Die Hallesche Störung - Zeit

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Die Hallesche Störung - Zeit
Udo Grashoff
Die
Hallesche
Störung
Hasenverlag
EDITION
Band 1
Dr. Udo Grashoff:
Die Hallesche Störung.
Das Buch zur gleichnamigen Ausstellung zum Stadtjubiläum
1200 Jahre Halle
hrsg. vom Zeit-Geschichte(n) e.V. – Verein für erlebte
Geschichte
Halle (Saale), Hasenverlag, 2008.
EDITION Zeitgeschichte(n), Band 1
www.zeit-geschichten.de
Gestaltung: Steffi Kaiser
Druck: Druckwerk
Christophe Hahn & Martin Paul GbR, Halle/S.
Titelfoto: Stadtarchiv
Besonderer Dank an alle, die Fotos und Informationen
zur Verfügung gestellt haben:
Ralf Jacob (Leiter Stadtarchiv) und seine Mitarbeiter,
Bernd Quilitzsch (MZ-Archiv) und Mitarbeiter,
Prof. Werner Freitag, Prof. Hans-Joachim Kertscher,
Dr. Uta Monecke, Dr. Andreas Schmidt, Wiebke Janssen,
Frank Lausch, Wolfgang Seilkopf, Tobias Barth,
Simone Trieder,
Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten die
Rechtsinhaber der Fotos nicht in allen Fällen ermittelt
werden.
Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen
Nachdrucks, der fotomechanischen und elektronischen
Wiedergabe.
Hasenverlag
Gabelsberger Str. 5 in D-06114 Halle (Saale)
Internet-FAX +49 (012126) 88 555 888
Mobil +49(0170) 85 277 95
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www.hasenverlag.de
ISBN 978-3-939468-27-1
12,80 € (D)
Inhalt
5
Der geologische Gründungsmythos der Stadt
8
Das alte Halle
10
Hallesche Störungen:
Legenden und Wirklichkeit im Mittelalter
13
Hallesche Störer (Mittelalter)
15
Kleine Chronik des halleschen Stadtwappens
16
Halle im Umbruch (um 1500)
22
Auch das noch. Eine hallesche Chronik
24
Halle im Umbruch (um 1680)
26
Hallesche Störer (18. Jahrhundert)
29
Kleine Chronik der halleschen Straßenbeleuchtung
30
Hallesche Störer (um 1800)
33
Trotz alledem. Halle nach 1806
35
Hallesche Störer (Vormärz)
38
Halle im Aufbruch (Gründerzeit)
40
Hallesche Originale
42
Hallesche Störungen (Weimarer Republik)
44
Die hallesche Störung ergreift die Massen
46
Kleine Chronik der halleschen Luft
48
Hallesche Störungen (Nachkriegszeit)
51
Aufbegehren (1947-1990)
57
Halle – ein raues Pflaster?
Kleine Chronik des halleschen Pflasters
58
Der „Charme“ der Hallenser
62
Hallesche Störer (20. Jahrhundert)
66
Kleine Chronik des halleschen Eierwurfs
67
Halle im Umbruch (nach 1990)
69
Es hätte schlimmer kommen können
72
Die Störung der Störung
74
Anhang
Der geologische Gründungsmythos
der Stadt
Halle ist gestört. Und das ist gut so, denn ohne diese
Störung würde es die Stadt vielleicht gar nicht geben.
Oder zumindest hieße sie nicht Halle. Und aussehen
würde sie auch ganz anders. So wie Leipzig etwa oder
Berlin oder eine ähnlich platte Stadt. Doch Halle hat
seine ganz spezielle Störung.1
Angefangen hat die Geschichte gegen Ende der
Kreidezeit, vor etwa 65 Millionen Jahren, als sich eine
Erdscholle allmählich über die andere hob. Diese von
den Geologen als „Halle-Störung“ bezeichnete
Bruchstelle läuft quer über den Markt.
Der Störung verdankt Halle seine frühe Existenz als
Stadt des Salzes, denn dadurch entstanden die
Salzquellen, die der Stadt bereits im Mittelalter eine
bedeutende Stellung einbrachten – damals war Halle etwa 200 Jahre lang Mitglied im Städtebund der
Hanse.
Schaut man sich ein bisschen um in der Weltgeschichte, so findet man auch andere Orte, die ihre besondere Bedeutung unterirdischen Brüchen verdanken.
Zum Beispiel Delphi. An der antiken Orakelstätte sollen, neuesten Forschungen zufolge, einst ansehnliche
Schwaden von Methan- und Ethangasen aus der
Erde aufgestiegen sein, was den Rausch der Priesterinnen befördert haben soll. Im Jahr 362 fand dort das
letzte Orakel statt, etwa zur gleichen Zeit soll die
dampfende Erdspalte versiegt sein.2
Zurück nach Halle. Hier kann so ein eindeutiger Endpunkt der Störung nicht konstatiert werden. Schilderungen wie die des halleschen Künstlers Klaus Völker,
welcher berichtet, stets Widerstände zu spüren bei
dem Versuch, von einer Seite des Marktplatzes auf die
andere zu kommen (und damit die hallesche Störung
Geologisches Blockbild der Stadt Halle.
Quelle: Landesamt für Geologie und Bergwesen SachsenAnhalt
zu überwinden), gaben und geben uns, den Initiatoren der Ausstellung zur „Halleschen Störung“ (Heidi
Bohley und Udo Grashoff), zu denken.
5
Einmarsch von Soldaten zum Gottesdienst in die Marktkirche
(ca. 1871). Foto: Stadtarchiv
Radpanne beim Stadtjubiläum 1961. Foto: Stadtarchiv
Der barocke Seitenflügel des Rathauses war 1945 von den
Bomben verschont geblieben, und wurde erst 1950
abgerissen. Foto: Stadtarchiv
Nach der Wohnungssanierung in den 1990er-Jahren wurde
es in manchen halleschen Badezimmern recht eng.
Foto: MZ-Archiv
6
Der Verdacht, dass die Hallesche Störung bis in die
jüngere Vergangenheit die Geschicke der Saalestadt
beeinflusst hat, kam uns bei der Sichtung von historischen Fotos im halleschen Stadtarchiv im Winter 2000,
als wir eine andere Ausstellung (über den 17. Juni
1953) vorbereiteten. Damals sprang uns die hallesche
Störung in Form befremdlicher Fotografien vom Hallmarkt um das Jahr 1870 ins Auge. Der Platz war eine
schlammige Wüste. Das kam uns bekannt vor. Halb
im Spaß, halb im Ernst fragten wir uns: Schwebt über
dieser Stelle zwischen Händelhalle und Hallmarkt – wo
die Stadtoberen in der 1980er-Jahren vergeblich versuchten, einen Kulturpalast zu bauen, wo sie Unmengen von Beton in den Boden schütteten, ohne festen
Grund zu bekommen, wo nach 1990 mit besserer
Technik ein Loch für eine Tiefgarage ausgeschachtet
und dann teilweise wieder zugeschüttet wurde, und
wo bis heute jenes ominöse Loch klafft – ein Verhängnis?
Eine Nachricht, die kurz vor Redaktionsschluss eintraf, gab dieser Vermutung neue Nahrung: Am 30.
Oktober 2006 entschied die Landesregierung von
Sachsen-Anhalt, das Geistes- und Sozialwissenschaftliche Zentrum der Universität nicht an diesem
Ort zu bauen.
Ist in Halle eine untergründige regulative Idee am
Wirken?
Im Mittelpunkt dieses Büchleins, das gleichzeitig ein
erweiterter Katalog der Freiluftausstellung „Die hallesche Störung“ ist, die von Mai bis Dezember 2006 auf
dem Platz vor der Marktkirche zu sehen war, stehen
aber keineswegs Spekulationen, sondern historische
Tatsachen. Erfindungsgabe ist nicht erforderlich, es
genügt, genau hinzusehen, um zu erkennen: Halle ist
auch überirdisch gestört. Umbrüche und Störungen,
störende und gestörte Menschen waren und sind Teil
der Stadtgeschichte. Sie haben dafür gesorgt, dass in
dieser Stadt viele eigenartige und aberwitzige Dinge
passiert sind und immer noch passieren.
7
Das alte Halle
Halle ist alt. Aber wie alt ist die Stadt eigentlich?
Steinkammergrab aus der Dölauer Heide, Landesmuseum für Vorgeschichte.
Foto: Stadtarchiv
8
Im Jahr 1961 feierten die Hallenser das 1000-jährige
Stadtjubiläum. Im Jahr 2006 wurde bereits die 1200Jahr-Feier ausgerichtet. Die Stadt ist demnach im Verlauf von 45 Jahren ganze 200 Jahre älter geworden!
Was würde Georg Cantor dazu sagen? Der Mathematiker ist in Halle verrückt geworden. Er war nicht der
einzige. Aber die Erklärung ist einfach: Alles ist relativ.
1961 wurde die urkundliche Nennung der Burg Giebichenstein im Jahr 961 als Bezugspunkt gewählt. Die
Feiern 2006 beriefen sich auf die Erwähnung eines
Kastell-Neubaus bei einem Ort namens „Halla“ im
Jahr 806.
Halle als Siedlungsgebiet ist wesentlich älter. Schon
vor mehreren tausend Jahren siedelten hier Menschen, und nutzten auch damals schon die Salzquellen.
Halle als Stadt hingegen ist jünger. Die Befestigung
und Verdichtung der heutigen Innenstadt begann im
11. Jahrhundert. Und erst um 1200 wurde Halle nachweislich als Stadt bezeichnet.
Federzeichnung der Burg Giebichenstein um 1600.
Quelle: Stadtarchiv
Bei der Eröffnung der 1000-Jahr-Feier in Halle durch Walter
Ulbricht. Fotos: Stadtarchiv
9
Hallesche Störungen
Legenden und Wirklichkeit im Mittelalter
Das Kastell – Phantasie und Wirklichkeit
Halle auf Wanderschaft
Die Chronik des französischen Klosters Moissac ver-
Jüngsten Ausgrabungen zufolge ist das Gebiet um
merkt, dass bei Halle im Jahr 806 ein Kastell gebaut
den Markt erst um 1000 allmählich bebaut worden.
wurde. Es ging darum, die Slawen, deren Siedlungsge-
Das widerspricht der Vermutung von Stadtchronist
biet bis an die Saale heranreichte, zurückzudrängen.
Schultze-Galléra, demzufolge sich der Ort Halla, den
Das ist relativ sicher. Wo das Kastell aber genau gebaut
die Klosterchronik um 806 erwähnt, am heutigen
wurde, ist bis heute ungeklärt.
Hallmarkt befand. Schultze-Galléra zufolge sollen die
Stadtchronist Schultze-Galléra vertrat in den 1920er-
Mongolen im 10. Jahrhundert die Siedlung am Markt
Jahren die These, das Kastell hätte eine Furt an der
verwüstet, und die Salzbrunnen zugeschüttet haben.
heutigen Klausbrücke überwacht. Archäologe Volker
Archäologische Spuren davon scheint es nicht zu ge-
Hermann konnte dafür bis heute keine Belege finden.
ben. Die Erklärung des Archäologen Hermann geht
Seiner Meinung nach war das Saaletal an dieser Stelle
demgegenüber so: Die Siedlung Halla befand sich
vor 1200 Jahren sumpfig und unwegsam. Auch wur-
um 806 am Giebichenstein. Wahrscheinlich ist der
den bei Grabungen in den 1960er-Jahren keine Spu-
Siedlungsschwerpunkt in den folgenden 300 Jahren
ren für ein Kastell gefunden. Hermann hält es daher
„gewandert“, und mit ihm auch der Name Halle. Salz-
für wahrscheinlicher, dass das Kastell im Jahr 806 auf
quellen gab es zunächst am Giebichenstein auch, so
dem Gelände des heutigen Amtsgartens gestanden
auf dem Gelände des späteren Wittekindbades, und
hat. Bewiesen ist auch das nicht. Dort müsste mal
bei Lehmanns Felsen. Vielleicht war dort ein frühes
jemand systematisch graben...
Zentrum der Salzgewinnung, und dann hat sich Halle
3
bis etwa 1100 allmählich zum heutigen Hallmarkt verlagert.
Im Mittelalter war die „Wanderung“ einer Siedlung im
übrigen gar nicht so ungewöhnlich, weiß Volker Hermann. Auch die Städte Brandenburg, Erfurt, Lübeck,
Meißen und Weimar sind im Mittelalter „gewandert“.
Rekonstruktionsvorschlag von Architekt Alfred Koch
für das irrtümlicherweise an der Spitze vermutete Kastell.
Quelle: Freitag/Ranft (Hg.), Geschichte der Stadt Halle,
Band 1.
10
Katastrophe und Neubeginn
1135 brennt Halle fast vollständig ab. Zuvor hat die
Stadt eine neue Mauer gebaut und das Stadtgebiet
Beim Festumzug zur 1000-Jahr-Feier.
Foto: Stadtarchiv
auf das Fünffache vergrößert. Aber der Katastrophe
folgt der Aufschwung, und er wird nicht unwesentlich
durch Zugezogene mitgetragen: Flämische und niedersächsische Siedler kommen nach Halle.
Schultze-Galléra schreibt darüber: „Der Brand der
Stadt, ihr Neuaufbau zog eine bedeutende innere
Umwälzung nach sich: die Gerichte der Oberstadt
wurden eingesetzt und gegen die der Talstadt festgelegt und abgegrenzt.“4 In der Tat ist Halle über Jahrhunderte eine Doppelstadt. Das Berggericht findet
auf dem höher gelegenen Markt statt, das für die
Salzsieder zuständige Talgericht unten am heutigen
Hallmarkt.
Jedes Gericht hat seine eigene Hinrichtungsstätte.
Die geologische Bruchstelle wird im Mittelalter zur juristischen Grenze.
11
Der Graseweg
Als im Jahre 1350 die furchtbare Pest in Halle haust
und keinen verschont, weder Mann noch Weib, weder
Kind noch Greis, da will man sich durch Absperrungen
vor der Ansteckung retten. So vermauert und vernagelt man alle Ausgänge des Graseweges, in dem die
Pest aufgetreten ist, trotz des Flehens und des Jammergeschreies der Einwohner, die elend verhungern
müssen. Erst nach zehn Jahren wird die Absperrung
niedergerissen: Hohes Gras ist auf der ganzen Straße
gewachsen, aus dem die weißen Knochen der Skelette
der Verhungerten und der an der Pest Gestorbenen
schimmern.5
An die Legende – hier in der Version des Stadtchronisten Schultze-Galléra wiedergegeben – wird man heute noch erinnert, wenn man den Ort aufsucht. Zwar
gibt es in Halle die Pest nicht mehr, aber seit einigen
Jahren versperrt ein Zaun den Graseweg.
Halle kämpft sich frei
Das Siedlungsgebiet Giebichenstein-Halle wird zwischen 806 und 1680 mehr oder weniger von den
Und wieder wuchert das Gras. Der Graseweg im Jahr 2007.
Foto: Heidi Bohley
Magdeburger Erzbischöfen beherrscht. Ab Mitte des
13. Jahrhunderts aber erreichen die Hallenser eine
beachtliche Freiheit. Die Stadt kämpft, handelt und
kauft den Bischöfen einige Privilegien ab, und tritt
um das Jahr 1263 der Hanse bei. Möglicherweise
verweisen die Stadtfarben rot/weiß auf die HanseMitgliedschaft, die gut 200 Jahre währt. Zeichen des
Bürgerstolzes ist der Rote Turm, der im Verlauf des 15.
Jahrhunderts allmählich Gestalt annimmt.
Hallescher Salzwirker im Mittelalter.
Quelle: Stadtarchiv
12
Hallesche Störer
(Mittelalter)
Müllerbursche und Esel
Es ist eine der ältesten Legenden
Halles, sie wird in mehreren Versionen erzählt, und eine davon
geht so: Als einst Kaiser Otto Halle
besuchen will, wollen die Hallenser
den Weg durch das Rannische
Tor verschönern, indem sie ihn mit
Rosen bestreuen. Weil aber die Elsteraue überschwemmt ist und der
Kaiser einen anderen Weg nehmen muss, trabt statt des Kaisers
nur ein Müllerbursche mit seinem
Esel durch die Rannische Straße.
Lachend bewerfen ihn die Leute
mit Rosen.
Müllerbursche mit Esel
beim Festumzug 1961.
Foto: Stadtarchiv
13
Ludwig der Springer
Ludwig II. war Halunke von Natur aus und Hallenser eher gegen
seinen Willen. Unbestätigten Berichten zufolge brachte er knapp
drei Jahre im Verlies der Burg Giebichenstein zu. In Ludwigs Auftrag
soll der Pfalzgraf Friedrich III. ermordet worden sein, dessen Gattin
Adelheid kurz darauf Ludwigs Ehefrau wurde. Ob er wegen dieser
Mordsache, oder erst später, als
er gegen den König opponierte,
hinter Gittern saß, ist nicht mehr
nachzuprüfen.
Dass er, wie behauptet, mit einem
legendären Befreiungssprung vom
Giebichenstein in die Saale entkommen konnte, ist zwar nicht ganz
ausgeschlossen, es gibt aber auch
andere Erklärungen für den erst
lange nach Ludwigs Tod aufgekommenen Beinamen „der Springer“. Zum Beispiel ein Sprachspiel
Ludwig beim Sprung in die Saale.
Holzschnitt von Johann Beer (1655-1700).
Quelle: Stadtarchiv
späterer Chronisten: Denn Ludwig
kam aus dem Stamm der Salier,
und der Springer heißt lateinisch
„saltator“.6
14
Kleine Chronik
des halleschen Stadtwappens
1235
Halles Stadtsiegel zeigt ein von zwei Türmen flankiertes
massiv gemauertes Tor, das von einem dritten Turm
überragt wird.
Etwa zur gleichen Zeit ziert die Mondsichel mit den
beiden Sternen das Siegel der Schöffen des Gerichts
der halleschen Salzsieder im „Thal“.7
1424
Das Stadtsiegel zeigt die Jungfrau Maria mit Kind, und
zu ihren Füßen drei Wappenschilde mit Sichelmond
und Sternen.
um 1450
Sichelmond und zwei Sterne bilden fortan das hallesche Stadtwappen. Die Farben Rot und Weiß sind die
Farben der Hanse.
Rätselhaftes Stadtwappen: Ein Zeichner drehte 1492 in Halles
Stadtwappen den Mond nach unten.
Quelle: Chronik aus dem Jahr 1492, Stadtarchiv
Juli 2000
Der Reporter einer überregionalen Zeitung, der Angela Merkel auf ihrer Wahlkampftour begleitet, schreibt
(in Unkenntnis der unterschiedlichen Zackenzahl von
Sowjet- und Halle-Stern), dass in die Fassade von
Halles Ratshof immer noch ein Sowjetstern gemeißelt
sei.8
15
Halle im Umbruch
(um 1500)
Schumachermeister Weissack
Im 15. Jahrhundert verdrängen hallesche Bürger nach
und nach die wohlhabenden Besitzer der Salzsiederechte, die so genannten „Pfänner“, aus dem städtischen Rat. 1478 nimmt dieser innerstädtische Machtkampf eine unerwartete Wendung, gemäß dem
Sprichwort: Wenn zwei sich streiten, freut sich der
Dritte. Der Dritte ist in diesem Fall der Erzbischof. Seine
Truppen stehen vor den Toren von Halle. Mit Hilfe des
Schumachermeisters Jacob Weissack, der am Sonntag, dem 20. September 1478, klammheimlich ein
Stadttor öffnet, besetzt der Bischof die Stadt. Die Pfänner müssen erhebliche Teile ihres Besitzes abgeben.
Nachhaltig wirken diese Maßnahmen zwar nicht, eine
Generation später beherrschen nahezu die gleichen
Familien das Salzgeschäft wie zuvor, aber Halle verliert
seine Freiheit. Als Zeichen der Unterwerfung lässt der
Erzbischof 1481 den Roland, Zeichen der Gerichtsbarkeit der Stadt, mit einem Häuschen umbauen.
Weniger symbolisch ist die Errichtung der Moritzburg,
ihr Zweck ist es, die streitlustigen Hallenser in Schach
zu halten.
Eine Leiche am Fenster – ein Herz für Halle
Im Jahr 1513 ist Halle unruhig, es gibt Gerüchte, dass
ein Aufstand der halleschen Bürger gegen den kranken Erzbischof Ernst bevorsteht.
Der 23jährige Thomas Müntzer ist zu dieser Zeit in Halle
als Hilfslehrer tätig. Steckt er hinter den Aufstandsplänen? Zwölf Jahre später, am 16. Mai 1525, gesteht der
revolutionäre Theologe unter der Folter in Heldrungen,
dass tatsächlich ein Umsturz geplant war.
Hallore beim Stadtjubiläum 1961.
Foto: Stadtarchiv
16
1513 wird in Halle eine Aufruhrordnung erlassen – für
alle Fälle. Letztlich bleibt es aber ruhig, was vielleicht
einem Trick zu verdanken ist: Als im Sommer der an
Syphilis erkrankte Erzbischof Ernst stirbt, wird der Leichnam an ein Fenster der Moritzburg gestellt, um Zeit zu
gewinnen zum Heranholen militärischer Verstärkung.
In der Stadt soll man glauben, der Bischof lebe noch.
Später werden die sterblichen Überreste des Bischofs
nach Magdeburg überführt – bis auf das Herz, das in
Halle bleibt.9 Es wird in der Maria-Magdalenen-Kapelle der Moritzburg beigesetzt, wo es sich heute
noch befindet.
Marktumbau anno 1500
Festumzug zur 1000-Jahr-Feier. In der Mitte: Thomas Müntzer.
Foto: Stadtarchiv
Abb. rechts: Stadtarchiv
Kurz nach 1500 wird am Marktplatz kräftig abgerissen.
Es fallen die Gewandhäuser und Verkaufsbuden, die
damals in Nord-Süd-Richtung quer über den Platz
standen. Der Friedhof wird ausgelagert. Und aus den
zwei unmittelbar hintereinander stehenden Kirchen
wird eine einzige gemacht: Das vordere Kirchenschiff,
einst zwischen Rotem Turm und Hausmannstürmen
gelegen, wird abgerissen und die Türme dem hinteren Kirchenschiff, der heutigen Marktkirche, zugeordnet. Durch die Umbauten bekommt Halle in seiner
Mitte sehr viel Platz.
17
Kardinal Albrecht. Kupferstich von Dürer.
Bildunterschrift: „So trug jener Augen, Wangen und Mund im
29. Jahre seines Lebensalters. 1519“
Quelle: Stadtarchiv
18
Martin Luther im Jahr 1520.
Kupferstich von Lucas Cranach
Quelle: Stadtarchiv
Halle und die Reformation
Kardinal Albrecht ist ab 1515 Vertriebsleiter des Papstes für den Ablasshandel in Deutschland. Das heißt,
dass er Ablassbriefe verkaufen darf, von deren Erlös
er die eine Hälfte behalten, die andere an den Papst
abführen muss. Ablass bedeutet im Mittelalter, dass
man sich die Vergebung der Sünden erkaufen kann.
Sozial gestaffelt natürlich, für Fürsten kostet es 25 Gulden, für Handwerker nur einen Gulden, ganz Arme
können sich den Ablassbrief auch erhungern.
Albrecht braucht das Geld dringend, denn er hat
sich sein Amt mit einem Kredit des Bankhauses Fugger
gekauft, den er nun zurückzahlen muss. Allerdings
verdirbt ihm ein Wittenberger Theologe das Geschäft.
Martin Luther kritisiert in seinen berühmten Thesen,
die er am 31. Oktober 1517 an Albrecht schickt, zwar
weniger den Ablass an sich, sondern den marktschreierischen Handel mit Ablassbriefen, den ein Mönch
namens Tetzel organisiert.
Aber Albrecht leitet den Beschwerdebrief Luthers an
den Papst weiter und macht damit aus dem lokalen
Noch ein Esel in Halle: Johann Tetzel als Ablasshändler (zeitgenössische Karikatur).
Ereignis einen Streit der Gesamtkirche, der wenig später eskaliert. Es folgen Bücherverbrennung, Kirchenbann und die Reichsacht gegen Luther. So gibt die
Residenzstadt Halle, die zwar bis 1541 noch katholisch
bleibt, doch den Anstoß zur Reformation.
Das hallesche Heiltumbuch von 1520
Kardinal Albrecht hat 8.133 Reliquienpartikel und 42
ganze Körper von Heiligen zusammengetragen. Das
entspricht damals einem Buß-Ablass für mehr als 39
Millionen Jahre. 1519 verzeichnet der Nürnberger Maler Wolfgang Traut die Schätze in einem Katalog, dem
Heiltumbuch.10
Hallesches Heiltumbuch.
Quelle: Stadtarchiv
19
Albrecht hinterlässt Halle als leere Schatztruhe
Kardinal Albrecht macht aus dem Dom gleich in zweifacher Hinsicht eine Schatztruhe. Drinnen lagern die
Reliquien und Kunstschätze des halleschen Heiltums.
Draußen lässt er der gotischen Kirche Renaissancegiebel aufsetzen, wodurch der Dom auch äußerlich
wie ein Reliquienschrank wirkt.
Albrecht möchte den Dom zu seiner eigenen Grabkirche machen, aber diese Pläne zerschlagen sich 1541,
als der Bischof nach Mainz flüchtet. Alle tragbaren
Kunstschätze nimmt er mit. Selbst die Nägel lässt er
aus den Innenwänden des Domes entfernen.
Trotzdem sind es die Albrechtschen Bauten, die bis
heute das Bild der Stadt prägen: Die aus zwei Kirchen
zusammengelegte Marienkirche auf dem Marktplatz,
der Dom mit seinen Renaissancegiebeln, die Neue
Residenz und der Stadtgottesacker.
Armknochen des Evangelisten Lukas, in Silber gefasst, mit welchem er das Evangelium schrieb.
Quelle: Das Hallesche Heiltumbuch
20
Alte Steine – Neue Residenz
Das Kloster Neuwerk ist im Mittelalter ein wichtiger kultureller und ökonomischer Faktor. Mühlen, Weinbau,
Schulwesen und natürlich das religiöse Leben werden
vom Kloster geprägt.
Im 16. Jahrhundert wird das Kloster Neuwerk abgerissen. Die Steine des Klosters lässt Albrecht für den Bau
seiner neuen Residenz verwenden.
Das Gebäude kann er aber nicht mehr beziehen.
Als Albrecht die Stadt verlässt, unter Mitnahme aller
Kunstschätze und unter Zurücklassung der Schulden,
ist der Reichtum der Renaissance dahin.
Andererseits bestimmen nach der Reformation die
durch erzbischöfliche Gewalt zurückgesetzten Pfänner wieder stärker das städtische Leben.
Traditionelles Fischerstechen vor der Neuen Residenz.
Quelle: Stadtarchiv
Störung am Brunnen
Der Hallmarkt-Brunnen des Bildhauers Bernd Göbel,
noch zu DDR-Zeiten entworfen, erregt 1998 die Gemüter, weil Göbel Kardinal Albrecht als Hurenbock
darstellt. Albrecht war ein Renaissance-Kirchenfürst, der sinnliche Freuden hoch schätzte, er hatte
Konkubinen und lebte erst mit Elisabeth Schütz,
dann mit Ursula Rediger in einer festen Beziehung.
Albrecht heiratete seine Konkubinen nicht, hielt ihnen aber bis zum Tod die Treue und bekannte sich
zu seiner Tochter Anna.11
Der Streit im Jahr 1998 endet damit, dass die Mitra
vom Kopf der Bischofs-Figur entfernt wird; stattdessen stehen dem Bischof jetzt die Haare zu Berge.
Kardinalsfigur am Hallmarkt-Brunnen.
Foto: Heidi Bohley
21
Auch das noch.
Eine hallesche Chronik.
Anno 1487
11. September 1560
Einem Hallenser namens Stein sind nach 13 Jahren
Ein „großer Wind“ wirft den Galgen (am heutigen Rie-
Haft im Ratsgefängnis die in den Stock gelegten
beckplatz) mit sechs daran hängenden Körpern um.
Füße derart abgefault, dass er sich frei machen und
Es dauert 19 Wochen, bis ein neuer Galgen errichtet
seine Mitgefangenen befreien kann. Diese erschla-
wird, weil zunächst kein Zimmermeister diese Arbeit
gen den Kerkerwärter mit dem Schlüsselbund und
machen will. Schließlich errichten alle 28 Meister den
fliehen. Drei der schnell wieder eingefangenen Un-
neuen Galgen gemeinsam und erhalten als Lohn eine
glücklichen werden umgehend, zwei am folgenden
Tonne Bier.
Tag enthauptet; zwei weitere schließlich begnadigt.
Welches Schicksal dem Fußversehrten zuteil wurde,
6. Januar 1637
ist nicht bekannt.12
Sächsische Soldaten zünden auf dem Estrich der
26. August 1550
Moritzburg ein Feuer an, weil ihnen kalt ist. Die Balken
darunter beginnen zu glühen, im Untergeschoß lagert
Die im Jahr 1550 erlassene Stadtordnung verfügt,
Stroh, die Moritzburg brennt ab. In den folgenden
dass am Korbteich (am heutigen Glauchaer Platz) zur
Jahren wird die Burg durch weitere Kampfhandlun-
Bestrafung von Garten- und Felddieben ein Korb mit
gen des Dreißigjährigen Krieges restlos ruiniert.
einem Schwengel aufgerichtet wird, in welchen man
Diebe setzt, um sie von dort ins schlammige Wasser
26. Juli 1717
fallen zu lassen oder verschiedene Male unterzutauchen.
König Friedrich Wilhelm I. senkt die Schulden der Stadt
Halle von 4,5 Millionen Taler auf 0,4 Millionen Taler ab.
9. März 1735
Ein 14-Jähriger promoviert an der halleschen Universität. Philipp Baratier soll neben der deutschen die
französische, lateinische, griechische, hebräische, syrische, chaldäische, jiddische und arabische Sprache
beherrscht haben. Zudem soll er sich in Theologie,
Philosophie, Geschichte, Mathematik und Astronomie
ausgekannt haben. Schon am 5. Oktober 1740 stirbt
das kluge Kind 19-jährig „an der Auszehrung“.
Feuerwerk vor der Moritzburg, ca. 1616.
Quelle: Stadtarchiv
22
Himmelfahrt 1816
Weil durch die Heide ziehende Männergruppen das
Rauchverbot nicht einhalten, wollen Forstbeamte deren Tabakspfeifen konfiszieren. Als das misslingt, holen
die Beamten den Landsturm. Die Männer verschanzen sich am Heiderand und treiben den Landsturm
mit einem Steinhagel in die Flucht. Schließlich rückt
Gendarmerie an und verhaftet acht Männer, die
schwer bestraft werden.
6. August 1876
Dr. Otto Ule. Nach ihm ist in
Halle die Ulestraße benannt.
Foto: Stadtarchiv
Der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr, Dr. Otto
Ule, wird bei einem Löscheinsatz in der Gr. Ulrichstraße
von einem herabfallenden Stein am Kopf getroffen.
Der pflichtbewusste Ule, der im Frack von einer Festlichkeit zum Brandort geeilt ist, stirbt einen Tag später.
Feuerwehr um 1900 im Hof der Moritzburg.
Foto: Stadtarchiv
23
Halle im Umbruch
(um 1680)
Halle wird Provinznest
Im Dreißigjährigen Krieg verliert die Saalestadt beide
werden gestört. Da es auch wirtschaftlich nicht so gut
Burgen. 1636 setzen schwedische Soldaten die Burg
läuft, ziehen vor allem die wohlhabenderen Hugenot-
Giebichenstein absichtlich in Brand, während sächsi-
ten schließlich Leipzig als Wohnort vor.
sche Soldaten ein Jahr später den Brand der Moritz-
Langfristig aber verändern die Franzosen die Saale-
burg durch Unachtsamkeit verursachen.
stadt, indem sie – nach einem Urteil des Stadtchronis-
Der Krieg stellt aber auch die Weichen für eine lang-
ten Hertzberg – mit ihren feinen Sitten zur Milderung
fristige Veränderung Halles. Im Westfälischen Frie-
der „alten Hallischen Derbheit“ beitragen.13
densvertrag von 1648 wird festgelegt, dass mit dem
Tod des erzbischöflichen Administrators Augustus der
Universität und „Franckesche Stiftungen“ entstehen
Status Halles als Residenzstadt erlöschen wird. Da
Augustus jedoch noch weitere 32 Jahre am Leben ist,
Mehrere Schulen werden nach 1680 in Halle gegrün-
entfaltet sich in dieser Zeit in der Stadt noch einmal
det. Die wichtigsten sind August Hermann Franckes
ein am barocken Dresden orientiertes anspruchsvolles
Schul-Imperium „Franckesche Stiftungen“ (seit 1698)
Kulturleben.
und die Universität (seit 1694). Der Aufklärungsphilo-
Umso härter ist die Zäsur, als Halle 1680 preußisch wird.
soph Christian Wolff kommt nach Halle. Seine Vorle-
Der Hof geht nach Weißenfels. Und zu allem Unglück
sungen haben so großen Zulauf, dass der preußische
rafft 1683 eine Pest-Epidemie ein Drittel der Bevölke-
König der Universitätsgründung zustimmt.
rung hinweg.
Händel wird geboren
Hugenotten kommen
In dieser spannenden Zeit wird Halles größter Sohn, der
1685 bietet der preußische König Friedrich Wilhelm
Komponist Georg Friedrich Händel, geboren.
I. den in Frankreich wegen ihrer Religion verfolgten
Händels Vater, der Wundarzt Georg Händel, hat mit
evangelischen Glaubensgenossen (Hugenotten)
Anna Oettinger, der Witwe eines halleschen Chirur-
freie und sichere Niederlassung in Brandenburg an. Zu
gen, bereits sechs Kinder, als Anna 1682 ein Opfer
den empfohlenen Städten für eine Ansiedlung gehört
der verheerenden Pest-Epidemie wird. Ein Jahr später
auch Halle. Hunderte Franzosen kommen in die Stadt,
heiratet Georg Händel die junge Pfarrerstochter Doro-
gründen 18 Woll- und Seidenstrumpf-Manufakturen,
thea Taust und zeugt mit ihr im Alter von fast 62 Jahren
bauen eine Mühle und eine Brauerei.
den später weltberühmten Georg Friedrich.
Die Hallenser beäugen die Neuankömmlinge misstrauisch und feindselig. Weder können sie den Neid auf
die Privilegien und die Geschäftstüchtigkeit der Fremden zügeln, noch vermögen sie, religiöse Toleranz zu
üben. Die Franzosen werden beleidigt, auf dem Markt
mit verfaulten Früchten beworfen, ihre Gottesdienste
24
Einmarsch der Preußen in Halle. Festumzug zur 1000-Jahr-Feier
1961. Foto: Stadtarchiv
Ankunft der Hugenotten in Halle. Festumzug 1961.
Foto: Stadtarchiv
Georg Friedrich Händel
Quelle: Steffi Kaiser
August Hermann Francke und die Waisenkinder.
Festumzug 1961. Foto: Stadtarchiv
25
Hallesche Störer
(18. Jahrhundert)
Quelle: Wikipedia (l.),
Stadtarchiv (r.)
Eine außergewöhnliche Promotion:
Harte Sitten: Fürst Leopold von Dessau (1676-1747)
Dorothea Christiana Erxleben (1715-1762)
In Halle wird 1718 das Regiment des Fürsten Leopold
Es ist in erster Linie seine aufgeklärte Weltsicht, die
von Dessau stationiert. Gegen den Willen der halle-
Friedrich den Großen veranlasst, Dorothea Leporin (so
schen Bürger lässt der „alte Dessauer“ über Nacht
ihr Geburtsname) als erster Frau in Deutschland ein
die Bäume auf dem Domplatz fällen, um Platz für
Universitätsstudium zu gestatten. Allerdings kommt die
Exerzierübungen zu schaffen. Mehrfach kommt es zu
Familie Leporin durch den Krieg im Jahr 1741 erst ein-
Beschwerden, weil die Preußen auch nicht davor zu-
mal in enorme Schwierigkeiten, da Dorotheas Bruder
rückschrecken, immatrikulierte Studenten nachts aus
nach Sachsen geflüchtet ist, um der Einberufung zum
dem Bett zu holen und gewaltsam dem Kriegsdienst
Kriegsdienst zu entgehen. Dem Deserteur droht die To-
zuzuführen. 1719 kommt es in Halle zu Ausschreitungen
desstrafe, und so bittet Dorothea den König in einem
der Studenten aus Protest gegen eine solche Zwangs-
Brief, ihren Bruder straffrei nach Halle zurückkehren
rekrutierung, 1734 boykottieren die Studenten aus
zu lassen, da sie sich alleine – ohne Begleitung durch
ähnlichem Anlass die Lehrveranstaltungen.
den älteren Bruder, der gleichzeitig mit ihr die Studien-
Wirtschaftlich profitieren die Bürger vom Regiment
zulassung erhalten hat – „nicht nach Universitaeten
kaum, da die private Einquartierung der Soldaten
getrauet“. Der Bruder entscheidet sich jedoch dafür, in
nicht honoriert wird. Und es ist nicht gerade ein er-
Göttingen zu studieren. Und Dorothea bleibt in Qued-
freulicher Anblick, wenn in der engen Schlossgasse
linburg, heiratet den Pfarrer Erxleben, bekommt Kinder
Deserteure und Delinquenten bei Spießrutenläufen
und praktiziert – gemeinsam mit ihrem Vater – als Ärz-
gezüchtigt werden. Geschlagen wird auf den ent-
tin. Erst nach dem Tod des Vaters, genötigt durch eine
blößten Rücken. Wie der Schweizer Albrecht Haller
Denunziation von konkurrierenden Medizinern, die ihr
bei einem Besuch in Halle 1726 beobachtet, geht
wegen der fehlenden Ausbildung „Kurpfuscherei“ vor-
dem Gezüchtigten ein Unteroffizier voran, damit dieser
werfen, kommt sie 13 Jahre später auf das Privileg zu-
nicht zu rennen beginnt. Manche Soldaten versuchen,
rück. Am 12. Juni 1754 verteidigt Dorothea Christiana
die Ruten zu knicken, um die Härte der Schläge zu
Erxleben in Halle ihre Dissertation. Der Termin ist zuvor
mindern. Um das zu verhindern, werden die Ruten
noch einmal verschoben worden, weil sie zwischen-
vorher kontrolliert.14
durch noch ein Kind bekommen hat.15
26
Viele Unterlagen von Semler sind verschollen. Abbildung des in Merseburg gebauten und nach der Demonstration im Jahr 1715
zerstörten Perpetuum Mobile von Johann Ernst Elias Bessler. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Ernst_Elias_Bessler
Bewegtes Forscherleben: Christoph Semler
(1669-1740)
Schon als kleiner Junge soll Christoph Semler mit er-
der Franckeschen Stiftungen. Der studierte Theologe,
staunlicher Geduld eine Uhr auseinander genommen
Mathematiker und Philosoph will aber mehr sein als nur
und wieder zusammengesetzt haben. Später kon-
Didaktiker. Ihn reizt das Unmögliche. Deshalb versucht
struiert er in seinem Haus ein Uhrensystem, wodurch
Semler, Baumwolle, Datteln und Zuckerrohr in Halle
in jedem Zimmer die gleiche Zeit angezeigt wird. Das
heimisch zu machen. Dreißig Jahre lang arbeitet er an
bleibt keineswegs die einzige bemerkenswerte Erfin-
der Konstruktion eines Perpetuum Mobile. Zudem ge-
dung. Er entwickelt ein Schiff mit Windmühlenantrieb,
lingt ihm eine „bis heute in ihrer Tragweite noch nicht
einen Energiespar-Ofen, einen Pflug, der gleichzeitig
ergründete Entdeckung“ (Prof. Hans-Joachim Kert-
pflügen, eggen und säen kann, und weitere originelle
scher): Die „Dreyfache Methode die Länge zur See zu
Dinge. Als Gründer der ersten deutschen Realschule
finden, samt deren darzu gehörigen Instrumenten und
(1708 in Halle) bringt Semler den Schülern praktische
See-Charten“. Eigentlich will er diese Erfindung noch
Fähigkeiten bei. Viele Lehrmaterialien aus Semlers Re-
publizieren, aber er stirbt, und das Manuskript geht auf
alschule befinden sich heute in der Naturalienkammer
abenteuerlichen Wegen verloren.16
27
„Robin Hood“ aus Halle: Christian Andreas Käsebier
(geb. 1710)
Er hasst die Reichen und hilft den Armen, aber ein
Halunke ist er trotzdem. Aufgewachsen in der Mittelstraße 17, zeigt Käsebier bereits als Junge eine beachtliche kriminelle Energie. Eines Tages setzt er sich,
wie die Legende berichtet, neben einen Bauern, der
sein Geld zählt, auf einen Holzstapel. Käsebier tut, als
würde er Nüsse knacken. Unbemerkt nagelt er dabei
die Hose des Bauern an den Holzstapel, um ihm dann
das Geld zu rauben.
Später schart Käsebier eine Räuberbande um sich
und macht Preußen unsicher. Vorübergehend lebt er
in Halle, heiratet und frönt der Spiellust. Ab 1748 verbringt er wegen der Verbrechen seiner Bande einige
Jahre im Zuchthaus Stettin, wird aber aufgrund seiner
Schläue vom preußischen König nach Prag geholt.
Dort soll er als Spion die Eroberung der Stadt in die
Wege leiten, verrät aber den König und macht sich
aus dem Staub. Um 1762 soll er unter falschem Namen in Preßburg gelebt haben. Danach verliert sich
seine Spur.17
28
Christian Andreas Käsebier im Kerker in Stettin.
Quelle: Stadtarchiv
Kleine Chronik der halleschen
Straßenbeleuchtung
1. August 1729
An diesem Tag beleuchten erstmals Öllaternen die
halleschen Straßen. Den Anlass dafür gibt König Friedrich Wilhelm I., der auf der Rückreise von Karlsbad
durch Halle fährt. Ziel der Beleuchtung ist laut Edikt des
Königs die „Verhütung von Diebereien und anderem
nächtlichem Unfug“. Allerdings brennen die Lampen
in den folgenden Jahren nur in den Wintermonaten,
nicht im Sommer, und auch nicht bei Mondschein.18
30. Januar 1869
Der Experimentalchemiker Niedergesäß erleuchtet
Halle von den Hausmannstürmen aus zwischen 7 und
8 Uhr abends. Das Licht soll bis Nietleben sichtbar gewesen sein.
Mitteldeutsche Zeitung vom 6. 12. 2000
11. April 1965
4. August 2003
Auf dem Markt werden 24 zusätzliche Leuchten in-
„Mit maßvollen Abschaltungen von Straßenlampen
stalliert. „Das bedeutet, daß es abends auf unserem
sollen in Halle strukturelle Einsparungen von bis zu
Marktplatz viermal heller als bisher ist. Mit anderen
700.000 Euro erreicht werden“, schreibt der Hall-
Worten: das ist Großstadtbeleuchtung“, heißt es
Anzeiger. „Der Beschluss des Stadtrates sieht vor,
stolz in der SED-Zeitung „Freiheit“. Der Artikel moniert
grundsätzlich nur jede zweite Straßenlaterne weiter
gleichzeitig auch, dass an zwei HO-Warenhäusern die
zu betreiben. Außerdem soll bei Leuchten mit zwei
Neonreklame nicht funktioniert.
Glühlampen nur noch eine Lampe brennen. Die
19
Innenstadt und die Leipziger Straße sind von der Veränderung ausgenommen, um keinen Imageschaden
entstehen zu lassen.“ Weiter heißt es: „Der finanzielle
Spielraum für die Stadt ist ausgesprochen eng. Würde
die Einsparung bei den Straßenlaternen nicht erzielt,
so träfen die Kürzungen andere, gleichfalls wichtige Bereiche in unserer Stadt, wie zum Beispiel das
Vereinsleben oder die Förderung von Kindern und
Jugendlichen.“20
29
Hallesche Störer
(um 1800)
Karl Friedrich Bahrdt (1740-1792)
Friedrich Christian Laukhard (1757-1822)
Ein Radikalaufklärer wird Gastwirt
Ein Skandal-Gelehrter wird Soldat
Quelle: http://www.ifhas.de/heymann/1933-45/heide/galera.htm
Quelle: Stadtarchiv
Der bei Studenten sehr beliebte Professor für Theo-
Der Philosophie-Dozent ist hochbegabt, aber selten
logie und Sprachwissenschaft, der seit 1779 in Halle
nüchtern. Er liebt wilde Feiern und Bordellbesuche.
lehrt, engagiert sich als Vorkämpfer für Demokratie
Deshalb ist er auch ständig verschuldet. Im Winter
und Menschenrechte. Er publiziert eifrig und macht
1783 hat er nicht einmal mehr Geld, um das Holz zum
sich Feinde.
Heizen seines Hörsaals zu bezahlen. Damit versiegt
Bahrdt gilt seinen Zeitgenossen nicht nur in politischer
seine Einnahmequelle, das Honorar, das er von den
Hinsicht als „enfant terrible“, sondern auch hinsicht-
Studenten bezieht.
lich seiner als „frivol“ und „sittenlos“ empfundenen
In dieser Situation erregt Laukhards Entschluss, als
Lebenshaltung. Beispielsweise schwängert er seine
einfacher Soldat (und nicht etwa, wie man es bei
Haushälterin und verstößt die Ehefrau.
einem Magister vielleicht erwartet hätte, als Offizier)
1787 gibt Bahrdt seinem Lebensweg eine spektakulä-
zu dienen, großes Aufsehen. Die Hallenser kommen
re Wendung: Angesichts der reaktionären politischen
in Scharen, um dem einstigen Dozenten beim Exerzie-
Wende in Preußen wirft er seine Professur hin und zieht
ren zuzusehen: Ein Gaudi!
sich auf einen Weinberg zurück. Bahrdts Gastwirt-
Später wird Laukhard als preußischer Soldat Zeuge
schaft, in der auch Feste und Turniere sowie Vorlesun-
der berühmten „Kanonade von Valmy“ am 20. Sep-
gen stattfinden, entwickelt sich zu einem beliebten
tember 1792.22 Als er 1795 wieder nach Halle zurück-
Ausflugsziel der Hallenser.21
kehrt, erhält er keine Lehrbefugnis. Er schreibt Bücher
Der radikale Aufklärer gründet eine aufklärerische,
über sein wildes Leben, heiratet, ohne das Glück zu
geheime Korrespondenzgesellschaft, die „Deutsche
finden. 1802 verlässt er die Saalestadt erneut, und lebt
Union“. 1789 wird Bahrdt verhaftet und muss über ein
als Pfarrvikar und Privatgelehrter in verschiedenen Or-
Jahr in Haft verbringen. Wenig später stirbt er.
ten im Saarland und in Rheinland-Pfalz.23
30
Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852)
Philipp Friedrich Theodor Meckel (1755-1803)
Ein Raufbold schreibt ein Buch
Ein Arzt wird Präparat
Quelle: http://www.preussen-chronik.de/_/person_jsp/
key=person_friedrich+ludwig_jahn/row=3.html
Quelle: Stadtarchiv
Jahn kommt als 17-Jähriger zum Studium nach Halle.
Der Mediziner, seit 1779 in Halle, interessiert sich Zeit
Der starke Jüngling legt sich mit den hiesigen Korpsstu-
seines Lebens sehr für die Anatomie des menschlichen
denten an, deren flegelhafte Sitten ihn anwidern.
Körpers und nimmt zahlreiche Leichenöffnungen vor.
Beispielsweise ist es zu dieser Zeit üblich, dass Studen-
Selbst zwei eigene, früh verstorbene Kinder obduziert
ten die Hallenser vom Bürgersteig in die Gosse sto-
er. „Mein Knochengerippe soll künstlich zusammen-
ßen.
gesetzt werden, und einen eigenen Schrank zur Auf-
Nach mehreren Prügeleien überfallen ihn Korpsstu-
bewahrung erhalten“, verfügt Meckel dann auch
denten mit Peitschen und Spazierstöcken. 1799 zieht
folgerichtig in seinem Testament. So geschieht es.
sich Jahn in eine Höhle an der Saale zurück (das so
Auch die Leber wird präpariert; die anderen sterbli-
genannte Schneiderloch; heute die Jahnhöhle ge-
chen Überreste kommen in das Grab auf dem Stadt-
nannt) und schreibt ein patriotisches Buch. Ein Theolo-
gottesacker.
giestudent namens Höpffner kauft ihm das Manuskript
Das Skelett des Professors steht bis heute in der halle-
ab und bringt es unter eigenem Namen heraus.
schen Anatomie. Es ist eine Besonderheit, denn Me-
Jahn verlässt Halle, studiert an weiteren Universitäten,
ckel hatte ein zusätzliches 13. Rippenpaar.25
ohne je ein Studium abzuschließen. Er etabliert das
Turnen als Organisationsform des Patriotismus, kämpft
1813 im Lützowschen Freikorps und wird zum Idol einer
neuen Studentengeneration.
Von dem Aufenthalt in Halle bleibt dem späteren
„Turnvater“ eine Narbe am Kopf, die angeblich von
einem Kampf auf dem Marktplatz herrührt.24
31
„Ich erinnere mich mit Entzücken jener akademischen Jahre, die ich in Halle gelebt. In Halle
herrschte damals ein frisches, seelenvolles,
höchst bewegtes, wissenschaftliches Leben. Es
waren zu jener Zeit zwölfhundert Studenten in
Halle, und deren geselliges Leben war wilder
und rauer als es je gewesen.“
Ludwig Börne, 1823
„Die Aufklärung hatte Energien geweckt, zu deren Meisterung vielen der Charakter fehlte.“
Bernhard Weißenborn, Heimatkalender für Halle und
Saalkreis 1922
32
Meckels Skelett.
Bahrdts Weinberg in Nietleben.
Quelle: Stadtarchiv
Trotz alledem
(Halle nach 1806)
Drei Tage nach der verheerenden Niederlage der
mit den Worten: „Heute haben wir eine hallesche
Preußen bei Jena und Auerstedt nehmen französi-
Legende aufgeführt – der Esel, der auf Rosen geht.“
sche Truppen im Oktober 1806 Halle im Handstreich.
Napoleon persönlich kommt in die Saalestadt. Zu den
ersten Maßnahmen des französischen Imperators gehört die Schließung der Universität, weil die Studenten
offenbar zum Widerstand bereit sind.
Alle 1.200 Studenten müssen Halle unverzüglich verlassen. Fast zwei Jahre bleibt Halles Universität geschlossen, und auch danach erreicht die Lehrstätte nicht
mehr ihr bisheriges Niveau. Das ist eine Katastrophe für
die Stadt, deren gesellschaftliches und wirtschaftliches
Leben durch die Universität geprägt wird.
Johann Christian Reil.
Quelle: Stadtarchiv
Halle wird Kurort
Trotz des Niedergangs gibt es um 1806 auch Tatkraft
und Hoffung in Halle. So schart der in Ostfriesland
geborene Mediziner Christian Reil wohlhabende Bürger um sich und gründet eine Gesellschaft, die dem
wirtschaftlichen Niedergang etwas entgegensetzen
will. Die Idee, Halle zum Kurort zu machen, wird geboren. Reil baut einen Badesalon und einen Kursaal.
1810 kommen bereits 70 reiche Familien zur Kur nach
August Hermann Niemeyer, Kanzler der Universität, wird 1806
von den Franzosen in Geiselhaft genommen. 1000-Jahr-Feier
in Halle.
Foto: Stadtarchiv
Halle. Die Kurortidee kann an das Entstehen einer
Gartenkultur anknüpfen, die schon im 18. Jahrhundert
begonnen hat. Mehrere Bürger haben Gärten nach
englischem Vorbild angelegt; einen dieser Gärten hat
Wieder geht ein Esel auf Rosen
der beim preußischen König wegen seiner Sympathien
für die französische Revolution in Ungnade gefallene
Als am 24. Mai 1808 der Bruder von Napoleon, der
Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt erwor-
als König von Westfalen eingesetzte Jerome, nach
ben. Zeitweise macht Reichardts Garten als „Herberge
Halle kommt, säumen junge Mädchen seinen Weg
der Romantik“ sogar Heidelberg Konkurrenz.26 Reils Ba-
mit Blumen. Der Universitätsprofessor Rüdiger kom-
desalon besteht nur kurze Zeit. Doch später entstehen
mentiert das, so besagt jedenfalls eine Anekdote,
neue Solbäder, unter anderem das „Wittekind-Bad“.
33
Das einstige „Fürstenthal“ unterhalb der Moritzburg, wo Reils
Badesalon im Jahr 1809 stand.
1864 wurde hier wieder ein Solebad eingerichtet. Die Gegend zwischen Robert-Franz-Ring und Pfälzer Straße wurde
um 1900 mit Wohnhäusern bebaut.
Zeichung des Barfüßerklosters am heutigen Universitätsplatz
mit der Schulkirche, die Reil kauft und als Theater nutzt.
Goethe steuert zur Eröffnung 1814 einen Prolog bei.
Quelle: Stadtarchiv (4)
rechte Seite: Dr. Uta Monecke
34
Hallesche Störer
(Vormärz)
Friedrich Wilhelm Alexander Held (1813-1872)
Der Leutnant a.D. gibt seit Mitte 1843 in Halle die
politische Zeitschrift „Locomotive“ heraus. Held, der
seine Zeitschrift zunächst in Leipzig publiziert hat (wo
sie verboten wurde), ist ein Schalk: Alle Stellen, die der
Zensor gestrichen hat, kennzeichnet Held durch ein
rätselhaftes „Cfnstrschffrf“. (Ersetzt man „f“ durch „e“
und „t“ durch „u“, erschließt sich der Sinn.)
Held verläßt Halle nach der Eskalation der Streitigkeiten mit dem Zensor im Frühjahr 1844. Die zensierten
Passagen nimmt er mit und publiziert sie wenig später
in dem Buch „Censuriana oder die Geheimnisse der
Zensur“, das in Kassel erscheint. Während der Revolution 1848 wirkt Held in Berlin.27
35
Gustav Adolf Wislicenus (1803-1875)
„Eine radicale prächtige Figur“ sei Wislicenus, so der Publizist Arnold Ruge. 1844 sorgt der Pfarrer der halleschen Laurentiuskirche
mit einem provokanten Vortrag über die Autorität der Bibel für
Aufsehen. Wislicenus plädiert dafür, dass der „in uns selbst innewohnende lebendige Geist der Wahrheit“ zur Norm des Christentums erhoben wird. Das widerspricht dem reformatorischen
Schriftprinzip – der streitbare Pfarrer wird seines Amtes enthoben,
schart gleichzeitig viele Anhänger um sich und gründet die erste
freie Gemeinde in Halle, die auf Kultus und Sakramente verzichtet
und sich dem „Prinzip unbedingten Wahrheitsstrebens“ verpflichtet. 1848 ist Wislicenus Vorsitzender des revolutionären „Demokratischen Volksvereins“ in Halle.
1853 geht er nach Amerika, um einer Haftstrafe wegen Lästerung
der Bibel zu entgehen. Dann lebt er bis zu seinem Lebensende in
der Schweiz.28
Friedrich Wilhelm Gustav Rawald (1812-1892)
Der in Nienburg geborene Weinhändler kommt 1839 nach Halle.
Das gediegene Weinlokal Rawald, an der Stelle des heutigen
Opernhauses gelegen, wird bald zum Treffpunkt fortschrittlich
gesinnter Hallenser. Dort kann man mehrere Zeitungen lesen,
unter anderem die „Hallesche Demokratische Zeitung“, die der
Weinhändler mit herausgibt. Gustav Rawald zeigt Rednertalent
und Courage und wird 1848 eine der wichtigsten Persönlichkeiten der revolutionären Bewegung in Halle. Er begründet den
„Demokratischen Volksverein“ mit und ist Pfingsten 1848 beim
Demokraten-Kongress in Frankfurt/Main der einzige Vertreter der
Provinz Sachsen.
Im November 1848 wird er wegen seines revolutionären Engagements verhaftet und muss sechs Jahre Haft in der Zitadelle Magdeburg verbüßen. Danach lässt sich Rawald in Freyburg/Unstrut
nieder, wo er wiederum eine revolutionäre Tat vollbringt: Er initiiert
dort im Januar 1856 die Aufnahme der Sektproduktion.29
Quelle: Stadtarchiv (2)
36
1848 in Halle
Bereits am 26. März 1848 kommt es in Halle zur ersten
Redner auftreten, umstellt auf Anweisung der städti-
Großkundgebung an den Pulverweiden mit 7.000
schen Behörden die Bürgerwehr den Markt. Gegen
Teilnehmern. Die Revolutionsereignisse kulminieren
11 Uhr ergeht der Befehl an die Volksversammlung,
schließlich im Herbst 1848 in einer Störung auf dem
auseinanderzugehen. Dieser wird nicht befolgt. Da-
Marktplatz. Nachdem es in Berlin zum offenen Bruch
raufhin rückt die Bürgerwehr gegen die Demonstran-
zwischen Regierung und Nationalversammlung ge-
ten vor. Dem stellt sich jedoch eine aus besitzlosen
kommen ist, sollen Teile der Landwehr zur Unter-
Arbeitern gebildete Teiltruppe der Bürgerwehr, das
stützung des Königs nach Berlin geschickt werden.
„Lancier-Korps“ (so genannt wegen der Bewaffnung
Das versucht eine große Volksmenge zu verhindern.
mit Lanzen), entgegen, um das freie Versammlungs-
Nachdem es nicht gelungen ist, die Einkleidung der
recht zu schützen. Schüsse fallen, mehrere verwun-
Soldaten an der Saline zu verhindern, kommt es am
dete Menschen stürzen zu Boden, Panik bricht aus.
Vormittag des 19. November 1848 zu einer Protest-
In den nächsten Tagen werden revolutionäre Politiker
kundgebung auf dem Markt. Während mehrere
inhaftiert. Das Lancier-Korps wird aufgelöst.
Am 19. November 1848 kommt es zum Zusammenstoß von Bürgerwehr
und demokratischen Lanciers auf dem halleschen Markt.
Quelle: Hallische Nachrichten vom 19. November 1928.
37
Halle im Aufbruch (Gründerzeit)
Das Ende der Salzstadt
Am Anfang war das Salz. Aber die hallesche Störung, die dafür sorgt, dass die Sole sprudelt, hat
auch ihre Grenzen. Bereits der für Halle katastrophale Siebenjährige Krieg (1756-1763) besiegelt das
Ende der Einzelsieder unterhalb des Marktes; danach
wird Salz in einer gemeinschaftlichen Pfännerei und
Der einstige Ort der Salzgewinnung, nach dem Abriss der Siedehütten. Blick vom Schülershof Richtung Moritzburg.
in der heute noch erhaltenen königlichen Saline
gesiedet. Im Jahr 1868 wird das Salzsieden im so
genannten „Thal“ dann endgültig eingestellt. Die
Siedehütten werden abgerissen. Um 1875 ist die Stelle eine öde Schlammwüste. Wenig später beginnt
hier die gründerzeitliche Bebauung des Hallmarktes.
Frohe Zukunft im Paulusviertel
Geröll aus der Grube „Frohe Zukunft“ wird nördlich der
Ludwig-Wucherer-Straße aufgeschüttet. Dabei wird
auch eine feuchte Senke verfüllt, in der die „faule
Witschke“ fließt. Unterirdisch gibt es diesen Wasserstrom bis heute: Feuchte Keller und Risse in manchen
Gebäuden des Paulus- und Mühlwegviertels zeugen
Blick von der „Spitze“, Richtung Marktkirche.
davon.
Auf dem Hasenberg entsteht 1903 die imposante
Pauluskirche. Zeitgleich werden Straßen angelegt, die
erst nach und nach von Wohnhäusern gesäumt werden.
Die „faule Witschke“ wird verfüllt.
Fotos: Stadtarchiv
38
Am Hasenberg um 1900.
Foto: Gottfried Riehm (Stadtarchiv)
Hirsch und Händel
Zum 200. Geburtstag von Georg Friedrich Händel lässt
der Besitzer das Geburtshaus des Komponisten pompös dekorieren. Über der Toreinfahrt wird auf einer von
Pilastern getragenen Konsole eine Händelbüste aufgestellt; die Fenster umkränzt oben Eichenlaub- und
Lorbeer-Stuck, während unten Schilder an Werke des
Meisters erinnern. Hinzu kommt ein Hirsch in plastischer
Darstellung mit dem Schriftzug „Dies Haus steht in Gottes Hand – zum weißen Hirsch wird es genannt“.
Mal abgesehen davon, dass Händel im „Haus zum
gelben Hirsch“ gelebt hat – das dekorierte Haus ist
nicht das Geburtshaus von Händel. Erst 1922 wird der
Irrtum nachgewiesen: Der große Komponist kam im
Nachbarhaus zur Welt.
Händels falsches Geburtshaus.
Foto: Stadtarchiv
39
Hallesche Originale
Silber-Sechser
Großer Kopf, krumme Beine, verwachsene kurze Gestalt: Schön ist er nicht, der legendäre „Silber-Sechser“.
Nachgesagt wird dem Pferdepfleger des Ausspanngasthofes „Grüner Hof“ eine nahezu unerschöpfliche
sexuelle Potenz. Man erzählt, dass er seine Dienstleistung für einen Sechser (25 Pfennige) anbietet. Vor
allem Markt- und Bauersfrauen sollen Ende des 19.
Jahrhunderts seine Kundinnen gewesen sein.30
Angeblicher Arbeitsort des Silber-Sechsers: Der „Grüne Hof“
am Steintor um 1900, kurz vor dem Abriss.
Foto: Gottfried Riehm (Stadtarchiv)
Foto rechts: Stadtarchiv
Zeitungs-Maxe
Maxe läuft in den 1920er-Jahren „wie ein geölter Blitz“
durch die Straßen und verkauft Zeitungen. Sein richtiger Name ist Max Körtge, geboren ist er wahrscheinlich im Mai 1884. Er verleiht sich mehr oder weniger
phantasievolle Titel und drapiert seine Brust mit selbst
gebastelten Orden wie zum Beispiel einer „GoetheMedaille“.
40
Zither-Reinhold (1878-1964)
Einer Erkrankung an Unterleibstyphus im Alter von
neun Jahren verdankt Reinhold Lohse sein kindliches
Gemüt. Die Hallenser mögen den einfältigen Straßenmusiker, der eigentlich Pastor werden will.
Reinhold zieht mit einem Leierkasten, später mit einer
Zither durch die Innenstadt. Die Leute schenken ihm
Geld, Zigaretten, Süßes. Alkohol lehnt er rigoros ab.
Mit einer Fettbemme und einer Tasse Kaffee ist er
glücklich.
Aber nicht alle meinen es gut mit ihm. Jugendliche
stürzen den Leierkasten in die Saale. 1952 antwortet
Reinhold auf die Frage, wo sein Leierkasten geblieben
sei: „Der ist kaputt, da ham die Kinder Pferdeäppel
reingesteckt.“
1954 lebt Reinhold bei einer Verwandten, bei der er
seine nicht unbeträchtlichen Tageseinnahmen abliefern muss. Bei einer Gerichtsverhandlung wird bekannt, dass sie das Geld vertrunken hat.
Am 17. April 1957 wird Zither-Reinhold auf der Schmeerstraße von einem Radfahrer angefahren. Einen Monat
später ist er schon wieder wohlauf.
Als seine Zither kaputt ist, schenken ihm Mitarbeiter der
HO zu Weihnachten 1958 ein nagelneues Instrument.
Im Herbst 1964 stirbt Reinhold Lohse an den Folgen
eines Unfalls; er ist am Franckeplatz gegen einen Bus
gelaufen. Zur Beerdigung kommen 250 Hallenser.31
Foto: Stadtarchiv
Artikel aus der Liberal-Demokratischen Zeitung
vom 18. Mai 1957
41
Hallesche Störungen
(Weimarer Republik)
Halle ist in der Zeit der Weimarer Republik eine Stadt
Eine wütende Menschenmenge quält von Klüber zu
der politischen Extreme.
Tode. (Der Kriegsinvalide wird vier Monate später zum
Tode verurteilt.)
Kommunistische Ideen erlangen ab 1918 im Raum
Halle eine Massenbasis. Bei der Wahl zur Weimarer
Der Mord an dem Offizier soll Vergeltung sein für die
Nationalversammlung erhält die links von der SPD
gewaltsame Beendigung des Generalstreiks durch
stehende USPD in Halle 41 Prozent der Stimmen. Im
General Georg Maercker: Am 1. März 1919 rücken die
Februar 1919 demonstrieren ca. 40.000 Arbeiter auf
Truppen von General Maercker in die Stadt ein, um
dem Markt mit roten Fahnen und Losungen wie „Alle
den Generalstreik zu beenden. Bewaffnete Arbeiter
Macht den Arbeiter- und Soldatenräten!“
versammeln sich kampfbereit auf dem Markt, aber
der Soldatenrat lehnt Widerstand als aussichtslos ab.
Gleichzeitig gibt es massive Gegenreaktionen. Im
Vereinzelt kommt es dennoch zu Gefechten im Stadt-
Januar 1919 demonstrieren 25.000 hallesche Bürger
gebiet, bei denen mindestens 36 Menschen sterben.
gegen die Revolution. Als im Februar 1919 Bergarbeiter den Generalstreik ausrufen, dem sich drei Viertel
Während der Kampfhandlungen gerät die Situation
aller Betriebe sowie die Eisenbahner anschließen, kon-
in der Stadt außer Kontrolle. Hunderte Geschäfte wer-
tert das hallesche Bürgertum mit einem Gegenstreik:
den in der Nacht vom 2. zum 3. März 1919 geplündert.
Ärzte, Postbeamte, Bäcker und Fleischer legen das
Nach der Niederschlagung des Streiks bildet General
öffentliche Leben vollends lahm.
Maercker zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung paramilitärische Verbände, so das „Freikorps
Diese radikale Spaltung prägt die 1920er-Jahre in
Halle“. Das begünstigt aber auch neuen Terror, wie
Halle. Politische Auseinandersetzungen fordern hun-
zum Beispiel den Lynchmord an Meseberg.
derte Todesopfer. Gewalt erzeugt neue Gewalt, zum
Beispiel im Frühjahr 1919:
Weitere gewaltsame Störungen erschüttern in den
Jahren 1920 und 1921 die Saalestadt, mit mehreren
Obermatrose Karl Meseberg, seit 1918 Kommandeur
hundert Todesopfern. Das Klischee vom „roten Halle“
einer Kompanie revolutionärer Matrosen in Halle, wird
ist dabei nur eine Teilwahrheit. Große Teile von Halles
am 13. März 1919 ein Opfer rechter Paramilitärs. Sie
Arbeiterschaft sind in dieser Zeit kommunistisch einge-
schießen auf ihn und werfen ihn schwer verletzt in die
stellt, große Teile von Halles Bürgerschaft deutschnati-
Saale, wo er ertrinkt. (Der Haupttäter, ein Medizinstu-
onal. Die Rechten sammeln sich zum Beispiel um den
dent, flieht ins Ausland.)
radikalen „Stahlhelm“-Führer Theodor Duesterberg.
Auch wird in Halle der militante Bund „Wehrwolf“ ge-
Auf ähnliche Weise wird zehn Tage vorher der Reichs-
gründet. Zur Demokratie bekennt sich nur eine Minder-
wehr-Oberleutnant von Klüber gelyncht. Der Offizier
heit: Halle ist in dieser Zeit vor allem eines: extrem.32
wird auf einem „Erkundungsgang“ in Zivil von einem
24-jährigen Kriegsinvaliden erkannt und angegriffen.
Fotos: Stadtarchiv (6)
42
Hallesche Störung von links: Seit November 1918 treibt eine
ca. 260 Mann starke Matrosenkompanie unter Obermatrosen Karl Meseberg die Revolution in Halle voran.
Hallesche Störung von rechts: Studienrat Fritz Kloppe gründet 1923 in Halle den rechtsradikalen Bund „Wehrwolf“.
Begünstigt durch die Beteiligung der Polizei am bürgerlichen
Gegenstreik werden am Wochenende 2./3. März 1919 Geschäfte geplündert und zerstört. „Lumpenproletariat“ soll sich
ebenso daran beteiligt haben wie „brave Bürgersleute“.
Fritz Weineck, Hornist des Rotfrontkämpferbundes, stirbt
1925 während einer Wahlkampfveranstaltung der KPD im
Volkspark durch eine Polizeikugel. In der DDR wird er als „kleiner Trompeter“ zur Märtyrerfigur gemacht.
Hallesche Störung von rechts: Truppen unter General Georg
Maercker schlagen Anfang März 1919 den Generalstreik gewaltsam nieder. Mindestens 36 Menschen sterben.
Hallesche Störung von links: Ende 1932 spricht Hitler auf dem
Sarrasani-Platz. Plötzlich ist der Ton weg. Der Kommunist Franz
Heyl soll es gewesen sein, der das Kabel mit einem Beil durchtrennt hat. Heyl stirbt 1936 in einem Konzentrationslager.
43
Die hallesche Störung
ergreift die Massen
2. August 1914. Mobilmachung in Halle für den 1. Weltkrieg.
Quelle: General-Anzeiger für Halle und die Provinz Sachsen,
19. August 1914.
Hallenser bei einem Wahlkampfauftritt von Hitler 1932.
44
„Nach Paris“ lautet die Losung, die Soldaten 1914 mit Kreide
an ihre Waggons schreiben.
Ankunft von Truppen der Heeresnachrichtenschule in Halle
1936.
Maidemonstration in Halle 1954.
Massenkundgebung mit Erich Honecker an den Betonfäusten am Thälmannplatz (heute Riebeckplatz). Das 1970 eingeweihte „Monument der siegreichen Arbeiterklasse“ wurde
2005 abgerissen.
3. Festival der Jugend der DDR und der UdSSR 1975.
Fotos: Stadtarchiv (6)
45
Kleine Chronik
der halleschen Luft
Vor 1800
20. Jahrhundert
Ludwig Tieck schreibt am 12. Juni 1792 aus Halle
Professor Rajabali Khorb aus dem Iran, der zum 1000-
an Wackenroder: „Ich ging neben den Gärten hin,
jährigen Stadtjubiläum 1961 nach Halle gekommen
wo mich der balsamische Duft von tausend Blumen
ist, äußert angesichts der verschmutzten Saale und
umfing, die Lichter erloschen nach und nach in den
der permanenten Dunsthaube über der Stadt: „Wenn
Häusern, die Hunde bellten mir allenthalben nach, ich
Halle eine ‚Perle an der Saale’ ist – das hörte ich in
ging vor einer Wassermühle vorbei, deren schäumen-
einem Loblied –, so ist es doch wohl eine dunkle Per-
der Wasserfall wie Flammen in dem Strahl des Mondes
le.“36
flutete, alles war so schön, so abenteuerlich.
Ich setzte mich oft nieder, die schönen Gegenden zu
Ludwig Ehrler, ehemaliger Rektor der „Burg“, erinnert
übersehen. Die Saale glänzte mir wie ein großer See,
sich: „Da war ja noch in den 60er Jahren der sprich-
tausend kleine Sterne zitterten auf der ungewissen
wörtliche englische Nebel, wo man im November
Oberfläche, ein leichter goldener Nebel ruhte über
mitunter – an der Lutherlinde ist mir das passiert – je-
die ganze Gegend ...“
manden anrannte, so dicht war das. Die Autos wur-
33
den mit Fackeln durch die Straßen geführt und überall
19. Jahrhundert
brannten Feuer, Signalfeuer – also es war sprichwörtlich Kriminalnebel aus London. Aber diese industrielle
Stadtchronist Schultze-Galléra schilderte die Gegend
Geschichte hat eben verdeckt, was da unter dem
des heutigen Hallmarktes wie folgt: „Stieg man von
Staub, wie ein Aschenputtel, was für eine Prinzessin
der Treppe an der Kirche ins ‚Tal’ hinab, gelangte
unter dieser grauen Decke ist.“37
man in einen ganz mittelalterlich zurückgebliebenen
Stadtteil voll krauser enger Gassen, Säcke, Schlupfen,
Zahl der Nebeltage in Halle35
daß kaum ein Mensch sich hindurchwinden konnte,
in ein Gewirr kleiner, zwei- und dreistöckiger, niedriger,
Zeitraum 1891-1900
13,5
gelb und grün angestrichener Häuser mit dunklen, un-
Zeitraum 1961-1970
59,3
geteilten Fluren und engen Höfen. Abseits davon, auf
der Mitte der Halle zogen sich zwei lange Gebäude
entlang, die Siedehäuser; Tag und Nacht quoll aus
ihren Schornsteinen der Kohlenrauch ...“34
Rechts: Gasse in der halleschen Innenstadt um 1956
Foto: Stadtarchiv
46
47
Hallesche Störungen
(Nachkriegszeit)
Der Rote Turm brennt ab
nen, und dann – fast glaube ich, eine Halluzination zu
haben – sehe ich plötzlich in der Luke des dem Schülershof direkt gegenüberliegenden Türmchens einen
winzig kleinen Lichtschein.“ Sollte dort jemand mit
einer Taschenlampe hantieren? Die Hallenser sitzen
in den Kellern und Bunkern der Stadt. Hans Naundorf
begreift, dass eine Granate den Turm getroffen hat.38
„Mit unserem Kleinlöschgerät, einer Handspritze und
Brechwerkzeugen eilten wir zum Turm. Leider wurde
uns sehr bald klar, daß ein Eindringen unmöglich war.
Alle Türen waren verschlossen und damit unserem
Bemühen Einhalt geboten. Wir mußten, da die uns zur
Verfügung stehenden Hilfsmittel unzulänglich waren,
von Löschversuchen Abstand nehmen und gaben
Der Rote Turm: 30 Jahre ohne Spitze.
Foto: Danz
eine Meldung an unsere Wache ab.
Inzwischen hatte sich der Brand so weit entwickelt,
daß sich nun bereits aus der Luke des kleinen Ecktürm-
Der dichterisch begabte Feuerwehrmann Hans
chens eine größere Flamme herauswand, die wie ein
Naundorf berichtet von seinem Einsatz am Nach-
feuriges Fahnentuch um das Türmchen wehte. Von
mittag des 16. April 1945, als der Marktplatz unter
unserem Standort konnten wir deutlich beobachten,
US-amerikanischen Artilleriebeschuss gerät: „Einschla-
wie der innere Luftzug im Turm die herausschlagen-
gende Geschosse, zerfetzte Fassaden, herumliegende
de Flamme entfachte. Sie wurde größer und größer.
Trümmer und einige Tote am Eingange der Schmeer-
(...) Es kamen dann auch weitere Löscheinheiten zur
straße, das war das grausige Bild, das sich uns zu dieser
Brandstelle, die aber ebenfalls die Aussichtslosigkeit
Stunde bot.“ Der Feuerwehrtrupp sucht Deckung am
einsehen mußten, dieses Feuer, das nun wütend um
Schülershof, und Hans Naundorf späht in Richtung
sich griff, wirksam zu bekämpfen. Allein die Höhe des
Roter Turm: „Wie in Gedanken versunken stehe ich
Brandes und die zu Gebote stehenden Hilfsmittel (zu
in diesen Augenblicken und nehme das Bild dieses
kurze Leitern und zu geringer Wasserdruck) machten
schönen Bauwerkes, umstrahlt vom Sonnenschein
jeden Versuch zunichte. (...)
und auf dem Hintergrund eines seidig-blauen Früh-
Die Abenddämmerung ist inzwischen hereingebro-
lingshimmels, in mich auf. Erinnerungen werden wach,
chen. Ein klarer, wolkenloser Himmel wölbt sich über
und meine Ohren vermeinen ganz fern den Glocken-
dem schaurig-schönen Bild. Es ist so unendlich traurig,
klang seines herrlichen Geläutes zu vernehmen. Dann
tatenlos dem Vernichtungswerk des rasenden Feuers
heftet sich mein Blick an seine Bedachung. Ich sehe
zusehen zu müssen. Gebannt hängen aller Blicke an
die schlanken, spitzen Ecktürmchen, die diese umkrö-
dem brennenden Turm. Wie bei einem riesigen Feu-
48
erwerk flattern brennende Balken, glühende Teile der
Von 1945 bis 1976 steht der Rote Turm als Torso auf
Bedachung aus der Höhe zur Erde. Das Feuer frißt sich
dem Markt, versehen mit einem provisorischen Flach-
weiter nach oben, an dem nun zu Tage tretenden
dach. Stadtplaner ziehen 1964 sogar den Abriss in
Sparrengerüst weiterlaufend, bis zur höchsten Spitze,
Erwägung.40 Zehn Jahre später ist davon keine Rede
bis zum Turmknauf. Wie aus feurigglänzendem Filigran
mehr. Der Turm bekommt 1976 sogar wieder eine ori-
gebildet, hebt sich die Kontur des Turmes mit seinem
ginalgetreue Haube.
unendlichen Sparrengewirr leuchtend gegen den
nachtblauen Himmel ab. Die ganze Schönheit dieses
nun sterbenden stolzen Bauwerkes tritt noch einmal
wundersam in Erscheinung. Das, was vor Jahrhunderten ein Baumeister erdachte, was fleißige Hände
schufen, hier sinkt es in Schutt und Asche!
Nun hat das Feuer den Turm in seiner ganzen inneren
Ausdehnung ergriffen, rasend jagen die riesigen Feuerlohen empor. Die großen Spitzbogenfenster leuchten in blutig-roter Feuerglut. Feuerkaskaden rauschen
in Abständen hernieder. Der Turmhelm scheint nun soweit zerfressen zu sein, daß sein Gesamtgefüge jeden
Augenblick zusammenbrechen muß. – Dann – wie
seltsam berührt es! – ein einziger, klagender Anschlag
einer Glocke! Sie läutet ihrem Turm den Grabgesang!
Fred Frohberg
– Ein leichtes Beben regt sich noch im glühenden
Gebälk, eine leichte Drehung, kaum bemerkbar von
Fred Frohberg und sein Holzbein
unten, folgt, und dann senkt sich die Spitze nach
Südwest. Mit donnerndem Getöse bricht sie in einer
Das in Halle kursierende Gerücht, der in der Saale-
prasselnden Feuergarbe zusammen. (...)
stadt geborene Schlagersänger Fred Frohberg (größ-
Längst ist Mitternacht vorüber; die angrenzenden
ter Hit: “Zwei gute Freunde“) hätte sein Bein beim
Straßen und der Markt haben sich inzwischen von
Kohleklauen in der Nachkriegszeit verloren, ist ganz
Menschen geleert. Wie vielen mag gleich mir dabei
offenbar falsch: Sein Bein verlor der 19-jährige Soldat
das Herz schwer gewesen sein? – Die Trümmerreste,
in den letzten Kriegsmonaten. Trotzdem war da auch
die weit um die Brandstätte herum liegen, haben wir
was mit Kohlenklau. Aber nicht er war es, sondern drei
abgelöscht. Still und einsam folgen wir unserer Arbeit.
Frauen – Verlobte, Mutter und Tante, die im Februar
Der grauende Morgen zieht herauf.
1947 auf dem halleschen Bahnhof Kohlen klauten
Ich gehe etwas abseits, meinen Blick noch einmal
und erwischt wurden. Als sie dem Polizisten erklärten,
dem Turme zuwendend. Die schwarze Silhouette
dass sie die Kohlen brauchen, um für eine Hochzeits-
einer Ruine hebt sich vom dämmernden Morgenhim-
feier eine warme Stube zu haben, ließ der Ordnungs-
mel ab, klagend und mahnend. Mein Herz ist von tie-
hüter sie laufen, samt Kohlen – unter der Maßgabe
fer Traurigkeit erfüllt, als hätte ich einen lieben, alten,
allerdings, zur Hochzeit eingeladen zu werden, wo er
treuen Freund verloren.“
dann auch erschien und mitfeierte – so steht es jeden-
39
falls in Frohbergs Autobiografie.41
49
Beim Laternenfest 1947 setzt eine Feuerwerksrakete ein Transparent des Gewerkschaftsbundes an der Burg Giebichenstein
in Brand. Die Hallenser jubeln. „Der Spiegel“ berichtet am 30.
August 1947 darüber.
50
Aufbegehren (1947-1990)
60.000 Menschen demonstrieren am 17. Juni 1953 auf dem
Hallmarkt. „Freiheit“ steht auf dem Transparent, das der Demonstrant den sowjetischen Panzern entgegenhält.
Fotos: Archiv Verein Zeit-Geschichte(n)
51
52
Zwei Hallenser fliegen im Jahr 1964 über die Mauer hinweg bis
nach Minden. Und das, obwohl sie nach eigener Aussage nie
zuvor ein Flugzeug gelenkt haben.
Artikel aus: Die Welt vom 17. April 1964, S. 28.
53
Halbstarke in Halle
„Außer Rand und Band“ geraten in den 1950er-Jahren keineswegs nur die Jugendlichen westlich der
deutsch-deutschen Grenzlinie. Auch im Osten kommt
es zu Krawallen, die zwar (laut einer aktuellen Forschungsarbeit der Historikerin Wiebke Janssen) nicht
ganz so geballt und zahlreich wie in Westdeutschland
auftreten, aber dennoch für das SED-Regime ungeheure Brisanz bergen.
Wieso es am 16. Dezember 1958 auf dem Weihnachtsmarkt zu einer größeren Schlägerei zwischen
„Halbstarken“ und der Volkspolizei kommt, lässt ein Artikel in der „Freiheit“ am 20. Dezember durchblicken:
Demnach hätten Halbstarke einen Soldaten der NVA
angepöbelt, worauf es zu Handgreiflichkeiten kam.
Ein massives Polizeiaufgebot hätte schließlich 39 Beteiligte verhaftet, darunter vier weibliche Jugendliche.
Die sind keineswegs nur mitgegangen, sie mischten
auch kräftig mit, weshalb eine von ihnen wegen
Landfriedensbruch zu acht Monaten Haft verurteilt
wurde. Der Tumult auf dem Hallmarkt wird auch in der
westdeutschen Presse zum Thema, so meldet „Die
Welt“ am 24. Dezember, dass ein Volkspolizist zu Tode
kam. In Halle selbst wird darüber in der Presse nicht
berichtet. Statt dessen versucht die „Freiheit“, die
Weihnachtsmarkt-Schlägerei als Folge einer gezielten
Einschleusung der „amerikanischen Unkultur“ in die
DDR darzustellen. FDJ-Funktionäre berichten von einem westlich gekleideten Unbekannten in schwarzer
bzw. roter Lederjacke, der als angeblicher Rädelsführer von Westdeutschland aus das Ganze eingefädelt
habe. Der Unbekannte bleibt ein Phantom. Der Volkspolizist indes, so hat Wiebke Janssen herausgefunden,
ist tatsächlich an jenem turbulenten Abend gestorben. Er erlitt bei dem Polizeieinsatz infolge gesundheitlicher Probleme einen Herzinfarkt.
54
Notiz in der SED-Zeitung „Freiheit“
vom 18. Dezember 1958.
Flugblatt, am 23. 12. 1976 in Briefkästen verteilt. Quelle: BStU
4. November 1989. Foto: MZ Archiv
Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung
Friedliche Revolution
Eine Flugblatt-Aktion gegen die Ausbürgerung des
„In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen
Liedermachers Wolf Biermann erschreckt zu Weih-
Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“ Mit
nachten 1976 die Machthaber. Obwohl bis 1986 fast
diesem Satz beginnt der Gründungsaufruf des NEUEN
10.000 Menschen überprüft werden, gelingt es der
FORUM. In Halle ist die Störung besonders stark aus-
Staatssicherheit nicht, die fünf befreundeten jungen
geprägt. Während am 9. Oktober 1989 die Leipziger
Leute (zwei Frauen, drei Männer) ausfindig zu ma-
Montagsdemonstration friedlich verläuft, setzt die
chen, die am 23. Dezember 1976 die 500 selbstgefer-
Polizei in Halle Schlagstöcke ein. Und noch Ende Ok-
tigten Flugblätter in Briefkästen gesteckt haben.
tober plant die SED eine Gegendemonstration „Rote
42
Fahnen gegen weiße Kerzen“, die aber nicht mehr
zustande kommt.43
55
56
Halle – ein raues Pflaster?
Kleine Chronik des halleschen Pflasters
18. Jahrhundert
„Freilich ist das Pflaster der Straßen bodenlos schlecht,
trotzdem man die Stadt erst 1725 mit 8.195 Talern Unkosten umgepflastert hat.“44
19. Jahrhundert
„Man klagt weiter über das schlechte Pflaster, trotzdem um 1820 die ganze Stadt umgepflastert war.“45
20. Jahrhundert
Paul Frankl konstatiert, dass „Halle inzwischen soviel
schöner geworden ist (sogar gutes Pflaster hat und
bessere Straßenbeleuchtung als einst)“.46
21. Jahrhundert
„Trotz mancher technischer Fehler bei der Verlegung
ist die Stadt mit der neuen Pflasterung besser benutzbar geworden, und das ist zweifellos notwendig.
Es hätte dafür aber nicht des teilweise sehr hohen
Aufwandes bedurft. Der groß verkündete optische
Qualitätsanspruch ist weitgehend verfehlt. Allzu viele
Spielereien vermitteln nichts weiter als ein neues Beispiel für die Beliebigkeit, wie sie heute auch in vielen
anderen Lebensbereichen um sich greift.“47
Hallenser im Baudreck: Richard-Wagner-Straße um 1900.
Foto: Stadtarchiv
57
Der „Charme“ der Hallenser
„Meine Kneipe ist keine Kirche“
Seit 1913 führt Bernhard Weißbach die legendäre Kneipe „Sargdeckel“ mit harter Hand. Arbeiter, Schauspieler und vor allem Studenten zechen hier. Eines Abends,
als die Kneipe wieder mal überfüllt ist, fordert er die
Stammgäste „in grob bestimmender aber doch höflicher Weise“ auf, abwechselnd eine halbe Stunde zu
stehen.48 Weißbach ist bekannt dafür, dass er Radaubrüder und Volltrunkene eigenhändig vor die Tür setzt.
Leute, die er nicht mag, platziert er an einen Tisch in
der hintersten Ecke, selbst wenn die Kneipe leer ist.
Wer seinen Anweisungen nicht Folge leistet, wird aufgefordert, das Lokal zu verlassen. Schachspielen oder
die Bestellung nichtalkoholischer Getränke fasst Weißbach als Provokation auf: „Meine Kneipe ist keine Kirche“, lautet einer seiner Leitsprüche.
Der „Sargdeckel“ in den 1920er-Jahren.
Foto: Stadtarchiv
Das Haus soll früher einem Sargtischler gehört haben.
Zwischenzeitlich wird der Name sogar behördlich
verboten; Weißbach überpinselt daher den Schriftzug
„Sargdeckel“ mit den Buchstaben „S.D.“.
Als Weißbach 1937 stirbt, ist er gerade mal 56 Jahre
alt. Seine Nachfolger versuchen, die rüde Tradition
fortzusetzen. Ein Kraftfahrer, der hier im Jahr 1968 ein
alkoholfreies Getränk verlangt, wird von Wirt Rolf Valerius mit den Worten abgewiesen: „Diese Kneipe ist
kein Wartesaal“.
Nicht zuletzt wegen des groben Wirtes war der „Sargdeckel“ auch in den siebziger und achtziger Jahren
eine Kultkneipe in Halle. 1994 wurde das Haus abgerissen, damit die „Öffentlichen Versicherungen
Sachsen-Anhalt“ und die „Versicherungsgruppe Hannover“ dort einen Büroblock bauen konnten.
Rechte Seite:
Nachruf auf Bernhard Weißbach in der Saale-Zeitung vom 3.
Dezember 1937. Der Sargdeckelwirt ist in SA-Uniform abgelichtet: Auch das gehört zur Geschichte dieser Kneipe.
Quelle: Stadtarchiv
Noch ein grober Wirt: HOG „Frohe Zukunft“ anno 1990.
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 3. April 1990
58
59
„’S jeht niche“49
Eine Anekdote aus der Zeit vor 1900 berichtet, dass es
– „Warum?“ – „Weils ähm nich jeht.“
in der Nacht kaum möglich ist, auf dem Bahnhofsvor-
Umständlich erzählt der Kutscher von der Anordnung
platz eine Pferdedroschke zu bekommen.
des Oberbürgermeisters: „Desdewejen gann ich ähm
Halles Oberbürgermeister, der deshalb eines Nachts
nich fort, weil denn geene Droschke mehr uffn Bahn-
nach Hause laufen muss, ordnet daher – unter An-
hofe is.“ Auch die Offenbarung des OB („Wissen Sie,
drohung von Strafe – an, dass sich Tag und Nacht
ich bin selbst der Oberbürgermeister“) beeindruckt
mindestens eine Droschke am Bahnhof bereitzuhalten
ihn nicht. Der Kutscher klopft seelenruhig seine Pfeife
hätte.
am Trittbrett aus: „Das nitz ooch nischt, da missense
14 Tage später kommt der Bürgermeister mit dem
erscht bei mein Scheff nungerjehn in de Mansfelder
Nachtzug nach Halle zurück, und stellt erfreut fest,
Straße un den fra’n, un wenn där saat, ich derf fahrn,
dass eine Droschke wartet. Er stößt den vor sich hin
denn fahr ich, sonst muss ich hierbleim.“Auch in die-
dösenden Kutscher an und sagt: „Fahrn Sie mal los.“
ser Nacht geht der Oberbürgermeister zu Fuß nach
Der Kutscher blickt sich um und nölt: „’S jeht niche.“
Hause.
Kleine Ulrichstraße um 1900, Foto: Stadtarchiv
60
Reichardt und die Regenrinne
Der romantische Garten des Hofkapellmeisters Johann Friedrich Reichardt hat die Zeiten überstanden,
wenngleich es am Rande manchmal recht ruppig zuging. So wird Reichardts Haus im Jahr 1903 wegen der
Begradigung der Seebener Straße abgerissen.
Um an Reichardt zu erinnern, errichten Verehrer des
Komponisten am Rande des Parks einen Gedenkort.
Aus der Mitteldeutschen Zeitung vom 13. September 2005.
An der Mauer, über der eine Büste angebracht ist,
steht zu lesen:
„Zum Volk hast Du Dein Lied gesungen,
Des Künstlers Ruhm Dir selbst errungen,
So bleib ein Vorbild deutscher Art,
Die Volk und Kunst mitsammen paart. (...)“
Der Wunsch, Reichardts Vorbild solle eine Harmonisierung von Volk und Kunst bewirken, fand an diesem
Ort leider keine Erfüllung. Hier kommt es in den 1920erJahren zur harten Konfrontation von Kunst und Alltag.
„Hallenser – das sind Menschen mit so unendlich
viel Charme, den sie aber gut verstehen zu verbergen.“51
Hans-Dietrich Genscher
Vom Grundstück des angrenzenden Hauses der Wittekindstraße wird ein Abflussrohr von hinten durch die
Gedenktafel getrieben. Das löst öffentlichen Protest
aus; das Ableitungsrohr muss wieder entfernt werden.
Dabei wird die Tafel jedoch endgültig ruiniert.50
61
Hallesche Störer
(20. Jahrhundert)
Felix Graf von Luckner (1881-1966)
Als das rauskommt, wird ein Sonderehrengericht gegen ihn vorbereitet. Dabei wird Luckner auch mit dem
Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern konfrontiert. Um kein Aufsehen zu erregen – inzwischen
hat der Zweite Weltkrieg begonnen und Hitler will jede
Unruhe an der „Heimatfront“ vermeiden – wird der
Foto: Agentur Keystone
„Seeteufel“ 1939 aber nicht verurteilt, sondern nach
Halle verbannt, wo seine Eltern wohnen. Er darf nicht
Die weltweite Vermarktung von Luckners Abenteuern
mehr publizieren, nicht mehr reisen.
im Ersten Weltkrieg und die Vortragsreisen mit Showeinlagen (wie das Zerreißen von Telefonbüchern) ma-
Der Graf, „eines der größten Schlitzohren des Jahrhun-
chen Felix Graf von Luckner in den 1920er-Jahren zum
derts“ (Norbert von Frankenstein), nimmt es Zeit seines
Weltstar. Sympathie bringt ihm, selbst bei einstigen
Lebens mit der Wahrheit nicht so genau. Aber in den
Gegnern, seine ritterliche Art der Kriegsführung ein.
letzten Kriegstagen im April 1945 hat er tatsächlich
Die Nazis schicken Luckner 1937 erneut auf Werbe-
eine Sternstunde. Er trägt maßgeblich zur kampflosen
Tour. Aber der Graf hält sich nicht an die Vorga-
Übergabe der Stadt an die US-Truppen bei. Luckners
ben, lässt Propagandamaterial ins Meer werfen und
Einschaltung in die Verhandlungen verhindert, dass
macht aus der Reise eine private Vergnügungsfahrt.
Halle flächenhaft bombardiert wird.52
62
Der Jodler (1894-1981)
Er läuft im Sommer in kurzer Lederhose und einem
weißen Motorrad-Sturzhelm auf dem Kopf durch
Halle, führt mit den Hirschen im Zoo lebhafte Gespräche, und erschreckt ansonsten die Leute durch
lautes Trällern und das Grölen eigenartiger Worte wie
„Humpelbeen“. Klar, der Typ ist verrückt. Deshalb lebt
Paul Grunicke, so sein bürgerlicher Name, auch im
Pflegeheim in der Beesener Straße. Gleichzeitig aber
hat er die Gabe, seine Krankheit so originell auszuleben, dass er in den 1970er-Jahren zum Stadtgespräch
wird. Neben dem Spitznamen „Joodler“ rufen ihn die
Hallenser auch „Tante Anna“ bzw. „Tante Hannelore“.
Das kommt daher, dass der Jodler in der Wintersaison
sein Outfit verändert. Dann trägt er nämlich eine Damenperücke, und geht am Krückstock.53
Der hallesche Musikproduzent Frank Lausch erinnert
sich noch sehr lebhaft an den Jodler: „Die Anzugsordnung variierte selbstredend entsprechend zur Jahreszeit. Die kurze Lederhose reichte immerhin bis fast
zum Knie. Dazu wurde entweder eine Art kurzer Joppe
getragen, oder eben auch nicht. Konsequenterweise
gab es die Krachlederne auch bis tief in den November, dann allerdings zur langen Unterhose. Außerdem
wurde gern schmückender Unfug durch die Stadt
getragen, wie das berühmte Kofferradio, welches nur
das Gehäuse eines ‘Stern Elite‘ war. Die Schiffermütze
Foto: Privatarchiv Frank Lausch
rundete das Bild ab. An einen Motorradhelm kann
ich mich nicht erinnern, will ihn aber um Gotteswillen
nicht in Frage stellen. Der Gamsbarthut war dann eine
Sein Repertoire an (angesungenen) Liedern war
Entscheidung des Pflegeheims.
scheinbar unerschöpflich. Mitte der 70er nahm Ecke
Jedenfalls gab es in den letzten Lebensjahren ein
Bethmann, hallesches Rock-Urgestein, den Jodler
optisches Lifting des Jodlers. Er trug einen hellblauen
gern mit zu Gigs seiner damaligen Band TREND. Die
Sommeranzug, schwarze Arbeitsschuhe und stellen-
sowieso schon skurrilen Veranstaltungen wurden da-
weise eine weiße Küchenuhr um den Hals.
durch noch einen Hauch eigentümlicher.“
63
Frank Lausch hat einige Tondokumente vom Jodler archiviert: In einem Gespräch mit Frau Danneberg, einer
damals 81-jährigen Opernsängerin, lässt Paul Grunicke
einige persönliche Daten sprudeln. So nennt er seinen
Geburtsort Teutschenthal – was überraschend ist, da
er einen eher böhmisch klingenden Dialekt spricht
– und sein Geburtsdatum, den 25.12.1894. Auf die
Bemerkung der alten Dame: „Da sind Sie doch auch
Steinbock“, schmettert er ihr entgegen: „Feiertag!“
– „Wa?“ – „Ich bin an einem Feiertag geboren!“
Zwischen einigen unvermittelten Jodlern und Liedanfängen erwähnt er auch einen Unfall in Leuna. Einmal
redet er von einem Schädelbruch, zweimal von einem
Schädelbasisbruch. Das könnte sein seltsames Gebaren vielleicht erklären.
64
Der Jodler und die
Gruppe TREND im
Jahr 1977.
Fotos: Privatarchiv
Frank Lausch
„Matthias“ BAADER Holst (1962-1990)
Halles sprachmächtigster Untergrund-Dichter
„Matthias“ BAADER Holst schreibt Zeilen wie „laß
das mit dem menschsein lerne bäcker“ und hält
sich nicht dran. Er lernt Baufacharbeiter, arbeitet
als Postbote und Bibliothekar. Und er lässt es nicht
mit dem Menschsein, verweigert 1982 den Wehrdienst und liest viel. Seine Spontanlesungen auf
Parties haben Kult-Status. BAADER Holst zeichnet,
tritt mit Bands auf, ist Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „Galeere“, die verboten wird. 1988 zieht
er zum Prenzlauer Berg nach Berlin. BAADER Holst
stirbt Ende Juni 1990, im Alter von 28 Jahren. Im
Morgengrauen läuft er in Berlin gegen eine Straßenbahn. Tage später erliegt er seinen schweren Verletzungen – es ist die Nacht vor der Währungsunion.54
Foto: André Gessner
65
Kleine Chronik
des halleschen Eierwurfs
14. Juli 1593
Auf dem halleschen Marktplatz wird ein Pranger errichtet.
„In alten Zeiten ist der Gebrauch gewesen, daß man
diejenigen, so an den Pranger gestellt worden, mit
faulen Eyern geworffen, welche der Rath bezahlt ...“55
11. Mai 1991
Im Frühjahr 1991 zeichnet sich deutlich ab, dass das
Versprechen des Bundeskanzlers, es werde keinem
schlechter, aber vielen besser gehen, so nicht einlösbar ist. Die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch. Die Abwanderung ist nicht zu stoppen. Also heißt es in Halle:
Faule Eier statt blühender Landschaften. Helmut Kohl
wird am 11. Mai 1991 auf dem halleschen Markt mit
Eiern beworfen.
Allerdings ist der Werfer kein Arbeitsloser, sondern ein
Jura-Student, der sich den Studienplatz mit einem gefälschten Abiturzeugnis erschlichen hat.56
Ein Abend, etwa im Jahr 2000
Ort der Handlung ist das Café Nexus in der Kohlschütter Straße: „Eines Abends kam eine junge Frau
ins Lokal gestürzt, zückte ein großes, rohes Ei aus
ihrer Manteltasche, donnerte dies mit gekonntem
Schwung einem Gast auf den Kopf und verschwand
so schnell wie sie gekommen war“, berichtete NexusWirt Torsten Weiß im Januar 2001 einem MZ-Lokalreporter, ohne den Hintergrund dieses Ereignisses näher
aufklären zu können.
Fotos: MZ-Archiv
66
Halle im Umbruch
(nach 1990)
Dynamik aus Hildesheim
Foto: MZ, 6. November 1990.
Dirk Bettels, 26-jähriger Bankkaufmann, hat 1990
Die hohe Honorarsumme ergibt sich aus dem ge-
schnell erkannt, was in Halle los ist: „Die Leute haben
schätzten Stammkapital der HWG, das Bettels etwa
keine Dynamik. Eine Portion Faulheit mischt sich mit
zehnmal so hoch einschätzt wie der spätere hallesche
einem Quentchen Angst und 40 Jahren verordneter
Finanzdezernent Brisken.58 Als sein Gönner, OB Peter
Lethargie“, vertraut er der Hildesheimer Allgemeinen
Renger, als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS enttarnt
Zeitung an.
wird, geht Dirk Bettels nach Hildesheim zurück. Dort
Bettels hingegen zeigt Dynamik, wird in Halle im Hand-
ist er neben seiner unternehmerischen Tätigkeit heute
umdrehen Chef der Magistratskanzlei, zweiter Mann
u.a. Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer
neben dem Oberbürgermeister, Aufsichtsratsvorsit-
Hannover und Honorarkonsul der Slowakischen Re-
zender der Halleschen Wohnungs- und Grundbesitz
publik.
AG und Aufsichtsratsmitglied der Hall-Bau AG. Leider
setzt er seine Dynamik eher im eigenen Interesse
Ganoven GmbH Halle
als im Interesse der Stadt ein. Ende 1990 erhebt die
„Frankfurter Rundschau“ den Vorwurf, Bettels hätte
Die komplette Deindustrialisierung von Halle ist ein
gute Bekannte aus Hildesheim mit Aufträgen ohne
dunkles Kapitel, das der Aufarbeitung harrt. „Mafia-
Ausschreibung versorgt. Mitte 1991 enthüllt die „Mit-
ähnliche Zustände, in denen sich alles unter der Hand
teldeutsche Zeitung“, dass Millionenbeträge aus der
abspielt“, bescheinigt der Journalist Michael Jürgs der
Kasse der Wohnungsgesellschaft HWG an zwei Anwäl-
halleschen Treuhand-Niederlassung. Unternehmer
te geflossen sind – der eine ist der Onkel von Bettels,
entziehen halleschen Betrieben Millionenbeträge und
der andere der Anwalt der Familie in Hildesheim:
sanieren damit ihre verschuldeten Firmen. Ein Liqui-
„Anderthalb Millionen. Für ein paar Tage Arbeit.“ Laut
dator verschwindet mit einer Million D-Mark. Einige
MZ-Recherche ist das „nicht rechtens“, da „zum da-
der kriminellen Machenschaften von Unternehmern
maligen Zeitpunkt ein westdeutscher Anwalt für seine
und Treuhand-Managern sind mit Haftstrafen belegt
Beratungen auf dem Gebiet der damaligen DDR kein
worden. Die Betriebe hingegen sind weg, und die
Honorar erhalten darf“.
Arbeitsplätze auch.59
57
67
Ein Einfamilienhaus bläht sich auf
„Auf Generationen hinaus verhunzt“ sei der Markt-
„Handelt es sich beim Kaufhof am Marktplatz nicht in
platz durch die „Geistlosigkeit“ eines Kaufhaus-Neu-
Wahrheit um ein Einfamilienhaus, aufgedunsen zu ei-
baus, findet der Journalist Günter Kowa im Jahr 1994,
nem form- und gestaltlosen Klumpen?“
und fragt entsetzt:
68
Quelle: MZ vom 2. November 1994
Es hätte schlimmer kommen können
Modell des Entwurfs von Ernst Sagebiel für ein nationalsozialistisches Gauforum in Giebichenstein.
Foto: Stadtarchiv
Wenn in Irland etwas Schlimmes passiert, hört man
dort oft die Redewendung „it could be worse“ (es
könnte schlimmer sein). So berichtet es Heinrich Böll
in seinem „Irischen Tagebuch“. Und nicht genug
dieser guten Sitte, in Irland gibt es auch noch eine
Zwillingsschwester dieser Redewendung, die lautet:
„I shouldn’t worry“ (ich würde mir keine Sorgen machen). Halles Stadtgeschichte, unter diesem Blickwinkel betrachtet, offenbart eine ganze Menge von
Episoden, die den Schluss zulassen, dass es auch viel
schlimmer hätte kommen können.
Noch kurz vor dem Kriegsende 1945 zerschlug eine Bombe
das Dach der Marktkirche und zerstörte einen Pfeiler. Die
Kirche hätte einstürzen können. Foto: Stadtarchiv
69
Viel wurde in Halle abgerissen. Das Foto zeigt den Schülershof
in den 1980er-Jahren, als ein Flächenabriss großer Innenstadtareale begann. Aber es gab auch noch drastischere Pläne.
1964 wurde zum Beispiel der Abriss des Roten Turmes und der
Bau einer Hochstraße am Robert-Franz-Ring diskutiert.
Foto: Stadtarchiv
Architurwettbewerb Rathausneubau 1993, erster Preis (Gottfried Böhm, Köln). Foto: Stadtarchiv
Bevölkerungsentwicklung in Halle. Die längste Zeit seiner Existenz hatte Halle weit weniger Einwohner als heute.
Quelle: Wikipedia
70
Beinahe hätte es in Halle im Jahr 1986 eine schlimme Gasexplosion gegeben,
wie diese Information der Staatssicherheit belegt.
Quelle: BStU60
71
Die Störung der Störung
Halle ist gestört. Und wenn es noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dann liefert ihn die Geschichte
dieser Ausstellung. Fast wäre sie ein Opfer der Verzögerungen beim Umbau des Marktplatzes geworden.
Nach Lieferschwierigkeiten und einem langen Winter
sorgten offenbar Diebe dafür, dass die Pflasterung
des Marktplatzes nicht fertig wurde. Und ausgerechnet das letzte Stück, das überhaupt an die Reihe kam,
war jene Stelle an der Marktkirche, wo die Ausstellung
im Mai 2006 aufgestellt werden sollte. Bis wenige
Tage vor der geplanten Eröffnung sicherten die Verantwortlichen zu, dass der Markt fertig würde – und
hielten sich nicht dran. Eröffnet wurde die Ausstellung
dann schließlich am 13. Juni. Nichtsdestotrotz feierte
Halle schon am 10. Mai 2006 die Neugestaltung des
Marktplatzes, immerhin sah ja jeder, dass an dem
Problem gearbeitet wurde. Aber auch die feierliche
Enthüllung des restaurierten Roland-Standbildes am
Roten Turm blieb von einer Störung nicht verschont.
Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler betonte in ihrer
Rede, dass der hallesche Roland ein ganz besonderer
sei, denn er trage sein Schwert in der Scheide. Wenig
später fielen die Hüllen, und die steinerne Figur reckte
den Anwesenden ihr blankes Schwert entgegen – so
wie sie es schon seit dem Mittelalter tut, oder genauer
gesagt seit 1719, als der hölzerne Roland des Mittelalters durch eine Kopie aus Stein ersetzt wurde. Ein besonderes Exemplar ist der hallesche Roland durchaus,
aber nicht wegen seines Schwertes, sondern weil er
keinen Helm, keine Krone und Rüstung trägt.61
Mitteldeutsche Zeitung vom 10. Mai 2006
72
Gegenwärtig herrscht Ruhe an der halleschen Störung, konstatierte erst kürzlich der Geologe Prof. Max
Schwab.62 Für die geologischen Platten im Untergrund
mag das stimmen. Erdbeben sind bis auf Weiteres
nicht zu befürchten. Überirdisch aber ist zwischen
Trotha und Silberhöhe, Neustadt und Hufeisensee
wohl noch manches zu erwarten ...
73
Anhang
Anmerkungen
Mit diesen treffenden Worten beschrieb Sylvia Pom-
13
Stadtarchiv Halle, Sammelmappe IV/5.
mert in der Mitteldeutschen Zeitung die geologische
14
Norbert Böhnke, Neuerungen im Alt-Anhaltischen
Herkunft von Halle (Zitat aus dem Internet: http://peo-
Regiment, in: http://www.ifhas.de/barockeshalle.htm
ple.freenet.de/hallesfreunde).
(1.1.2007).
1
2
Vgl. Axel Bojanowsky, Die Abgase von Delphi, in:
Süddeutsche Zeitung vom 7./8. Oktober 2006, S. 24.
3
Vgl. Volker Hermann, Die Entwicklung von Halle (Saa-
le) im frühen und hohen Mittelalter, Halle 2001, S. 33.
4
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,
Halle 1930, S. 39.
5
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen der
15
Vgl. Ursula Schmiedgen, Dorothea Christiana Lepo-
rin, verheiratete Erxleben (1715-1762). Pfarrfrau und
streitbare Ärztin in Quedlinburg, in: Eva Brinkschulte /
Eva Labouvie (Hg.), Dorothea Christiana Erxleben.
Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession
seit dem 18. Jahrhundert, Halle 2006, S. 32-54, hier S.
48-50.
Hans-Joachim Kertscher, Exkurs Johann Ernst Philippi,
Stadt Halle und des Saalkreises, Halle 1922, S. 55. Von
16
der Legende soll die Straße ihren Namen „Graseweg“
in: Ders., „Dis ist die schöne Stadt, die Halle wird ge-
erhalten haben. Wahrscheinlicher ist aber, dass der
nennet“ (unveröffentlichtes Manuskript).
Name auf den Grashof verweist, ein Anwesen der
17
Herren vom Grashof, das sich im Mittelalter dort be-
as Käsebier. Ein Erzbösewicht aus Alt-Halle, 7-teilige
fand.
Serie in: Heide-Bote 8 (1934) Nr. 48-52 und 9 (1935) Nr.
Siegmar Baron von Schulze-Galléra, Christian Andre-
6
Vgl. Hilmar Schwarz, Die Ludowinger, Eisenach 1993.
1-2.
7
Vgl. Heiner Lück, Siegel und Wappen der Stadt Halle,
18
Diese und die folgende Begebenheit aus: Stadtar-
in: Werner Freitag/Andreas Ranft (Hg.), Geschichte
chiv Halle, Sammelmappe IV/23.
der Stadt Halle, Halle 2006, Bd. 1, S. 156-167.
19
Der Markt ist viermal heller, in: Freiheit vom 11. April
8
Stadtarchiv Halle, Sammelmappe IV/23.
1965.
9
Vgl. Werner Piechocki, Als in Halle die Sieder streik-
20
http://hallanzeiger.de/archiv/lokalnachricten/2003/
ten..., in: Mitteldeutsche Neueste Nachrichten vom
beleuchtung.htm?seite=3 (1.1.2007).
5./6. April 1975; Ders., Aufruhrordnung von 1513, in:
21
Freiheit vom 20. August 1988.
auf dem Gelände der späteren Irrenanstalt Nietleben
10
Vgl. Heinrich L. Nickel (Hg.), Das Hallesche Heilthum-
buch von 1520, Halle 2001 (Reprint von 1520).
11
Vgl. Ludwig Grote, Kardinal Albrecht und die Re-
naissance in Halle Halle 2006.
Bahrdts Weinberg befand sich sehr wahrscheinlich
an der Heideallee. Vgl. Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Karl Friedrich Bahrdt 949.
22
Das Artilleriegefecht zwischen der preußisch-öster-
reichischen Koalitionsarmee und französische Revo-
Vgl. Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen
lutionstruppen brachte die Richtung Paris marschie-
der Stadt Halle und des Saalkreises, Halle 1922, S. 106;
renden Koalitionstruppen zum Stehen; die Revoluti-
Dr. Wendel, Unser Marktplatz vor 400 Jahren, in:
onstruppen gingen von der Defensive in die Offensive
Hallische Zeitung vom 10. Oktober 1925.
über. Goethe, der an dem Feldzug teilnahm, soll am
Die anderen Begebnisse dieser Chronik sind notiert in:
Abend nach der Kanonade zu Offizieren gesagt ha-
Sammelmappe IV/23, Stadtarchiv Halle.
ben: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der
12
Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid da-
74
bei gewesen.“ Vgl. Stefan Winkle, Die Ruhr als Kriegs-
Hochschule für Kunst und Design „Burg Giebichen-
seuche während der Campagne in Frankreich 1792 in
stein“, im Interview mit Tobias Barth.
den Aufzeichnungen von Goethe und Laukhard, in:
38
Hamburger Ärzteblatt 42 (1988), S. 13-20.
sie darin einen deutschen Artilleriebeobachter ver-
23
Vgl. H. Peter Brandt, Friedrich Christian Laukhards
Offenbar beschossen die US-Truppen den Turm,weil
muteten. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Roter_
Leben und Leiden, Idar-Oberstein 2001; Stadtarchiv
Turm_(Halle) (1.1.2007).
Halle, Familienarchiv Friedrich Christian Lau(c)khard
39
2045; Stefan Winkle, Die Ruhr als Kriegsseuche wäh-
schinengeschr. Bericht, 5 S., Stadtarchiv Halle.
rend der Campagne in Frankreich 1792 in den Auf-
40
zeichnungen von Goethe und Laukhard.
Denkmalpflegers, in: Der Neue Weg vom 30. Dezem-
24
Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Friedrich Ludwig
Jahn 2926.
25
Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Ph.F.Th. Meckel
1438.
26
Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Johann Christian
Reil 11075 I, II.
27
Vgl. Uta Monecke, Zwischen staatlicher Obrigkeit
Hans Naundorf, Der Brand des Roten Turmes, maVgl. das Interview mit Kurt Marholz: Die Meinung des
ber 1964.
41
Manfred Anders, Fred Frohberg. Zwei gute Freunde,
Halle 2001, S. 32f.
42
Vgl. Udo Grashoff, Erhöhter Vorkommnisanfall. Aktio-
nen nach der Biermann-Ausbürgerung im Bezirk Halle,
Halle 2001.
43
Vgl. Udo Grashoff, Keine Gewalt! Der revolutionäre
und bürgerlichem Aufbruch. Preußische Zensur und
Herbst 1989 in Halle an der Saale, Halle 2004.
städtische Zensoren in Halle und Naumburg 1816-
44
1848, Halle 2006.
ko, Halle 1935, S. 6.
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Halle im Roko-
28
Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Wislicenus 42.
45
29
Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Gustav Rawald
Halle 1930, S. 246.
2623.
30
Zu halleschen Originalen vgl. Stadtarchiv, Sammel-
mappe IV/22.
31
Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Zither-Reinhold
2603.
32
Vgl. Dirk Schumann, Politische Gewalt in der Wei-
46
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,
Paul Frankl, Die Physiognomie des Geistigen Halle,
1931.
47
Hendryk Löhr, Pflastergestaltung in der Innenstadt,
in: Arbeitskreis Innenstadt, Heft Mai 2003.
48
Darüber berichtet die Saale-Zeitung in einer Notiz
am 3. Februar 1936, in: Stadtarchiv Halle, Häuserar-
marer Republik 1918-1933, Essen 2001; Stadtarchiv
chiv 126.
Halle, Sammelmappe I/10.
49
33
Aus: Joachim Bagemühl (Hg.), An der Saale hellem
Nach der gleichnamigen Anekdote in: Ernst Bun-
gers, Närrsche Leide, Halle 1929, S. 81-84.
Strande. Literarische Streifzüge durch die Landschaft
50
zwischen Elbe und Harz, Halle-Leipzig 1987, S. 109f.
rich Reichardt 11000.
34
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,
Halle 1930, S. 259.
35
Quelle: Ausstellung „Halle - Stadt der Arbeit“, Stadt-
museum 2006/07.
36
Zeitungsnotiz in der „Freiheit“ 1961, genaues Datum
unbekannt.
37
Ludwig Ehrler, Maler und ehemaliger Rektor der
51
Vgl. Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Johann Friedhttp://de.wikiquote.org/wiki/Halle_an_der_Saale
(1.1.2007).
52
Vgl. Felix Graf von Luckner, Aus siebzig Lebensjahren,
Biberach 1955; Norbert von Frankenstein, „Seeteufel“
Felix Graf Luckner. Wahrheit und Legende, Hamburg
1997.
53
Vgl. Der Joodler, in: Liberaldemokratische Zeitung
75
Literatur, Quellen zur Stadtgeschichte
vom 4. Februar 1976; Jedrällert un jefiffen, in: Mittel-
Stadtarchiv Halle, Häuserarchiv 126
deutsche Neueste Nachrichten vom 8. Juni 1978.
54
Peter Wawerzinek, Es läßt sich keiner umerziehn, in:
Stadtarchiv Halle, Familienarchiv: Karl Friedrich Bahrdt
Tageszeitung vom 19. Juli 1990, S. 17.
949; Joseph von Eichendorff 1458; Dorothea Erxleben
55
Stadtarchiv, Sammelmappe IV/23.
2550; Georg Händel 3214; Friedrich Ludwig Jahn 2926;
56
Vgl. http://hoelle.free.fr/eitag.html
Fritz Kloppe 11237; Friedrich Christian Lauckhardt
57
Vgl. Szenen aus Halle – Westdeutsche Seilschaft gibt
2045; Ph.F.Th. Meckel 1438; Thomas Müntzer 2927;
die Richtung an, in: Frankfurter Rundschau vom 3. De-
Gustav Rawald 2623; Johann Christian Reil 11075 I, II;
zember 1990, S. 7; Die fünf Türme beherrschen Halles
Wislicenus 42; Zither-Reinhold 2603.
Markt – doch wer beherrscht Halle? In: Hallesches
Tageblatt vom 5. November 1990, S. 3.
58
Steffen Reichert, Wie mit einem Deal in Halle die Mil-
Stadtarchiv Halle, Sammelmappen I/6, I/10, I/20, I/21,
IV/5, IV/22, IV/23, IV/25.
lionen verschoben wurden, in: Mitteldeutsche Zeitung
vom 8. Juni 1991, S. 18.
59
Stadtarchiv Halle, Mappe VI 11.
Vgl. Michael Jürgs, Die Treuhändler, München 1998,
bes. S. 356-363.
Werner Freitag/Andreas Ranft (Hg.), Geschichte der
60
BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14709, Bl. 118.
Stadt Halle, Halle 2006.
61
Schultze-Galléra nimmt an, dass die Rolandsfi-
Werner Freitag, Halle 806 bis 1806. Salz, Residenz und
gur mehrfach dem Zeitgeschmack angepasst wur-
Universität. Eine Einführung in die Stadtgeschichte,
de. „Möglich, daß bei der Wiederaufrichtung des
Halle 2006.
Rolandbildes 1854 bedeutendere Aenderungen
Volker Hermann, Die Entwicklung von Halle (Saale) im
vorgenommen worden sind, denn die Repara-
frühen und hohen Mittelalter, Halle 2001.
turkosten beliefen sich auf 222 Taler; so mag die
Hans-Joachim Mrusek, Halle/Saale, Leipzig 1960.
Krone vom Haupte herabgemeißelt sein, vielleicht
Heinrich L. Nickel (Hg.), Das Hallesche Heiltumbuch
ist auch der Schild getilgt worden.“ Vgl. Siegmar
von 1520, Halle 2001.
Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen der Stadt
Martin Schellbach, Kampf und Sieg der Reformation
Halle und des Saalkreises, Halle 1922, S. 32, zit. 53.
in Halle, Halle 1941.
62
Max Schwab, Der geologische Untergrund der Stadt
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen der
Halle und die „Hallesche Marktplatzverwerfung“, in:
Stadt Halle und des Saalkreises, Halle 1922.
Werner Freitag/Andreas Ranft (Hg.), Geschichte der
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,
Stadt Halle, Halle 2006, Bd. 1, S. 78-90, zit. 84.
Halle 1930.
Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Halle im Rokoko,
Halle 1935.
Holger Zaunstöck (Hg.), Halle zwischen 806 und 2006,
Halle 2001.
76