Kinderschutz als gesellschftliche Herausforderung

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Kinderschutz als gesellschftliche Herausforderung
Niedersächsisches Ministerium
für Soziales, Frauen, Familie,
Gesundheit und Integration
Kinderschutz als gesellschaftliche
Herausforderung
Leitlinien einer Politik des
Kinderschutzes in Niedersachsen
1
Inhaltsverzeichnis
5Land und Kommunen handeln gemeinsam für einen aktiven Kinderschutz
9
Kindergesundheit fördern
13
Erziehungskompetenz stärken
25
Gelingendes Aufwachsen durch Frühe Hilfen sichern
33
Gefahren erkennen und professionell reagieren
49
Vernetzung vor Ort
53
Kinderarmut bekämpfen
61 Kinderrechte durchsetzen
Impressum
Herausgeber
Niedersächsisches Ministerium für
Soziales, Frauen, Familie,
Gesundheit und Integration
– Pressestelle –
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2
30159 Hannover
Redaktion
Britta Grashorn M.A.
[email protected]
Interviews
Lutz Worat
www.signo-online.de
Gestaltung
Dipl. Grafik-Designer Andreas Zickert
www.signo-online.de
Druck
Druckerei Biewald GmbH
Fotos
Shutterstock Images LLC (30)
privat (5)
Diese Broschüre darf, wie alle Publikationen der Landesregierung, nicht
zur Wahlwerbung in Wahlkämpfen
verwendet werden.
2
Liebe Leserin, lieber Leser,
als Niedersächsische Jugend- und Familienministerin ist es mir ein Herzensanliegen, den
Kinderschutz weiter zu fördern und innovative Wege zu beschreiten.
Zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung zählt es, Kindern gute Bedingungen für
ihr Aufwachsen zu bieten. Eltern haben die Aufgabe, sie zu unterstützen und in ihrer
Entwicklung zu fördern. Daher ist es ein wichtiges Ziel, Eltern bei dieser Aufgabe zu
unterstützen und ihnen – wo nötig – möglichst frühzeitig und leicht erreichbare Hilfe
anzubieten. Eine der großen Aufgaben des Landes ist es, den Kinderschutz offensiv
weiterzuentwickeln. Die vorliegende Broschüre erläutert unsere politischen Leitlinien im
Kinderschutz und veranschaulicht gleichzeitig, wie wir diese Leitlinien praktisch umsetzen.
Dabei wird das Thema in seiner ganzen Bandbreite erfasst – von der frühesten Prävention bis zur Intervention bei konkreten Kindeswohlgefährdungen. Ergänzend werden die
Themen Kinderarmut und Kinderrechte ebenfalls beleuchtet.
Ganz besonders möchte ich allen danken, die sich ehrenamtlich oder hauptamtlich
um die Unterstützung von Kindern und Familien, aber auch um den Schutz von Kindern
kümmern. Sie leisten wertvolle und unverzichtbare Arbeit.
Ihre
Aygül Özkan
Niedersächsische Ministerin für
Soziales, Frauen, Familie,
Gesundheit und Integration
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4
Land und Kommunen handeln
gemeinsam für einen aktiven
Kinderschutz
5
Land und Kommunen handeln
Finanzielle Förderung
gemeinsam für einen
Niedersachsen verfügt über eine gut ausgebaute und bewährte
aktiven Kinderschutz
Strukturen auch in Zukunft erhalten und sicherstellen, dass die mit
Infrastruktur im Kinderschutz. Das Land wird diese bewährten
einer Landesförderung unterstützten Institutionen ihre wichtige
und erfolgreiche Arbeit weiterführen können. Der hohe Stellen-
Freie und öffentliche Träger bieten eine Vielzahl von Maßnahmen
wert des Kinderschutzes für das Land wird nicht zuletzt daran
und betreiben vielfältige Einrichtungen und Dienste der Kinder-
deutlich, dass die zur Verfügung gestellten Mittel in den vergan-
und Jugendhilfe und des Kinderschutzes. Aber auch viele andere
genen Jahren stetig gestiegen sind. Allein für den engeren Bereich
Institutionen wie Schulen und Kindertagesstätten sowie Einzelper-
des Kinder- und Jugendschutzes liegt die gesamte Fördersumme
sonen und niedergelassene Kinderärzte arbeiten mit Kindern in
derzeit bei rund 2,5 Mio. Euro pro Jahr.
unterschiedlichen Situationen. Alle, die mit Kindern tagtäglich in
Kontakt kommen, haben die Aufgabe, die „Kultur des Hinsehens“
mit zu entwickeln. Kinderschutz greift dort, wo Kinder leben, wo
Weiterentwicklung neuer Arbeitsansätze
sie und ihre Familien konkrete Unterstützung benötigen und wo
Die Landesregierung wird neue fachliche Ansätze im Kinder-
ihr Wohl gefährdet sein könnte: in der örtlichen Gemeinschaft der
schutz erproben. Ein Beispiel sind die Familienhebammen. Hier
Städte, Gemeinden und Landkreise. Ein wirksamer Kinderschutz
war Niedersachsen Vorreiter und ist mit der bundesweit ersten
vor Ort führt zu einem wirksamen Kinderschutz landesweit.
Weiterbildung zur staatlich anerkannten Familienhebamme noch
Daher kommt den Kommunen aufgrund ihrer gesetzlich festge-
immer führend. Nach derzeitigen Planungen des Bundes wird die-
legten Gesamtverantwortung eine zentrale Funktion zu. Präventi-
se Hilfeform zukünftig durch Bundesrecht abgesichert werden.Ein
on und familienfreundliche Strukturen sind wichtige Bestandteile
weiteres Beispiel sind die Koordinierungszentren Kinderschutz –
des Kinderschutzes. Es gilt, Maßnahmen aufeinander abzustim-
Kommunale Netzwerke Früher Hilfen, die Ende des Jahres zu
men, so dass ein Netz entsteht, durch das kein Kind fallen kann.
Regelangeboten werden (Stand: April 2011).
Kommunen nehmen dabei eine wichtige Steuerungsfunktion
wahr. Die Planungs- und Koordinierungsaufgabe für den Kinderschutz liegt vor Ort.
Das Land unterstützt die Kommunen bei dieser Aufgabe. Diese
Unterstützung besteht insbesondere in
– der finanziellen Förderung,
– der Weiterentwicklung neuer Arbeitsansätze,
– der Fortbildung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie
– der Sicherstellung des Informationstransfers.
Diesen Aufgaben wird das Land auch zukünftig nachkommen und
somit ein Partner sein, der für Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit
steht.
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Fortbildung
Informationstransfer
Das Land bietet eine breite Palette von Fortbildungsmöglichkeiten
Um sich mit den zentralen Partnern im Bereich des Kinderschutzes
im Kinderschutz. Sowohl das Landesamt für Soziales, Jugend und
auszutauschen, lädt das Sozialministerium regelmäßig zu Kinder-
Familie als auch die Landesstelle Jugendschutz führen jährlich
schutzkonferenzen ein, um neue Entwicklungen zu erörtern und
eine Vielzahl von Veranstaltungen durch. Die Kinderschutzzen-
Initiativen anzustoßen.
tren in Hannover und Oldenburg setzen neben ihrem normalen
Um aktuelle Entwicklungen zeitnah und unkompliziert einer
Fortbildungsangebot im Jahr 2011 die Fortbildungsoffensive mit
breiten Fachöffentlichkeit bekannt zu machen, hat das Land das
zusätzlichen 20 Inhouseveranstaltungen zum Thema Kinderschutz
Internetportal www.kinderschutz-niedersachsen.de eingerichtet.
fort. Darüber hinaus fördert das Land die Fortbildungen zur Kin-
Damit wurde der Informationsfluss zum Thema Kinderschutz wei-
derschutzfachkraft der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinder-
ter verbessert. Das Internetportal wird auch zukünftig ein wichti-
schutzzentren. Diese stark nachgefragten Kurse werden auch in
ger Informationspool sein.
Zukunft angeboten.
Neben aktuellen Informationen zu relevanten Themen sind hier
Fortbildungsangebote, Fachmaterialien, Arbeitshilfen und Kontaktdaten der im Kinderschutz tätigen Institutionen dargestellt.
Auf dem integrierten Themenportal www.koordinierungszentrenkinderschutz.de sind Hinweise und Materialien zu dem Landesprojekt Koordinierungszentren Kinderschutz – Kommunale Netzwerke Früher Hilfen hinterlegt. Ratsuchende gelangen unter den
Rubriken Rat und Hilfe bei Kindesgefährdung und Rat und Hilfe
bei sexueller Gewalt an Kontaktadressen und Beratungsangebote.
Internetportal
www.kinderschutz-niedersachsen.de
www.kinderschutz-niedersachsen.de
Kinderschutz
IN NIEDERSACHSEN
7
8
Kindergesundheit
fördern
9
Kindergesundheit fördern
Ein U fürs Leben
Die U-Untersuchungen sorgen für einen guten Start ins Leben:
Von den ersten Lebensstunden an sollen damit Störungen der
körperlichen, geistigen oder sozialen Entwicklung bei Kindern
erkannt werden, so dass zügig entsprechende Therapien eingelei-
Das Land Niedersachsen unterstützt die gesundheitliche Entwicklung junger Menschen durch zahlreiche Aktivitäten, die sich
tet oder präventiv eingegriffen werden kann.
Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Kranken-
vor allem auf die Primärprävention richten: gesunde Ernährung,
kassen (GBA) hat in seinen Kinder-Richtlinien am 26. April 1976
Bewegung, Impfungen, Jugendzahnpflege/Gruppenprophylaxe,
erstmals ärztliche Maßnahmen zur Früherkennung bis zur Voll-
Tabakprävention, Suchtprävention. Die meisten Maßnahmen ha-
endung des sechsten Lebensjahres festgelegt. U1 bis U9 werden
ben einen interdisziplinären Ansatz; einige setzen auf Vernetzung
seither in dem gelben Heft des GBA dokumentiert. Rechtsgrund-
mehrerer Ressorts innerhalb der Landesregierung. Im Rahmen der
lage der Kindervorsorgeuntersuchungen ist § 26 SGB V. Sie sind
Entwicklung von Gesundheitszielen auf Ebene des Bundes und der
in Deutschland bereits seit 1971 Leistungen der Krankenkassen,
Länder wurden auch in Niedersachsen Themen der Kindergesund-
die von den Eltern in Anspruch genommen werden können, aber
heit aufgegriffen und mehrere Gesundheitsziele formuliert und
nicht müssen. Pflicht ist dagegen die Schuleingangsuntersuchung.
bearbeitet.
Seit dem Frühjahr 2006 gibt es für alle Kinder und Jugendliche im
Alter von sieben bis 18 Jahren ein zusätzliches Vorsorgeheft, in
dem vier weitere Untersuchungen von den Kinder- und Hausärzten dokumentiert werden: U10, U11, J1 und J2.
Verbindliche Vorsorge
Die Erfahrungen mit den U-Untersuchungen zeigen auch in Niedersachsen, dass die Mehrheit der Eltern gewissenhaft die Früherkennungsuntersuchungen für ihre Kinder wahrnimmt. Allerdings
wird bundesweit beobachtet, dass die Teilnahme vom zweiten
Lebensjahr bis zum Vorschulalter (U7 bis U9) abnimmt. Das betrifft
insbesondere Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern und
Ein U für’s
Leben.
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von Familien mit Migrationshintergrund. Das führt beispielsweise
dazu, dass der Impfstatus dieser Kinder nicht komplett ist oder
Entwicklungsstörungen vor der Einschulung nicht erkannt und
auch nicht rechtzeitig behandelt werden können.
Untersuchungsstufe
Toleranzgrenze
U 5
6. – 7. Lebensmonat
U 5
5. – 8. Lebensmonat
U 6
10. – 12. Lebensmonat
U 6
9. – 14. Lebensmonat
U 7
21. – 24. Lebensmonat
U 7
20. – 27. Lebensmonat
U 7a
34. – 36. Lebensmonat
U 7a
33. – 38. Lebensmonat
U 8
46. – 48. Lebensmonat
U 8
43. – 50. Lebensmonat
Die gesetzlichen und privaten Krankenkassen übernehmen während des vorgesehenen Untersuchungszeitraums und innerhalb einer
weiter gefassten Toleranzgrenze (li. Spalte) die Kosten für die Früherkennungsuntersuchungen.
Zusätzlich haben Fälle von verwahrlosten und misshandelten
Reibungsloser Start in Niedersachsen
Kindern den Entschluss reifen lassen, die Teilnahmen an der Kin-
Am 28. Oktober 2009 stimmte der Niedersächsische Landtag
dervorsorge verbindlicher zu gestalten, um möglichst alle Kinder
dem Niedersächsischen Gesetz über das Einladungs- und Melde-
frühzeitig zu erreichen. Ein entsprechendes Verfahren musste
wesen für Früherkennungsuntersuchungen von Kindern (NFrüh-
gesetzlich geregelt werden. Dabei konnte sich die Gesetzesini-
erkUG) zu, das als Artikel 1 des neuen Gesetzes zur Förderung
tiative auch auf Beschlüsse der Regierungschefs der Länder, der
der Gesundheit und Verbesserung des Schutzes von Kindern in
Jugendministerkonferenz sowie der Gesundheitsministerkonferenz
Niedersachsen am 1. April 2010 in Kraft trat. Ziel des Gesetzes
stützen, die darin übereinstimmten, dass Einladungen zu den
ist es, die Gesundheit von Kindern zu fördern und den Kinder-
Früherkennungsuntersuchungen verbunden mit Rückmeldungen
schutz zu verbessern. Kinder sollen in größerem Maß als bisher an
und Kontrollen zum wirksamen Schutz aller Kinder beitragen.
Gesundheitsuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten
Die Nichtteilnahme an den U-Untersuchungen kann im
Einzelfall dazu führen, dass möglicherweise dringend gebotene
und Fehlentwicklungen teilnehmen.
In Niedersachsen verlief der Start der verbindlichen U-Einladung
Behandlungen oder Präventionsmaßnahmen unterbleiben. Daher
reibungslos: Seit dem 1. April 2010 werden pro Jahr die Eltern
kann sie auch ein Indiz dafür sein, dass die Eltern ihrer Pflicht zur
von schätzungsweise bis zu 320 000 Kindern vom Landesamt für
Pflege ihrer Kinder nicht ausreichend nachkommen. Vor diesem
Soziales, Jugend und Familie (LS) zu den Kinderfrüherkennungsun-
Hintergrund hat sich das Land Niedersachsen entschlossen, diese
tersuchungen U5, U6, U7, U7a und U8 eingeladen. Die Arztpra-
Fälle den örtlichen Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhil-
xen bestätigen gegenüber dem LS lediglich die erfolgten Unter-
fe zu melden und ihnen damit die Möglichkeit zur Kontrolle und
suchungen, es werden keine medizinischen Daten übermittelt.
helfenden Intervention zu eröffnen.
Versäumen die Eltern die erste Frist, werden sie daran erinnert, die
Untersuchung nachzuholen. Liegt trotz Einladung und Erinnerung
keine ärztliche Bestätigung über eine durchgeführte Untersuchung vor, informiert das LS die örtlich zuständige Kinder- und
Jugendhilfe. Die Kommune prüft dann im Einzelfall, ob sie sich im
Sinne des Kindeswohls einschaltet.
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Information ist A und O
Für Fragen rund um das Verfahren stehen eine Telefon-Hotline
des LS-Teams U-Untersuchung sowie ein Faltblatt zur Verfügung.
Zusätzlich bietet der Internetauftritt des Landesamtes für Soziales,
Jugend und Familie unter www.u-untersuchungen.niedersachsen.
de aktuelle Informationen auf Deutsch, Englisch, Französisch,
Türkisch, Russisch und Arabisch, die auch den Einladungs- und
Erinnerungsschreiben beigelegt werden. Das Einladewesen ist
mit der Ärztekammer Niedersachsen, den Berufsverbänden der
Kinderärzte und der Hausärzte und mit dem Niedersächsischen
Landesbeauftragten für Datenschutz abgestimmt. Alle niedergelassenen Kinderärzte und Hausärzte in Niedersachsen wurden
umfassend informiert.
Nach einem knappen Jahr hat Niedersachsens Gesundheitsministerin Aygül Özkan im Frühjahr 2011 eine erste, positive Bilanz
des neuen Vorsorgekonzeptes gezogen: Eltern von 240 000 Kindern wurden im Jahr 2010 angeschrieben und zur jeweiligen U
eingeladen. 76 000 Erinnerungsschreiben wurden verschickt.
85 Prozent haben die Untersuchungen wahrgenommen.
In 9 100 Fällen wurden die Jugendämter informiert.
„U-Untersuchungen geben den Eltern Sicherheit und
den Kindern die Chance auf einen gesunden Start.”
Aygül Özkan, Niedersächsische Ministerin für Soziales,
Frauen, Familie, Gesundheit und Integration
Informationsangebote
Themenseite Internetauftritt Landesamtes für Soziales,
Niedersächsisches Gesetz über das Einladungs- und Mel-
Jugend und Familie
dewesen für Früherkennungsuntersuchungen von Kindern
www.u-untersuchungen.niedersachsen.de
(NFrüherkUG):
www.nds-voris.de > NFrüherkUG
Hotline Team U-Untersuchung Niedersächsisches Landesamt
für Soziales, Jugend und Familie: (0180) 2001560 (0,06 Euro
Internetportal Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-
je Anruf)
rung (BZgA)
www.kindergesundheit-info.de
Arbeitsschwerpunkt Gesundheit im Elementarbereich Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. (LVG & AFS)
BzgA-Projekt Ich geh’ zur U! Und Du?
www.ich-geh-zur-u.de
www.gesundheit-nds.de
BzgA-Fachdatenbank zu bundesweiten Aktivitäten, Medien
und Maßnahmen zur Prävention von Kinderunfällen:
www.bzga.de/kindersicherheit
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Erziehungskompetenz
stärken
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Erziehungskompetenz stärken
Landesprogramm Familienförderung
Im Rahmen des Landesprogramms Familien mit Zukunft (2007 bis
2010) haben das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration sowie das Niedersächsi-
Eltern haben das Recht und die Pflicht ihre Kinder zu erziehen. Sie
sche Kultusministerium 100 Millionen Euro in die unterstützende
sind die wichtigsten Bezugspersonen in den ersten Lebensjahren.
Infrastruktur für Familien und die qualifizierte Kinderbetreuung
Ihnen kommt die wichtige Aufgabe zu, die Erziehung von Kindern
in Niedersachsen investiert. Das Herzstück sind die mittlerweile
erfolgreich zu gestalten und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich
rund 300 Familien- und Kinderservicebüros in den Kommunen.
positiv zu entwickeln. Dieser Herausforderung gerecht zu werden
Sie haben sich in ihrem jeweiligen Wirkungskreis als zentrale
ist nicht immer einfach. In einer sich ständig weiter entwickelnden
Anlaufpunkte für Eltern und Kinder etabliert. Die Büros verbessern
Welt wird auch Erziehung zunehmend komplexer.
in den Städten, Gemeinden und Landkreisen die Rahmenbedin-
Gleichzeitig wird durch die Forschung belegt, wie wichtig gera-
gungen für die Vereinbarkeit von Familien und Beruf. Darüber
de die ersten Lebensjahre für die spätere Entwicklung von Kindern
hinaus unterstützt das Land zahlreiche Frühe Hilfen, Projekte und
sind. In dieser Zeit lernen Kinder zuerst und am intensivsten. Der
Programme, die Mütter und Väter bei der Erziehung ihrer Kinder
Erziehungskompetenz von Eltern kommt daher eine große Bedeu-
ab der Geburt unterstützen, stärken oder entlasten.
tung für die Entwicklung ihrer Kinder zu. Eltern die notwendige
Von 2011 an werden die Familienbüros weiterentwickelt.
Unterstützung zu bieten und sie in ihrer Erziehungskompetenz zu
Gemeinsam mit den Kommunen soll die Arbeit verstetigt und
stärken ist daher besonders wichtig. Um dieses Ziel zu erreichen,
dort, wo es notwendig erscheint, qualitativ verbessert werden.
fördert das Land verschiedene Maßnahmen.
Dabei stehen Frühe Hilfen und Angebote der Elternbildung im
Zentrum. Die Schwerpunkte der künftigen Förderung für das
aktuelle Landesprogramm Familienförderung hat das niedersächsische Sozialministerium in den Grundsätzen über die Gewährung
von Zuwendungen zur Förderung von Familien unterstützenden
Maßnahmen und Frühen Hilfen formuliert.
www.familien-mit-zukunft.de > Landesprogramm >
Familienförderung ab 2011
Neue Förderrichtlinie
Die Förderung durch das Land Niedersachsen kann von den Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe beantragt werden.
Familien- und Kinderservicebüros, die fortgeführt oder neu errichtet werden, können ebenso unterstützt werden wie Projekte. Voraussetzung ist, dass die Familienbüros ihr koordinierendes Serviceund Dienstleistungsangebot nach dem Landesprogramm (neu)
ausrichten. Pro Servicebüro in Landkreisen, kreisfreien Städten
und Städten ab 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern werden
jährlich bis zu 10 000 Euro gewährt; für alle übrigen Kommunen
bis zu 3 900 Euro pro Jahr.
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Gefördert werden Projekte, die
wellcome
– neue Wege in der Familienbildung erproben,
– Familien aus besonderen Zielgruppen (Migrationshintergrund,
soziale Brennpunkte) oder
– aufsuchende Elternarbeit (z.B. Erziehungs-/Integrationslotsinnen und -lotsen, wellcome) unterstützen,
Familien leben heute oft isoliert mit nur wenigen sozialen Kontakten. Großeltern oder Tanten, die um die Ecke wohnen, und eine
gewachsene, verlässliche Nachbarschaft sind nicht mehr die Regel
sondern die Ausnahme. Das „Dorf“, das es braucht, um ein Kind
– Angebote Früher Hilfen zum Inhalt haben,
großzuziehen, ist nicht mehr vorhanden. Die erste Zeit nach der
– zur Stärkung benachteiligter Kinder mit begleitender
Geburt kann Eltern überfordern. Das gilt besonders, wenn die
Elternarbeit beitragen,
– Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu spezifischen
Themen fortbilden.
Geburt schwer war, neben dem Neugeborenen weitere Kinder
betreut werden müssen oder der Partner entweder nicht zur
Verfügung steht oder in der Zeit des Wochenbetts keine Unterstützung leisten kann.
Das Land fördert Projekte bis zu maximal 50 Prozent. Die antrags-
Hier setzt wellcome
berechtigten Jugendämter können die Mittel an Kommunen
an. Hauptamtliche Koor-
und freie Träger weitergeben, die Entscheidung darüber liegt bei
dinatorinnen vermitteln
ihnen. Grundlage hierfür sind
den Kontakt zwischen
– ein zielorientiertes Handlungskonzept für die geplanten
Familien und Ehrenamtli-
Maßnahmen in Kooperation mit den örtlichen freien Trägern
chen. Diese unterstützen
und mit den Gemeinden des Zuständigkeitsbereichs, die nicht
die Familien so, wie
Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe sind,
es sonst Großeltern,
– eine jährliche Evaluierung und Fortschreibung der Maßnahmen
Nachbarn oder Freunde
– und die Vernetzung und Abstimmung der Angebotsstruktur.
tun würden. Zwei bis drei
mal in der Woche besucht die ehrenamtliche
Mitarbeiterin die Familie,
ohne dabei die professionelle Hilfe durch Hebammen zu ersetzen. Diese Auszeit für die Mutter trägt deutlich zur Entspannung
der Eltern bei, was wiederum unmittelbar den Kindern zugute
kommt. Gleichzeitig sind die Familien-Fachfrauen auch telefonische Beraterinnen für Fragen rund um die Geburt. wellcome ist
für alle Mütter da. Es ist eine Form moderner Nachbarschaftshilfe,
die Fachlichkeit und ehrenamtliches Engagement bei der Unterstützung von Familien mit Neugeborenen verbindet: Geschulte
Helferinnen entlasten die Eltern über einige Monate für ein paar
Stunden pro Woche – durch Ausflüge mit den Geschwisterkindern
auf den Spielplatz, kleinere Erledigungen im Haushalt oder durch
Erfahrungsaustausch. Oft werden Familien an andere Stellen
vermittelt, wenn über die befristete Nachbarschaftshilfe hinaus
Bedarf an weiterer Unterstützung erkennbar ist.
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wellcome in Niedersachsen
Starke Eltern – Starke Kinder
Im Mai 2010 hat Sozialministerin Aygül Özkan als Schirmherrin für
die wellcome-Teams im Land den 30. niedersächsischen Standort
Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) hat ein Kursangebot für
in der Katholischen Familienbildungsstätte in Hannover eröffnet.
alle Mütter und Väter entwickelt, um ihnen mehr Freude, Leichtig-
Bundesweit ist Bundeskanzlerin Angela Merkel Schirmherrin für
keit und zugleich mehr Sicherheit in der Erziehung zu vermitteln:
wellcome. Mit dem neuen wellcome-Büro in Hannover gibt es
Starke Eltern – Starke Kinder ® wird mittlerweile an vielen Orten
mittlerweile 140 Standorte in Deutschland, die meisten davon
in Deutschland angeboten und dabei von den DKSB-Landesver-
in Niedersachsen. Mehr als 300 Ehrenamtliche engagieren sich
bänden an die Bedürfnisse in den einzelnen Regionen angepasst.
hier für junge Familien. Interessierte, die Unterstützung benöti-
Die Kurse richten sich nach dem altersspezifischen Bedarf, etwa in
gen oder die sich hier engagieren wollen, können sich direkt bei
Kindergärten, Schulen oder Mütterzentren, und an den unter-
den Koordinatorinnen melden. Seit 2009 fördert das Land eine
schiedlichen Bedürfnissen der Zielgruppen aus: Alleinerziehende,
wellcome-Landeskoordinationsstelle.
Patchwork-Familien, Pflege- und Adoptionsfamilien, Migrantenfamilien.
www.familien-mit-zukunft.de > Elterninformationen A-Z
www.wellcome-online.de
Psychischer und physischer Gewalt in der Familie wird vorbeugend begegnet. Rechte und Bedürfnisse der Kinder sowie ihre
Mitsprache-, Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im
Familiensystem werden im Sinne der UN-Kinderrechtskonventionen thematisiert und gestärkt. Die vorhandenen Ressourcen von
Eltern und Kindern stehen im Zentrum, nicht die Defizite.
Die Elternkurse helfen dabei, den Familienalltag gelassener und
souveräner zu meistern, indem sie
– das Selbstbewusstsein von Müttern, Vätern und Kindern
stärken,
– den Familienalltag entlasten und das Miteinander verbessern,
– Wege zeigen, um Konflikte zu bewältigen und zu lösen,
– Raum zum Nachdenken und zum Austausch mit anderen
Müttern und Vätern bieten,
– Chancen eröffnen, Freiräume für sich selbst zu schaffen und
frische Kraft zu tanken,
– über allgemeine Erziehungsthemen und über Kinderrechte
informieren,
– einfach Spaß machen.
Orte und Termine orientieren sich an der Lebenssituation und am
Bedarf der Eltern, die erreicht werden sollen. Bewährt haben sich
Gruppen von Eltern, die Kinder unterschiedlichen Alters haben.
Das Angebot basiert auf Freiwilligkeit; die Zuweisung durch
Jugendämter oder Gerichte wird nicht akzeptiert.
Das Modell anleitender Erziehung wird in fünf aufeinander
aufbauenden Stufen erklärt, erprobt und geübt:
– Klärung der Wert- und Erziehungsvorstellungen in der Familie,
– Festigung der Identität als Erziehende,
16
– Stärkung des Selbstvertrauens zur Unterstützung kindlicher
Entwicklung,
Elternkurse in Niedersachsen
In Niedersachsen wächst das Angebot stetig: Mehr als 750 qualifi-
– Bestimmung klarer Kommunikationsregeln in der Familie,
zierte Kursleiterinnen und -leiter stehen landesweit zur Verfügung.
– Befähigung zur Problemerkennung und -lösung.
Oft werden die Elternkurse so sehr nachgefragt, dass es sowohl
Kurse bei den 21 Ortsverbänden des Kinderschutzbundes als auch
Die Inhalte werden theoretisch vorgestellt und dann auf der Basis
bei anderen Trägern gibt. Mit der Evaluation der Elternkurse in
gruppendynamischer und rollenspezifischer Prozesse eingeübt.
Niedersachsen wurde die Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/
Um auch türkisch- und russischsprachige Familien stark zu ma-
Göttingen beauftragt.
chen, werden der Elternkurs und das entsprechende Informationsmaterial auch in diesen Sprachen angeboten. Der DKSB ermuntert
www.dksb-nds.de > Erziehende/Fachkräfte
besonders türkischsprachige Fachkräfte, den Elternkurs vor Ort
www.starkeeltern-starkekinder.de
anzubieten.
Siehe zu diesem Thema auch das Interview mit
Starke Großeltern – Starke Kinder ist ein neues Modul, das
Barbara Kreikenberg und Irene Schriever auf Seite 21
Großeltern darin unterstützt, ihren Platz in der Familie bewusst
einzunehmen und zu gestalten, sich mit Sicherheit und Klarheit
zwischen den Generationen zu bewegen, die typischen Klippen
Familien-Bildungsstätten
des Großelternseins zu umschiffen und gute Zeiten mit ihren
Enkelkindern zu verbringen.
Ausbildung von Fachkräften: Wer einen Elternkurs Starke
Die 25 Familien-Bildungsstätten in Niedersachsen sind wichtige
Partner, um Familien umfassend zu stärken. Sie bieten Beglei-
Eltern – Starke Kinder vor Ort organisieren oder anbieten möchte,
tung von Anfang an: Es gibt Kurse zur Geburtsvorbereitung, zur
muss eine pädagogische Basisqualifikation sowie Erfahrungen in
Säuglingspflege, frühpädagogische Maßnahmen wie PEKiP, DELFI,
der Erwachsenen- und Elternbildung haben. Die Schulung durch
Eltern-Kind-Gruppen, Kindergartenvorbereitung, Psychomotorik,
den DKSB endet mit einem Zertifikat für die Fachkräfte, die den
Waldwochen, musikalische Früherziehung, Ferienkurse für Kinder,
Elternkurs in ihrem Tätigkeitsbereich selbstständig und/oder in
Selbstverteidigung für Mädchen, aber auch Erziehungsforen für
Kooperation mit Anbietern realisieren können.
Eltern, Informationen zum beruflichen Wiedereinstieg, PC-Kurse
Weiterbildung für pädagogische Fachkräfte: Interessierte, die
das Konzept und das Curriculum von Starke Eltern – Starke Kinder
für Seniorinnen und Senioren und vieles mehr.
Die Familien-Bildungsstätten begleiten gesellschaftliche Pro-
kennen lernen und in ihre Arbeit einfließen lassen wollen, jedoch
zesse mit Netzwerken, Bündnissen, Informationsabenden und
die Elternkurse nicht selbst leiten möchten, können eine zweitägi-
Diskussionsrunden. Sie bieten Unterstützung mit Elterntrainings
ge Fortbildung machen.
und Erfahrungsaustausch, Konfliktberatung sowie Mediation,
Projekte zur Selbst- und Nachbarschaftshilfe sowie Ehe- und Partnerschaftsberatung. Familien-Bildungsstätten bilden Erziehungslotsen aus, sind unter anderem Partner für das Projekt wellcome,
vermitteln Handwerkszeug für Eltern und bieten passend dazu das
Training für Kinder (www.handwerkszeug-eltern-kinder.de).
Die Familien-Bildungsstätten in Niedersachsen erreichen
Menschen aller Altersstufen und sozialen Schichten. Etwa 3 500
Honorarkräfte und ca. 130 hauptamtliche Mitarbeitende sind
neben zahlreichen Ehrenamtlichen im Einsatz. Mit gut 250 000
Unterrichtsstunden und rund 215 000 Teilnehmenden pro Jahr
gehören die Familien-Bildungsstätten zu den großen Bildungsträgern im Land Niedersachsen. Träger sind die Evangelische
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und die Katholische Kirche, die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche
Mütterzentren
Rote Kreuz oder die Volkshochschule. Familien-Bildungsstätten
finanzieren ihre Arbeit vor allem durch Teilnahmegebühren, aber
Die Selbsthilfe für Familien zu fördern und sie in ihrer aktiven
auch durch Zuschüsse der Träger, des Landes und der Kommunen.
Lebensphase mit einem Netzwerk der Hilfe zu unterstützen, sind
Das Land fördert die Personalkosten. Zudem wurden beispielswei-
wesentliche Anliegen der Landesregierung. Die 47 niedersächsi-
se in den Jahren 2008 und 2009 zusätzliche Projektmittel für die
schen Mütterzentren spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie mobi-
Ausbildung von Erziehungslotsinnen und Erziehungslotsen sowie
lisieren erfolgreich Selbsthilfepotenziale und fördern die Erzie-
für Bildungsangebote für Familien mit Migrationshintergrund
hungskompetenz von Müttern und Vätern. Sie sind ein wichtiges
verwendet.
Glied in der Kette erziehungsunterstützender- und fördernder
Dienste, die wohnortnah und niedrigschwellig angeboten werden.
www.familienbildung-nds.de
Übergeordnetes Ziel ist die Vereinbarkeit von Familien- und
Berufsleben.
Die Mütterzentren haben Konzepte für Formen des Zusammenlebens entwickelt, die ein generationsübergreifendes Miteinander
von Müttern, Vätern, Kindern und alten Menschen auch über die
eigene Kernfamilie hinaus ermöglichen. Sie waren maßgeblich an
der Entwicklung der Mehrgenerationen-Häuser-Idee beteiligt und
fördern den Dialog zwischen Jung und Alt. Mütterzentren bieten
einen öffentlichen Raum für gegenseitige Hilfe und Austausch,
Beratung, Betreuung, Information und Entlastung im Alltag.
Zu den Standardangeboten der Zentren gehören eine Caféstube, eine Informations- und Servicebörse, Secondhandläden,
altersübergreifende Kinderbetreuung und ein Mittagstisch. Die
Finanzierung erfolgt durch Eigenleistungen, Mitgliederbeiträge,
Spenden und durch Zuschüsse der Kommunen und des Landes.
www.ms.niedersachsen.de > Themen > Familie > Hilfen
für Familien > Mütterzentren
Im Flächenland Niedersachsen ist eine dichte Versorgung der
Erziehungslotsinnen und -lotsen
Bevölkerung mit Familien-Bildungsstätten schwer möglich. Die
Einrichtungen bemühen sich um niedrigschwellige Bildungsar-
Das Projekt der Erziehungslotsinnen und -lotsen ist ein weiterer
beit vor Ort. Im Juni 2007 wurden gute Projekte und Beispiele
Baustein der Landesregierung zur Stärkung der präventiv wirken-
während eines Workshops der Familien-Bildungsstätten in
den Frühen Hilfen. Qualifizierte Ehrenamtliche ergänzen die pro-
Niedersachsen gesammelt und für das Internet aufbereitet.
fessionellen Hilfesysteme, begleiten und unterstützen in schwierigen Lebensphasen. Sie ersetzen nicht Beratungsstellen oder die
Jugendhilfe, sondern leisten im Vorfeld einer Maßnahme der sozialpädagogischen Familienhilfe lebenspraktische Vermittlung und
Unterstützung. Sie tragen dazu bei, Hemmschwellen bei Müttern
und Vätern gegenüber Förderangeboten und Hilfen abzubauen.
Das Projekt wirkt präventiv: Kleinere Krisen sollen sich nicht zu
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ernsthaften Problemlagen entwickeln. Eltern sollen gerade dann
Teilnahme der Erwachsenen am Seminar ist verpflichtend, um
nicht allein gelassen werden, wenn sie sich überfordert fühlen.
diese Förderung in Anspruch zu nehmen. Die Freizeiten werden
Familien können die Erziehungslotsinnen und -lotsen freiwillig
von den Familienverbänden und den Verbänden der Freien Wohl-
nutzen – in der Regel als Angebot eines Familienbüros. Hier erfah-
fahrtspflege in Niedersachsen organisiert. Unterstützt werden
ren die Lotsinnen und Lotsen fachliche Begleitung und Anleitung
Familien mit drei Kindern, mit einem behinderten Kind und Allein-
und sind Teil des jeweiligen regionalen Netzwerks Früher Hilfen.
erziehende von mindestens zwei Kindern. Die Landesleistung ist
Sie haben feste Ansprechpartnerinnen und -partner sowie die
vom Familieneinkommen abhängig.
Möglichkeit zum regelmäßigen Austausch mit anderen Ehrenamtlichen.
Ein Zuschuss für einen Familienerholungsurlaub, der Familien
mit geringem Einkommen eine gemeinsame Erholung ermögli-
Die Familienbildungsstätten bilden die Lotsinnen und Lotsen
chen, der Gesundheit dienen und durch gemeinsame Erlebnisse
aus und vergeben entsprechende Zertifikate. Seit Start des Pro-
und Erfahrungen gegenseitiges Verständnis, Vertrauen und den
gramms Ende des Jahres 2008 bis Mai 2011 wurden knapp 600
Zusammenhalt der Familiengemeinschaft fördern soll, kann
Ehrenamtliche qualifiziert, davon 92 Prozent Frauen. Der Einsatz
beantragt werden von Familien mit (mindestens) zwei Kindern,
ist zeitlich befristet und umfasst zumeist einen Aufwand von ein-
Familien mit einem behinderten Kind, Ein-Eltern-Familien mit (min-
mal drei Stunden pro Woche.
destens) einem Kind. Die Zuwendung ist abhängig vom Familien-
Der Grundkurs der Familienbildungsstätten vermittelt in 40 bis
50 Stunden
– Kenntnisse über Familiensoziologie, Pädagogik und rechtliche
Rahmenbedingungen,
– praktisches Handwerkszeug wie Kommunikationstechniken,
einkommen. Die Höhe der Zuschüsse pro Übernachtungstag
orientiert sich an der Anzahl der Kinder.
Neu sind spezielle Angebote für junge Eltern oder Alleinerziehende (bis zu 27 Jahre). Sie tragen der besonderen Situation
junger Familien Rechnung und bieten gleichzeitig die Möglichkeit
Konfliktlösungsstrategien sowie praktische Tipps für die
einer längerfristigen Begleitung. Die Freizeiten sind begleitende
Tätigkeit,
Angebote zur Stärkung der Erziehungskompetenz und vermitteln
– Wissen über die Infrastruktur und die Hilfesysteme vor Ort.
Lösungen zur Bewältigung des Alltags. Die Teilnahme der Erwachsenen an Vor- und Nachbereitungsterminen ist verpflichtend, um
Das realistische Einschätzen der eigenen Belastbarkeit, aber auch
eine gute Begleitung der Ehrenamtlichen wird in Zukunft eine
noch größere Rolle spielen.
diese Förderung in Anspruch zu nehmen.
Sämtliche Freizeiten und Erholungen werden von den Familienverbänden und den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege
in Niedersachsen organisiert. Diese nehmen auch die formlosen
www.erziehungslotsen.de
Familienerholungsurlaube und Familienfreizeiten
Anträge entgegen.
www.familien-mit-zukunft.de > Elterninformationen A-Z
www.ms.niedersachsen.de > Themen > Familie >
Hilfen für Familien
Das Land fördert auch Erholungen und Freizeiten, in denen auf
www.urlaub-mit-der-familie.de
Probleme in der Partnerschaft, Familie oder Erziehung einge-
www.agf-nds.de
gangen und für die gesundheitliche Vorsorge geworben wird.
Einkommensschwächeren Familien und Alleinerziehenden wird
ein gemeinsamer Urlaub ermöglicht, um mit ihren Kindern Zeit zu
verbringen, Kraft zu schöpfen und gleichzeitig Abstand von den
Anforderungen und Belastungen des Familienalltags zu gewinnen.
Familienfreizeiten beinhalten ein Programm zu Ehe-, Familien- und
Erziehungsfragen oder Gesundheitsvorsorgemaßnahmen. Eine
19
nifbe
Nachhaltigkeit und Transfermöglichkeiten. Antragsberechtigt sind
neben Weiterbildungseinrichtungen, die nach dem Niedersächsi-
Im Auftrag der Landesregierung trägt das Niedersächsische
schen Erwachsenenbildungsgesetz anerkannt sind, auch Hoch-
Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) dazu
schulen und teilweise Kommunen. Vor Antragstellung ist eine
bei, die frühkindliche Bildung und Entwicklung möglichst optimal
Beratung und eine Empfehlung durch das zuständige regionale
zu gestalten. Von 2008 bis 2012 fließen pro Jahr 5,5 Millionen
nifbe-Netzwerk notwendig.
Euro in das Institut, das den Auftrag hat, Forschung, Lehre und
Wissenstransfer zu vernetzen. Hauptaufgaben sind die Erfor-
www.nifbe.de
schung grundlegender Themen der kindlichen Entwicklung, die
landesweite enge Vernetzung und Verzahnung der Akteure im
Bereich der frühkindlichen Bildung und Entwicklung – von den
Hochschulen über die Aus- und Weiterbildungs-Einrichtungen bis
hin zur Praxis der Jugendhilfe und Kindertagesstätten. Der Transfer
und die konkrete Zusammenarbeit werden unter anderem durch
gemeinsame Projekte und Arbeitsgruppen, Fachtagungen, internationale Kongresse sowie Publikationen gefördert.
Das nifbe ist ein An-Institut der Universität Osnabrück. Hier
befinden sich die für den landesweiten Transfer und Fachdialog
zuständige Geschäfts- und Koordinierungsstelle sowie die zentrale
Forschungseinheit mit den Forschungsstellen Elementarpädagogik, Kultur, Entwicklung und Lernen, Wahrnehmung, Bewegung
und Psychomotorik sowie Begabungsforschung und -förderung.
Begleitet wird das nifbe durch einen wissenschaftlichen Beirat mit
international renommierten Fachleuten, die durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur berufen werden.
Die Arbeit des nifbe wird ergänzt durch einen landesweiten Forschungsverbund aus Fachhochschulen und Universitäten.
Vor Ort sorgen im Flächenland Niedersachsen fünf regionale
nifbe-Netzwerke in Emden, Hildesheim, Hannover, Lüneburg
Informationsangebote
und Osnabrück für die Vernetzung der Akteure und die thematische Bündelung. Neben der Aus-, Fort- und Weiterbildung von
www.familien-mit-zukunft.de > Fachinformationen >
Erzieherinnen und Erziehern steht die Elternbildung im Zentrum
Erziehungskompetenz > Elternprogramme
der Aktivitäten. Neue Erkenntnisse und Entwicklungen aus den
Netzwerken und aus der Forschung können durch modellhafte
– Interaktive Aktionslandkarte Familien- und Kinderservice-
Transferprojekte und Qualifizierungsangebote in den Regionen
büros, Familienbildungsstätten, Mehrgenerationenhäuser,
schnell in die Praxis umgesetzt werden. Schwerpunktthemen sind
Mütterzentren, Mutter-/Vater-Kind-Kurkliniken, Familienfe-
die qualitative Verbesserung der Bildungsarbeit in Kindertagesein-
rienstätten sowie wellcome-Büros und DabeiSein!-Service-
richtungen, die Stärkung der Elternbildung und die Optimierung
stellen in Landkreisen und kreisfreien Städten:
des Übergangsmanagements zwischen Kindertageseinrichtungen
und Grundschule.
Das nifbe fördert Kooperations- und Verbundprojekte. Kriterien
für die Projektbewilligung sind Modellhaftigkeit, Innovationskraft,
20
www.familien-mit-zukunft.de > Aktuelles > Aktionslandkarte für Familien
Im Gespräch:
Barbara Kreikenberg,
Irene Schriever
Mehr Sicherheit in der Erziehung –
mehr Freude im Alltag
Das vom Deutschen Kinderschutzbund e.V. (DKSB) entwickelte Bildungsangebot Starke
Eltern – Starke Kinder hat das Ziel, elterliche Erziehungskompetenz zu stärken und zu
stützen und den Kinderrechten in der Familie Geltung zu verschaffen. Diplom-Pädagogin
Barbara Kreikenberg (DKSB Landesverband Niedersachsen) koordiniert seit 2001 das
Kursangebot in Niedersachsen; Diplom-Sozialpädagogin Irene Schriever ist Projektleiterin
Starke Eltern – Starke Kinder beim DKSB-Ortsverband Hannover und führt seit 2003 selbst
Elternkurse durch.
Frau Kreikenberg, wenn Sie auf zehn
Diese Förderung steht im direkten Zu-
Jahre Starke Eltern – Starke Kinder in
sammenhang mit der Neufassung des
Niedersachsen zurückblicken: Würden
§ 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Sie sagen, dass der Begriff „Erfolgsge-
Richtig. Die im Jahr 2000 verabschiedete
schichte“ angemessen ist?
Neuregulierung verankert das gesetz-
Kreikenberg: Auf jeden Fall! Als wir
liche Recht der Kinder auf gewaltfreie
2001 in Niedersachsen mit den Elternkur-
Erziehung und erklärt körperliche Be-
sen begonnen hatten, gab es hier genau
strafungen, seelische Verletzungen und
eine Kursleitung. Heute haben wir mehr
andere entwürdigende Maßnahmen für
als 750 qualifizierte Kursleitungen und
unzulässig. Eine Ergänzung im Kinder- und
können Starke Eltern – Starke Kinder in
Jugendhilfegesetz verpflichtet parallel
Zusammenarbeit mit lokalen Kooperati-
Jugendhilfeträger dazu, Eltern Wege zur
onspartnern an über einhundert Standor-
gewaltfreien Lösungen von Konfliktsitu-
ten landesweit flächendeckend anbieten,
ationen in der Familie aufzuzeigen. Man
von Lingen bis Lüchow, von Göttingen bis
darf nicht vergessen: Das war ein wirkli-
Wangerooge. Das hat es ermöglicht, dass
cher Durchbruch für Kinder und Familien
wir mittlerweile deutlich mehr als 5 000
in Deutschland, und um hier wirkungs-
Eltern und gut 10 000 Kinder aller Alters-
volle Impulse zu setzen, hatte sich das
gruppen erreicht haben – eine höchst
Land dafür entschieden, den Aufbau von
erfreuliche Entwicklung, zu der auch die
Kursen für Eltern nach dem DKSB-Konzept
Förderung als landesweites Modellprojekt
zu fördern und die entsprechenden Mittel
durch das Niedersächsische Sozialministeri-
zur Ausbildung pädagogischer Fachkräfte
um beigetragen hat.
nach dem Curriculum von Starke Eltern –
Starke Kinder bereitzustellen; da war
21
Barbara Kreikenberg
Irene Schriever
Niedersachsen Vorreiter, das war bundes-
möglichkeiten, zum Beispiel, was sie
werden können – so lassen sich auch
weit einmalig.
tun können, wenn die Emotionen hoch
prima die Partner, die beim Kursabend
kochen, wenn sie sich im Alltag mit ihren
nicht dabei waren, mit einbeziehen und
Wie lässt sich das Konzept von Starke
Kindern überfordert fühlen. Nomen est
natürlich auch die Kinder, wenn sie schon
Eltern – Starke Kinder am ehesten
omen – der Projektname macht deutlich,
alt genug sind.
auf den Punkt bringen – verteilen Sie
worum es geht: Erst müssen wir die Eltern
Elternführerscheine?
stärken; dann sind die wiederum in der
Also alles andere als eine Reihe lau-
Nein, das trifft es überhaupt nicht, ebenso
Lage, ihre Kinder stark zu machen. Die
schiger Vortragsabende mit Power-
wenig wie die Begriffe „Programm“ oder
Methoden, die wir dabei anwenden und
point-Unterstützung?
„Training“. Eine Besonderheit an unseren
vermitteln, sind von Fachleuten direkt aus
Aber ganz gewiss! Wir verlangen den
Elternkursen ist, dass wir den Teilnehmen-
der Praxisarbeit mit Eltern und Kindern
Eltern durchaus einiges ab; sie lernen,
den gerade keine fertigen „Patentrezep-
unterschiedlichster Altersgruppen entwi-
dass Erziehung bedeutet, sich immer
te“ anbieten. Stattdessen setzen wir auf
ckelt worden – mit ein Grund, warum sich
wieder neu auseinanderzusetzen, sich
die Eigenverantwortung der Eltern und
Starke Eltern – Starke Kinder so erfolgreich
in der Familie neu zu arrangieren. Zu-
erarbeiten gemeinsam mit ihnen auf un-
etabliert hat und so langfristig und nach-
gleich bekommen sie eine große Portion
terschiedlichen Ebenen konkrete Lösungs-
haltig funktioniert.
Selbstbewusstsein auf den Weg. Und sie
merken außerdem schnell, dass sie viel
Beschreiben Sie doch bitte kurz The-
mehr davon haben, wenn ihnen keine Pa-
®
K
ÇLÜ ÇOCU
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CUK
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KURSLARI
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GÜÇLÜ VE
men und Ablauf der Kurse.
tentlösungen vorgekaut werden, sondern
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Schriever:
Die Kurse
haben
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wenn sie selbst herausfinden, was sie tun
zeitlichen Umfang von zehn bis zwölf
können, damit alle in der Familie weniger
Einheiten, wobei jedes Treffen unter
Stress haben und es entspannter zugeht
einem Motto steht. Allerdings sind das
und mehr Freude herrscht.
„Beni deli ed
r, ama ...“
da ona
rdum!“
u dövmek ya
i de bilmiyo
adınız
„Çocuğum
gecirecegim
rşıya kalm
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Veli kurs
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nicht isolierte Themen wie „Das richtige
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Elternkurs
utzbundes
Kindersch
Zubettbringen“ oder „Der Trotzanfall
Für diese Art des Miteinanderarbeitens
als solcher“; vielmehr geht es darum, zu
ist es doch sicher günstig, wenn die
klären, zu erproben und zu üben, wie bei-
Kurse eher homogen zusammenge-
spielsweise klare Kommunikationsregeln
setzt sind?
in der Familie gefunden werden können;
Wenn ein neuer Kurs beginnt, ist das für
wie sich Probleme und Konfliktpotenzia-
mich immer ein Abenteuer, weil dann
le besser erkennen und besser – und auf
alle Berufsgruppen, alle Bildungsniveaus
jeden Fall gewaltfrei – auflösen lassen,
vertreten sind und auch ganz unterschied-
und wie es zu bewerkstelligen ist, dass
liche Erwartungshaltungen. Aber das ist
alle in der Familie mit ihren jeweiligen
eine wichtige Voraussetzung, das gehört
Bedürfnissen und Wünschen Gehör
zum Konzept von Starke Eltern – Starke
und Akzeptanz finden. Deswegen sind
Kinder. Denn so lernen die Eltern den
für die einzelnen Abende Mottos vor-
anderen in seiner Andersartigkeit kennen,
gesehen wie „Achte auf die positiven
mit anderen Gewichtungen, anderem
Seiten deines Kindes“. Außerdem
Wissensstand, anderen Erziehungsmetho-
gibt es regelmäßig Hausaufgaben,
den. Und sie lernen den wertschätzenden,
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„Es macht
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Erziehung
mit denen die neu erworbenen
Kenntnisse im Alltag angewendet
14:53:30
09.2010
30.
22
wertfreien Umgang mit dem anderen. Es
Uhr
kommt zum Beispiel immer wieder vor,
Im Gespräch:
Barbara Kreikenberg,
Irene Schriever
dass bei den Kursen Väter und Mütter da-
ihre Kinder wollen und dass sie es schaffen
im Frühsommer dieses Jahres in Salzgitter.
bei sind, die zu Hause tatsächlich sehr an
werden, geeignete Lösungen zu finden.
Parallel ist es wichtig, die Eltern über unser
ihre Grenzen kommen. Das jetzt einfach
Und das ist der Transfer, um den es geht:
Angebot zu informieren; dank der guten
nur verteufeln – damit ist nichts gewon-
Dass die Eltern diesen Vertrauensvor-
Unterstützung des Landes konnten wir
nen. Vielmehr geht’s darum, gemeinsam
schuss, den sie sich selbst bei der Kurslei-
dazu ein zweisprachiges Faltblatt auflegen.
zu erarbeiten, welche Wege besser und
tung abholen, an ihre Kinder weitergeben.
Lässt sich schon ein erstes Fazit ziehen?
geeigneter sind. Dabei helfen sich die
Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer un-
Recht neu sind die Elternkurse für tür-
Wir freuen uns, dass auch Güçlü Veli –
tereinander, und das funktioniert sehr gut.
kischsprachige Eltern, die von türkisch-
Güçlü Çocuk so gut angenommen wird
sprachigen Fachkräften durchgeführt
und die Kurse so gut besucht sind. Eine
Welche Qualifikationen und Zugangs-
werden.
besonders geglückte Reaktion ereignete
voraussetzungen müssen die Kurs-
Kreikenberg: In Niedersachsen leben
sich in Wolfenbüttel: Nach einem Kurs
leitungen für Starke Eltern – Starke
rund 178 000 türkische Mitbürgerinnen
für türkischsprachige Mütter ließen uns
Kinder mitbringen?
und Mitbürger; vor allem die Situation
die Ehemänner wissen, dass sie sich
Kreikenberg: Grundvoraussetzung ist
bei Kindern und Jugendlichen ist durch
ebenfalls für das Angebot interessierten.
eine abgeschlossene Ausbildung in einem
das Aufwachsen in zwei Lebenswelten
Was schließlich dazu führte, dass dort ein
pädagogischen oder psychologischen
gekennzeichnet. Darum gibt es jetzt Güçlü
Kurs mit insgesamt sieben motivierten,
Arbeitsfeld; unverzichtbar sind außerdem
Veli – Güçlü Çocuk; das ist die türkische
engagierten türkischsprachigen Vätern
Praxis und Erfahrung in der Elternarbeit
Bezeichnung für unsere Elternkurse. Die
durchgeführt werden konnte – ist das
und in der Erwachsenenbildung. Nach er-
wissenschaftliche Begleitung beim DKSB
nicht toll?
folgreichreicher Teilnahme an der 30-stün-
Bayern hat ergeben, dass es sehr wich-
digen Schulung wird ein Zertifikat verge-
tig ist, die Kurse in der Muttersprache
ben, das zur Durchführung der Elternkurse
anzubieten, weil es viele Eltern gibt, die
berechtigt. Großen Wert legen wir auf
sich mit den zum Teil ja sehr emotionalen
fachlichen Austausch und Weiterbildung;
Themen, um die es in den Kursen geht,
dafür gibt es unter anderem die landes-
auf deutsch nicht so gut auseinanderset-
weiten Fachtagungen der ausgebildeten
zen können – wohl aber auf türkisch. Die
Kursleitungen, die alle zwei Jahre stattfin-
türkische Sprache ist da wie ein Türöffner;
den – 2010 bereits zum dritten Mal – und
denn erstens erreichen wir so überhaupt
auch nach Abschluss des Modellprojekts
erst einen großen Teil der Zielgruppe, und
mit Mitteln aus dem Sozialministerium
zweitens kommen so auch viel besser
unterstützt werden.
andere Themen aufs Tapet, zum Beispiel
Fragen zum deutschen Schulsystem.
Schriever: Für den Erfolg der Kurse ist
23
es wichtig, dass die Kursleitungen den
Das heißt, mit den Kursangeboten für
teilnehmenden Eltern gegenüber eine
türkischsprachige Eltern werden auch
wertschätzende Haltung einnehmen und
Integrationsbestrebungen gefördert?
vorleben können, egal, ob sie nun mit
Und zwar ganz erheblich! Deswegen wol-
deren Erziehungsmethoden einverstanden
len wir auch weiterhin die Qualifikation
sind oder nicht. In gewisser Weise gibt die
türkischsprachiger pädagogischer Fach-
Kursleitung den Eltern einen Vertrauens-
kräfte gezielt voranbringen und verstärkt
vorschuss darauf, dass sie das Beste für
Schulungen durchführen, wie zum Beispiel
24
Gelingendes Aufwachsen
durch Frühe Hilfen sichern
25
Gelingendes Aufwachsen
Familienhebammen
durch Frühe Hilfen sichern
Familienhebammen sind staatliche examinierte Hebammen mit
einer Zusatzqualifikation. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf
der psychosozialen, medizinischen Beratung und Betreuung von
„Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf“ – dieses
Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern durch aufsuchende
afrikanische Sprichwort drückt aus: Alle Eltern benötigen manch-
Tätigkeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Insti-
mal Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder in der einen
tutionen und Berufsgruppen. Familienhebammen sind gefordert,
oder anderen Form. Manche benötigen dabei spezielle Hilfen oder
wenn Kinder gesundheitlichen, medizinisch-sozialen oder psycho-
besonders niedrigschwellige Zugänge, damit sie die Unterstützung
sozialen Risiken ausgesetzt sind. Rund zwei Drittel der niedersäch-
überhaupt wahrnehmen können. In den vergangenen Jahren hat
sischen Jugendämter setzen sie bereits ein. Aus dem Pilotprojekt
sich eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote an Eltern unter dem
Aufsuchende Hilfe für Mütter und ihre Kinder durch Familienheb-
Begriff „Frühe Hilfen“ etabliert. Frühe Hilfen umfassen vielfältige,
ammen (2002 bis 2006) ist für zahlreiche Städte und Gemeinden
einander ergänzende Angebote und Maßnahmen. Häufig wenden
eine reguläre Hilfeform geworden. Die vom Land geförderte Stif-
sie sich an Familien mit einem spezifischen Unterstützungsbedarf.
tung Eine Chance für Kinder hat bereits 220 Geburtshelferinnen
Früh sind diese Hilfen, da sie sich zumeist an Familien mit kleinen
zu Familienhebammen fortgebildet. Damit steht Niedersachsen
Kindern wenden oder weil sie möglichst früh ansetzen, bevor
bundesweit an der Spitze.
mögliche Krisen eskalieren.
Sie tragen dazu bei, dass Risiken für das Wohl und die Entwick-
Die aufsuchende Arbeit der Familienhebamme konzentriert sich
auf die Stützung und Förderung einer Schwangeren oder einer
lung des Kindes frühzeitig wahrgenommen und reduziert werden.
Mutter bei der Betreuung eines Säuglings während des gesamten
Wenn diese Hilfen nicht ausreichen, eine Gefährdung des Kindes-
ersten Lebensjahres des Kindes. Sie dient dem Kindeswohl und
wohls abzuwenden, gilt es, weitere Maßnahmen zum Schutz des
der Entwicklung einer guten Mutter-Kind-Bindung.
Kindes zu ergreifen.
Schirmherrin Bettina Wulff, Gattin des Bundespräsidenten, engagiert sich seit dem Jahr 2008 für die Stiftung „Eine Chance für
Kinder“. Während einer Fachkonferenz im Berliner Schloss Bellevue warb sie im November 2010 für die möglichst bundesweite
Ausdehnung der Betreuung durch Familienhebammen
26
Familienhebammen bemühen sich um
Familienhebammenzentralen
– die Teilnahme von Mutter und Kind an Vorsorgemaßnahmen,
Die Stiftung Eine Chance für Kinder ist nicht nur für die Ausbil-
– Anleitung bei der Ernährung und Pflege des Säuglings,
dung von Familienhebammen verantwortlich. Sie kümmert sich
– eine gesunde Umgebung des Säuglings (Raucherentwöhnung,
auch um das Qualitätsmanagement und koordiniert bei Bedarf
gewaltfreier Umgang mit dem Kind),
– das Aufbrechen einer sozialen Isolierung von Mutter und Kind
z.B. durch Einbindung in Mutter-Kind-Gruppen,
– um Stützung der Mutter bei erheblicher emotionaler Unsicherheit im Umgang mit dem Säugling und Hilfe bei Überforderung,
den Einsatz von Familienhebammen. So richtet sie u.a. Familienhebammenzentralen in Städten und Landkreisen ein, in denen
die Jugendämter den Einsatz von Familienhebammen auch bei
jugendamtsunbekannten Familien finanzieren.
Die Zentralen sollen Anlaufstellen für alle Institutionen sein, die
– Hilfe bei Wochenbettdepression,
eine soziale und/oder gesundheitliche Notlage bei einer Schwan-
– Motivation zur Selbsthilfe,
geren oder einer jungen Mutter und ihrem Kind entdecken. Die
– enge Zusammenarbeit mit allen für das Kindeswohl wichtigen
Familienhebammenzentrale schafft ein Netzwerk und baut einen
Berufsgruppen und Institutionen.
Hebammen-/ Familienhebammenpool auf. Damit soll auch die
Erreichbarkeit von Schwangeren und jungen Müttern mit Migrationshintergrund verbessert werden. Hebammenzentralen gibt es
Staatlich anerkannte Weiterbildung
derzeit im Landkreis Aurich, in der Stadt und Region Hannover, in
Als erstes Bundesland hat Niedersachsen die staatlich anerkannte
der Stadt und im Landkreis Hildesheim und in der Stadt Wilhelms-
Weiterbildung zur Familienhebamme bzw. zum Familienentbin-
haven.
dungspfleger eingeführt, um die Berufsbezeichnung zu schützen
und einheitliche, verbindliche Ausbildungsstandards zu setzen. Die
www.eine-chance-fuer-kinder.de > Hilfemaßnahmen
niedersächsische Verordnung über die Weiterbildung in Gesund-
www.hebammen-niedersachsen.de
heitsfachberufen wurde im November 2010 entsprechend
Zum Thema Familienhebammen siehe auch das Interview
ergänzt. Die Weiterbildung umfasst 400 Unterrichtsstunden. Im
mit Christiane Christ und Brigitte Hillen auf Seite 30
April 2011 ist ein erster Weiterbildungskurs gestartet. Familienhebammen sollen als feste Partnerinnen der Jugendhilfe und des
Gesundheitswesens in möglichst jeder Kommune etabliert werden
27
EFi – Elternarbeit + Frühe Hilfen + Migrationsfamilien
Nach aktuellen Ergebnissen des Mikrozensus hat jede bzw. jeder
Wichtig dabei ist, dass die Jugendämter mit den Institutionen
vierte Minderjährige in Niedersachsen einen Migrationshinter-
der Kooperativen Migrationsarbeit Niedersachsen (KMN), den
grund. Bei den Kindern unter sechs Jahren erhöht sich dieser An-
kommunalen Leitstellen Integration sowie Migrantenselbstorga-
teil auf 30 Prozent. Angebote der Elternbildung und Elternarbeit
nisationen zusammenarbeiten. Die örtlichen Familienbüros sollen
sowie der Frühen Hilfen werden von ihnen bzw. ihren Familien
eine wichtige Funktion übernehmen: Sie können Integrations- und
jedoch nur selten in Anspruch genommen.
Erziehungslotsinnen und -lotsen sowie anderen Ehrenamtlichen
eine Arbeitsstruktur bieten, Angebote bündeln, die Kooperation
von Institutionen initiieren und absichern.
Persönliche Ansprache durch Vertrauenspersonen
Das Programm wird begleitet durch das Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism). Fachtagungen und eine eigene
Mit dem Projekt EFi - Elternarbeit, Frühe Hilfen und Migrationsfa-
Themenseite auf dem Internetportal Familien-mit-Zukunft sichern
milien will das Land die Kommunen dabei unterstützen, der multi-
den Austausch unter den Akteurinnen und Akteuren und erlau-
ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung besser gerecht zu
ben eine detaillierte Übersicht über die laufenden Projekte.
werden. EFi unterstützt die Kommunen dabei, Elternarbeit, Elternbildung und Frühe Hilfen mit dem Bereich Integration und Mig-
www.efi-nds.de
ration nachhaltig zu verknüpfen und verbindliche Formen der Zu-
www.familien-mit-zukunft.de > Fachinformationen >
sammenarbeit zu schaffen. Die Zugänge zu den Angeboten sollen
Integration/Migration
niedrigschwellig sein und die Wert- und Erziehungsvorstellungen
der Familien berücksichtigen. Dabei sollen Vertrauenspersonen mit
Migrationshintergrund wie Integrations- und Erziehungslotsinnen
und -lotsen sowie andere interessierte Ehrenamtliche gewonnen
werden, die die Eltern persönlich ansprechen. Gleichzeitig sollen
Angebote entstehen, die Migrationsfamilien stärken.
28
Elterntelefon
Seit dem Jahr 2001 bietet die Nummer gegen Kummer auch ein
spezielles Elterntelefon an. Unter der bundesweit einheitlichen
Rufnummer 0800 111 0 550 steht ein Gesprächsangebot bereit,
das sich an Eltern und alle anderen Personen richtet, die Fragen
zur Erziehung haben und Tipps und Empfehlungen im Umgang
mit Kindern suchen.
Die Nummer gegen Kummer in Niedersachsen
Nummer gegen Kummer
Die 2008 ausgeweiteten Beratungszeiten erforderten zusätzliche
Anstrengungen, um erfahrene Beraterinnen und Berater zu bin-
Kinder und Jugendliche stehen heute schon früh unter Leistungs-
den und neue Freiwillige für diese Aufgabe zu qualifizieren. Unter
und Konkurrenzdruck in Schule und Freizeit. Viele Heranwach-
dem Motto Werben – Ausbilden – Qualifizieren wurde in Nieder-
sende sind zusätzlich durch Beziehungsprobleme, Trennung und
sachsen mit Unterstützung des Landes im Jahr 2010 erfolgreich
Scheidung ihrer Eltern emotional verunsichert und belastet. Auch
ein Aktionspaket zum Ausbau und zur nachhaltigen Stärkung
Freundschaften sind oft kompliziert. Die Pubertät setzt früh ein.
der Teams umgesetzt. In Niedersachsen engagieren sich bereits
Bei Sorgen und Nöten können sich Kinder und Jugendliche per
rund 250 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der
Telefon kostenlos und anonym Unterstützung holen, wenn sie die
Nummer gegen Kummer.
Nummer gegen Kummer wählen. Der gleichnamige Verein mit Sitz
in Wuppertal hat dieses Angebot vor 30 Jahren entwickelt und ist
www.dksb-nds.de > Kinder/Jugendliche > Telefon- und
der Dachverband aller Kinder- und Jugendtelefone in Deutschland.
Online-Beratung
Sie sind mittlerweile bundesweit montags bis samstags von 14 bis
www.kinderschutz-niedersachsen.de > Rat für Eltern,
20 Uhr erreichbar. Die Beratung am Samstag wird überwiegend
Kinder, Familie und Nachbarn
von Jugendlichen („Jugendliche beraten Jugendliche“) gewähr-
www.nummergegenkummer.de
leistet.
Vertraulicher Kummerkasten
Das Kinder- und Jugendtelefon ist bundesweit unter der einheitlichen Rufnummer 0800 111 0 333 oder auch unter der Nummer
116111 erreichbar. Die Einführung der zusätzlichen Rufnummer
geht zurück auf eine Initiative der Europäischen Kommission zur
Informationsangebote
Verbesserung des Kinderschutzes. Die Deutsche Telekom, die als
Partner von Nummer gegen Kummer für die technische Umsetzung der Sonderrufnummer verantwortlich ist, übernimmt die Ge-
– Angebot der Familien- und Kinderservicebüros in Landkreisen und kreisfreien Städten:
sprächsgebühren und gewährleistet, dass die angerufene Nummer
www.familien-mit-zukunft.de > Aktuelles > Aktionsland-
nicht auf der Rechnung der Eltern angezeigt wird. Jeder Anrufer
karte für Familien
kann anonym beraten werden.
www.familien-mit-zukunft.de > Fachinformationen >
Integration/Migration
– Bundeskinderschutzgesetz
www.bmfsfj.de
29
Fit machen für das Leben mit Kind
Der Landkreis Hameln-Pyrmont gehört zu den aktuell über 40 niedersächsischen Kommunen, die in Kooperation mit der Stiftung Eine Chance für Kinder im Rahmen der
Aufsuchenden Hilfe Familienhebammen einsetzt. Als Mitarbeiterin im Bürgerservice des
Landkreises koordiniert Christiane Christ den Einsatz von Brigitte Hillen und weiteren von
der Stiftung qualifizierte Familienhebammen. Die 2000 ins Leben gerufene Stiftung Eine
Chance für Kinder steht unter der Schirmherrinnenschaft von Bettina Wulff, der Gattin
des Bundespräsidenten.
Frau Hillen, als Familienhebamme be-
Wo setzen Sie mit Ihrer Arbeit an?
treuen und begleiten Sie zum Beispiel
Hillen: Natürlich wollen im Grundsatz alle
sozial benachteiligte Schwangere und
Mütter und Väter ihre Kinder glücklich,
Mütter, minderjährige und sehr junge
gesund und behütet aufziehen. Die dafür
Mütter, Frauen mit Gewalterfahrun-
nötige enge und stabile gefühlsmäßige
gen körperlicher und seelischer Art
Bindung zum Kind fehlt aber heute immer
und auch Frauen und Familien, die
häufiger; sei es, weil die junge Mutter
erkennen lassen, dass sie durch die
eine solche Bindung selbst nicht wirklich
Christiane Christ,
Aufgaben und Pflichten, die ein Kind
kennengelernt hat und stattdessen kör-
Koordinatorin für den
mit sich bringt, wahrscheinlich über-
perliche oder seelische Vernachlässigung
Familienhebammen-Einsatz im
fordert sind. Wo liegen die Besonder-
erfahren musste, oder weil sie vielleicht in
Landkreis Hameln-Pyrmont
heiten Ihrer Arbeit?
eine gewalttätige Partnerschaft geraten ist
Hillen: Eine Besonderheit der Familienheb-
oder weil sie aus anderen Gründen mit der
ammenarbeit ist sicherlich die Kombinati-
Situation überfordert ist und damit nicht
on von medizinischer und psychosozialer
klarkommt. Die Mütter oder werdenden
Betreuung und zwar, das ist ganz wichtig,
Mütter dazu befähigen, diese Bindung
auf einem möglichst niedrigschwelligen
aufzubauen, sie darin zu stärken, das
Level. Die genannten Beispiele machen
Kind anzunehmen – das steht sehr oft am
deutlich: Familienhebammen kommen
Anfang, wenn ich in die Familien komme.
ins Spiel, wenn anzunehmen ist, dass
Und natürlich auch der Punkt, den Frauen
zusätzliche Hilfe erforderlich wird – eben
zu helfen, ihren Alltag besser strukturiert
Brigitte Hillen,
nicht nur im gesundheitlichen Bereich und
und organisiert zu bekommen. Unterstüt-
Familienhebamme
auch über den Rahmen der „normalen“
zung erhalte ich hier durch die Zusammen-
Hebammentätigkeit vor und bis zu acht
arbeit mit der Koordinatorin, unserem
Wochen nach der Entbindung hinaus,
Familienhebammenteam vor Ort sowie
nämlich bis zur Vollendung des ersten
einem gut funktionierenden Netzwerk.
Lebensjahres.
30
Im Gespräch:
Christiane Christ,
Brigitte Hillen
Und für die Koordination dieses Netz-
nicht glauben können, dass sie unterstützt
muss. Und wenn sich die Situation auch
werks hier im Landkreis Hameln-Pyr-
werden sollen, um ihren Kindern fürsorgli-
dann noch nicht bessert, wird gerichtlich
mont sind Sie zuständig, Frau Christ.
che Mütter zu sein. Solidarität, gegenseiti-
entschieden, ob das Kind aus der Fami-
Christ: Genau. Wir wollen alle Institutio-
ge Unterstützung und dass es ganz normal
lie genommen wird. Bei minderjährigen
nen und Helfersysteme, die jeweils im kon-
ist, Hilfe anzunehmen – das lernen viele
Müttern haben wir sowieso immer das
kreten Fall für die Frühförderung in Frage
erst bei uns kennen.
Jugendamt mit im Boot, weil das Baby
kommen, ins Geschehen einbinden. Dazu
automatisch unter Amtsvormundschaft
zählen zusätzlich zu den Familienhebam-
Ist denn den betreuten Frauen und
men zum Beispiel Kinderärzte, nieder-
Familien von Anfang an klar, dass ein
gelassene Gynäkologen, der Allgemeine
solches Netzwerk besteht, oder haben
Was sind denn typische Beispiele für
Soziale Dienst des Jugendamtes, aber auch
sie zunächst nur mit der Familienheb-
Ihre Arbeit mit den Müttern?
freie Träger, die teils kostenlose Unter-
amme zu tun?
Hillen: Das sind zum großen Teil ganz ele-
stützung bieten. Im Rahmen regelmäßi-
Christ: Nein, es ist ganz wichtig, dass
mentare Dinge – durch Blickkontakt, Spie-
ger Teambesprechungen wird überlegt,
man gemeinsam mit der Familie spricht,
len und Singen eine Beziehung zum Kind
welche Maßnahmen sinnvoll sind, wo
dass sie weiß, dass hier in Einzelfällen ein
herstellen und Zuwendung leisten, zum
eventuell noch zusätzlicher Input gegeben
Helfersystem unterschiedlicher Professi-
Beispiel. Lebenspraktische Dinge: Hygiene,
werden kann. Und weil wir nach dem Prin-
onen eingesetzt wird und im fachlichen
Sauberkeit, das Fläschchen richtig zube-
zip der kurzen Wege organisiert sind, sind
Austausch miteinander steht. In der Regel
reiten. Das Zimmer lüften und das Kind
wir auch zeitnah handlungsfähig. Wenn
bin ich auch beim Erstbesuch mit dabei.
vor Reizüberflutung schützen – sprich:
also zum Beispiel eine Familienhebamme
Es passiert nichts hinter den Kulissen, und
nicht einfach vorm Fernseher parken. Und
direkt vor Ort eine Situation vorfindet, die
das ist auch ein Teil der Wertschätzung
wenn schon zur Monatsmitte kein Geld
sie alleine nicht mehr auflösen kann, dann
gegenüber der Familie, vollkommen un-
für Babynahrung mehr da ist, müssen wir
ist sie eben nicht auf sich gestellt, sondern
abhängig von der Problemlage. Unser Ziel
darauf einwirken, dass das verfügbare
hat die Möglichkeit zur Rücksprache mit
ist es, die Frauen so früh wie möglich an-
Einkommen besser eingeteilt und nicht
der Koordinatorin oder kann auf andere
zusprechen, sie zu motivieren, sie zu mehr
beispielsweise für Alkohol oder Zigaretten
Netzwerk-Ressourcen zurückgreifen.
Eigenverantwortung zu befähigen und zur
ausgegeben wird. Das ist in vielen Familien
ein großes Problem, ebenso wie das Zu-
Kooperation mit uns zu bewegen.
Hillen: Das klappt hier bei uns wirklich
31
kommt.
bereiten von gesunden Mahlzeiten mit fri-
ausgezeichnet. Ich fühle mich gut un-
Und wenn die Grenzen der Kooperati-
schen Zutaten – manche wissen gar nicht,
terstützt, gut aufgehoben im Team. Und
onsbereitschaft erreicht sind?
was es da für Möglichkeiten gibt, weil
darum geht es auch in hohem Maß bei
Christ: Einerseits unterliegen Hebammen
sie praktisch nur Fast Food kennen. Also
unserer Arbeit: den Frauen und Familien
und Familienhebammen der sogenannten
gehen wir mit ihnen zur Tafel, schauen
zu vermitteln, dass es überhaupt so etwas
Verschwiegenheitsverpflichtung. Aber sie
gemeinsam, was es hier für Lebensmittel
gibt wie Sicherheit, Vertrauen, Verläss-
sind auch an den § 8a des Kinder- und
gibt und was man daraus machen kann.
lichkeit – und dass sie solche Strukturen
Jugendhilfegesetzes gebunden und damit
Zum Beispiel selbst gemachtes Apfelmus
und Angebote auch getrost in Anspruch
verpflichtet, das Jugendamt einzuschalten,
oder Kompott: Für nicht wenige Mütter
nehmen dürfen. Viele dieser Frauen haben
wenn das Wohl des Kindes in Gefahr ist.
ist das eine ganz neue Erfahrung. Wenn
häufig nur ein schwach ausgeprägtes
Dann werden regelmäßig der Allgemeine
vielleicht auch noch eine Drogenproble-
Selbstwertgefühl, weil sie in ihrem Leben
Soziale Dienst sowie die Kinderschutzfach-
matik mit im Spiel ist – Alkohol, Heroin,
nur unzureichend Wertschätzung erfahren
kraft eingebunden, die die erforderlichen
Crack – dann müssen wir noch genauer
haben. Da wird uns dann anfänglich oft
Maßnahmen treffen und mit denen die
hinschauen, müssen darauf achten, dass
mit Skepsis begegnet, weil die Frauen gar
Mutter sich auch einverstanden erklären
die Termine bei der Drogenberatungsstelle
regelmäßig wahrgenommen werden. Bei
Welche Verbesserungen für die Aufsu-
allem versuche ich natürlich auch immer
chende Hilfe und die Frühförderung
die Väter so gut es geht mit einzubinden
erwarten Sie vom neuen Bundeskin-
und zu motivieren. Allerdings kommt es
derschutzgesetz?
auch vor, dass die Mutter zum Zeitpunkt
Christ: Die Regelungen zum Hausbesuch
der Entbindung schon gar nicht mehr mit
und zum Zusammenspiel von Frühförde-
dem Vater des Kindes zusammen ist.
rungsnetzwerken und leicht zugänglichen
Hilfeangeboten auch schon für werdende
Das sind Aufgaben, die sich ja nun
Eltern werden verbessert. In den kommen-
ganz gewiss nicht allein mit Einfüh-
den vier Jahren stehen insgesamt 120 Mil-
lungsvermögen und dem sprichwört-
lionen Euro zur Stärkung des Einsatzes
lichen gesunden Menschenverstand
von Familienhebammen zur Verfügung.
erfüllen lassen. Über welche spezifi-
Damit haben wir auch deutlich verbesserte
schen Qualifikationen muss denn eine
Möglichkeiten, um unsere Angebote über-
Familienhebamme verfügen?
haupt an die Bedarfsgruppen heranzutra-
Hillen: Auf die sozusagen „klassischen“
gen, sodass dann auch mehr Frauen von
Aufgaben von der Geburtsvorbereitung
sich aus auf uns zukommen und Hilfe und
über die Wochenbettbetreuung bis zur
Betreuung in Anspruch nehmen können.
Nachsorge bin ich durch meine dreijährige Ausbildung zur staatlich examinierten
Hillen: Wir hoffen sehr, dass künftig
Hebamme vorbereitet. Für die darüber
derzeit noch bestehende Hemmschwellen
hinausgehenden medizinischen und psy-
weiter verschwinden. Dass es die Frauen
chosozialen Bereiche hat die Stiftung Eine
dann nicht nur hinnehmen, dass sie da
Chance für Kinder ein Fortbildungs-Curri-
von einer Familienhebamme aufgesucht
culum erarbeitet, das 170 Unterrichtsstun-
werden, sondern dass sie sich auf uns
den umfasst. Der Pilotkurs für die neue
freuen und sagen: „Da kommt mein
Weiterbildung zur staatlich anerkannten
Personal Coach, der macht mich fit fürs
Familienhebamme in Niedersachsen wird
Leben mit meinem Kind!“
rund 400 Unterrichtsstunden in insgesamt
16 Seminarblöcken umfassen, also noch
einmal eine ganz erhebliche Vertiefung
bringen, und mit einer staatlichen Prüfung
abschließen.
32
Gefahren erkennen und
professionell reagieren
33
Gefahren erkennen und
professionell reagieren
Spektakuläre Fälle von Kindesvernachlässigung und -misshandlung
haben den Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Fokus der
Öffentlichkeit gerückt. Nicht zuletzt hierdurch ist deutlich geworden, dass der Schutz von Kindern vor Misshandlung und Vernach-
Kinderschutz-Zentrum in Hannover
lässigung ein Arbeitsbereich ist, in dem hohe fachliche Anforderungen an die dort Tätigen gestellt werden. In Niedersachsen gibt
Kinderschutz-Zentrum Hannover
es eine Vielzahl spezialisierter Einrichtungen, die bei Bedarf tätig
werden. Hier stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tagtäglich
Ein Haus für Kinder – seit Gründung des Zentrums stehen Mäd-
in der Verantwortung, Gefährdungslagen einzuschätzen und pro-
chen und Jungen im Mittelpunkt, die von Gewalt betroffen
fessionell mit Fällen von Kindeswohlgefährdungen umzugehen.
sind. Träger ist der Deutsche Kinderschutzbund, Landesverband
Das Land Niedersachsen setzt auf eine enge Verflechtung von
Niedersachsen. An vier Tagen in der Woche ist die Beratungsstel-
Prävention und Problemlösungen. Dabei sind die Kinderschutz-
le telefonisch erreichbar. Das Kinderschutz-Zentrum Hannover
Zentren in Hannover und Oldenburg, ein landesweites Netz von
hilft Kindern, Jugendlichen und ihren Angehörigen in Fällen
Beratungsstellen, Mädchen- und Frauenhäuser, die Kinderschutz-
körperlicher und seelischer Misshandlung und Vernachlässigung
ambulanz am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hoch-
sowie bei sexueller Gewalt. Die Angebote umfassen außerdem
schule Hannover, Projekte zur Prävention sexueller Gewalt und die
Prävention, Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern sowie
Fortbildung von Fachkräften tragende Säulen des Kinderschutzes.
Fortbildung, Kompetenzvermittlung und Beratung für Fachkräf-
Diese Einrichtungen und Projekte werden mit Landesmitteln in
te. Das Kinderschutz-Zentrum Hannover bietet Fachpersonal aus
ihrer Arbeit unterstützt.
der Jugendhilfe, dem schulischen und medizinischen Bereich,
in Kindertagesstätten und Jugendämtern Qualifizierungen und
Fortbildungen, die sie in ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Dafür
Förderung von Einrichtungen
steht ein interdisziplinäres Team zur Verfügung, das Fachwissen
In Niedersachsen haben sich zwei Kinderschutz-Zentren in
aus Sozialpädagogik, Psychologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Hannover und Oldenburg etabliert. Ein Schwerpunkt der beiden
Pädagogik, Sozialwissenschaften, Familientherapie und Medizin
Einrichtungen ist die Beratung von Familien mit Gewaltproblemen.
vereint.
Zusätzlich unterstützen und qualifizieren die Kinderschutz-Zentren
www.ksz-hannover.de
Fachmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, geben Impulse für die
Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie beraten Kommunen
und andere Institutionen in der Kinderschutzpraxis und führen
Fachberatung
Fortbildungen durch. Darüber hinaus sind die Zentren bewährte
Menschen, die sich beruflich Tag für Tag mit Kindern beschäfti-
Partner des Landes, um innovative Konzepte zu entwickeln, zu
gen, sind gefordert, Kindesvernachlässigung, Misshandlung und
erproben und in die Fläche zu tragen.
sexuellen Missbrauch frühzeitig zu erkennen und in oft unübersichtlichen und belastenden Situationen Lösungswege zu finden.
Institutionen sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfahren dabei landesweit Unterstützung durch die Beratungskräfte des
Kinderschutz-Zentrums, die erfahrene Fachkräfte im Sinne § 8a
SGB VIII sind.
34
Qualifizierung und Kompetenzerweiterung
Mit Fachtagungen, Seminaren und Workshops unterstützt das
Kinderschutz-Zentrum Multiplikatoren in Niedersachsen im
sicheren Umgang mit Kindern, die Gewalt erleiden. Adressaten
sind Fachkräfte der sozialpädagogischen Familienhilfe, aus Kindertagesstätten, Beratungsstellen, der stationären und ambulanten Jugendhilfe, der Präventionsarbeit, der Schulsozialarbeit,
Kinderschutz-Zentrum Oldenburg
der Öffentlichen Jugendhilfe, des Gesundheitswesens, der Polizei,
der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie niedergelassene Thera-
Das Kinderschutz-Zentrum Oldenburg verfügt mit der Vertrauens-
peuten.
stelle Benjamin über 25 Jahre Erfahrung in der Arbeit mit gewaltbelasteten Familien. Die Zahl der Ratsuchenden steigt stetig. Aus
Koordinierte Hilfe für Kinder bei häuslicher Gewalt
diesem Grund gibt es seit dem Jahr 2009 einmal pro Woche ein
Nach polizeilichen Einsätzen aufgrund häuslicher Gewalt setzt
zusätzliches Beratungsangebot in der benachbarten Kreisstadt
das Hannoversche Interventionsprojekt gegen Männergewalt in
Wildeshausen. Von Anfang an haben die pädagogischen Fach-
der Familie (HAIP) ein vielschichtiges Eingreifen professioneller
kräfte des Allgemeinen Sozialdienstes im Jugendamt und die
Hilfen in Gang. Das Kinderschutz-Zentrum ist in der Landeshaupt-
Fachkräfte des Kinderschutz-Zentrums gut zusammengearbeitet.
stadt HAIP-Koordinierungsstelle für betroffene Mädchen und
Als erfahrene Fachkräfte stehen die Mitarbeitenden des Kinder-
Jungen, Mitglied des Runden Tisches Männergewalt in der Familie
schutz-Zentrums auch Institutionen, Kindertagesstätten etc. zur
und der Arbeitsgruppe Prävention häuslicher Gewalt im Landes-
Verfügung. Das Kinderschutz-Zentrum bringt seine Erfahrungen
präventionsrat. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Arbeit mit
und Kompetenzen in verschiedene Netzwerke ein, z. B. gründete
Schulklassen.
und koordiniert es seit 2006 das Oldenburger System Frühe Hilfen
(OSFH).
Begleiteter Umgang
Bei Kindesmisshandlung und Vernachlässigung werden Einzel-
Kinder, die zerbrechende Partnerschaften und oft jahrelang wäh-
und Familiengespräche angeboten. Bei sexueller Gewalt steht die
rende Sorgerechtsstreitigkeiten miterleben, sind häufig sprach-
parteiliche Einzelarbeit mit den Betroffenen und deren Bezugsper-
los, leiden unter Trauer und Schuldgefühlen. Im Kinderschutz-
sonen im Vordergrund. Darüber hinaus hat sich die Beratungsstel-
Zentrum können abgerissene Kontakte zu Vätern oder Müttern
le in der Stadt Oldenburg und der Region als Fachberatungsstelle
mit professioneller Vermittlung und Begleitung wieder geknüpft
bei Kindeswohlgefährdung (Misshandlung, Vernachlässigung,
werden. Ein Spielzimmer bietet dafür einen unbelasteten Rahmen.
sexuelle und häusliche Gewalt) etabliert und bietet außerdem
Das Kinderschutz-Zentrum arbeitet eng mit dem Kommunalen
Supervision, Fortbildung, Zeugenbegleitung und Informationsver-
Sozialdienst (KSD), Gerichten und Anwälten zusammen. Ziel ist es,
anstaltungen an.
in jedem Einzelfall tragfähige Regelungen für konfliktarme, konstruktive Besuchskontakte zu erarbeiten, mit denen alle Beteiligten
www.kinderschutz-ol.de
leben können. Die Wünsche der Kinder bestimmen die Richtung.
Das Kinderschutz-Zentrum Hannover ist bundesweit vernetzt
in der Bundesarbeitsgemeinschaft Begleiteter Umgang (www.
Vertrauensstelle Benjamin
begleiteter-umgang.de). In Seminaren wie Binationale Familien
Das Team der Vertrauensstelle bietet zeitnahe, kostenlose,
im Begleiteten Umgang oder Eskalierte Elternkonflikte gibt das
vertrauliche Beratung und weitere niedrigschwellige Hilfen bei
Zentrum sein Wissen an Fachkräfte weiter.
Misshandlung, Vernachlässigung, sexueller und häuslicher Gewalt
für Mädchen, Jungen, weibliche und männliche Jugendliche, für
Eltern, Pädagogen, weitere Rat Suchende sowie Fachberatungen
für Jugendhilfeeinrichtungen an. Im Juli 1986 wurde die Vertrau-
35
ensstelle Benjamin eröffnet. Seit 2009 bietet das Kinderschutz-
Kinder psychisch kranker Eltern
Zentrum Oldenburg außerdem ambulante Beratungs- und
Seit 2001 ist das Kinderschutz-Zentrum Oldenburg aktiv im Netz-
Therapieangebote für sexuell übergriffige Jugendliche an.
werk Kinder psychisch kranker Eltern. Daraus entstand die Idee,
ein regionales, interdisziplinäres und interinstitutionelles Beratungsforum zu gründen. Seit 2004 treffen sich Fachleute aus dem
Arbeitsbereich Prävention
Gesundheitswesen und der Jugendhilfe einmal im Monat und
Seit dem Jahr 1997 werden im Arbeitsbereich Prävention nationa-
haben dabei die Möglichkeit, einen Fall vorzustellen. Die Anmel-
le und internationale Projekte zur Vorbeugung sexueller Gewalt
dung zum Beratungsforum erfolgt im Sozialpsychiatrischen Dienst.
entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Fortbildungen, Fachbe-
Seit Dezember 2009 arbeiten die beteiligten Institutionen auf der
ratungen, Informationsveranstaltungen, Vorträge, Workshops,
Grundlage einer verbindlichen Kooperationsvereinbarung.
Elternabende sowie getrennte Mütter- und Väterabende zum
Thema Prävention sexueller Gewalt gehören zu den Aufgaben
dieses Arbeitsbereichs. Die Angebote richten sich an Fachkräfte,
GangstaRap aus Kinderschutzperspektive
an Mütter und Väter, an Mädchen und Jungen im Kindes- und
Gewalt- und drogenverherrlichende, pornographische, frauen-
Jugendalter.
verachtende und schwulenfeindliche Texte von Sido, Bushido,
Frauenarzt & Co – Provokation oder Gefährdung? Dieser Frage
„Ich bin ich, du bist du und das sind wir!“
ist das Kinderschutz-Zentrum Oldenburg 2009 in einem Praxis-
Siehe hierzu das Interview mit Dr. Michael Herschelmann
forschungsprojekt nachgegangen. Die gewonnenen Erkenntnisse
auf Seite 45.
wurden einer breiten Öffentlichkeit durch Vorträge, Workshops
und Fachartikel präsentiert.
Mentorenprojekt Balu und Du
Das Ehrenamtlichen-Projekt wurde an der Universität Osnabrück
entwickelt. 2007 übernahm der Präventionsrat Oldenburg (PRO)
in Kooperation mit der Carl von Ossietzky Universität die Finanzierung und ermöglichte damit den Einsatz in Oldenburg. Grundschulkinder, die aus verschiedenen Gründen ein bisschen mehr
Zuwendung brauchen, werden ein Jahr lang durch eine Studentin
oder einen Studenten begleitet und gefördert. Einmal in der
Woche treffen sich die „Moglis“ mit ihren „Balus“ für ein bis drei
Stunden, um miteinander zu sprechen, gemeinsam Hausaufgaben oder Sport zu machen, zu spielen. Im Mittelpunkt stehen das
informelle Lernen und der Spaß an gemeinsamen Aktivitäten der
beiden „Freunde“. Die Studierenden können sich ihr Engagement
als studienbegleitendes Praktikum anerkennen lassen.
www.balu-und-du.de
36
Beratungsstellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche
Beratungseinrichtungen Gewalt gegen
Frauen und Mädchen
Seit 1991 fördert das Land gemeinnützige Beratungsangebote,
um von Gewalt betroffene Kinder, Jugendliche und ihre Ange-
Wer schlägt, muss gehen! Mit dieser Grundaussage des Gewalt-
hörigen zu unterstützen. Grundlage dafür ist die Richtlinie des
schutzgesetzes wurde ein Paradigmenwechsel im gesellschaftli-
niedersächsischen Sozialministeriums, die zuletzt im Jahr 2009
chen Umgang mit Gewalt in Partnerschaften eingeleitet: Opfer
aktualisiert wurde. Danach werden Landesmittel für Personal und
häuslicher Gewalt sind nicht länger gezwungen, die gemeinsame
Ausstattung an Institutionen vergeben, die gewährleisten, dass sie
Wohnung zu verlassen, um sich vor Übergriffen zu schützen.
– die Lebenslagen, Interessen und Bedürfnisse der Mädchen und
Stattdessen sollen die Täter zur Verantwortung gezogen werden;
Jungen in den Mittelpunkt stellen,
– die Opfer- und Täterberatung nicht von derselben Person
misshandelte Frauen können Unterstützung durch Polizei, Justiz
und Beratungsstellen in Anspruch nehmen. Fachkräfte aus sozialer
durchführen und Fachkräfte beiderlei Geschlechts zur Verfü-
Arbeit, Polizei, Justiz und kommunalen Einrichtungen arbeiten
gung stellen,
intensiv zusammen. Seit den 70-er Jahren bieten Frauenhäuser
– die Anonymität der Ratsuchenden wahren,
und -beratungsstellen misshandelten Frauen und ihren Kindern
– neben der sozialpädagogischen Beratung und der Vermittlung
eine Zuflucht. Mädchen und junge Frauen finden nach Gewalt-
weiterführender Angebote auch präventive Arbeit leisten,
erfahrungen einen Ausweg durch Beratung in Beratungsstellen
– mindestens eine halbe Stelle mit einer hauptamtlichen diplo-
oder Mädchenhäusern. Das Land Niedersachsen unterstützt diese
mierten sozialpädagogischen oder psychologischen Fachkraft
Einrichtungen. 35 Beratungsstellen haben sich auf diesen Bereich
besetzen oder mindestens 200 Stunden ehrenamtliche Tätig-
spezialisiert:
keit pro Jahr nachweisen können,
– keine Förderung nach einer anderen Richtlinie des Landes
erhalten.
– Frauennotrufe setzen einen Schwerpunkt beim Thema sexuelle
Gewalt und Vergewaltigung. Unabhängig davon, ob die
sexuelle Gewalt durch einen Fremden, einen nahen Bekannten
Zusätzlich werden die Beratungsstellen verpflichtet, sich in Abspra-
oder einen Lebenspartner begangen wurde, bieten sie Hilfe an,
che mit den örtlichen Jugendhilfeträgern mit anderen Institutio-
um das Erlebte zu verarbeiten und informieren über rechtliche
nen vor Ort zu vernetzen, ihr Personal kontinuierlich fortzubilden,
die Beratungsqualität zu sichern und auszubauen.
Niedersachsen verfügt über ein landesweites Angebot von
Möglichkeiten, z.B. zur Einleitung von Schutzmaßnahmen.
– Beratungsstellen zum Thema sexueller Missbrauch wenden sich
in erster Linie an Mädchen, die Opfer von sexuellen Übergriffen
mittlerweile 20 Beratungsstellen, die gefördert werden. Die Stellen
geworden sind; sie beraten aber auch Jungen oder vermitteln
bieten Krisenintervention und Beratung für von Gewalt betroffene
den Kontakt zu speziellen Beratungsstellen für männliche
Kinder, Jugendliche und deren Eltern, Projektarbeit oder Online-
Kinder und Jugendliche. Sie stehen auch offen für Frauen, die
Beratung, Fortbildungen und Fachberatung für Berufsgruppen. Im
erst in ihrem späteren Leben erkennen, dass sie als Kind Opfer
Jahr 2009 hatten die seinerzeit geförderten 19 Teams insgesamt
von sexueller Gewalt geworden sind. Darüber hinaus können
12 572 Beratungskontakte.
sich Fachkräfte (Lehrerinnen und Lehrer oder Erzieherinnen und
Erzieher) sowie andere Erwachsene aus dem Umfeld mögli-
www.kinderschutz-niedersachsen.de >
cherweise betroffener Kinder an die Beratungsstellen wenden,
Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder
wenn sie Unterstützung und Rat bei einem Verdachtsfall benötigen.
– Frauenberatungsstellen bieten Unterstützung bei sexueller, körperlicher oder psychischer Gewalt durch einen nahen Bekannten, Lebenspartner oder andere Täter.
37
– Beratung- und Interventionsstellen (BISS) bieten eine Beratung
nach einem Polizeieinsatz an und sind auf häusliche Gewalt
spezialisiert. Die 29 BISS informieren über die rechtlichen Möglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz. Sie verweisen bei
intensiverem Beratungsbedarf an andere Hilfeeinrichtungen.
– Frauenhäuser bieten Opfern häuslicher Gewalt Rund-um-dieUhr Aufnahme, Schutz, Beratung und Unterstützung für die
weitere Lebensplanung. Die Adressen sind geheim, um die Opfer zu schützen. Die Kontaktaufnahme geschieht telefonisch.
Die Beraterin vereinbart einen Treffpunkt mit der Frau und ihren
Koordinationsstelle Häusliche Gewalt
Kindern. Im Notfall kann eine Frau auch von der Polizei direkt
ins Frauenhaus gefahren werden. In Niedersachsen gibt es mit
Das Land Niedersachsen flankiert die Umsetzung des Gewalt-
40 vom Land geförderten Frauenhäusern ein flächendeckendes
schutzgesetzes mit einem ressortübergreifenden Aktionsplan zur
Angebot sicherer Unterkünfte.
Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich. Er
– Mädchenhäuser bieten Mädchen und jungen Frauen, die nach
umfasst Maßnahmen in der polizeilichen Krisenintervention, Straf-
Gewalterfahrungen und sexuellem Missbrauch einen Ausweg
verfolgung und im Opferschutz, im zivilrechtlichen Schutz, in der
suchen, sichere Zuflucht und vielfältige Unterstützung.
psychosozialen Unterstützung der von Gewalt betroffener Frauen,
Unterstützung für Kinder misshandelter Mütter, im Gesundheits-
www.ms.niedersachsen.de > Gleichberechtigung/Frauen >
wesen und in der Prävention. Die Hilfe für betroffene Frauen und
Gewalt gegen Frauen >
ihre Kinder erfordert eine intensive Kooperation der Fachkräfte in
Behörden und Institutionen vor Ort. Zur Umsetzung des niedersächsischen Aktionsplanes und zur Vernetzung mit vielen örtlichen
Initiativen, z.B. Frauenunterstützungseinrichtungen, kommunale
Präventionsräte, Runde Tische gegen häusliche Gewalt und ähnliche Gremien hat das Land eine Koordinationsstelle beim Landespräventionsrat (LPR) Niedersachsen eingerichtet.
www.lpr.niedersachsen.de >
Aktivitäten > Koordinationsstelle Häusliche Gewalt
38
Aktuelle Projekte zur Prävention sexueller Gewalt
Sichere Orte für Kinder und Jugendliche
Auf neue Herausforderungen reagiert der Kinderschutz mit neuen
Mit der Intensität des Abhängigkeitsverhältnisses von Mädchen
Ansätzen. Das Land fördert entsprechende Modellversuche.
und Jungen zum Betreuerpersonal steigt das Risiko sexueller
Übergriffe. Das trifft insbesondere auf Einrichtungen und Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe
Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport
zu. Wie lassen sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
gegen sexuelle Gewalt durch Mitarbeitende oder Leitungskräf-
Der Landessportbund Niedersachsen und seine Sportjugend haben
te schützen? Antworten darauf will das vom Land geförderte
sich bereits gegen jegliche Form sexualisierter Grenzüberschrei-
Modellprojekt Sichere Orte geben. Ziele sind, die Prävention und
tungen positioniert. Jetzt sollen in der Kinder- und Jugendarbeit
Intervention in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie
klare Informations-, Beratungs-, Qualifizierungs-, Beschwerde-
der Behindertenhilfe zu verbessern und pädokriminelle Fachkräfte
managements- und Vernetzungsstrukturen in Kooperation mit
von ihnen fernzuhalten. Dabei sollen die Träger Verantwortung
Fachberatungsstellen auf- und ausgebaut werden – vom Trainings-
übernehmen, die Leitungen sich in ihrer Rolle und Haltung klar
betrieb im Sportverein, über Lehrgänge für Multiplikatorinnen und
werden, die Mitarbeitenden sensibilisiert, Eltern, Mädchen und
Multiplikatoren, Freizeiten für Kinder und Jugendliche bis hin zur
Jungen über ihre Rechte informiert und eingebunden werden.
Betreuung von jungen Athletinnen und Athleten im Spitzensport.
Mit Sichere Orte wird ein Qualitätsentwicklungsprozess inner-
Mit dem Projekt Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport: Präven-
halb der Einrichtungen angestoßen. Während der Modellphase
tion, Intervention, Handlungskompetenz hat der Landessportbund
sollen Tipps und Handlungsmöglichkeiten für Einrichtungen der
im Jahr 2011 damit begonnen, in der gesamten Sportorganisa-
Behindertenhilfe erarbeitet werden. Am Ende stehen Schutzkon-
tion ein Klima zu schaffen, das sowohl Mitarbeitende des Sports
zepte, die für die jeweiligen Träger, ihre Einrichtungen und Teams
animiert, qualifiziert zu handeln, als auch Betroffene zum Reden
transparent und verbindlich sind. Beteiligt an dem Projekt sind
ermutigt sowie Täter und Täterinnen abschreckt.
die Kinderschutz-Zentren in Hannover und Oldenburg. Für den
Zur direkten fachlichen Beratung und als zentrale Anlaufstelle
Zeitraum von September 2010 bis Dezember 2011 haben sich
wurde eine Clearingstelle für Betroffene und Ratsuchende aus
zunächst drei Einrichtungen in Oldenburg, Braunschweig und
dem Sport in Kooperation mit dem Landesverband des Deutschen
Hannover auf den Weg gemacht, ein Sicherer Ort für Mädchen
Kinderschutzbundes (DKSB) eingerichtet. Über die Clearingstelle
und Jungen mit Behinderung zu sein.
sollen Kooperationen mit Beratungseinrichtungen auf regionaler
Ebene aufgebaut und – langfristig gesehen – engmaschige Netz-
www.ksz-hannover.de
werkstrukturen, die direkte Hilfe in Missbrauchssituationen für die
Siehe zu diesem Thema auch das Interview mit
jeweilige Sportorganisation gewährleisten, geschaffen werden.
Dr. Michael Herschelmann auf Seite 45.
Die ebenfalls gemeinsam mit dem DKSB geplanten Informations- und Qualifizierungsmaßnahmen des Projektes sollen auf
regionale Anforderungen übertragen werden. Geplant sind dezen-
Präventionsstelle Kinderschutzkonzepte
trale Informationsveranstaltungen für Sportvereine, Sportbünde
und Landesfachverbände.
Für Pflege- und Heimkinder besteht ein erhöhtes Misshandlungsund Missbrauchsrisiko. Die Fälle von (sexueller) Gewalt in Kirchen,
www.lsb-niedersachsen.de
Schulen, Einrichtungen und Verbänden haben erneut deutlich gemacht, dass Institutionen Beratung und Unterstützung brauchen,
um im Verdachtsfall auf Schutzkonzepte und interne Verfahrensweisen zurückgreifen zu können. Sie müssen kompetent sein, um
39
Anzeichen für grenzüberschreitendes Handeln zu erkennen und
Präventionsprojekte für
adäquat zu handeln. Über die Stärkung der fachlichen Mitarbei-
noch nicht straffällig gewordene Pädophile
terebene hinaus müssen Institutionen ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern eine Orientierung und einen festen Handlungsrah-
Epidemiologisch ist bekannt, dass in Deutschland etwa 16 000
men im Sinne eines Beschwerdemanagements bieten.
sexuelle Übergriffe gegen Kinder angezeigt werden; tatsächlich
Hier setzt der Deutsche Kinderschutzbund, Landesverband
überführt und abgeurteilt werden aber lediglich ca. 15 Prozent der
Niedersachsen mit einem neuen Projekt an. Auf der Grundlage
angezeigten Fälle. Die Dunkelziffer an Übergriffen dürfte erheblich
jahrelanger Erfahrung in der Wissensvermittlung an Fachleute
höher liegen. Auch für die Gesamtzahl der Menschen mit pädo-
wird in Hannover eine Präventionsstelle Kinderschutzkonzepte
philen Neigungen gibt es lediglich Schätzungen.
aufgebaut. Ziele des Projektes sind der nachhaltige Schutz von
Ein am Institut für Sexualmedizin an der Charite in Berlin durch-
Mädchen und Jungen vor sexualisierter Gewalt in pädagogischen
geführtes Präventionsprojekt mit dem Titel Dunkelfeld richtete
Einrichtungen und Verbänden, die zielgruppenorientierte Qualifi-
sich an Menschen mit pädophilen Neigungen, indem es bisher
zierung von Fachkräften und Laien der Kinder- und Jugendhilfe in
nicht straffällig gewordenen Pädophilen eine Behandlung auf
Niedersachsen, die Etablierung eines Verfahrens- bzw. Beschwer-
freiwilliger Basis und völlig anonym anbot, wobei die Therapie
demanagements in Einrichtungen und Verbänden sowie die Ak-
ein Jahr lang in regelmäßigen Abständen in einem speziell dafür
tivierung von lokalen Netzwerkbezügen zu Fachberatungsstellen.
entwickelten Behandlungssetting erfolgte.
Zielgruppen sind Kindertagesstätten und Horte, Einrichtungen der
freien Jugendhilfe sowie kirchliche und freie Jugendverbände.
Ausgehend davon, dass auch in Niedersachsen im Dunkelfeld
lebende, noch nicht übergriffig gewordene Pädophile entsprechende Behandlungsangebote freiwillig aufgreifen, werden ab
Die Präventionsstelle soll
2011 für die Dauer von drei Jahren durch das Land zwei Präven-
– Materialien zum Thema Prävention, Literatur und Empfehlun-
tionsprojekte an der Medizinischen Hochschule Hannover und
gen zusammenstellen,
– eine Angebotsstruktur für die Institutionen entwickeln,
– einen Pool freier Referenten in Kooperation mit lokalen Fachberatungsstellen organisieren,
– institutionelle Lernprozesse zur Kompetenzerweiterung der
Mitarbeitenden und Trägerverantwortlichen begleiten,
– eine Fachtagung in Zusammenarbeit mit dem Fortbildungsbereich des Kinderschutz-Zentrums in Hannover organisieren und
ausrichten,
– eine Internetseite anbieten.
www.ksz-hannover.de
40
dem Asklepios Klinikum Göttingen im Verbund mit der Universität
Göttingen gefördert.
Zum therapeutischen Konzept gehört es, dass Betroffene ihr
Verhalten trainieren und ihre Einstellungen ändern sollen in Bezug
auf ihr sexuelles Erleben und Verhalten. Hierzu gehören ihre sozialen Bindungen, Kommunikation und Partnerschaften; ggf. werden
impulsdämpfende Medikamente gegeben, die die Verhaltenskontrolle unterstützen sollen.
Theaterpädagogische Kampagne Grenzgebiete
Ein Tritt ins Glück: Die Produktion der Theaterpädagogischen
Werkstatt (gGmbH) Osnabrück ist für Schüler der 7. bis 9. Klassen
Sexuelle Attacken und Übergriffe unter Jugendlichen oder Gewalt
gedacht. Mädchen und Jungen sollen darin gestärkt werden, die
in Teenager-Beziehungen sind keineswegs selten, werden aber
eigenen Grenzen zu erkennen und die Grenzen anderer zu res-
in der öffentlichen Wahrnehmung häufig verharmlost. Ein Drittel
pektieren. Wie erkennt man bei sexueller Anmache und sexueller
aller Fälle sexuellen Missbrauchs wird von kindlichen oder ju-
Gewalt rechtzeitig, dass die Situation umschlägt? Wie stellt man
gendlichen Tätern begangen. Aktuellen Untersuchungen zufolge
mit Nachdruck klar, dass ein „Nein“ kein „Jein“ ist? Was kann
machen fast zwei Drittel der Mädchen, aber auch ein erheblicher
man tun, um anderen zu helfen, wenn aus Spaß plötzlich Gewalt
Teil der Jungen unfreiwillige sexuelle Erfahrungen in der Schule,
und aus einer Rangelei ein verletzender Übergriff wird?
im Sportverein, auf Partys, in Wohngruppen, zu Hause. Oft kennen Täter und Opfer einander. Sie flirten, haben eine Verabredung
Fortbildungen: Mit der Kampagne Grenzgebiete will die Lan-
oder eine Beziehung, plötzlich kippt die Situation.
desstelle Jugendschutz auch Fachkräfte aus der Jugendarbeit,
Ein Date Rape, also ein sexueller Übergriff in einer Beziehung,
Erzieherinnen und Erzieher, Schulsozialarbeiter und Lehrkräfte
beginnt oft in gegenseitigem Einvernehmen. Aber wenn aus
für das Thema sensibilisieren. In Fortbildungen erfahren sie, wie
einem Flirt eine aggressive Anmache wird, ist das der Zeitpunkt
sie sich verhalten können, wenn sie sexuelle Übergriffe beob-
für ein klares „Nein“. Gegenüber dem Flirt oder dem Freund fällt
achten oder vermuten. Wie schafft man einen Anlass, um über
das oft besonders schwer. Viele jugendliche Täter üben sexuelle
sexuelle Übergriffe zu sprechen, und wie findet man die richtigen
Gewalt im Kontext von Gruppenaktivitäten aus: Zwangsküs-
Worte dafür?
sen, Hodenkneifen, Strippoker, Vergewaltigung durch mehrere
Mitglieder der Clique. Häufig wissen auch Unbeteiligte Bescheid.
Information für Erwachsene: Die Informationsveranstaltungen
Dennoch ist es unter dem sozialen Druck der Gruppe schwer, über
wenden sich an alle Erwachsenen, die für Kinder und Jugendliche
solche Demütigungen zu sprechen.
verantwortlich sind: Eltern, Lehrkräfte, Haupt- und Ehrenamtliche.
Hier setzt das Präventionsprojekt Grenzgebiete für Schule und
Erwachsene sollen Jugendliche darin unterstützen, sich gegen
Jugendarbeit der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen (LJS)
Grenzverletzungen zu wehren und über Erfahrungen mit sexueller
an, das vom Niedersächsischen Sozialministerium unterstützt wird.
Gewalt zu sprechen.
In Kooperation mit der Theaterpädagogischen Werkstatt (gGmbH)
Osnabrück sind von Mai 2011 bis Dezember 2012 etwa 80 The-
www.jugendschutz-niedersachsen.de > Projekte > Gewalt
ater-Veranstaltungen und 60 Fortbildungen an verschiedenen
www.theaterpaed-werkstatt.de
Orten in Niedersachsen geplant. Das Projekt umfasst das Theaterprogramm Ein Tritt ins Glück für die pädagogische Arbeit mit
Jugendlichen sowie eintägige Workshops für Fach- und Lehrkräfte. Zusätzlich werden Informationsveranstaltungen zum Thema
sexuelle Gewalt unter Jugendlichen angeboten.
GRENZ
41
GEBIETE
..
Sexuelle Ubergriffe
unter Jugendlichen
Unterstützung von Kinderschutz-Professionen
Als weiterer Baustein des Projektes Kinderschutz werden in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen
Kinderschutzambulanz der MHH
(KVN) rechtsmedizinische Tele-Konsile angeboten, die den nieder-
Im Januar 2011 hat Sozial- und Gesundheitsministerin Aygül Öz-
gelassenen und klinischen Ärztinnen und Ärzten den Zugang zu
kan die Kinderschutzambulanz am Institut für Rechtsmedizin der
rechtsmedizinischen Expertenwissen erleichtern sollen: Unklare
Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eröffnet. Das Land
Befunde bei Kindern können vor Ort fotografiert und an das
fördert diese Einrichtung zunächst für drei Jahre und baut damit
Institut für Rechtsmedizin übersandt werden. Von dort werden die
systematisch die sichere Früherkennung und Diagnose bei Miss-
schriftlichen und fotografischen Befunde (mit-)beurteilt und bei
handlungs- und Missbrauchsfällen aus. Die Rechtsmedizin an der
Bedarf weitere Maßnahmen empfohlen. Mit Unterstützung der
MHH mit ihrer Außenstelle Oldenburg bietet in den Räumen der
KVN wird ein schneller und sicherer Weg der Datenübermittlung
Institute zentrale Anlaufstellen mit festen Ansprechpartnern, um
garantiert.
niedergelassenen und klinischen Ärztinnen und Ärzten bei einer
möglichen Diagnose von Kindesmisshandlung und -missbrauch
www.kvn.de > Online-Dienste > Forensikon
kostenlose Beratung und Unterstützung zu geben und eine
schnelle beweissichernde, gerichtsverwertbare Dokumentation,
Begutachtung und Interpretation von Verletzungen und Spuren-
Neben der telefonischen Beratung wird bei Bedarf auch eine
sicherung zu ermöglichen. Darüber hinaus steht für eine zeitnahe
wohnortnahe rechtsmedizinische Begutachtung angeboten.
Alarmierung und fachlich kompetente Beratung ein telefonischer
Weitere Projektbausteine der Kinderschutzambulanz sind Fort-
Rufdienst an den Wochentagen, die Hotline Kinderschutz, zur
bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen mit dem Ziel einer
Verfügung.
Sensibilisierung zur verbesserten Früherkennung von Formen
körperlicher und sexueller Gewalt.
Hotline der MHH-Kinderschutzambulanz für Mit dem Projekt Kinderschutz und der Kinderschutzambulanz
Ärztinnen und Ärzte
können niedergelassene und klinische Ärztinnen und Ärzten – un-
Telefon (0511) 532 55 33
abhängig von einer Strafanzeige – eine qualifizierte medizinische
montags bis donnerstags 8:00 bis 16:00 Uhr
Diagnostik sicherstellen. Die Rechtsmedizin sorgt mit wissen-
freitags 8:00 bis 14:30 Uhr
schaftlich fundierten Erfahrungen, spezifischen Kenntnissen und
der notwendigen Expertise für die Beurteilung und Interpretation
von Verletzungsmustern, der Rekonstruktion von Tatabläufen und
der Zuordnung von Tatwerkzeugen zu Verletzungen.
www.mh-hannover.de/20103.html
42
Weiterbildung zur Kinderschutzfachkraft
nach § 8a SGB VIII
der Kindeswohlgefährdung. Das Land Niedersachsen hat dies
Alle Dienste und Einrichtungen, die Leistungen nach dem SGB VIII
Fortbildung zur Kinderschutzfachkraft.
erbringen, müssen bei Gefährdungen des Kindeswohls systema-
Dieses Weiterbildungsangebot umfasst vier jeweils zweitägige
tisch vorgehen. Einrichtungen sollen erfahrene Fachkräfte zur Sei-
Module, die folgende Ziele verfolgen: Vertiefung des Fachwissens,
te gestellt werden, die sie bei der Risiko- und Ressourcenabschät-
Stärkung der Handlungssicherheit, Erweiterung der Empathie- und
zung unterstützen und beim Elternkontakt begleitend beraten.
Kommunikationsfähigkeit, Stärkung der Diskursfähigkeit, Ent-
Sie sollen in der Lage sein, mit betroffenen Eltern und Kindern
wicklung von Handlungs- und Netzwerkkompetenz, Erweiterung
angemessen zu kommunizieren und sich informiert, empathisch
von Gestaltungsspielräumen im interdisziplinären Feld, Befähi-
und fachlich auf die spezifischen Einrichtungen und deren Mitar-
gung zur Regulierung von Umgangsproblemen, Erweiterung des
beiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Diese Anforderungen sind
Rechtsanwendungswissens, Verständnis von rechtssystematischen
die Konsequenzen aus dem § 8a Schutzauftrag des Jugendamtes
Zusammenhängen und Leitlinien, Vermittlungskompetenz, Un-
bei Kindeswohlgefährdung, der zum 1. Oktober 2005 neu in das
terstützung des Helfersystems durch beraterische Kompetenz im
SGB VIII aufgenommen wurde. Damit ergibt sich ein Bedarf an
Prozess der Fallkoordination, transparente und nachvollziehbare
qualifizierten Fachkräften mit besonderen Kenntnissen im Bereich
Gestaltung des Schutzauftrages.
§ 8a SGB VIII Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen
(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für
Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung
die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im
abzuwenden.
(3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familienge-
Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen.
richts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen;
Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind
dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten
oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der
oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der
wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht
Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos
in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwen-
mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann
dung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für
die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden,
geeignet und notwendig, so hat es diese den Perso-
so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den
nensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten
Jugendlichen in Obhut zu nehmen.
anzubieten.
(2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen
(4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der
und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch er-
Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das
bringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den
Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Perso-
Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise
nensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten
wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungs-
hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich
risikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen.
und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erzie-
Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die
hungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt
Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder den
die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständi-
Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von
gen Stellen selbst ein.
Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten,
43
frühzeitig erkannt und fördert seit 2006 die berufsbegleitende
Der erfolgreiche Abschluss der Weiterbildungsmaßnahme wird
Informationsangebot
durch ein Zertifikat gewürdigt. Bis Ende des Jahres 2010 wurden
in Niedersachsen mehr als 450 Personen zu Kinderschutzfachkräf-
Internetportal Kinderschutz in Niedersachsen:
ten qualifiziert. Kursangebote werden in allen Regionen Nieder-
www.kinderschutz-niedersachsen.de
sachsens gemacht. Sie werden unter anderem auf dem Internetportal Kinderschutz des Landes Niedersachsen veröffentlicht.
Für die Absolventinnen und Absolventen der Grundkurse
besteht die Möglichkeit, die Kenntnisse und Kompetenzen zur
Datenbank des Landespräventionsrates Niedersächsische
Maßnahmen der Prävention:
www.nimap.de
beratenden Fallkoordination in drei Aufbaukursen zu vertiefen.
Diese Weiterbildung endet mit einem Kolloquium. Veranstalter
Kontinuierlich aktualisierte Übersicht Familien- und Erzie-
sind die Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren und
hungsberatungsstellen inklusive bundesweiter Internet- und
die Fachgruppe Kinder, Jugend und Familie des Landesamtes für
Telefondienste der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für
Soziales, Jugend und Familie.
Jugend- und Eheberatung:
www.dajeb.de
www.kinderschutz-niedersachsen.de >
Übersicht Beratungsstellen der Bundeskonferenz für Erzie-
Kinderschutz in der Praxis
hungsberatung e.V. (bke) inklusive Einrichtungen, die auf
www.soziales.niedersachsen.de
Eltern mit Kindern im Alter von bis zu drei Jahren speziali-
www.fobionline.jh.niedersachsen.de
siert sind:
www.kinderschutz-zentren.org
www.bke.de
Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren:
Fortbildungsoffensive der Kinderschutz-Zentren
www.kinderschutz-zentren.org
Ohne Verbesserung des Kinderschutzes vor Ort kann es keine
Qualifizierung des Kinderschutzes landesweit geben. Im Hand-
Rat und Unterstützung für Kinder und Jugendliche:
lungskonzept Kinderschutz Niedersachsen hatte das Land 2007
www.kinderundjugendtelefon.de
zugesichert, die kommunale Ebene beim Kinderschutz mit einem
Bündel an Maßnahmen zu fördern.
Das Land setzt nicht nur auf die kontinuierliche Ausbildung von
Kinderschutzfachkräften, sondern auch auf eine nachhaltige Fortbildungsoffensive für Mitarbeitende der Jugendämter und freier
Träger. Im Jahr 2011 geht die Fortbildungsoffensive zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung bereits in die vierte Runde.
Die Kinderschutz-Zentren in Hannover und Oldenburg entwickeln
dafür im Auftrag des Landes Qualifizierungskonzepte. Auf dieser
Grundlage wird jedes Jahr eine neue Rahmenvereinbarung mit
dem Land geschlossen. Zentralthema sind die Bedingungen für
gelingende Kooperationen der freien und öffentlichen Jugendhilfe.
44
Rat und Unterstützung für Eltern:
www.elterntelefon.org
Im Gespräch:
Dr. Michael Herschelmann
„Ihr könnt ja zaubern!“
Dr. phil. Michael Herschelmann, Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen zum Thema
Prävention sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen, ist geschäftsführender Leiter des
Kinderschutz-Zentrums Oldenburg und Koordinator des dortigen Arbeitsbereichs Prävention.
Zum Kinderschutz-Zentrum Oldenburg
reichs, auch im Landkreis Wesermarsch
gehören die Vertrauensstelle Benjamin
durchgeführt.
und der Arbeitsbereich Prävention –
welches Einzugsgebiet wird durch die
Das von 2000–2003 als Landesmo-
Arbeit des Zentrums betreut?
dellprojekt durch das niedersächsi-
Wir sehen es als unsere Aufgabe, als
sche Sozialministerium geförderte
Kinderschutz-Zentrum mit vielfältigen
Grundschulprogramm Ich bin ich,
Maßnahmen in die Fläche zu wirken. Bei
du bist du und das sind wir! hat mit
der Frage nach dem Einzugsgebiet ist es
seiner Laufzeit von mittlerweile fast
deshalb sinnvoll, ein wenig zu differen-
15 Jahren auch bundesweit einen
zieren. Mit der Vertrauensstelle Benjamin
besonderen Stellenwert erlangt. Was
betreuen wir zum einen ratsuchende Fa-
hat Sie seinerzeit bewogen, mit einem
milien und Eltern; hier liegt allein schon
Präventions-Projekt gerade an Grund-
unter dem Aspekt der „kurzen Wege“
schulen zu gehen?
eine gewisse Konzentration auf Stadt
Hintergrund waren mehrere Fälle von se-
und Landkreis Oldenburg. Parallel bieten
xueller Gewalt, die damals publik wurden.
wir aber auch als Fachberatungsstelle
Aber eine Beratungsstelle aufzusuchen –
im Rahmen des kollegialen Austauschs
das war und ist für viele Familien durch-
Qualitätszirkel, Supervisionen, Informati-
aus eine Hemmschwelle. Wir hatten uns
onsveranstaltungen, Fortbildungen zum
damals gesagt, wenn wir diese Hemm-
Beispiel für Kita-Leitungen und andere
schwellen abbauen wollen, wenn wir weg
Fachkräfte. Mit diesen sehr stark nach-
von den „Komm“-Strukturen wollen,
gefragten Angeboten für alle Bereiche
dann ist es an uns, dorthin zu gehen, wo
der Jugendhilfe sind wir regelmäßig im
die Kinder sind. Und die Grundschule ist
gesamten nordwestlichen Niedersachsen
nun mal nach dem Kindergarten die erste
aktiv, bis nach Ostfriesland, in den Raum
öffentliche Institution, wo Kinder außer-
Nienburg/Weser oder auch Richtung
halb der Familien regelmäßig mit anderen
Cloppenburg. Die Maßnahmen im
Menschen zusammenkommen. Und so
Arbeitsbereich Prävention sind ebenfalls
haben wir dann den Kontakt zum „System
nicht auf den Oldenburg beschränkt; so
Schule“ gesucht – wie sich zeigt, durchaus
wurde beispielsweise unser Grundschul-
erfolgreich.
projekt, ein Schwerpunkt des Arbeitsbe45
Dr. phil. Michael Herschelmann
Aber ist es denn überhaupt altersge-
nen viel intensiver Vertrauensbeziehungen
recht, bereits mit Kindern der Klassen-
aufgebaut werden, als das bei punktuellen
stufen 3 und 4 explizit über so ernste
Unterrichtsbesuchen der Fall wäre.
Themen wie sexuelle Gewalt zu spre-
Ein weiterer wichtiger Gedanke: Keine
chen? Besteht da nicht das Risiko, dass
Prävention ohne Intervention, also die
bei den Mädchen und Jungen Ängste
Möglichkeit zur fachgerechten Versor-
ausgelöst werden?
gung, wenn sich ein Kind im Rahmen
Das sind in der Tat Fragen, die auch bei
der Prävention anvertraut. Bei uns ist die
unseren Elternabenden häufig zur Sprache
Beratungsstelle im Hause, eben die bereits
kommen, wenn wir das Programm vorstel-
erwähnte Vertrauensstelle Benjamin.
len. Wir wissen aber mittlerweile, dass die
Arbeit im Verbund also, ganz kurze Wege,
Kinder in der Regel sehr viel informierter
sodass Kinder sich anvertrauen oder auch
sind über Themen wie Gewalt und sexu-
Eltern Hilfe suchen können. Aus unserer
elle Gewalt, als das viele Eltern annehmen
Sicht ist bei Kurzzeitprogrammen anderer
und vielleicht auch für wünschenswert
Anbieter immer wieder zu bemängeln,
halten. Wir wissen außerdem, wie wichtig
dass kein Kontakt zu örtlichen Beratungs-
es für die Kinder ist, Möglichkeiten zu
stellen besteht.
haben, über diese Dinge zu sprechen und
sich mit Personen, denen sie vertrauen,
Sie legen großen Wert auch auf die
darüber auszutauschen. Auch die wissen-
Einbeziehung der Lehrkräfte …
schaftliche Evaluation unseres Programms,
… und zwar von Anfang an. Schulen, die
die 1999 in Zusammenarbeit mit der
mitmachen wollen, müssen dazu bereit
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
sein, an den Fortbildungsangeboten
durchgeführt wurde, hat bestätigt, dass
teilzunehmen, die wir für das gesamte
wir mit unserer Arbeit keine Ängste schü-
Kollegium anbieten. Dabei informieren
ren, sondern vielmehr dazu beitragen, zu
wir jeweils vor dem Start des Programms
stabilisieren und bei den Kindern Stärke
über präventive Handlungsmöglichkeiten
aufzubauen.
im Unterricht. Die zweite Fortbildung dann
befasst sich mit den Fragen, wie es jetzt
46
Worin unterscheidet sich das Pro-
am besten weitergehen kann, und welche
gramm Ich bin ich, du bist du und
Möglichkeiten die Schule hat, damit sich
das sind wir! von Projekten anderer
eine Nachhaltigkeit ergibt. Dabei maßen
Anbieter?
wir uns nicht an, Schulentwicklung zu be-
Da gibt es eine ganze Reihe wichtiger
treiben, das ist nicht unser Auftrag. Aber
Unterscheidungsmerkmale. Nicht zu
wir bieten uns an mit unserer Expertise
unterschätzen ist die Bedeutung kontinu-
und sagen, lasst uns gemeinsam auf den
ierlicher Arbeit. Das stellt sich bei uns so
Weg machen, wir können euch hier und
dar, dass wir über einen Zeitraum von vier
da helfen, wenn es euch darum geht, eure
Wochen in einer Klasse sind und regel-
Chancen wahrzunehmen, um den Kinder
mäßig zwei Mal in der Woche mit den
zu helfen, da habt ihr uns an der Seite, um
Kindern und den Eltern arbeiten. So kön-
präventiv möglichst viele Kinder zu errei-
Im Gespräch:
Dr. Michael Herschelmann
chen. Aber die Gestaltung der Schulkul-
die Themen, die wir bei der Arbeit mit
Hat sich auch die Zusammenarbeit mit
tur – das ist euer Job, das ist eure Sache.
Betroffenen als wichtig erkannt haben,
den Schulen verändert?
aufhängen – Gefühle bei sich und anderen
Früher war unser Anliegen, möglichst
… und auch die Eltern nehmen Sie mit
wahrnehmen; Berührungen; „Nein“
viele Grundschulen in und um Oldenburg
auf den Weg.
sagen; gute und schlechte Geheimnisse,
zu erreichen, das erschien uns unter dem
Transparenz ist schlichtweg unverzichtbar.
solche Dinge eben. Wir meinen: Präventi-
Aspekt Nachhaltigkeit eine sinnvolle Stra-
Wir sehen zu, dass wir die Eltern mög-
on soll stark machen – und zugleich auch
tegie. Weil allerdings die Bereitschaft der
lichst früh informieren und mit ins Boot
Spaß machen. Das war ein ganz anrüh-
Schulen, sich selbst aktiv mit einzubringen
bekommen. So erkennen sie auch ganz
render Moment, als ein Mädchen einmal
und zum Beispiel nach Beendigung des
schnell, dass es hier keineswegs um Bespa-
während des Programms zu uns sagte:
Programms Präventionsthemen auch in
ßung geht. Eine Besonderheit sind unsere
„Ihr könnt ja zaubern – ihr könnt blöde
eigener Verantwortung in den Unterricht
Abende ausschließlich für Väter, das ist
Themen zu Spaß zaubern!“ Und genau so
einzubauen, doch sehr unterschiedlich
bundesweit einmalig. Wir haben die
ist es: Wir sprechen explizit über sexuellen
ausgeprägt war, arbeiten wir seit 3 Jahren
Erfahrung gemacht, dass wir bei diesen
Missbrauch, benennen das, benennen die
mit ausgewählten Kooperationsschulen
Abenden deutlich mehr Väter erreichen als
Formen, benennen, wer das ist, wer das
zusammen und betreuen hier sämtliche
bei den gemischten Elternabenden.
macht. Wir geben den Kindern die Mög-
3. Klassen. Außerdem bekommen die
Viele Väter befürchten, dass ihnen sexuelle
lichkeit, das, was sie schon wissen, auch
Schulen von uns ein begleitendes Be-
Gewalt „passieren könnne“, weil das von
mal loszuwerden. Das ist gut vorbereitet,
ratungsangebot vor Ort für Eltern und
außen auch so gesehen wird, wenn Kinder
gut nachbereitet, gut eingebaut, wird
Lehrkräfte. Diese Neuausrichtung hat sich
zum Beispiel ganz unbefangen vom ge-
auch noch mal vertieft, auch getrennt in
bewährt, denn wir müssen natürlich mit
meinsamen Plantschen in der Badewanne
Mädchen- und Jungengruppen.
den Ressourcen, die uns vom Land und
erzählen. Da können wir die Väter stärken,
47
von anderen Seiten zur Verfügung gestellt
dass sie Selbstsicherheit aufbauen, dass
Haben sich während der Laufzeit des
werden, verantwortungsvoll umgehen.
sie die Grenzen achten. So erfahren sie,
Programms Entwicklungen ergeben?
Also versuchen wir, für unser zartes Pflänz-
dass sie einen ganz großen Beitrag zum
Durchaus. Zum Beispiel hat sich in der
chen einen möglichst fruchtbaren Boden
Schutz der Kinder leisten können. Weil sie
fachlichen Diskussion der vergangenen
zu finden, und dort Impulse zu setzen,
da ja Vorbild sind für Mädchen und für
zehn Jahre herausgestellt, dass es nicht
wo sie am meisten bewirken können. Es
Jungs – wie sie selbst mit ihren Gefühlen
das alleinige Ziel sein Kind, mit den
haben sich übrigens gerade solche Schulen
umgehen, wie sie selber auf ihre Gren-
Kindern das „Nein“ sagen zu üben – das
an uns gewandt, in deren Einzugsgebie-
zen achten und auf die Grenzen bei den
würde ihnen nämlich die alleinige Ver-
ten es auch soziale Brennpunkte gibt.
Kindern.
antwortung für den Schutz in die Schuhe
Und auch wenn sich das im Vergleich
schieben. Natürlich sollen die Kinder
mit bestimmten Stadtteilen in Hamburg,
Stärken vermitteln, ein positives Selbst-
wissen, was andere nicht tun dürfen,
Hannover oder Berlin als weniger gravie-
bild aufzubauen – das scheint sich wie
was sie nicht über sich zu ergehen lassen
rend darstellt, waren das doch Schulen,
ein roter Faden durch das Programm
brauchen. Aber wir üben auch das „Ja“
die schon immer großen Wert auf gute
zu ziehen.
sagen, zum Beispiel zum Kuscheln, wenn
Kooperation mit den Eltern, mit anderen
Wenn Sie so wollen, heißt unser Roter
das Kind das will und die andere Person
Hilfesystemen wie Jugendamt und Bera-
Faden „Förderung von Lebenskompe-
ebenfalls. Auch unsere Elternabende und
tungsstellen oder auch mit Sportvereinen
tenz“, also die Förderung von Selbstwahr-
die Elternmappen sind darauf angelegt,
nehmung und Selbstbewusstsein. Und an
dass die Erwachsenen in diesem Thema
gelegt haben. Während Schulen, die eher
in Richtung Mathe-Olympiade oder Euro-
diesem roten Faden können wir gut alle
sicherer werden.
päische Förderprogramme unterwegs sind,
ren Stand vor Gericht, gelten vielfach als
… das ja auch bei der Fortbildungsof-
nicht glaubwürdig. Deswegen gibt es seit
fensive der Kinderschutz-Zentren, die
Wo sehen Sie selbst noch Verbesse-
vergangenem September das Modell-
2007 gestartet wurde und mittlerweile
rungsbedarf in der Präventionsarbeit?
vorhaben Sichere Orte – Institutionelle
bereits in die vierte Runde geht, eine
Was wir in der wissenschaftlichen Aus-
Qualitätsentwicklung zur Prävention von
wichtige Rolle spielt.
einandersetzung mit dem Thema gut
und Intervention bei sexualisierter Gewalt
Ganz genau. Im Rahmen der vom Land
brauchen können, ist eine intensivierte
gegen Mädchen und Jungen durch Mit-
geförderten Fortbildungsoffensive 2011,
systematische Selbstevaluation, sodass wir
arbeitende, das vom Land Niedersachsen
die erneut in Zusammenarbeit der Kinder-
noch besser auf gesicherte Erfahrungswer-
gefördert wird. Im Rahmen eines Pilotpro-
schutz-Zentren Hannover und Oldenburg
te zurückgreifen können – was funktio-
jekts arbeiten wir hier in Oldenburg mit
entwickelt wurde, werden insgesamt 20
niert gut, wo muss man aufpassen, dass
dem Haus Regenbogen zusammen, einem
vorwiegend praxis- und handlungsori-
die Dinge nicht kontraproduktiv laufen,
pädagogisch-therapeutischen Wohnheim
entierte Veranstaltungen für freie Träger
Stichwort Schuldgefühle beispielsweise:
mit insgesamt sieben Wohngruppen für
der Jugendhilfe im gesamten Gebiet
Ich habe gelernt, dass ich „Nein!“ sagen
rund 60 mehrfach behinderte Kinder,
Niedersachsens angeboten. Inhaltlich
darf, aber das habe ich nicht geschafft,
Jugendliche und junge Erwachsene.
geht es um einen kompetenten Umgang
und jetzt ist was passiert – bin ich da jetzt
Aushilfen mit eingerechnet, sind hier
von Ehrenamtlichen und Fachkräften der
schuld dran? Ein anderer Punkt, um den
etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitar-
freien Jugendhilfe, zum Beispiel der Hilfen
wir uns verstärkt kümmern müssen: Wie
beiter beschäftigt. Ziel ist es, gemeinsam
zur Erziehung, bei Verdacht auf Kindes-
erreichen wir die Eltern, die nicht zu den
Qualitätsentwicklungsprozesse für bessere
wohlgefährdung. Die Erfahrungen der
Elternabenden kommen? Am meisten Ge-
Kinderschutzkonzepte zu erarbeiten;
vorangegangenen Runden haben gezeigt,
winn zur Verbesserung des Programms ha-
zum Beispiel Verfahrensabläufe, die mehr
wie wichtig es ist, Fortbildungen pass-
ben wir gehabt durch Gespräche mit den
Sicherheit und Klarheit für alle Beteiligten
genau auf die jeweilige Situation vor Ort
Eltern und Lehrkräften – das noch stärker
bringen. Weitere Punkte sind die Formulie-
zuzuschneiden. Um das zu gewährleisten,
zu systematisieren, wäre sehr wichtig, und
rung eines Leitbildes, also einer Art Selbst-
wurde für die halb- bzw. ganztägigen
da gibt es auch gute Ansätze. Sehr wichtig
verpflichtung im Umgang mit behinderten
Veranstaltungen wieder ein System von ei-
ist natürlich auch die Vernetzung mit
jungen Menschen, und die Entwicklung
nander ergänzenden Modulen entwickelt.
anderen Einrichtungen niedersachsen- und
eines sexualpädagogischen Konzepts.
bundesweit und auch international, um
Der Projektgruppe gehören Vertreterin-
Wissen und Erfahrungen auszutauschen
nen und Vertreter der Beschäftigten, der
und so die Bedingungen für eine fundierte
Gruppenleitungen und der Gesamtleitung
Präventionsforschung immer weiter zu
des Hauses an; weil uns auch der Partizi-
verbessern.
pationsgedanke sehr wichtig ist, sind die
nicht auf uns zugekommen waren.
Kinder und Jugendlichen im Rahmen von
Welche Themen werden künftig in der
Workshops direkt in das Projekt eingebun-
Arbeit an Bedeutung gewinnen?
den. Vorgesehen ist, die Ergebnisse und
Das Thema sexuelle Gewalt im Behinder-
Erfahrungen aus dem Pilotprojekt anderen
tenbereich – Stichwort Inklusion – wird
Einrichtungen zur Verfügung zu stellen –
uns in Zukunft noch sehr stark beschäf-
da sind wir dann also wieder beim Thema
tigen. Behinderte sind in gewisser Weise
Know-how-Transfer …
die perfekten Opfer: Sie können sich
meist nicht wehren, haben einen schwe48
Vernetzung vor Ort
49
Niedersächsisches Ministerium
für Soziales, Frauen, Familie,
Gesundheit und Integration
Vernetzung vor Ort
Interdisziplinäre Hilfen optimieren
In Braunschweig, in der Stadt und Region Hannover, in der
Stadt und dem Landkreis Lüneburg sowie in der Stadt und dem
Landkreis Oldenburg wird der Aus- und Aufbau interdisziplinär
angelegter Hilfesysteme gefördert und begleitet. Dabei geht es in
Mit dem Modellprojekt Koordinierungszentren Kinderschutz –
erster Linie um die effektive Vernetzung bestehender Strukturen
Kommunale Netzwerke Früher Hilfen hat die Landesregierung
über den Einzelfall hinaus und nicht vorrangig um die Konzeption
bereits im Jahr 2007 den Startpunkt gesetzt für die Suche nach
neuer Hilfsangebote. Besondere Berücksichtigung sollen gruppen-
innovativen Modellen in der Zusammenarbeit von Jugendämtern,
und gemeinwesenbezogene Ansätze finden, die die Bedürfnisse
Kinderschutz-Zentren, Beratungsstellen, Gesundheitsämtern, Heb-
von Kindern, Jugendlichen und Familien, aber auch ihre Mitwir-
ammen, Ärztinnen und Ärzten, Kliniken, Schulen und der Polizei.
kungsmöglichkeiten einbeziehen. Die Modellstandorte müssen
Die mit dem Bundeskinderschutzgesetz (BkiSchG) zum 1. Januar
eine Bestandsanalyse vorlegen, verbindliche Handlungsabläufe
2012 bundesweit geltenden Vorgabe, überall verlässliche Netz-
(Reaktionsketten) entwickeln, umsetzen und erproben und den
werke für die lokalen Akteure zu schaffen und zu festigen, wird
primärpräventiven Bereich des Netzwerks fortentwickeln.
in Niedersachsen seit Jahren mit Leben gefüllt. Viele Kommunen
haben mittlerweile neue Konzepte entwickelt, um den lokalen
Kinderschutz weiter zu optimieren. Dabei können die Jugendäm-
Projektkoordination
ter auf eine vom Land geförderte Beratung zurückgreifen, mit der
Die Koordinierungszentren an den Modellstandorten bekommen
der Auf- und Ausbau der kommunalen Netzwerke Früher Hilfen
Mittel zur Finanzierung der Projektkoordination sowie Beratung
vor Ort begleitet wird.
und Begleitung durch das in Münster beheimatete Institut für
soziale Arbeit (ISA). In Workshops wurden zunächst zentrale
gemeinsame Aspekte, wie z. B. aktuelle Forschungsergebnisse zu
Koordinierungszentren Kinderschutz –
Kommunale Netzwerke Früher Hilfen
Frühwarnsystemen, Formen des Netzwerkmanagements oder die
Rechtsqualität von Kooperationsvereinbarungen, thematisiert und
bearbeitet. Die lokale Steuerung der Modellprojekte erfolgt durch
Die Modellstandorte Braunschweig, Hannover, Lüneburg und
örtliche Lenkungsgruppen. Die Projektplanung und -steuerung
Oldenburg arbeiten an engen Kooperationen und verbindlichen
nimmt eine Lenkungsgruppe wahr, die aus den lokalen Leitungs-
Handlungsabläufen zum Schutz der Kinder. Die Vielzahl der
vertretungen und Koordinatorinnen bzw. Koordinatoren, dem ISA
abgeschlossenen Kooperationsvereinbarungen, aber auch neue
und dem Sozialministerium besteht.
Fortbildungsangebote und die spezifische Qualifizierung von
Fachkräften belegen die hohe Dynamik des Modellprojekts, das
zunächst auf 2010 befristet war und bis Ende des Jahres 2011
verlängert wurde. Der jeweilige Projektstand und die Erfahrungen der Koordinierungszentren werden seit 2007 kontinuierlich
in Jahreszwischenberichten dokumentiert, die auch im Internet
zur Verfügung stehen. Auf dieser Grundlage können auch die
noch nicht beteiligten Städte und Gemeinden die eigene Praxis
reflektieren, damit der Kinderschutz in ganz Niedersachsen noch
weiter qualifiziert wird. Zusätzlich organisiert das Sozialministerium Jahresfachtagungen, um die bisherige Entwicklung und die
Erfahrungen der vier Modellstandorte kontinuierlich vorzustellen.
50
Vielfältige Ansätze
ration mit dem Gesundheitswesen erweitert worden. Sowohl die
Die lokalen Ansätze der vier Koordinierungszentren zeigen, dass
Landeshauptstadt als auch die Region Hannover verfügen durch
es keinen Königsweg gibt. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Er-
den Abschluss der Rahmenvereinbarung zum § 8a SGB VIII seit
fahrungen aus anderen Projekten sind die Grundlagen für die Ent-
dem 1. Mai 2007 über ein Instrumentarium zur Sicherstellung
wicklung lokaler Kinderschutznetzwerke. Die konkreten Bausteine
des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdungen. An diesem
ergeben sich aus den jeweiligen Voraussetzungen, Möglichkeiten
schon durch seine Größe einzigartigen Standort – 21 Kommu-
und Sichtweisen vor Ort.
nen – sind tragfähige Strukturen für die Kooperation der Akteure
aus Jugendhilfe und Gesundheitswesen etabliert worden. In einer
Stadt und Landkreis Oldenburg: Aufbauend auf vorhandenen
Netzwerk-AG arbeiten Vertreterinnen und Vertreter der Institutio-
Strukturen wie dem Oldenburger Netzwerk Frühe Hilfen wurde
nen des Gesundheitswesens und der Jugendhilfe zusammen und
hier die breiteste Variation an Kooperationen, Zielgruppen, schrift-
haben verbindliche Handlungsabläufe festgelegt. Das Kinder-
lichen Vereinbarungen, Fortbildungen etc. durch das Koordinie-
krankenhaus auf der Bult ist Hauptkooperationspartner. Dort
rungszentrum bearbeitet und angeregt. Der Oldenburger Ansatz
befindet sich auch das Projektbüro. Medizinische Beratungsstellen
umfasst alle primären und sekundären Kooperationspartner im
Kinderschutz im öffentlichen Gesundheitsdienst dienen als Mittler
Kinderschutz, vor allem die Institutionen und Fachkräfte der
zwischen Jugendhilfe und Medizin.
Jugendhilfe und des Gesundheitswesens, aber auch die Grundschulen.
Qualitätskontrolle
Stadt Braunschweig: Hier wird ein Zwei-Säulen-Modell im Kin-
In der Verlängerungsphase des Modellprojekts bis zum Ende des
derschutz verfolgt – das Koordinierungszentrum konzentriert sich
Jahres 2011 stehen die Bausteine Umsetzung und Erprobung neu-
auf die Verknüpfungen mit dem Gesundheitswesen. Der Bereich
er Verfahren, Überprüfung auf Wirksamkeit und Implementierung
des Kinderschutzes im Kontext des SGB VIII (hier vor allem § 8a
neuer Handlungsschritte und Weiterentwicklung des Netzwerks
SGB VIII) wird direkt vom städtischen Jugendamt bearbeitet und
im Bereich der primärpräventiven Angebote auf der Agenda.
verantwortet. In Braunschweig ist es unter anderem gelungen,
Zusätzlich soll die Auswertung der im Frühjahr/Sommer 2010 an
einen Großteil der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte persön-
den Standorten Oldenburg, Hannover und Braunschweig durch-
lich durch schriftliche Vereinbarungen in den Kinderschutz mit
geführten Online-Befragungen Rückschlüsse auf die Wirksamkeit
einzubeziehen.
der Netzwerke geben. Für den Projektstandort Lüneburg hat die
Universität Lüneburg durch Herrn Prof. Weihe zeitgleich eine Eva-
Hansestadt und Landkreis Lüneburg: Der Übergang zwischen dem
luation durchgeführt, die die gemeinsam entwickelten Materialien
primären und sekundären Präventionsbereich steht im Mittelpunkt
und Verfahren im Bereich der Frühen Hilfen für die Region Lüne-
(vgl. Lüneburger Ampelmodell). Es wurde eine Koordinierungs-
burg als wirksamen Beitrag für den Kinderschutz bestätigt.
stelle Frühe Hilfen eingerichtet, die Unterstützungs- und Hilfsangebote für Familien unterhalb bzw. im Vorfeld der Einzelfallhilfen
Beratungsangebot für Jugendämter
des Jugendamtes anbietet. In diesem Lüneburger Netzwerk Frühe
Im Jahr 2009 hat das Land Niedersachsen sein Kinderschutz-
Hilfen soll auf erste Anzeichen auf Unterstützungsbedarf, dem
konzept um einen weiteren Baustein ergänzt: Alle Kommunen
noch nicht im Rahmen von Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB
können professionelle Beratung bei der Suche nach der optimalen
VIII) begegnet werden kann, reagiert und präventive Angebote
Verknüpfung Früher Hilfen in Anspruch nehmen. Die jeweiligen
vermittelt werden.
Jugendämter erhalten damit Unterstützung bei der Reflexion und
Weiterentwicklung ihrer eigenen Ansätze und zugleich Einblick in
51
Landeshauptstadt und Region Hannover: Die bereits bestehende
die erfolgversprechenden Erkenntnisse und Zwischenergebnisse
breite Palette von Angeboten im primären und sekundären Kin-
des Modellprojekts Koordinierungszentren Kinderschutz. Leitge-
derschutz ist durch den Netzwerkaufbau und die engere Koope-
danke ist auch hier, in Niedersachsen möglichst flächendeckend
neue Wege in der Zusammenarbeit von Jugendämtern mit den
Gemeinsam neue Wege beschreiten
Gesundheitsbehörden, Kinderkliniken, niedergelassenen Ärztinnen
Die Beratung der 19 niedersächsischen Jugendämter – das ent-
und Ärzten, Hebammen und weiteren Berufsgruppen zu entwi-
spricht etwa einem Drittel landesweit – hat den Kommunen
ckeln. Drei Beratungstage durch ein Institut ihrer Wahl, lautete das
bereits eine Reihe von Impulsen aus dem Modellprojekt gebracht.
Angebot. Fünf Städte und 14 Landkreise griffen 2009/2010 zu.
Aus Sicht des ISA haben die teilnehmenden Jugendämter die
Chancen und Möglichkeiten, die von einer solchen Kurzzeitberatung ausgehen können, voll ausgeschöpft. Dabei hatten die
Örtliche Netzwerke auf dem Prüfstand
„Doppelstandorte“ einen deutlichen Vorteil. An den Beratungsta-
Alle Kommunen entschieden sich für das Institut für soziale Arbeit
gen wurden wichtige Weichen gestellt und neue Wege der sekto-
(ISA), das auch den Aufbau der Koordinierungszentren begleitet.
renübergreifenden Zusammenarbeit beschritten, um mittelfristig
Die Vermittlung der Ergebnisse des Modellprojekts gestaltete sich
an die Netzwerkqualität der vier Modellregionen heranzureichen.
damit unkompliziert. Sechs Kommunen schlossen sich zu drei
Zusätzlich hat eine Vielzahl von Fachkräften eine breite fachliche
Doppelstandorten zusammen und konnten auf diese Weise sechs
Qualifizierung „mitgenommen“.
statt drei Expertentage vor Ort nutzen. Am Ende stand ein kurzer
Abschlussbericht, in dem die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit
Herausforderung: Frühe Hilfen in der Fläche
dokumentiert und Empfehlungen ausgesprochen wurden.
Die Erfahrungen mit den eher städtisch geprägten vier Modellpro-
Vor der Beratung bot das ISA eine zentrale Informationsveran-
jektstandorten lassen sich nicht unmittelbar übertragen auf die
staltung in Münster an. Hier konnte der Bedarf der Kommunen
Konzeption von Netzwerken in großen Flächenkreisen und wenig
bereits sondiert werden: Er reichte von der Begutachtung der
besiedelten Regionen. Im nächsten Projektschritt wird es darum
Dokumente und Instrumente zum Kinderschutz, über die Analyse
gehen müssen, wie der Aufbau auch in der strukturarmen Fläche
der Angebote im örtlichen Netzwerk Früher Hilfen bzw. deren
gelingen kann. Welche Verankerungen und Strukturen sind ziel-
sinnvolle Verknüpfung bis hin zum Wunsch der Fortbildung und
führend? Vorrang für dezentrale Lösungen? Auf welchem Stand
Qualifizierung in spezifischen Fachthemen.
befinden sich die bisher noch nicht beratenen niedersächsischen
Leitfragen waren: Wo steht die Kommune mit Blick auf einzelne Projekte im Kinderschutz? Sind diese Projekte zielführend
Jugendämter? Welche Unterstützung benötigen sie für einen
qualifizierten Netzwerkaufbau?
aufeinander bezogen? Welche Qualität hat die örtliche Netzwerkarbeit?
Informationsangebot
Modellprojekt + Zwischenberichte 2008, 2009, 2010:
www.kinderschutz-niedersachsen.de
www.koordinierungszentren-kinderschutz.de
52
Kinderarmut bekämpfen
53
Kinderarmut bekämpfen
der entgegenzutreten, muss vordringliches
Ziel aller gesellschaftlichen Gruppen sein.
Die Niedersächsische Landesregierung
Niedersächsische Aktionswoche
trägt mit zahlreichen Maßnahmen zur Ar-
gegen Kinderarmut
der Kinderbetreuung, der Ganztagsschule
Rund 50 Initiativen haben sich im
die Chancen auf gleichberechtigte gesell-
und der Intensivierung der Elternarbeit
September 2010 an der Nieder-
schaftliche Teilhabe, Bildung und individu-
initiierte die Landesregierung zum Beispiel
sächsischen Aktionswoche gegen
elle Verwirklichung. Dauerhafte Abhän-
die Niedersächsische Aktionswoche gegen
Kinderarmut beteiligt und auf
gigkeit von staatlicher Fürsorge führt zur
Kinderarmut. Die Landesstiftung Familie
Gemeinde-, Stadt- oder Landkreise-
Verfestigung von Armut, teilweise über
in Not und der Sonderfonds DabeiSein!
bene Veranstaltungen organisiert.
Generationen hinweg. Unzureichende
engagieren sich ebenfalls für die gesell-
Dass sie mit ihrem Engagement dem
Bildung und Sprachkenntnisse, mangelnde
schaftliche Teilhabe aller Kinder.
Thema Armut eine Diskussionsplatt-
berufliche Qualifikation, Scheidung, die
form und verstärkte Wahrnehmung
Erziehung durch ein Elternteil, Arbeitslo-
berichterstattung gibt es einen weiteren
in der Öffentlichkeit geschaffen
sigkeit und frühe Schwangerschaften sind
Baustein, um Armut und Ausgrenzung
und gleichzeitig Netzwerkarbeit
die Hauptrisiken für Armut. Die Hauptleid-
in Niedersachsen zu bekämpfen. Damit
geleistet haben, zeigt eine Doku-
tragenden sind allzu oft die Kinder.
erhalten diejenigen, die an der Armutsbe-
mentation, die einen Überblick über
Dass ein Teil der Kinder im schlimmsten
Mit der handlungsorientierten Sozial-
kämpfung in Land, Kommunen und Ver-
die Aktionen vor Ort vermittelt und
Fall bereits von Geburt an benachteiligt
bänden beteiligt sind, die für ihre Arbeit
zur Nachahmung anregen soll. Die
ist und dauerhaft ohne Perspektive auf
erforderlichen detaillierten Daten. Diese
Niedersächsische Aktionswoche
gleichberechtigte Teilhabe bleibt, ist für
können ihnen auch als Grundlage dienen
gegen Kinderarmut fand anläss-
unsere Gesellschaft nicht akzeptabel. Alle
um eigene regionale und lokale Berichte
lich des Europäischen Jahres zur
Kinder müssen die Chance erhalten, ihre
und Untersuchungen anzustellen.
Bekämpfung von Armut und sozialer
individuellen Möglichkeiten auszuschöp-
Ausgrenzung vom 13. bis 20. Sep-
fen. Armut zu bekämpfen und insbeson-
tember 2010 statt. Initiator war das
dere den negativen Armutsfolgen für Kin-
2008 gegründete Niedersächsische
Bündnis für alle Kinder. Ziel der Aktionswoche war es, das öffentliche
Bewusstsein für Armutsrisiken von
Kindern zu stärken sowie Möglichkeiten und Konzepte zur Bekämpfung von Kinderarmut darzustellen.
Dabei lag der Schwerpunkt auf den
Themen Bildung, Gesundheit und
Wohlergehen von Kindern.
www.aktionen-gegenkinderarmut-nds.de
54
mutsbekämpfung bei. Neben dem Ausbau
Mit einem geringen Einkommen sinken
Handlungsorientierte
Sozialberichterstattung
Die Armuts- und Reichtumsberichterstat-
sozioökonomische Daten einer Region in
über die jeweiligen Lebenslagen von Kin-
Absolute Armut
dern und Jugendlichen geben.
Einkommens- oder Ausgabenniveau,
tung der Bundesregierung und der Länder
unter dem sich die Menschen Ernäh-
orientiert sich an einem umfassenden
rung und lebenswichtigen Bedarf
Analyseansatz, der die Risiken für Armut
Einheitliche Messinstrumente
und soziale Ausgrenzung in verschiede-
Die Sozialberichterstattung liefert ein
nen Lebenslagen beschreibt. Seit dem
umfassendes Angebot an vergleichba-
Äquivalenzeinkommen
Jahr 2001 werden die soziale Lage in
ren Daten für Bund und Länder aus den
Anhaltspunkt für relative Armut/
Deutschland und die Entwicklung der
Bereichen soziale Mindestsicherung sowie
relativen Reichtum. Das durch-
sozialen Integration dokumentiert. Bei der
Armut und soziale Ausgrenzung. Das ge-
schnittliche Haushaltsnettoeinkom-
Messung monetärer Armut verwendet
meinsame Projekt der Statistischen Ämter
men wird durch die Summe der
die Bundesregierung den zwischen den
des Bundes und der Länder wird von einer
Bedarfsgewichte der im Haushalt
EU-Mitgliedstaaten vereinbarten relativen
Bund-Länder-Arbeitsgruppe getragen und
lebenden Personen geteilt. Nach
Armutsrisikobegriff. Die fortgeschriebe-
besteht aus zwei Bausteinen: Die Veröf-
EU-Standard wird dazu die neue
nen Armutsberichte des Bundes und der
fentlichung von Berichten zur sozialen
OECD-Skala verwendet: Die erste
Länder benennen und analysieren nicht
Mindestsicherung und die Bereitstellung
erwachsene Person im Haushalt hat
nur die Ergebnisse ungleicher Teilhabe auf
von Indikatoren zur Messung von Armut
Bedarfsgewicht 1. Haushaltsmitglie-
dem Arbeitsmarkt oder bei der Verteilung
und sozialer Ausgrenzung auf Bundes-
der im Alter von 14 und mehr Jahren
von Einkommen und Vermögen, sondern
und Länderebene nach Vorgaben der
werden mit 0,5 und Kinder unter 14
fragen auch danach, welche Faktoren die-
Europäischen Union. Das Datenangebot
Jahren mit 0,3 gewichtet. Derzeit
se Unterschiede beeinflussen und welche
lässt Rückschlüsse zu auf Einkommensar-
liegt das Durchschnittseinkommen
Maßnahmen in den relevanten Politikbe-
mut und -verteilung, Abhängigkeit von
bei 870 Euro netto.
reichen ergriffen werden müssen, damit
Mindestsicherungsleistungen, Qualifikati-
Armut und soziale Ausgrenzung vermie-
onsniveau und Erwerbsbeteiligung.
nicht mehr leisten können.
Armutsbericht
Der Landesbetrieb für Statistik und
den oder überwunden werden.
Kommunikationstechnologie Nieder-
Das Land Niedersachsen setzt die hand-
55
Fachvokabular „Armut“
Beziehung zu den Daten, die Aufschluss
lungsorientierte Sozialberichterstattung
Regionale Berechnungsmethode
sachsen legt mit Unterbrechungen
ein, um regionale Strukturen und gezielte
Bei den Armutsanalysen für Niedersach-
seit 2001 einen Jahresbericht über
Maßnahmen zu Gunsten besonders be-
sen legt das LSKN ausschließlich die
die Entwicklung und Struktur von
nachteiligter Kinder effektiver zu nutzen.
regionalen Durchschnittseinkommen zu
Armut und Reichtum in Nieder-
Ziel ist es, allen Kindern und Jugendlichen
Grunde (Regionalkonzept). Grund: Die
sachsen und vergleichend dazu in
in Niedersachsen gleiche Chancen zu
Durchschnittseinkommen differieren nicht
Deutschland vor. Daraus ergibt sich
bieten. Die Sozialberichterstattung der
nur zwischen den einzelnen Personen,
unter anderem die Armutsquote.
amtlichen Statistik liefert verlässliches
sondern auch sehr stark zwischen den
empirisches Vergleichsmaterial für die
Regionen Deutschlands. Diese regionalen
Akteure der Armutsbekämpfung in Land,
Einkommensunterschiede werden aber
Kommunen und Verbänden. Der Landes-
durch unterschiedliche Preisniveaus, vor
betrieb für Statistik und Kommunikations-
allem durch höhere Mieten, ausgeglichen
technologie Niedersachsen (LSKN) stellt
– 1 Euro hat in Ostfriesland eine erheb-
lich höhere Kaufkraft als in München,
Armutsrisiko Kind
Frankfurt oder Stuttgart. Im Ergebnis führt
Besonders stark von Armut bedroht sind
das dazu, dass regionale Armutsquoten,
weiterhin Alleinerziehende und ihre Kinder
Armutsgefährdungsschwelle
die nach dem Nationalkonzept berechnet
(41,5 Prozent), große Familien mit drei und
Ist erreicht, wenn nur 60 Prozent des
werden, die Armut in Regionen mit relativ
mehr Kindern (24,7 Prozent), Erwerbslose
mittleren Nettoeinkommens (Medi-
hohen Einkünften stark unterschätzen
(52,9 Prozent), Geringqualifizierte (36 Pro-
an) der Bevölkerung in Privathaus-
und sie in Regionen mit relativ niedrigen
zent) und Menschen mit Migrationshinter-
halten zur Verfügung steht.
Einkünften stark überschätzen.
grund (29,7 Prozent). Bei den meisten der
Risikogruppen ging die Armutsgefährdung
Armutsgefährdungsquote
2009 zurück – um 1,6 Prozent bei Migran-
Indikator zur Messung relativer Ein-
Armut in Niedersachsen
ten, um 3,3 Prozent bei den Erwerbslosen,
kommensarmut; wird nach EU-Stan-
Während die Armutsgefährdungsquote
um 0,8 Prozent bei den Alleinerziehenden
dard definiert als der Anteil der Per-
in Niedersachsen im Jahr 2009 weiter
und sogar um 3,7 Prozent bei den Familien
sonen, deren Äquivalenzeinkommen
leicht zurückging, stieg sie bundesweit auf
mit drei und mehr Kindern. Dagegen stieg
weniger als 60 Prozent des mittleren
14,6 Prozent gegenüber 14,4 im Vorjahr.
die Armutsgefährdung bei den Geringqua-
Nettoeinkommens (Median) der
Die höchsten Armutsgefährdungsquoten
lifizierten leicht um 0,1 Prozent, bei den
Bevölkerung in Privathaushalten
gab es in den Stadtstaaten Hamburg
über 65-Jährigen hingegen von 12,0 auf
beträgt. Die Gefährdungsquote wird
(18 Prozent) und Bremen (15,9 Prozent).
12,4 Prozent.
für das gesamte Bundesgebiet, für
In den ostdeutschen Flächenländern lagen
die Bundesländer und die Regionen
die Quoten insgesamt niedriger als in den
errechnet. Dadurch werden Un-
westdeutschen Ländern. Im Vergleich der
Armut ist ein Großstadtphänomen
terschiede im Einkommensniveau
Bundesländer nimmt Niedersachsen einen
Die niedersächsische Landeshauptstadt
zwischen den Bundesländern bzw.
Mittelplatz ein: Die Armutsgefährdungs-
Hannover hat eine Armutsgefährdungs-
zwischen den Regionen berücksich-
quote lag im Jahr 2009 mit 14,6 Prozent
quote von 20,2 Prozent. Das ist der
tigt. Die Statistischen Ämter des
0,1 Prozent unter dem Stand des Jahres
höchste Wert in Niedersachsen, ebenso
Bundes und der Länder berechnen
2008. Damit hat sich die leichte Trend-
im Vergleich zu den anderen deutschen
die Armutsgefährdungsquoten
wende der vergangenen Jahre bestätigt:
Großstädten. Im Westen Niedersachsens
gemeinsam auf der Grundlage des
Bis zum Jahr 2005 stieg die Armutsge-
gibt es relativ niedrige Armutsquoten. Sie
Mikrozensus.
fährdung jährlich an, um danach wieder
liegen bei 12,8 Prozent in Ostfriesland und
zu sinken. Im Jahr 2009 war die Quote
im Raum Oldenburg und bei 13,1 Prozent
um 0,5 Prozent niedriger als 2005. Trotz
im Raum Osnabrück.
des Rückgangs lebte 2009 jeder siebte
Einwohner Niedersachsens (1,148 Millionen Menschen) noch immer unterhalb
der Armutsgefährdungsschwelle, die
im Jahr 2009 bei 790 Euro lag (2008:
768 Euro). Das durchschnittliche Nettomonatseinkommen stieg von 1280 auf
1317 Euro. Die Steigerung um 2,9 Prozent
lag deutlich über der Inflationsrate von
0,4 Prozent.
56
Kinderarmut in Niedersachsen
Landkreisen mit relativ geringer Kinderarmut vom Raum Osnabrück im Südwesten
Um Aussagen über die Entwicklung der
über das Bremer und Hamburger Umland
Armutsquote von Kindern in Niedersach-
im Norden.
sen treffen zu können, werden die absolu-
Im April 2009 lagen die höchsten Ar-
Zwei Methoden werden genutzt,
ten Zahlen der Kinder in SGB II-Haushalten
mutsquoten von Kindern in den kreisfreien
um Armutsgrenzen zu definieren:
auf die entsprechende Altersgruppe der
Städten des Landes: 31,8 Prozent in Wil-
1. Der Mittelwert des jeweiligen
unter 15-Jährigen bezogen. Die Armuts-
helmshaven, 29,7 Prozent in Delmenhorst
Nettoeinkommens der Bevölkerung.
quote der Kinder lag in Niedersachsen
und 24,2 Prozent in Emden. Die nächst-
Jeder, der weniger verdient, gilt als
im April 2009 bei 15,4 Prozent. Ihren
höheren Werte haben mit 22,7 Prozent
relativ arm. 2. Die Kosten für einen
Höchststand hatte sie im Dezember 2006
Osnabrück, Oldenburg mit 21,6 Prozent
bestimmten Warenkorb. Der Anteil
und ist seitdem um 1,4 Prozentpunkte
sowie Braunschweig (20,9 Prozent) und
der Bevölkerung, der weniger zur
zurückgegangen. Die bisher vorliegenden
Salzgitter (22,1 Prozent). Positiv hebt sich
Verfügung hat als den Wert des
Daten zeigen, dass die niedersächsische
die Stadt Wolfsburg ab: Mit einer Kinder-
Warenkorbs, gilt als absolut arm.
Quote im Wesentlichen der Deutschland-
armutsquote von 16,9 Prozent liegt sie
Quote entspricht und nur minimal nach
deutlich unter den anderen Städten.
oben oder unten abweicht.
Diese Struktur korrespondiert mit
Armutsquote
Gibt den prozentualen Anteil der
dem Anteil der Empfänger von SGB II-
Personen an der gesamten Bevölke-
in Niedersachsen dokumentiert. Damals
Leistungen an allen Einwohnern. Für
rung einer Volkswirtschaft an, die
wurden 164 499 Kinder erfasst. Diese
die Landeshauptstadt Hannover und
mit einem Einkommen unterhalb der
Zahl stieg fast kontinuierlich bis zum
ihr Umland liegen keine differenzierten
Armutsgrenze auskommen müssen.
Höchststand von 205 143 Kindern im
Werte vor, so dass die Region Hannover
Februar 2007 an. Seitdem geht sie fast
mit 20,9 Prozent in die höchste Katego-
Bekämpfte Armut
genauso kontinuierlich von Monat zu
rie fällt. Als einzige Landkreise liegen die
Fester Begriff der Armutsforschung
Monat zurück. Der Stand von 178 900 im
beiden Harzkreise Goslar und Osterode
für behördlich wahrgenommene
April 2009 entspricht dem Stand vom Mai
über der 20-Prozent-Marke. Auch hier
Armut: bezeichnet die Anzahl der
2005 und einer Quote von 15,4 Prozent.
korrespondieren die Werte mit dem Anteil
Unterstützungsempfänger von staat-
Verglichen mit dem Höchststand vom Fe-
der Empfänger von SGB II-Leistungen
lichen Transferzahlungen, die Armut
bruar 2007 bedeutet dies einen Rückgang
insgesamt. Auch der Landkreis Weser-
verhindern sollen, in dem sie einen
um 26 243 Personen bzw. 12,8 Prozent.
marsch (18,6 Prozent) im Nordwesten
Mindestsicherungsbedarf abdecken.
Der Einfluss von Rechtsänderungen, die
und die Landkreise Celle (18,4 Prozent)
Bei der Bewertung von Kinderarmut
im Oktober 2008 in Kraft traten, auf die
und Lüchow-Dannenberg (19,3 Prozent)
sind in erster Linie die Leistungen
Armutsquote der Kinder unter 15 wird auf
weisen vergleichsweise hohe Kinderar-
nach SGB II der Bundesagentur für
etwa 7 000 Personen geschätzt.
mutsquoten auf.
Arbeit relevant.
Regionale Unterschiede
oder darunter finden sich mit Ausnahme
Kinderarmut tritt in den kreisfreien Stä-
der Landkreise Wesermarsch und Friesland
dten Niedersachsens stärker als in den
(14,3 Prozent) im Umland der Großstädte
Landkreisen auf, außerdem im Osten des
und im Westen des Landes. Durchschnitt-
Landes und partiell an der Küste. Demge-
liche Werte sind außer in Aurich an der
genüber zieht sich ein breiter Gürtel von
gesamten Küste, im Süden des Landes bis
Seit Januar 2005 wird die Kinderarmut
Niedrige Anteile von elf bis 14 Prozent
57
Armutsgrenze
Relative Armut
hinauf nach Nienburg, aber auch in Uelzen
lich hoch, dass diese jungen Frauen ihre
Bemisst sich am Wohlstand der
und Lüneburg zu konstatieren. Hanno-
schulische oder berufliche Ausbildung
jeweiligen Gesellschaft: Als armuts-
ver (18,2 Prozent) und Braunschweig
abbrechen. Die Folge ist in der Regel der
gefährdet gelten nach Definition der
(17,1 Prozent) weisen entsprechend hohe,
Nicht-Einstieg in das Berufsleben. Damit
Europäischen Union Personen, deren
Lüneburg (13,8 Prozent) und Weser-Ems
steigt das Armutsrisiko automatisch.
Durchschnitteinkommen (Äquiva-
(13,5 Prozent) entsprechend niedrige Quo-
lenzeinkommen) weniger als 60
ten auf. Die niedrigen Werte erstrecken
2007 in Niedersachsen 2 299 Kinder von
Prozent des Medians der Äquiva-
sich von der Grafschaft Bentheim über das
Müttern aus, die bei der Geburt jünger als
lenzeinkommen der Bevölkerung in
Bremer Umland bis Hamburg und korre-
20 Jahre waren. Diese Babys hatten an al-
Privathaushalten beträgt. Als arm
spondieren mit positiven Werten anderer
len Lebendgeborenen dieses Jahres einen
gelten Haushalte, die 50 Prozent
regionalstatistischer Indikatoren. Dage-
Anteil von 3,5 Prozent. Damit liegt das
und weniger zur Verfügung haben.
gen sind die Quoten für die Kreise des
Land leicht über dem Bundesdurchschnitt
Strenge Armut setzt bei 40 Prozent
weiteren Hamburger Umlands, Lüneburg
von 3,3 Prozent, ist aber von den zum Teil
des Äquivalenzeinkommens ein.
(15,6 Prozent) und Stade (14,8 Prozent),
sehr hohen Anteilen in den ostdeutschen
nur durchschnittlich.
Flächenländern (bis zu 6,3 Prozent in
Relativer Reichtum
Sachsen-Anhalt) weit entfernt. Sehr nied-
Als relativ einkommensreich gelten
rige Anteile gibt es in Baden-Württemberg
Personen, deren Äquivalenzein-
Armutsrisiko frühe Schwangerschaft
(2,2 Prozent), Bayern (2,3 Prozent), Hessen
kommen mehr als 200 Prozent des
Schwangerschaften sehr junger Frauen
und Hamburg (beide 2,6 Prozent). In
Medians der Äquivalenzeinkommen
gelten in der Armutsforschung als ein
Niedersachsen selbst gibt es eine klare
der Bevölkerung in Privathaushalten
Risikoindikator. Ein Kind kann die Lebens-
Abstufung von Weser-Ems über Lüneburg
beträgt.
umstände seiner Eltern oder zumindest
und Hannover bis hin zu Braunschweig,
eines Elternteils radikal ändern – bis hin
mit Unterschieden von jeweils 0,2 bis
zur Beurlaubung oder der Aufgabe der
0,3 Prozentpunkten zwischen den statis-
beruflichen Tätigkeit bzw. der Nichtauf-
tischen Regionen. Auf Kreisebene ragen
nahme einer (neuen) Beschäftigung. Damit
hier insbesondere Nienburg und Celle und
eng verbunden sind finanzielle Schieflagen
die Städte Emden und Wilhelmshaven
der betroffenen Haushalte. Kinder sind in
mit Anteilen von 5,5 Prozent und mehr
bestimmten Lebenslagen ein Armutsrisiko,
heraus.
insbesondere für alleinerziehende Eltern-
Auf 1 000 Frauen der Altersklasse 15
teile. Auch aus diesem Grund müssen die
bis unter 20 Jahre kamen in Niedersachsen
Kinderbetreuung und die Ganztagsschule
10,1 Lebendgeborene. Dies entspricht
massiv ausgebaut werden.
exakt dem Bundesdurchschnitt. Deutlich
Zwar haben im Vergleich der Jahre
58
Die Geburtenstatistik weist für das Jahr
geringere Werte weisen nur die südlichen
2004 bis 2007 in Niedersachsen sowohl
Bundesländer Baden-Württemberg (6,8
die absoluten Zahlen der Lebendgebo-
Promille), Bayern (7,1 Promille) und Hessen
renen von Müttern im Alter von 15 bis
(8,4 Promille) auf. Auf einem ähnlichen Ni-
20 Jahren als auch die Vergleichszahlen
veau wie Niedersachsen liegen Nordrhein-
innerhalb der entsprechenden Altersklasse
Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg
um gut zehn Prozent abgenommen. Die
und Schleswig-Holstein. Stark überdurch-
Wahrscheinlichkeit ist aber grundsätz-
schnittlich sind Bremen (15,7 Promille) und
alle ostdeutschen Länder inklusive Berlin
Landesstiftung Familie in Not
betroffen. Die niedersächsischen Land-
Die Stiftung Familie in Not wurde 1978
kreise Osterode, Lüchow-Dannenberg,
von der damaligen Landesregierung mit
Cuxhaven, Verden, Cloppenburg und
einem Stammkapital von einer Million
Wittmund, die Städte Hannover und
DM gegründet. Ziel ist, in Not geratenen
Oldenburg liegen mit Promillewerten
Familien mit Kindern schnell und unbü-
zwischen zwölf und 13 Lebendgeborenen
rokratisch zu helfen, wenn gesetzliche
junger Mütter an der entsprechenden
Regelungen keine Hilfe bieten können. Die
Bevölkerungsgruppe deutlich über dem
langjährige Erfahrung der Stiftung zeigt,
Landesdurchschnitt. Die Landkreise Celle,
dass es in vielen Fällen gelingt, Familien
Nienburg, Hameln-Pyrmont und Aurich
einen wirtschaftlichen Neuanfang zu
sowie die Städte Hildesheim liegen noch
ermöglichen. Hilfe wird in Form von Zu-
darüber. Landesweite Spitzenwerte haben
schüssen und zinslosen Darlehen gewährt.
die Städte Wilhelmshaven und Emden mit
Seit ihrer Gründung hat die Stiftung mehr
19,9 und 20,5 Promille.
als 11 000 niedersächsischen Familien mit
einer Gesamtsumme von rund 14 Millionen Euro geholfen. Die Stiftung finanziert
Genau hinschauen und
gegensteuern
sich aus den Erlösen des Stiftungskapitals
Die fortlaufend dokumentierte Armutsent-
100 000 Euro zur Vergabe zur Verfügung.
wicklung gibt den Akteuren auf Lan-
Darüber hinaus vergibt die Stiftung auch
desebene, in den Regionen und in den
die Mittel der Bundesstiftung Mutter und
Kommunen detailgenaue Anhaltspunkte,
Kind – Schutz des ungeborenen Lebens,
wo nachgesteuert werden muss. Trotz
die 1984 gegründet wurde und pro Jahr
insgesamt leicht sinkender Armutsgefähr-
etwa 16 500 schwangeren Frauen jeweils
dung und abnehmender Häufigkeit von
rund 500 Euro Einzelfallhilfe gewährt.
und durch Spenden. Pro Jahr stehen rund
„Teenager-Schwangerschaften“ gibt es
an vielen Orten in Niedersachsen noch viel
www.ms.niedersachsen.de >
zu tun, um Kinder vor Ausgrenzung zu
Themen > Unsere Stiftungen >
bewahren. Letztlich tragen die Mütter und
Familie in Not
Väter die Verantwortung dafür, ob und
welche Angebote sie für sich selbst und
www.bundesstiftung-mutter-und-
für ihre Kinder nutzen, die der Staat bzw.
kind.de
eine Landesregierung oder eine Kommune
ihnen macht.
Oft helfen auch kleine Gesten oder eine
einmalige Unterstützung, um dazuzugehören oder die größte Not zu lindern.
59
Informationsangebote
Sonderfonds „DabeiSein!”
Armutsberichterstattung des Landesbetriebs für Statistik und Kommuni-
Mit dem Sonderfonds DabeiSein! werden
kationstechnologie Niedersachsen
unbürokratisch und schnell Bildungs- und
(LSKN) auf Basis regionaler Durch-
Freizeitmaßnahmen für Kinder aus finanzi-
schnittseinkommen (Regionalkon-
ell benachteiligten Familien mit bis zu 100
zept):
Euro pro Jahr und Kind gefördert. Kinder
www.lskn.niedersachsen.de >
sollen davor geschützt werden, dass sie
Handlungsorientierte Sozialbericht-
aufgrund von Arbeitslosigkeit der Eltern
erstattung Niedersachsen - Statis-
oder wegen einer familiären Notsituation
tikteil
benachteiligt oder ausgegrenzt werden.
Die Landesregierung stellt für den Son-
Armutsberichterstattung der Sta-
derfonds einen Betrag von zwei Millionen
tistischen Ämter des Bundes und
Euro für die Jahre 2009 bis 2012 bereit –
der Länder auf Basis bundesweiter
als Zuschüsse etwa für die Mitgliedschaft
Durchschnittseinkommen (National-
in Musik- und Sportvereinen, für Jugend-
konzept):
und Familienfreizeiten, Erholungsmaßnah-
www.amtliche-sozialberichterstat-
men, Nachhilfeunterricht oder Klassen-
tung.de
fahrten. Gesetzliche Ansprüche wie etwa
das Bildungspaket haben jedoch Vorrang.
„Lebenslagen in Deutschland – Der
Über 600 DabeiSein!-Servicestellen gibt es
3. Armuts- und Reichtumsbericht“,
flächendeckend in ganz Niedersachsen.
Juli 2008, Bundesministerium für
Arbeit und Soziales:
www.bmas.de > Publikationen
Interaktive Aktionslandkarte
Familien- und Kinderservicebüros,
Familienbildungsstätten, Mehrgenerationenhäuser, Mütterzentren,
Mutter-/Vater-Kind-Kurkliniken, Familienferienstätten sowie wellcomeBüros und DabeiSein!-Servicestellen
in Niedersachsen:
www.familien-mit-zukunft.de >
Aktuelles > Aktionslandkarte für
Familien
60
www.dabeisein-nds.de
Kinderrechte durchsetzen
61
Kinderrechte durchsetzen
In der Niedersächsischen Verfassung werden Kinder und Jugendliche als eigenständige Personen anerkannt: Sie haben das Recht
auf Achtung ihrer Würde, auf gewaltfreie Erziehung sowie den
Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und
Misshandlung. Der Weg dafür wurde am 17. Juni 2009 freigemacht: Nach intensiver Diskussion beschlossen die Fraktionen des
Landtages einstimmig die Ergänzung der Landesverfassung um
den zusätzlichen Artikel 4a Schutz und Erziehung von Kindern
und Jugendlichen.
Rechte mit Verfassungsrang
Kinderrechte
Das entsprechende Änderungsgesetz zur Niedersächsischen
Verfassung trat am 1. Juli 2009 in Kraft. Mit den Rechten von
Niedersächsische Verfassung
Kindern und Jugendlichen wurde auch der Anspruch von Er-
Artikel 4 a – Schutz und Erziehung von Kindern und Jugend-
ziehungsberechtigten auf „angemessene“ staatliche Hilfe und
lichen
Rücksichtnahme verankert. Staat und Gesellschaft müssen „für
(1) Kinder und Jugendliche haben als eigenständige Perso-
altersgerechte Lebensbedingungen“ sorgen.
nen das Recht auf Achtung ihrer Würde und gewaltfreie
Erziehung.
(2) Wer Kinder und Jugendliche erzieht, hat Anspruch auf
UN-Kinderrechtskonvention und EU-Charta
angemessene staatliche Hilfe und Rücksichtnahme. Staat
Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention, die von der
und Gesellschaft tragen für altersgerechte Lebensbedin-
Vollversammlung der Vereinten Nationen am 20. November 1989
gungen Sorge.
verabschiedet wurde, 1992 ratifiziert. Damit haben Kinder das
(3) Kinder und Jugendliche sind vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen.
Recht, in einer sicheren Umgebung ohne Diskriminierung zu
leben, das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, Ausbildung und das Recht auf Mitsprache
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Artikel 24 – Rechte des Kindes
(1) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsor-
Seit der Jahrtausendwende gilt zusätzlich die Charta der
Grundrechte der Europäischen Union, in der die Rechte des Kindes
ge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können
ausdrücklich enthalten sind (Art. 24). Sie wurde am 7. Dezember
ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den An-
2000 in Nizza proklamiert. Darin ist unter anderem der Anspruch
gelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und
jedes Kindes auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direk-
ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt.
te Kontakte zu beiden Elternteilen formuliert.
(2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher
Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des
Kindes eine vorrangige Erwägung sein.
(3) Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche
Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.
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bei Entscheidungen, die sie betreffen.
Niedersächsischer KinderHabenRechtePreis
Informationsangebote
Kinder mit ihren Rechten, Interessen und Bedürfnisse im täglichen
Niedersächsische Verfassung:
Leben wahrnehmen und anerkennen – diese Ziele verfolgen der
www.nds-voris.de > Verf ND
Deutsche Kinderschutzbund und das Land Niedersachsen auch
mit dem KinderHabenRechtePreis. Seit dem Jahr 2008 wird er
Niedersächsischer KinderHabenRechte-
landesweit ausgelobt: Projekte, Initiativen und Maßnahmen, in
Preis:
denen sich Engagierte für die Rechte von Kindern einsetzen,
www.kinderhabenrechtepreis.de
werden damit unterstützt. Bei der Auswahl der Preisträger wird
besonderer Wert auf die langfristige Wirkung (Nachhaltigkeit) und
Kinderseite des Landes Niedersachsen:
www.kinder.niedersachsen.de
die Partizipation von Kindern und Jugendlichen gelegt. Die vielfältigen Beispiele aus der Praxis sollen öffentlich wahrgenommen,
anerkannt und gefördert werden sowie zur Nachahmung
EU-Charta der Grundrechte:
anregen. Jedes Jahr wird mit dem Preis ein spezielles Recht
www.europarl.europa.eu > charter
Preis unter einem besonderen Motto ausgeschrieben. Im
Jahr 2008 lautete das Motto Gewaltfrei werden Kinder
groß!, in 2009 Kultur macht schlau!, in 2010 Mitreden,
20
10
des Kindes aus der UN-Konvention aufgegriffen und der
UN-Kinderkonvention:
www.auswaertiges-amt.de >
UnkonvKinder
mitmachen, mitmischen! und in 2011 Zukunft statt
Herkunft.
Bewerben können sich Projekte und Initiativen,
Kommunen, Vereine und Institutionen, Betreuungsund Bildungseinrichtungen in Niedersachsen, die sich
wirksam für die Umsetzung des jeweiligen Kinderrechts
einsetzen. Der mit 9 000 Euro dotierte Preis wird jeweils
zum 20. November, dem Tag der Ratifizierung der UNKinderrechtskonvention, verliehen.
„Wir setzen an dieser zentralen Stelle ein klares und deutliches Zeichen für Kinder, für Jugendliche und für Eltern in
Niedersachsen. Wir zeigen, dass wir dieses Thema sehr ernst
nehmen (..) der Sinn und Zweck dieses Vorhabens geht ganz
klar weit über den reinen Symbolcharakter hinaus.“
Die CDU-Landtagsabgeordnete Heidemarie Mundlos am 17. Juni 2009 vor der fraktionsübergreifenden Zustimmung des Niedersächsischen Landtags zur Aufnahme von Kinderrechten in die Landesverfassung.
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