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»Daß ein Buch wie das Tagebuch des Samuel Pepys überhaupt existiert, ist im Grunde ganz unbegreiflich. Ein rares Wunderwerk.« Robert Louis Stevenson
Samuel Pepys
m aga z i n – au s ga b e n r . 1
Zum ersten Mal:
Samuel Pepys
Die Tagebücher
1660 – 1669
Vollständige Ausgabe
in 9 Bänden
nebst einem »Companion«.
Deutsche Erstausgabe im
Haffmans Verlag
bei www.Zweitausendeins.de
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London Bridge von Claude de Jongh, um 1639.
»Nie zuvor haben wir eine so reiche Darstellung des Innern
eines Menschen gesehen wie in diesen Bänden.«
Sir Walter Scott
»Das intimste Erlebnisprotokoll, das bis dahin je ein
Mensch geschrieben hatte … Das Tagebuch zeigt eine
ungemein entwickelte Fähigkeit zur Registrierung von
Details. Zum ersten Mal sehen wir die mikrologische Optik,
die dem Alltag ästhetischen Reiz abgewinnt. Es ist diese
Optik, die die Voraussetzung für die Entstehung des
Romans darstellt.« Dietrich Schwanitz, »Englische Kulturgeschichte«
»Von der ersten Seite an ist das Tagebuch so vieles zugleich,
daß einem schwindelig werden kann. Es ist eine zeitgeschichtliche Chronik: Londoner entzünden Freudenfeuer,
weil sie ein verhaßtes Parlament losgeworden sind; die wilden
Feiern, die auf die Wiedereinsetzung des Königs folgen.
Es ist aber auch der erste ausführliche und unmittelbare
Erlebnisbericht eines Mannes, der seine ersten unsicheren
Schritte in der Berufswelt unternimmt und zu seiner
Überraschung feststellt, daß ihm die Arbeit allergrößte
Befriedigung verschafft. Es liefert eine Fülle von Details aus
seinem Berufsalltag, aber auch aus seinem häuslichen Alltag.
Es ist voller Musik,voller Theaterstücke und Predigten,
es wimmelt von Gemälden, Büchern und wissenschaftlichen
Geräten. Es ist eine Geschichte von Ambitionen und
wachsendem Wohlstand. Geld ist denn auch ein immer
wiederkehrendes Thema: wie es hergestellt wird, wie es
geliehen und verliehen, ausgegeben und gespart wird und
London Bridge von Claude de Jongh, um 1639.
wie man es versteckt. Geld in jeder Form: in Form von Goldstücken und Säcken voller Silber, als Schiffsladung mit
Gewürzen und Seide, in Form von Bestechungsgeldern,
Löhnen, Schulden, Darlehen und Erbschaften oder in Form
von Kerbhölzern des Schatzamts (Stöcken aus Haselnußholz, auf denen die Höhe jedes Darlehens an den Staat
eingekerbt wurde) oder in Form erster Banknoten.
Zu Beginn des Tagebuchs besitzt Pepys kaum £25; am Ende,
knapp zehn Jahre später, beträgt sein Vermögen £10 000.«
Claire Tomalin, »Samuel Pepys – The Unequalled Self«
»So wie Louis Armstrong zur Trompete und Picasso zum
Pinsel gegriffen hat, so hat Pepys sich seinem Tagebuch
gewidmet.« Independent on Sunday
»Unser größter Tagebuchschreiber.«
J. H. Plumb, Spectator
»Pepys war – mit seiner unerschöpflichen Energie, seiner
Lebendigkeit, seiner Beobachtungsgabe – ein ganz und
gar außergewöhnlicher Mensch mit einem ganz und gar
gewöhnlichen Geist. So pflegen wir uns ein Genie nicht
vorzustellen, und doch ist es diese Mischung, die das Tagebuch zu dem Werk eines Genies macht. Wer hat die Vielgestaltigkeit der Welt so unvergeßlich eingefangen wie er –
ein Ritt am Morgen bei klarem Frost, zwei Mädchen im Park,
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Blick auf London, um 1660.
die um die Wette laufen, der Ärger im Büro, der Streit im
Ehebett? Er war vielleicht ein Karrierist, ein rücksichtsloser
Lüstling, berechnend und egoistisch, aber er vermochte es
wie kein zweiter, das pulsierende Leben einzufangen.«
Ferdinand Mount, The Times Literar y Supplement
»Sex, Alkohol, Feuer, Musik, Ehekrisen, der Sturz von
Königen, Korruption und Zivilcourage, Kriege, Seefahrt,
öffentliche Hinrichtungen, Kerkerhaft im Tower: das Leben
des Samuel Pepys ist voller unwiderstehlicher Details.«
Her mione Lee
»Das große Vergnügen, das uns die Pepys-Lektüre bereitet,
ist das Vergnügen, das Pepys sich selbst bereitet bei seinen
Lebenserkundungen … Das Pepys’scheTagebuch ist der
genüßliche Lebensbericht nicht des historisch bedeutenden
Marinebeamten, sondern des unermüdlichen Hedonisten.«
The Guardian
»Trotz der zahlreichen banalen Einzelheiten, der vielen
Bemerkungen über Freunde und Kollegen,der Freude an der
exakten Wiedergabe von Situationen und Gesprächen wirkt
Pepys nicht geschwätzig und klatschsüchtig. Denn neben
einer glänzenden Beobachtungsgabe und scharfen Zunge
besitzt er auch Gerechtigkeitssinn und einen Blick für das
rechte Maß.« Jörg Drews, »Kindlers Neues Literaturlexikon«
»Pepys berührt immer wieder wie ein großer realistischer
Romanautor, der Jahrhunderte zu früh geboren wurde.
Das hängt zum Teil mit dem Stoff selbst zusammen:
Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der mit Charme
und Geschick die Karriereleiter erklimmt. Das ist kein Stoff
des 17. Jahrhunderts, sondern der Stoff eines Thackeray oder
Balzac. Und Pepys’ Unterfangen, das tägliche Erleben in
seiner Totalität darzustellen, begegnet uns im Grunde erst
wieder bei Joyce oder in den Tagebüchern von Virginia
Woolf. Man könnte eine Zeitleiste ziehen, wann der
englische Roman welchen Raum im bürgerlichen Haushalt
betrat: Im 19. Jahrhundert begab er sich vom Wohnzimmer
in die Küche, danach ging es ins Schlafzimmer, und zu
Anfang des 20. Jahrhunderts betrat er zum ersten Mal
das Badezimmer und das Klo. Ein langsamer Prozeß der
Inbesitznahme. Pepys ist lange vorher in jeden einzelnen
Raum gegangen, und er hat uns alles erzählt.«
Philip Hensher, The Atlantic Monthly
»Ich=für=mich habe mir alles, was in Tagebuch=Form auftritt, seit langem schon in 4 Klassen eingeteilt; und, daß ich
es nur frei heraus sage: keine davon taugt sonderlich viel. –
Trotzdem habe auch ich in dieser Gattung, selbstredend,
meine relativen Lieblinge. / Angefangen beim ›König‹
SAMUEL PEPYS –: ›1 seidenen Frack gekauft, der mich
viel Geld kostet; anschließend zu GOtt gebetet, daß er mich
instand setzen möge, ihn abzubezahlen.‹ – bedeutendere,
in Deutschland noch ganz ungekannte Stellen zu zitieren,
verhindern mich unsere g’schamig verschmitzten Pressegesetze.« Ar no Schmidt, »Das Tagebuch und der moder ne Autor«
»Helmut Schmidts Ferienlektüre: Das Tagebuch des Samuel
Pepys. Der Bundeskanzler nahm es an den Brahmsee mit.«
Der Spiegel
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The East India Company’s yard in Deptford, 1660.
»Es gehört durchaus nicht zu den Pflichten des Herausgebers
eines anerkannten Klassikers, darüber zu entscheiden, ob etwas „die Geduld
des Lesers überstrapazieren“ könnte oder nicht. Wir wollen wie gebildete
Menschen und nicht wie Kinder behandelt werden.«
Robert Louis Stevenson
»Pepys schrieb nicht nur über Newton und Shakespeare,
sondern auch über seine ständige Lust und Liebe, andere
Frauen anzumachen und zu verführen, und über seine Eifersucht, wenn seine hübsche Frau alleine mit dem Tanzlehrer
zu Hause war, und er prüfte, ob das Bett zerwühlt war.
Seine Tagebücher sind so freizügig wie Casanovas Memoiren.«
Hellmuth Karasek, Hamburger Abendblatt
»Als sie Anfang des 19. Jahrhunderts in England entdeckt
worden waren, waren sie eine Sensation. Und das sind sie
heute auch.« Volker Weider mann, FAS
»Niemand hat je seine Zeit so vollständig und so vielseitig
abgebildet wie der erste Privatmann der Literaturgeschichte.«
Roger Willemsen
»Bunter, ausschweifender und wechselvoller als das Leben
von Samuel Pepys lässt sich keine Biografie denken.«
Felicitas von Lovenberg, FAZ
Blick auf Greenwich von Hendrick Danckerts, um 1669.
»Das nennen Sie Pepys’ Tagebuch?
Das ist nicht Pepys’ Tagebuch, das ist die elende
Zusammenstellung von Exzerpten aus Pepys’ Tagebuch,
herausgegeben von irgendeinem übereifrigen Kerl, der in
der Hölle verfaulen möge! Ich könnte ausspucken davor!
Wo ist der 12. Januar 1668, als ihn seine Frau aus dem Bett
jagt und mit einem glühend heißen Feuerhaken quer
durchs Schlafzimmer verfolgt?
Wo ist Sir Penns Sohn, der allen mit seinen QuäkerVorstellungen so sehr zu schaffen macht?
Eine Erwähnung bekommt er grade mal in diesem sogenannten Buch, und das mir, die ich aus Philadelphia bin!
Ich füge zwei abgeschabte Dollar-Scheine bei. Ich werde
mich mit diesem Ding behelfen, bis Sie mir einen richtigen
Pepys finden. Und dann, dann werde ich dieses Ersatzbuch
auseinandernehmen, Seite für Seite, und Sachen darin
einwickeln.«
Helene Hanff, »8 4 , Charing Cross Road«
Aus dem Amerikanischen von Rainer Moritz
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Wer war
Samuel Pepys?
Die Tagebücher des Samuel Pepys
Samuel Pepys [sæmjuel pi:ps] wurde 1633 als
Sohn eines Schneiders in London geboren.
Er besuchte die St.-Paul-Schule in London und
studierte am Magdalene [mo:dlin] College in
Cambridge. 1655 heiratet er. Etwa zur gleichen
Zeit tritt er in die Dienste eines adligen Vetters
ein, Edward Mountagu, des späteren ersten
Grafen von Sandwich. 1660 beginnt Samuel
Pepys, ein Tagebuch zu führen. Fast zehn Jahre
lang, bis Ende Mai 1669, hält er jeden einzelnen
Tag fest – und erschafft ein literarisches Werk
ohnegleichen.
Samuel Pepys verfaßte seine Tagebuchaufzeichnungen in einer von Thomas Shelton entwickelten Kurzschrift. Von 1660 bis 1669 füllte er
sechs Schreibbücher, die er binden ließ und in
seine Bibliothek integrierte, an der er als leidenschaftlicher Büchersammler sein Leben lang
arbeitete: 3’000 einheitlich gebundene und
katalogisierte Bände, die nach seinem Tod
(1703) in den Besitz des Magdalene College
in Cambridge übergingen.
Pepys schildert als Augenzeuge und aus erster
Hand die Ereignisse einer der aufregendsten
Epochen der englischen Geschichte – die Rückkehr zur Monarchie nach zwölf Jahren CromwellRepublik, den Ausbruch der Pest im Jahr 1665,
den großen Brand von London im Jahr 1666,
den zweiten englisch-holländischen Seekrieg.
Auf nie zuvor dagewesene Weise verknüpft Pepys
die große Weltgeschichte mit seiner nicht minder ereignisreichen privaten Lebensgeschichte,
berichtet von seinem beruflichen Aufstieg im
Navy Board, dem britischen Flottenamt, von
den Wonnen und Qualen, die der wachsende
Wohlstand mit sich bringt, von seiner großen
Leidenschaft für die Musik, das Theater,
die neuen Wissenschaften, für gutes Essen und
schöne Bücher und nicht zuletzt für Frauen.
Pepys ging mit weit geöffneten Augen durchs
Leben, seine Neugier kannte keine Grenzen, sein
Wissensdurst war unstillbar. Ihn interessierte
das Leben in all seinen Aspekten. Davon
sprechen konnte er nur im Tagebuch: Überschäumend vor Details, erschütternd-komisch
in seiner rückhaltlosen Offenheit, schildert es die
erstaunlich moderne Geschichte eines jungen
Mannes, der sich seinen Platz in der Welt erobert.
von der ersten Eintragung am 1. Januar 1660 bis zur letzten am 31. Mai 1669
Erst über hundert Jahre später wird man auf die
Tagebücher aufmerksam. Drei Jahre dauert die
mühevolle Arbeit des Transkribierens. 1825 erscheint eine erste Auswahledition. Das Tagebuch
macht seinen Verfasser schlagartig berühmt.
Zu den frühesten Bewunderern zählen Sir Walter
Scott und Samuel Taylor Coleridge. Das große
Interesse der Öffentlichkeit macht zahlreiche
erweiterte Neuausgaben notwendig. Eine erste
Gesamtausgabe, die den Namen verdient,
erscheint von 1893 bis 1899 in acht Bänden.
Doch auch sie ist gekürzt – um die erotischen
Passagen, die dem viktorianischen Publikum
nicht zuzumuten sind. Fast ein weiteres Jahrhundert muß vergehen, bis die erste und einzige
vollständige, historisch-kritische Ausgabe von
Robert Latham und William Matthews erscheint, von 1970 bis 1983, die von der Times
zu Recht als eine verlegerische Großtat und
editorische Meisterleistung gepriesen wurde.
Jetzt wird ein Knabenmorgenblüthentraum
Wirklichkeit. Der ganze Pepys erscheint auf
deutsch. Kein kleiner Pepys, keine Auswahl,
kein weiteres Stück- und Flickwerk, sondern
Die Tagebücher des Samuel Pepys komplett.
Erst das vollständige Tagebuch mit Pepys’
Eintragungen Tag für Tag, Jahr um Jahr, fast ein
Jahrzehnt lang, erzählt den ganzen Roman
seines Lebens.
340 Jahre nach seiner Niederschrift, 110 Jahre
nach der ersten nennenswerten englischen und
25 nach der ersten vollständigen historischkritischen Originalausgabe erscheinen Samuel
Pepys’ Tagebücher vollständig auf deutsch.
Auf total 4’416 Seiten. Fünf Jahre Arbeit für
sechs Übersetzer und einen Lektor.
Nur knapp 20% der Tagebücher
liegen bisher in verschiedenen,
sich überschneidenden Auswahlbänden auf deutsch vor.
Im August 2010 erscheinen Die Tagebücher des
Samuel Pepys, von der ersten Eintragung am
1. Januar 1660 bis zur letzten am 31. Mai 1669,
zum ersten Mal vollständig auf deutsch.
Aus dem Englischen übersetzt von Georg
Deggerich, Michael Haupt, Arnd Kösling,
Hans-Christian Oeser, Martin Richter und
Marcus Weigelt.
Nach der Latham-&-Matthews-Edition
mit Anmerkungen und Karten eingerichtet,
redaktionell begleitet und überwacht
von Heiko Arntz.
Dazu ein »Samuel Pepys Companion« mit dem
grundlegenden Aufsatz zum Thema von Robert
Louis Stevenson („Der klügste Aufsatz, der je zu
Pepys geschrieben wurde“, Claire Tomalin),
mit Stammbaum, Entschlüsselung des erotischen
Vokabulars, Chronik, ausführlichem Personenverzeichnis und Materialien in Wort und Bild, herausgegeben von Heiko Arntz & Gerd Haffmans.
Neun schöne Bände und der »Companion«
als Broschur. Mit eigens gefertigten Umschlagbildern von Jonathan Wolstenholme.
Blick auf Whitehall Palace und St James’s Park von Hendrick Danckerts, um 1685.
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Robert Louis Stevenson
Ein unverwechselbares Ich
Dieser ganz und gar einzigartige Mann – ist einzigartig aus
drei guten Gründen:
erstens, weil ihn zu Lebzeiten ein Nimbus von gerade
historischem Gepräge umgab, während wir das Gefühl haben,
mit ihm fraternisieren zu können;
zweitens, weil er in der hohen Kunst oder Tugend der
Selbstoffenbarung die gesamte Konkurrenz weit hinter sich
gelassen hat; und
drittens, weil er zugleich ein ganz normaler Mensch war
und sich doch der Öffentlichkeit präsentiert in einer Detailfülle und Umfassendheit, die ein Genie wie Montaigne
wohl vor Neid erblassen lassen müßte.
Nicht nur um seiner selbst willen verdient Pepys daher
unser anhaltendes Interesse und intensives Studium,
sondern weil dieser einzigartige Mensch mit seinem einzigartigen Talent das Einzigartige des menschlichen
Geschlechts insgesamt zu beleuchten im Stande war.
daß ich seither an nichts anderes denken konnte als an die
Schuld, die ich mir selbst an dem Desaster zuschreiben
muß, und der bloße Anblick bereitete mir nicht weniger
Pein, als würde ich mich in Michelangelos Hölle wiederfinden. Dies möchte auch als Entschuldigung dienen,
warum ich nicht früher Euer großes Geschick gelobt habe,
mit dem Ihr die Zeichnung anfertigtet, wie es die Höflichkeit geboten hätte. Aber es ist gewiß nicht Höflichkeit,
die mich viel eher wünschen läßt, daß diese Eure Zeichnung Platz im Oberhaus fände, dort wo bislang der
Wandteppich die Armada zeigt, zur ewigen Mahnung, bis
wieder der Geist jener Zeit in unserem Land herrscht, in der
noch Gottes Segen auf unserem Tun ruhte, was für unser
Zeitalter, wie ich fürchte, nicht gilt.«
Sa m u e l Pe pys
Tagebücher 1660
Das Tagebuch
Daß ein Buch wie das Tagebuch des Samuel Pepys überhaupt existiert, ist im Grunde ganz unbegreiflich. Pepys
verkörperte in einer korrupten, dem Laster verfallenen Zeit
den unbestechlichen, fleißigen Beamten. Vieles von dem
Wenigen, was sich Gutes über James den Zweiten sagen
läßt, geht, wenn man ehrlich ist, auf das Konto von Pepys.
Für einen König mag es wenig sein, für einen Untertan ist
es sehr viel. Die Seemacht England verdankt seinem klar
denkenden, regen Verstand nicht wenig. Noch die späteren
Heldentaten eines Hawke, Rodney oder Nelson wären ohne
ihn schlecht denkbar. Samuel Pepys hielt im Jahr des großen
Brandes von London bis zuletzt die Stellung im Flottenamt.
Er wurde von einigen der größten Köpfe seiner Zeit geliebt
und verehrt. Er war Vorsitzender der Akademie der Wissenschaften (der Royal Society). Von seiner Sterbestunde
hieß es, er sei so würdig gestorben, wie er gelebt habe, und
damit war alles gesagt. Er führte in der Tat ein würdiges
Leben, zuweilen begleitet von Leibgardisten, während Untergebene sich vor seiner Allongeperücke beugten, und
wenn er sich äußerte, dann in wohlgesetzten Worten, die
seinem Rang und Stand entsprachen. Am 8. Februar 1668
schreibt er an John Evelyn einen kurzen Brief. Es geht um
den holländischen Krieg, und Pepys vergleicht verbittert die
jüngsten Ereignisse mit der einstigen glücklichen Zerschlagung der spanischen Armada im Jahr 1588: »Sir, ich hoffe,
Ihr werdet mir verzeihen, daß ich mich nicht früher für Eure
Zeichnung bedankt habe, die Ihr mir bereits vor längerem
zusandtet und die zeigt, wie die Holländer ungehindert auf
dem Medway vordringen konnten, wenn ich Euch erkläre,
Dieser Brief ehrt seinen Verfasser, aber entscheidend ist
nicht so sehr der Wortlaut, sondern der Gestus. So wollte
Pepys von seinen Zeitgenossen gesehen werden, als jemand,
der so denkt, sich so ausdrückt. Wenden wir uns nun dem
Tagebuch zu, durch das er in späteren Generationen berühmt wurde. Der Eintrag vom selben Tag beginnt in
derselben Tonart wie der Brief: er verurteilt »die große
Verblendung des Unterhauses« und »die schändliche Handlungsweise des Oberhauses«. Und dann, ohne jeden Übergang, fährt unser Tagebuchschreiber fort: »Von dort zu
meinem Buchhändler an der Strand, wo ich eine Stunde
blieb und das schändliche, unzüchtige Werk L’Ecole des filles
kaufte, aber nur einfach gebunden, weil ich entschlossen
bin, es nach dem Lesen sofort zu verbrennen und es nicht
ins Bücherverzeichnis und in meine Bibliothek aufzunehmen,
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um meinen Büchern keine Schande zu machen, wenn es
dort gefunden wird.« Selbst heute, wo die Dienstpflicht viel
stärkeren Kontrollen unterliegt, verdiente der Briefschreiber
noch unsere Achtung. Doch was soll man bitte zu dem Tagebuchschreiber sagen, der nicht nur ein unzüchtiges Buch
kauft, sondern der sich dessen schämt, der es aber dennoch
tut und dann beides ins Tagebuch schreibt – daß er es tut
und daß er sich schämt.
Sa m u e l Pe pys
Tagebücher 1661
Jeder von uns, ob er schreibt oder spricht, muß eine gewisse
Haltung annehmen, wenn er sich an ein Gegenüber wendet.
Bei verschiedenen Gegebenheiten erleben wir uns sehr verschieden, wir sind fröhlich mit dem einen, ernst mit dem
anderen, je nachdem wie es die Art der Beziehung und die
Situation erfordert. Es geht dabei nicht um Verstellung,
denn der Mensch ist ein wandelbares, unbeständiges Wesen, ist Teil einer Umwelt, die ihn fortwährend verändert,
und diese Anpassungsfähigkeit ist das beste, was einer in der
Schule des Lebens lernen kann. Wer zu jedem Zeitpunkt
unverrückbar auf seinem Standpunkt beharrt, oder wer geradlinig wie ein Tambourmajor durchs Leben marschiert, ist
eine Plage für seine Mitmenschen und ein Narr dazu. Aber
für wen nimmt Pepys in seinem Tagebuch eine bestimmte
Haltung an, und wie soll man diese Haltung charakterisieren? Hätte er das unzüchtige Buch einfach nicht erwähnt
oder hätte er es gekauft und sich dessen heimlich gefreut
und diese Freude dann im Tagebuch notiert, wir hätten ihn
nur zu gut verstanden. Aber nein, er ist ängstlich darauf bedacht, die »Schande« des Buchkaufs zu verbergen, und kann
es doch nicht lassen, die ganze Angelegenheit schwarz auf
weiß festzuhalten. Das Verhalten der Menschen ist widersprüchlich, was auch an einer anderen Stelle im Tagebuch
sehr deutlich wird.
22. April 1661: Umzug des Königs vom Tower nach Whitehall.
Mrs. Pepys hat ein Schreiben verfaßt, in dem sie ihre nur
allzu berechtigten Klagen über ihren Ehemann in klaren
Worten und in aller Schärfe zusammengefaßt hat. Pepys
gerät in Panik, entreißt es ihr brutal und vernichtet das verräterische Dokument, auf daß es ja niemand zu sehen
bekommt. Und dann – man traut seinen Augen nicht – landet die ganze Geschichte im Tagebuch, ungeschönt und mit
allen grausamen Details. Ganz offensichtlich ist ihm nichts
wichtiger, als seinen guten Ruf zu wahren, und doch hält er
sich ein Tagebuch, in dem er beweist, daß er diesen guten
Ruf kaum verdient. Das mag uns für einen Moment an die
selbstquälerische religiöse Bekenntnisliteratur der Zeit erinnern, aber doch nur für einen Moment. Pepys will durchaus nicht erbaulich sein, die Niederschrift seiner vielen
kleineren und größeren Sünden ist keine Form der Buße,
wenn er auch immer wieder seine Handlungen bereut – und
auch das muß gesagt sein: auf seine ehrliche Reue folgt
häufig eine deutliche Besserung. Nein, die Sünden der religiösen Bekenntnisliteraten folgen einem sehr gleichförmigen
Schema, und der Ton, in dem sie vorgetragen werden, ist
geflissentlich zerknirscht. Bei Peyps erleben wir vielmehr,
wie sich einer schlicht und ergreifend danebenbenimmt, in
seinem Blick sehen wir ein Funkeln, von dem wohl allein
Pepys nichts ahnt. Gesunde Wutausbrüche der triebhaften
Sorte, lächerliche Versuche, sich selbst etwas vorzumachen –
ein Verhalten, das nur allzugut nachvollziehbar ist und oft
unser Mitleid verdient.
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23. April 1661: Krönungszeremonie in Westminster-Abbey.
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Pepys war jugendlich für sein Alter, er eroberte seinen Platz
in der Welt erst allmählich, stieß sich die Hörner spät ab,
und er bewahrte sich etwas entschieden Jungenhaftes, noch
bis er fast vierzig war. Um den Geist, in dem das Tagebuch
geschrieben wurde, recht erfassen zu können, müssen wir
uns eine Gemütslage in Erinnerung rufen, die die meisten
von uns spätestens mit dem zwölften Lebensjahr abgelegt
haben. In unseren jungen Jahren haben wir sie noch
gekannt, diese Lust am bloßen Existieren. Wir ließen uns
hinreißen von den Ereignissen, ohne im mindesten an die
Folgen zu denken, die Erinnerung an vergangene Abenteuer
war unendlich rührend, und an die eigene Zukunft dachte
man mit begeisterter Neugier. Ich denke, Pepys hatte etwas
von einem solchen jungen Menschen. Er war nicht sentimental im landläufigen Sinne, aber sehr wohl, wenn es um
seine eigene Person ging. Er hing an seiner Vergangenheit,
bewahrte sie in seinem Herzen. Er war den Erinnerungen
hilflos ausgeliefert. Er konnte nicht an Islington vorbeifahren, wohin ihn sein Vater einst zu Gebäck und Bier
mitgenommen hatte, ohne im King’s Head einzukehren,
»dem alten Mr. Pitts zu Ehren«, der damals dort der Wirt war.
Er freute sich, wenn er eine Nacht in Epsom verbringen
konnte, um einmal wieder auf den alten Pfaden zu wandeln,
die er mit der jungen Mrs. Hely gewandelt war, denn »sie
war die erste Jungfer, für die ich Liebe und Zuneigung empfand, und ich suchte gern ihre Gesellschaft und nahm sie bei
der Hand, denn sie war sehr hübsch«. Er begibt sich nach
Woolwich, wo die »arme Assurance« geborgen werden soll,
und ergänzt in Klammern: »an die ich nur angenehme Erinnerungen habe; zweimal war ich bei Kapitän Holland an
Bord gewesen, in der Ostsee.« Er besichtigt die alte Naseby,
die inzwischen die Charles ist, und bekennt, »daß es eine
große Genugtuung war, das Schiff zu besichtigen, auf dem
mein Glück begonnen hatte«. Der Blasenstein, der ihm herausgeschnitten worden war, bewahrte er in einem Kästchen
auf, und den Turners bewies er zeitlebens für ihre Hilfeleistung in jenen schweren Tagen seine Dankbarkeit, indem er
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Tagebücher 1662
Sa m u e l Pe pys
Tagebücher 1663
sie zu einem jährlichen Fest- und Gedenkessen einlud, auch
noch, als er in die höheren Kreise aufgestiegen war. Weder
Hazlitt noch Rousseau hatten eine romantischere Beziehung
zu ihrer Vergangenheit, sie haben sie allenfalls mehr romantisiert. Und wenn Pepys mit beiden Autoren diese kindliche
Begeisterung teilte – teilte nicht ebenso Rousseau, der uns
seine Bekenntnisse hinterließ, wie Hazlitt, der sein Liber
Amoris mit überschäumender Liebe zum Detail schrieb, mit
Pepys das Selbstherrliche, den Egoismus? Denn beides
gehört zusammen, oder genauer: das erstere macht das letztere erst möglich oder genießbar.
Um Pepys wirklich gerecht zu werden, müssen wir uns noch
einmal in die Welt des Kindes versetzen. Ich weiß noch, daß
ich in mehr als einem Buch auf dem Vorsatzpapier notiert
habe, wann und wo ich es gelesen habe, oder ob ich vielleicht
gerade krank war und im Bett lag oder irgendwo im Garten
saß. Es war dies für mein späteres Ich gedacht. Ich dachte, es
wäre gewiß ergreifend, wenn ich dermaleinst auf diese Notizen stieß und mir über die Distanz der Jahre hinweg mein
altes Ich vergegenwärtigen würde. Wenn ich heute diese
Eintragungen sehe, bin ich leider kein bißchen ergriffen –
was beweist, daß ich irgend etwas in meinem Leben falsch
gemacht habe, oder ich bin einfach älter geworden, als
Samuel Pepys es je war. Denn im Tagebuch finden wir mehr
als einmal selbstherrlich kindliche Zeugnisse dieser Art,
etwa wenn er erklärt, daß seine Kerze zu erlöschen droht –
»weshalb ich dies so eilig hinsudele«. Oder die im Grunde
überflüssige Eintragung: »Nach Hause in mein Arbeitszimmer, wo ich nur die Ereignisse dieses Tages bis hierher aufschrieb – und dann wieder aus dem Haus.« Oder mehr im
Zusammenhang: »Ich blieb auf, bis der Nachtwächter mit
seiner Glocke unter meinem Fenster vorbeikam und gerade,
als ich diese Zeile schrieb, rief: ›Ein Uhr vorbei und es geht ein
kalter, frostiger Wind.‹« Solche Stellen sind unmißverständlich. Sie sind für die späteren Jahre gedacht. Samuel Pepys
möchte dem unbekannten Pepys der Zukunft zeigen, wer er
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war. Der spätere Pepys soll wissen, warum diese oder jene
Stelle hingesudelt wurde, soll sich an den Ruf des Nachtwächters erinnern (wir können uns vorstellen: mit einem
Seufzen), und an die Kälte an jenem Morgen. Es war sein
romantisches Ich, das diese Zeilen schrieb. Unser Mann, das
ist zu spüren, war dabei, Erinnerungen zu produzieren – um
eine Art Echoeffekt zu genießen, was wir alle zuweilen tun
(was manchem zum Trost dient, andere erst recht schwermütig macht). In diesem Sinn kann das ganze Buch als ein
Kunstwerk betrachtetwerden,dessenAdressatPepys selbst ist.
Dies ermöglicht uns, die Frage nach der Haltung zu beantworten, die Pepys in seinem Tagebuch annimmt, die rückhaltlose – um nicht zu sagen: naive – Offenheit, die dieses
Buch zu einem raren Wunderwerk macht. Nicht daß er seine
Fehler nicht gesehen hätte – ganz im Gegenteil, häufig
genug schämt er sich für sie in Grund und Boden, bessert
sich, legt Gelübde ab und bricht sie wieder. Aber ob er nun
etwas Gutes oder Schlechtes tat, es war doch stets sein unverwechselbares Ich, das diese Dinge tat; und es war dieses
faszinierende ego, über das zu schreiben ihn interessierte;
und auch nur, weil er sich des Lohns gewiß war, der ihn
erwartete, wenn dermaleinst die Rollen vertauscht wären
und der Schreiber lesen würde, was er geschrieben hatte.
Was immer er tat oder sagte oder dachte oder erlitt, es
war immer ein Aspekt seines Charakters, ein Teil seiner
Lebensgeschichte; und da wenigstens für ihn dieser Mann
interessanter war als ein Moses oder Alexander, mußte alles
sehr getreulich aufgezeichnet werden. Ich habe das Tagebuch ein Kunstwerk genannt. Nun, wenn ein Autor einen
Einfall hat – eine Bemerkung, eine Handlungsweise, die
exakt zu einem bestimmten Helden in einem Theaterstück
oder einem Roman paßt –, dann wird er diesen Einfall nicht
unterdrücken, auch wenn die Bemerkung für sich genommen töricht ist oder die Handlungsweise niederträchtig. Das
Zaudern Hamlets, die Grausamkeit Othellos, die Naivität
Emma Bovarys oder das Liederliche des Mr. Swiveller hatten für ihre Autoren durchaus nichts Unbefriedigendes, und
ebenso erging es Pepys mit seinem Helden. Er hat seine
Hauptfigur geliebt, wie ein Autor seine Hauptfigur zu lieben
pflegt, nicht blind, sondern mit besonderer Einsicht und
duldender Toleranz. Ich habe große Teile des Tagebuchs
immer und immer wieder gelesen, und die Stellen,
in denen der Autor sich seinem Gegenstand nicht vollständig gewachsen zeigt, sind, selbst wenn man überkritisch
ist, so gering an Zahl, daß sie zu nennen sich verbietet.
Man könnte wohl sagen, daß wir alle ein solches Tagebuch
schreiben, im Geiste, in unserem Kopf, aber ich fürchte,
es ist von etwas anderer Art. Ich fürchte, der Bericht, mit
dem wir uns täglich über unsere Erlebnisse und Taten
Rechenschaft ablegen, ist nur allzu häufig ein fragwürdiges
Gewebe aus Verklärung und Schönfärberei, und selbst wenn
Peyps naiv war und feige, wie man ihm nachgesagt hat, so
müssen wir wenigstens bekennen, daß wir ihm darin in
nichts nachstehen. Vor der nackten Wahrheit über uns selbst
schrecken wir alle zurück, und nur die Törichteren unter uns
wollen nicht glauben, daß es sie überhaupt gibt. Pepys hat
sie erkannt und schonungslos zu Papier gebracht.
Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Geist, mit dem Pepys
sein Tagebuch zu schreiben begann, unverändert blieb bis
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Sa m u e l Pe pys
Tagebücher 1664
The Navy Office.
The Royal Exchange.
The Coffee-House.
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Sa m u e l Pe pys
Tagebücher 1665
Am 31. August 1665 notiert Pepys:
»Allein in der City starben in dieser Woche 7’496 Menschen, darunter 6’102 durch die Pest.«
zum Schluß. Pepys war nicht dumm, irgendwann muß ihm
aufgegangen sein, was für ein ungewöhnliches Werk er dort
schuf. Er war ein großer Leser, er wußte, wie andere Bücher
aussahen. Ihm muß wenigsten zuweilen der Gedanke gekommen sein, daß jemand das Manuskript entziffern könnte
und er, Pepys, mit all seinen Freuden und Leiden wieder
zum Leben erweckt werden würde. Der Gedanke dürfte
ihm behagt haben. Aber da er nicht dumm war, war ihm auch
klar, daß er dort in seinem Schreibtisch hochexplosives
Material, Schießbaumwolle und Herkulespulver, verwahrte.
Hätte ein Zeitgenosse das Tagebuch entdeckt, Pepys’
gesellschaftlicher, politischer Untergang wäre besiegelt gewesen. Es gibt Indizien dafür, wie die Furcht vor der Entdeckung zunimmt. 1660, als das Tagebuch noch jung war,
zeigte er es ganz unbefangen einem Leutnant zur See, 1669
aber, als das Tagebuch fast an sein Ende gekommen war,
hätte er sich ohrfeigen mögen dafür, daß er es einem so vertrauenswürdigen Freund wie Sir William Coventry gegenüber nur erwähnte. Und es gibt Indizien, aus denen man
schlußfolgern kann, daß er den Gedanken an eine postume
Leserschaft wenigstens als Möglichkeit in Erwägung gezogen hat. Das wichtigste: Die Tagebücher wurden nicht vernichtet. Und die Tatsache, daß er sich so auffallend große
Mühe gab, die »unanständigen« Passagen zu verschlüsseln,
zeigt wohl zweifelsfrei, daß er noch an andere Leser dachte.
Während alle Welt ihn für seine »würdigen Taten« bewunderte, mochte er also, wer weiß, auf ein Stückchen Unsterblichkeit hoffen.
Ein freier Geist
Eines Sonntags im Winter, nachdem er ein Abführmittel
genommen hat, verbringt Pepys einen großen Teil des
Tages damit, ein Gedicht zu schreiben, »das Loblied eines
Freigeists (für den ich mich selbst halte) auf die Wissenschaften und alle Formen des Genusses«. Aus dem
Gedicht wurde nichts, doch das Tagebuch wurde im gewissen Sinne ebenjenes Loblied, das er ins Auge gefaßt hatte;
und sein Porträt von Hayls, das in der Ausgabe von Mynors
Bright so vorzüglich reproduziert wurde, illustriert genau
dies. Hayls verstand ganz offensichtlich sein Handwerk; und
selbst wenn er seinem Modell das Leben schwermacht und
Pepys so sitzen läßt, daß »viel Schatten« auf sein Gesicht
fällt, wobei dieser sich »fast den Hals verrenkt«, eingehüllt
in eine »indische Toga«, die eigens zu diesem Zweck
ausgeliehen wurde, so verzichtet der Maler doch sehr auf
vordergründige Effekte und konzentriert sich ganz auf den
Menschen. Ob wir nun das Bild mit Hilfe des Tagebuchs
oder das Tagebuch mit Hilfe des Bildes deuten, fest steht,
daß Hayls zu denjenigen Malern zählt, die lesen können,
was jemandem »ins Gesicht geschrieben« steht. Da wäre der
Schmollmund, die begehrlich feuchten Lippen; gierig sich
umsehende, große Augen, die auch Tränen vergießen können; eine markante Nase, sowohl vom Charakter wie von
den Dimensionen her; alles in allem eine sehr fleischliche,
fast weichliche Erscheinung. Das Gesicht wirkt anziehend,
weil es einem entgegenzukommen scheint. Ich habe das
Wort gierig verwendet, und der Leser soll nicht glauben,
er könne es durch das verwandte Wort hungrig ersetzen,
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denn dieser Blick hat nichts Sehnsüchtiges, in die Ferne
Gerichtetes, sondern genießt mit animalischer Lust, was mit
Händen greifbar ist. Es ist dies durchaus nicht das Gesicht
eines Künstlers, sondern das des Bonvivant – freundlich,
zufrieden mit sich und anderen, und diese Zufriedenheit
setzt er nicht durch Exzesse aufs Spiel, sondern bewahrt sie
sich durch fortwährenden Wechsel der Genüsse. Nur ein
einzelnes Begehren kann eigentlich ein Laster genannt werden; Abwechslung hingegen ist gesund – das eine Verlangen
gleicht das andere aus und hält es im Zaum.
Die ganze Welt, Stadt wie Land, war für Pepys ein Lustgarten. Wohin er auch ging – die größten Erwartungen
beflügelten seine Schritte; was er auch tat – er tat es mit der
lebhaftesten Begeisterung. Eine unersättliche Neugier auf
das große Welttheater und die Geheimnisse aller Wissensgebiete erfüllte ihn und trieb ihn zu Reisen und vielfältigen
Studien an. Er träumte zeitlebens von Rom; nichts machte
ihn glücklicher, als über die Ewige Stadt zu lesen oder von
ihr reden zu hören. Als er in Holland ist, ist er »begierig, alles
Sehenswerte zu sehen«. Er trifft sich in einem Schloßpark
in der Nähe von Den Haag mit Mitreisenden, und er kann
seine Begeisterung kaum in Worte fassen, »und das um so
mehr, da wir uns an einem so herrlichen Ort und in einem
fremden Land befanden, so daß ich von einem Wohlgefühl
ergriffen wurde, wie ich es noch nie erlebt habe«. Er rannte
stets zu allen berühmten Hinrichtungen. Er mußte unbedingt die Leiche des Ermordeten sehen, und der Anblick
der klaffenden Wunde machte, daß ihm noch bei der
Niederschrift, wie er sagt, die Hand zitterte. Er nahm
Tanzunterricht und vermerkt, daß »alle sagen, ich hätte das
Zeug zu einem guten Tänzer«. Er nahm Gesangsunterricht,
spazierte über die Gray’s-Inn-Promenade und versuchte
»die ganze Zeit, einen trillo zu singen (was zu meinen
Gesangsübungen gehört), und ich habe das Gefühl, daß es
schon besser geht«. Er lernte, Laute zu spielen, Blockflöte,
Flageolett und Theorbe, und es war nicht mangelndes
Interesse, was ihn davon abhielt, auch noch ein Tasteninstrument zu erlernen. Er lernt Arien zu komponieren, und
sein Kopf »ist ganz voll davon, eine Theorie der Musik zu
entwerfen, wie sie noch nie versucht worden ist«. Als er
einen Musikanten hört, der »ganz ausgezeichnet« pfeifen
kann, »wie ein Vogel«, beschließt er, wiederzukommen und
ihm ein Goldstück zu geben, damit er ihm die Kunst beibrächte. Einmal schreibt er: »Ich segelte mit der Bezan
zurück und gelangte bei kräftigem Wind und günstiger Strömung bis zur Reede von Hope. Lernte unterwegs, was die
Seemänner aussingen, wenn sie die Wassertiefe loten, sehr
zu meiner Zufriedenheit.« Wenn er merkte, daß sein Latein
einer Auffrischung bedürfe, nahm er sich wieder seine
Grammatik aus der Schulzeit vor. Er war Mitglied der RotaGesellschaft (James Harringtons politischem Debattierklub) bis zu dessen Auflösung sowie der Akademie der
Wissenschaften, der »Royal Society«, noch bevor sie diesen
Namen erhielt. Als er in Barn Elms spazierengeht, liest er in
einem Buch über Hydrostatik von Robert Boyle, zu seiner
»großen Zufriedenheit«. Er vergleicht Bibelkonkordanzen
miteinander, bekrittelt Predigten, ist vertraut mit Descartes
ebenso wie mit Aristoteles. Er beschäftigt sich in ein und
demselben Jahr mit den verschiedenen Holzarten und der
Vermessung von Bauholz, den verschiedenen Arten von
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Tagebücher 1666
Panorama von London vor dem grossen Feuer.
Und so erlebt Pepys am 2. September 1666 den Ausbruch des Feuers:
»Gegen drei Uhr früh weckte uns Jane und berichtete, in der City sei ein grosses Feuer zu sehen.«
Panorama von London nach dem grossen Feuer.
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Tagebücher 1667
Blick auf die zugefrorene Themse von Abraham Hondius, 1667.
Am 12. Juni 1667 schreibt Pepys in sein Tagebuch:
»Die Holländer haben die Sperrkette durchbrochen und unsere grossen Schiffe
in Brand gesetzt (darunter auch die ›Royal Charles‹) … Ich fürchte inzwischen,
dass das ganze Königreich verloren ist.«
Teer, Öl, Hanf und mit der Herstellung von Tauwerk, mit
Mathematik und Buchführung, mit dem Linienschnitt des
Schiffkörpers und der Takelung anhand eines Schiffmodells
und macht sich kundig über die Verwaltung der Magazine
auf den Werften, und zwar – wie sollte es anders sein –
»sehr zu meiner Zufriedenheit«. Dies waren gewiß andere
Vorlieben, als ein Shelley sie hegte, aber sie waren damit
nicht weniger erfüllend. Er braucht nur etwas zu kopieren,
und schon – hört ihn euch an! – bereitet es ihm »großes
Vergnügen, die Linien zu ziehen und die Überschriften mit
roter Tinte zu schreiben«. Selbst wenn sein Kohlenkeller
geleert und geputzt wird, geschieht dies – natürlich – »sehr
zu meiner Zufriedenheit«. Ein Gericht aus Schweineinnereien ist ein Gericht, das er »sehr liebt«. Er kann nicht
in der Kutsche von Lord Sandwich nach Hause fahren, ohne
das »noble, prächtige« Gefährt zu loben. Wenn er zu einem
Festessen eingeladen wird, malt er sich bereits im vorhinein
die zahlreichen Köstlichkeiten aus. Als er eine neue Uhr hat,
ruft er aus: »Himmel, wie kindisch ich bin, daß ich den
ganzen Nachmittag in der Kutsche die Uhr in der Hand
halten und wohl hundertmal nachsehen mußte, wie spät es
war.« Im Park von Vauxhall spazierenzugehen, die Nachtigallen und andere Vögel zu hören, oder hier eine Harfe
und dort eine Maultrommel, und die vornehmen Leute
zu sehen, all dies ist »ein großes Vergnügen«. Und vor allem
die Nachtigallen haben es ihm angetan; auch auf dem Weg
nach Woolwich macht er halt, um ihnen, sehr zu seiner
Zufriedenheit, zuzuhören, während ringsum die Aprilnebel
aufsteigen und die Sonne durchbricht.
Er mußte stets etwas »zu seiner Zufriedenheit« tun, oder
besser noch: zwei Dinge zur gleichen Zeit. Er hatte in
seinem Haus eine große Werkzeugkiste, zwei Hunde, einen
Adler, einen Kanarienvogel, eine Amsel, die Melodien singen konnte – auf daß in seinem erfüllten Tagesablauf nur ja
kein Moment der Leere eintrete. Wenn er einmal auf sein
Essen, eine Portion Verlorene Eier, warten muß, nutzt er
die Zeit, um Flageolett zu spielen; wenn die Predigt öde ist,
liest er im Buch Tobit oder überlegt, wie er sich der schönen
Frau in der Bank nebenan nähern könne. Wenn er über Land
ging, hatte er stets ein Buch dabei, um unterwegs zu lesen,
für den Fall, daß die Nachtigallen nicht zur Stelle wären.
Selbst in der Stadt, wo es so vielen schönen Gesichtern
nachzusehen galt, markierten Weinkäufe hier und Bilderkäufe dort seinen Weg – Kennzeichen eines Lebens, das
keine Langeweile duldet. Was den Genuß anging, war er
Idealist; wie die Prinzessin im Märchen bemerkte er sofort,
wenn irgendwo ein Rosenblatt nicht an seinem Ort war.
Sosehr er es liebte, sich zu unterhalten, er konnte es nicht
genießen oder gar vor anderen glänzen, wenn er das Gefühl
hatte, unpassend gekleidet zu sein. Sosehr er das Essen
liebte, er konnte nicht allein essen, weil er dies »nicht
gewohnt« war. Der Rahmen mußte stimmen; Auge und Ohr
mußten ebenso auf ihre Kosten kommen wie der Gaumen.
Ein gutes Essen wollte ihm nicht recht schmecken, wenn
es in einer »schäbigen Gasse« im »Haus eines Perückenmachers« serviert wurde; und selbst ein einfacher Imbiß
wurde verdorben durch schlechte Musik. Sein Körper war
unverwüstlich und leistete ihm treue Dienste auf seiner
unermüdlichen Freudenjagd. Am 11. April 1662 vermerkt
er: »War sehr erschöpft, als ich zu Bett ging, was mir selten
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passiert«; und er war bereits über dreißig, als er frohgemut
die Nacht durchmachte, um einen Kometen zu beobachten.
Der Genuß kann den Genußsuchenden nicht ermüden;
bei der Freudenjagd gilt wie in anderen Disziplinen auch:
nur der Fehlschlag schmerzt.
Eine Uhr konnte ihn ebenso begeistern wie eine Kutsche,
ein Kuttelngericht oder eine Geigenweise; doch am meisten
bewunderte er seine Mitmenschen, ihre Schönheit, ihre
Verdienste, ihre Lebensfreude oder sei es auch nur ihre
pittoreske Erscheinung. Er erweist sich hier als wahrer
Humanist. Denn wer sich selbst liebt, nicht in eitler Selbstgefälligkeit, sondern mit klarem Verstand, ist besser geeignet als jeder andere, seinen Nächsten zu lieben. In diesem
Sinne kann man sehr wohl davon sprechen, daß Wohltätigkeit in den eigenen vier Wänden beginnt. Ganz gleich,
welchen Vorzug ein Mensch auch hat, Pepys kann ihn dafür
lieben und bewundern. Er »verschlingt« Lady Castlemaine
»förmlich mit Blicken«; und er ist in der Tat in ihren Anblick
über Jahre hinweg ganz vernarrt; wenn eine Frau gut
aussieht und nicht geschminkt ist, läuft er meilenweit, nur
um sie ein zweites Mal zu sehen; und als eine Dame ihn im
Theater versehentlich anspuckt, ist er doch sogleich versöhnt, als er bemerkt, daß sie sehr schön ist. Auf der anderen
Seite ist er gerührt vom Anblick der knienden jungen Mrs.
Pett; und über seine Tante James äußerte er sich so: »eine
liebe, gute, gottesfürchtige Seele, die von nichts anderem
spricht als vom lieben Gott, aber mit einem treuen Biedersinn, der mir wohl gefiel.« Er läßt sich anstecken von Penns
Ausgelassenheit und seinen schmutzigen Liedern, aber er
bewundert nicht minder den verdienten Mr. Coventry. Er ist
lustig mit einem betrunkenen Seemann, aber hört aufmerksam und geduldig zu, als ihm bei einem Ritt nach Essex ein
Quäker die Geschichte seiner religiösen Bekehrung erzählt.
Er leiht der Rede von Königen und Herzögen sein kritisches
Ohr. Er verbringt einen Abend im Garten von Vauxhall
zusammen mit Killigrew und Newport: »In eine schöne
Gesellschaft war ich da geraten«, schreibt er, »obwohl sie
gleichzeitig sehr geistreich und witzig waren und es sich
lohnt, sie einmal erlebt zu haben, um zu wissen, was sie
reden und treiben.«
Was soll man von einem Stil sagen, der sechs dicke Bände
lang unendlich lebendig, beredt und bilderreich ist, der das
ganzen Spektrum menschlicher Erfahrungen zum Gegenstand
hat und kaum eine ermüdende Passage kennt, der sich in die
unglaublichsten Details verliert, und doch ist alles getragen
vom großen Fluß echter Narration – man kann seinen Stil
ungrammatisch nennen, man kann ihn unelegant nennen,
man mag ihm Fehler nachweisen, aber die erzählerischen
Qualitäten kann man ihm nicht absprechen. Er erfüllt
seinen Zweck, den eigentlichen Sinn und Zweck des Erzählens, und dies vollkommen. Mag die Form, in der Pepys sich
äußert, auch kindlich ungeschickt sein, der Stoff wird doch
zu Poesie, weil er ihn sich anverwandelt, durch seinen unverstellten Blick, seine ungetrübte Begeisterung. Die Begeisterung, die aus dem Mann spricht, entzündet uns noch
heute, nach all den Jahren. Denn der eigentliche Unterschied zwischen Pepys und Shelley, um den etwas unseriösen Vergleich von oben noch einmal aufzugreifen, ist ein
qualitativer, kein gradueller; in seiner Welt fühlte Pepys
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Tagebücher 1668/69
nicht weniger kühn als Shelley, und seine Welt ist die wahre
Prosa der Poesie – Prosa, weil sein Geist ganz diesseitig und
begrenzt war, und Poesie, weil der Mann so hinreißend
lebendig war. Deshalb ist eine Passage wie die mit dem
Schäfer in Epsom für den Leser so restlos überzeugend und
ein reines Vergnügen. Man fühlt: So und nicht anders war es;
und man würde daran ebensowenig etwas ändern wollen
wie an einem erhabenen Passus bei Shakespeare, einer
schlichten Pointe bei Bunyan oder an einer teuren Erinnerung aus unserer eigenen Vergangenheit.
Er war so sehr Künstler, wie man es nur sein konnte, ohne
einer zu sein.
Der gute Ruf
Die Sorge um das Ansehen saß tief. Ein Ideal von Wahrheit
kannte er nur im Tagebuch. Ihn interessiert nicht, was etwas
an sich sei, ihn interessierte die äußere Erscheinung; er gibt
vor, ein großes Erbe gemacht zu haben, dabei hat er sich im
wesentlichen einen lästigen Rechtsstreit aufgehalst; er freut
sich, wenn man ihn für großzügig hält, obwohl er weiß,
daß er kleinlich gehandelt hat. Er protzt, aber in Maßen. Ihn
hätte man nie für einen Stutzer halten können wie den jungen Penn; wenn er sich in Schale schmiß, dann stets seinem
Rang und seiner Würde gemäß. Lange Zeit zögerte er, bis
er sich zum Kauf der berühmten Perücke entschloß. Denn
ein Mann der Öffentlichkeit folgt der Mode gemessenen
Schritts, eilte ihr nicht voraus wie ein Geck (und hinkt ihr
nicht hinterher wie ein Provinzler) – es war das oberste
Gebot des Zeitalters. Lange Zeit wagte er es nicht, eine
Kutsche anzuschaffen, denn es wäre in seiner Position unschicklich gewesen. Doch die Zeiten ändern sich; während
sein Vermögen wächst, bekommt das, was unschicklich ist,
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ein anderes Gesicht, und es ist ihm »fast peinlich, in einer
Mietkutsche gesehen zu werden«. An einer Stelle überlegt
er, ob Penn Quäker geworden sei »oder einfach nur schwermütig« – die Anhänger des Schicklichen und der gesellschaftlichen Verpflichtungen werden von diesen Dingen
nicht losgelassen, sie verfolgen sie; und der Weg, der sich
zunächst als Rosenpfad zum Glück dargestellt hat, erweist
sich als steil und dornig wie jeder andere Weg auch. Und es
kommt die Zeit für Pepys, wie für alle anständigen Bürger,
wo er nicht nur seine Vergnügungen, sondern auch sein
Rechtsempfinden den gesellschaftlichen Gepflogenheiten
anpassen muß. Als Steuern erhoben werden sollen, sinnen
die Beamten auf Mittel und Wege, die Vermögenssteuer zu
umgehen. Die Ungerechtigkeit stößt Pepys auf, in einer
Anwandlung von Großmut beschließt er, freiwillig sein Vermögen mit 1000 Pfund anzugeben; doch da niemand ihm
mit leuchtendem Beispiel vorangehen will, keiner »unserer
wohlhabendsten Kaufleute« mit ihrer natürlichen Vorliebe
für weiße Westen, befindet er, es sei »nicht angebracht«; er
fürchtet, es könne ihm als »Ehrsucht« ausgelegt werden,
und ist, statt ein ehrlicher Einzelgänger, lieber ein Dieb
unter vielen.
Krethi und Plethi und Mummenschanz, Wein, Weib und
Gesang werden seine ständigen Begleiter; Schauspieler und
Schauspielerinnen, betrunkene, grölende Höflinge finden
sich an seiner Seite; bis er sich so sehr an dieses Leben
gewöhnt hat, daß der große Ehekrach von 1668 ihn völlig
unvorbereitet trifft.
Es mußte so kommen; er hatte es sich selbst eingebrockt.
Wie einer, der sein halbes Leben lang neben einem Pulverfaß arglos seine Pfeife raucht und sich wundert, wenn er
eines Tages eine Katastrophe auslöst, so erging es dem arglosen Pepys mit seinen vielen kleinen und größeren Sünden.
Eben noch umgeht er mit schlafwandlerischer Sicherheit
alle Fallen, die das Doppelleben bereithält, summt den
trillo und denkt an nichts Böses, und im nächsten Moment
nimmt ihm das Schicksal das Heft aus der Hand und führt
ihm schlagartig vor Augen, was er angerichtet hat. Die Entdeckung seines Ehebruchs – für jemanden wie Pepys,
der seine Frau doch liebt, nach all den Jahren und trotz allen
Aufs und Abs nach wie vor liebt, und der, nicht zu vergessen,
so sehr auf den guten Ruf bedacht ist – für jemanden wie ihn
mußte dies ein verheerender Schlag sein. Die Tränen, die er
vergoß, sind nicht zu ermessen, und die Schmach, die er
empfand. Und Mrs. Pepys, eine einfache Frau, die jetzt mit
vollem Recht außer sich ist vor Wut, unternahm nicht das
geringste, diese Schmach zu mindern. Sie wird handgreiflich, rückt ihm mit der Feuerzange zu Leibe; sie schert sich
keinen Deut um seinen guten Ruf; sie zwingt ihn, seiner
Geliebten einen beleidigenden Brief zu schreiben, nachdem
sie ihn bereits gezwungen hat, sie aufzugeben. Sie war in
ihrem Reden und Tun hoffnungslos inkonsequent, und das
war vielleicht das schlimmste; bald ist sie auf Versöhnung
aus, dann bricht mit unverminderter Kraft die alte Wut
wieder aus. Pepys hat es seiner Frau nicht leichtgemacht;
er hat sie mit seiner Eifersucht verfolgt, als er ihr bereits
untreu war; er war knauserig, wenn es um ihre Kleider und
Vergnügungen ging, und gönnte sich selbst beides im Übermaß. Er hat sie verletzt, nicht nur mit Worten; einmal trägt
sie ein blaues Auge davon. Aber jetzt, wo er sich schuldig
weiß, kennt seine aufrichtige Zuneigung zu seiner Frau,
seine Geduld und Nachsicht, keine Grenzen. Solange man
ihm noch nicht auf die Schliche gekommen war, war seine
Reue nie besonders groß, ein Theaterbesuch mit seiner
Frau, eine Fahrt mit ihr über Land, ein neues Kleid reichten
aus, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Doch jetzt,
wo alles herausgekommen ist, scheint er vor sich selbst jede
Achtung verloren zu haben. Seine Frau kann mit ihm tun
und machen, was sie will; er mag jammern und zagen, aber
nie äußert er auch nur den leisesten Vorwurf; er ist völlig
wehrlos, ihm bleiben nur seine Tränen und eine Demut,
die an Unterwürfigkeit grenzt. Ich glaube, daß wir ihn lieben,
gerade weil er so war, wie er war.
In all diesen Jahren hütete er das Tagebuch, das Geheimnis
seines Lebens mit all seinen Widersprüchen und Eskapaden, wie ein Heiligtum. Wir können also davon ausgehen,
daß er den so teuren Erinnerungen seiner frühen Jahre bis
zum Schluß die Treue gehalten hat. Er gedachte noch
immer der jungen Mrs. Hely in den Wäldern von Epsom,
und er kehrte wieder ein ins Wirtshaus in Islington, um das
Glas auf die Toten zu erheben, und wenn er die Musik hörte,
die ihn damals so in Verzückung versetzte, wird ihn die
Erinnerung an die Liebe ergriffen haben, die ihn einst mit
seiner Frau verband.
Erstmals aus dem Englischen von Heiko Arntz.
Die vollständige Fassung mit Anmerkungen folgt im
»Samuel Pepys Companion«.
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Companion
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Peeps,
Peppies
oder
Pipes
Artikulationsschwierigkeiten
»Übrigens glaube ich, daß die Peeps- oder
Peppies- oder Pipes-Tagebücher heute viel populärer wären, wenn es eine allgemein verbindliche
Aussprache seines Namens gäbe. Wie häufig
hatte ich nicht in einer vornehmen Abendgesellschaft das Bedürfnis, über die Tagebücher
zu sprechen, aber ich war mir nie sicher, wie der
Name richtig auszusprechen sei. Wenn man zum
Beispiel »Peeps« sagte, dann würde die Dame
zur Linken unweigerlich bemerken: »Pardon, Sie
meinen gewiß Pipes?« Und der Herr zur Rechten
würde sagen: »Verzeihung, aber Sie irren beide.
Es heißt Peppies.« Wenn Peeps, Pipes oder
Peppies klug gewesen wäre, hätte er sich einen
Namen wie Joe Blow zugelegt, und jeder Schuljunge in Amerika würde heute seine Tagebücher
lesen, statt auf der Straße herumzulungern
und Radkappen zu klauen.«
Groucho Marx
Die Unsicherheit, wie der Name Pepys auszusprechen sei, herrschte bereits unter den Zeitgenossen im 17. Jahrhundert, und entsprechend
variantenreich fiel die Schreibweise aus. Das
Taufregister notiert: „Samuell sonn to John
Peapis wyef Margaret“, und im Hochzeitsregister zweiundzwanzig Jahre später findet sich:
„Samuel Peps of the perish (gent).“ Als Beamter
im Flottenamt erhält er Schreiben, die an „Squire
Peaps“ gerichtet sind, und James Carkesse,
Pepys’ alter Feind aus dem Jahr 1667, rächt sich
dreizehn Jahre später an seinem ehemaligen
Vorgesetzten mit einem Spottgedicht und reimt:
„Him I must praise, who opened has my lips /
Sent me from Navy to the Ark by Pepys.“ Im
Sterberegister findet sich schließlich die Variante
„Peyps“, und für Lord Braybrooke, den Herausgeber der ersten Ausgabe der Tagebücher
(1825), stand fest, daß diese Schreibweise die
genaue Aussprache wiedergebe.
Um es gleich vorwegzunehmen – die heute allgemein verbindliche (und verbindlich heißt: vom
Magdalene College in Cambridge gepflegte)
Aussprache ist: „Peeps“ (oder in deutscher
Schreibweise: „Pieps“). Aber mit welcher
Begründung?
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Ein entscheidender Hinweis auf die Aussprache
findet sich im Tagebuch selbst. Das ist bekanntlich in Kurzschrift verfaßt, aber Namen pflegte
Pepys für gewöhnlich in Langschrift auszuschreiben, so auch den seinen. Doch an zwei
Stellen, am 27. Juli 1665 und 7. Oktober 1667,
macht er sich diese Mühe nicht und notiert bei
Erwähnung zweier entfernter Vettern das entsprechende Kurzschriftsymbol. Beide Male liest
es sich als „P-e-p-s“.
Das ist interpretationsbedürftig. Die von Pepys
verwendete Kurzschrift von Thomas Shelton verwendet, vereinfacht gesagt, vor allem Symbole
für Konsonanten. Die Vokale ergeben sich durch
die unterschiedliche Positionierung der Konsonanten-Symbole oder durch Punkte, die über,
unter oder neben das Konsonanten-Symbol
gesetzt werden. Die Vokale a, e, i, o, u müssen
dabei sowohl für lange, wie für kurze Vokale als
auch für Diphtonge herhalten. So daß ein in
Kurzschrift geschriebenes b-o-t sowohl „bott“
als auch „bout“, „boat“, „bought“ und „boot“
bedeuten kann. Entsprechend kann das Zeichen
für P-e-p-s gedeutet werden als (englische
Schreibweise:) „Peeps“, „Pepps“ oder „Payps“.
Eindeutig ist immerhin, daß Samuel Pepys seinen
Nachnamen einsilbig ausgesprochen hat.
Zwischen diesen Varianten herrscht nur eine
scheinbare Konkurrenz. Dazu muß man wissen,
daß es Ende des 17. Jahrhunderts in England zu
einer lautlichen Verschiebung des „ey“-Lauts
zum „ee“-Laut kam. Die Schreibweise „ea“
repräsentiert bis dahin den „ey“/(„äi“)-Laut,
heute hingegen den „ee“/(„ie“)-Laut wie in
„heap“, „leap“ usw. Nur wenige „ea“-Wörter
haben die alte Aussprache bewahrt. Dazu
zählen etwa „great“ und „break“. In Samuel
Butlers satirischem Versroman „Hudibras“ (um
den sich Samuel Pepys in den Jahren 1662 und
’63 so redlich bemüht) findet sich folgendes
Reimpaar:
Samuel Pepys Magazin
Impressum
Das Samuel Pepys Magazin erscheint
als Werbemittel zu
Samuel Pepys
Die Tagebücher 1660 – 1669
Berliner Ausgabe.
Umschlag Magazin – Ausgabe Nummer 1:
Samuel Pepys von John Hayls, 1666.
Umschlagbilder der Bücher & Vignetten
von Jonathan Wolstenholme, 2009.
Texte & Redaktion:
Heiko Arntz, Gerd Haffmans
& Till Tolkemitt.
Konzeption & Gestaltung:
Werbeagentur Edelweiss & Reingold
in Winterthur.
Lithos: Fotosatz Amann, Aichstetten.
Druck: Memminger MedienCentrum.
Das nächste Magazin
erscheint im April / Mai 2010:
im Inhalt eine ausführliche Chronik, die
Entschlüsselung des erotischen Vokabulars,
Karten, Schauplätze & ein Besuch in der
ibliotheca. epysiana.
Doubtless the pleasure is as great
In being cheated as to cheat.
In Alexander Popes The Rape of the Lock reimt
sich noch tea auf obey (und noch im 18. Jahrhundert bei William Cowper sea auf survey),
und in Irland hat sich die alte Aussprache ohnehin erhalten: he gave him a nate bating (a neat
beating). So daß sich ergibt: Die korrekte, aber
altertümliche Aussprache dürfte Peyps („Päips“)
sein.
Für den modernen Menschen des frühen
18. Jahrhunderts, der seinen „täi“ (tea) nicht
mehr auf “ßäi“ (sea) trinkt, sondern seinen
„tie“ auf „ßie“, ergibt sich die Aussprache
„Peeps“ („Pieps“).
H. A.
Verlage Haffmans & Tolkemitt
Alexanderstraße 7 · D-10178 Berlin
Telefon 030 / 200 95 366 · Fax 030 / 200 95 368
www.haffmans-tolkemitt.de
»Sein Selbstporträt ist unvergleichlich, sein London unvergeßlich. Ohne Pepys wüßten wir wesentlich weniger über das spannendste Jahrhundert unserer Geschichte, das 17.,
und auch entschieden weniger über die Natur des Menschen. Sein Tagebuch ist das größte, das je geschrieben wurde.« Claire Tomalin, The Guardian, 10.1.2010
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Tagebücher 1663
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Tagebücher 1665
Tagebücher 1666
Tagebücher 1667
Tagebücher 1668 /69
Companion
Am 24. August 2010 erscheint:
Sa m u e l Pe pys
Die Tagebücher 1660 – 1669.
Vollständige Ausgabe zum ersten Mal vollständig auf deutsch in 9 Bänden.
Aus dem Englischen übersetzt von Georg Deggerich, Michael Haupt, Arnd Kösling,
Hans-Christian Oeser, Martin Richter und Marcus Weigelt.
Nach der Latham-&-Matthews-Edition mit Anmerkungen und Karten eingerichtet und
lektoriert von Heiko Arntz.
Dazu ein
Samuel Pepys Companion
mit dem grundlegenden Aufsatz von Robert Louis Stevenson,
mit Stammbaum, Entschlüsselung des erotischen Vokabulars, Chronik, ausführlichem Personenverzeichnis
und Materialien in Wort und Bild, herausgegeben von Heiko Arntz & Gerd Haffmans.
9 schöne Leinen-Bände und 1 Companion als Broschur.
Mit eigens gefertigten Umschlagbildern von Jonathan Wolstenholme.
Einladung zur Pepyskription:
Wer bis zum 21. Juni 2010 bestellt (und gleich bezahlt) wird doppelt belohnt.
Sie sparen nicht nur ein Viertel des Preises und zahlen nur 129,90 € statt 169,90 €, sondern werden auch
als mutige Unterstützerin oder Unterstützer der ersten Gesamtedition im Pepys Companion namentlich verzeichnet.
Verschenken läßt sich die Namensnennung natürlich auch.
Wer nach dem 21. Juni bestellt, kann leider aus drucktechnischen Gründen bei der Namensnennung nicht mehr berücksichtigt werden. Der Pepyskriptionspreis von nur 129,90 € statt 169,90 € läuft mit Auslieferung der Tagebücher ab.
4’416 Seiten, 9 Bände Tagebuch, in Leinen gebunden, im Format 12 x19 cm; mit einem Companion, 128 Seiten, Broschur.
Subskriptionspreis bis zum 24. August 129,90 € statt 169,90 €.
Bestell-Nummer 250 011
Deutsche Erstausgabe im Haffmans Verlag
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Darmstadt, Dortmund, Dresden, 2 x in Düsseldorf, in Duisburg, Erfurt, Essen, Frankfurt am Main, Freiburg, Göttingen, Gütersloh, 2 x in Hamburg,
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