Kinderschutz als gesellschftliche Herausforderung
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Kinderschutz als gesellschftliche Herausforderung
Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration Kinderschutz als gesellschaftliche Herausforderung Leitlinien einer Politik des Kinderschutzes in Niedersachsen 1 Inhaltsverzeichnis 5Land und Kommunen handeln gemeinsam für einen aktiven Kinderschutz 9 Kindergesundheit fördern 13 Erziehungskompetenz stärken 25 Gelingendes Aufwachsen durch Frühe Hilfen sichern 33 Gefahren erkennen und professionell reagieren 49 Vernetzung vor Ort 53 Kinderarmut bekämpfen 61 Kinderrechte durchsetzen Impressum Herausgeber Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration – Pressestelle – Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 2 30159 Hannover Redaktion Britta Grashorn M.A. [email protected] Interviews Lutz Worat www.signo-online.de Gestaltung Dipl. Grafik-Designer Andreas Zickert www.signo-online.de Druck Druckerei Biewald GmbH Fotos Shutterstock Images LLC (30) privat (5) Diese Broschüre darf, wie alle Publikationen der Landesregierung, nicht zur Wahlwerbung in Wahlkämpfen verwendet werden. 2 Liebe Leserin, lieber Leser, als Niedersächsische Jugend- und Familienministerin ist es mir ein Herzensanliegen, den Kinderschutz weiter zu fördern und innovative Wege zu beschreiten. Zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung zählt es, Kindern gute Bedingungen für ihr Aufwachsen zu bieten. Eltern haben die Aufgabe, sie zu unterstützen und in ihrer Entwicklung zu fördern. Daher ist es ein wichtiges Ziel, Eltern bei dieser Aufgabe zu unterstützen und ihnen – wo nötig – möglichst frühzeitig und leicht erreichbare Hilfe anzubieten. Eine der großen Aufgaben des Landes ist es, den Kinderschutz offensiv weiterzuentwickeln. Die vorliegende Broschüre erläutert unsere politischen Leitlinien im Kinderschutz und veranschaulicht gleichzeitig, wie wir diese Leitlinien praktisch umsetzen. Dabei wird das Thema in seiner ganzen Bandbreite erfasst – von der frühesten Prävention bis zur Intervention bei konkreten Kindeswohlgefährdungen. Ergänzend werden die Themen Kinderarmut und Kinderrechte ebenfalls beleuchtet. Ganz besonders möchte ich allen danken, die sich ehrenamtlich oder hauptamtlich um die Unterstützung von Kindern und Familien, aber auch um den Schutz von Kindern kümmern. Sie leisten wertvolle und unverzichtbare Arbeit. Ihre Aygül Özkan Niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration 3 4 Land und Kommunen handeln gemeinsam für einen aktiven Kinderschutz 5 Land und Kommunen handeln Finanzielle Förderung gemeinsam für einen Niedersachsen verfügt über eine gut ausgebaute und bewährte aktiven Kinderschutz Strukturen auch in Zukunft erhalten und sicherstellen, dass die mit Infrastruktur im Kinderschutz. Das Land wird diese bewährten einer Landesförderung unterstützten Institutionen ihre wichtige und erfolgreiche Arbeit weiterführen können. Der hohe Stellen- Freie und öffentliche Träger bieten eine Vielzahl von Maßnahmen wert des Kinderschutzes für das Land wird nicht zuletzt daran und betreiben vielfältige Einrichtungen und Dienste der Kinder- deutlich, dass die zur Verfügung gestellten Mittel in den vergan- und Jugendhilfe und des Kinderschutzes. Aber auch viele andere genen Jahren stetig gestiegen sind. Allein für den engeren Bereich Institutionen wie Schulen und Kindertagesstätten sowie Einzelper- des Kinder- und Jugendschutzes liegt die gesamte Fördersumme sonen und niedergelassene Kinderärzte arbeiten mit Kindern in derzeit bei rund 2,5 Mio. Euro pro Jahr. unterschiedlichen Situationen. Alle, die mit Kindern tagtäglich in Kontakt kommen, haben die Aufgabe, die „Kultur des Hinsehens“ mit zu entwickeln. Kinderschutz greift dort, wo Kinder leben, wo Weiterentwicklung neuer Arbeitsansätze sie und ihre Familien konkrete Unterstützung benötigen und wo Die Landesregierung wird neue fachliche Ansätze im Kinder- ihr Wohl gefährdet sein könnte: in der örtlichen Gemeinschaft der schutz erproben. Ein Beispiel sind die Familienhebammen. Hier Städte, Gemeinden und Landkreise. Ein wirksamer Kinderschutz war Niedersachsen Vorreiter und ist mit der bundesweit ersten vor Ort führt zu einem wirksamen Kinderschutz landesweit. Weiterbildung zur staatlich anerkannten Familienhebamme noch Daher kommt den Kommunen aufgrund ihrer gesetzlich festge- immer führend. Nach derzeitigen Planungen des Bundes wird die- legten Gesamtverantwortung eine zentrale Funktion zu. Präventi- se Hilfeform zukünftig durch Bundesrecht abgesichert werden.Ein on und familienfreundliche Strukturen sind wichtige Bestandteile weiteres Beispiel sind die Koordinierungszentren Kinderschutz – des Kinderschutzes. Es gilt, Maßnahmen aufeinander abzustim- Kommunale Netzwerke Früher Hilfen, die Ende des Jahres zu men, so dass ein Netz entsteht, durch das kein Kind fallen kann. Regelangeboten werden (Stand: April 2011). Kommunen nehmen dabei eine wichtige Steuerungsfunktion wahr. Die Planungs- und Koordinierungsaufgabe für den Kinderschutz liegt vor Ort. Das Land unterstützt die Kommunen bei dieser Aufgabe. Diese Unterstützung besteht insbesondere in – der finanziellen Förderung, – der Weiterentwicklung neuer Arbeitsansätze, – der Fortbildung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie – der Sicherstellung des Informationstransfers. Diesen Aufgaben wird das Land auch zukünftig nachkommen und somit ein Partner sein, der für Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit steht. 6 Fortbildung Informationstransfer Das Land bietet eine breite Palette von Fortbildungsmöglichkeiten Um sich mit den zentralen Partnern im Bereich des Kinderschutzes im Kinderschutz. Sowohl das Landesamt für Soziales, Jugend und auszutauschen, lädt das Sozialministerium regelmäßig zu Kinder- Familie als auch die Landesstelle Jugendschutz führen jährlich schutzkonferenzen ein, um neue Entwicklungen zu erörtern und eine Vielzahl von Veranstaltungen durch. Die Kinderschutzzen- Initiativen anzustoßen. tren in Hannover und Oldenburg setzen neben ihrem normalen Um aktuelle Entwicklungen zeitnah und unkompliziert einer Fortbildungsangebot im Jahr 2011 die Fortbildungsoffensive mit breiten Fachöffentlichkeit bekannt zu machen, hat das Land das zusätzlichen 20 Inhouseveranstaltungen zum Thema Kinderschutz Internetportal www.kinderschutz-niedersachsen.de eingerichtet. fort. Darüber hinaus fördert das Land die Fortbildungen zur Kin- Damit wurde der Informationsfluss zum Thema Kinderschutz wei- derschutzfachkraft der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinder- ter verbessert. Das Internetportal wird auch zukünftig ein wichti- schutzzentren. Diese stark nachgefragten Kurse werden auch in ger Informationspool sein. Zukunft angeboten. Neben aktuellen Informationen zu relevanten Themen sind hier Fortbildungsangebote, Fachmaterialien, Arbeitshilfen und Kontaktdaten der im Kinderschutz tätigen Institutionen dargestellt. Auf dem integrierten Themenportal www.koordinierungszentrenkinderschutz.de sind Hinweise und Materialien zu dem Landesprojekt Koordinierungszentren Kinderschutz – Kommunale Netzwerke Früher Hilfen hinterlegt. Ratsuchende gelangen unter den Rubriken Rat und Hilfe bei Kindesgefährdung und Rat und Hilfe bei sexueller Gewalt an Kontaktadressen und Beratungsangebote. Internetportal www.kinderschutz-niedersachsen.de www.kinderschutz-niedersachsen.de Kinderschutz IN NIEDERSACHSEN 7 8 Kindergesundheit fördern 9 Kindergesundheit fördern Ein U fürs Leben Die U-Untersuchungen sorgen für einen guten Start ins Leben: Von den ersten Lebensstunden an sollen damit Störungen der körperlichen, geistigen oder sozialen Entwicklung bei Kindern erkannt werden, so dass zügig entsprechende Therapien eingelei- Das Land Niedersachsen unterstützt die gesundheitliche Entwicklung junger Menschen durch zahlreiche Aktivitäten, die sich tet oder präventiv eingegriffen werden kann. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Kranken- vor allem auf die Primärprävention richten: gesunde Ernährung, kassen (GBA) hat in seinen Kinder-Richtlinien am 26. April 1976 Bewegung, Impfungen, Jugendzahnpflege/Gruppenprophylaxe, erstmals ärztliche Maßnahmen zur Früherkennung bis zur Voll- Tabakprävention, Suchtprävention. Die meisten Maßnahmen ha- endung des sechsten Lebensjahres festgelegt. U1 bis U9 werden ben einen interdisziplinären Ansatz; einige setzen auf Vernetzung seither in dem gelben Heft des GBA dokumentiert. Rechtsgrund- mehrerer Ressorts innerhalb der Landesregierung. Im Rahmen der lage der Kindervorsorgeuntersuchungen ist § 26 SGB V. Sie sind Entwicklung von Gesundheitszielen auf Ebene des Bundes und der in Deutschland bereits seit 1971 Leistungen der Krankenkassen, Länder wurden auch in Niedersachsen Themen der Kindergesund- die von den Eltern in Anspruch genommen werden können, aber heit aufgegriffen und mehrere Gesundheitsziele formuliert und nicht müssen. Pflicht ist dagegen die Schuleingangsuntersuchung. bearbeitet. Seit dem Frühjahr 2006 gibt es für alle Kinder und Jugendliche im Alter von sieben bis 18 Jahren ein zusätzliches Vorsorgeheft, in dem vier weitere Untersuchungen von den Kinder- und Hausärzten dokumentiert werden: U10, U11, J1 und J2. Verbindliche Vorsorge Die Erfahrungen mit den U-Untersuchungen zeigen auch in Niedersachsen, dass die Mehrheit der Eltern gewissenhaft die Früherkennungsuntersuchungen für ihre Kinder wahrnimmt. Allerdings wird bundesweit beobachtet, dass die Teilnahme vom zweiten Lebensjahr bis zum Vorschulalter (U7 bis U9) abnimmt. Das betrifft insbesondere Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern und Ein U für’s Leben. 10 von Familien mit Migrationshintergrund. Das führt beispielsweise dazu, dass der Impfstatus dieser Kinder nicht komplett ist oder Entwicklungsstörungen vor der Einschulung nicht erkannt und auch nicht rechtzeitig behandelt werden können. Untersuchungsstufe Toleranzgrenze U 5 6. – 7. Lebensmonat U 5 5. – 8. Lebensmonat U 6 10. – 12. Lebensmonat U 6 9. – 14. Lebensmonat U 7 21. – 24. Lebensmonat U 7 20. – 27. Lebensmonat U 7a 34. – 36. Lebensmonat U 7a 33. – 38. Lebensmonat U 8 46. – 48. Lebensmonat U 8 43. – 50. Lebensmonat Die gesetzlichen und privaten Krankenkassen übernehmen während des vorgesehenen Untersuchungszeitraums und innerhalb einer weiter gefassten Toleranzgrenze (li. Spalte) die Kosten für die Früherkennungsuntersuchungen. Zusätzlich haben Fälle von verwahrlosten und misshandelten Reibungsloser Start in Niedersachsen Kindern den Entschluss reifen lassen, die Teilnahmen an der Kin- Am 28. Oktober 2009 stimmte der Niedersächsische Landtag dervorsorge verbindlicher zu gestalten, um möglichst alle Kinder dem Niedersächsischen Gesetz über das Einladungs- und Melde- frühzeitig zu erreichen. Ein entsprechendes Verfahren musste wesen für Früherkennungsuntersuchungen von Kindern (NFrüh- gesetzlich geregelt werden. Dabei konnte sich die Gesetzesini- erkUG) zu, das als Artikel 1 des neuen Gesetzes zur Förderung tiative auch auf Beschlüsse der Regierungschefs der Länder, der der Gesundheit und Verbesserung des Schutzes von Kindern in Jugendministerkonferenz sowie der Gesundheitsministerkonferenz Niedersachsen am 1. April 2010 in Kraft trat. Ziel des Gesetzes stützen, die darin übereinstimmten, dass Einladungen zu den ist es, die Gesundheit von Kindern zu fördern und den Kinder- Früherkennungsuntersuchungen verbunden mit Rückmeldungen schutz zu verbessern. Kinder sollen in größerem Maß als bisher an und Kontrollen zum wirksamen Schutz aller Kinder beitragen. Gesundheitsuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten Die Nichtteilnahme an den U-Untersuchungen kann im Einzelfall dazu führen, dass möglicherweise dringend gebotene und Fehlentwicklungen teilnehmen. In Niedersachsen verlief der Start der verbindlichen U-Einladung Behandlungen oder Präventionsmaßnahmen unterbleiben. Daher reibungslos: Seit dem 1. April 2010 werden pro Jahr die Eltern kann sie auch ein Indiz dafür sein, dass die Eltern ihrer Pflicht zur von schätzungsweise bis zu 320 000 Kindern vom Landesamt für Pflege ihrer Kinder nicht ausreichend nachkommen. Vor diesem Soziales, Jugend und Familie (LS) zu den Kinderfrüherkennungsun- Hintergrund hat sich das Land Niedersachsen entschlossen, diese tersuchungen U5, U6, U7, U7a und U8 eingeladen. Die Arztpra- Fälle den örtlichen Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhil- xen bestätigen gegenüber dem LS lediglich die erfolgten Unter- fe zu melden und ihnen damit die Möglichkeit zur Kontrolle und suchungen, es werden keine medizinischen Daten übermittelt. helfenden Intervention zu eröffnen. Versäumen die Eltern die erste Frist, werden sie daran erinnert, die Untersuchung nachzuholen. Liegt trotz Einladung und Erinnerung keine ärztliche Bestätigung über eine durchgeführte Untersuchung vor, informiert das LS die örtlich zuständige Kinder- und Jugendhilfe. Die Kommune prüft dann im Einzelfall, ob sie sich im Sinne des Kindeswohls einschaltet. 11 Information ist A und O Für Fragen rund um das Verfahren stehen eine Telefon-Hotline des LS-Teams U-Untersuchung sowie ein Faltblatt zur Verfügung. Zusätzlich bietet der Internetauftritt des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie unter www.u-untersuchungen.niedersachsen. de aktuelle Informationen auf Deutsch, Englisch, Französisch, Türkisch, Russisch und Arabisch, die auch den Einladungs- und Erinnerungsschreiben beigelegt werden. Das Einladewesen ist mit der Ärztekammer Niedersachsen, den Berufsverbänden der Kinderärzte und der Hausärzte und mit dem Niedersächsischen Landesbeauftragten für Datenschutz abgestimmt. Alle niedergelassenen Kinderärzte und Hausärzte in Niedersachsen wurden umfassend informiert. Nach einem knappen Jahr hat Niedersachsens Gesundheitsministerin Aygül Özkan im Frühjahr 2011 eine erste, positive Bilanz des neuen Vorsorgekonzeptes gezogen: Eltern von 240 000 Kindern wurden im Jahr 2010 angeschrieben und zur jeweiligen U eingeladen. 76 000 Erinnerungsschreiben wurden verschickt. 85 Prozent haben die Untersuchungen wahrgenommen. In 9 100 Fällen wurden die Jugendämter informiert. „U-Untersuchungen geben den Eltern Sicherheit und den Kindern die Chance auf einen gesunden Start.” Aygül Özkan, Niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration Informationsangebote Themenseite Internetauftritt Landesamtes für Soziales, Niedersächsisches Gesetz über das Einladungs- und Mel- Jugend und Familie dewesen für Früherkennungsuntersuchungen von Kindern www.u-untersuchungen.niedersachsen.de (NFrüherkUG): www.nds-voris.de > NFrüherkUG Hotline Team U-Untersuchung Niedersächsisches Landesamt für Soziales, Jugend und Familie: (0180) 2001560 (0,06 Euro Internetportal Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä- je Anruf) rung (BZgA) www.kindergesundheit-info.de Arbeitsschwerpunkt Gesundheit im Elementarbereich Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. (LVG & AFS) BzgA-Projekt Ich geh’ zur U! Und Du? www.ich-geh-zur-u.de www.gesundheit-nds.de BzgA-Fachdatenbank zu bundesweiten Aktivitäten, Medien und Maßnahmen zur Prävention von Kinderunfällen: www.bzga.de/kindersicherheit 12 Erziehungskompetenz stärken 13 Erziehungskompetenz stärken Landesprogramm Familienförderung Im Rahmen des Landesprogramms Familien mit Zukunft (2007 bis 2010) haben das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration sowie das Niedersächsi- Eltern haben das Recht und die Pflicht ihre Kinder zu erziehen. Sie sche Kultusministerium 100 Millionen Euro in die unterstützende sind die wichtigsten Bezugspersonen in den ersten Lebensjahren. Infrastruktur für Familien und die qualifizierte Kinderbetreuung Ihnen kommt die wichtige Aufgabe zu, die Erziehung von Kindern in Niedersachsen investiert. Das Herzstück sind die mittlerweile erfolgreich zu gestalten und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich rund 300 Familien- und Kinderservicebüros in den Kommunen. positiv zu entwickeln. Dieser Herausforderung gerecht zu werden Sie haben sich in ihrem jeweiligen Wirkungskreis als zentrale ist nicht immer einfach. In einer sich ständig weiter entwickelnden Anlaufpunkte für Eltern und Kinder etabliert. Die Büros verbessern Welt wird auch Erziehung zunehmend komplexer. in den Städten, Gemeinden und Landkreisen die Rahmenbedin- Gleichzeitig wird durch die Forschung belegt, wie wichtig gera- gungen für die Vereinbarkeit von Familien und Beruf. Darüber de die ersten Lebensjahre für die spätere Entwicklung von Kindern hinaus unterstützt das Land zahlreiche Frühe Hilfen, Projekte und sind. In dieser Zeit lernen Kinder zuerst und am intensivsten. Der Programme, die Mütter und Väter bei der Erziehung ihrer Kinder Erziehungskompetenz von Eltern kommt daher eine große Bedeu- ab der Geburt unterstützen, stärken oder entlasten. tung für die Entwicklung ihrer Kinder zu. Eltern die notwendige Von 2011 an werden die Familienbüros weiterentwickelt. Unterstützung zu bieten und sie in ihrer Erziehungskompetenz zu Gemeinsam mit den Kommunen soll die Arbeit verstetigt und stärken ist daher besonders wichtig. Um dieses Ziel zu erreichen, dort, wo es notwendig erscheint, qualitativ verbessert werden. fördert das Land verschiedene Maßnahmen. Dabei stehen Frühe Hilfen und Angebote der Elternbildung im Zentrum. Die Schwerpunkte der künftigen Förderung für das aktuelle Landesprogramm Familienförderung hat das niedersächsische Sozialministerium in den Grundsätzen über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Familien unterstützenden Maßnahmen und Frühen Hilfen formuliert. www.familien-mit-zukunft.de > Landesprogramm > Familienförderung ab 2011 Neue Förderrichtlinie Die Förderung durch das Land Niedersachsen kann von den Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe beantragt werden. Familien- und Kinderservicebüros, die fortgeführt oder neu errichtet werden, können ebenso unterstützt werden wie Projekte. Voraussetzung ist, dass die Familienbüros ihr koordinierendes Serviceund Dienstleistungsangebot nach dem Landesprogramm (neu) ausrichten. Pro Servicebüro in Landkreisen, kreisfreien Städten und Städten ab 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern werden jährlich bis zu 10 000 Euro gewährt; für alle übrigen Kommunen bis zu 3 900 Euro pro Jahr. 14 Gefördert werden Projekte, die wellcome – neue Wege in der Familienbildung erproben, – Familien aus besonderen Zielgruppen (Migrationshintergrund, soziale Brennpunkte) oder – aufsuchende Elternarbeit (z.B. Erziehungs-/Integrationslotsinnen und -lotsen, wellcome) unterstützen, Familien leben heute oft isoliert mit nur wenigen sozialen Kontakten. Großeltern oder Tanten, die um die Ecke wohnen, und eine gewachsene, verlässliche Nachbarschaft sind nicht mehr die Regel sondern die Ausnahme. Das „Dorf“, das es braucht, um ein Kind – Angebote Früher Hilfen zum Inhalt haben, großzuziehen, ist nicht mehr vorhanden. Die erste Zeit nach der – zur Stärkung benachteiligter Kinder mit begleitender Geburt kann Eltern überfordern. Das gilt besonders, wenn die Elternarbeit beitragen, – Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu spezifischen Themen fortbilden. Geburt schwer war, neben dem Neugeborenen weitere Kinder betreut werden müssen oder der Partner entweder nicht zur Verfügung steht oder in der Zeit des Wochenbetts keine Unterstützung leisten kann. Das Land fördert Projekte bis zu maximal 50 Prozent. Die antrags- Hier setzt wellcome berechtigten Jugendämter können die Mittel an Kommunen an. Hauptamtliche Koor- und freie Träger weitergeben, die Entscheidung darüber liegt bei dinatorinnen vermitteln ihnen. Grundlage hierfür sind den Kontakt zwischen – ein zielorientiertes Handlungskonzept für die geplanten Familien und Ehrenamtli- Maßnahmen in Kooperation mit den örtlichen freien Trägern chen. Diese unterstützen und mit den Gemeinden des Zuständigkeitsbereichs, die nicht die Familien so, wie Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe sind, es sonst Großeltern, – eine jährliche Evaluierung und Fortschreibung der Maßnahmen Nachbarn oder Freunde – und die Vernetzung und Abstimmung der Angebotsstruktur. tun würden. Zwei bis drei mal in der Woche besucht die ehrenamtliche Mitarbeiterin die Familie, ohne dabei die professionelle Hilfe durch Hebammen zu ersetzen. Diese Auszeit für die Mutter trägt deutlich zur Entspannung der Eltern bei, was wiederum unmittelbar den Kindern zugute kommt. Gleichzeitig sind die Familien-Fachfrauen auch telefonische Beraterinnen für Fragen rund um die Geburt. wellcome ist für alle Mütter da. Es ist eine Form moderner Nachbarschaftshilfe, die Fachlichkeit und ehrenamtliches Engagement bei der Unterstützung von Familien mit Neugeborenen verbindet: Geschulte Helferinnen entlasten die Eltern über einige Monate für ein paar Stunden pro Woche – durch Ausflüge mit den Geschwisterkindern auf den Spielplatz, kleinere Erledigungen im Haushalt oder durch Erfahrungsaustausch. Oft werden Familien an andere Stellen vermittelt, wenn über die befristete Nachbarschaftshilfe hinaus Bedarf an weiterer Unterstützung erkennbar ist. 15 wellcome in Niedersachsen Starke Eltern – Starke Kinder Im Mai 2010 hat Sozialministerin Aygül Özkan als Schirmherrin für die wellcome-Teams im Land den 30. niedersächsischen Standort Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) hat ein Kursangebot für in der Katholischen Familienbildungsstätte in Hannover eröffnet. alle Mütter und Väter entwickelt, um ihnen mehr Freude, Leichtig- Bundesweit ist Bundeskanzlerin Angela Merkel Schirmherrin für keit und zugleich mehr Sicherheit in der Erziehung zu vermitteln: wellcome. Mit dem neuen wellcome-Büro in Hannover gibt es Starke Eltern – Starke Kinder ® wird mittlerweile an vielen Orten mittlerweile 140 Standorte in Deutschland, die meisten davon in Deutschland angeboten und dabei von den DKSB-Landesver- in Niedersachsen. Mehr als 300 Ehrenamtliche engagieren sich bänden an die Bedürfnisse in den einzelnen Regionen angepasst. hier für junge Familien. Interessierte, die Unterstützung benöti- Die Kurse richten sich nach dem altersspezifischen Bedarf, etwa in gen oder die sich hier engagieren wollen, können sich direkt bei Kindergärten, Schulen oder Mütterzentren, und an den unter- den Koordinatorinnen melden. Seit 2009 fördert das Land eine schiedlichen Bedürfnissen der Zielgruppen aus: Alleinerziehende, wellcome-Landeskoordinationsstelle. Patchwork-Familien, Pflege- und Adoptionsfamilien, Migrantenfamilien. www.familien-mit-zukunft.de > Elterninformationen A-Z www.wellcome-online.de Psychischer und physischer Gewalt in der Familie wird vorbeugend begegnet. Rechte und Bedürfnisse der Kinder sowie ihre Mitsprache-, Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Familiensystem werden im Sinne der UN-Kinderrechtskonventionen thematisiert und gestärkt. Die vorhandenen Ressourcen von Eltern und Kindern stehen im Zentrum, nicht die Defizite. Die Elternkurse helfen dabei, den Familienalltag gelassener und souveräner zu meistern, indem sie – das Selbstbewusstsein von Müttern, Vätern und Kindern stärken, – den Familienalltag entlasten und das Miteinander verbessern, – Wege zeigen, um Konflikte zu bewältigen und zu lösen, – Raum zum Nachdenken und zum Austausch mit anderen Müttern und Vätern bieten, – Chancen eröffnen, Freiräume für sich selbst zu schaffen und frische Kraft zu tanken, – über allgemeine Erziehungsthemen und über Kinderrechte informieren, – einfach Spaß machen. Orte und Termine orientieren sich an der Lebenssituation und am Bedarf der Eltern, die erreicht werden sollen. Bewährt haben sich Gruppen von Eltern, die Kinder unterschiedlichen Alters haben. Das Angebot basiert auf Freiwilligkeit; die Zuweisung durch Jugendämter oder Gerichte wird nicht akzeptiert. Das Modell anleitender Erziehung wird in fünf aufeinander aufbauenden Stufen erklärt, erprobt und geübt: – Klärung der Wert- und Erziehungsvorstellungen in der Familie, – Festigung der Identität als Erziehende, 16 – Stärkung des Selbstvertrauens zur Unterstützung kindlicher Entwicklung, Elternkurse in Niedersachsen In Niedersachsen wächst das Angebot stetig: Mehr als 750 qualifi- – Bestimmung klarer Kommunikationsregeln in der Familie, zierte Kursleiterinnen und -leiter stehen landesweit zur Verfügung. – Befähigung zur Problemerkennung und -lösung. Oft werden die Elternkurse so sehr nachgefragt, dass es sowohl Kurse bei den 21 Ortsverbänden des Kinderschutzbundes als auch Die Inhalte werden theoretisch vorgestellt und dann auf der Basis bei anderen Trägern gibt. Mit der Evaluation der Elternkurse in gruppendynamischer und rollenspezifischer Prozesse eingeübt. Niedersachsen wurde die Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/ Um auch türkisch- und russischsprachige Familien stark zu ma- Göttingen beauftragt. chen, werden der Elternkurs und das entsprechende Informationsmaterial auch in diesen Sprachen angeboten. Der DKSB ermuntert www.dksb-nds.de > Erziehende/Fachkräfte besonders türkischsprachige Fachkräfte, den Elternkurs vor Ort www.starkeeltern-starkekinder.de anzubieten. Siehe zu diesem Thema auch das Interview mit Starke Großeltern – Starke Kinder ist ein neues Modul, das Barbara Kreikenberg und Irene Schriever auf Seite 21 Großeltern darin unterstützt, ihren Platz in der Familie bewusst einzunehmen und zu gestalten, sich mit Sicherheit und Klarheit zwischen den Generationen zu bewegen, die typischen Klippen Familien-Bildungsstätten des Großelternseins zu umschiffen und gute Zeiten mit ihren Enkelkindern zu verbringen. Ausbildung von Fachkräften: Wer einen Elternkurs Starke Die 25 Familien-Bildungsstätten in Niedersachsen sind wichtige Partner, um Familien umfassend zu stärken. Sie bieten Beglei- Eltern – Starke Kinder vor Ort organisieren oder anbieten möchte, tung von Anfang an: Es gibt Kurse zur Geburtsvorbereitung, zur muss eine pädagogische Basisqualifikation sowie Erfahrungen in Säuglingspflege, frühpädagogische Maßnahmen wie PEKiP, DELFI, der Erwachsenen- und Elternbildung haben. Die Schulung durch Eltern-Kind-Gruppen, Kindergartenvorbereitung, Psychomotorik, den DKSB endet mit einem Zertifikat für die Fachkräfte, die den Waldwochen, musikalische Früherziehung, Ferienkurse für Kinder, Elternkurs in ihrem Tätigkeitsbereich selbstständig und/oder in Selbstverteidigung für Mädchen, aber auch Erziehungsforen für Kooperation mit Anbietern realisieren können. Eltern, Informationen zum beruflichen Wiedereinstieg, PC-Kurse Weiterbildung für pädagogische Fachkräfte: Interessierte, die das Konzept und das Curriculum von Starke Eltern – Starke Kinder für Seniorinnen und Senioren und vieles mehr. Die Familien-Bildungsstätten begleiten gesellschaftliche Pro- kennen lernen und in ihre Arbeit einfließen lassen wollen, jedoch zesse mit Netzwerken, Bündnissen, Informationsabenden und die Elternkurse nicht selbst leiten möchten, können eine zweitägi- Diskussionsrunden. Sie bieten Unterstützung mit Elterntrainings ge Fortbildung machen. und Erfahrungsaustausch, Konfliktberatung sowie Mediation, Projekte zur Selbst- und Nachbarschaftshilfe sowie Ehe- und Partnerschaftsberatung. Familien-Bildungsstätten bilden Erziehungslotsen aus, sind unter anderem Partner für das Projekt wellcome, vermitteln Handwerkszeug für Eltern und bieten passend dazu das Training für Kinder (www.handwerkszeug-eltern-kinder.de). Die Familien-Bildungsstätten in Niedersachsen erreichen Menschen aller Altersstufen und sozialen Schichten. Etwa 3 500 Honorarkräfte und ca. 130 hauptamtliche Mitarbeitende sind neben zahlreichen Ehrenamtlichen im Einsatz. Mit gut 250 000 Unterrichtsstunden und rund 215 000 Teilnehmenden pro Jahr gehören die Familien-Bildungsstätten zu den großen Bildungsträgern im Land Niedersachsen. Träger sind die Evangelische 17 und die Katholische Kirche, die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Mütterzentren Rote Kreuz oder die Volkshochschule. Familien-Bildungsstätten finanzieren ihre Arbeit vor allem durch Teilnahmegebühren, aber Die Selbsthilfe für Familien zu fördern und sie in ihrer aktiven auch durch Zuschüsse der Träger, des Landes und der Kommunen. Lebensphase mit einem Netzwerk der Hilfe zu unterstützen, sind Das Land fördert die Personalkosten. Zudem wurden beispielswei- wesentliche Anliegen der Landesregierung. Die 47 niedersächsi- se in den Jahren 2008 und 2009 zusätzliche Projektmittel für die schen Mütterzentren spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie mobi- Ausbildung von Erziehungslotsinnen und Erziehungslotsen sowie lisieren erfolgreich Selbsthilfepotenziale und fördern die Erzie- für Bildungsangebote für Familien mit Migrationshintergrund hungskompetenz von Müttern und Vätern. Sie sind ein wichtiges verwendet. Glied in der Kette erziehungsunterstützender- und fördernder Dienste, die wohnortnah und niedrigschwellig angeboten werden. www.familienbildung-nds.de Übergeordnetes Ziel ist die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben. Die Mütterzentren haben Konzepte für Formen des Zusammenlebens entwickelt, die ein generationsübergreifendes Miteinander von Müttern, Vätern, Kindern und alten Menschen auch über die eigene Kernfamilie hinaus ermöglichen. Sie waren maßgeblich an der Entwicklung der Mehrgenerationen-Häuser-Idee beteiligt und fördern den Dialog zwischen Jung und Alt. Mütterzentren bieten einen öffentlichen Raum für gegenseitige Hilfe und Austausch, Beratung, Betreuung, Information und Entlastung im Alltag. Zu den Standardangeboten der Zentren gehören eine Caféstube, eine Informations- und Servicebörse, Secondhandläden, altersübergreifende Kinderbetreuung und ein Mittagstisch. Die Finanzierung erfolgt durch Eigenleistungen, Mitgliederbeiträge, Spenden und durch Zuschüsse der Kommunen und des Landes. www.ms.niedersachsen.de > Themen > Familie > Hilfen für Familien > Mütterzentren Im Flächenland Niedersachsen ist eine dichte Versorgung der Erziehungslotsinnen und -lotsen Bevölkerung mit Familien-Bildungsstätten schwer möglich. Die Einrichtungen bemühen sich um niedrigschwellige Bildungsar- Das Projekt der Erziehungslotsinnen und -lotsen ist ein weiterer beit vor Ort. Im Juni 2007 wurden gute Projekte und Beispiele Baustein der Landesregierung zur Stärkung der präventiv wirken- während eines Workshops der Familien-Bildungsstätten in den Frühen Hilfen. Qualifizierte Ehrenamtliche ergänzen die pro- Niedersachsen gesammelt und für das Internet aufbereitet. fessionellen Hilfesysteme, begleiten und unterstützen in schwierigen Lebensphasen. Sie ersetzen nicht Beratungsstellen oder die Jugendhilfe, sondern leisten im Vorfeld einer Maßnahme der sozialpädagogischen Familienhilfe lebenspraktische Vermittlung und Unterstützung. Sie tragen dazu bei, Hemmschwellen bei Müttern und Vätern gegenüber Förderangeboten und Hilfen abzubauen. Das Projekt wirkt präventiv: Kleinere Krisen sollen sich nicht zu 18 ernsthaften Problemlagen entwickeln. Eltern sollen gerade dann Teilnahme der Erwachsenen am Seminar ist verpflichtend, um nicht allein gelassen werden, wenn sie sich überfordert fühlen. diese Förderung in Anspruch zu nehmen. Die Freizeiten werden Familien können die Erziehungslotsinnen und -lotsen freiwillig von den Familienverbänden und den Verbänden der Freien Wohl- nutzen – in der Regel als Angebot eines Familienbüros. Hier erfah- fahrtspflege in Niedersachsen organisiert. Unterstützt werden ren die Lotsinnen und Lotsen fachliche Begleitung und Anleitung Familien mit drei Kindern, mit einem behinderten Kind und Allein- und sind Teil des jeweiligen regionalen Netzwerks Früher Hilfen. erziehende von mindestens zwei Kindern. Die Landesleistung ist Sie haben feste Ansprechpartnerinnen und -partner sowie die vom Familieneinkommen abhängig. Möglichkeit zum regelmäßigen Austausch mit anderen Ehrenamtlichen. Ein Zuschuss für einen Familienerholungsurlaub, der Familien mit geringem Einkommen eine gemeinsame Erholung ermögli- Die Familienbildungsstätten bilden die Lotsinnen und Lotsen chen, der Gesundheit dienen und durch gemeinsame Erlebnisse aus und vergeben entsprechende Zertifikate. Seit Start des Pro- und Erfahrungen gegenseitiges Verständnis, Vertrauen und den gramms Ende des Jahres 2008 bis Mai 2011 wurden knapp 600 Zusammenhalt der Familiengemeinschaft fördern soll, kann Ehrenamtliche qualifiziert, davon 92 Prozent Frauen. Der Einsatz beantragt werden von Familien mit (mindestens) zwei Kindern, ist zeitlich befristet und umfasst zumeist einen Aufwand von ein- Familien mit einem behinderten Kind, Ein-Eltern-Familien mit (min- mal drei Stunden pro Woche. destens) einem Kind. Die Zuwendung ist abhängig vom Familien- Der Grundkurs der Familienbildungsstätten vermittelt in 40 bis 50 Stunden – Kenntnisse über Familiensoziologie, Pädagogik und rechtliche Rahmenbedingungen, – praktisches Handwerkszeug wie Kommunikationstechniken, einkommen. Die Höhe der Zuschüsse pro Übernachtungstag orientiert sich an der Anzahl der Kinder. Neu sind spezielle Angebote für junge Eltern oder Alleinerziehende (bis zu 27 Jahre). Sie tragen der besonderen Situation junger Familien Rechnung und bieten gleichzeitig die Möglichkeit Konfliktlösungsstrategien sowie praktische Tipps für die einer längerfristigen Begleitung. Die Freizeiten sind begleitende Tätigkeit, Angebote zur Stärkung der Erziehungskompetenz und vermitteln – Wissen über die Infrastruktur und die Hilfesysteme vor Ort. Lösungen zur Bewältigung des Alltags. Die Teilnahme der Erwachsenen an Vor- und Nachbereitungsterminen ist verpflichtend, um Das realistische Einschätzen der eigenen Belastbarkeit, aber auch eine gute Begleitung der Ehrenamtlichen wird in Zukunft eine noch größere Rolle spielen. diese Förderung in Anspruch zu nehmen. Sämtliche Freizeiten und Erholungen werden von den Familienverbänden und den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen organisiert. Diese nehmen auch die formlosen www.erziehungslotsen.de Familienerholungsurlaube und Familienfreizeiten Anträge entgegen. www.familien-mit-zukunft.de > Elterninformationen A-Z www.ms.niedersachsen.de > Themen > Familie > Hilfen für Familien Das Land fördert auch Erholungen und Freizeiten, in denen auf www.urlaub-mit-der-familie.de Probleme in der Partnerschaft, Familie oder Erziehung einge- www.agf-nds.de gangen und für die gesundheitliche Vorsorge geworben wird. Einkommensschwächeren Familien und Alleinerziehenden wird ein gemeinsamer Urlaub ermöglicht, um mit ihren Kindern Zeit zu verbringen, Kraft zu schöpfen und gleichzeitig Abstand von den Anforderungen und Belastungen des Familienalltags zu gewinnen. Familienfreizeiten beinhalten ein Programm zu Ehe-, Familien- und Erziehungsfragen oder Gesundheitsvorsorgemaßnahmen. Eine 19 nifbe Nachhaltigkeit und Transfermöglichkeiten. Antragsberechtigt sind neben Weiterbildungseinrichtungen, die nach dem Niedersächsi- Im Auftrag der Landesregierung trägt das Niedersächsische schen Erwachsenenbildungsgesetz anerkannt sind, auch Hoch- Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) dazu schulen und teilweise Kommunen. Vor Antragstellung ist eine bei, die frühkindliche Bildung und Entwicklung möglichst optimal Beratung und eine Empfehlung durch das zuständige regionale zu gestalten. Von 2008 bis 2012 fließen pro Jahr 5,5 Millionen nifbe-Netzwerk notwendig. Euro in das Institut, das den Auftrag hat, Forschung, Lehre und Wissenstransfer zu vernetzen. Hauptaufgaben sind die Erfor- www.nifbe.de schung grundlegender Themen der kindlichen Entwicklung, die landesweite enge Vernetzung und Verzahnung der Akteure im Bereich der frühkindlichen Bildung und Entwicklung – von den Hochschulen über die Aus- und Weiterbildungs-Einrichtungen bis hin zur Praxis der Jugendhilfe und Kindertagesstätten. Der Transfer und die konkrete Zusammenarbeit werden unter anderem durch gemeinsame Projekte und Arbeitsgruppen, Fachtagungen, internationale Kongresse sowie Publikationen gefördert. Das nifbe ist ein An-Institut der Universität Osnabrück. Hier befinden sich die für den landesweiten Transfer und Fachdialog zuständige Geschäfts- und Koordinierungsstelle sowie die zentrale Forschungseinheit mit den Forschungsstellen Elementarpädagogik, Kultur, Entwicklung und Lernen, Wahrnehmung, Bewegung und Psychomotorik sowie Begabungsforschung und -förderung. Begleitet wird das nifbe durch einen wissenschaftlichen Beirat mit international renommierten Fachleuten, die durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur berufen werden. Die Arbeit des nifbe wird ergänzt durch einen landesweiten Forschungsverbund aus Fachhochschulen und Universitäten. Vor Ort sorgen im Flächenland Niedersachsen fünf regionale nifbe-Netzwerke in Emden, Hildesheim, Hannover, Lüneburg Informationsangebote und Osnabrück für die Vernetzung der Akteure und die thematische Bündelung. Neben der Aus-, Fort- und Weiterbildung von www.familien-mit-zukunft.de > Fachinformationen > Erzieherinnen und Erziehern steht die Elternbildung im Zentrum Erziehungskompetenz > Elternprogramme der Aktivitäten. Neue Erkenntnisse und Entwicklungen aus den Netzwerken und aus der Forschung können durch modellhafte – Interaktive Aktionslandkarte Familien- und Kinderservice- Transferprojekte und Qualifizierungsangebote in den Regionen büros, Familienbildungsstätten, Mehrgenerationenhäuser, schnell in die Praxis umgesetzt werden. Schwerpunktthemen sind Mütterzentren, Mutter-/Vater-Kind-Kurkliniken, Familienfe- die qualitative Verbesserung der Bildungsarbeit in Kindertagesein- rienstätten sowie wellcome-Büros und DabeiSein!-Service- richtungen, die Stärkung der Elternbildung und die Optimierung stellen in Landkreisen und kreisfreien Städten: des Übergangsmanagements zwischen Kindertageseinrichtungen und Grundschule. Das nifbe fördert Kooperations- und Verbundprojekte. Kriterien für die Projektbewilligung sind Modellhaftigkeit, Innovationskraft, 20 www.familien-mit-zukunft.de > Aktuelles > Aktionslandkarte für Familien Im Gespräch: Barbara Kreikenberg, Irene Schriever Mehr Sicherheit in der Erziehung – mehr Freude im Alltag Das vom Deutschen Kinderschutzbund e.V. (DKSB) entwickelte Bildungsangebot Starke Eltern – Starke Kinder hat das Ziel, elterliche Erziehungskompetenz zu stärken und zu stützen und den Kinderrechten in der Familie Geltung zu verschaffen. Diplom-Pädagogin Barbara Kreikenberg (DKSB Landesverband Niedersachsen) koordiniert seit 2001 das Kursangebot in Niedersachsen; Diplom-Sozialpädagogin Irene Schriever ist Projektleiterin Starke Eltern – Starke Kinder beim DKSB-Ortsverband Hannover und führt seit 2003 selbst Elternkurse durch. Frau Kreikenberg, wenn Sie auf zehn Diese Förderung steht im direkten Zu- Jahre Starke Eltern – Starke Kinder in sammenhang mit der Neufassung des Niedersachsen zurückblicken: Würden § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Sie sagen, dass der Begriff „Erfolgsge- Richtig. Die im Jahr 2000 verabschiedete schichte“ angemessen ist? Neuregulierung verankert das gesetz- Kreikenberg: Auf jeden Fall! Als wir liche Recht der Kinder auf gewaltfreie 2001 in Niedersachsen mit den Elternkur- Erziehung und erklärt körperliche Be- sen begonnen hatten, gab es hier genau strafungen, seelische Verletzungen und eine Kursleitung. Heute haben wir mehr andere entwürdigende Maßnahmen für als 750 qualifizierte Kursleitungen und unzulässig. Eine Ergänzung im Kinder- und können Starke Eltern – Starke Kinder in Jugendhilfegesetz verpflichtet parallel Zusammenarbeit mit lokalen Kooperati- Jugendhilfeträger dazu, Eltern Wege zur onspartnern an über einhundert Standor- gewaltfreien Lösungen von Konfliktsitu- ten landesweit flächendeckend anbieten, ationen in der Familie aufzuzeigen. Man von Lingen bis Lüchow, von Göttingen bis darf nicht vergessen: Das war ein wirkli- Wangerooge. Das hat es ermöglicht, dass cher Durchbruch für Kinder und Familien wir mittlerweile deutlich mehr als 5 000 in Deutschland, und um hier wirkungs- Eltern und gut 10 000 Kinder aller Alters- volle Impulse zu setzen, hatte sich das gruppen erreicht haben – eine höchst Land dafür entschieden, den Aufbau von erfreuliche Entwicklung, zu der auch die Kursen für Eltern nach dem DKSB-Konzept Förderung als landesweites Modellprojekt zu fördern und die entsprechenden Mittel durch das Niedersächsische Sozialministeri- zur Ausbildung pädagogischer Fachkräfte um beigetragen hat. nach dem Curriculum von Starke Eltern – Starke Kinder bereitzustellen; da war 21 Barbara Kreikenberg Irene Schriever Niedersachsen Vorreiter, das war bundes- möglichkeiten, zum Beispiel, was sie werden können – so lassen sich auch weit einmalig. tun können, wenn die Emotionen hoch prima die Partner, die beim Kursabend kochen, wenn sie sich im Alltag mit ihren nicht dabei waren, mit einbeziehen und Wie lässt sich das Konzept von Starke Kindern überfordert fühlen. Nomen est natürlich auch die Kinder, wenn sie schon Eltern – Starke Kinder am ehesten omen – der Projektname macht deutlich, alt genug sind. auf den Punkt bringen – verteilen Sie worum es geht: Erst müssen wir die Eltern Elternführerscheine? stärken; dann sind die wiederum in der Also alles andere als eine Reihe lau- Nein, das trifft es überhaupt nicht, ebenso Lage, ihre Kinder stark zu machen. Die schiger Vortragsabende mit Power- wenig wie die Begriffe „Programm“ oder Methoden, die wir dabei anwenden und point-Unterstützung? „Training“. Eine Besonderheit an unseren vermitteln, sind von Fachleuten direkt aus Aber ganz gewiss! Wir verlangen den Elternkursen ist, dass wir den Teilnehmen- der Praxisarbeit mit Eltern und Kindern Eltern durchaus einiges ab; sie lernen, den gerade keine fertigen „Patentrezep- unterschiedlichster Altersgruppen entwi- dass Erziehung bedeutet, sich immer te“ anbieten. Stattdessen setzen wir auf ckelt worden – mit ein Grund, warum sich wieder neu auseinanderzusetzen, sich die Eigenverantwortung der Eltern und Starke Eltern – Starke Kinder so erfolgreich in der Familie neu zu arrangieren. Zu- erarbeiten gemeinsam mit ihnen auf un- etabliert hat und so langfristig und nach- gleich bekommen sie eine große Portion terschiedlichen Ebenen konkrete Lösungs- haltig funktioniert. Selbstbewusstsein auf den Weg. Und sie merken außerdem schnell, dass sie viel Beschreiben Sie doch bitte kurz The- mehr davon haben, wenn ihnen keine Pa- ® K ÇLÜ ÇOCU LI – GÜÇLÜ VE ® CUK GÜÇLÜ ÇO KURSLARI LI – GÜ GÜÇLÜ VE men und Ablauf der Kurse. tentlösungen vorgekaut werden, sondern iyo , Schriever: Die Kurse haben emiyordumeinen bağırmak ist wenn sie selbst herausfinden, was sie tun zeitlichen Umfang von zehn bis zwölf können, damit alle in der Familie weniger Einheiten, wobei jedes Treffen unter Stress haben und es entspannter zugeht einem Motto steht. Allerdings sind das und mehr Freude herrscht. „Beni deli ed r, ama ...“ da ona rdum!“ u dövmek ya i de bilmiyo adınız „Çocuğum gecirecegim rşıya kalm ü m zü sö arla karşı ka nl ru ama nasıl so en türd Bu ! lar ba Ana ba mı hiç? zaman: de zaman mi sürecin kların eğiti cu lir, ço bi r, re lile gi Bütün ve adelesine iktidar müc i duyabilir, - çocuklarla tmezlik hiss ik ya da ye şarlar. izl ns ve gü rumlarını ya du ı as çlü velilere ılm aş rımızın gü - sınırların da, çocukla lar m ru du Böylesi i var. gereksinim destek ve malarınıza nedir? u lı alış ilişkin çalış Veli kurs inin karşılık in, eğitime ler siz ı, yim ar ne rsl Veli ku da veli de cukların n; bu konu kursları, ço na li su Ve r. ım dı rd yic ar ya rsl kle i ayan özel ku ılmasına dayalı, deste verişini sağl öne çıkar ın ın ar nl olumlu ya modelidir. bir eğitim nicht isolierte Themen wie „Das richtige TE R N – STARKE EL E R® D N I K E K R STA tschen e des Deu Elternkurs utzbundes Kindersch Zubettbringen“ oder „Der Trotzanfall Für diese Art des Miteinanderarbeitens als solcher“; vielmehr geht es darum, zu ist es doch sicher günstig, wenn die klären, zu erproben und zu üben, wie bei- Kurse eher homogen zusammenge- spielsweise klare Kommunikationsregeln setzt sind? in der Familie gefunden werden können; Wenn ein neuer Kurs beginnt, ist das für wie sich Probleme und Konfliktpotenzia- mich immer ein Abenteuer, weil dann le besser erkennen und besser – und auf alle Berufsgruppen, alle Bildungsniveaus jeden Fall gewaltfrei – auflösen lassen, vertreten sind und auch ganz unterschied- und wie es zu bewerkstelligen ist, dass liche Erwartungshaltungen. Aber das ist alle in der Familie mit ihren jeweiligen eine wichtige Voraussetzung, das gehört Bedürfnissen und Wünschen Gehör zum Konzept von Starke Eltern – Starke und Akzeptanz finden. Deswegen sind Kinder. Denn so lernen die Eltern den für die einzelnen Abende Mottos vor- anderen in seiner Andersartigkeit kennen, gesehen wie „Achte auf die positiven mit anderen Gewichtungen, anderem Seiten deines Kindes“. Außerdem Wissensstand, anderen Erziehungsmetho- gibt es regelmäßig Hausaufgaben, den. Und sie lernen den wertschätzenden, ER® ARKE KI ND TE RN – ST STARKE EL “ en, ckt, aber ... ch anschrei mich verrü schlagen no genüber „Es macht nd weder Ki ge n m ei ih m e ich „Ich wollt t, wie ich m er auch nich wusste ab begegnet? n sollte!“ Fragen nie ze et en hs lch rc so du Ihr id se r, te d Vä von Mütter un ihrer Kinder r Erziehung werden: nfrontiert während de ko en en nn m kö le Eltern den Prob mit folgen Zeit zu Zeit lichkeit n Kindern r Unzuläng mpf mit de rheit und de - Machtka der Unsiche enzen. hl fü Ge s rn. - da von Gr starke Elte schreitung en Kinder - der Über nen brauch io at tu Si In solchen rs? und bieten ngsarbeit n Elternku Was ist ei terstützen Ihre Erziehu ziehen sich auf die be un e rse leitendes Elternkurs . Diese Ku itteln ein an und Hilfe an es und verm Austausch n des Kind ite Se n ive posit smodell. Erziehung mit denen die neu erworbenen Kenntnisse im Alltag angewendet 14:53:30 09.2010 30. 22 wertfreien Umgang mit dem anderen. Es Uhr kommt zum Beispiel immer wieder vor, Im Gespräch: Barbara Kreikenberg, Irene Schriever dass bei den Kursen Väter und Mütter da- ihre Kinder wollen und dass sie es schaffen im Frühsommer dieses Jahres in Salzgitter. bei sind, die zu Hause tatsächlich sehr an werden, geeignete Lösungen zu finden. Parallel ist es wichtig, die Eltern über unser ihre Grenzen kommen. Das jetzt einfach Und das ist der Transfer, um den es geht: Angebot zu informieren; dank der guten nur verteufeln – damit ist nichts gewon- Dass die Eltern diesen Vertrauensvor- Unterstützung des Landes konnten wir nen. Vielmehr geht’s darum, gemeinsam schuss, den sie sich selbst bei der Kurslei- dazu ein zweisprachiges Faltblatt auflegen. zu erarbeiten, welche Wege besser und tung abholen, an ihre Kinder weitergeben. Lässt sich schon ein erstes Fazit ziehen? geeigneter sind. Dabei helfen sich die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer un- Recht neu sind die Elternkurse für tür- Wir freuen uns, dass auch Güçlü Veli – tereinander, und das funktioniert sehr gut. kischsprachige Eltern, die von türkisch- Güçlü Çocuk so gut angenommen wird sprachigen Fachkräften durchgeführt und die Kurse so gut besucht sind. Eine Welche Qualifikationen und Zugangs- werden. besonders geglückte Reaktion ereignete voraussetzungen müssen die Kurs- Kreikenberg: In Niedersachsen leben sich in Wolfenbüttel: Nach einem Kurs leitungen für Starke Eltern – Starke rund 178 000 türkische Mitbürgerinnen für türkischsprachige Mütter ließen uns Kinder mitbringen? und Mitbürger; vor allem die Situation die Ehemänner wissen, dass sie sich Kreikenberg: Grundvoraussetzung ist bei Kindern und Jugendlichen ist durch ebenfalls für das Angebot interessierten. eine abgeschlossene Ausbildung in einem das Aufwachsen in zwei Lebenswelten Was schließlich dazu führte, dass dort ein pädagogischen oder psychologischen gekennzeichnet. Darum gibt es jetzt Güçlü Kurs mit insgesamt sieben motivierten, Arbeitsfeld; unverzichtbar sind außerdem Veli – Güçlü Çocuk; das ist die türkische engagierten türkischsprachigen Vätern Praxis und Erfahrung in der Elternarbeit Bezeichnung für unsere Elternkurse. Die durchgeführt werden konnte – ist das und in der Erwachsenenbildung. Nach er- wissenschaftliche Begleitung beim DKSB nicht toll? folgreichreicher Teilnahme an der 30-stün- Bayern hat ergeben, dass es sehr wich- digen Schulung wird ein Zertifikat verge- tig ist, die Kurse in der Muttersprache ben, das zur Durchführung der Elternkurse anzubieten, weil es viele Eltern gibt, die berechtigt. Großen Wert legen wir auf sich mit den zum Teil ja sehr emotionalen fachlichen Austausch und Weiterbildung; Themen, um die es in den Kursen geht, dafür gibt es unter anderem die landes- auf deutsch nicht so gut auseinanderset- weiten Fachtagungen der ausgebildeten zen können – wohl aber auf türkisch. Die Kursleitungen, die alle zwei Jahre stattfin- türkische Sprache ist da wie ein Türöffner; den – 2010 bereits zum dritten Mal – und denn erstens erreichen wir so überhaupt auch nach Abschluss des Modellprojekts erst einen großen Teil der Zielgruppe, und mit Mitteln aus dem Sozialministerium zweitens kommen so auch viel besser unterstützt werden. andere Themen aufs Tapet, zum Beispiel Fragen zum deutschen Schulsystem. Schriever: Für den Erfolg der Kurse ist 23 es wichtig, dass die Kursleitungen den Das heißt, mit den Kursangeboten für teilnehmenden Eltern gegenüber eine türkischsprachige Eltern werden auch wertschätzende Haltung einnehmen und Integrationsbestrebungen gefördert? vorleben können, egal, ob sie nun mit Und zwar ganz erheblich! Deswegen wol- deren Erziehungsmethoden einverstanden len wir auch weiterhin die Qualifikation sind oder nicht. In gewisser Weise gibt die türkischsprachiger pädagogischer Fach- Kursleitung den Eltern einen Vertrauens- kräfte gezielt voranbringen und verstärkt vorschuss darauf, dass sie das Beste für Schulungen durchführen, wie zum Beispiel 24 Gelingendes Aufwachsen durch Frühe Hilfen sichern 25 Gelingendes Aufwachsen Familienhebammen durch Frühe Hilfen sichern Familienhebammen sind staatliche examinierte Hebammen mit einer Zusatzqualifikation. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der psychosozialen, medizinischen Beratung und Betreuung von „Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf“ – dieses Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern durch aufsuchende afrikanische Sprichwort drückt aus: Alle Eltern benötigen manch- Tätigkeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Insti- mal Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder in der einen tutionen und Berufsgruppen. Familienhebammen sind gefordert, oder anderen Form. Manche benötigen dabei spezielle Hilfen oder wenn Kinder gesundheitlichen, medizinisch-sozialen oder psycho- besonders niedrigschwellige Zugänge, damit sie die Unterstützung sozialen Risiken ausgesetzt sind. Rund zwei Drittel der niedersäch- überhaupt wahrnehmen können. In den vergangenen Jahren hat sischen Jugendämter setzen sie bereits ein. Aus dem Pilotprojekt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote an Eltern unter dem Aufsuchende Hilfe für Mütter und ihre Kinder durch Familienheb- Begriff „Frühe Hilfen“ etabliert. Frühe Hilfen umfassen vielfältige, ammen (2002 bis 2006) ist für zahlreiche Städte und Gemeinden einander ergänzende Angebote und Maßnahmen. Häufig wenden eine reguläre Hilfeform geworden. Die vom Land geförderte Stif- sie sich an Familien mit einem spezifischen Unterstützungsbedarf. tung Eine Chance für Kinder hat bereits 220 Geburtshelferinnen Früh sind diese Hilfen, da sie sich zumeist an Familien mit kleinen zu Familienhebammen fortgebildet. Damit steht Niedersachsen Kindern wenden oder weil sie möglichst früh ansetzen, bevor bundesweit an der Spitze. mögliche Krisen eskalieren. Sie tragen dazu bei, dass Risiken für das Wohl und die Entwick- Die aufsuchende Arbeit der Familienhebamme konzentriert sich auf die Stützung und Förderung einer Schwangeren oder einer lung des Kindes frühzeitig wahrgenommen und reduziert werden. Mutter bei der Betreuung eines Säuglings während des gesamten Wenn diese Hilfen nicht ausreichen, eine Gefährdung des Kindes- ersten Lebensjahres des Kindes. Sie dient dem Kindeswohl und wohls abzuwenden, gilt es, weitere Maßnahmen zum Schutz des der Entwicklung einer guten Mutter-Kind-Bindung. Kindes zu ergreifen. Schirmherrin Bettina Wulff, Gattin des Bundespräsidenten, engagiert sich seit dem Jahr 2008 für die Stiftung „Eine Chance für Kinder“. Während einer Fachkonferenz im Berliner Schloss Bellevue warb sie im November 2010 für die möglichst bundesweite Ausdehnung der Betreuung durch Familienhebammen 26 Familienhebammen bemühen sich um Familienhebammenzentralen – die Teilnahme von Mutter und Kind an Vorsorgemaßnahmen, Die Stiftung Eine Chance für Kinder ist nicht nur für die Ausbil- – Anleitung bei der Ernährung und Pflege des Säuglings, dung von Familienhebammen verantwortlich. Sie kümmert sich – eine gesunde Umgebung des Säuglings (Raucherentwöhnung, auch um das Qualitätsmanagement und koordiniert bei Bedarf gewaltfreier Umgang mit dem Kind), – das Aufbrechen einer sozialen Isolierung von Mutter und Kind z.B. durch Einbindung in Mutter-Kind-Gruppen, – um Stützung der Mutter bei erheblicher emotionaler Unsicherheit im Umgang mit dem Säugling und Hilfe bei Überforderung, den Einsatz von Familienhebammen. So richtet sie u.a. Familienhebammenzentralen in Städten und Landkreisen ein, in denen die Jugendämter den Einsatz von Familienhebammen auch bei jugendamtsunbekannten Familien finanzieren. Die Zentralen sollen Anlaufstellen für alle Institutionen sein, die – Hilfe bei Wochenbettdepression, eine soziale und/oder gesundheitliche Notlage bei einer Schwan- – Motivation zur Selbsthilfe, geren oder einer jungen Mutter und ihrem Kind entdecken. Die – enge Zusammenarbeit mit allen für das Kindeswohl wichtigen Familienhebammenzentrale schafft ein Netzwerk und baut einen Berufsgruppen und Institutionen. Hebammen-/ Familienhebammenpool auf. Damit soll auch die Erreichbarkeit von Schwangeren und jungen Müttern mit Migrationshintergrund verbessert werden. Hebammenzentralen gibt es Staatlich anerkannte Weiterbildung derzeit im Landkreis Aurich, in der Stadt und Region Hannover, in Als erstes Bundesland hat Niedersachsen die staatlich anerkannte der Stadt und im Landkreis Hildesheim und in der Stadt Wilhelms- Weiterbildung zur Familienhebamme bzw. zum Familienentbin- haven. dungspfleger eingeführt, um die Berufsbezeichnung zu schützen und einheitliche, verbindliche Ausbildungsstandards zu setzen. Die www.eine-chance-fuer-kinder.de > Hilfemaßnahmen niedersächsische Verordnung über die Weiterbildung in Gesund- www.hebammen-niedersachsen.de heitsfachberufen wurde im November 2010 entsprechend Zum Thema Familienhebammen siehe auch das Interview ergänzt. Die Weiterbildung umfasst 400 Unterrichtsstunden. Im mit Christiane Christ und Brigitte Hillen auf Seite 30 April 2011 ist ein erster Weiterbildungskurs gestartet. Familienhebammen sollen als feste Partnerinnen der Jugendhilfe und des Gesundheitswesens in möglichst jeder Kommune etabliert werden 27 EFi – Elternarbeit + Frühe Hilfen + Migrationsfamilien Nach aktuellen Ergebnissen des Mikrozensus hat jede bzw. jeder Wichtig dabei ist, dass die Jugendämter mit den Institutionen vierte Minderjährige in Niedersachsen einen Migrationshinter- der Kooperativen Migrationsarbeit Niedersachsen (KMN), den grund. Bei den Kindern unter sechs Jahren erhöht sich dieser An- kommunalen Leitstellen Integration sowie Migrantenselbstorga- teil auf 30 Prozent. Angebote der Elternbildung und Elternarbeit nisationen zusammenarbeiten. Die örtlichen Familienbüros sollen sowie der Frühen Hilfen werden von ihnen bzw. ihren Familien eine wichtige Funktion übernehmen: Sie können Integrations- und jedoch nur selten in Anspruch genommen. Erziehungslotsinnen und -lotsen sowie anderen Ehrenamtlichen eine Arbeitsstruktur bieten, Angebote bündeln, die Kooperation von Institutionen initiieren und absichern. Persönliche Ansprache durch Vertrauenspersonen Das Programm wird begleitet durch das Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism). Fachtagungen und eine eigene Mit dem Projekt EFi - Elternarbeit, Frühe Hilfen und Migrationsfa- Themenseite auf dem Internetportal Familien-mit-Zukunft sichern milien will das Land die Kommunen dabei unterstützen, der multi- den Austausch unter den Akteurinnen und Akteuren und erlau- ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung besser gerecht zu ben eine detaillierte Übersicht über die laufenden Projekte. werden. EFi unterstützt die Kommunen dabei, Elternarbeit, Elternbildung und Frühe Hilfen mit dem Bereich Integration und Mig- www.efi-nds.de ration nachhaltig zu verknüpfen und verbindliche Formen der Zu- www.familien-mit-zukunft.de > Fachinformationen > sammenarbeit zu schaffen. Die Zugänge zu den Angeboten sollen Integration/Migration niedrigschwellig sein und die Wert- und Erziehungsvorstellungen der Familien berücksichtigen. Dabei sollen Vertrauenspersonen mit Migrationshintergrund wie Integrations- und Erziehungslotsinnen und -lotsen sowie andere interessierte Ehrenamtliche gewonnen werden, die die Eltern persönlich ansprechen. Gleichzeitig sollen Angebote entstehen, die Migrationsfamilien stärken. 28 Elterntelefon Seit dem Jahr 2001 bietet die Nummer gegen Kummer auch ein spezielles Elterntelefon an. Unter der bundesweit einheitlichen Rufnummer 0800 111 0 550 steht ein Gesprächsangebot bereit, das sich an Eltern und alle anderen Personen richtet, die Fragen zur Erziehung haben und Tipps und Empfehlungen im Umgang mit Kindern suchen. Die Nummer gegen Kummer in Niedersachsen Nummer gegen Kummer Die 2008 ausgeweiteten Beratungszeiten erforderten zusätzliche Anstrengungen, um erfahrene Beraterinnen und Berater zu bin- Kinder und Jugendliche stehen heute schon früh unter Leistungs- den und neue Freiwillige für diese Aufgabe zu qualifizieren. Unter und Konkurrenzdruck in Schule und Freizeit. Viele Heranwach- dem Motto Werben – Ausbilden – Qualifizieren wurde in Nieder- sende sind zusätzlich durch Beziehungsprobleme, Trennung und sachsen mit Unterstützung des Landes im Jahr 2010 erfolgreich Scheidung ihrer Eltern emotional verunsichert und belastet. Auch ein Aktionspaket zum Ausbau und zur nachhaltigen Stärkung Freundschaften sind oft kompliziert. Die Pubertät setzt früh ein. der Teams umgesetzt. In Niedersachsen engagieren sich bereits Bei Sorgen und Nöten können sich Kinder und Jugendliche per rund 250 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Telefon kostenlos und anonym Unterstützung holen, wenn sie die Nummer gegen Kummer. Nummer gegen Kummer wählen. Der gleichnamige Verein mit Sitz in Wuppertal hat dieses Angebot vor 30 Jahren entwickelt und ist www.dksb-nds.de > Kinder/Jugendliche > Telefon- und der Dachverband aller Kinder- und Jugendtelefone in Deutschland. Online-Beratung Sie sind mittlerweile bundesweit montags bis samstags von 14 bis www.kinderschutz-niedersachsen.de > Rat für Eltern, 20 Uhr erreichbar. Die Beratung am Samstag wird überwiegend Kinder, Familie und Nachbarn von Jugendlichen („Jugendliche beraten Jugendliche“) gewähr- www.nummergegenkummer.de leistet. Vertraulicher Kummerkasten Das Kinder- und Jugendtelefon ist bundesweit unter der einheitlichen Rufnummer 0800 111 0 333 oder auch unter der Nummer 116111 erreichbar. Die Einführung der zusätzlichen Rufnummer geht zurück auf eine Initiative der Europäischen Kommission zur Informationsangebote Verbesserung des Kinderschutzes. Die Deutsche Telekom, die als Partner von Nummer gegen Kummer für die technische Umsetzung der Sonderrufnummer verantwortlich ist, übernimmt die Ge- – Angebot der Familien- und Kinderservicebüros in Landkreisen und kreisfreien Städten: sprächsgebühren und gewährleistet, dass die angerufene Nummer www.familien-mit-zukunft.de > Aktuelles > Aktionsland- nicht auf der Rechnung der Eltern angezeigt wird. Jeder Anrufer karte für Familien kann anonym beraten werden. www.familien-mit-zukunft.de > Fachinformationen > Integration/Migration – Bundeskinderschutzgesetz www.bmfsfj.de 29 Fit machen für das Leben mit Kind Der Landkreis Hameln-Pyrmont gehört zu den aktuell über 40 niedersächsischen Kommunen, die in Kooperation mit der Stiftung Eine Chance für Kinder im Rahmen der Aufsuchenden Hilfe Familienhebammen einsetzt. Als Mitarbeiterin im Bürgerservice des Landkreises koordiniert Christiane Christ den Einsatz von Brigitte Hillen und weiteren von der Stiftung qualifizierte Familienhebammen. Die 2000 ins Leben gerufene Stiftung Eine Chance für Kinder steht unter der Schirmherrinnenschaft von Bettina Wulff, der Gattin des Bundespräsidenten. Frau Hillen, als Familienhebamme be- Wo setzen Sie mit Ihrer Arbeit an? treuen und begleiten Sie zum Beispiel Hillen: Natürlich wollen im Grundsatz alle sozial benachteiligte Schwangere und Mütter und Väter ihre Kinder glücklich, Mütter, minderjährige und sehr junge gesund und behütet aufziehen. Die dafür Mütter, Frauen mit Gewalterfahrun- nötige enge und stabile gefühlsmäßige gen körperlicher und seelischer Art Bindung zum Kind fehlt aber heute immer und auch Frauen und Familien, die häufiger; sei es, weil die junge Mutter erkennen lassen, dass sie durch die eine solche Bindung selbst nicht wirklich Christiane Christ, Aufgaben und Pflichten, die ein Kind kennengelernt hat und stattdessen kör- Koordinatorin für den mit sich bringt, wahrscheinlich über- perliche oder seelische Vernachlässigung Familienhebammen-Einsatz im fordert sind. Wo liegen die Besonder- erfahren musste, oder weil sie vielleicht in Landkreis Hameln-Pyrmont heiten Ihrer Arbeit? eine gewalttätige Partnerschaft geraten ist Hillen: Eine Besonderheit der Familienheb- oder weil sie aus anderen Gründen mit der ammenarbeit ist sicherlich die Kombinati- Situation überfordert ist und damit nicht on von medizinischer und psychosozialer klarkommt. Die Mütter oder werdenden Betreuung und zwar, das ist ganz wichtig, Mütter dazu befähigen, diese Bindung auf einem möglichst niedrigschwelligen aufzubauen, sie darin zu stärken, das Level. Die genannten Beispiele machen Kind anzunehmen – das steht sehr oft am deutlich: Familienhebammen kommen Anfang, wenn ich in die Familien komme. ins Spiel, wenn anzunehmen ist, dass Und natürlich auch der Punkt, den Frauen zusätzliche Hilfe erforderlich wird – eben zu helfen, ihren Alltag besser strukturiert Brigitte Hillen, nicht nur im gesundheitlichen Bereich und und organisiert zu bekommen. Unterstüt- Familienhebamme auch über den Rahmen der „normalen“ zung erhalte ich hier durch die Zusammen- Hebammentätigkeit vor und bis zu acht arbeit mit der Koordinatorin, unserem Wochen nach der Entbindung hinaus, Familienhebammenteam vor Ort sowie nämlich bis zur Vollendung des ersten einem gut funktionierenden Netzwerk. Lebensjahres. 30 Im Gespräch: Christiane Christ, Brigitte Hillen Und für die Koordination dieses Netz- nicht glauben können, dass sie unterstützt muss. Und wenn sich die Situation auch werks hier im Landkreis Hameln-Pyr- werden sollen, um ihren Kindern fürsorgli- dann noch nicht bessert, wird gerichtlich mont sind Sie zuständig, Frau Christ. che Mütter zu sein. Solidarität, gegenseiti- entschieden, ob das Kind aus der Fami- Christ: Genau. Wir wollen alle Institutio- ge Unterstützung und dass es ganz normal lie genommen wird. Bei minderjährigen nen und Helfersysteme, die jeweils im kon- ist, Hilfe anzunehmen – das lernen viele Müttern haben wir sowieso immer das kreten Fall für die Frühförderung in Frage erst bei uns kennen. Jugendamt mit im Boot, weil das Baby kommen, ins Geschehen einbinden. Dazu automatisch unter Amtsvormundschaft zählen zusätzlich zu den Familienhebam- Ist denn den betreuten Frauen und men zum Beispiel Kinderärzte, nieder- Familien von Anfang an klar, dass ein gelassene Gynäkologen, der Allgemeine solches Netzwerk besteht, oder haben Was sind denn typische Beispiele für Soziale Dienst des Jugendamtes, aber auch sie zunächst nur mit der Familienheb- Ihre Arbeit mit den Müttern? freie Träger, die teils kostenlose Unter- amme zu tun? Hillen: Das sind zum großen Teil ganz ele- stützung bieten. Im Rahmen regelmäßi- Christ: Nein, es ist ganz wichtig, dass mentare Dinge – durch Blickkontakt, Spie- ger Teambesprechungen wird überlegt, man gemeinsam mit der Familie spricht, len und Singen eine Beziehung zum Kind welche Maßnahmen sinnvoll sind, wo dass sie weiß, dass hier in Einzelfällen ein herstellen und Zuwendung leisten, zum eventuell noch zusätzlicher Input gegeben Helfersystem unterschiedlicher Professi- Beispiel. Lebenspraktische Dinge: Hygiene, werden kann. Und weil wir nach dem Prin- onen eingesetzt wird und im fachlichen Sauberkeit, das Fläschchen richtig zube- zip der kurzen Wege organisiert sind, sind Austausch miteinander steht. In der Regel reiten. Das Zimmer lüften und das Kind wir auch zeitnah handlungsfähig. Wenn bin ich auch beim Erstbesuch mit dabei. vor Reizüberflutung schützen – sprich: also zum Beispiel eine Familienhebamme Es passiert nichts hinter den Kulissen, und nicht einfach vorm Fernseher parken. Und direkt vor Ort eine Situation vorfindet, die das ist auch ein Teil der Wertschätzung wenn schon zur Monatsmitte kein Geld sie alleine nicht mehr auflösen kann, dann gegenüber der Familie, vollkommen un- für Babynahrung mehr da ist, müssen wir ist sie eben nicht auf sich gestellt, sondern abhängig von der Problemlage. Unser Ziel darauf einwirken, dass das verfügbare hat die Möglichkeit zur Rücksprache mit ist es, die Frauen so früh wie möglich an- Einkommen besser eingeteilt und nicht der Koordinatorin oder kann auf andere zusprechen, sie zu motivieren, sie zu mehr beispielsweise für Alkohol oder Zigaretten Netzwerk-Ressourcen zurückgreifen. Eigenverantwortung zu befähigen und zur ausgegeben wird. Das ist in vielen Familien ein großes Problem, ebenso wie das Zu- Kooperation mit uns zu bewegen. Hillen: Das klappt hier bei uns wirklich 31 kommt. bereiten von gesunden Mahlzeiten mit fri- ausgezeichnet. Ich fühle mich gut un- Und wenn die Grenzen der Kooperati- schen Zutaten – manche wissen gar nicht, terstützt, gut aufgehoben im Team. Und onsbereitschaft erreicht sind? was es da für Möglichkeiten gibt, weil darum geht es auch in hohem Maß bei Christ: Einerseits unterliegen Hebammen sie praktisch nur Fast Food kennen. Also unserer Arbeit: den Frauen und Familien und Familienhebammen der sogenannten gehen wir mit ihnen zur Tafel, schauen zu vermitteln, dass es überhaupt so etwas Verschwiegenheitsverpflichtung. Aber sie gemeinsam, was es hier für Lebensmittel gibt wie Sicherheit, Vertrauen, Verläss- sind auch an den § 8a des Kinder- und gibt und was man daraus machen kann. lichkeit – und dass sie solche Strukturen Jugendhilfegesetzes gebunden und damit Zum Beispiel selbst gemachtes Apfelmus und Angebote auch getrost in Anspruch verpflichtet, das Jugendamt einzuschalten, oder Kompott: Für nicht wenige Mütter nehmen dürfen. Viele dieser Frauen haben wenn das Wohl des Kindes in Gefahr ist. ist das eine ganz neue Erfahrung. Wenn häufig nur ein schwach ausgeprägtes Dann werden regelmäßig der Allgemeine vielleicht auch noch eine Drogenproble- Selbstwertgefühl, weil sie in ihrem Leben Soziale Dienst sowie die Kinderschutzfach- matik mit im Spiel ist – Alkohol, Heroin, nur unzureichend Wertschätzung erfahren kraft eingebunden, die die erforderlichen Crack – dann müssen wir noch genauer haben. Da wird uns dann anfänglich oft Maßnahmen treffen und mit denen die hinschauen, müssen darauf achten, dass mit Skepsis begegnet, weil die Frauen gar Mutter sich auch einverstanden erklären die Termine bei der Drogenberatungsstelle regelmäßig wahrgenommen werden. Bei Welche Verbesserungen für die Aufsu- allem versuche ich natürlich auch immer chende Hilfe und die Frühförderung die Väter so gut es geht mit einzubinden erwarten Sie vom neuen Bundeskin- und zu motivieren. Allerdings kommt es derschutzgesetz? auch vor, dass die Mutter zum Zeitpunkt Christ: Die Regelungen zum Hausbesuch der Entbindung schon gar nicht mehr mit und zum Zusammenspiel von Frühförde- dem Vater des Kindes zusammen ist. rungsnetzwerken und leicht zugänglichen Hilfeangeboten auch schon für werdende Das sind Aufgaben, die sich ja nun Eltern werden verbessert. In den kommen- ganz gewiss nicht allein mit Einfüh- den vier Jahren stehen insgesamt 120 Mil- lungsvermögen und dem sprichwört- lionen Euro zur Stärkung des Einsatzes lichen gesunden Menschenverstand von Familienhebammen zur Verfügung. erfüllen lassen. Über welche spezifi- Damit haben wir auch deutlich verbesserte schen Qualifikationen muss denn eine Möglichkeiten, um unsere Angebote über- Familienhebamme verfügen? haupt an die Bedarfsgruppen heranzutra- Hillen: Auf die sozusagen „klassischen“ gen, sodass dann auch mehr Frauen von Aufgaben von der Geburtsvorbereitung sich aus auf uns zukommen und Hilfe und über die Wochenbettbetreuung bis zur Betreuung in Anspruch nehmen können. Nachsorge bin ich durch meine dreijährige Ausbildung zur staatlich examinierten Hillen: Wir hoffen sehr, dass künftig Hebamme vorbereitet. Für die darüber derzeit noch bestehende Hemmschwellen hinausgehenden medizinischen und psy- weiter verschwinden. Dass es die Frauen chosozialen Bereiche hat die Stiftung Eine dann nicht nur hinnehmen, dass sie da Chance für Kinder ein Fortbildungs-Curri- von einer Familienhebamme aufgesucht culum erarbeitet, das 170 Unterrichtsstun- werden, sondern dass sie sich auf uns den umfasst. Der Pilotkurs für die neue freuen und sagen: „Da kommt mein Weiterbildung zur staatlich anerkannten Personal Coach, der macht mich fit fürs Familienhebamme in Niedersachsen wird Leben mit meinem Kind!“ rund 400 Unterrichtsstunden in insgesamt 16 Seminarblöcken umfassen, also noch einmal eine ganz erhebliche Vertiefung bringen, und mit einer staatlichen Prüfung abschließen. 32 Gefahren erkennen und professionell reagieren 33 Gefahren erkennen und professionell reagieren Spektakuläre Fälle von Kindesvernachlässigung und -misshandlung haben den Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Nicht zuletzt hierdurch ist deutlich geworden, dass der Schutz von Kindern vor Misshandlung und Vernach- Kinderschutz-Zentrum in Hannover lässigung ein Arbeitsbereich ist, in dem hohe fachliche Anforderungen an die dort Tätigen gestellt werden. In Niedersachsen gibt Kinderschutz-Zentrum Hannover es eine Vielzahl spezialisierter Einrichtungen, die bei Bedarf tätig werden. Hier stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tagtäglich Ein Haus für Kinder – seit Gründung des Zentrums stehen Mäd- in der Verantwortung, Gefährdungslagen einzuschätzen und pro- chen und Jungen im Mittelpunkt, die von Gewalt betroffen fessionell mit Fällen von Kindeswohlgefährdungen umzugehen. sind. Träger ist der Deutsche Kinderschutzbund, Landesverband Das Land Niedersachsen setzt auf eine enge Verflechtung von Niedersachsen. An vier Tagen in der Woche ist die Beratungsstel- Prävention und Problemlösungen. Dabei sind die Kinderschutz- le telefonisch erreichbar. Das Kinderschutz-Zentrum Hannover Zentren in Hannover und Oldenburg, ein landesweites Netz von hilft Kindern, Jugendlichen und ihren Angehörigen in Fällen Beratungsstellen, Mädchen- und Frauenhäuser, die Kinderschutz- körperlicher und seelischer Misshandlung und Vernachlässigung ambulanz am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hoch- sowie bei sexueller Gewalt. Die Angebote umfassen außerdem schule Hannover, Projekte zur Prävention sexueller Gewalt und die Prävention, Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern sowie Fortbildung von Fachkräften tragende Säulen des Kinderschutzes. Fortbildung, Kompetenzvermittlung und Beratung für Fachkräf- Diese Einrichtungen und Projekte werden mit Landesmitteln in te. Das Kinderschutz-Zentrum Hannover bietet Fachpersonal aus ihrer Arbeit unterstützt. der Jugendhilfe, dem schulischen und medizinischen Bereich, in Kindertagesstätten und Jugendämtern Qualifizierungen und Fortbildungen, die sie in ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Dafür Förderung von Einrichtungen steht ein interdisziplinäres Team zur Verfügung, das Fachwissen In Niedersachsen haben sich zwei Kinderschutz-Zentren in aus Sozialpädagogik, Psychologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Hannover und Oldenburg etabliert. Ein Schwerpunkt der beiden Pädagogik, Sozialwissenschaften, Familientherapie und Medizin Einrichtungen ist die Beratung von Familien mit Gewaltproblemen. vereint. Zusätzlich unterstützen und qualifizieren die Kinderschutz-Zentren www.ksz-hannover.de Fachmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, geben Impulse für die Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie beraten Kommunen und andere Institutionen in der Kinderschutzpraxis und führen Fachberatung Fortbildungen durch. Darüber hinaus sind die Zentren bewährte Menschen, die sich beruflich Tag für Tag mit Kindern beschäfti- Partner des Landes, um innovative Konzepte zu entwickeln, zu gen, sind gefordert, Kindesvernachlässigung, Misshandlung und erproben und in die Fläche zu tragen. sexuellen Missbrauch frühzeitig zu erkennen und in oft unübersichtlichen und belastenden Situationen Lösungswege zu finden. Institutionen sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfahren dabei landesweit Unterstützung durch die Beratungskräfte des Kinderschutz-Zentrums, die erfahrene Fachkräfte im Sinne § 8a SGB VIII sind. 34 Qualifizierung und Kompetenzerweiterung Mit Fachtagungen, Seminaren und Workshops unterstützt das Kinderschutz-Zentrum Multiplikatoren in Niedersachsen im sicheren Umgang mit Kindern, die Gewalt erleiden. Adressaten sind Fachkräfte der sozialpädagogischen Familienhilfe, aus Kindertagesstätten, Beratungsstellen, der stationären und ambulanten Jugendhilfe, der Präventionsarbeit, der Schulsozialarbeit, Kinderschutz-Zentrum Oldenburg der Öffentlichen Jugendhilfe, des Gesundheitswesens, der Polizei, der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie niedergelassene Thera- Das Kinderschutz-Zentrum Oldenburg verfügt mit der Vertrauens- peuten. stelle Benjamin über 25 Jahre Erfahrung in der Arbeit mit gewaltbelasteten Familien. Die Zahl der Ratsuchenden steigt stetig. Aus Koordinierte Hilfe für Kinder bei häuslicher Gewalt diesem Grund gibt es seit dem Jahr 2009 einmal pro Woche ein Nach polizeilichen Einsätzen aufgrund häuslicher Gewalt setzt zusätzliches Beratungsangebot in der benachbarten Kreisstadt das Hannoversche Interventionsprojekt gegen Männergewalt in Wildeshausen. Von Anfang an haben die pädagogischen Fach- der Familie (HAIP) ein vielschichtiges Eingreifen professioneller kräfte des Allgemeinen Sozialdienstes im Jugendamt und die Hilfen in Gang. Das Kinderschutz-Zentrum ist in der Landeshaupt- Fachkräfte des Kinderschutz-Zentrums gut zusammengearbeitet. stadt HAIP-Koordinierungsstelle für betroffene Mädchen und Als erfahrene Fachkräfte stehen die Mitarbeitenden des Kinder- Jungen, Mitglied des Runden Tisches Männergewalt in der Familie schutz-Zentrums auch Institutionen, Kindertagesstätten etc. zur und der Arbeitsgruppe Prävention häuslicher Gewalt im Landes- Verfügung. Das Kinderschutz-Zentrum bringt seine Erfahrungen präventionsrat. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Arbeit mit und Kompetenzen in verschiedene Netzwerke ein, z. B. gründete Schulklassen. und koordiniert es seit 2006 das Oldenburger System Frühe Hilfen (OSFH). Begleiteter Umgang Bei Kindesmisshandlung und Vernachlässigung werden Einzel- Kinder, die zerbrechende Partnerschaften und oft jahrelang wäh- und Familiengespräche angeboten. Bei sexueller Gewalt steht die rende Sorgerechtsstreitigkeiten miterleben, sind häufig sprach- parteiliche Einzelarbeit mit den Betroffenen und deren Bezugsper- los, leiden unter Trauer und Schuldgefühlen. Im Kinderschutz- sonen im Vordergrund. Darüber hinaus hat sich die Beratungsstel- Zentrum können abgerissene Kontakte zu Vätern oder Müttern le in der Stadt Oldenburg und der Region als Fachberatungsstelle mit professioneller Vermittlung und Begleitung wieder geknüpft bei Kindeswohlgefährdung (Misshandlung, Vernachlässigung, werden. Ein Spielzimmer bietet dafür einen unbelasteten Rahmen. sexuelle und häusliche Gewalt) etabliert und bietet außerdem Das Kinderschutz-Zentrum arbeitet eng mit dem Kommunalen Supervision, Fortbildung, Zeugenbegleitung und Informationsver- Sozialdienst (KSD), Gerichten und Anwälten zusammen. Ziel ist es, anstaltungen an. in jedem Einzelfall tragfähige Regelungen für konfliktarme, konstruktive Besuchskontakte zu erarbeiten, mit denen alle Beteiligten www.kinderschutz-ol.de leben können. Die Wünsche der Kinder bestimmen die Richtung. Das Kinderschutz-Zentrum Hannover ist bundesweit vernetzt in der Bundesarbeitsgemeinschaft Begleiteter Umgang (www. Vertrauensstelle Benjamin begleiteter-umgang.de). In Seminaren wie Binationale Familien Das Team der Vertrauensstelle bietet zeitnahe, kostenlose, im Begleiteten Umgang oder Eskalierte Elternkonflikte gibt das vertrauliche Beratung und weitere niedrigschwellige Hilfen bei Zentrum sein Wissen an Fachkräfte weiter. Misshandlung, Vernachlässigung, sexueller und häuslicher Gewalt für Mädchen, Jungen, weibliche und männliche Jugendliche, für Eltern, Pädagogen, weitere Rat Suchende sowie Fachberatungen für Jugendhilfeeinrichtungen an. Im Juli 1986 wurde die Vertrau- 35 ensstelle Benjamin eröffnet. Seit 2009 bietet das Kinderschutz- Kinder psychisch kranker Eltern Zentrum Oldenburg außerdem ambulante Beratungs- und Seit 2001 ist das Kinderschutz-Zentrum Oldenburg aktiv im Netz- Therapieangebote für sexuell übergriffige Jugendliche an. werk Kinder psychisch kranker Eltern. Daraus entstand die Idee, ein regionales, interdisziplinäres und interinstitutionelles Beratungsforum zu gründen. Seit 2004 treffen sich Fachleute aus dem Arbeitsbereich Prävention Gesundheitswesen und der Jugendhilfe einmal im Monat und Seit dem Jahr 1997 werden im Arbeitsbereich Prävention nationa- haben dabei die Möglichkeit, einen Fall vorzustellen. Die Anmel- le und internationale Projekte zur Vorbeugung sexueller Gewalt dung zum Beratungsforum erfolgt im Sozialpsychiatrischen Dienst. entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Fortbildungen, Fachbe- Seit Dezember 2009 arbeiten die beteiligten Institutionen auf der ratungen, Informationsveranstaltungen, Vorträge, Workshops, Grundlage einer verbindlichen Kooperationsvereinbarung. Elternabende sowie getrennte Mütter- und Väterabende zum Thema Prävention sexueller Gewalt gehören zu den Aufgaben dieses Arbeitsbereichs. Die Angebote richten sich an Fachkräfte, GangstaRap aus Kinderschutzperspektive an Mütter und Väter, an Mädchen und Jungen im Kindes- und Gewalt- und drogenverherrlichende, pornographische, frauen- Jugendalter. verachtende und schwulenfeindliche Texte von Sido, Bushido, Frauenarzt & Co – Provokation oder Gefährdung? Dieser Frage „Ich bin ich, du bist du und das sind wir!“ ist das Kinderschutz-Zentrum Oldenburg 2009 in einem Praxis- Siehe hierzu das Interview mit Dr. Michael Herschelmann forschungsprojekt nachgegangen. Die gewonnenen Erkenntnisse auf Seite 45. wurden einer breiten Öffentlichkeit durch Vorträge, Workshops und Fachartikel präsentiert. Mentorenprojekt Balu und Du Das Ehrenamtlichen-Projekt wurde an der Universität Osnabrück entwickelt. 2007 übernahm der Präventionsrat Oldenburg (PRO) in Kooperation mit der Carl von Ossietzky Universität die Finanzierung und ermöglichte damit den Einsatz in Oldenburg. Grundschulkinder, die aus verschiedenen Gründen ein bisschen mehr Zuwendung brauchen, werden ein Jahr lang durch eine Studentin oder einen Studenten begleitet und gefördert. Einmal in der Woche treffen sich die „Moglis“ mit ihren „Balus“ für ein bis drei Stunden, um miteinander zu sprechen, gemeinsam Hausaufgaben oder Sport zu machen, zu spielen. Im Mittelpunkt stehen das informelle Lernen und der Spaß an gemeinsamen Aktivitäten der beiden „Freunde“. Die Studierenden können sich ihr Engagement als studienbegleitendes Praktikum anerkennen lassen. www.balu-und-du.de 36 Beratungsstellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Beratungseinrichtungen Gewalt gegen Frauen und Mädchen Seit 1991 fördert das Land gemeinnützige Beratungsangebote, um von Gewalt betroffene Kinder, Jugendliche und ihre Ange- Wer schlägt, muss gehen! Mit dieser Grundaussage des Gewalt- hörigen zu unterstützen. Grundlage dafür ist die Richtlinie des schutzgesetzes wurde ein Paradigmenwechsel im gesellschaftli- niedersächsischen Sozialministeriums, die zuletzt im Jahr 2009 chen Umgang mit Gewalt in Partnerschaften eingeleitet: Opfer aktualisiert wurde. Danach werden Landesmittel für Personal und häuslicher Gewalt sind nicht länger gezwungen, die gemeinsame Ausstattung an Institutionen vergeben, die gewährleisten, dass sie Wohnung zu verlassen, um sich vor Übergriffen zu schützen. – die Lebenslagen, Interessen und Bedürfnisse der Mädchen und Stattdessen sollen die Täter zur Verantwortung gezogen werden; Jungen in den Mittelpunkt stellen, – die Opfer- und Täterberatung nicht von derselben Person misshandelte Frauen können Unterstützung durch Polizei, Justiz und Beratungsstellen in Anspruch nehmen. Fachkräfte aus sozialer durchführen und Fachkräfte beiderlei Geschlechts zur Verfü- Arbeit, Polizei, Justiz und kommunalen Einrichtungen arbeiten gung stellen, intensiv zusammen. Seit den 70-er Jahren bieten Frauenhäuser – die Anonymität der Ratsuchenden wahren, und -beratungsstellen misshandelten Frauen und ihren Kindern – neben der sozialpädagogischen Beratung und der Vermittlung eine Zuflucht. Mädchen und junge Frauen finden nach Gewalt- weiterführender Angebote auch präventive Arbeit leisten, erfahrungen einen Ausweg durch Beratung in Beratungsstellen – mindestens eine halbe Stelle mit einer hauptamtlichen diplo- oder Mädchenhäusern. Das Land Niedersachsen unterstützt diese mierten sozialpädagogischen oder psychologischen Fachkraft Einrichtungen. 35 Beratungsstellen haben sich auf diesen Bereich besetzen oder mindestens 200 Stunden ehrenamtliche Tätig- spezialisiert: keit pro Jahr nachweisen können, – keine Förderung nach einer anderen Richtlinie des Landes erhalten. – Frauennotrufe setzen einen Schwerpunkt beim Thema sexuelle Gewalt und Vergewaltigung. Unabhängig davon, ob die sexuelle Gewalt durch einen Fremden, einen nahen Bekannten Zusätzlich werden die Beratungsstellen verpflichtet, sich in Abspra- oder einen Lebenspartner begangen wurde, bieten sie Hilfe an, che mit den örtlichen Jugendhilfeträgern mit anderen Institutio- um das Erlebte zu verarbeiten und informieren über rechtliche nen vor Ort zu vernetzen, ihr Personal kontinuierlich fortzubilden, die Beratungsqualität zu sichern und auszubauen. Niedersachsen verfügt über ein landesweites Angebot von Möglichkeiten, z.B. zur Einleitung von Schutzmaßnahmen. – Beratungsstellen zum Thema sexueller Missbrauch wenden sich in erster Linie an Mädchen, die Opfer von sexuellen Übergriffen mittlerweile 20 Beratungsstellen, die gefördert werden. Die Stellen geworden sind; sie beraten aber auch Jungen oder vermitteln bieten Krisenintervention und Beratung für von Gewalt betroffene den Kontakt zu speziellen Beratungsstellen für männliche Kinder, Jugendliche und deren Eltern, Projektarbeit oder Online- Kinder und Jugendliche. Sie stehen auch offen für Frauen, die Beratung, Fortbildungen und Fachberatung für Berufsgruppen. Im erst in ihrem späteren Leben erkennen, dass sie als Kind Opfer Jahr 2009 hatten die seinerzeit geförderten 19 Teams insgesamt von sexueller Gewalt geworden sind. Darüber hinaus können 12 572 Beratungskontakte. sich Fachkräfte (Lehrerinnen und Lehrer oder Erzieherinnen und Erzieher) sowie andere Erwachsene aus dem Umfeld mögli- www.kinderschutz-niedersachsen.de > cherweise betroffener Kinder an die Beratungsstellen wenden, Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder wenn sie Unterstützung und Rat bei einem Verdachtsfall benötigen. – Frauenberatungsstellen bieten Unterstützung bei sexueller, körperlicher oder psychischer Gewalt durch einen nahen Bekannten, Lebenspartner oder andere Täter. 37 – Beratung- und Interventionsstellen (BISS) bieten eine Beratung nach einem Polizeieinsatz an und sind auf häusliche Gewalt spezialisiert. Die 29 BISS informieren über die rechtlichen Möglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz. Sie verweisen bei intensiverem Beratungsbedarf an andere Hilfeeinrichtungen. – Frauenhäuser bieten Opfern häuslicher Gewalt Rund-um-dieUhr Aufnahme, Schutz, Beratung und Unterstützung für die weitere Lebensplanung. Die Adressen sind geheim, um die Opfer zu schützen. Die Kontaktaufnahme geschieht telefonisch. Die Beraterin vereinbart einen Treffpunkt mit der Frau und ihren Koordinationsstelle Häusliche Gewalt Kindern. Im Notfall kann eine Frau auch von der Polizei direkt ins Frauenhaus gefahren werden. In Niedersachsen gibt es mit Das Land Niedersachsen flankiert die Umsetzung des Gewalt- 40 vom Land geförderten Frauenhäusern ein flächendeckendes schutzgesetzes mit einem ressortübergreifenden Aktionsplan zur Angebot sicherer Unterkünfte. Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich. Er – Mädchenhäuser bieten Mädchen und jungen Frauen, die nach umfasst Maßnahmen in der polizeilichen Krisenintervention, Straf- Gewalterfahrungen und sexuellem Missbrauch einen Ausweg verfolgung und im Opferschutz, im zivilrechtlichen Schutz, in der suchen, sichere Zuflucht und vielfältige Unterstützung. psychosozialen Unterstützung der von Gewalt betroffener Frauen, Unterstützung für Kinder misshandelter Mütter, im Gesundheits- www.ms.niedersachsen.de > Gleichberechtigung/Frauen > wesen und in der Prävention. Die Hilfe für betroffene Frauen und Gewalt gegen Frauen > ihre Kinder erfordert eine intensive Kooperation der Fachkräfte in Behörden und Institutionen vor Ort. Zur Umsetzung des niedersächsischen Aktionsplanes und zur Vernetzung mit vielen örtlichen Initiativen, z.B. Frauenunterstützungseinrichtungen, kommunale Präventionsräte, Runde Tische gegen häusliche Gewalt und ähnliche Gremien hat das Land eine Koordinationsstelle beim Landespräventionsrat (LPR) Niedersachsen eingerichtet. www.lpr.niedersachsen.de > Aktivitäten > Koordinationsstelle Häusliche Gewalt 38 Aktuelle Projekte zur Prävention sexueller Gewalt Sichere Orte für Kinder und Jugendliche Auf neue Herausforderungen reagiert der Kinderschutz mit neuen Mit der Intensität des Abhängigkeitsverhältnisses von Mädchen Ansätzen. Das Land fördert entsprechende Modellversuche. und Jungen zum Betreuerpersonal steigt das Risiko sexueller Übergriffe. Das trifft insbesondere auf Einrichtungen und Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport zu. Wie lassen sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gegen sexuelle Gewalt durch Mitarbeitende oder Leitungskräf- Der Landessportbund Niedersachsen und seine Sportjugend haben te schützen? Antworten darauf will das vom Land geförderte sich bereits gegen jegliche Form sexualisierter Grenzüberschrei- Modellprojekt Sichere Orte geben. Ziele sind, die Prävention und tungen positioniert. Jetzt sollen in der Kinder- und Jugendarbeit Intervention in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie klare Informations-, Beratungs-, Qualifizierungs-, Beschwerde- der Behindertenhilfe zu verbessern und pädokriminelle Fachkräfte managements- und Vernetzungsstrukturen in Kooperation mit von ihnen fernzuhalten. Dabei sollen die Träger Verantwortung Fachberatungsstellen auf- und ausgebaut werden – vom Trainings- übernehmen, die Leitungen sich in ihrer Rolle und Haltung klar betrieb im Sportverein, über Lehrgänge für Multiplikatorinnen und werden, die Mitarbeitenden sensibilisiert, Eltern, Mädchen und Multiplikatoren, Freizeiten für Kinder und Jugendliche bis hin zur Jungen über ihre Rechte informiert und eingebunden werden. Betreuung von jungen Athletinnen und Athleten im Spitzensport. Mit Sichere Orte wird ein Qualitätsentwicklungsprozess inner- Mit dem Projekt Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport: Präven- halb der Einrichtungen angestoßen. Während der Modellphase tion, Intervention, Handlungskompetenz hat der Landessportbund sollen Tipps und Handlungsmöglichkeiten für Einrichtungen der im Jahr 2011 damit begonnen, in der gesamten Sportorganisa- Behindertenhilfe erarbeitet werden. Am Ende stehen Schutzkon- tion ein Klima zu schaffen, das sowohl Mitarbeitende des Sports zepte, die für die jeweiligen Träger, ihre Einrichtungen und Teams animiert, qualifiziert zu handeln, als auch Betroffene zum Reden transparent und verbindlich sind. Beteiligt an dem Projekt sind ermutigt sowie Täter und Täterinnen abschreckt. die Kinderschutz-Zentren in Hannover und Oldenburg. Für den Zur direkten fachlichen Beratung und als zentrale Anlaufstelle Zeitraum von September 2010 bis Dezember 2011 haben sich wurde eine Clearingstelle für Betroffene und Ratsuchende aus zunächst drei Einrichtungen in Oldenburg, Braunschweig und dem Sport in Kooperation mit dem Landesverband des Deutschen Hannover auf den Weg gemacht, ein Sicherer Ort für Mädchen Kinderschutzbundes (DKSB) eingerichtet. Über die Clearingstelle und Jungen mit Behinderung zu sein. sollen Kooperationen mit Beratungseinrichtungen auf regionaler Ebene aufgebaut und – langfristig gesehen – engmaschige Netz- www.ksz-hannover.de werkstrukturen, die direkte Hilfe in Missbrauchssituationen für die Siehe zu diesem Thema auch das Interview mit jeweilige Sportorganisation gewährleisten, geschaffen werden. Dr. Michael Herschelmann auf Seite 45. Die ebenfalls gemeinsam mit dem DKSB geplanten Informations- und Qualifizierungsmaßnahmen des Projektes sollen auf regionale Anforderungen übertragen werden. Geplant sind dezen- Präventionsstelle Kinderschutzkonzepte trale Informationsveranstaltungen für Sportvereine, Sportbünde und Landesfachverbände. Für Pflege- und Heimkinder besteht ein erhöhtes Misshandlungsund Missbrauchsrisiko. Die Fälle von (sexueller) Gewalt in Kirchen, www.lsb-niedersachsen.de Schulen, Einrichtungen und Verbänden haben erneut deutlich gemacht, dass Institutionen Beratung und Unterstützung brauchen, um im Verdachtsfall auf Schutzkonzepte und interne Verfahrensweisen zurückgreifen zu können. Sie müssen kompetent sein, um 39 Anzeichen für grenzüberschreitendes Handeln zu erkennen und Präventionsprojekte für adäquat zu handeln. Über die Stärkung der fachlichen Mitarbei- noch nicht straffällig gewordene Pädophile terebene hinaus müssen Institutionen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Orientierung und einen festen Handlungsrah- Epidemiologisch ist bekannt, dass in Deutschland etwa 16 000 men im Sinne eines Beschwerdemanagements bieten. sexuelle Übergriffe gegen Kinder angezeigt werden; tatsächlich Hier setzt der Deutsche Kinderschutzbund, Landesverband überführt und abgeurteilt werden aber lediglich ca. 15 Prozent der Niedersachsen mit einem neuen Projekt an. Auf der Grundlage angezeigten Fälle. Die Dunkelziffer an Übergriffen dürfte erheblich jahrelanger Erfahrung in der Wissensvermittlung an Fachleute höher liegen. Auch für die Gesamtzahl der Menschen mit pädo- wird in Hannover eine Präventionsstelle Kinderschutzkonzepte philen Neigungen gibt es lediglich Schätzungen. aufgebaut. Ziele des Projektes sind der nachhaltige Schutz von Ein am Institut für Sexualmedizin an der Charite in Berlin durch- Mädchen und Jungen vor sexualisierter Gewalt in pädagogischen geführtes Präventionsprojekt mit dem Titel Dunkelfeld richtete Einrichtungen und Verbänden, die zielgruppenorientierte Qualifi- sich an Menschen mit pädophilen Neigungen, indem es bisher zierung von Fachkräften und Laien der Kinder- und Jugendhilfe in nicht straffällig gewordenen Pädophilen eine Behandlung auf Niedersachsen, die Etablierung eines Verfahrens- bzw. Beschwer- freiwilliger Basis und völlig anonym anbot, wobei die Therapie demanagements in Einrichtungen und Verbänden sowie die Ak- ein Jahr lang in regelmäßigen Abständen in einem speziell dafür tivierung von lokalen Netzwerkbezügen zu Fachberatungsstellen. entwickelten Behandlungssetting erfolgte. Zielgruppen sind Kindertagesstätten und Horte, Einrichtungen der freien Jugendhilfe sowie kirchliche und freie Jugendverbände. Ausgehend davon, dass auch in Niedersachsen im Dunkelfeld lebende, noch nicht übergriffig gewordene Pädophile entsprechende Behandlungsangebote freiwillig aufgreifen, werden ab Die Präventionsstelle soll 2011 für die Dauer von drei Jahren durch das Land zwei Präven- – Materialien zum Thema Prävention, Literatur und Empfehlun- tionsprojekte an der Medizinischen Hochschule Hannover und gen zusammenstellen, – eine Angebotsstruktur für die Institutionen entwickeln, – einen Pool freier Referenten in Kooperation mit lokalen Fachberatungsstellen organisieren, – institutionelle Lernprozesse zur Kompetenzerweiterung der Mitarbeitenden und Trägerverantwortlichen begleiten, – eine Fachtagung in Zusammenarbeit mit dem Fortbildungsbereich des Kinderschutz-Zentrums in Hannover organisieren und ausrichten, – eine Internetseite anbieten. www.ksz-hannover.de 40 dem Asklepios Klinikum Göttingen im Verbund mit der Universität Göttingen gefördert. Zum therapeutischen Konzept gehört es, dass Betroffene ihr Verhalten trainieren und ihre Einstellungen ändern sollen in Bezug auf ihr sexuelles Erleben und Verhalten. Hierzu gehören ihre sozialen Bindungen, Kommunikation und Partnerschaften; ggf. werden impulsdämpfende Medikamente gegeben, die die Verhaltenskontrolle unterstützen sollen. Theaterpädagogische Kampagne Grenzgebiete Ein Tritt ins Glück: Die Produktion der Theaterpädagogischen Werkstatt (gGmbH) Osnabrück ist für Schüler der 7. bis 9. Klassen Sexuelle Attacken und Übergriffe unter Jugendlichen oder Gewalt gedacht. Mädchen und Jungen sollen darin gestärkt werden, die in Teenager-Beziehungen sind keineswegs selten, werden aber eigenen Grenzen zu erkennen und die Grenzen anderer zu res- in der öffentlichen Wahrnehmung häufig verharmlost. Ein Drittel pektieren. Wie erkennt man bei sexueller Anmache und sexueller aller Fälle sexuellen Missbrauchs wird von kindlichen oder ju- Gewalt rechtzeitig, dass die Situation umschlägt? Wie stellt man gendlichen Tätern begangen. Aktuellen Untersuchungen zufolge mit Nachdruck klar, dass ein „Nein“ kein „Jein“ ist? Was kann machen fast zwei Drittel der Mädchen, aber auch ein erheblicher man tun, um anderen zu helfen, wenn aus Spaß plötzlich Gewalt Teil der Jungen unfreiwillige sexuelle Erfahrungen in der Schule, und aus einer Rangelei ein verletzender Übergriff wird? im Sportverein, auf Partys, in Wohngruppen, zu Hause. Oft kennen Täter und Opfer einander. Sie flirten, haben eine Verabredung Fortbildungen: Mit der Kampagne Grenzgebiete will die Lan- oder eine Beziehung, plötzlich kippt die Situation. desstelle Jugendschutz auch Fachkräfte aus der Jugendarbeit, Ein Date Rape, also ein sexueller Übergriff in einer Beziehung, Erzieherinnen und Erzieher, Schulsozialarbeiter und Lehrkräfte beginnt oft in gegenseitigem Einvernehmen. Aber wenn aus für das Thema sensibilisieren. In Fortbildungen erfahren sie, wie einem Flirt eine aggressive Anmache wird, ist das der Zeitpunkt sie sich verhalten können, wenn sie sexuelle Übergriffe beob- für ein klares „Nein“. Gegenüber dem Flirt oder dem Freund fällt achten oder vermuten. Wie schafft man einen Anlass, um über das oft besonders schwer. Viele jugendliche Täter üben sexuelle sexuelle Übergriffe zu sprechen, und wie findet man die richtigen Gewalt im Kontext von Gruppenaktivitäten aus: Zwangsküs- Worte dafür? sen, Hodenkneifen, Strippoker, Vergewaltigung durch mehrere Mitglieder der Clique. Häufig wissen auch Unbeteiligte Bescheid. Information für Erwachsene: Die Informationsveranstaltungen Dennoch ist es unter dem sozialen Druck der Gruppe schwer, über wenden sich an alle Erwachsenen, die für Kinder und Jugendliche solche Demütigungen zu sprechen. verantwortlich sind: Eltern, Lehrkräfte, Haupt- und Ehrenamtliche. Hier setzt das Präventionsprojekt Grenzgebiete für Schule und Erwachsene sollen Jugendliche darin unterstützen, sich gegen Jugendarbeit der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen (LJS) Grenzverletzungen zu wehren und über Erfahrungen mit sexueller an, das vom Niedersächsischen Sozialministerium unterstützt wird. Gewalt zu sprechen. In Kooperation mit der Theaterpädagogischen Werkstatt (gGmbH) Osnabrück sind von Mai 2011 bis Dezember 2012 etwa 80 The- www.jugendschutz-niedersachsen.de > Projekte > Gewalt ater-Veranstaltungen und 60 Fortbildungen an verschiedenen www.theaterpaed-werkstatt.de Orten in Niedersachsen geplant. Das Projekt umfasst das Theaterprogramm Ein Tritt ins Glück für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen sowie eintägige Workshops für Fach- und Lehrkräfte. Zusätzlich werden Informationsveranstaltungen zum Thema sexuelle Gewalt unter Jugendlichen angeboten. GRENZ 41 GEBIETE .. Sexuelle Ubergriffe unter Jugendlichen Unterstützung von Kinderschutz-Professionen Als weiterer Baustein des Projektes Kinderschutz werden in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen Kinderschutzambulanz der MHH (KVN) rechtsmedizinische Tele-Konsile angeboten, die den nieder- Im Januar 2011 hat Sozial- und Gesundheitsministerin Aygül Öz- gelassenen und klinischen Ärztinnen und Ärzten den Zugang zu kan die Kinderschutzambulanz am Institut für Rechtsmedizin der rechtsmedizinischen Expertenwissen erleichtern sollen: Unklare Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eröffnet. Das Land Befunde bei Kindern können vor Ort fotografiert und an das fördert diese Einrichtung zunächst für drei Jahre und baut damit Institut für Rechtsmedizin übersandt werden. Von dort werden die systematisch die sichere Früherkennung und Diagnose bei Miss- schriftlichen und fotografischen Befunde (mit-)beurteilt und bei handlungs- und Missbrauchsfällen aus. Die Rechtsmedizin an der Bedarf weitere Maßnahmen empfohlen. Mit Unterstützung der MHH mit ihrer Außenstelle Oldenburg bietet in den Räumen der KVN wird ein schneller und sicherer Weg der Datenübermittlung Institute zentrale Anlaufstellen mit festen Ansprechpartnern, um garantiert. niedergelassenen und klinischen Ärztinnen und Ärzten bei einer möglichen Diagnose von Kindesmisshandlung und -missbrauch www.kvn.de > Online-Dienste > Forensikon kostenlose Beratung und Unterstützung zu geben und eine schnelle beweissichernde, gerichtsverwertbare Dokumentation, Begutachtung und Interpretation von Verletzungen und Spuren- Neben der telefonischen Beratung wird bei Bedarf auch eine sicherung zu ermöglichen. Darüber hinaus steht für eine zeitnahe wohnortnahe rechtsmedizinische Begutachtung angeboten. Alarmierung und fachlich kompetente Beratung ein telefonischer Weitere Projektbausteine der Kinderschutzambulanz sind Fort- Rufdienst an den Wochentagen, die Hotline Kinderschutz, zur bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen mit dem Ziel einer Verfügung. Sensibilisierung zur verbesserten Früherkennung von Formen körperlicher und sexueller Gewalt. Hotline der MHH-Kinderschutzambulanz für Mit dem Projekt Kinderschutz und der Kinderschutzambulanz Ärztinnen und Ärzte können niedergelassene und klinische Ärztinnen und Ärzten – un- Telefon (0511) 532 55 33 abhängig von einer Strafanzeige – eine qualifizierte medizinische montags bis donnerstags 8:00 bis 16:00 Uhr Diagnostik sicherstellen. Die Rechtsmedizin sorgt mit wissen- freitags 8:00 bis 14:30 Uhr schaftlich fundierten Erfahrungen, spezifischen Kenntnissen und der notwendigen Expertise für die Beurteilung und Interpretation von Verletzungsmustern, der Rekonstruktion von Tatabläufen und der Zuordnung von Tatwerkzeugen zu Verletzungen. www.mh-hannover.de/20103.html 42 Weiterbildung zur Kinderschutzfachkraft nach § 8a SGB VIII der Kindeswohlgefährdung. Das Land Niedersachsen hat dies Alle Dienste und Einrichtungen, die Leistungen nach dem SGB VIII Fortbildung zur Kinderschutzfachkraft. erbringen, müssen bei Gefährdungen des Kindeswohls systema- Dieses Weiterbildungsangebot umfasst vier jeweils zweitägige tisch vorgehen. Einrichtungen sollen erfahrene Fachkräfte zur Sei- Module, die folgende Ziele verfolgen: Vertiefung des Fachwissens, te gestellt werden, die sie bei der Risiko- und Ressourcenabschät- Stärkung der Handlungssicherheit, Erweiterung der Empathie- und zung unterstützen und beim Elternkontakt begleitend beraten. Kommunikationsfähigkeit, Stärkung der Diskursfähigkeit, Ent- Sie sollen in der Lage sein, mit betroffenen Eltern und Kindern wicklung von Handlungs- und Netzwerkkompetenz, Erweiterung angemessen zu kommunizieren und sich informiert, empathisch von Gestaltungsspielräumen im interdisziplinären Feld, Befähi- und fachlich auf die spezifischen Einrichtungen und deren Mitar- gung zur Regulierung von Umgangsproblemen, Erweiterung des beiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Diese Anforderungen sind Rechtsanwendungswissens, Verständnis von rechtssystematischen die Konsequenzen aus dem § 8a Schutzauftrag des Jugendamtes Zusammenhängen und Leitlinien, Vermittlungskompetenz, Un- bei Kindeswohlgefährdung, der zum 1. Oktober 2005 neu in das terstützung des Helfersystems durch beraterische Kompetenz im SGB VIII aufgenommen wurde. Damit ergibt sich ein Bedarf an Prozess der Fallkoordination, transparente und nachvollziehbare qualifizierten Fachkräften mit besonderen Kenntnissen im Bereich Gestaltung des Schutzauftrages. § 8a SGB VIII Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen (1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im abzuwenden. (3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familienge- Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. richts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwen- mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann dung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, geeignet und notwendig, so hat es diese den Perso- so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den nensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten Jugendlichen in Obhut zu nehmen. anzubieten. (2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen (4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch er- Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das bringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Perso- Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise nensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungs- hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich risikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen. und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erzie- Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die hungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder den die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständi- Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von gen Stellen selbst ein. Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, 43 frühzeitig erkannt und fördert seit 2006 die berufsbegleitende Der erfolgreiche Abschluss der Weiterbildungsmaßnahme wird Informationsangebot durch ein Zertifikat gewürdigt. Bis Ende des Jahres 2010 wurden in Niedersachsen mehr als 450 Personen zu Kinderschutzfachkräf- Internetportal Kinderschutz in Niedersachsen: ten qualifiziert. Kursangebote werden in allen Regionen Nieder- www.kinderschutz-niedersachsen.de sachsens gemacht. Sie werden unter anderem auf dem Internetportal Kinderschutz des Landes Niedersachsen veröffentlicht. Für die Absolventinnen und Absolventen der Grundkurse besteht die Möglichkeit, die Kenntnisse und Kompetenzen zur Datenbank des Landespräventionsrates Niedersächsische Maßnahmen der Prävention: www.nimap.de beratenden Fallkoordination in drei Aufbaukursen zu vertiefen. Diese Weiterbildung endet mit einem Kolloquium. Veranstalter Kontinuierlich aktualisierte Übersicht Familien- und Erzie- sind die Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren und hungsberatungsstellen inklusive bundesweiter Internet- und die Fachgruppe Kinder, Jugend und Familie des Landesamtes für Telefondienste der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Soziales, Jugend und Familie. Jugend- und Eheberatung: www.dajeb.de www.kinderschutz-niedersachsen.de > Übersicht Beratungsstellen der Bundeskonferenz für Erzie- Kinderschutz in der Praxis hungsberatung e.V. (bke) inklusive Einrichtungen, die auf www.soziales.niedersachsen.de Eltern mit Kindern im Alter von bis zu drei Jahren speziali- www.fobionline.jh.niedersachsen.de siert sind: www.kinderschutz-zentren.org www.bke.de Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren: Fortbildungsoffensive der Kinderschutz-Zentren www.kinderschutz-zentren.org Ohne Verbesserung des Kinderschutzes vor Ort kann es keine Qualifizierung des Kinderschutzes landesweit geben. Im Hand- Rat und Unterstützung für Kinder und Jugendliche: lungskonzept Kinderschutz Niedersachsen hatte das Land 2007 www.kinderundjugendtelefon.de zugesichert, die kommunale Ebene beim Kinderschutz mit einem Bündel an Maßnahmen zu fördern. Das Land setzt nicht nur auf die kontinuierliche Ausbildung von Kinderschutzfachkräften, sondern auch auf eine nachhaltige Fortbildungsoffensive für Mitarbeitende der Jugendämter und freier Träger. Im Jahr 2011 geht die Fortbildungsoffensive zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung bereits in die vierte Runde. Die Kinderschutz-Zentren in Hannover und Oldenburg entwickeln dafür im Auftrag des Landes Qualifizierungskonzepte. Auf dieser Grundlage wird jedes Jahr eine neue Rahmenvereinbarung mit dem Land geschlossen. Zentralthema sind die Bedingungen für gelingende Kooperationen der freien und öffentlichen Jugendhilfe. 44 Rat und Unterstützung für Eltern: www.elterntelefon.org Im Gespräch: Dr. Michael Herschelmann „Ihr könnt ja zaubern!“ Dr. phil. Michael Herschelmann, Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen zum Thema Prävention sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen, ist geschäftsführender Leiter des Kinderschutz-Zentrums Oldenburg und Koordinator des dortigen Arbeitsbereichs Prävention. Zum Kinderschutz-Zentrum Oldenburg reichs, auch im Landkreis Wesermarsch gehören die Vertrauensstelle Benjamin durchgeführt. und der Arbeitsbereich Prävention – welches Einzugsgebiet wird durch die Das von 2000–2003 als Landesmo- Arbeit des Zentrums betreut? dellprojekt durch das niedersächsi- Wir sehen es als unsere Aufgabe, als sche Sozialministerium geförderte Kinderschutz-Zentrum mit vielfältigen Grundschulprogramm Ich bin ich, Maßnahmen in die Fläche zu wirken. Bei du bist du und das sind wir! hat mit der Frage nach dem Einzugsgebiet ist es seiner Laufzeit von mittlerweile fast deshalb sinnvoll, ein wenig zu differen- 15 Jahren auch bundesweit einen zieren. Mit der Vertrauensstelle Benjamin besonderen Stellenwert erlangt. Was betreuen wir zum einen ratsuchende Fa- hat Sie seinerzeit bewogen, mit einem milien und Eltern; hier liegt allein schon Präventions-Projekt gerade an Grund- unter dem Aspekt der „kurzen Wege“ schulen zu gehen? eine gewisse Konzentration auf Stadt Hintergrund waren mehrere Fälle von se- und Landkreis Oldenburg. Parallel bieten xueller Gewalt, die damals publik wurden. wir aber auch als Fachberatungsstelle Aber eine Beratungsstelle aufzusuchen – im Rahmen des kollegialen Austauschs das war und ist für viele Familien durch- Qualitätszirkel, Supervisionen, Informati- aus eine Hemmschwelle. Wir hatten uns onsveranstaltungen, Fortbildungen zum damals gesagt, wenn wir diese Hemm- Beispiel für Kita-Leitungen und andere schwellen abbauen wollen, wenn wir weg Fachkräfte. Mit diesen sehr stark nach- von den „Komm“-Strukturen wollen, gefragten Angeboten für alle Bereiche dann ist es an uns, dorthin zu gehen, wo der Jugendhilfe sind wir regelmäßig im die Kinder sind. Und die Grundschule ist gesamten nordwestlichen Niedersachsen nun mal nach dem Kindergarten die erste aktiv, bis nach Ostfriesland, in den Raum öffentliche Institution, wo Kinder außer- Nienburg/Weser oder auch Richtung halb der Familien regelmäßig mit anderen Cloppenburg. Die Maßnahmen im Menschen zusammenkommen. Und so Arbeitsbereich Prävention sind ebenfalls haben wir dann den Kontakt zum „System nicht auf den Oldenburg beschränkt; so Schule“ gesucht – wie sich zeigt, durchaus wurde beispielsweise unser Grundschul- erfolgreich. projekt, ein Schwerpunkt des Arbeitsbe45 Dr. phil. Michael Herschelmann Aber ist es denn überhaupt altersge- nen viel intensiver Vertrauensbeziehungen recht, bereits mit Kindern der Klassen- aufgebaut werden, als das bei punktuellen stufen 3 und 4 explizit über so ernste Unterrichtsbesuchen der Fall wäre. Themen wie sexuelle Gewalt zu spre- Ein weiterer wichtiger Gedanke: Keine chen? Besteht da nicht das Risiko, dass Prävention ohne Intervention, also die bei den Mädchen und Jungen Ängste Möglichkeit zur fachgerechten Versor- ausgelöst werden? gung, wenn sich ein Kind im Rahmen Das sind in der Tat Fragen, die auch bei der Prävention anvertraut. Bei uns ist die unseren Elternabenden häufig zur Sprache Beratungsstelle im Hause, eben die bereits kommen, wenn wir das Programm vorstel- erwähnte Vertrauensstelle Benjamin. len. Wir wissen aber mittlerweile, dass die Arbeit im Verbund also, ganz kurze Wege, Kinder in der Regel sehr viel informierter sodass Kinder sich anvertrauen oder auch sind über Themen wie Gewalt und sexu- Eltern Hilfe suchen können. Aus unserer elle Gewalt, als das viele Eltern annehmen Sicht ist bei Kurzzeitprogrammen anderer und vielleicht auch für wünschenswert Anbieter immer wieder zu bemängeln, halten. Wir wissen außerdem, wie wichtig dass kein Kontakt zu örtlichen Beratungs- es für die Kinder ist, Möglichkeiten zu stellen besteht. haben, über diese Dinge zu sprechen und sich mit Personen, denen sie vertrauen, Sie legen großen Wert auch auf die darüber auszutauschen. Auch die wissen- Einbeziehung der Lehrkräfte … schaftliche Evaluation unseres Programms, … und zwar von Anfang an. Schulen, die die 1999 in Zusammenarbeit mit der mitmachen wollen, müssen dazu bereit Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sein, an den Fortbildungsangeboten durchgeführt wurde, hat bestätigt, dass teilzunehmen, die wir für das gesamte wir mit unserer Arbeit keine Ängste schü- Kollegium anbieten. Dabei informieren ren, sondern vielmehr dazu beitragen, zu wir jeweils vor dem Start des Programms stabilisieren und bei den Kindern Stärke über präventive Handlungsmöglichkeiten aufzubauen. im Unterricht. Die zweite Fortbildung dann befasst sich mit den Fragen, wie es jetzt 46 Worin unterscheidet sich das Pro- am besten weitergehen kann, und welche gramm Ich bin ich, du bist du und Möglichkeiten die Schule hat, damit sich das sind wir! von Projekten anderer eine Nachhaltigkeit ergibt. Dabei maßen Anbieter? wir uns nicht an, Schulentwicklung zu be- Da gibt es eine ganze Reihe wichtiger treiben, das ist nicht unser Auftrag. Aber Unterscheidungsmerkmale. Nicht zu wir bieten uns an mit unserer Expertise unterschätzen ist die Bedeutung kontinu- und sagen, lasst uns gemeinsam auf den ierlicher Arbeit. Das stellt sich bei uns so Weg machen, wir können euch hier und dar, dass wir über einen Zeitraum von vier da helfen, wenn es euch darum geht, eure Wochen in einer Klasse sind und regel- Chancen wahrzunehmen, um den Kinder mäßig zwei Mal in der Woche mit den zu helfen, da habt ihr uns an der Seite, um Kindern und den Eltern arbeiten. So kön- präventiv möglichst viele Kinder zu errei- Im Gespräch: Dr. Michael Herschelmann chen. Aber die Gestaltung der Schulkul- die Themen, die wir bei der Arbeit mit Hat sich auch die Zusammenarbeit mit tur – das ist euer Job, das ist eure Sache. Betroffenen als wichtig erkannt haben, den Schulen verändert? aufhängen – Gefühle bei sich und anderen Früher war unser Anliegen, möglichst … und auch die Eltern nehmen Sie mit wahrnehmen; Berührungen; „Nein“ viele Grundschulen in und um Oldenburg auf den Weg. sagen; gute und schlechte Geheimnisse, zu erreichen, das erschien uns unter dem Transparenz ist schlichtweg unverzichtbar. solche Dinge eben. Wir meinen: Präventi- Aspekt Nachhaltigkeit eine sinnvolle Stra- Wir sehen zu, dass wir die Eltern mög- on soll stark machen – und zugleich auch tegie. Weil allerdings die Bereitschaft der lichst früh informieren und mit ins Boot Spaß machen. Das war ein ganz anrüh- Schulen, sich selbst aktiv mit einzubringen bekommen. So erkennen sie auch ganz render Moment, als ein Mädchen einmal und zum Beispiel nach Beendigung des schnell, dass es hier keineswegs um Bespa- während des Programms zu uns sagte: Programms Präventionsthemen auch in ßung geht. Eine Besonderheit sind unsere „Ihr könnt ja zaubern – ihr könnt blöde eigener Verantwortung in den Unterricht Abende ausschließlich für Väter, das ist Themen zu Spaß zaubern!“ Und genau so einzubauen, doch sehr unterschiedlich bundesweit einmalig. Wir haben die ist es: Wir sprechen explizit über sexuellen ausgeprägt war, arbeiten wir seit 3 Jahren Erfahrung gemacht, dass wir bei diesen Missbrauch, benennen das, benennen die mit ausgewählten Kooperationsschulen Abenden deutlich mehr Väter erreichen als Formen, benennen, wer das ist, wer das zusammen und betreuen hier sämtliche bei den gemischten Elternabenden. macht. Wir geben den Kindern die Mög- 3. Klassen. Außerdem bekommen die Viele Väter befürchten, dass ihnen sexuelle lichkeit, das, was sie schon wissen, auch Schulen von uns ein begleitendes Be- Gewalt „passieren könnne“, weil das von mal loszuwerden. Das ist gut vorbereitet, ratungsangebot vor Ort für Eltern und außen auch so gesehen wird, wenn Kinder gut nachbereitet, gut eingebaut, wird Lehrkräfte. Diese Neuausrichtung hat sich zum Beispiel ganz unbefangen vom ge- auch noch mal vertieft, auch getrennt in bewährt, denn wir müssen natürlich mit meinsamen Plantschen in der Badewanne Mädchen- und Jungengruppen. den Ressourcen, die uns vom Land und erzählen. Da können wir die Väter stärken, 47 von anderen Seiten zur Verfügung gestellt dass sie Selbstsicherheit aufbauen, dass Haben sich während der Laufzeit des werden, verantwortungsvoll umgehen. sie die Grenzen achten. So erfahren sie, Programms Entwicklungen ergeben? Also versuchen wir, für unser zartes Pflänz- dass sie einen ganz großen Beitrag zum Durchaus. Zum Beispiel hat sich in der chen einen möglichst fruchtbaren Boden Schutz der Kinder leisten können. Weil sie fachlichen Diskussion der vergangenen zu finden, und dort Impulse zu setzen, da ja Vorbild sind für Mädchen und für zehn Jahre herausgestellt, dass es nicht wo sie am meisten bewirken können. Es Jungs – wie sie selbst mit ihren Gefühlen das alleinige Ziel sein Kind, mit den haben sich übrigens gerade solche Schulen umgehen, wie sie selber auf ihre Gren- Kindern das „Nein“ sagen zu üben – das an uns gewandt, in deren Einzugsgebie- zen achten und auf die Grenzen bei den würde ihnen nämlich die alleinige Ver- ten es auch soziale Brennpunkte gibt. Kindern. antwortung für den Schutz in die Schuhe Und auch wenn sich das im Vergleich schieben. Natürlich sollen die Kinder mit bestimmten Stadtteilen in Hamburg, Stärken vermitteln, ein positives Selbst- wissen, was andere nicht tun dürfen, Hannover oder Berlin als weniger gravie- bild aufzubauen – das scheint sich wie was sie nicht über sich zu ergehen lassen rend darstellt, waren das doch Schulen, ein roter Faden durch das Programm brauchen. Aber wir üben auch das „Ja“ die schon immer großen Wert auf gute zu ziehen. sagen, zum Beispiel zum Kuscheln, wenn Kooperation mit den Eltern, mit anderen Wenn Sie so wollen, heißt unser Roter das Kind das will und die andere Person Hilfesystemen wie Jugendamt und Bera- Faden „Förderung von Lebenskompe- ebenfalls. Auch unsere Elternabende und tungsstellen oder auch mit Sportvereinen tenz“, also die Förderung von Selbstwahr- die Elternmappen sind darauf angelegt, nehmung und Selbstbewusstsein. Und an dass die Erwachsenen in diesem Thema gelegt haben. Während Schulen, die eher in Richtung Mathe-Olympiade oder Euro- diesem roten Faden können wir gut alle sicherer werden. päische Förderprogramme unterwegs sind, ren Stand vor Gericht, gelten vielfach als … das ja auch bei der Fortbildungsof- nicht glaubwürdig. Deswegen gibt es seit fensive der Kinderschutz-Zentren, die Wo sehen Sie selbst noch Verbesse- vergangenem September das Modell- 2007 gestartet wurde und mittlerweile rungsbedarf in der Präventionsarbeit? vorhaben Sichere Orte – Institutionelle bereits in die vierte Runde geht, eine Was wir in der wissenschaftlichen Aus- Qualitätsentwicklung zur Prävention von wichtige Rolle spielt. einandersetzung mit dem Thema gut und Intervention bei sexualisierter Gewalt Ganz genau. Im Rahmen der vom Land brauchen können, ist eine intensivierte gegen Mädchen und Jungen durch Mit- geförderten Fortbildungsoffensive 2011, systematische Selbstevaluation, sodass wir arbeitende, das vom Land Niedersachsen die erneut in Zusammenarbeit der Kinder- noch besser auf gesicherte Erfahrungswer- gefördert wird. Im Rahmen eines Pilotpro- schutz-Zentren Hannover und Oldenburg te zurückgreifen können – was funktio- jekts arbeiten wir hier in Oldenburg mit entwickelt wurde, werden insgesamt 20 niert gut, wo muss man aufpassen, dass dem Haus Regenbogen zusammen, einem vorwiegend praxis- und handlungsori- die Dinge nicht kontraproduktiv laufen, pädagogisch-therapeutischen Wohnheim entierte Veranstaltungen für freie Träger Stichwort Schuldgefühle beispielsweise: mit insgesamt sieben Wohngruppen für der Jugendhilfe im gesamten Gebiet Ich habe gelernt, dass ich „Nein!“ sagen rund 60 mehrfach behinderte Kinder, Niedersachsens angeboten. Inhaltlich darf, aber das habe ich nicht geschafft, Jugendliche und junge Erwachsene. geht es um einen kompetenten Umgang und jetzt ist was passiert – bin ich da jetzt Aushilfen mit eingerechnet, sind hier von Ehrenamtlichen und Fachkräften der schuld dran? Ein anderer Punkt, um den etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitar- freien Jugendhilfe, zum Beispiel der Hilfen wir uns verstärkt kümmern müssen: Wie beiter beschäftigt. Ziel ist es, gemeinsam zur Erziehung, bei Verdacht auf Kindes- erreichen wir die Eltern, die nicht zu den Qualitätsentwicklungsprozesse für bessere wohlgefährdung. Die Erfahrungen der Elternabenden kommen? Am meisten Ge- Kinderschutzkonzepte zu erarbeiten; vorangegangenen Runden haben gezeigt, winn zur Verbesserung des Programms ha- zum Beispiel Verfahrensabläufe, die mehr wie wichtig es ist, Fortbildungen pass- ben wir gehabt durch Gespräche mit den Sicherheit und Klarheit für alle Beteiligten genau auf die jeweilige Situation vor Ort Eltern und Lehrkräften – das noch stärker bringen. Weitere Punkte sind die Formulie- zuzuschneiden. Um das zu gewährleisten, zu systematisieren, wäre sehr wichtig, und rung eines Leitbildes, also einer Art Selbst- wurde für die halb- bzw. ganztägigen da gibt es auch gute Ansätze. Sehr wichtig verpflichtung im Umgang mit behinderten Veranstaltungen wieder ein System von ei- ist natürlich auch die Vernetzung mit jungen Menschen, und die Entwicklung nander ergänzenden Modulen entwickelt. anderen Einrichtungen niedersachsen- und eines sexualpädagogischen Konzepts. bundesweit und auch international, um Der Projektgruppe gehören Vertreterin- Wissen und Erfahrungen auszutauschen nen und Vertreter der Beschäftigten, der und so die Bedingungen für eine fundierte Gruppenleitungen und der Gesamtleitung Präventionsforschung immer weiter zu des Hauses an; weil uns auch der Partizi- verbessern. pationsgedanke sehr wichtig ist, sind die nicht auf uns zugekommen waren. Kinder und Jugendlichen im Rahmen von Welche Themen werden künftig in der Workshops direkt in das Projekt eingebun- Arbeit an Bedeutung gewinnen? den. Vorgesehen ist, die Ergebnisse und Das Thema sexuelle Gewalt im Behinder- Erfahrungen aus dem Pilotprojekt anderen tenbereich – Stichwort Inklusion – wird Einrichtungen zur Verfügung zu stellen – uns in Zukunft noch sehr stark beschäf- da sind wir dann also wieder beim Thema tigen. Behinderte sind in gewisser Weise Know-how-Transfer … die perfekten Opfer: Sie können sich meist nicht wehren, haben einen schwe48 Vernetzung vor Ort 49 Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration Vernetzung vor Ort Interdisziplinäre Hilfen optimieren In Braunschweig, in der Stadt und Region Hannover, in der Stadt und dem Landkreis Lüneburg sowie in der Stadt und dem Landkreis Oldenburg wird der Aus- und Aufbau interdisziplinär angelegter Hilfesysteme gefördert und begleitet. Dabei geht es in Mit dem Modellprojekt Koordinierungszentren Kinderschutz – erster Linie um die effektive Vernetzung bestehender Strukturen Kommunale Netzwerke Früher Hilfen hat die Landesregierung über den Einzelfall hinaus und nicht vorrangig um die Konzeption bereits im Jahr 2007 den Startpunkt gesetzt für die Suche nach neuer Hilfsangebote. Besondere Berücksichtigung sollen gruppen- innovativen Modellen in der Zusammenarbeit von Jugendämtern, und gemeinwesenbezogene Ansätze finden, die die Bedürfnisse Kinderschutz-Zentren, Beratungsstellen, Gesundheitsämtern, Heb- von Kindern, Jugendlichen und Familien, aber auch ihre Mitwir- ammen, Ärztinnen und Ärzten, Kliniken, Schulen und der Polizei. kungsmöglichkeiten einbeziehen. Die Modellstandorte müssen Die mit dem Bundeskinderschutzgesetz (BkiSchG) zum 1. Januar eine Bestandsanalyse vorlegen, verbindliche Handlungsabläufe 2012 bundesweit geltenden Vorgabe, überall verlässliche Netz- (Reaktionsketten) entwickeln, umsetzen und erproben und den werke für die lokalen Akteure zu schaffen und zu festigen, wird primärpräventiven Bereich des Netzwerks fortentwickeln. in Niedersachsen seit Jahren mit Leben gefüllt. Viele Kommunen haben mittlerweile neue Konzepte entwickelt, um den lokalen Kinderschutz weiter zu optimieren. Dabei können die Jugendäm- Projektkoordination ter auf eine vom Land geförderte Beratung zurückgreifen, mit der Die Koordinierungszentren an den Modellstandorten bekommen der Auf- und Ausbau der kommunalen Netzwerke Früher Hilfen Mittel zur Finanzierung der Projektkoordination sowie Beratung vor Ort begleitet wird. und Begleitung durch das in Münster beheimatete Institut für soziale Arbeit (ISA). In Workshops wurden zunächst zentrale gemeinsame Aspekte, wie z. B. aktuelle Forschungsergebnisse zu Koordinierungszentren Kinderschutz – Kommunale Netzwerke Früher Hilfen Frühwarnsystemen, Formen des Netzwerkmanagements oder die Rechtsqualität von Kooperationsvereinbarungen, thematisiert und bearbeitet. Die lokale Steuerung der Modellprojekte erfolgt durch Die Modellstandorte Braunschweig, Hannover, Lüneburg und örtliche Lenkungsgruppen. Die Projektplanung und -steuerung Oldenburg arbeiten an engen Kooperationen und verbindlichen nimmt eine Lenkungsgruppe wahr, die aus den lokalen Leitungs- Handlungsabläufen zum Schutz der Kinder. Die Vielzahl der vertretungen und Koordinatorinnen bzw. Koordinatoren, dem ISA abgeschlossenen Kooperationsvereinbarungen, aber auch neue und dem Sozialministerium besteht. Fortbildungsangebote und die spezifische Qualifizierung von Fachkräften belegen die hohe Dynamik des Modellprojekts, das zunächst auf 2010 befristet war und bis Ende des Jahres 2011 verlängert wurde. Der jeweilige Projektstand und die Erfahrungen der Koordinierungszentren werden seit 2007 kontinuierlich in Jahreszwischenberichten dokumentiert, die auch im Internet zur Verfügung stehen. Auf dieser Grundlage können auch die noch nicht beteiligten Städte und Gemeinden die eigene Praxis reflektieren, damit der Kinderschutz in ganz Niedersachsen noch weiter qualifiziert wird. Zusätzlich organisiert das Sozialministerium Jahresfachtagungen, um die bisherige Entwicklung und die Erfahrungen der vier Modellstandorte kontinuierlich vorzustellen. 50 Vielfältige Ansätze ration mit dem Gesundheitswesen erweitert worden. Sowohl die Die lokalen Ansätze der vier Koordinierungszentren zeigen, dass Landeshauptstadt als auch die Region Hannover verfügen durch es keinen Königsweg gibt. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Er- den Abschluss der Rahmenvereinbarung zum § 8a SGB VIII seit fahrungen aus anderen Projekten sind die Grundlagen für die Ent- dem 1. Mai 2007 über ein Instrumentarium zur Sicherstellung wicklung lokaler Kinderschutznetzwerke. Die konkreten Bausteine des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdungen. An diesem ergeben sich aus den jeweiligen Voraussetzungen, Möglichkeiten schon durch seine Größe einzigartigen Standort – 21 Kommu- und Sichtweisen vor Ort. nen – sind tragfähige Strukturen für die Kooperation der Akteure aus Jugendhilfe und Gesundheitswesen etabliert worden. In einer Stadt und Landkreis Oldenburg: Aufbauend auf vorhandenen Netzwerk-AG arbeiten Vertreterinnen und Vertreter der Institutio- Strukturen wie dem Oldenburger Netzwerk Frühe Hilfen wurde nen des Gesundheitswesens und der Jugendhilfe zusammen und hier die breiteste Variation an Kooperationen, Zielgruppen, schrift- haben verbindliche Handlungsabläufe festgelegt. Das Kinder- lichen Vereinbarungen, Fortbildungen etc. durch das Koordinie- krankenhaus auf der Bult ist Hauptkooperationspartner. Dort rungszentrum bearbeitet und angeregt. Der Oldenburger Ansatz befindet sich auch das Projektbüro. Medizinische Beratungsstellen umfasst alle primären und sekundären Kooperationspartner im Kinderschutz im öffentlichen Gesundheitsdienst dienen als Mittler Kinderschutz, vor allem die Institutionen und Fachkräfte der zwischen Jugendhilfe und Medizin. Jugendhilfe und des Gesundheitswesens, aber auch die Grundschulen. Qualitätskontrolle Stadt Braunschweig: Hier wird ein Zwei-Säulen-Modell im Kin- In der Verlängerungsphase des Modellprojekts bis zum Ende des derschutz verfolgt – das Koordinierungszentrum konzentriert sich Jahres 2011 stehen die Bausteine Umsetzung und Erprobung neu- auf die Verknüpfungen mit dem Gesundheitswesen. Der Bereich er Verfahren, Überprüfung auf Wirksamkeit und Implementierung des Kinderschutzes im Kontext des SGB VIII (hier vor allem § 8a neuer Handlungsschritte und Weiterentwicklung des Netzwerks SGB VIII) wird direkt vom städtischen Jugendamt bearbeitet und im Bereich der primärpräventiven Angebote auf der Agenda. verantwortet. In Braunschweig ist es unter anderem gelungen, Zusätzlich soll die Auswertung der im Frühjahr/Sommer 2010 an einen Großteil der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte persön- den Standorten Oldenburg, Hannover und Braunschweig durch- lich durch schriftliche Vereinbarungen in den Kinderschutz mit geführten Online-Befragungen Rückschlüsse auf die Wirksamkeit einzubeziehen. der Netzwerke geben. Für den Projektstandort Lüneburg hat die Universität Lüneburg durch Herrn Prof. Weihe zeitgleich eine Eva- Hansestadt und Landkreis Lüneburg: Der Übergang zwischen dem luation durchgeführt, die die gemeinsam entwickelten Materialien primären und sekundären Präventionsbereich steht im Mittelpunkt und Verfahren im Bereich der Frühen Hilfen für die Region Lüne- (vgl. Lüneburger Ampelmodell). Es wurde eine Koordinierungs- burg als wirksamen Beitrag für den Kinderschutz bestätigt. stelle Frühe Hilfen eingerichtet, die Unterstützungs- und Hilfsangebote für Familien unterhalb bzw. im Vorfeld der Einzelfallhilfen Beratungsangebot für Jugendämter des Jugendamtes anbietet. In diesem Lüneburger Netzwerk Frühe Im Jahr 2009 hat das Land Niedersachsen sein Kinderschutz- Hilfen soll auf erste Anzeichen auf Unterstützungsbedarf, dem konzept um einen weiteren Baustein ergänzt: Alle Kommunen noch nicht im Rahmen von Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB können professionelle Beratung bei der Suche nach der optimalen VIII) begegnet werden kann, reagiert und präventive Angebote Verknüpfung Früher Hilfen in Anspruch nehmen. Die jeweiligen vermittelt werden. Jugendämter erhalten damit Unterstützung bei der Reflexion und Weiterentwicklung ihrer eigenen Ansätze und zugleich Einblick in 51 Landeshauptstadt und Region Hannover: Die bereits bestehende die erfolgversprechenden Erkenntnisse und Zwischenergebnisse breite Palette von Angeboten im primären und sekundären Kin- des Modellprojekts Koordinierungszentren Kinderschutz. Leitge- derschutz ist durch den Netzwerkaufbau und die engere Koope- danke ist auch hier, in Niedersachsen möglichst flächendeckend neue Wege in der Zusammenarbeit von Jugendämtern mit den Gemeinsam neue Wege beschreiten Gesundheitsbehörden, Kinderkliniken, niedergelassenen Ärztinnen Die Beratung der 19 niedersächsischen Jugendämter – das ent- und Ärzten, Hebammen und weiteren Berufsgruppen zu entwi- spricht etwa einem Drittel landesweit – hat den Kommunen ckeln. Drei Beratungstage durch ein Institut ihrer Wahl, lautete das bereits eine Reihe von Impulsen aus dem Modellprojekt gebracht. Angebot. Fünf Städte und 14 Landkreise griffen 2009/2010 zu. Aus Sicht des ISA haben die teilnehmenden Jugendämter die Chancen und Möglichkeiten, die von einer solchen Kurzzeitberatung ausgehen können, voll ausgeschöpft. Dabei hatten die Örtliche Netzwerke auf dem Prüfstand „Doppelstandorte“ einen deutlichen Vorteil. An den Beratungsta- Alle Kommunen entschieden sich für das Institut für soziale Arbeit gen wurden wichtige Weichen gestellt und neue Wege der sekto- (ISA), das auch den Aufbau der Koordinierungszentren begleitet. renübergreifenden Zusammenarbeit beschritten, um mittelfristig Die Vermittlung der Ergebnisse des Modellprojekts gestaltete sich an die Netzwerkqualität der vier Modellregionen heranzureichen. damit unkompliziert. Sechs Kommunen schlossen sich zu drei Zusätzlich hat eine Vielzahl von Fachkräften eine breite fachliche Doppelstandorten zusammen und konnten auf diese Weise sechs Qualifizierung „mitgenommen“. statt drei Expertentage vor Ort nutzen. Am Ende stand ein kurzer Abschlussbericht, in dem die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit Herausforderung: Frühe Hilfen in der Fläche dokumentiert und Empfehlungen ausgesprochen wurden. Die Erfahrungen mit den eher städtisch geprägten vier Modellpro- Vor der Beratung bot das ISA eine zentrale Informationsveran- jektstandorten lassen sich nicht unmittelbar übertragen auf die staltung in Münster an. Hier konnte der Bedarf der Kommunen Konzeption von Netzwerken in großen Flächenkreisen und wenig bereits sondiert werden: Er reichte von der Begutachtung der besiedelten Regionen. Im nächsten Projektschritt wird es darum Dokumente und Instrumente zum Kinderschutz, über die Analyse gehen müssen, wie der Aufbau auch in der strukturarmen Fläche der Angebote im örtlichen Netzwerk Früher Hilfen bzw. deren gelingen kann. Welche Verankerungen und Strukturen sind ziel- sinnvolle Verknüpfung bis hin zum Wunsch der Fortbildung und führend? Vorrang für dezentrale Lösungen? Auf welchem Stand Qualifizierung in spezifischen Fachthemen. befinden sich die bisher noch nicht beratenen niedersächsischen Leitfragen waren: Wo steht die Kommune mit Blick auf einzelne Projekte im Kinderschutz? Sind diese Projekte zielführend Jugendämter? Welche Unterstützung benötigen sie für einen qualifizierten Netzwerkaufbau? aufeinander bezogen? Welche Qualität hat die örtliche Netzwerkarbeit? Informationsangebot Modellprojekt + Zwischenberichte 2008, 2009, 2010: www.kinderschutz-niedersachsen.de www.koordinierungszentren-kinderschutz.de 52 Kinderarmut bekämpfen 53 Kinderarmut bekämpfen der entgegenzutreten, muss vordringliches Ziel aller gesellschaftlichen Gruppen sein. Die Niedersächsische Landesregierung Niedersächsische Aktionswoche trägt mit zahlreichen Maßnahmen zur Ar- gegen Kinderarmut der Kinderbetreuung, der Ganztagsschule Rund 50 Initiativen haben sich im die Chancen auf gleichberechtigte gesell- und der Intensivierung der Elternarbeit September 2010 an der Nieder- schaftliche Teilhabe, Bildung und individu- initiierte die Landesregierung zum Beispiel sächsischen Aktionswoche gegen elle Verwirklichung. Dauerhafte Abhän- die Niedersächsische Aktionswoche gegen Kinderarmut beteiligt und auf gigkeit von staatlicher Fürsorge führt zur Kinderarmut. Die Landesstiftung Familie Gemeinde-, Stadt- oder Landkreise- Verfestigung von Armut, teilweise über in Not und der Sonderfonds DabeiSein! bene Veranstaltungen organisiert. Generationen hinweg. Unzureichende engagieren sich ebenfalls für die gesell- Dass sie mit ihrem Engagement dem Bildung und Sprachkenntnisse, mangelnde schaftliche Teilhabe aller Kinder. Thema Armut eine Diskussionsplatt- berufliche Qualifikation, Scheidung, die form und verstärkte Wahrnehmung Erziehung durch ein Elternteil, Arbeitslo- berichterstattung gibt es einen weiteren in der Öffentlichkeit geschaffen sigkeit und frühe Schwangerschaften sind Baustein, um Armut und Ausgrenzung und gleichzeitig Netzwerkarbeit die Hauptrisiken für Armut. Die Hauptleid- in Niedersachsen zu bekämpfen. Damit geleistet haben, zeigt eine Doku- tragenden sind allzu oft die Kinder. erhalten diejenigen, die an der Armutsbe- mentation, die einen Überblick über Dass ein Teil der Kinder im schlimmsten Mit der handlungsorientierten Sozial- kämpfung in Land, Kommunen und Ver- die Aktionen vor Ort vermittelt und Fall bereits von Geburt an benachteiligt bänden beteiligt sind, die für ihre Arbeit zur Nachahmung anregen soll. Die ist und dauerhaft ohne Perspektive auf erforderlichen detaillierten Daten. Diese Niedersächsische Aktionswoche gleichberechtigte Teilhabe bleibt, ist für können ihnen auch als Grundlage dienen gegen Kinderarmut fand anläss- unsere Gesellschaft nicht akzeptabel. Alle um eigene regionale und lokale Berichte lich des Europäischen Jahres zur Kinder müssen die Chance erhalten, ihre und Untersuchungen anzustellen. Bekämpfung von Armut und sozialer individuellen Möglichkeiten auszuschöp- Ausgrenzung vom 13. bis 20. Sep- fen. Armut zu bekämpfen und insbeson- tember 2010 statt. Initiator war das dere den negativen Armutsfolgen für Kin- 2008 gegründete Niedersächsische Bündnis für alle Kinder. Ziel der Aktionswoche war es, das öffentliche Bewusstsein für Armutsrisiken von Kindern zu stärken sowie Möglichkeiten und Konzepte zur Bekämpfung von Kinderarmut darzustellen. Dabei lag der Schwerpunkt auf den Themen Bildung, Gesundheit und Wohlergehen von Kindern. www.aktionen-gegenkinderarmut-nds.de 54 mutsbekämpfung bei. Neben dem Ausbau Mit einem geringen Einkommen sinken Handlungsorientierte Sozialberichterstattung Die Armuts- und Reichtumsberichterstat- sozioökonomische Daten einer Region in über die jeweiligen Lebenslagen von Kin- Absolute Armut dern und Jugendlichen geben. Einkommens- oder Ausgabenniveau, tung der Bundesregierung und der Länder unter dem sich die Menschen Ernäh- orientiert sich an einem umfassenden rung und lebenswichtigen Bedarf Analyseansatz, der die Risiken für Armut Einheitliche Messinstrumente und soziale Ausgrenzung in verschiede- Die Sozialberichterstattung liefert ein nen Lebenslagen beschreibt. Seit dem umfassendes Angebot an vergleichba- Äquivalenzeinkommen Jahr 2001 werden die soziale Lage in ren Daten für Bund und Länder aus den Anhaltspunkt für relative Armut/ Deutschland und die Entwicklung der Bereichen soziale Mindestsicherung sowie relativen Reichtum. Das durch- sozialen Integration dokumentiert. Bei der Armut und soziale Ausgrenzung. Das ge- schnittliche Haushaltsnettoeinkom- Messung monetärer Armut verwendet meinsame Projekt der Statistischen Ämter men wird durch die Summe der die Bundesregierung den zwischen den des Bundes und der Länder wird von einer Bedarfsgewichte der im Haushalt EU-Mitgliedstaaten vereinbarten relativen Bund-Länder-Arbeitsgruppe getragen und lebenden Personen geteilt. Nach Armutsrisikobegriff. Die fortgeschriebe- besteht aus zwei Bausteinen: Die Veröf- EU-Standard wird dazu die neue nen Armutsberichte des Bundes und der fentlichung von Berichten zur sozialen OECD-Skala verwendet: Die erste Länder benennen und analysieren nicht Mindestsicherung und die Bereitstellung erwachsene Person im Haushalt hat nur die Ergebnisse ungleicher Teilhabe auf von Indikatoren zur Messung von Armut Bedarfsgewicht 1. Haushaltsmitglie- dem Arbeitsmarkt oder bei der Verteilung und sozialer Ausgrenzung auf Bundes- der im Alter von 14 und mehr Jahren von Einkommen und Vermögen, sondern und Länderebene nach Vorgaben der werden mit 0,5 und Kinder unter 14 fragen auch danach, welche Faktoren die- Europäischen Union. Das Datenangebot Jahren mit 0,3 gewichtet. Derzeit se Unterschiede beeinflussen und welche lässt Rückschlüsse zu auf Einkommensar- liegt das Durchschnittseinkommen Maßnahmen in den relevanten Politikbe- mut und -verteilung, Abhängigkeit von bei 870 Euro netto. reichen ergriffen werden müssen, damit Mindestsicherungsleistungen, Qualifikati- Armut und soziale Ausgrenzung vermie- onsniveau und Erwerbsbeteiligung. nicht mehr leisten können. Armutsbericht Der Landesbetrieb für Statistik und den oder überwunden werden. Kommunikationstechnologie Nieder- Das Land Niedersachsen setzt die hand- 55 Fachvokabular „Armut“ Beziehung zu den Daten, die Aufschluss lungsorientierte Sozialberichterstattung Regionale Berechnungsmethode sachsen legt mit Unterbrechungen ein, um regionale Strukturen und gezielte Bei den Armutsanalysen für Niedersach- seit 2001 einen Jahresbericht über Maßnahmen zu Gunsten besonders be- sen legt das LSKN ausschließlich die die Entwicklung und Struktur von nachteiligter Kinder effektiver zu nutzen. regionalen Durchschnittseinkommen zu Armut und Reichtum in Nieder- Ziel ist es, allen Kindern und Jugendlichen Grunde (Regionalkonzept). Grund: Die sachsen und vergleichend dazu in in Niedersachsen gleiche Chancen zu Durchschnittseinkommen differieren nicht Deutschland vor. Daraus ergibt sich bieten. Die Sozialberichterstattung der nur zwischen den einzelnen Personen, unter anderem die Armutsquote. amtlichen Statistik liefert verlässliches sondern auch sehr stark zwischen den empirisches Vergleichsmaterial für die Regionen Deutschlands. Diese regionalen Akteure der Armutsbekämpfung in Land, Einkommensunterschiede werden aber Kommunen und Verbänden. Der Landes- durch unterschiedliche Preisniveaus, vor betrieb für Statistik und Kommunikations- allem durch höhere Mieten, ausgeglichen technologie Niedersachsen (LSKN) stellt – 1 Euro hat in Ostfriesland eine erheb- lich höhere Kaufkraft als in München, Armutsrisiko Kind Frankfurt oder Stuttgart. Im Ergebnis führt Besonders stark von Armut bedroht sind das dazu, dass regionale Armutsquoten, weiterhin Alleinerziehende und ihre Kinder Armutsgefährdungsschwelle die nach dem Nationalkonzept berechnet (41,5 Prozent), große Familien mit drei und Ist erreicht, wenn nur 60 Prozent des werden, die Armut in Regionen mit relativ mehr Kindern (24,7 Prozent), Erwerbslose mittleren Nettoeinkommens (Medi- hohen Einkünften stark unterschätzen (52,9 Prozent), Geringqualifizierte (36 Pro- an) der Bevölkerung in Privathaus- und sie in Regionen mit relativ niedrigen zent) und Menschen mit Migrationshinter- halten zur Verfügung steht. Einkünften stark überschätzen. grund (29,7 Prozent). Bei den meisten der Risikogruppen ging die Armutsgefährdung Armutsgefährdungsquote 2009 zurück – um 1,6 Prozent bei Migran- Indikator zur Messung relativer Ein- Armut in Niedersachsen ten, um 3,3 Prozent bei den Erwerbslosen, kommensarmut; wird nach EU-Stan- Während die Armutsgefährdungsquote um 0,8 Prozent bei den Alleinerziehenden dard definiert als der Anteil der Per- in Niedersachsen im Jahr 2009 weiter und sogar um 3,7 Prozent bei den Familien sonen, deren Äquivalenzeinkommen leicht zurückging, stieg sie bundesweit auf mit drei und mehr Kindern. Dagegen stieg weniger als 60 Prozent des mittleren 14,6 Prozent gegenüber 14,4 im Vorjahr. die Armutsgefährdung bei den Geringqua- Nettoeinkommens (Median) der Die höchsten Armutsgefährdungsquoten lifizierten leicht um 0,1 Prozent, bei den Bevölkerung in Privathaushalten gab es in den Stadtstaaten Hamburg über 65-Jährigen hingegen von 12,0 auf beträgt. Die Gefährdungsquote wird (18 Prozent) und Bremen (15,9 Prozent). 12,4 Prozent. für das gesamte Bundesgebiet, für In den ostdeutschen Flächenländern lagen die Bundesländer und die Regionen die Quoten insgesamt niedriger als in den errechnet. Dadurch werden Un- westdeutschen Ländern. Im Vergleich der Armut ist ein Großstadtphänomen terschiede im Einkommensniveau Bundesländer nimmt Niedersachsen einen Die niedersächsische Landeshauptstadt zwischen den Bundesländern bzw. Mittelplatz ein: Die Armutsgefährdungs- Hannover hat eine Armutsgefährdungs- zwischen den Regionen berücksich- quote lag im Jahr 2009 mit 14,6 Prozent quote von 20,2 Prozent. Das ist der tigt. Die Statistischen Ämter des 0,1 Prozent unter dem Stand des Jahres höchste Wert in Niedersachsen, ebenso Bundes und der Länder berechnen 2008. Damit hat sich die leichte Trend- im Vergleich zu den anderen deutschen die Armutsgefährdungsquoten wende der vergangenen Jahre bestätigt: Großstädten. Im Westen Niedersachsens gemeinsam auf der Grundlage des Bis zum Jahr 2005 stieg die Armutsge- gibt es relativ niedrige Armutsquoten. Sie Mikrozensus. fährdung jährlich an, um danach wieder liegen bei 12,8 Prozent in Ostfriesland und zu sinken. Im Jahr 2009 war die Quote im Raum Oldenburg und bei 13,1 Prozent um 0,5 Prozent niedriger als 2005. Trotz im Raum Osnabrück. des Rückgangs lebte 2009 jeder siebte Einwohner Niedersachsens (1,148 Millionen Menschen) noch immer unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle, die im Jahr 2009 bei 790 Euro lag (2008: 768 Euro). Das durchschnittliche Nettomonatseinkommen stieg von 1280 auf 1317 Euro. Die Steigerung um 2,9 Prozent lag deutlich über der Inflationsrate von 0,4 Prozent. 56 Kinderarmut in Niedersachsen Landkreisen mit relativ geringer Kinderarmut vom Raum Osnabrück im Südwesten Um Aussagen über die Entwicklung der über das Bremer und Hamburger Umland Armutsquote von Kindern in Niedersach- im Norden. sen treffen zu können, werden die absolu- Im April 2009 lagen die höchsten Ar- Zwei Methoden werden genutzt, ten Zahlen der Kinder in SGB II-Haushalten mutsquoten von Kindern in den kreisfreien um Armutsgrenzen zu definieren: auf die entsprechende Altersgruppe der Städten des Landes: 31,8 Prozent in Wil- 1. Der Mittelwert des jeweiligen unter 15-Jährigen bezogen. Die Armuts- helmshaven, 29,7 Prozent in Delmenhorst Nettoeinkommens der Bevölkerung. quote der Kinder lag in Niedersachsen und 24,2 Prozent in Emden. Die nächst- Jeder, der weniger verdient, gilt als im April 2009 bei 15,4 Prozent. Ihren höheren Werte haben mit 22,7 Prozent relativ arm. 2. Die Kosten für einen Höchststand hatte sie im Dezember 2006 Osnabrück, Oldenburg mit 21,6 Prozent bestimmten Warenkorb. Der Anteil und ist seitdem um 1,4 Prozentpunkte sowie Braunschweig (20,9 Prozent) und der Bevölkerung, der weniger zur zurückgegangen. Die bisher vorliegenden Salzgitter (22,1 Prozent). Positiv hebt sich Verfügung hat als den Wert des Daten zeigen, dass die niedersächsische die Stadt Wolfsburg ab: Mit einer Kinder- Warenkorbs, gilt als absolut arm. Quote im Wesentlichen der Deutschland- armutsquote von 16,9 Prozent liegt sie Quote entspricht und nur minimal nach deutlich unter den anderen Städten. oben oder unten abweicht. Diese Struktur korrespondiert mit Armutsquote Gibt den prozentualen Anteil der dem Anteil der Empfänger von SGB II- Personen an der gesamten Bevölke- in Niedersachsen dokumentiert. Damals Leistungen an allen Einwohnern. Für rung einer Volkswirtschaft an, die wurden 164 499 Kinder erfasst. Diese die Landeshauptstadt Hannover und mit einem Einkommen unterhalb der Zahl stieg fast kontinuierlich bis zum ihr Umland liegen keine differenzierten Armutsgrenze auskommen müssen. Höchststand von 205 143 Kindern im Werte vor, so dass die Region Hannover Februar 2007 an. Seitdem geht sie fast mit 20,9 Prozent in die höchste Katego- Bekämpfte Armut genauso kontinuierlich von Monat zu rie fällt. Als einzige Landkreise liegen die Fester Begriff der Armutsforschung Monat zurück. Der Stand von 178 900 im beiden Harzkreise Goslar und Osterode für behördlich wahrgenommene April 2009 entspricht dem Stand vom Mai über der 20-Prozent-Marke. Auch hier Armut: bezeichnet die Anzahl der 2005 und einer Quote von 15,4 Prozent. korrespondieren die Werte mit dem Anteil Unterstützungsempfänger von staat- Verglichen mit dem Höchststand vom Fe- der Empfänger von SGB II-Leistungen lichen Transferzahlungen, die Armut bruar 2007 bedeutet dies einen Rückgang insgesamt. Auch der Landkreis Weser- verhindern sollen, in dem sie einen um 26 243 Personen bzw. 12,8 Prozent. marsch (18,6 Prozent) im Nordwesten Mindestsicherungsbedarf abdecken. Der Einfluss von Rechtsänderungen, die und die Landkreise Celle (18,4 Prozent) Bei der Bewertung von Kinderarmut im Oktober 2008 in Kraft traten, auf die und Lüchow-Dannenberg (19,3 Prozent) sind in erster Linie die Leistungen Armutsquote der Kinder unter 15 wird auf weisen vergleichsweise hohe Kinderar- nach SGB II der Bundesagentur für etwa 7 000 Personen geschätzt. mutsquoten auf. Arbeit relevant. Regionale Unterschiede oder darunter finden sich mit Ausnahme Kinderarmut tritt in den kreisfreien Stä- der Landkreise Wesermarsch und Friesland dten Niedersachsens stärker als in den (14,3 Prozent) im Umland der Großstädte Landkreisen auf, außerdem im Osten des und im Westen des Landes. Durchschnitt- Landes und partiell an der Küste. Demge- liche Werte sind außer in Aurich an der genüber zieht sich ein breiter Gürtel von gesamten Küste, im Süden des Landes bis Seit Januar 2005 wird die Kinderarmut Niedrige Anteile von elf bis 14 Prozent 57 Armutsgrenze Relative Armut hinauf nach Nienburg, aber auch in Uelzen lich hoch, dass diese jungen Frauen ihre Bemisst sich am Wohlstand der und Lüneburg zu konstatieren. Hanno- schulische oder berufliche Ausbildung jeweiligen Gesellschaft: Als armuts- ver (18,2 Prozent) und Braunschweig abbrechen. Die Folge ist in der Regel der gefährdet gelten nach Definition der (17,1 Prozent) weisen entsprechend hohe, Nicht-Einstieg in das Berufsleben. Damit Europäischen Union Personen, deren Lüneburg (13,8 Prozent) und Weser-Ems steigt das Armutsrisiko automatisch. Durchschnitteinkommen (Äquiva- (13,5 Prozent) entsprechend niedrige Quo- lenzeinkommen) weniger als 60 ten auf. Die niedrigen Werte erstrecken 2007 in Niedersachsen 2 299 Kinder von Prozent des Medians der Äquiva- sich von der Grafschaft Bentheim über das Müttern aus, die bei der Geburt jünger als lenzeinkommen der Bevölkerung in Bremer Umland bis Hamburg und korre- 20 Jahre waren. Diese Babys hatten an al- Privathaushalten beträgt. Als arm spondieren mit positiven Werten anderer len Lebendgeborenen dieses Jahres einen gelten Haushalte, die 50 Prozent regionalstatistischer Indikatoren. Dage- Anteil von 3,5 Prozent. Damit liegt das und weniger zur Verfügung haben. gen sind die Quoten für die Kreise des Land leicht über dem Bundesdurchschnitt Strenge Armut setzt bei 40 Prozent weiteren Hamburger Umlands, Lüneburg von 3,3 Prozent, ist aber von den zum Teil des Äquivalenzeinkommens ein. (15,6 Prozent) und Stade (14,8 Prozent), sehr hohen Anteilen in den ostdeutschen nur durchschnittlich. Flächenländern (bis zu 6,3 Prozent in Relativer Reichtum Sachsen-Anhalt) weit entfernt. Sehr nied- Als relativ einkommensreich gelten rige Anteile gibt es in Baden-Württemberg Personen, deren Äquivalenzein- Armutsrisiko frühe Schwangerschaft (2,2 Prozent), Bayern (2,3 Prozent), Hessen kommen mehr als 200 Prozent des Schwangerschaften sehr junger Frauen und Hamburg (beide 2,6 Prozent). In Medians der Äquivalenzeinkommen gelten in der Armutsforschung als ein Niedersachsen selbst gibt es eine klare der Bevölkerung in Privathaushalten Risikoindikator. Ein Kind kann die Lebens- Abstufung von Weser-Ems über Lüneburg beträgt. umstände seiner Eltern oder zumindest und Hannover bis hin zu Braunschweig, eines Elternteils radikal ändern – bis hin mit Unterschieden von jeweils 0,2 bis zur Beurlaubung oder der Aufgabe der 0,3 Prozentpunkten zwischen den statis- beruflichen Tätigkeit bzw. der Nichtauf- tischen Regionen. Auf Kreisebene ragen nahme einer (neuen) Beschäftigung. Damit hier insbesondere Nienburg und Celle und eng verbunden sind finanzielle Schieflagen die Städte Emden und Wilhelmshaven der betroffenen Haushalte. Kinder sind in mit Anteilen von 5,5 Prozent und mehr bestimmten Lebenslagen ein Armutsrisiko, heraus. insbesondere für alleinerziehende Eltern- Auf 1 000 Frauen der Altersklasse 15 teile. Auch aus diesem Grund müssen die bis unter 20 Jahre kamen in Niedersachsen Kinderbetreuung und die Ganztagsschule 10,1 Lebendgeborene. Dies entspricht massiv ausgebaut werden. exakt dem Bundesdurchschnitt. Deutlich Zwar haben im Vergleich der Jahre 58 Die Geburtenstatistik weist für das Jahr geringere Werte weisen nur die südlichen 2004 bis 2007 in Niedersachsen sowohl Bundesländer Baden-Württemberg (6,8 die absoluten Zahlen der Lebendgebo- Promille), Bayern (7,1 Promille) und Hessen renen von Müttern im Alter von 15 bis (8,4 Promille) auf. Auf einem ähnlichen Ni- 20 Jahren als auch die Vergleichszahlen veau wie Niedersachsen liegen Nordrhein- innerhalb der entsprechenden Altersklasse Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg um gut zehn Prozent abgenommen. Die und Schleswig-Holstein. Stark überdurch- Wahrscheinlichkeit ist aber grundsätz- schnittlich sind Bremen (15,7 Promille) und alle ostdeutschen Länder inklusive Berlin Landesstiftung Familie in Not betroffen. Die niedersächsischen Land- Die Stiftung Familie in Not wurde 1978 kreise Osterode, Lüchow-Dannenberg, von der damaligen Landesregierung mit Cuxhaven, Verden, Cloppenburg und einem Stammkapital von einer Million Wittmund, die Städte Hannover und DM gegründet. Ziel ist, in Not geratenen Oldenburg liegen mit Promillewerten Familien mit Kindern schnell und unbü- zwischen zwölf und 13 Lebendgeborenen rokratisch zu helfen, wenn gesetzliche junger Mütter an der entsprechenden Regelungen keine Hilfe bieten können. Die Bevölkerungsgruppe deutlich über dem langjährige Erfahrung der Stiftung zeigt, Landesdurchschnitt. Die Landkreise Celle, dass es in vielen Fällen gelingt, Familien Nienburg, Hameln-Pyrmont und Aurich einen wirtschaftlichen Neuanfang zu sowie die Städte Hildesheim liegen noch ermöglichen. Hilfe wird in Form von Zu- darüber. Landesweite Spitzenwerte haben schüssen und zinslosen Darlehen gewährt. die Städte Wilhelmshaven und Emden mit Seit ihrer Gründung hat die Stiftung mehr 19,9 und 20,5 Promille. als 11 000 niedersächsischen Familien mit einer Gesamtsumme von rund 14 Millionen Euro geholfen. Die Stiftung finanziert Genau hinschauen und gegensteuern sich aus den Erlösen des Stiftungskapitals Die fortlaufend dokumentierte Armutsent- 100 000 Euro zur Vergabe zur Verfügung. wicklung gibt den Akteuren auf Lan- Darüber hinaus vergibt die Stiftung auch desebene, in den Regionen und in den die Mittel der Bundesstiftung Mutter und Kommunen detailgenaue Anhaltspunkte, Kind – Schutz des ungeborenen Lebens, wo nachgesteuert werden muss. Trotz die 1984 gegründet wurde und pro Jahr insgesamt leicht sinkender Armutsgefähr- etwa 16 500 schwangeren Frauen jeweils dung und abnehmender Häufigkeit von rund 500 Euro Einzelfallhilfe gewährt. und durch Spenden. Pro Jahr stehen rund „Teenager-Schwangerschaften“ gibt es an vielen Orten in Niedersachsen noch viel www.ms.niedersachsen.de > zu tun, um Kinder vor Ausgrenzung zu Themen > Unsere Stiftungen > bewahren. Letztlich tragen die Mütter und Familie in Not Väter die Verantwortung dafür, ob und welche Angebote sie für sich selbst und www.bundesstiftung-mutter-und- für ihre Kinder nutzen, die der Staat bzw. kind.de eine Landesregierung oder eine Kommune ihnen macht. Oft helfen auch kleine Gesten oder eine einmalige Unterstützung, um dazuzugehören oder die größte Not zu lindern. 59 Informationsangebote Sonderfonds „DabeiSein!” Armutsberichterstattung des Landesbetriebs für Statistik und Kommuni- Mit dem Sonderfonds DabeiSein! werden kationstechnologie Niedersachsen unbürokratisch und schnell Bildungs- und (LSKN) auf Basis regionaler Durch- Freizeitmaßnahmen für Kinder aus finanzi- schnittseinkommen (Regionalkon- ell benachteiligten Familien mit bis zu 100 zept): Euro pro Jahr und Kind gefördert. Kinder www.lskn.niedersachsen.de > sollen davor geschützt werden, dass sie Handlungsorientierte Sozialbericht- aufgrund von Arbeitslosigkeit der Eltern erstattung Niedersachsen - Statis- oder wegen einer familiären Notsituation tikteil benachteiligt oder ausgegrenzt werden. Die Landesregierung stellt für den Son- Armutsberichterstattung der Sta- derfonds einen Betrag von zwei Millionen tistischen Ämter des Bundes und Euro für die Jahre 2009 bis 2012 bereit – der Länder auf Basis bundesweiter als Zuschüsse etwa für die Mitgliedschaft Durchschnittseinkommen (National- in Musik- und Sportvereinen, für Jugend- konzept): und Familienfreizeiten, Erholungsmaßnah- www.amtliche-sozialberichterstat- men, Nachhilfeunterricht oder Klassen- tung.de fahrten. Gesetzliche Ansprüche wie etwa das Bildungspaket haben jedoch Vorrang. „Lebenslagen in Deutschland – Der Über 600 DabeiSein!-Servicestellen gibt es 3. Armuts- und Reichtumsbericht“, flächendeckend in ganz Niedersachsen. Juli 2008, Bundesministerium für Arbeit und Soziales: www.bmas.de > Publikationen Interaktive Aktionslandkarte Familien- und Kinderservicebüros, Familienbildungsstätten, Mehrgenerationenhäuser, Mütterzentren, Mutter-/Vater-Kind-Kurkliniken, Familienferienstätten sowie wellcomeBüros und DabeiSein!-Servicestellen in Niedersachsen: www.familien-mit-zukunft.de > Aktuelles > Aktionslandkarte für Familien 60 www.dabeisein-nds.de Kinderrechte durchsetzen 61 Kinderrechte durchsetzen In der Niedersächsischen Verfassung werden Kinder und Jugendliche als eigenständige Personen anerkannt: Sie haben das Recht auf Achtung ihrer Würde, auf gewaltfreie Erziehung sowie den Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung. Der Weg dafür wurde am 17. Juni 2009 freigemacht: Nach intensiver Diskussion beschlossen die Fraktionen des Landtages einstimmig die Ergänzung der Landesverfassung um den zusätzlichen Artikel 4a Schutz und Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Rechte mit Verfassungsrang Kinderrechte Das entsprechende Änderungsgesetz zur Niedersächsischen Verfassung trat am 1. Juli 2009 in Kraft. Mit den Rechten von Niedersächsische Verfassung Kindern und Jugendlichen wurde auch der Anspruch von Er- Artikel 4 a – Schutz und Erziehung von Kindern und Jugend- ziehungsberechtigten auf „angemessene“ staatliche Hilfe und lichen Rücksichtnahme verankert. Staat und Gesellschaft müssen „für (1) Kinder und Jugendliche haben als eigenständige Perso- altersgerechte Lebensbedingungen“ sorgen. nen das Recht auf Achtung ihrer Würde und gewaltfreie Erziehung. (2) Wer Kinder und Jugendliche erzieht, hat Anspruch auf UN-Kinderrechtskonvention und EU-Charta angemessene staatliche Hilfe und Rücksichtnahme. Staat Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention, die von der und Gesellschaft tragen für altersgerechte Lebensbedin- Vollversammlung der Vereinten Nationen am 20. November 1989 gungen Sorge. verabschiedet wurde, 1992 ratifiziert. Damit haben Kinder das (3) Kinder und Jugendliche sind vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen. Recht, in einer sicheren Umgebung ohne Diskriminierung zu leben, das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, Ausbildung und das Recht auf Mitsprache Charta der Grundrechte der Europäischen Union Artikel 24 – Rechte des Kindes (1) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsor- Seit der Jahrtausendwende gilt zusätzlich die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in der die Rechte des Kindes ge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ausdrücklich enthalten sind (Art. 24). Sie wurde am 7. Dezember ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den An- 2000 in Nizza proklamiert. Darin ist unter anderem der Anspruch gelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und jedes Kindes auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direk- ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt. te Kontakte zu beiden Elternteilen formuliert. (2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. (3) Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen. 62 bei Entscheidungen, die sie betreffen. Niedersächsischer KinderHabenRechtePreis Informationsangebote Kinder mit ihren Rechten, Interessen und Bedürfnisse im täglichen Niedersächsische Verfassung: Leben wahrnehmen und anerkennen – diese Ziele verfolgen der www.nds-voris.de > Verf ND Deutsche Kinderschutzbund und das Land Niedersachsen auch mit dem KinderHabenRechtePreis. Seit dem Jahr 2008 wird er Niedersächsischer KinderHabenRechte- landesweit ausgelobt: Projekte, Initiativen und Maßnahmen, in Preis: denen sich Engagierte für die Rechte von Kindern einsetzen, www.kinderhabenrechtepreis.de werden damit unterstützt. Bei der Auswahl der Preisträger wird besonderer Wert auf die langfristige Wirkung (Nachhaltigkeit) und Kinderseite des Landes Niedersachsen: www.kinder.niedersachsen.de die Partizipation von Kindern und Jugendlichen gelegt. Die vielfältigen Beispiele aus der Praxis sollen öffentlich wahrgenommen, anerkannt und gefördert werden sowie zur Nachahmung EU-Charta der Grundrechte: anregen. Jedes Jahr wird mit dem Preis ein spezielles Recht www.europarl.europa.eu > charter Preis unter einem besonderen Motto ausgeschrieben. Im Jahr 2008 lautete das Motto Gewaltfrei werden Kinder groß!, in 2009 Kultur macht schlau!, in 2010 Mitreden, 20 10 des Kindes aus der UN-Konvention aufgegriffen und der UN-Kinderkonvention: www.auswaertiges-amt.de > UnkonvKinder mitmachen, mitmischen! und in 2011 Zukunft statt Herkunft. Bewerben können sich Projekte und Initiativen, Kommunen, Vereine und Institutionen, Betreuungsund Bildungseinrichtungen in Niedersachsen, die sich wirksam für die Umsetzung des jeweiligen Kinderrechts einsetzen. Der mit 9 000 Euro dotierte Preis wird jeweils zum 20. November, dem Tag der Ratifizierung der UNKinderrechtskonvention, verliehen. „Wir setzen an dieser zentralen Stelle ein klares und deutliches Zeichen für Kinder, für Jugendliche und für Eltern in Niedersachsen. Wir zeigen, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen (..) der Sinn und Zweck dieses Vorhabens geht ganz klar weit über den reinen Symbolcharakter hinaus.“ Die CDU-Landtagsabgeordnete Heidemarie Mundlos am 17. Juni 2009 vor der fraktionsübergreifenden Zustimmung des Niedersächsischen Landtags zur Aufnahme von Kinderrechten in die Landesverfassung. 63