Der Drachenstich in Furth im Wald

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Der Drachenstich in Furth im Wald
Werner Perlinger
D er Drachenstich in Furth im Wald
Mag im Laufe der Zeiten vieles von der Bevölkerung
vergessen worden sein . . . eines ist immer lebendig
geblieben, in jedem Haus, in jedem Bewohner, die
T radition des ältesten bayerischen Volksschauspiels,
des Drachenstichs . Der genaue Zeitpunkt seiner Entstehung ist nicht bekannt, denn nur wenig Quellenmaterial ist überliefert, das über die frühe Geschichte
des Drachenstichs in unserer Stadt Aufschluß geben
kann. Heute wissen wir soviel, daß er sich vom geistlichen Schauspiel der Legende um den heiligen Georg
aus der Fronleichnamsprozession entwickelt hat. Die
Prozessio n selbst wird als " Umbgang" bereits in einem
Protokoll von 1590 erwähnt. Dem entspricht zeitlich
etwa die archivalische Notiz aus dem Jahr 1754, daß
"das Drakenstecken bay hiesiger Statt yber die 200 jahr
ohne Unterbrechung observiret w ird."
Der bisher früheste exakte Hinweis auf das Drachenstichgeschehen datiert aus dem Jahre 1646. Er ist
festgehalten in einer Kirchenrechnung und lautet: " ...
D em ienigen so im Lindturmb gangen ... " Gemeint ist
der Bürger, der während der Fronleichnamsprozession einen Drachen mitgetragen hatte und dafür eine
kleine Entlohnung erhielt. In den folgenden Kirchenrechnungen werden nicht nur der Drache, sondern
auch der Ritter und Teile seiner Ausrüstung genannt,
fü r die Geld ausgegeben und abgerechnet werden
mußte. Ausgangspunkt für das Further Drachenstechen war bis zum ausgehenden 18 . und noch im
19 .Jahrhundert die Fronleichnamsprozession, vielmehr der Fronleichnamstag bzw. die Prozession am
Sonntag danach. Während der Prozession führten die
Further den Drachen mit, und der geharnischte Ritter
erhielt: " . .. so er den Lindtwu rm b am Umbgang
gestochen für seine und der gebrauchten jungfrau
bemiehung z ur Zöhrung 2 Gulden . . . "So ein Beleg aus
dem Jahr 1676, der in seiner Aussage bereits auf eine
Art Spiel schließen läßt: Es war in diesen frühen Jahren
üblich , den sog. "Umbgang" mit lebendigen Bildern
aus der Heilsgeschichte auszugestalten, ja mit den
Inhalten von Heiligenviten figurativ zu "prangen",
daher im bayerischen Sprachraum der so geläufige
Name "Prangertag" .
Ab 1585 beginnt in unserer Stadt bis 1587 die Pfarrwerdung. Zu diesem Zeitpunkt - die Mutterpfarrei
Arnschwang war mittlerweile protestantisch geworden - dürften sich die ersten Fronleichnamsprozessionen gebildet haben, und es war üblich, wie in anderen
Orten bekanntermaßen auch, die weihevollen Handlungen mit religiösem Beiwerk auszuschmücken. Und
hier war die Darstellung von St. Georg vielerorts ein
sehr beliebtes Motiv.
Wurde vielleicht in der Prozession zu Beginn allgemein nur eine bildliehe Darstellung von St. Georg und
dem Drachenkampf mitgetragen, dürfte der Attraktivität halber sich bald die figurative Darstellung von
St. Georg und dem Drachen entwickelt haben . Daraus
hat sich erst später die eigentliche Grundstruktur des
dann ausgebildeten Spiels entwickelt.
D er heilige Georg
Der hl. G eorg genoß im Abendland große Verehrung,
ihm wurde eine Vielzahl von Darstellungen zuteil.
Spärlich jedoch steht dem Kult die U berlieferung
gegenüber. Aus dieser schälen sich letztlich zur Vita
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Der feuerspeiende Drache vom Funher Drachenstich aus einer
neueren Aufführung des Festspiels .
des Heiligen zwei Fassungen heraus . Es existiert ein
Lied von Georg - ein einzigartig althochdeutsches
Sprachdenkmal- überliefert in einer Handschrift, die
das Evangelienbuch des Otfrid von Weißenburg aus
der Wende des 10. zum l1.Jahrhundert enthält. Zehn
Strophen sind erhalten, die in knapper hymnischer
Form von Martern und Wundertaten berichten; nicht
als ritterlicher Drachenkämpfer, sondern als Bekenner, Wundertäter, Märtyrer und Opfer der diokletianischen Christenverfolgungen.
Die Kreuzzüge erst bringen ins Abendland den
ritterlichen Drachenkämpfer aus byzantinischer
Legende. Bildlich erstmals im 11.Jahrhundert, der
schriftliche Nachweis wird im 12. Jahrhundert geliefert . Die bedeutendste Q uelle, die für die abendländische Kunst weitreichende Bedeutung erlangte, stellt
die zwischen 1245 und 1273 von jakobus de Voragine,
auch Jakob de Vo raccio (bei G enua), verfaßte Legenda Aurea dar. In ihr wird der Drachenkampf einge180
hend geschildert . Zwei Wurzeln also hat die Legende
um den beliebten H eiligen. Fortan lebte in den
St.-Georgs-Darstellungen vor allem das Motiv der
Befreiung vom Drachen.
Der im ausgehenden Mittelalter als Inbegriff christlicher Rittertugenden. als "mi/es Christianus" angesehene Georg wurde zum bevorzugten Heiligen der Ritterschaft . Gerade deshalb standen Burg- und Schloßkapellen gerne unter seinem Patronat (vgl. Georgskapelle der Reichsburg Cham auf dem Galgenberg) .
St, Georg wurde Patron verschiedener Kreuzfahrerorden wie auch der adeligen Ritterorden . Weitaus die
Mehrzahl der Georgskirchen und -kapellen gehört der
Kreuzzugszeit an, da G eorg zu einer Idealfi gur des
adeligen Rittertums wurde und die Georgslegende, so
wie sie sich im Further Spiel grundlegend zu erkennen
gibt, von den Kreuzfahrern aus dem Morgenland erst
zu uns gebracht wurde. D azu ist interessant, daß in
sämtlichen alten städtischen Aufzeichnungen nie vom
H eiligen G eorg, sondern nur vom "Ritte r" gesprochen wird. Das mag damit zusammenhängen , daß die
Stadt aufgrund ihrer kirchengeschichtlichen Gegebenheiten kein G eorgspatrozinium kennt .
H andlungen und Aktivitäten wie die figurative
Darstellung der St. G eorgslegende forderten aber auch
ihren Preis. Es mußten dafür Kostenträger gefunden
werden . Bis zum Jahr 1716 verabreichte die Kirchenverwaltung an den jeweiligen Ritter einen Betrag in
Höhe von zwei bis drei Gulden, damit dieser seine
anfallenden Unkosten bestreiten konnte. Ab dem Jahr
1716 wurden auf Befehl der damaligen Regierung diese
Gelder fortan der Stadtkasse aufgebürdet. Dazu gibt
es für das D rachenstechen in unserer Stadt während
des 17. J ahrhunderts weitere, bisher nicht bekannte
Belege. Protokollarisch knapp und bündig berichtete
die Regierung in Straubing an den damaligen Kurfü rsten Ferdinand Maria in München am 21. N ovember
1668 : "Der Ritter erhalt aus dem Gotteshause 2 fl
(fl = Gulden), der Plasbalkzieher 1 fl. Ohne diese A usgaben w ird niemand den Lindwurm stech en und den
Plaspalk z u z iehen bereit sein." 9.Juli 1669: "Wegen
der lindwurmabstechung am Hf. Fronleichnam zu
furtt haben wir aufbefel den H auptmann dort und den
Pfarrer vernommen mit Bericht. Man möge wie vor
alters die lindwurmstechung an genannten Feste geschehen lassen, weil es der Andacht nicht hinderlich
sei." 9. August 1669: "Die J fl. Können gegeben Werden. Die Abhaltung geschehe, aber erst nach den Evangelien und ohne Schaden für die Andacht. "
Inhaltlich sind die Eintragungen längst bekannte
Tatsachen. Bei Abhaltung der großen Prozession an
Fronleichnam dürfte es hin und wieder Arger gegeben
haben . Offenbar hat die Andacht der Prozessionsteilnehmer, für die spätere Zeit häufig nachgewiesen,
durch die teilnehmende Ritterschaft und die Mitführung des Drachen gelitten. Die Geistlichkeit bestand
darauf, daß das "Drachenstechen" grundsätzlich erst
nach dem offiziellen Ende der heiligen Handlungen
abzuhalten sei. Strittig war auch die Kostenfrage.
Offenbar wollte damals kein Bürgersohn den Ritter
verkörpern, ohne dafür eine Aufwandsentschädigung
zu bekommen. Dies ist insoweit verständlich, als laut
Eintragungen in den Kirchenrechnungen andere die
Prozession mitgestaltende Teilnehmer auch regelmäßig entlohnt wurden. Schließlich stellte der Ritter meist aktives Mitglied in der Reitertruppe der Grenzfahne - für den Drachenkampf sein eigenes Pferd zur
Verfügung. Der Ritter erhielt zwei Gulden; ein
Gulden entsprach 60 Kreuzer. Eine Weihnachtsgans
kostete damals etwa 45 Kreuzer, so daß einem Gulden
ein heutiger Kaufwert von gut 100 Mark beigemessen
werden darf.
D as Verbot kam von oben
Eine Zäsur für den Further Drachenstich brachte
die Epoche der Aufklärung, er sollte sogar abgeschafft
werden. Dagegen führten die Further über Jahrzehnte
hinweg einen zähen, zunächst aussichtslos erscheinenden Kampf. Verschiedene Schreiben ab dem Jahr
1754 belegen das Hin und Her zwischen den Stadtverantwortlichen und den Regierenden in der Zeit des
Absolutismus. Da aber die Andacht der Prozessionsteilnehmer ständig unter dem Schauspiel litt, erteilte
das bischöfliche Konsistorium in Regensburg an den
Mitwirkende Funher Bürger in Festspielkleidung beim
Drachenstich.
Further Pfarrer am 6. März 1754 den Befehl: " ... daß
bemeltes Drachenstecken auf keinerlei Weise mehr
gestattet, sondern si opus fuerit brachio saeculari,
abstellig machen soll [. ..]" (der Pfarrer möge doch die
weltliche Gewalt anrufen, wenn das Spiel trotzdem
aufgeführt werden sollte). Immer wieder begründeten
die Further ihr Festhalten am Drachenstich mit dem
einleuchtenden Hinweis: " Daß das hiesige Städtlein an
der höchstbedauerlichen Böhmischen Gränitz liege
und [. ..} von allem Gewerb befreyet stehe, inmassen
der Ort keinen Zugang, so folglich auch anderseits an
Pier, Brod, Fleisch keinen Ausgang hat, außer an dem
Tag, da viele hundert Menschen zum Drachenstechen
in die Stadt kommen [. ..]".
Saftige Geldstrafen auferlegt
Die Regierungsbeamten in Straubing und München
gaben aber nicht nach und so wurden die jeweiligen
Verbote trotz ausgesprochener empfindlicher Geldstrafen immer wieder mißachtet. Das Verbot vom Jahr
1788 mit einer Strafe in Höhe von 50 Talern war den
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Furthern dann doch zu viel. So wurde künftig das Drachenstechen aus dem Fronleichnamsgeschehen herausgenommen, bzw. gänzlich eingestellt.
Wann genau der Drachenstich wieder aufgenommen wurde, ist unbekannt. Es dürfte aber in den
30er Jahren des 19.Jahrhunderts gewesen sein. Einer
exakten Beschreibung des Drachenstichgeschehens
von 1840 ist zu entnehmen, daß die Akteure des Spiels
in ihren Kostümen dem Hochamt der Kirche beiwohnten. Dies führte mitunter zu erheblichen Spannungen zwischen Bürgerschaft und Klerus. Ihren
Höhepunkt erreichten diese 1878, als der damalige
Stadtpfarrer Johann Georg Hierstetter während der
Prozession mit dem Allerheiligsten in die Kirche
zurückkehrte, da die Ritterschaft trotz ausdrücklichen
Verbots an der Prozession teilgenommen hatte. Die
Folge war ein gewaltiger Aufruhr mit erheblichen
Feindseligkeiten gegen den Pfarrer und seine Kooperatoren. Durch das endgültige Verbot aber wurde das
alte kirchliche Spiel profanisiert.
und noch heute aufgeführte Fassung hat als geschichtlichen Hintergrund die für den Further Raum sehr verhängnisvollen Hussitenkriege (1420/34). Es herrscht
Not und Elend, und der "Drache steigt aus den Wäldern empor" . Er würde sich zufrieden geben, wenn ein
reiner Mensch sich freiwillig opfert. Die Further Burgherrin ist dazu bereit. Rechtzeitig aber kehrt der totgeglaubte Udo von der großen Schlacht heim. Er wird
zum Ritter geschlagen und tötet den Drachen, das
Symbol für Unheil, Haß und Verderben. Udo, die alte
Georgsfigur verkörpernd - sein Kampf mit dem Drachen wird jedesmal zu einem eindeutigen Sinnbild: Er
stellt den Sieg des Guten über das Böse dar und verweist auch auf die Schicksalsaufgabe des Grenzlandes"denn niemand weiter drinnen im Lande hält den Drachen auf, wenn es nicht hier geschieht!"
Alljährlich erleben tausende Besucher aus nah und
fern das in den letzten Jahren dramaturgisch leicht
abgewandelte Schauspiel in einer riesigen Schauspielarena, eigens aufgebaut am Stadtplatz. und sie gehen
hinterher beeindruckt und auch nachdenklich über das
Erlebte nach Hause.
Der Weg zum w eltlichen Theater
1887 wurde der Termin für die Drachenstichaufführung auf den zweiten Sonntag im August verlegt. 1890
übernahm erstmals ein Theaterverein die Durchführung des Spiels und 1896 bildete sich ein erster Festausschuß - ein Comitee, das die Verantwortung für
den Ablauf übernahm. Verschiedene Spielfassungen
erschienen im Laufe der Zeit und brachten damit auch
Abwechslung für die Zuschauer. Der aus der Barockzeit stammende Urtext - ein Zwiegespräch zwischen
Ritter und Ritterin in Versform - lehnte sich inhaltlich noch stark an die alte Georgslegende an. In unserem Jahrhundert entstanden weitere Fassungen. Sie
stammen von Dr. Heinrich Schmidt aus Bayreuth,
Dr. Heinz Schauwecker und Eugen Hubrich. Bis 1951
wurde hauptsächlich die Schmidt-Version aufgeführt.
Der Drachenstich von heute ist in seiner Handlung
ein rein weltliches Spiel, das sich im Höhepunkt wieder ganz der alten Georgslegende angleicht. Die 1952
von dem Schriftsteller Josef Martin Bauer geschaffene
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Der Drache
Mag der dramatische Verlauf des Festspiels die Besucher in Beschlag nehmen - Mittelpunkt allen Geschehens, Hauptfigur seit eh und je ist der Drache. Der jetzige Drache- in seiner Monumentalität dem Zeitgeist
entsprechend- wurde 1974 nach einem Entwurf des
Further Malers Hans Dimpfl, den Konstruktionsplänen der Firma Pyrkos, Pyrbaum, und von der Metallbaufirma Fischer in Mühlhausen bei Neumarkt gebaut. Die Vorgänger, bis 1912 von einem oder zwei
Männern zum Auftritt getragen, nahmen sich dagegen eher bescheiden aus. Kirchenrechnungen des
17.Jahrhunderts informieren uns , daß die Further
immer alles taten, um die figurative Darstellung des
"Lindwurms" zu gewährleisten. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg wurden 1705 beispielsweise" Vor
zu yberziehung des Neuen Lindtwurmbs (bestehend
aus einem Holzgerüst) 19 EIn leinwath" gekauft. Auf-
gelistet ist noch das "schwarzfärben v on dieser leinwath « und das " Gelbf ärben v or die lündw urmb Figur
Strimpf".
Der große historische Festzug
Am ersten Sonntag der Festwoche bietet die Stadt den
Gästen am frühen Nachmittag einen großen historischen Festzug. Er stellt ein farbenprächtige s Bilderbuch dar aus der fast tausendjährigen Geschichte unserer Region. Seine Wurzeln reich en zurück bis 1879, als
der Drachenstich profanisiert wurde . 1997 gestalteten
diesen für eine Kleinstadt in O stbayern einzigartigen
Umzug allein 1247 Personen, 172 Reitpferde, 69 Zugpferde, zwei Sänftenpferde, 18 Musikgruppen, zwei
Gauklergruppen, 21 Wagen, zwei Kanonen, eine
Sänfte und ein Chor. Gerade in Organisation und
Gestaltung dieses großartigen Gepränges zeigt die
gesamte Bevölkerung der Stadt Furth und mit ihr auch
das Umland ihre enge Verbundenheit mit dem uralten,
an Traditionen so reichen Drachenstich.
Q uellen und Literatur
Stadtarchiv Furth i. Wald, KI RCHENRECHNUNGEN
ab 1646f.
Stadtarchiv Furth i. Wald: KAMMERRECHNUNGEN
ab 1659.
Stadtarchiv Furrh i. Wald, Akt 320/02/Fach 52.
Erich DIMPFL: Der Drachenstich zu Furth i. Wald , Chronik
des ältesten deutschen Volksschauspiels, 2. Auflage,
1985 .
Werner PERLINGER: Bausteine zum Werden unserer
Pfarrei nMariae Himmelfahrt", in: ] ahrbuch des Historischen Vereins Furth i. Wald und Umgebung e. V. 6 (1995),
S. 63 f.
Werner PERLINGER: Ohne Aufwandsentschädigung ging
gar nichts, in: Chamer Zeitung/Further Chronik - Festbeilage zum Drachenstich 1996.
Werner PERLINGER: 1646: "Demjenigen so im Lindtwurmb gangen ... " , in: Mittelbayerische Zeitung vom
12 .113. Aug. 1989, Sonderdruck zur Ausstellung im Alten
Rathaus Furth i. W .
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Federzeichnung der Further Waldbühne von 1959, Ausschnitt aus dem Programm der Sommerspiele.
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