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Reisen
Nicht nur finanziell gut gebettet
Schwesters
Winterbeischlaf
Von Barbara Lukesch • Wo Schwule am liebsten überwintern - eine Recherche in einschlägigen Kreisen
che Liebe zu D u m p i n g preisen. A u c h i n M a r o k ko,
wissen
Kenner,
bleiben europäische R e i sende - trot z gesetzlichen
Verbots der gleichgeschlechtlichen Liebe keine
drei
Minuten
allein. I n Casablanca oder
Agadir sind allerdings die
Grenzen zwischen einem
Strichjungen und einem
einheimischen Schwulen,
der das Angenehme m i t
dem N ü t z l i c h e n v e r b i n det u n d sich gern einen
Walkman oder ein paar
neue Jeans
schenken
lässt, fliessend. U n d aus
Tunesien w i r d berichtet,
dass jeder M a n n alles
mitmache.
Schöne Körper
zählen:
Schwule sind frei
von
familiären
Verpflichtungen,
reisen gerne und
gemessen Freiheit
und Abenteuer
Frank Eisenlohr, Mister Gay
97/98, liebt die internationale
schwule Partyszene. Das letztjährige Silvesterfest verbrachte er
in Miami South Beach, wo sich
die jungen, schönen Korperkultbesessenen - k u r z Muscle Boys - ein
Stelldichein geben. E r geniesse es,
sagt der 29jahrige Sportlehrer, unter
seinesgleichen zu sein u n d u n k o m p l i ziert Kontakte knüpfen z u können:
«Eine Party m i t Tausenden v o n
Schwulen ist echt witzig.» Genauso
gern reist der Windsurf-Freak i n den
Wintermonaten nach Sudafrika, das i n
der Gay C o m m u n i t y nicht zuletzt
dank seinem i n der neuen Verfassung
explizit festgehaltenen D i s k r i m i n i e rungsverbot der Homosexualität z u nehmend beliebter w i r d .
Das Frotteetuch auf dem Bett
Markus Oeschger, der Mitinhaber des
Zürcher Schwulen-Reiseburos
Go
Travel, schwort auf kombinierte W i n terferien i n den Vereinigten Staaten:
eine Woche Skifahren i n Breckenndge/Colorado m i t U n t e r k u n f t i n
einem G a y - H o t e l ; anschliessend vierzehn Tage Badeurlaub i n Fort Lauderdale/Florida, w o er sich den Luxus
leistet, i m den Schwulen vorbehaltenen Funfsternehotel «Royal Palms»
abzusteigen. Der 41jährige weiss zu
schätzen, dass jeden M o r g e n ein
frisches Frotteetuchlein, gefaltet in
F o r m eines Schwans, auf seinem Bett
liegt: «Solche kleinen Zeichen der
Aufmerksamkeit gefallen mir.»
Wenn es i n hiesigen Breitengraden
kalt, nass und neblig w i r d , zieht es
schwule Schweizer an die Warme «klimatisch gemeint», wie ein besonders Witziger ergänzt. D i e Hitliste der
europaischen In-Destinationen fuhrt
seit vielen Jahren die kanarische Insel
Gran Canaria an, der sogar ein satinscher Reiseroman gewidmet ist: «Elvira auf Gran Canaria - U r l a u b , Schwule, Strand u n d Tand» (Verlag rosa
Winkel). Solch grosse Popularität mag
auf den ersten Blick überraschen, ist
Gran Canaria doch der Inbegriff eines
v o m Massentourismus verwüsteten
Reiseziels: voller hasslicher H o t e l k a sten, deutscher Reisegruppen u n d
Bockwurstbuden.
D i e Schwulen aber lieben die Insel,
die i m Laufe der Jahre m i t ihrer eigenen Infrastruktur überzogen w u r d e .
D a w i m m e l t es v o n Gay Bungalows,
G a y Bars, G a y Clubs, Gay Discos u n d w e n n die «Heteros» gegen 22.30
U h r das J u m b o Center i n Playa del
Ingles Richtun g Hotelbett verlassen,
übernehmen die Gays die Amusiermeile u n d machen die Nacht z u m
Tag. «Gran-Canaria-Ferien», sagt ein
Stammgast, «sind immer auch SexFerien.» D i e D ü n e n v o n Maspalomas
seien ja unter Schwulen auf der ganzen
Welt als «cruising p o i n t » , w i l l sagen
«Aufriss-Ort» verschrieen, und i n den
touristischen Zentren der Insel f l o riere neben vielem anderem auch der
kommerzielle schwule Sex prachtig.
I n vier Stunden ist man(n) am Ziel,
das Preis-Leistungs-Verhaltnis stimmt
ebenfalls - kein Wunder, ist kaum
noch ein Hotelzimmer f ü r den N o vember u n d Dezember z u haben.
Wer tiefer i n die Tasche greifen mag
u n d einen doppelt so langen Flug
nicht scheut, reist nach Florida, das
auch zwischen November u n d Februar Temperaturen v o n bis zu dreissig Grad bieten kann. Key West, jener
legendäre «gay meeting point» an der
Sudkuste der Vereinigten Staaten, der
i n Spitzenzeiten bis zu fünfzig
Prozent schwule Touristen beherbergt
hat, soll zwar gemäss Aussagen v o n
Touristik-Experten etwas v o n seiner
Anziehungskraft eingebusst haben.
Statt dessen sind M i a m i South Beach
m i t seinem wunderschonen A r t D e c o - D i s t r i k t u n d F o r t Lauderdale
m i t seinen kilometerlangen Stranden
zu begehrten Reisezielen der Gay
C o m m u n i t y geworden, die i n z w i schen bereits r u n d zehn Prozent
der jahrlichen Touristen stellt.
Grossstadte wie San Francisco, Los
Angeles und N e w Y o r k mit ihrem beispiellosen K u l t u r - und Freizeitangebot stehen nach wie vor hoch i m Kurs
bei den Schwulen auf der ganzen Welt.
Erlebnishungrige nehmen auch sech-
zehn Flugstunden i n Kauf u n d jetten
Ende Februar nach Australien, u m i n
Sydney an der weltweit grössten Gay
Parade «Mardi Gras» teilzunehmen.
Schwule reisen gern. Frei v o n familiären Verpflichtungen, nicht selten
karriereorientiert u n d daher finanziell
gut gebettet, sind sie prädestiniert dazu, sich ihre Wünsche nach Freiheit
u n d Abenteuer i n der Fremde z u erfüllen. Das darf dann gern auch einmal
etwas Exklusives sein wie beispielsweise eine neuntägige Gay Cruise auf
der «MS Tropicale» durch die Karibik.
I m Februar nächsten Jahres ist es w i e der so weit, u n d r u n d tausend Schwule, darunter immer mehr Schweizer,
gehen an B o r d , u m sich dem ausgelas-
Warum i n die Ferne
schweifen, w o das Gute
so nah liegt, fragen sich
seit
etlichen
Jahren
zwischen 80 u n d 120
Schwule aus der Schweiz,
Brooks Krafl/Sygma
Deutschland, Osterreich,
H o l l a n d , Frankreich u n d
Grossbritannien u n d verbringen jeweils i m M ä r z eine Woche gemeinsam
i m H o t e l «Schweizerhof» i n Lenzerheide. «Skiing w i t h international
gays», k u r z «Swing», heisst der beliebte Anlass, an dem man gemeinsam
Ski fahrt, sich i n Berghütten z u m M i t tagessen oder abends z u m Fondueplausch trifft, an der heimeligen
Hotelbar plaudert u n d Adressen austauscht, denn die nächste Reise nach
Berlin,
Amsterdam,
Paris
oder
L o n d o n k o m m t bestimmt.
D i e Reiselust der Gay C o m m u n i t y
ist auch verschiedenen Unternehmen
der Tourismusbranche nicht verborgen geblieben. So hat die Fluggesellschaft American Airlines i n den Vereinigten Staaten bereits eigene
Abteilungen
eingerichtet,
die sich ausschliesslich den
Bedurfnissen ihrer schwulen u n d lesbischen K u n d e n
w i d m e n . A b e r auch i n der
Schweiz ist man dabei, sich
als besonders «gay friendly»
zu positionieren, u n d hat
den Hauptpreis der diesjährigen M i ster-Gay-Wahlen, zwei Flugtickets i n
die Vereinigten Staaten, gestiftet. Viele
Schwule nehmen solche Solidaritätsgesten sehr genau zur Kenntnis u n d
belohnen die Spender - so Frank E i senlohr - «mit grosser Sympathie, die
sogar dazu fuhren kann, dass man eine
Marke wechselt». Eisenlohrs Worte i n
der SAir G r o u p O h r : Angefragt, ob
man sich am Sponsoring der schwulen
Schonheitskonkurrenz
beteilige,
w i n k t e die Schweizer A i r l i n e ab.
Amerikanische Reisebüros
haben bereits besondere
Abteilungen für Schwule und
Lesben eingerichtet.
senen, mitunter schrillen Treiben
am Pool, beim Mitternachtsbuffet
oder Kostümfest hinzugeben. D i e
Nimmersatten können gerade anschliessend auf die «Star Flyer », eine
Segeljacht, wechseln u n d eine schöne
Märzwoche lang i n den Gewässern
des Fernen Ostens kreuzen.
Wer auf Sex m i t betont jungen
Mannern steht, geht am besten i n
Thailand v o n B o r d . Der Winter i n
Phuket oder Pattaya verspricht nämlich nicht nur Warme, sondern kauf l i -
London-Splitter
Saurer Nebel hängt diesig in
den Strassenschluchten. Ab
und an spielt ein halbfrostiger Wind mit einem kärglichen
Schneeflaum auf den Dachern.
D i e angeblich v o n N a t u r aus
Warmen zieht es auf nicht nur
angeblich warme südliche I n seln. Kollektive Emigration der
Schwestern auf die M o l u k k e n ,
Kanaren, A n t i l l e n . N a m e n , die
w i e bittere M e d i z i n tönen,
zwangsverordnet, u n d bittere
M e d i z i n sind.
Prospekte locken m i t leichtbekleideten jungen Mannern,
hübsch u m
Swimmingpools
drapiert, auf andere leichtbekleidete Manner w a r t e n d , u m
m i t ihnen - n u n auch der leichten Bekleidung entledigt - das
Unvermeidliche z u t u n . Was
dann doch nicht geschieht - soviel z u r bitteren M e d i z i n . Die
schwule Szene ist i m Süden.
O d e r auf den Pisten, die die
Welt bedeuten, weisse Arena,
St. M o r i t z . Skistock an Skistock. M i t genügend C ü p l i i n tus bricht k e i n Knochen.
D e r A l p t r a u m w i r d dadurch,
dass er gemeinsam geträumt
wird,
zum
höchsten
der
Gefühle. F ü r das abendliche
Leistungsprogramm gibt's Viagra u n d dafür, dass man trotz
nicht schlankem B o d y dabei
einbezogen w i r d , Xenical.
V o r den G i p f e l n ist dafür
R u h ' , der letzte groove i m Technoschuppen verhallt, das letzte
gefüllte Präservativ auf den
Autobahnraststätten zertreten.
Wer j etzt nicht gebucht hat, w i r d
lange nicht mehr buchen, w i r d
wachen, chatten, lange E-Mails
schreiben. W i r d hinter dem
selbstverständlich unbeheizten
(Energie! Immission!)
Ofen
hocken u n d i n einen lustlosen
Winterschlaf verfallen. D e r w e i l
i m Süden u n d i n den Bergen vermeintlich der Winterbeischlaf
vollzogen w i r d .
Leichter N e i d beim lustlos
Zurückgebliebenen. E r sinniert
über die Abschaffung des F l u g hafens u n d die Sperrung der
Autobahnen, u m die M i t s c h w e stern i m (Flach-)Land z u halten, auf dass Leichtbekleidete
vor seinem O f e n auf i h n i n der
«gelismeten» Schlutte warten.
E r wäre bereit, beide anzuheizen.
Adrian Ramsauer
Adrian Ramsauer ist grüner
Bezirksanwalt in Zürich und
Gemeinderat in
Winterthur
Von Mark van Huisseling
Spätestens seit Kevin Kline i m K i n o f i l m « A
fish called Wanda» Goldfische direkt aus dem
A q u a r i u m verschlang, weiss jeder, was die
Leibspeise der Briten ist: Fish and Chips,
Fisch u n d Pommes frites also.
Stilechter geniesst man dieses Gericht indes
i n einem Fish-and-Chips-Shop. Etwa i m besuchenswerten «Shepherdess Cafe» an der Ecke
C i t y Road/Shepherdess Walk i m Z e n t r u m v o n
L o n d o n : Ausgebleichte minzgrune Kunstledersitzbanke, rote Plastiktische, N e o n r ö h r e n,
ein ausgetretener Linoleum-Fussboden. U n d
statt Vorhange anzubringen, haben N i c k u n d
Michael, die W i r t e , Gardinen auf die halbblinden Fensterscheiben gemalt.
Küche, deren T ü r e weit offen steht, w i r d geraucht. D o c h das offizielle Hygiene-Zertifikat,
hübsch eingerahmt u n d über der Kasse an die
fettige H o l z w a n d genagelt, beruhigt ängstliche
Gäste. D i e gehören den verschiedensten Gesellschaftsschichten an: Bauarbeiter, die ihre
H e l m e während des Essens auf dem K o p f behalten. Händler m i t standig piepsenden F u n ktelefonen aus der nahen C i t y , der Finanzmeile.
U n d das Essen? Schmeckt gut. Alles; es
schmeckt auch alles ähnlich. Fish and Chips
(Chips, nicht «French Fries», das wäre eine
Provokation i n den A u g en manches europaskeptischen Briten) für drei Pfund zehn - gut
sieben Franken.
K u r z , das L o k a l hat Charme. A u f den zugegebenermassen etwas schmierigen Tischen
stehen Plastikflaschen m i t Senf u n d Ketchup,
das Besteck ist aus verbogenem Blech, u n d die
Kellnerinnen haben tätowierte Unterarme.
U m die Aschenbecher zu putzen, nehmen sie
schon mal einen Zipfel ihrer Schurzen. I n der
Shepherdess Cafe, Shepherdess Walk/City
Road (U-Bahn-Station
Old Street), London
Nl, Telefon (0171) 2H 24 63, geöffnet:
Montag bis Freitag 08.00 bis 17.00, Samstag
bis 14.00 Uhr