COLLECTIVE STORYTELLING

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COLLECTIVE STORYTELLING
 COLLECTIVE STORYTELLING AUF DER FRANKFURTER BUCHMESSE 2011
In fünf Live-Sessions treten an den fünf Messetagen jeweils 90 Minuten Autoren – vom
Lyriker über Games-Entwickler und Songwriter bis zum Schriftsteller und Drehbuchautor –
im Open Space-Pavillon auf und erzählen auf ihre individuelle Art eine Storyline weiter. Diese
führt durch ein weites Spektrum an Genres: von Fantasy über Liebesroman bis zu Science
Fiction und Games.
Was die individuellen Geschichten zu einer Storyline fügt, sind die Thema der
Veranstaltungen im Open Space, der gemeinsamen Veranstaltungsfläche der Frankfurter
Buchmesse und der Audi AG: Offenheit und Vernetzung, Veränderung und Fortschritt,
Kreativität und Innovation.
Die ganze Geschichte ist auch nachzulesen im Blog der Frankfurter Buchmesse unter
www.buchmesse.de/blog
„Tunnelblick“
1. Tag (12. Oktober 2011) - Autor: Jan Peter Bremer
Er öffnete die Tür des Zugabteils und sagte hilflos: „I’m all alone in the world.
I don’t know who I am. Please help me.“
Vor dem gepflegt aber erschöpft aussehenden jungen Mann, saß eine Mutter mit zwei
Kindern.
„Was will der, Mama?“ fragte eines Kinder und drängelte sich auf dem Sitz an die Mutter
heran.
„Do you speak German?“ fragte die Mutter und lächelte ebenso hilflos zurück.
Just in diesem Moment brauste der Zug in einen Tunnel und als er wieder in die Helle kam,
da fehlte nicht nur der junge Mann, sondern auch eines der Kinder.
Mit einem Schrei sprang die Frau aus ihrem Sitz auf und eilte, das andere Kind auf dem Arm
in schrecklicher Vorahnung durch den Zug….
2. Tag (13. Oktober 2011) - Autoren: Falko Löffler/Martin Ganteföhr
Die Kinder hatten sich kaum wecken lassen.
Linda hatte die Vorhänge des Kinderzimmers mit einem Ruck aufgezogen. und das Licht
eingeschaltet. Dann war sie in ihr Schlafzimmer gegangen, um die nötigsten Sachen zu
packen. Sie besann sich, kehrte ins Kinderzimmer zurück und setzte sich bei ihrem Sohn an
die Bettkante. „Wir müssen uns beeilen, Anton.“ Sie strich ihm über die Wange, er brummte
schlaftrunken. „Du musst der Mama heute helfen. Wir verreisen.“
Ihr Sohn setzte sich auf. „Wohin?“
„Ich erkläre es dir im Zug.“
„Kommt Papa auch mit?“
„Nein.“
Sie trat an Neles Bett und gab dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn.
Das Telefon läutete im Flur. Linda stand auf, ging in den Flur. Sie blieb vor dem Apparat
stehen, blickte aufs Display, zögerte - und ließ es klingeln.
Linda gab dem Taxifahrer zu viele Scheine. Sie wartete nicht aufs Wechselgeld. „Kommt“,
sagte sie zu den Kindern. Die drei hasteten durch die Bahnhofshalle und erreichten den Zug
zwei Minuten vor der Abfahrt.
Der Zug war überfüllt. Sie fand nur mit Mühe drei freie Plätze in einem Abteil.
Linda ließ sich in den Sitz fallen. „Geschafft ...“
3. Tag (14. Oktober 2011) - Autor: Anthony McCarten
Der Zug fuhr in den Bahnhof ein, und Linda sprang aus dem Waggon der zweiten Klasse auf
den Bahnsteig. Sie sah sich um, suchte nach dem Fremden und ihrer Tochter. „Nele!“ schrie
sie, so laut sie konnte. Und dann entdeckte sie einen Mann, der von hinten so aussah wie der,
nach dem sie suchte. Mit einem Schlag aber war der Bahnsteig voller Menschen. „Nele!“ Sie
verlor den Mann aus den Augen. Den kleinen Anton auf dem Arm, dessen Gewicht ihr das
Fortkommen erschwerte, drängte sie sich durch die Menge. Mit einem Pfiff kündigte der
Schaffner die Abfahrt des Zuges an. Endlich erreichte sie den Mann, hinter dem sie her war.
Er drehte sich um, und sie erkannte, dass er nicht der richtige war. Noch war das Kind, das er
an der Hand hielt, ihre geliebte Nele. Die Zugtüren schlossen sich vor ihr, und in diesem
Augenblick entdeckte sie den Mann, den sie verfolgt hatte, in einem Abteil der ersten Klasse
– und neben ihm Nele, die glücklich ein Eis leckte.
„Idiot!“
Der russische Oligarch hämmerte die Faust auf den Tisch im Abteil der ersten Klasse.
Langsam rollte der Zug aus dem Bahnhof.
„Es war dunkel. Ich weiß auch nicht! Ich weiß nicht, wie …“, jammerte Boris.
„Wie konntest du dir das falsche Kind greifen! Ich sollte dich umlegen!“, donnerte Wladimir
ihn an. „Die Kinder müssen ausgetauscht werden. Ich will das Kind des Mannes, der mir
meine Frau genommen hat, nie wieder sehen.“
„Und wie willst du das anstellen?“
„Das weiß ich noch nicht.“
Nele leckte an dem Eis, das der freundliche Mann ihr gekauft hatte. Dessen Kopf aber wurde
gerade von einem anderen Mann, der etwas in einer Sprache brüllte, die sie nicht verstand,
mit einer zusammengerollten Zeitung bearbeitet.
Wladimir hielt in seinem Angriff inne. Er keuchte, drehte sich weg und erkannte in diesem
Moment draußen auf dem Bahnsteig die Frau, die er einmal von ganzem Herzen geliebt hatte,
und das Kind, das dieser Liebe entsprungen war. Ihre Blicke trafen sich, genau wie vor zehn
Jahren in St. Peterburg, als sie in diesem roten Kleid und den Jack Russel an der Leine in das
Restaurant gekommen war.
4. Tag (15. Oktober 2011) - Autor: Alban Nikolai Herbst
Linda erschrickt fast zu Tode, als sie Wladimir erkennt. In dem Moment fällt Neles Blick auf
das Gesicht ihrer erschütterten Mutter.
Sie schreit: „Mama! Mama!“ Und sie beginnt zu weinen.
Das hört jemand im Nachbarabteil und informiert den Zugbegleiter. Der reagiert sofort und
lässt den Zug halten.
Scharfes, langes Quietschen der Metallräder.
Linda hört dieses Quietschen, sie sieht den Zug anhalten und rennt und rennt, ergreift die
Öffnungsschlitze einer Tür, öffnet sie, springt hinein und rennt durch die Gänge. Was nicht
leicht ist, weil die Reisenden aufgeregt sind, rufen, sich drängen. Sie drängt sich hindurch.
„Nele! Nele!“
Anton ist langsam seiner Mutter hinterher. Auch er versucht, sich durch die Leute zu wühlen.
„Nele!“ Und die Mama hat ihr Töchterchen an sich gedrückt.
Derweil, weil sie Angst vor der Polizei haben, sehen Wladimir und Boris zu, unbemerkt aus
dem Zug zu kommen.
Da entdeckt Boris den kleinen Anton. Und er ergreift ihn. Unbemerkt kommen die beiden,
also die zwei mit ihrer Geisel, wegen des aufgeregten Gewühls aus dem Zug. Die Mutter sieht
es, kämpft sich durch das Gewühl mit Nele aus dem Zug und läuft hinterher.
Als beide draußen sind, erscheint auf dem Nachbargleis Neles Vater, den aber auch Anton für
seinen wirklichen Vater hält. „Vati!“ rufen die Kinder und rennen zu ihm hin, wobei der
kleine Anton ein Überraschungsmoment ausnutzt und sich von Boris losreißen kann.
Unterdessen ist die Polizei eingetroffen und der noch immer sehr aufgeregte Schaffner
versucht, die Situation zu erklären. Alle sammeln sich auf dem Bahnsteig.
Da zeigt Linda auf Boris und sagt: „Der hat meine Tochter entführt!“ Sofort greift die Polizei zu.
(Sie schützt Wladimir, obwohl sie weiß, dass er für die Entführung verantwortlich ist.)
In dem Moment zückt Wladimir seinen Revolver. Linda schreit ihre Kinder an: „Duckt euch!“
Boris ruft: „Aber ich habe doch nur meinen Auftrag ausgeführt!“ Und er stößt die Polizisten
weg, zieht ebenfalls einen Revolver, Linda ruft wieder: „Duckt euch!“
Diese Situation nutzt der andere Mann, Neles Vater, um sich mit beiden Kindern zu
verdrücken.
Da nimmt Wladimir, indem er sie an sich reißt, Linda als Geisel, hält den Revolver an ihre
rechte Schläfe und zischt: „Zurück! Oder ich schieße. Und gebt mir meinen Sohn!“
Linda aber sagt: „Er wird mir nichts tun, er wird mir nichts tun… Der liebt mich immer noch.“
Wladimir: „Verlass dich nicht drauf.“ Und zu den Polizisten: „Die Waffen herunter, meine
Herren.“
Die Polizisten lassen die Waffen sinken, und Wladimir setzt sich, langsam rückwärtsgehend,
mit seiner Geisel ab. Die Polizei folgt in gebührendem Abstand.
Parallel sind die Absperr- und sonstigen Sicherheitsmaßnahmen der Polizei im Hintergrund
verlaufen.
5. Tag (16. Oktober 2011) - Autor: NHOAH
Plötzlich schnappt der Jack Russell nach Wladimirs Bein.
Er ist schon älter, aber noch immer derselbe Hund wie damals in St. Petersburg. Er dreht sich,
beißt einen Polizisten, stürzt dann sogar auf Anton los, um ihn zu beißen und zu guter Letzt
an Lindas Bein zu zerren. Die Hand an Lindas Hals würgt sie übermächtig.
„Linda, Linda, wach auf!“
Sie öffnet ihre Augen und blickt in das Gesicht ihres Mannes Bernd.
„Linda, wo sind die Kinder?“
„Was machst du denn hier?“, fragt Linda.
„Es tut mir leid wegen gestern, wegen unseres Streits über Boris, sorry, ich bin euch
nachgefahren und hier eingestiegen.“
„Papa, Papa“ rufen Anton und Nele und stürmen in das Abteil.
Linda sagt: „ Du glaubst ja gar nicht, was ich geträumt habe. Da war dieser Stalker aus St.
Petersburg, der mir mit den roten Rosen nach ist, als ich schwanger war.“
Bernd sagt: „ Es tut mir leid, dass du so schlecht geträumt hast, aber du hattest mir das mit
Boris doch vergeben?“
Linda lächelt ihn an und sagt: „ Ja – Wladi, lass’ doch mal mein Hosenbein in Ruhe!“ Der Jack
Russell lässt von dem Kleidungsstück ab.
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Der Zug ruckt an, die Kinder gucken aus dem Fenster:
„Papa, schau mal “
Die Eltern sind noch viel zu vertieft um zu reagieren.
„Maaaaann, Papa, nun schau doch endlich mal!“ Die Eltern drehen sich zum Fenster. Draußen
ist die Polizei damit beschäftigt, den Bahnhof abzusperren.
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Der Zug ruckt an.
„Die Fahrkarten bitte!“ Der Schaffner reißt die Familie aus ihrem Gespräch. Noch aufgelöst
von den Ereignissen, suchen sie nach den Tickets. Linda reicht dem Schaffner die Karten.
„Sie sind hier falsch, im falschen Zug meine ich“, sagt der Schaffner „Der Zug geht nach St.
Petersburg und nicht nach Berlin, wie es auf ihren Tickets steht.“
Fragend blickt Linda in die Augen ihres Mannes und in diesem Moment fährt der Zug in
einen Tunnel ein.
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Der Zug ruckt an.
„Ihr wisst ja gar nicht, wie froh ich bin, euch wieder zu haben, “ sagt Bernd und lächelt seine
drei an. „Ich muss nur mal kurz auf die Toilette.“
Er verlässt das Abteil.
Ein junger Mann öffnet die Tür des Zugabteils und sagt hilflos: „I’m all alone in the world. I
don’t know who I am. Please help me.“
…

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