphne machte ein leises, winselndes Geräusch, das
mir außerordentlich gefiel. Überhaupt war ich von ihrem Ver­
halten so gerührt, dass es mir das Herz zusammengezogen hätte, wäre mein Herz nicht längst eingefroren und von den kühlen Handflächen der Schneekönigin gefangen gewesen.
Mit meinen Fingerspitzen glitt ich an Daphnes Hals entlang am zitternden Schlüsselbein vorbei und tastete mich vor­
sichtig zu ihren Brüsten vor. Ihre Brustwarzen bebten bereits.
Schnell schob ich die Träger ihres Rüschenhemds beiseite und
zog es ungeduldig mit einem Ruck herunter, nur um Daph­nes
Brüste besser sehen zu können. Sie waren kleiner, als ich sie
in Erinnerung hatte, und mit Sicherheit waren sie um einiges
kleiner als die der Schneekönigin. Immerhin hatte die Schnee­
königin, das hatte mir Miloš verraten, bereits drei Töchter geboren.
Libušes Busen musste also voller und erwachsener sein,
dach­te ich mir, während ich mit meinen Händen über Daph­nes
kleine Brüste strich. Libušes Bauch würde wohl gewölbter sein,
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würde mehr zum Anfassen bieten, dachte ich, als ich Daphnes
voll­kommen flachen, schlanken und muskulösen Bauch befühlte, dessen Mitte von einem gut fühlbaren, leicht hervorstehenden Nabel geziert war. Der Nabel als Zentrum ihrer schlanken Figur zwang mich, mir ihre Klitoris vorzustellen. Also setzte ich mich auf und zog Daphne das winzige Höschen aus. Sie
protestierte leicht, aber wahrscheinlich nur, weil ihr das angebracht schien. Das Höschen hatte ohnehin kaum ihre Scham­
lippen bedeckt. Ich bemerkte genau, wie warm und klebrig das
kleine weiße Stück Baumwolle schon war. Ich warf es fort und
schob meine Hand zwischen Daphnes Beine. Ihre Muschi war
bedeckt von dichten, ro­ten Locken, die sicher mehr hermachten als meine gekürzte schwarze Schambehaarung. Ich kraulte
den warmen Busch, spürte meine Gier wachsen, und presste
meine Finger leicht in Daphne hinein. Sie bäumte sich auf und
machte wieder so ein entzückendes Geräusch wie vorhin, was
mich dazu veranlasste, mich auf sie fallen zu lassen und sie
wild zu küssen.
Das ist es also, das ist mein erster Sex mit einer Frau, und
es fühlt sich gut an, dachte ich, während ich eine von Daphnes
Brüs­ten in der Hand hielt und gleichzeitig zwei Finger der anderen Hand in ihr bewegte. Aus ihrer Muschi rann ein Saft, der
sich wie eine pflegende Hautcreme anfühlte. Daphnes Schei­
den­eingang war sehr eng. Sogar meine zwei kleinen Finger
schie­nen ihr fast zu viel zu sein. Derjenige der Schneekönigin
wäre bestimmt weicher, ihr könnte ich vielleicht sogar die ganze Hand hineingleiten lassen, dachte ich.
»Warte«, sagte Daphne atemlos, »ich möchte doch auch …«
Sie suchte mit ihren Handflächen unter meinem Hemd nach
meinen Brüsten, die sie umschloss. Daphnes Hände, die eben
nicht die alabasterfarbenen der Schneekönig waren, kamen mir
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aber plötzlich zu rau und zu fremd vor. Ihre Berührungen waren mir zuwider. Ich befreite mich und warf Daphne auf den
Rücken. Über sie wollte ich die Kontrolle behalten. »Wirst du
wohl stillhalten«, sagte ich und wunderte mich über die Selbst­
verständlichkeit, mit der ich mir nehmen konnte, was ich wollte. Ich kletterte zwischen Daphnes Beine und fuhr mit den
Händen entlang der Innenseiten ihrer Schenkel nach oben. Sie
wollte sich aufsetzen, ich drückte sie zurück und küsste zärtlich
ihre kleinen Schamlocken. Dann fuhr ich mit der Zunge schnell
über ihre erregte, zitternde Klitoris. Ihr Geschmack und Geruch
schossen mir sofort ins Hirn und erzeugten eine Geilheit in
mir, die ich noch nicht kannte. Daphne stieß dumpfe, klagende Laute aus, was den Effekt noch verstärkte. Immer und immer wieder leckte ich über ihren Kitzler. Manchmal zarter,
manch­mal mit mehr Druck, manchmal in kleinen Kreisen und
manchmal in Linien, weil ich mir nicht ganz sicher war, welche Behandlung am besten wirkte. Ich tastete mit den Fingern
nach dem Saft, der mehr und mehr aus ihr hervorquoll, ich
leck­te ihn ab und schluckte so viel davon, wie ich nur konnte.
Schließlich verkrampfte sich Daphnes Körper, ihr Becken zuck­
te und erledigte die Bewegungen für mich. Dann bäumte sie
sich ein letztes Mal auf, lachte laut und schluchzte zugleich.
Da­nach seufzte sie zufrieden.
Ich setzte mich auf, wischte mir mit dem Handrücken den
Mund ab und grinste leicht benommen. Für den Anfang war
das wirk­lich nicht schlecht, dachte ich. Jedenfalls schon einmal
besser als alles, was ich mit den paar haarigen, knochigen und
herb riechenden Männern erlebt hatte, die ich in Wien nicht
von meinem Bett hatte fernhalten können.
Vor mir lag die kleine, süße Daphne schwer atmend auf dem
Rücken. Sie hielt sich die Hände vor ihr Gesicht als müsste sie
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wei­nen. Ihre Arme lagen da und schimmerten locker hoch­ge­
streckt mit der wunderbaren Eleganz von fein polierten Mäd­
chen­statuen. Ich hätte aus Stein sein müssen, um mich nicht
unendlich in sie zu verlieben.
Nun war ich tatsächlich von der Schneekönigin versteinert
worden. Ich fand dieses schöne, befriedigte Ge­schöpf enttäuschend sentimental. Obwohl es Spaß gemacht hat­te, Daph­ne
zu befriedigen, ärgerte mich, wie unerfah­ren wir beide waren.
Blüten konnte man doch nicht essen. Ich hatte Lust auf reife
Früch­­­te. Ich spielte tatsächlich mit dem Ge­dan­ken, Daph­ne mit
ihren strahlenden Augen in der Fins­ter­nis al­lein­zu­las­sen und
mich wieder anzuziehen, um einen Spa­zier­­gang durch die ver­­
schneite Nacht zu machen. Dann woll­te ich doch kein Mons­ter
sein und setzte mich noch für ein Weilchen zu ihr. Ein bisschen
ärgern musste ich die reinliche Ame­ri­kanerin aber doch, und
so holte ich vom Schreib­tisch noch meine Zigaretten und den
Aschenbecher, bevor ich mich wieder zu ihr ins Bett ver­fügte.
Das erloschene Streich­holz warf ich, weil mir gerade so danach
war, einfach in ho­hem Bogen durch den Raum.
Ich saß Daphne gegenüber, rauchte und streichelte mehr
oder weniger liebevoll ihren kleinen, flachen Bauch. Sie flüsterte meinen Namen. Ich wusste, wie sehr sie Zigarettenrauch
hasste, aber sie gab keinen Widerspruch von sich. »Ach, Marie«,
sagte Daphne leise, »wie hast du es wissen können? So lange
habe ich mich nach dir gesehnt.«
Vielleicht weinte sie sogar dabei. Ich war gerührt genug,
kur­z nichts sagen zu können. Dann streichelte ich wieder ihren Mäd­chen­bauch, der sich wie ein feiner Trieb eines jungen
Bau­mes von ihrem zierlichen Becken absetzte.
»Eine hübsche Taille hast du«, sagte ich.
In Gedanken war ich schon wieder bei der Schneekönigin.
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7
In der nächsten Woche entfielen die beiden Vorlesungen der
Schnee­­königin, weil sie an einem Kongress teilnahm. Ich vermisste sie, wollte ihr nahe sein und trieb mich auf dem Institut
herum, um zumindest ihren Assistenten Miloš wiederzusehen.
Ich stand im Gang zwischen den Seminarräumen und wartete auf sein Erscheinen oder zumindest auf seinen Rückruf. Aus
Langeweile entzifferte ich die Aushänge und Plakate auf der
Pinn­wand, die An­kün­di­gung einer Exkursion, eine Einladung
zu einer Ausstellung von sur­realistischen Fotografien, ein Stel­
lenangebot für Doktoranden.
Ich merkte, dass meine Schuhbänder sich gelöst hatten, also
kniete ich mich hin, um sie wieder zu schnüren. Hinter mir
hör­­te ich Schritte. Ich hob den Kopf und sah Libuše Herzová,
wie sie auf ihren grauen Stöckelschuhen auf mich zusegelte. Ihr
Erscheinen erschütterte mich. Mit halbgeschnürten Schuh­­bän­
dern stand ich wankend auf und suchte eilig nach den richtigen
Begrüßungsworten. Das Adrenalin war mir bis unter den Haar­
ansatz gestiegen, als ich endlich ein flüchtiges »Ahoj« stammelte. Meine Stimme hatte sich wie der schwache Krächzlaut
eines unterernährten Vögelchens erhoben und stürz­te in der
Luft irgendwo über mir zu etwas kaum Hörbarem wieder ab.
Die Schneekönigin verlangsamte ihre Schritte nicht. Viel­leicht
hatte sie meinen unhöflichen Gruß gar nicht wahrgenommen,
hoffte ich. Aus Scham hielt ich meinen Blick gesenkt.
»Dobrý den, paní kolegyně«, was ›Guten Tag, Frau Kollegin‹
be­deu­tete, hörte ich ihre klare Stimme und sah, wie ihre Stö­
ckelschuhe mich Schritt für Schritt passierten. Wahrscheinlich
hatte mir die Schnee­königin Libuše ins Gesicht geblickt, aber
ich wußte es nicht, weil ich wei­ter­hin meine Augen nicht zu
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heben wagte. Ein eisiger Lufthauch strich über meine heiße,
gesenkte Stirn.
In einer anderen Wirklichkeit wäre ich nicht auf dem Bo­
den gesessen wie eine Zehnjährige. Ich wäre in Eile gewesen,
ein Buch mit dem Namen Karel Čapek oder Vítězslav Nezval auf
dem Schutz­umschlag hätte dezent aus meiner Manteltasche ge­­­
ragt. »Dobrý den, paní profesorko«, hätte ich gesagt, und »Na­
shle­­da­nou!«
Im selben Augenblick hätte mich Miloš angerufen und ich
hätte in einwandfreiem Tschechisch ein Treffen mit ihm vereinbart. Viel­leicht wäre die Herzová dann beeindruckt gewesen, hätte das Ende meines Telefonats abgewartet, um zu sagen: »Warten Sie, Marie! Hätten Sie Zeit, meine Prüfungsbögen
Miloš zur Korrektur zu überbringen? Sie liegen auf meinem
Schreib­tisch, mein Büro ist gleich hier. Folgen Sie mir. Wie
geht es Ihnen? Ihr Tschechisch ist schon ganz fließend!«
Stattdessen stürzte ich durch das Stiegenhaus und das Ein­
gangstor ins Freie und lief wütend die gesamte eisige und verschneite Strecke bis zur U-Bahn-Station Staro­městs­ká, um so
schnell wie möglich mein Wohnheim im Plattenbau Sázava zu
erreichen. Zu Hause warf ich mich aufs Bett und ver­grub mein
Gesicht im Kopfkissen. Mein Handy klingelte, aber ich regte
mich nicht. Es klingelte wieder und wieder, und ich wäre wohl
noch eine Ewigkeit so dagelegen, wenn nicht Daph­ne meinen
Kummer mit ihrem Gekreische unterbrochen hätte. Sie hatte
meine Tasche durchwühlt, mein Handy gefunden und es mir
auf den bebenden Rücken geworfen. »Schalt es doch wenigstens auf lautlos!«, rief sie.
Ich setzte mich zerknittert auf und rieb mir die Augen. Mir
war nicht aufgefallen, dass Daphne schon die längs­te Zeit im
Zimmer gewesen war. Sie kniete in der ihr eige­nen, leicht ego-
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manischen Verrücktheit auf dem Bett und betrachtete misstrauisch eine kleine Nagelschere. »Was meinst du«, fragte Daphne,
»ist es sehr gefährlich, wenn …?« Sie ließ die Schere fallen und
wandte sich wieder mir zu. »Ach, ist doch egal. Was ist mit dir
los, Marie? Hast du Liebesärger mit deinem Freund?«
Ich lächelte bitter. »Mit Miloš? Mit dem doch nicht.«
»Ach so«, sagte Daphne bedeutungsschwanger.
Sie kletterte vom Bett und holte aus ihrer Schreib­tisch­
schub­lade ein Toiletteetui mit all ihren sorgfältig geordneten,
umweltfreund­lichen amerikanischen Bio-Toiletteartikeln. »Es
ist schon in Ord­nung, wenn du einen Freund hast, Marie«, sagte sie, und ihre kleine Unterlippe beb­te ein bisschen.
»Du kannst schon eine ganz schöne Dumpfbacke sein,
Daph­­­ne«, sagte ich seufzend.
»Vielleicht bin ich eine Dumpfbacke«, erwiderte Daphne
lau­­ter, »aber ob du einen Freund hast oder nicht, ist ohnehin
nicht mein Bie­nen­wachs, wie wir zu Hause in Vermont immer
sagen. Außerdem gibt es hier in diesem Europa überhaupt nirgends dasselbe Bienenwachs, wie ich es in Amerika immer für
meine Beine verwende.«
Sie öffnete mit einem angeekelten aber konzentrierten Ge­
sichts­ausdruck eine Packung Einwegrasierer. Ich sah, wie unter ihrem Bade­mantel auf ihren Beinchen ein rötlicher Flaum
hervorglänzte.
»Wärst du sehr traurig, wenn ich und Miloš zum Beispiel
heiraten würden?«, stichelte ich. »Würdest du dann vielleicht
aus Rache deine Beine rasieren?«
»Nein«, sagte Daphne und rümpfte ihre Nase. »Wenn du’s
wis­sen willst, ich will mir die Schamhaare rasieren. Ich habe
auf einem Blog gelesen, dass die meisten Lesben eine rasierte
Vulva bevorzugen.«
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Sie sagte tatsächlich »Vulva«. Ich fragte mich, ob sie vielleicht einen Kurs in gender studies belegt und das Wort dort aufgeschnappt hatte.
»Ich dachte zuerst, dass es mit Wachs besser gehen würde,
aber ich fand nirgends das Bio-Wachs … und dann die Nagel­
schere … ich habe eben überlegt.«
»Aha«, sagte ich, »du bist jetzt lesbisch geworden, Daph­ne?«
Daphne schaute mich wütend an. Ich warf einen gespielt
trotzigen Blick zurück und brachte sie wieder zum Lächeln.
»Eigentlich weiß ich schon lange, dass ich auf Frauen stehe«, sagte sie. »Daheim habe ich mich wegen meiner Eltern
nie ge­traut, etwas mit einer Frau anzufangen. Ich kannte auch
keine Lesben. Aber jetzt, wo ich mit einer das Zimmer teile …«
Sie senkte ihren Kopf, um mich wie ein Hündchen von unten anzusehen. Das machte mich ein wenig scharf. »Wer sagt,
dass ich lesbisch bin?«, antwortete ich, um ihr ein wenig den
Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Ich dachte, dass ich auf eine Mädchenparty gehen könnte.
Heute Abend ist eine, vielleicht magst du ja mitkommen«, sagte Daphne.
Ich schnaufte verächtlich und ließ mich zurück auf mein
Bett fallen. Von solchen Partys hatte ich schon gehört, war aber
noch nie auf eine gegangen. Ich hatte mich ja auch nie für lesbisch gehalten. Aber seitdem ich in die Schneekönigin Libuše
verliebt war, konnte ich mir erst recht nicht vorstellen, an einer
Ver­sammlung von Mädchen teilzuhaben, die sich aufgrund ihres Selbstfindungstrips gegenseitig die Geheimnisse unter ihren Schlüpfern offenbarten. Libuše würde nie bei so etwas mitmachen, nichts läge ihr ferner, da war ich mir sicher.
Daphne sammelte ihre Rasierutensilien ein und verließ leise
raschelnd das Zimmer.
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»Hast du auch nicht den Schaum vergessen?«, rief ich ihr
nach.
»Nein, und ich habe sogar an eine Creme gedacht«, murmelte sie im Weggehen.
Ich blieb noch ein Weilchen liegen und starrte die niedrige
Zim­merdecke an. Schließlich konnte ich doch nicht anders und
kroch auf den Gang zu unserem gemeinsamen Badezimmer. Die
Dusche lief. Ich öffnete die Tür. Daphne stand in der Duschecke
hinter der Wand aus Glasziegeln und erstarrte, als sie mich bemerkte. Sie drehte sich aber nicht nach mir um. »Was willst du
jetzt?«, fragte sie in verärgertem Ton.
»Ich wollte dir nur zusehen«, sagte ich. »Das darf ich doch
bei dir, oder?«
Ich zog Schuhe, Socken und alles andere bis auf die Un­ter­
wä­sche aus. Meine Knie waren trocken und krustig, weil ich
beim Eis­hockey­spielen mit Miloš so oft gestürzt war. Daphnes
Knie waren kantiger und schmaler als meine und von keinen
blauen Flecken verunstaltet. Der Winter hatte uns aber beiden
ordentlich zugesetzt. Fern von zu Hause lebten wir etwas wilder, unsere Sehnsüchte waren stärker in der Fremde, wir tranken mehr Kaffee, mehr Bier und weniger Wasser, ernährten uns
nicht mehr so gut und hatten abgenommen.
Ich lehnte mich an die dampfbeschlagene Glasziegelwand,
die die Duschecke begrenzte. Daphne drehte mir den Rücken
zu. »Du musst deine Unterhose ausziehen«, sagte sie.
»Na gut«, antwortete ich, »dafür darf ich dir die Scham­haare
rasieren.«
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8
Ich streifte mein Höschen ab. Daphne drehte sich um und schaute mir zwischen die Beine. Ich stieg zu ihr in die Duschecke.
Das heiße Wasser rann uns durch die Haare, machte sie dunkel
und schwer. Ich nahm Daphne die Nagelschere aus der Hand,
mit der sie an ihren Muschilocken herumgeschnipselt hatte,
und gab ihr einen Kuss, um sie zu beruhigen, weil ich sah, dass
ihre Unterlippe wieder bebte.
»So dicht sind deine Schamhaare auch wieder nicht, dass
wir sie vorher kürzen müssten«, sagte ich.
Ich ließ Daphne sich an die Kachelwand lehnen und im Ste­
hen die Beine spreizen. Sie keuchte. Als sie so stand, wie ich es
wollte, hock­te ich mich vor sie auf den Duschwannenrand. Ich
strich über ih­ren Venushügel. Gleich drei Einwegrasierer und
eine kleine Dose Ra­sier­schaum lagen zu meiner Rechten.
Ein bisschen wehmütig war ich schon, weil mir Daphnes
Mu­schi behaart sehr gut gefiel. Sie war wie ein Plüschtier, das
man beim Ein­schlafen vermisst, wenn es nicht mit im Bett ist.
An­de­rer­seits war ich an dem Unterfangen der Rasur sehr interessiert. Bei mir selbst hatte ich es auch immer nur an den Rän­
dern gemacht, und so aus der Nähe hatte ich bei Licht noch nie
eine Muschi sehen dürfen, weder rasiert noch unrasiert. Das
ist eben der Nachteil, den wir Frauen gegenüber den Männern
haben, dass wir unsere eigenen Geschlechtsteile nur umständlich mit einem Spiegel betrachten können. Deshalb braucht
jede Frau ganz einfach eine andere Frau, um sich selbst in ihr
erkennen zu können, dachte ich.
Ich rieb Daphnes Venushügel mit Schaum ein und machte mich von oben beginnend ans Werk. Während vorher aus
Daphnes Busch nur die hellrosa Klitoris hervorgeleuchtet hatte,
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