Diakonie 66_13 - Innere Mission München

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Diakonie 66_13 - Innere Mission München
Schwerpunktthema: 20 Jahre diakonia (Seite 3 – 7)
Hilfe im Alter: Neues Pflegezentrum in Riemerling (Seite 9)
Sozialpsychiatrie: Krisendienst Oberbayern ist gestartet (Seite 13)
Die Zeitung der Inneren Mission München • Juli 2016
Liebe Leserin,
lieber Leser,
S
itzen ein Affe, ein Goldfisch, ein
Zebra und ein Pinguin in der
Bewerberrunde. Sagt der Personalchef: „Wer zuerst auf dem Baum
ist, bekommt den Job!“ Logisch:
Einer aus der Runde gewinnt, drei
verlieren.
Drei Einrichtungen des Frauenbereichs im Evangelischen Hilfswerk haben gemeinsam Geburtstag gefeiert
Netzwerken für eine menschliche Stadt
Dieses Netz ist im richtigen Leben
meist unsichtbar; jetzt wird es
sichtbar: handgeknüpft und bunt,
mal dicht, mal mit größeren Löchern – aber immer gehalten und
nie am Boden. Entstanden ist es
während des Jubiläumsgottesdienstes in der Markuskirche binnen weniger Minuten und es steht
symbolisch für das soziale Netz,
das die drei Einrichtungen des
Evangelischen Hilfswerks (EHW)
seit fünf, 20 und 50 Jahren beharrlich knüpfen. Ein Netz, das speziell
Frauen in schwierigen Lebenslagen
gezielte Unterstützung und vielfältige Hilfe bietet.
Breitgefächerte Hilfepalette
Dieter Sommer
Geschäftsführer diakonia
S
o wie diesen Dreien geht es
auch den Menschen, die in unserer Arbeitswelt abgehängt werden. Sie entsprechen nicht den Anforderungen – zumindest auf den
ersten Blick. Viele Talente und Potentiale bleiben auf der Strecke,
weil kaum jemand den zweiten
Blick riskiert. Dabei profitieren wir
alle davon, wenn diese besondere
Vielfalt in unserem sozialen Leben
und betrieblichen Geschehen ihren
Niederschlag findet. Zuallererst gewinnen die Menschen selbst, wenn
sie sich einbringen können und für
ihre Leistung Anerkennung finden. Wenn soziale Ausgrenzung
nicht mehr in den eigenen Köpfen
oder den Köpfen der Andern stattfindet.
B
Seit 50 Jahren hat beispielsweise
der Evangelische Beratungsdienst
seine breitgefächerte Hilfepalette
aufgebaut, deren einzelne Angebote ineinander greifen und flexibel
auf die jeweilige Notlage reagieren: Dezentrales Stationäres Wohnen, Fachberatungsstelle „Wohnen
und Existenzsicherung“, Fachstelle
zur Vermittlung von Müttern in
gemeinnützige Arbeit, Integrationshilfen, Straffälligenhilfe,
Wohngemeinschaften und Wohnheim. Allesamt Einrichtungen für
Frauen, die in ihrem Leben zumeist schlechtere Startchancen
hatten: weil ihre Eltern süchtig
oder psychisch krank – oder
schlichtweg gar nicht vorhanden
waren. Deren Lebensläufe geprägt
sind, von Vernachlässigung, Beziehungsabbrüchen, Gewalterfahrungen und Missbrauch.
Oder das Frauenobdach Karla
51, das seinen zwanzigsten Geburtstag feiert. In der Einrichtung in der
Karlstraße gibt es 40 Einzelzimmer,
in denen Frauen – auch mit Kindern – rund um die Uhr einen geschützten Raum finden, beraten
und unterstützt werden, bis sie wieder „etwas Boden unter den Füßen“
haben und in eine weiterführende
Einrichtung umziehen können. Sofern es denn freie Plätze gibt. Jüngstes Geburtstagskind: Die Lebens-
mige – parteienübergreifende
Unterstützung im Münchner Rathaus hervor, die für ihn wichtiger
sei als der finanzielle Support:
„Der Stadtrat hat ein Auge nicht
nur auf die da oben, sondern auch
für die am anderen Ende.“
Die Innere Mission werde ihr
Engagement in diesem Bereich
künftig noch intensivieren, so Bauer. Gerade angesichts steigender
Zahlen von Flüchtlingsfrauen ohne legalen Aufenthaltsstatus sowie
von Armutsmigranten aus Osteuropa sei dies ein Gebot der Stunde.
„Die Menschenwürde hört nicht
beim Aufenthaltsstatus auf.“
Knüpfen am sozialen Netz für Frauen: Was sonst unsichtbar ist, wurde bei dem
Gottesdienst in der Markuskirche sichtbar.
plätze, ein niedrigschwelliges
Wohnangebot für ehemals obdachlose Frauen im Münchner Norden.
25 Bewohnerinnen leben in dem
neu errichteten Haus am Lieberweg,
haben einen eigenen Mietvertrag –
und können die Hilfeangebote des
Sozialpädagoginnenteams nutzen
oder auch nicht. Ganz wie sie wollen oder können.
Immer wieder geht es also ums
Wohnen. In einer Stadt, in der
Wohnungen notorisch knapp sind
und Mietpreise exorbitant hoch,
trifft das vor allem diejenigen am
härtesten, die irgendwie aus der
Bahn geflogen sind. Stadtdekanin
Barbara Kittelberger sagte denn
auch in ihrer Predigt: „Eine Bleibe
zu haben, ist ein Segen. Ein Dach
über dem Kopf fühlt sich wunderbar an.“ Es sei deshalb auch ein
Segen, dass es die drei EHW-Einrichtungen schon seit Jahren „als
zuverlässige Anlaufstellen“ gibt.
Hier könnten Frauen spüren, dass
sie nicht alleine sind; hier begebe
man sich gemeinsam auf die Suche nach „Lösungen, die tragen
und halten“.
Und wörtlich: „Offene Ohren,
die zuhören, machen das Reden
auch leichter.“ Die Mitarbeiterinnen seien für ihre Klientinnen
manchmal so etwas wie „gute En-
D
ie Vielfalt und Besonderheit
vieler Menschen, die aus den
Krisengebieten dieser Welt zu uns
kommen, bereichern uns jeden
Tag. In dieser Ausgabe des Diakonie Reports können Sie einen zweiten Blick werfen auf unsere Betriebe und auf die Mitarbeitenden, die
hier eine neue Heimat gefunden
haben. Eine anregende Lektüre
wünscht
Körbeweise Glückwünsche gab es für die Einrichtungsleiterinnen dann beim
Empfang im Alten Rathaus.
Fotos: Florian Peljak
gel“, so Kittelberger. Fürsorge erfolge „nicht von oben nach unten“,
sondern werde miteinander auf
gleicher Ebene gestaltet.
An die vielfältigen Verdienste
der drei Einrichtungen erinnerten
auch die Festredner beim anschließenden Empfang im Alten Rathaus. Rund 350 Gäste waren gekommen – dem Anlass entsprechend mehrheitlich Frauen. Bürgermeisterin Christine Strobl überbrachte die Grüße der Stadt und
erinnerte an die ideelle – und finanzielle – Unterstützung der
Kommune: „Dieses Geld, das wir
hier investieren, ist sehr gut angelegtes Geld.“ Das Thema „Frauen
in Notsituationen“ werde leider
noch länger aktuell bleiben, mutmaßte sie. Die Stadt sehe sich hier
in der Pflicht, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.
Strobl wörtlich: „Eine Stadt ist nur
dann eine menschliche Stadt,
wenn auch Menschen in ihr leben
können, die irgendwie aus der
Bahn geworfen wurden.“
Angebot neu justieren
Gordon Bürk, Geschäftsführer
des Evangelischen Hilfswerks, wies
ebenfalls auf den stark angestiegenen Anteil von Frauen in der Wohnungslosigkeit hin. Habe der in
den 80er-Jahren noch etwa zehn
Prozent betragen, liege er derzeit
bei rund 30 Prozent. Angesichts
dieser Entwicklung müsse jetzt das
gesamte Angebot neu ausjustiert
und um ambulante Dienste erweitert werden. „Die Frauen, die
vermehrt zu uns kommen, brauchen Hilfe. Wir dürfen sie nicht alleine lassen!“ Bürk dankte für das
aufopferungsvolle und oft weit
über die Grenzen hinausgehende
berufliche Engagement der Hauptamtlichen: „Die Mitarbeiterinnen
durchwandern manche dunkle
Stunde, bis am Ende dann doch
noch das Licht durchbricht.“ Und
auch den Ehrenamtlichen sprach
er seinen Dank aus: „Ihr besonderer Zugang zu den Menschen, die
Sie betreuen, ist uns eine große
Hilfe, auf die wir nicht verzichten
können.“
Klaus Honigschnabel
Empfang im Alten Rathaus
Helmut Roth, Leiter des Referats
für Sozialplanung beim Bezirk
Oberbayern, erklärte in Vertretung
von Bezirkstagspräsident Josef Mederer, Wohnungslosigkeit sei mittlerweile in ganz Bayern ein Thema: „Männer sind auffälliger,
wohnungslose Frauen fallen nicht
so auf.“ Gerade deshalb bräuchten
sie mehr Aufmerksamkeit und
Unterstützung. Frauenspezifische
Anfragen des EHW verstehe der
Bezirk nicht als Nörgelei – ganz im
Gegenteil: „Sie scheren nichts über
einen Kamm, sondern übersetzen
Bedarfe, lindern Notlagen und verbessern Lebenschancen.“
Für die Frauengleichstellungsstelle der Stadt verwies Sabine Kellig auf die Erfolge der Frauenarbeit: „Sie geben denjenigen eine
Perspektive, die sonst keine Perspektive mehr haben.“ Und Günther Bauer, Vorstand der Inneren
Mission, hob die – meist einstim-
Wir freuen uns
über Ihre Spende!
Spendenkonto: 36 70 70 70
BLZ 700 202 70
bei der HypoVereinsbank
ei diakonia versuchen wir seit
20 Jahren erfolgreich, diese
Schätze zu heben. Jeder Mensch ist
einmalig, jeder Mensch hat etwas
Besonderes beizutragen – und für
alle gibt es bei uns einen unverwechselbaren Arbeitsplatz. Natürlich muss man noch etwas dazulernen und sich anpassen. Doch
wenn dieser Einsatz den individuellen Stärken gilt und alle Energie
nicht an übergroßen Hindernissen
scheitert, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, durch diakonia eine
berufliche Zukunft zu finden.
Ausgabe 74 • www.im-muenchen.de
Seite 2
Nr. 74 · 2016
Der Strom kommt vom Dach: Auf dem Sonnenhof in Ebenhausen liegen 600
Quadratmeter Photovoltaik.
Foto: Wilfried Bogner
Die Innere Mission produziert auch Energie
Wenn aus Sonnenenergie Strom wird
„Gemeinsam die Schöpfung bewahren“ – das ist das Ziel des Diakonischen Solarfonds. Durch den
Bau von Photovoltaikanlagen auf
Dächern diakonischer Einrichtungen will die Initiative einen Beitrag zum Umweltschutz leisten.
Der Diakonische Solarfonds entstand 2011 als Nachfolger des
2009 gegründeten Evangelischen
Solarfonds. Ziel beider Fonds war
und ist es, auf möglichst vielen kirchen- oder diakonieeigenen Gebäuden wie Kindergärten, Altenheimen oder Pfarr- und Gemeindehäusern Photovoltaikanlagen einzurichten und so durch regenerative Energiegewinnung die Umwelt
zu schonen.
Energie zum Vorzugspreis
Das Prinzip ist einfach: Die Einrichtungen vermieten ihre Dächer
an den Diakonischen Solarfonds,
der gewonnene Strom kann für einen Zeitraum von 20 Jahren zu einem Vorzugspreis selbst genutzt
werden. Anschließend kann die
Anlage für einen eher symbolischen Preis erworben werden. „Zugleich bestand die Möglichkeit,
Mitgesellschafter des Fonds zu werden“, erklärt Roland Rausch, Abteilungsleiter Wirtschaft und Finanzen der Inneren Mission. Doch
dabei blieb es nicht: „Heute sind
wir der größte Anteilseigner.“
Die erste Anlage, die die Innere
Mission nach diesem Verfahren errichtet hat, entstand 2011 auf den
Dächern der Hans und Gerda
Tremml-Stiftung in Grünwald.
Weitere Pflegeheime und Einrichtungen folgten, zehn davon stehen
unter der Leitung der Inneren Mission. Eines der jüngsten Projekte ist
die Anlage auf dem „Sonnenhof“,
einem Nebengebäude des Altenund Pflegeheims in Ebenhausen
mit beschützender Pflege. „Die
Idee, das Flachdach des Sonnenhofes für Solaranlagen zu verwenden, entstand bereits vor zwei Jahren“, erläutert Einrichtungsleiter
Wilfried Bogner.
Neben dem Umweltgedanken
war für Bogner ein Blick auf die
Stromrechnung ausschlaggebend,
sich an der Aktion des Diakonischen Solarfonds zu beteiligen.
„Bei einem Jahresverbrauch zwischen 400.000 und 500.000 Kilowattstunden kommt man schon
mal ins Nachdenken“, sagt Bogner. „Aber da viele unserer Senioren Augenprobleme haben, brauchen wir es sehr hell, um so die
Sturzgefahr zu minimieren.“ Seit
März gibt eine Anzeigetafel im
Eingangsbereich des Pflegeheims
einen Überblick über den gerade
erzeugten Strom. Bogner lacht:
„Wenn man die Photovoltaikanlage schon nicht sieht, soll man wenigstens sehen, was sie tut.“
Damit sowohl der Sonnenhof als
auch das benachbarte Pflegeheim
von dem erzeugten Strom profitieren, wurden beide Stromnetze zusammengeführt. Der Gesamtpreis
der Anlage beträgt rund 150.000
Euro – Geld, das sich in etwa zehn
Jahren wieder amortisiert hat.
„Das Dach des Sonnenhofs war
einfach ideal für unser Vorhaben“,
bestätigt Clemens Bloß, Geschäftsführer des Diakonischen Solarfonds. Im September vergangenen
Jahres wurden in zweiwöchiger
Bauzeit auf der etwa 600 Quadratmeter großen Fläche 396 Module
installiert, die nun Strom liefern.
Ihre Leistung liegt bei 97 Kilowatt
So feiern andere Religionen (Juli – September 2016)
Juli
5. – 7. Juli:
6. Juli:
19. Juli:
Id al-Fitr, Ramadan Ende (islamisch)
Ratha Yatra (hinduistisch)
Asalha Puja (buddhistisch)
August
13. – 15. August:
14. August:
25. August:
Obon Fest (buddhistisch)
Tischa beAw (jüdisch)
Krishna Janmashtami (hinduistisch)
September
5. September:
Ganesh Chaturthi (hinduistisch)
12. – 15. September: Id al-adha, Opferfest (islamisch)
27. September:
Kreuzerhöhung (orthodox)
pro Stunde, im Jahr ergibt das also
rund 90.000 Kilowattstunden. Verbraucht wird der Strom vom Pflegeheim selbst. „Das ist so, als ob der
Verbraucher gleich auf dem Feld
sitzt und die Ernte aufisst“, vergleicht Bloß auf humorvolle Art.
„Ins Netz eingespeist wird nichts.“
Anders sieht die Sache bei der
Wohnanlage der Tremml-Stiftung
aus: „Hier wird der Solarstrom nur
für die Allgemeinflächen und die
technischen Anlagen genutzt,
denn die Mieter haben ihre eigenen Stromanschlüsse“, erklärt
Rausch die Lösung in Grünwald.
Und die Heilpädagogische Tagesstätte in Garching kann den Strom
vom Dach nur an den Schultagen
verbrauchen, wenn im Haus auch
Betrieb ist. An allen anderen Tagen wird er ins Netz eingespeist.
Die Umwelt hat gewonnen
Die größte Anlage steht in Eichenau auf dem Dach des Evangelischen Pflegezentrums, weiß Roland Rausch. „Im vergangenen
produzierte sie rund 210.000 Kilowattstunden; 85 Prozent davon
wurden vor Ort verbraucht. Das
entspricht knapp 30 Prozent des
Gesamtstrombedarfs des Hauses.“
Und sollte eine Anlage wider Erwarten einmal nichts liefern, bekommt Clemens Bloß sofort eine
Meldung auf seinem Computer.
„Hier wird angezeigt, wie alle unsere Anlagen arbeiten, ob ein Fehler
aufgetreten ist, ob die Sonne scheint
oder ob gerade Schnee draufliegt.“
Basierend auf diesen Informationen
kann sofort eine Reparatur in die
Wege geleitet werden.
Die Größe der Solaranlagen auf
den Dächern der Einrichtungen der
Inneren Mission schwankt zwischen
58 Quadratmetern (Garching; 34
Module) und 1.474 Quadratmetern
(Eichenau; 867 Module). Insgesamt
sind es 2.615 Module, die für die Innere Mission umweltfreundlichen
Diakonie-Strom erzeugen.
Und deren Produktivität kann
sich sehen lassen: Der Gesamtertrag
bei allen Häusern liegt laut Bloß bei
1,65 Gigawattstunden: „Allein mit
der im vergangenen Jahr auf den
Dächern der Inneren Mission erzeugten Energie könnte man rechnerisch 87 Haushalte ein Jahr lang
versorgen“, verdeutlicht der Experte
diese Zahl. Und die Einsparung an
CO2 betrug vergangenes Jahr 215
Tonnen; die Prognose für die Gesamtlaufzeit liegt bei 6.247 Tonnen.
Clemens Bloß und Roland Rausch
sind sich da einig: „Für die Umwelt
hat sich das allemal gelohnt.“
Weitere Standorte im Geschäftsbereich München sieht Rausch derzeit allerdings nicht mehr. Allenfalls auf dem Dach des Pflegeheims der Lore Malsch-Stiftung in
Riemerling (siehe Seite 9) könnte
noch eine Anlage entstehen. Zudem soll der aktuelle Diakonische
Solarfonds in diesem Jahr geschlossen werden. Doch die Innere
Mission hat schon vor Längerem
eine weitere Möglichkeit gefunden,
umweltfreundlich und nachhaltig
Strom zu erzeugen. Das Diakonieunternehmen betreibt mittlerweile
14 Klein-Blockheizkraftwerke in
seinen Einrichtungen. Rausch
schmunzelt: „Das sind dann noch
einmal mehr als 500.000 Kilowattstunden jährlich, die quasi als Abfallprodukt der Heizungsanlage
anfallen.“
Sabine Hermsdorf
www.kirchensolarpark.de
Finanzen 2015: Optimistischer Blick in die Zukunft
Gemeinsam viel geleistet
„Gemeinsam schaffen wir’s“ stand
auf diesem Wahlplakat der CSU
im Jahr 1947. Es wandte sich an
Vertriebene mit dem Slogan „Eure
Not ist unsere Sorge“. Für die Vertriebenen ging es um die Existenz
und um „Wohnen“.
Auch 2015 ging es für viele
Menschen auf der Welt oftmals um
die pure Existenz: Sie mussten ihre
Heimat verlassen angesichts von
Krieg, Terror, Zerstörung und existentieller Not. Ihre Wohnungen
wurden zerbombt und zerschossen,
vielfach von der eigenen Regierung. Etwa eine Million der weltweit mindestens 60 Millionen
Flüchtlinge kamen nach Deutschland – meist mit nicht viel mehr
als mit ihren Kleidern am Leib.
Die großen Augen eines vielleicht
sechs Monate alten Kindes auf den
Armen eines freiwilligen Helfers
gegen Mitternacht am Hauptbahnhof, daneben seine Mutter
mit einer kleinen Reisetasche auf
dem Rücken, werde ich – gerade
selbst wieder Großvater geworden
– wohl nicht mehr vergessen.
„Gemeinsam schaffen wir’s“ war
und ist das Motto unzählig vieler
Menschen, Ehrenamtlicher und
Hauptamtlicher, um die Herausforderungen der sogenannten Flüchtlingskrise zu bewältigen.
So wurde unsere Tochtergesellschaft diakonia geradezu zum Synonym für die Bekleidungshilfe in
der bayerischen Landeshauptstadt.
Mehrere tausend Ehrenamtliche
halfen beim Sortieren und der Ausgabe der Kleiderspenden. In der
Asylsozialarbeit engagieren wir uns
mit inzwischen rund 170 Hauptamtlichen und noch sehr viel mehr
Ehrenamtlichen in einer Vielzahl
von Asylbewerberunterkünften.
Ferner betreuen wir annähernd
300 unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge (UMF) in unseren Jugendhilfeeinrichtungen. Wir haben
2015 von heute auf morgen der Regierung von Oberbayern im Ankunftszentrum und später auch am
Hauptbahnhof geholfen sowie in
der Notunterkunft Dornach. Und in
Feldkirchen haben wir für annähernd 100 UMF an einem Wochenende eine Notunterbringung organisiert, auch hier wieder unterstützt
von einem großen Helferkreis.
Enormes Umsatzwachstum
Aber nicht nur in der Flüchtlingshilfe haben wir 2015 gemeinsam viel geleistet: Alle unsere Firmen weisen im vergangenen Jahr
ein enormes Umsatzwachstum
auf. In der gesamten Münchner
Unternehmensgruppe stiegen die
Erträge um 17,5 Prozent von 104,2
Millionen Euro (in 2014) auf 122,4
Millionen Euro. Differenziert nach
den jeweiligen Firmen waren es
15,5 Prozent mehr im Münchner
Geschäftsbereich des Vereins, 11,5
Prozent Zuwachs bei der Hilfe im
Alter (HiA), 31,0 Prozent beim
Evangelischen Hilfswerk (EHW)
und 17,6 Prozent bei der diakonia.
Im Verein betraf das Wachstum
vor allem die Jugendhilfe und den
Bereich der Asylsozialbetreuung.
Bei der HiA resultierte das Wachstum vor allem aus der nunmehr erreichten Vollauslastung des 2013
eröffneten Pflegezentrums in Send-
ling sowie Verbesserungen bei den
Personalschlüsseln (zusätzliche
Präsenzkräfte, Aufstockung der
Zahl an Demenzhelfern).
Das außerordentlich hohe Umsatzwachstum beim Evangelischen
Hilfswerk ist insbesondere im erstmals ganzjährigen Betrieb der Notunterkunft für obdachlose Menschen „Charlotte von KirschbaumHaus / Lollo“ begründet sowie in
der deutlichen Erhöhung der städtischen Zuschüsse für den Kälteschutz und die Betreuung der dort
untergebrachten Menschen vornehmlich aus osteuropäischen
Ländern.
Überdurchschnittlicher Einsatz
Von den Gesamterträgen entfielen 86,3 Millionen Euro (70,5 Prozent, +19,8 Prozent) auf Umsatzerlöse (insbesondere Leistungsentgelte entgeltfinanzierter Einrichtungen) und 26,7 Millionen Euro (21,8
Prozent, +17,2 Prozent) auf Zuschüsse. Der Personalaufwand betrug 2015 81,1 Millionen Euro
(66,3 Prozent) – 15,5 Prozent mehr
als im Jahr davor. Die Zahl unserer Mitarbeitenden stieg dabei um
12,4 Prozent.
Das Sachanlagevermögen belief
sich auf 114,1 Millionen Euro,
etwas weniger als im Vorjahr, da
2015 keine größeren Neuinvestitionen erfolgt sind. Die Bilanzsumme erhöhte sich dennoch von
139,2 Millionen Euro auf 142,6
Millionen Euro. Der Jahresüberschuss stieg deutlich von 558.000
Euro auf knapp 2,36 Millionen
Euro; das entspricht 1,9 Prozent
der Gesamterträge. Dieser Anstieg
ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass für das Pflegezentrum in Sendling keine Anlaufverluste mehr angefallen sind. Das
gute Ergebnis ist aber auch Ausdruck des hohen Engagements unserer Mitarbeitenden.
Leider können wir angesichts
der angespannten Situation auf
dem Arbeitsmarkt für Fachkräfte
nicht immer alle Stellen besetzen.
Umso mehr ist der überdurchschnittliche Einsatz derer gefragt,
die für unsere Klienten arbeiten.
Auch hier galt im vergangenen
Jahr mehr denn je: „Gemeinsam
schaffen wir’s“.
Der erwirtschaftete Überschuss
verbleibt selbstverständlich im
Unternehmen und gibt uns die
notwendige Sicherheit, auch im
vor uns liegenden Jahr die weiter
wachsenden Aufgaben optimistisch anzugehen.
Roland Rausch
Nr. 74 · 2016
Seite 3
aus den vergangenen Jahren ist
lang; die der wichtigen Kunden
auch: Sie reicht von der GWG über
die Wogeno und die Stadtsparkasse München bis zur Inneren Mission, der zusammen mit dem Dekanatsbezirk der Betrieb gehört.
„Bei den großen Baustellen in
München sind wir zweimal pro
Jahr dabei“, erklärt der kaufmännische Leiter Jürgen Schmaler.
Sechs bis acht Monate sind 12 bis
15 Mitarbeiter mit einem Projekt
beschäftigt. Normaler Standard.
„Wir sind ein Unternehmen wie jedes andere auch. Nur unsere Mitarbeiter sind speziell.“
Ausbildung als Chance
Manchmal treiben sie es ziemlich bunt, manchmal wird alles weiß: Den Malerteams der diakonia ist kein Auftrag zu
schwer.
Fotos: Gregor Bresser, Kurt Bauer
Der Malerfachbetrieb der diakonia mischt erfolgreich in der ersten Liga mit
Nicht kleckern, sondern klotzen
Sich im hart umkämpften Markt
der Baubranche erfolgreich zu etablieren, ist nicht leicht. Doch der
diakonia Malerfachbetrieb hat es
geschafft: Er kann locker mit anderen Firmen mithalten – und ist
dennoch nicht mit ihnen vergleichbar. Denn er beschäftigt und
qualifiziert Menschen mit und ohne Handicap, mit Schwerbehinderung sowie Langzeitarbeitslose. Er
bietet ihnen eine nachhaltige berufliche Perspektive. Und er ist vermutlich der einzige anerkannte
Ausbildungs- und Integrationsbetrieb dieser Art in Deutschland, der
sich richtig große Projekte zutraut
– und sie auch bewältigt.
Anfang mit Entrümpelungen
Mit einer mobilen, breit aufgestellten Hausmeisterei fing vor langer Zeit alles an. Der Betrieb „diakonia Handwerk“ übernahm seit
1997 unter anderem Renovierungen, Entrümpelungen, Elektround Sanitärinstallationen. Als das
aber nicht so rund lief, entschied
man sich für die Spezialisierung.
Die Gründung des Fachbetriebs erfolgte 2003 unter der Leitung von
Dietmar Janz, der an der Akademie der Bildenden Künste in München ein Studium der Bildhauerei
absolvierte und davor in Freiburg
Sozialarbeit studiert hatte.
Ein Mann, der den schwierigen
Schritt damals stark unterstützt
hat, ist der Malermeister Manfred
Schwertfeger. Ein Glücksfall. Er
kam über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zum Betrieb und
brachte beim Aufbau mit großem
Elan seine ganze Berufserfahrung
ein. Der Plan ging auf.
Der kleine Träger befristeter Arbeitsmaßnahmen, der seine Aufträge vorwiegend vom Sozialreferat der Stadt München bekam,
mauserte sich schnell zu etwas
Größerem. Bald gehörten auch
Wohnungsbaugesellschaften und
Genossenschaften zu den Kunden;
später kamen dann kirchlich-
diakonische Träger dazu. 2006
dann die erste große Bewährungsprobe: ein Neubau des Katholischen Siedlungswerks mit 99 Wohnungen am Fritz-Meyer-Weg. Dietmar Janz: „Wir haben da selber
ein bisserl Angst vor unserer eigenen Courage gehabt. Aber dann
hat fast alles wunderbar geklappt
– und wir waren drin in der ersten
Liga.“ Das ermöglichte dem Malerbetrieb, der vor ein paar Jahren
auch Mitglied der Maler- und
Lackiererinnung geworden war,
für die Mitarbeitenden langfristige
Perspektiven zu eröffnen.
Am Anfang gab es vier befristet
angestellte Maler und Lackierer;
heute sind es gut zwei Dutzend.
„Es ging von Anfang an um Professionalität“, sagt Betriebsleiter
Martin Burkhardt, der außerdem
die diakonia TipTopBOX leitet, ein
Unternehmen, das leere Tonerkartuschen und Tintenpatronen sammelt und recycelt. Das Ziel sei damals sofort klar gewesen. „Alle
sagten, wir wollen kein wohlwollendes Schulterklopfen. Wir wollen
und müssen auf dem privaten
Markt mitmischen.“ Genau das
gelang. Es wurde nicht gekleckert,
sondern geklotzt.
Längst ist der strukturelle Wandel abgeschlossen. Der Malerfachbetrieb, der seinen Sitz seit vergangenem Jahr am Stahlgruberring 8
hat, ist konkurrenzfähig und gut
im Geschäft. Dank seiner Zuverlässigkeit, seiner Erfahrung und der
Kompetenz und der perfekten Leistung der Mitarbeiter.
Burkhardt ist seit knapp zwei
Jahren Chef des Betriebs; 2014 trat
er die Nachfolge von Dietmar Janz
an. Vorher arbeitete er acht Jahre
lang als Malermeister in dem diakonia-Betrieb; sein erstes Projekt,
das er verantwortlich leitete, war
die Großbaustelle am Fritz-MeyerWeg. Von 2010 an studierte er berufsbegleitend Management im
Sozial- und Gesundheitswesen.
„Wir machen gerne große Objekte“, erklärt er. Denn genau das
sei nötig, um den Mitarbeitern
ganzjährig feste Arbeitsplätze zu
sichern und um auf dem privaten
Markt zu überleben: „Wir haben
Umsatzdruck, so wie alle.“ Bei den
öffentlichen Ausschreibungen, bei
den Aufträgen gelten für den Malerbetrieb der diakonia die gleichen Bedingungen wie für alle anderen Firmen. „Es fragt niemand
nach den Behinderungen unserer
Mitarbeiter. Wir wollen auch gar
nicht, dass die Kunden das interessiert. Genau das ist Inklusion“,
sagt Burkhardt.
Lange Kundenliste
Schwerpunkte des Fachbetriebs
sind Malertätigkeiten bei Innenrenovierungen, Innenarbeiten in
Neubauten sowie Fassaden- und
Bodenbeschichtungen. Hinzu kommen unter anderem Tapezier-,
Lackier- und Spachtelarbeiten und
dekorative Maltechniken.
Ein aktuelles großes Projekt und
gutes Beispiel ist das künftige Bildungszentrum der Münchner
Volkshochschule an der Einsteinstraße, das in diesem Jahr fertig
gestellt wird. „Ein Riesenauftrag“,
sagt Burkhardt und man sieht ihm
die Freude darüber an. „Und eine
fachlich anspruchsvolle Sache, bei
der historische Gebäude und Neubauten miteinander verschmelzen.“ Die Liste wichtiger Aufträge
Der diakonia Malerfachbetrieb
hat Geschichten geschrieben. Vor
allem die Geschichten von Menschen, die es trotz Widrigkeiten,
trotz schwieriger Lebensumstände
schaffen. Von Frauen und Männern, deren Potential oft unterschätzt wird. Die mehr Unterstützung als andere brauchen, um es
zu entfalten. Die diakonia bietet
genau diese Unterstützung und bildet aus. „Im Moment haben wir
sieben Umschüler, die alle den Gesellenbrief bekommen werden“,
berichtet Schmaler. So wie auch
die vielen anderen Umschüler und
Auszubildenden des Betriebs vor
ihnen, für die sich damit gute
Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgetan haben.
Für die meisten, die in dem Betrieb der diakonia anfangen, geht
der Weg weiter. Bestes Beispiel dafür ist Tamara Moser: Sie begann
ihre Ausbildung als 18-Jährige
und startete dann richtig durch.
Heute ist sie 24, Malergesellin, Vorarbeiterin und besucht die Meisterschule. Künftig kann sie damit
auch als Anleiterin tätig sein. „Sie
hat bei uns richtig Gas gegeben“,
sagt Burkhardt sichtlich stolz.
28 Beschäftigte hat der Malerfachbetrieb momentan: darunter
Malermeister, Gesellinnen und Gesellen, Sozialpädagogen und Umschüler. Menschen, mit und ohne
Handicap, die erfolgreich zusammenarbeiten. Letztlich sind es
nicht nur die Zuverlässigkeit, Flexibilität und das Know-how, die
den Betrieb erfolgreich machen,
sondern der Teamgeist. Das große
Zugehörigkeitsgefühl, das die Mitarbeitenden entwickeln. „Viele befanden sich in einem Strudel, aus
dem sie sich bei uns befreien können“, sagt Burkhardt. „Sie wollen
endlich irgendwo ankommen.“
Genau das gelingt. „Und es motiviert sie jeden Tag aufs Neue.“
Brigitta Wenninger
Ein Eldorado für Leseratten
Gleich am Eingang stehen die ersten. Neben der Kasse – nochmal ein ganzer Tisch voll. Im Regal am Fenster dann eine ganze Reihe. Unübersehbar:
Die Bücher haben sich im kaufhaus an der Dachauer Straße ihren Platz erobert. Und auch in anderen diakonia-Läden laden sie die Kundschaft zum
Schmökern und Kaufen ein.
2013 machte das kaufhaus mit ihnen etwa fünf Prozent seines Umsatzes;
mittlerweile liegt der Anteil doppelt so hoch. Tendenz: steigend. Hinter dem
Erfolg steht Thorsten von Eyb (3. v. l.) mit seinem Bücherteam – neun Leute, „mittlerweile gut eingespielt und motiviert“, sagt von Eyb. Täglich wühlen sie sich durch rund 1.000 Kilo an gespendeten Büchern. Etwa zwei
Drittel werden als Altpapier aussortiert, weil sie zerlesen sind oder keine
Nachfrage zu erwarten ist. Der Rest wandert in den Verkauf: Belletristik,
Sachbücher, Ratgeber, Kochbücher, Kinderbücher.
Schön geordnet nach Kategorien stehen sie in der Bücherabteilung im ersten Stock. Jedes Preisetikett ist mit Datum versehen. „Ladenhüter wollen
wir hier nicht“, sagt von Eyb. Was länger als zwei Monate im Regal steht,
fliegt wieder raus; Kinder- und Jugendbücher haben sogar nur einen Monat
Bewährungszeit. Sonst würden sie der Bücherberge nicht mehr Herr.
Gekauft wird viel, denn offen und luftig hat das Büchterteam die Regale
aufgestellt. „Keine geschlossene Wand mehr wie früher“, sagt Thorsten von
Eyb. Da ein Sofa mit Tischchen, dort ein Hocker zum gemütlichen Schmökern. Viele Kunden kommen regelmäßig, auch Händler sind darunter – auf
der Suche nach verborgenen Schätzen. Doch die versuchen die Mitarbeiter
schon beim Sortieren zu bergen: „Man braucht ein geschultes Auge“, sagt
von Eyb. Hat jemand ein offensichtlich besseres Buch gefunden, wird das
Internet zu Rate gezogen. Vieles landet schließlich im Raritäten-Regal – zu
etwas höheren Preisen.
Ansonsten ist das Preisgefüge einfach: 50 Cent pro Taschenbuch, ein Euro
für Hardcover, 2,50 Euro für Bildbände. Trotz dieser relativ kleinen Beträge
kommt einiges zusammen. Und es soll noch mehr werden. Eine Idee und
ein Büro gibt es dafür bereits. Und rund 1.600 Bücher – die demnächst im
Internet verkauft werden sollen. „Vor allem aktuelle Literatur eignet sich
dafür“, erklärt Thorsten von Eyb.
Und dann gibt es da noch die Verkäufe über ebay und die Bücheraktionen… Die Ideen gehen dem Bücherteam nicht so schnell aus. Der Nachschub auch nicht.
Doris Richter / Foto: Oliver Bodmer
Seite 4
Nr. 74 · 2016
Seit 20 Jahren steht die diakonia für das Anliegen der beruflichen Integration
Diese Arbeit stiftet Sinn
Wenn ein Mensch seine Arbeit verliert, verliert er nicht nur seine finanzielle Sicherheit: Ohne Arbeitsplatz fehlt die Struktur, das Gespräch mit den Kollegen, das Gefühl, gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun. „Wenn jemand aus dem Arbeitsprozess rausfällt, ist das ein großes Problem“,
sagt Günther Bauer, Vorstand der
Inneren Mission München. Ein Problem, das es zu lösen gilt.
Seit Ende der 1970er-Jahre gehört Arbeitslosigkeit zu den größten sozialen Problemen in Deutschland. Auch die evangelische Kirche
begann damals, sich mit dem Thema zu beschäftigen, und hatte vor
allem die sozialen und psychischen
Auswirkungen auf die Menschen
im Blick. Seit 1994 steht Bauer an
der Spitze der Inneren Mission;
doch anders als andere Wohlfahrtsverbände hatte der kirchliche
Wohlfahrtsverband noch keine
nennenswerte Initiative für Langzeitarbeitslose. Um das zu ändern,
wandte sich Bauer an Helmut Ruhwandl, den damaligen Münchner
Stadtdekan. Ruhwandl hatte vorher bereits mit dem „Werkhof“ in
Regensburg und später als Vorsitzender des Sozialen Beratungsdienstes im Hasenbergl Erfahrung
mit Arbeitslosen gesammelt.
Einmalige Kooperation
Das Dekanat hatte damals gerade eine Erbschaft von gut 20.000
Mark erhalten – verbunden mit
der Auflage, das Geld für soziale
Zwecke einzusetzen. Auch aus der
Weihnachtsspendenaktion der Inneren Mission war Geld für den
Aufbau einer Beschäftigungsinitiative zusammengekommen. Somit
standen also die 50.000 Mark zur
Verfügung, die für die Gründung
einer GmbH notwendig waren.
1996 entstand dann die diakonia
als gemeinsame Beschäftigungsgesellschaft der Inneren Mission und
des evangelischen Dekanatsbezirks
München – eine bayernweit einmalige Kooperation zwischen Diakonie und Kirche. Jetzt feiert diakonia, die sich aus bescheidenen
Anfängen mittlerweile zu einem
mittelständischen Betrieb mit derzeit rund 420 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von knapp
zehn Millionen Euro gemausert
hat, ihren zwanzigsten Geburtstag.
Stadtdekanin Barbara Kittelberger, die selber leidenschaftlich gerne schicke Sachen in den Secondhand-Läden ersteht, freut sich,
dass die diakonia heute ein angesehener Partner mit klarem christlichen Profil auf dem Markt der beruflichen Integration und Beschäf-
tigung in München ist. „Für mich
bedeutet diese Kooperation von
zwei Gesellschaftern, dass ich zwei
Ansprechpartner habe, die sich
verantwortlich fühlen und uns
unterstützen“, sagt Dieter Sommer,
der seit Anfang an Geschäftsführer
der diakonia ist. Sommer war vorher Leiter des Beschäftigungsbetriebes des Diakonischen Werks
Rosenheim. Für die diakonia musste er nun ein tragfähiges Konzept
entwickeln, mit dem der Betrieb
auch am Markt bestehen konnte:
Weil ab Mitte der 1990er-Jahre
nicht mehr viel finanzielle Unterstützung vom Staat für Beschäftigungsinitiativen zu erwarten war,
musste – und muss – die diakonia
einen großen Teil ihrer Mittel
selbst erwirtschaften.
Bereits Ende 1997 hatte der Betrieb 36 Arbeitsplätze in den Bereichen Verwaltung, mobile Hausmeisterei, EDV und Hausdienste. In den
ersten Jahren bekam die diakonia
von den Behörden vor allem Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger
zugewiesen, die durch eine befristete
Maßnahme wieder auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet
werden sollten. „Die Arbeitsplätze
sollten möglichst realistisch und
marktnah sein – ein Kriterium dafür
war, damit Geld zu erwirtschaften“,
erinnert sich Dietmar Janz an diese
Zeit. Der Sozialpädagoge und bildende Künstler begann wenige
Jahre nach der Gründung bei der
diakonia zu arbeiten.
Für Janz war der Spagat zwischen den Anforderungen des
Marktes und den begrenzten
Ressourcen seiner Mitarbeiter nicht
immer einfach. „Das Geld kam
mehr aus der Förderung als aus
dem gewerblichen Bereich – aber
im Alltag war der gewerbliche Bereich viel präsenter.“ Die mobile
Hausmeisterei etwa erledigte vor allem Wohnungsrenovierungen, Kücheneinbauten und Umzüge von
Sozialhilfeempfängern. Doch die
Arbeiten waren für die ungelernten
Kräfte zu komplex. So wandelte
Janz die mobile Hausmeisterei von
2002 an zu einem Malerfachbetrieb
um. Gewerbliche Erlöse kamen jetzt
fast ausschließlich aus Arbeiten für
private Haushalte, kleine und
mittelständische Unternehmen und
Wohnungsbaugesellschaften.
Mehrere Secondhand-Läden
Anfang der 2000er-Jahre hatte
die diakonia bereits mehr als 100
Beschäftigte in 14 Betriebsbereichen. Neben dem Malerfachbetrieb ist vor allem das Gebrauchtwarenhaus eine Erfolgsgeschichte:
1999 in der Landshuter Allee eröff-
net und 2011 an die Dachauer
Straße umgezogen, bietet das
Secondhand-Kaufhaus Möbel,
Haushaltsgegenstände, Bücher
und Kleidung an. Allesamt gespendete Sachen, die überprüft, repariert, gereinigt oder aufbereitet
werden, bevor sie in den hellen
und großzügigen Verkaufsräumen
landen. Hier arbeiten Menschen
als Verkäufer, Möbelpacker, Schreiner, Elektriker, Lageristen, Transporteure und Sortierer.
Für Secondhand-Kleidung gibt
es außerdem mehrere Läden in der
Stadt. Hatte dieser Bereich ursprünglich nur acht Mitarbeiterinnen eine sinnvolle Beschäftigung
geboten, so finden heute fast 200
hier eine Arbeit. 1998 wurde die
TipTopBOX gegründet, ein Bereich,
in dem bis heute leere Tonerkartuschen und Tintenpatronen gesammelt und recycelt werden.
Gestalten statt zerstören
Und auch die Hausdienste, heute
diakonia inhouse, sind eine Erfolgsgeschichte: Hauswirtschafterinnen
und -helferinnen kochen, reinigen
und waschen mittlerweile in 18 Kindertagesstätten im Raum München.
Günther Bauer von der Inneren
Mission war es von Anfang an
wichtig, in der diakonia konstruktive Tätigkeiten anzubieten. „Die
Menschen sollen etwas gestalten
und nichts zerstören – deshalb
wollten wir zum Beispiel keine Abbrucharbeiten am Bau machen
oder Arbeiten, bei denen Geräte in
ihre Einzelteile zerlegt werden.“
Wertschätzung und Wertschöpfung gingen Hand in Hand, betont
auch Stadtdekanin Kittelberger. diakonia stehe ein für Chancengerechtigkeit, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Nationalität, Religion oder Weltanschauung: „Die Botschaft der Nächstenliebe spornt an.“
Ein großer Einschnitt in der Geschichte der diakonia waren 2005
die Hartz IV-Reformen mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II.
Sozialhilfe und Arbeitslosengeld
wurden zusammengelegt, die Förderzuständigkeiten für die diakonia änderten sich stark. War es in
den ersten zehn Jahren noch Priorität, Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln,
verlagerte sich der Schwerpunkt
nun darauf, in den eigenen Betrieben dauerhafte Arbeitsplätze zu
schaffen.
Denn statt arbeitsloser Fachkräfte kamen immer mehr Menschen, die so nachhaltig eingeschränkt waren, dass sie auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt chan-
Die Mitarbeitenden in der TipTopBOX recyceln gebrauchte Tonerkartuschen.
Fotos: Thorsten von Eyb, Gregor Bresser, Kurt Bauer, Archiv
cenlos blieben, erinnert sich Dieter
Sommer. „Gleichwohl haben sie
alle ihre Potentiale.“ Um sie beschäftigen zu können, hatte sich
die diakonia schon zu Beginn
nicht nur als Beschäftigungs-, sondern auch als Integrationsbetrieb
für Menschen mit Behinderungen
anerkennen lassen, wodurch dauerhafte Arbeitsplätze gefördert
werden können.
„Dadurch geben wir einerseits
den Menschen Sicherheit und stabilisieren andererseits auch unsere
Betriebe, weil das Personal nicht
mehr so oft wechselt, was natürlich auch für die Qualität der Arbeit gut ist“, erläutert Sommer.
Nachteil eines Integrationsbetriebes ist es jedoch, dass die Menschen als Schwerbehinderte anerkannt werden müssen, um in den
Genuss einer Förderung zu kommen. Viele Mitarbeitende fühlen
sich dadurch abgestempelt – bekommen andererseits aber die
Chance auf einen dauerhaften
Arbeitsplatz.
Wertschöpfende Arbeitsplätze
Die dritte Beschäftigungsform,
die die diakonia bietet, ist der Zuverdienst: Menschen, die aufgrund
einer psychischen Erkrankung weniger als drei Stunden täglich arbeiten können, können hier einer
Tätigkeit nachgehen und ihre
Grundsicherung aufbessern. Durch
die Einführung des Mindestlohns
im vergangenen Jahr mussten die
Konzepte allerdings grundlegend
geändert werden, die diakonia-Filiale in Ebersberg wurde sogar geschlossen. Doch mittlerweile gibt
es neue Strukturen für den Zuverdienst und auch in Ebersberg ist
die diakonia mit dem Secondhand-Laden M7 wieder vertreten.
Etwa 40 Prozent der Beschäftigten bei der diakonia haben eine
psychische Erkrankung. „Anfangs
hätte ich nicht gedacht, dass der Betrieb einen so hohen Anteil verkraftet“, sagt Geschäftsführer Sommer.
Doch die Beschäftigten profitieren
vor allem vom „Normalitätsprinzip“ der diakonia: „Wir leben bei
uns einen ganz normalen betrieb-
lichen Alltag, mit allen Rechten
und Pflichten – und den notwendigen betrieblichen Toleranzen.“
Von dem Bestreben, möglichst
wertschöpfende Arbeitsplätze zu
schaffen, um die Beschäftigten zu
fördern, und gleichzeitig mit den
Produkten am Markt zu bestehen,
profitieren auch die Menschen, die
noch in der Phase der Ausbildung
oder Umschulung sind. Seit 2006
bietet die diakonia in mittlerweile
acht Ausbildungsberufen eine Umschulung für über 25-jährige Hartz
IV-Empfänger an. Mehr als 80 Prozent der Umschüler haben seitdem
erfolgreich ihren Abschluss gemacht. Die Ausbildungs- und Umschulungskonzepte der diakonia
können in Zukunft auch verstärkt
Flüchtlingen zugute kommen.
„Es kommen immer mehr Menschen zu uns, obwohl wir eigentlich gar nicht weiter wachsen wollen“, sagt Geschäftsführer Dieter
Sommer. Es sei deshalb besonders
wichtig, bei der öffentlichen Finanzierung auf mehreren Säulen zu
stehen und gleichzeitig den Markt
nicht aus den Augen zu verlieren.
Vor allem im Bereich der Altkleidersammlung und -aufbereitung sieht Sommer die diakonia
als Spezialistin; seit 2014 beliefert
sie die Kleiderkammer für Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne. Der
Textilbereich ist schon seit einigen
Jahren der am stärksten wachsende Betrieb der diakonia.
Arbeit löst viele Probleme
Günther Bauer wünscht sich für
die Zukunft jedenfalls mehr öffentliche Unterstützung. Gerade in Zeiten, in denen nahezu Vollbeschäftigung herrscht, dürfe man die Menschen nicht aus den Augen verlieren, die auf dem Ersten Arbeitsmarkt nicht bestehen könnten.
„Es ist für einen Menschen substantiell wichtig, Arbeit zu haben“,
sagt auch Dieter Sommer. „Wenn
jemand sein berufliches Auskommen hat, lösen sich viele soziale
und gesundheitliche Probleme –
oder es kommt erst gar nicht dazu.“
Imke Plesch
Nr. 74 · 2016
Seite 5
Mohammed Abas musste vor dem Terror im Irak fliehen
– und fand bei der diakonia eine neue Arbeit
Weg aus der Sackgasse
„Es ist eine gute Arbeit“, sagt Mohammed Abas. Er steht vor einem
großen Tisch und packt vorsichtig
in Papier eingewickelte Vasen in einen Karton. In der Spendenannahme der diakonia hat der 43-Jährige
nach langer Durststrecke wieder einen Job gefunden. Er ist darüber so
dankbar, dass er es kaum in Worte
fassen kann. Denn hinter ihm liegt
ein steiniger Weg. Ein Weg, der zur
Sackgasse zu werden drohte.
Vor genau neun Jahren war es,
als alles zerbrach: Die Familie von
Mohammed Abas betreibt im Irak
ein Fotogeschäft und irgendwann
kommt der anonyme Anruf. Eine
Stimme sagt, dass Fotografie „haram“ sei. Ein arabischer Begriff
für alles, was im Islam nach der
Scharia verboten ist. Mohammed
und sein Vater halten das zunächst für einen schlechten Scherz.
Doch dann kommen Morddrohungen per Brief. Vor dem Laden sehen sie Männer, die die Familie
vom Auto aus beobachten.
Mohammed flieht in die Türkei,
holt zehn Tage später seine Familie
nach. Doch auch dort legt sich die
Angst nicht. Dann trifft er Menschen, die ihm anbieten, ihn für
Geld aus dem Land zu bringen.
Schließlich steigen er, seine Frau
und seine Kinder in einen Transporter, rund 48 Stunden dauert die
Fahrt. Als sie aussteigen dürfen,
weiß die Familie zunächst nicht,
wo sie ist. „Ihr seid in Deutschland“, sagt jemand.
Zu diesem Zeitpunkt ahnt Mohammed Abas noch nicht, wie
schwer es werden würde. Zwar findet er irgendwann bei einer Firma
einen Job. Doch dort wird er – obwohl es gut läuft – nicht weiterbe-
schäftigt. Seine Frau versucht, ihm
mit einem kurdischen Sprichwort
Mut zu machen: „Eine Tür schließt
sich, hundert andere gehen auf.“
Mohammed bemüht sich, sucht
weiter, sitzt jede Woche bei seiner
Sachbearbeiterin im Sozialamt.
Doch es tut sich nichts. Fünf Jahre
lang ist er arbeitslos. „Ich habe
mich gefühlt wie ein Fisch, den
man aus dem Wasser genommen
er Straße zu arbeiten. Seit einem
Jahr ist er dort fest angestellt. „Ich
bin für die Hausratssortierung zuständig“, sagt er stolz.
Sein Job bei der diakonia, die
Unterstützung, das Verständnis, das
er dort erfährt – all das schenkt Mohammed Abas Kraft. „Sie sind alle
so nett hier, sie helfen mir“, erzählt
er. Als im November 2015 sein Vater im Irak stirbt, wendet er sich an
seine Vorarbeiterin Martina Wagner, die sich für ihn einsetzt. „Ich
konnte dann in den Irak fahren“,
berichtet Abas.
Er gibt sich Mühe, hängt sich
rein. Für sich selbst und für die
Kampf gegen
überbordende Bürokratie
Seit 1977 gibt es das Münchner
Arbeitslosenzentrum (MALZ); die
Innere Mission rief die Beratungseinrichtung ins Leben, seit
2002 gehört sie zur diakonia. Die
Sozialpädagoginnen Irmgard
Ernst (Foto) und Julia Klesper
kennen wie kaum jemand die
Sorgen und Nöte der Arbeitslosen; täglich kommen etwa bis zu
zehn Anfragen von Menschen,
die Hilfe und Rat suchen. Mit der
Bereichsleitung Irmgard Ernst
sprach Klaus Honigschnabel.
?
!
Mohammed Abas floh aus dem Irak. Bei der diakonia hat er eine sinnvolle
Arbeit gefunden.
Foto: Brigitta Wenninger
hat“, erzählt er. Er kann nicht
mehr schlafen, nicht mehr essen.
Vor zwei Jahren empfiehlt ihm
seine Sachbearbeiterin, Kontakt mit
der diakonia aufzunehmen. „Das
ist eine gute Chance“, sagt sie ihm.
Sie hat Recht. Abas beginnt zunächst, als Ein-Euro-Jobber in der
Spendenannahme an der Dachau-
Spendenannahme. „Mohammed
ist sehr gewissenhaft“, lobt Wagner. Er habe inzwischen viel Erfahrung, treffe eigene Entscheidungen. „Ein super Mitarbeiter, wir
sind froh, dass wir ihn haben“,
sagt sie. Für sie ist das „die beste
Form der Integration“.
Brigitta Wenninger
diakonia inhouse: Aus- und Weiterbildungsangebote sind für Mitarbeitende ein Gewinn
„Wie ein Sechser im Lotto“
Melek Gecin ist die gute Seele in
der Küche der Kindertagesstätte
Neuhausen. Sie arbeitet mit einem
fünfköpfigen Team, das sich um
die Komplettversorgung der kleinen Krippenbesucher kümmert.
Melek Gecin liebt ihre Arbeit, doch
der Einstieg ins Berufsleben war alles andere als leicht. Mit 26 Jahren
übersiedelte die gebürtige Türkin
nach Deutschland – ohne Deutschkenntnisse und ohne Ausbildung.
Drei Jahre lang suchte sie
vergeblich eine Arbeitsstelle, dann
bekam sie vom Jobcenter ein Angebot von diakonia inhouse. Zunächst arbeitete sie als Hauswirtschaftshelferin im Treffpunkt Familie International der Inneren
Mission im Westend. „Es war das
erste Mal, dass ich mein eigenes
Geld verdient habe“, erinnert sich
die 43-Jährige. Danach wechselte
sie in die hauseigene Kantine der
diakonia, später in die Kinderkrippe Giesing und seit vielen Jahren
arbeitet sie nun in der Kita in Neuhausen.
Die Arbeit selbst fiel ihr nie
schwer: „Von klein auf kenne ich
die Aufgaben in einem Haushalt.“
Das Problem war vielmehr die
Seismograph der Gesellschaft: Die Mitarbeitenden im
MALZ wissen, wo Arbeitslose der Schuh drückt
deutsche Sprache. „Ich musste alles neu lernen; das ist mir nicht
leicht gefallen.“ Das Sprachproblem
ist heute passé. Nach erfolgreichen
Kursen bei diakonia spricht sie inzwischen fließend Deutsch – mit
charmantem Akzent.
Mit Bravour bestanden
„Meine Vorgesetzten haben mir
immer Zeit gelassen, mich zu entwickeln. Das ist nicht selbstverständlich.“ Melek Gecin hat ihre
Chance genutzt. Mit Hilfe der zertifizierten Qualibausteine hat sie ihre Kenntnisse in der Hauswirtschaft für Kitas kontinuierlich erweitert. In acht Kursen hat sie alles
Sabine Keßler hat dank diakonia eine
Arbeit gefunden.
Foto: Katja Pfeifer
Wissenswerte über Ernährung, Arbeitsschutz, Hygiene, Arbeitsorganisation und Textilkunde gelernt –
und jede Abschlussprüfung mit
Bravour bestanden.
Auch Sabine Keßler nutzte ihre
Chance: Im Juli 2010 bestand sie
die Externenprüfung zur Hauswirtschafterin. Für die 48-Jährige war
das kein Problem, schließlich hatte
sie lange als Hauswirtschaftshelferin in Kantinen und Altenheimen
gearbeitet. Nachdem ihre Kinder
erwachsen waren, wurde der
Wunsch nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung immer größer. „Das Jobcenter konnte mir
nur Seminare anbieten, deshalb
habe ich mich im Internet selbst
nach einer Ausbildungsmöglichkeit umgeschaut und diakonia inhouse gefunden“, erinnert sie sich.
Die Initiativbewerbung hat gefruchtet, seit sechs Jahren kümmert sie sich nun um die RundumVersorgung in Kitas. Nach erfolgreichem Abschluss wurde Sabine
Keßler im September 2010 als
Hauswirtschafterin von diakonia
inhouse übernommen: „diakonia
ist für mich wie ein Sechser im
Lotto.“
Katja Pfeifer
Was sind die Hauptsorgen, mit
denen die Leute zu Ihnen in die
Beratungen kommen?
Grundsätzlich brauchen alle unsere Unterstützung bei der Jobsuche und beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen. Dazu kommen
Fragen nach beruflichen Perspektiven oder einer Neuorientierung. Ein
weiterer Punkt sind arbeitsrechtliche Probleme, etwa bei ungerechtfertigter oder fristloser Kündigung
sowie bei Lohnrückständen.
Oft müssen wir auch die Informationen geben, die eigentlich die
Mitarbeiter im Jobcenter leisten
sollten. Wir helfen dann, die Anträge auszufüllen und erklären die
meist schwer verständlichen Bescheide der Behörde. Manchmal sehen wir auch, dass sie fehlerhaft
sind, etwa weil die Sachbearbeiter
dort einfach überlastet sind. Nicht
selten erhält ein Klient monatelang
falsche Bescheide. Mal wird zu wenig ausbezahlt, mal zu viel. So
kann es vorkommen, dass er dann
plötzlich eine Nachberechnung
kriegt mit enorm hohen Rückforderungen, obwohl er selbstverständlich den bisherigen Bescheiden der Behörde vertraut hatte.
Die Folge sind dann existentielle Notlagen. Immer mehr Menschen, die zu uns kommen, müssen mit Mitteln auskommen, die
ihnen nur ein Leben unter dem
Existenzminimum erlauben. Ich
finde das beschämend; Deutschland ist schließlich eines der
reichsten Länder der Welt. Und
dann wird da behördlicherseits
regelrecht Armut produziert. Die
Menschen sind oft verzweifelt.
?
!
In welchen Fällen können Sie
helfen, in welchen nicht?
In den meisten Fällen können
wir Gott sei Dank helfen: etwa
wenn es darum geht, die Bewerbungsunterlagen optimal zusammenzustellen. Da helfen einer
unserer Mitarbeitenden und ein
ehrenamtlicher Jobcoach. Beide
haben darin unendlich viel Erfahrung. Wenn es arbeitsrechtliche
Probleme gibt, dann kommen neben uns hauptamtlichen Beraterinnen die Anwälte ins Spiel, die
jeden Mittwoch ehrenamtlich eine
Spezialberatung anbieten.
Wenn es Probleme mit Behörden oder dem Jobcenter gibt, greifen wir auch schon mal zum Telefon und rufen den zuständigen
Vermittler – oder den Vorgesetzten
– direkt an. Das wirkt manchmal
Wunder. Und wenn nicht, dann
formulieren wir einen Widerspruch
gegen einen Bescheid, in der Regel
mit Erfolg. Nicht helfen können
wir, wenn das Problem durch das
Gesetz selber oder durch die bürokratischen Vorgaben verursacht
wird. Die Hartz-Gesetze sind ja da
sehr hart und bieten dem Staat
wesentlich mehr Möglichkeiten,
die Bezüge eines Arbeitslosen bis
zum sozialrechtlichen Minimum
zu kürzen – schon beim geringsten
Anlass.
?
Seit gut zehn Jahren gibt es ja
die Hartz IV-Gesetze. Was hat
sich durch diese bei Ihrer Beratungstätigkeit geändert?
Der Unterschied zwischen Arbeitslosenhilfe und dem Arbeitslosengeld II, das Hartz IV-Empfänger bekommen, ist schon im zugrunde liegenden Ansatz sichtbar:
Früher stand die Arbeitslosigkeit
und deren Abhilfe im Mittelpunkt.
Das Problem war die Sachlage,
sprich die akute Arbeitslosigkeit,
und nicht der Mensch. Entsprechend war die zuständige Behörde
die Arbeitsagentur.
Nun begreift sich das Jobcenter
als allumfassende Behörde, die
den Arbeitslosen und seine Familie
als Ganzes im Auge hat. Nicht selten greift sie mit ihren Maßnahmen in die Privatsphäre der Menschen ein.
Jetzt ist der Antragsteller – und
dessen gesamte Familie – das Problem. Aus unserer Sicht hat mit
dem Gesetz eine überbordende Bürokratie Einzug gehalten. Das beginnt mit seitenlangen Anträgen;
auch die Leistungsbescheide sind
für einen Laien kaum zu verstehen. Zudem sind die Sachbearbeiter mit den komplizierten Computerprogrammen und den hohen
Fallzahlen schlichtweg überfordert.
!
Als sehr entwürdigend erleben
es vor allem ältere Arbeitslose mit
einer langen Erwerbsbiographie,
dass der Regelsatz, den sie erhalten, sich jetzt an der Sozialhilfe
orientiert. Hartz IV kam ja mit
dem Schlagwort vom „Fordern und
Fördern“ daher; die Umsetzung ist
jedoch recht einseitig. Denn das
Fördern geschieht häufig nach
dem Prinzip von Angebot und
Nachfrage: Die Jobcenter kaufen
im großen Stil Maßnahmen ein,
die dann mit ALG II-Empfängern
aufgefüllt werden müssen, egal, ob
das für die passt oder nicht. Von
den ursprünglich angekündigten
passgenauen Weiterbildungsmaßnahmen bekommen wir eher selten zu hören.
Manche Fehlentscheidung können wir korrigieren. Nicht zuletzt
aufgrund der guten Kontakte zur
Leitungsebene laufen die Gespräche mit dem Münchner Jobcenter
meist sehr gut und konstruktiv.
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Nr. 74 · 2016
Olena Kuznetsova hat trotz ihres Handicaps einen Job gefunden
Selbstbewusstsein lernen im
geschützten Raum
„Wenn man keine Arbeit hat, hat
man keine Sicherheit“, sagt Olena
Kuznetsova. Eine belastende Situation, die sie selbst erlebt hat. Eine
Situation, die Ängste verursacht.
Jeden Tag aufs Neue: „Weil man
nie weiß, was morgen kommt.“
Doch heute ist alles anders; die
Unsicherheit ist Vergangenheit:
Die 41-Jährige hat eine Festanstellung bei der diakonia. Sie ist als
Vorarbeiterin in der Textilsortierung am Stahlgruberring tätig.
Und fühlt sich dort mehr als wohl.
Ein großer grauer Wagen rollt
heran, randvoll mit Kleidung. Alles kunterbunt zusammengewürfelt: Hosen, Blusen, Kleider in allen
Mustern und Größen. Alles Sachen, die Menschen der diakonia
gespendet haben. Olena Kuznetsova fischt ein Teil nach dem anderen heraus, nimmt es genau unter
die Lupe, legt die Stücke in verschiedene Kartons. Sie sortiert die
Spenden für den späteren Verkauf
in einem der Secondhand-Läden
der diakonia. „Je nach Marke, Stil
und Farbe“, erklärt sie. Zum Beispiel für das Secondhand-Kaufhaus in der Dachauer Straße oder
für die Boutique kleidsam in der
Blutenburgstraße.
wechselte sie in die Textilsortierung.
„Dort gefiel es mir von Anfang an
besonders gut“, sagt sie. Ein Glücksfall für die gebürtige Ukrainerin.
Denn auf dem Ersten Arbeitsmarkt
hat sie kaum eine Chance.
Olena Kuznetsova ist seit einer
schweren Krankheit schwerbehindert. Als junge Frau absolvierte sie
noch eine Ausbildung als Bankkauffrau, fand danach aber keine
Festanstellung und schlug sich mit
verschiedenen Jobs durch. Doch es
wurde immer schwieriger. Als sie
30 war, verließ sie die Ukraine.
„Ich wollte in Deutschland endlich
richtig arbeiten.“ Vor allem auch,
weil sie ihre Mutter finanziell
unterstützen wollte. „Denn die hat
fast nichts zum Leben.“
Genau das kann Olena Kuznetsova nun. „Das ist eine große Erleichterung“, sagt sie. Und ein gutes Gefühl. Die Arbeit macht ihr
Spaß, der Kontakt zu den Kolleginnen auch. „Auch weil ich dadurch
besser Deutsch gelernt habe.“
Und noch etwas hat sie gelernt:
Selbstbewusstsein. „Olena ist bei
uns richtig aufgeblüht“, lobt Nicole
Bößl, die Leiterin der Textilsortierung. Wie für viele andere Menschen mit Handicap bildet für Kuznetsova diese besondere Arbeitsstätte einen geschützten Raum, in
dem sie ihre Fähigkeiten optimal
entfalten kann – ohne Druck. „Wir
gehen auf die Menschen ein, nehmen Rücksicht“, berichtet Bößl.
Das motiviert auch Olena Kuznetsova. Es gibt ihr die Sicherheit,
die sie lange vermisst hat. Weil sie
nun jeden Tag zeigen darf, was in
ihr steckt. Und weil auch das Team
ihr das Gefühl gibt, gebraucht zu
werden. Für sie ist jedenfalls klar:
„Hier möchte ich bleiben.“
Brigitta Wenninger
Eine große Erleichterung
Olena Kuznetsova stieg mit Mitte 30 zunächst als Ein-Euro-Jobberin bei der diakonia ein. „Meine
Sachbearbeiterin im Jobcenter hatte mir das empfohlen“, erzählt sie.
„Ich dachte, ich probiere es. Und es
hat mir gleich gefallen.“ Zunächst
arbeitete sie in der früheren Spendenannahme an der Landshuter
Allee, später dann zwei Jahre im
kleidsam-Laden. Im Januar 2015
Die Textilsortierung der diakonia kann laufend Nachschub gebrauchen
„Wir bekommen selten genug“
Die Menge der Kleiderspenden, die
im vergangenen Jahr bei den Annahmestellen der diakonia in der
Dachauer Straße und am Stahlgruberring abgegeben wurde, war
enorm. Sie entsprach der großen
Hilfsbereitschaft der Münchner, als
die Zahl ankommender Flüchtlinge in der Landeshauptstadt besonders hoch war. „In den Herbstmonaten war es extrem, da kamen
an manchen Tagen bis zu 20 Tonnen Kleidung zusammen“, erzählt
Nicole Bößl, die Leiterin der Textilsortierung im Moosfeld. Inzwischen hat sich die Menge wieder
auf das Normalmaß eingependelt:
acht Tonnen täglich. Etwa ein
Lastwagen voll.
Dirndl und Hochzeitskleider
Die Ukrainerin Olena Kuznetsova kann bei der Kleidersortierung jeden Tag zeigen, was in ihr steckt.
Foto: Brigitta Wenninger
Kuriositäten-Kabinett: Was sonst noch alles in den Containern der diakonia landet
Schlüssel, Strafzettel und Schmusetiere
Schlüssel, Geldbörsen, Fahrzeugpapiere, Lieblings-T-Shirts und Kuscheltiere – all das haben Thomas
Rosenberger (48) und seine Kollegen schon aus den rund 100 Textilcontainern gefischt, die der Sozialbetrieb diakonia in München,
Mühldorf, Ebersberg und Rosenheim aufgestellt hat, um Spenden
für seine Kleiderkammern, Secondhand-Läden und die Flüchtlingshilfe zu sammeln.
Auch Bargeld haben sie bereits
gefunden. In der Sortierstelle am
Moosfeld entdeckten die diakoniaMitarbeiter erst Ende vergangenen
Jahres rund 1.500 Euro in einer
Kleiderspende. „Da war sogar eine
Adresse dabei: auf einem Kontoauszug aus den 1990ern“, erzählt
Rosenberger. Allerdings habe man
den Besitzer des Geldes dort nicht
mehr finden können und die
Scheine letztendlich der Polizei
übergeben.
Etwa ein bis zwei Mal pro Monat müssen Rosenberger und sein
Team ausrücken, weil etwas im
Container gelandet ist, das nicht
als Spende gedacht war: Mal
Viviana Quintero hat die Zettel für die Kleiderausgabe in unterschiedlichen
Farben gestaltet: Damit die richtige Ware in die richtigen Hände kommt.
Foto: Oliver Bodmer
rutscht ein Schlüssel beim Einwerfen mit in den Behälter, mal die
Geldbörse. Manchmal steckt der
Fahrzeugschein noch in der Hose,
die weitergegeben wird – oder das
Handy. „Dann trifft man sich am
Textilcontainer, sperrt auf und
sucht. Wenn es gerade erst passiert
ist, liegen die Sachen ja meist noch
ganz oben.“
Besonders häufig bitten Eltern
um Hilfe, die beim Ausmisten das
Lieblings-Kleidungsstück oder
-Kuscheltier ihres Kindes ausrangiert haben. Bricht der Nachwuchs
in Tränen aus, muss das gute
Stück irgendwie zurückgeholt werden – oft ist dann Thomas Rosenberger der Retter in der Not.
Einmal habe eine Frau nach der
Trennung sämtliche Kleidung ihres
Lebensgefährten im Container entsorgt, sagt Rosenberger. Das Ärgerliche daran sei gewesen, dass der
Mann den Behälter aufgebrochen
habe, um seine Sachen zurückzuholen. „Und wir hatten weder Name noch Nummer von ihm.“
In einem anderen Fall hatte das
Team Glück: Jemand hatte seinen
Hausmüll im Spendenbehälter entsorgt – samt Strafzettel und einem
Schreiben von der Polizei. So konnte der Betreffende gefunden und
belangt werden.
Natalie Kettinger / Abendzeitung
Kinder im Container? Das kam bislang Gott sei Dank noch nicht vor...
Foto: Archiv
Seit April vergangenen Jahres –
also gerade rechtzeitig vor der
Spendenwelle – befindet sich die
Textilsortierung der diakonia am
Stahlgruberring 8 im Moosfeld;
vorher war sie in der Dachauer
Straße untergebracht. „Hier steht
uns deutlich mehr Platz zur Verfügung“, sagt Bößl. Rund 30 Menschen sind in der Textilsortierung
beschäftigt. Die meisten sind Frauen, aber auch einige Männer sind
darunter: „Mode ist eben eher ein
Thema, das Frauen interessiert.“
Für die meisten von ihnen bietet
die Textilsortierung zudem die Möglichkeit, trotz eines Handicaps wieder im Berufsleben Fuß zu fassen
(siehe auch Berichte Seite 5 und 7).
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen jedes einzelne
Kleidungsstück und Accessoire in
Augenschein und entscheiden
dann, was damit passiert: Ob damit Flüchtlinge versorgt werden,
ob eine der beiden Kleiderkammern oder eines der SecondhandGeschäfte der diakonia das Ziel ist,
wo Menschen dann für wenig Geld
die passende Kleidung erstehen
können. Außer die Spende ist von
vorneherein für einen bestimmten
Zweck bestimmt.
Vom Dirndl bis zum Hochzeitskleid – es gibt nichts, was nicht in
der Textilsortierung landet. Leider
sind es manchmal auch Dinge, die
dort nicht hingehören. Kleidungsstücke, die völlig verdreckt oder
kaputt sind, zum Beispiel. Oder Sachen, die mit Kleidung überhaupt
nichts zu tun haben. „Tüten mit
vollen Windeln waren auch schon
dabei“, berichtet Nicole Bößl. Die
Leiterin der Textilsortierung kennt
auch die schwierigen Phasen ihres
Geschäfts. „Etwa wenn eine Zeitlang überhaupt keine guten Sachen kommen.“
Eine Frage der Würde
Manchmal beschleicht ihr Team
dann auch das Gefühl, dass es gar
nicht darum geht, zu spenden,
sondern nur darum, überflüssige
und unbrauchbare Dinge auf dem
kürzesten Weg zu entsorgen. „Das
ist dann auch frustrierend für unsere Leute.“ Und es widerspricht
der Philosophie der diakonia: „Es
geht um Würde. Darum, dass
Menschen in Not nicht auch noch
schäbige Kleidung tragen müssen,
sondern schöne Sachen bekommen“, sagt Bößl.
Und schöne Sachen sind fast
immer darunter. Manchmal sogar
neu und originalverpackt. Auch
gut erhaltene Markenstücke und
Designerteile fischen die Frauen
manchmal aus den Tüten. Doch
oft kommt das nicht vor.
Was Bößl auffällt: „Die Ware
wird qualitativ immer schlechter.“
Seit etwa fünf Jahren stellt sie einen gewissen Wandel fest: „Offenbar versuchen immer mehr Menschen, ihre Kleidung noch irgendwie zu Geld zu machen.“ Zum Beispiel auf einem der vielen Flohmärkte oder durch den Verkauf
über das Internet. „Außerdem wird
Kleidung wohl länger getragen als
früher“, sagt Bößl. Das gilt vor allem für Männer. Nur etwa fünf
Prozent der gesamten Sammelmenge entfällt auf Herrenbekleidung.
Herrensachen dringend gesucht
Gleichzeitig steigt der Bedarf an
gespendeter Kleidung. „Wir bekommen selten genug rein“, sagt
die Chefin der Textilsortierung.
Dringend benötigt werde zum Beispiel auch immer Herrenkleidung
in Größe S oder Kinderkleidung.
Das geänderte Spendenverhalten
spiegelt sich in dem Lager wider.
Früher war das manchmal regelrecht mit Damenkleidung vollgestopft. „Jetzt kommt die Ware rein,
wird sortiert und praktisch sofort
wieder abgegeben.“
Brigitta Wenninger
Nr. 74 · 2016
Seite 7
Petra Zammert arbeitet seit zwölf Jahren in der
Secondhand-Boutique in der Blutenburgstraße
sortierung mit an, arbeitete als
Hausmeister und Fahrer. „Wegen
Asthmaproblemen konnte ich später aber nur noch leichtere Tätigkeiten machen.“ Also putzte er Schuhe, bis sich 2014 sein Traum erfüllte. Seitdem macht Peter Kuhn das,
was er schon immer machen wollte:
Er repariert Uhren. Armbanduhren,
Wanduhren, Tischuhren, Wecker –
eben all das, was Menschen bei der
diakonia abgeben.
„Ich habe mein Herz
ans kleidsam verloren“
Petra Zammert ist angekommen.
Sie ist dort, wo sie immer sein wollte und wo sie ihre Stärken ausspielen kann. Nach einer langen, zermürbenden Phase der Arbeitslosigkeit fand sie vor zwölf Jahren bei
der diakonia endlich ihren Traumjob: als Verkäuferin im Secondhand-Geschäft kleidsam in der
Blutenburgstraße. Ihr bedeutet das
unendlich viel: „Damals fing ich
an, wieder glücklich zu sein“, sagt
sie und strahlt.
Genauso strahlt Petra Zammert,
wenn sie im kleidsam steht. Begrüßt so auch die Kundinnen, die
in das Geschäft kommen, um sich
umzusehen, um etwas Schickes zu
kaufen. Ein freundlicher offener
Blick aus blauen Augen. Ihre Herzlichkeit ist ansteckend.
Jahrelang hatte Petra Zammert
sich nicht wohlgefühlt: Sie hatte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau abgeschlossen, doch danach lief es nicht mehr rund. Sie
wurde nicht übernommen und kam
dadurch in eine persönlich immer
schwieriger werdende Situation. Eine Situation, gegen die sie trotz allem ankämpfte. Sie bemühte sich,
verschickte eine Bewerbung nach
der anderen. „Leider ohne Erfolg.“
Doch dann kam der Lichtblick.“
Petra Zammert ist 34, als sie von
In dem Geschäft in Neuhausen
und dem dahinterliegenden „Second Hand im Gartenhaus“ wird
hochwertige gebrauchte Damenmode zu erschwinglichen Preisen
angeboten. Alles stammt aus
Spenden, Nachschub kommt mal
mehr, mal weniger.
Es ist alles dabei: Designer- und
Markenmode, Kleidungsstücke fürs
Büro, für die Freizeit, Abendroben,
Brautkleider, Dirndl, Accessoires,
Taschen, Schuhe und Schmuck.
Für Petra Zammert das ideale Umfeld: „Mit Farben und Formen umzugehen, das hat mir schon immer
gefallen“, sagt sie.
Ruhige Hand und genaues Auge
Batterien wechseln, Rädchen reparieren, bis alles wieder richtig tickt: Geht
nicht, gibts nicht für Peter Kuhn.
Foto: Brigitta Wenninger
Erste Liga im Einzelhandel
Das kleidsam hatte damals gerade erst neu eröffnet. Eine spannende Phase – für alle Beteiligten. „Es
war ein schönes Gefühl, etwas mit
aufbauen zu dürfen“, erinnert sich
die 46-Jährige. Schön ist seitdem
auch das Gefühl, wenn jemand sie
fragt, welchen Beruf sie hat. „Ich
arbeite bei kleidsam, das ist eine
Boutique“, antwortet sie dann.
Die Idee, ein Secondhand-Geschäft zu gründen, in dem Langzeitarbeitslose und Menschen in
schwierigen Lebenssituationen wieder eine Perspektive finden, sei an-
Peter Kuhn hat bei der diakonia seinen Beruf gefunden –
oder besser: seine Berufung
Er hat an der Uhr gedreht
Was verbirgt sich in einer Uhr?
Wie funktioniert sie? Diese Fragen
haben Peter Kuhn schon als Kind
fasziniert und nie losgelassen. Bereits als 10-Jähriger versuchte er,
hinter das Geheimnis unter den
Zifferblättern zu kommen. Seit 43
Jahren sind Uhren sein Hobby.
Heute ist er 61 und arbeitet für diakonia secondhand an der Dachauer Straße. In seiner kleinen
Werkstatt nimmt er gespendete
Uhren unter die Lupe und bringt
sie fachmännisch wieder auf
Vordermann und zum Laufen.
Ziemlich geschimpft hat sein
Vater jedes Mal, erinnert er sich,
wenn er als Bub wieder einmal eine Armbanduhr auseinandergenommen hatte. Doch der Tadel
nützte nichts, die Neugier war größer. Immer wieder nahm er die
Abdeckungen ab, um herauszufinden, was die Zeiger bewegt. Er
baute Uhrwerke auseinander und
wieder zusammen. „Oft waren die
Uhren danach kaputt“, erzählt er
und lächelt. Doch die Erfahrung
wuchs, er probierte aus und lernte.
Eine Uhrmacherlehre wäre sein
Traum gewesen. Doch es klappte
nicht. Kuhn ist hörgeschädigt, als
Kind besuchte er eine Sprachheilschule. „Ich habe keine Ausbildung“, erzählt er. Er machte verschiedene Praktika, jobbte fast 25
Jahre lang als Lagerarbeiter, wurde
arbeitslos. Und kam dann zur diakonia. Neun Jahre ist das her.
Er begann dort – damals noch in
der Landshuter Allee – als Ein-EuroJobber, wurde dann fest angestellt.
Endlich Beständigkeit im Leben.
Peter Kuhn packte in der Spenden-
Vorsichtig öffnet er mit einem
Messer den Deckel an der Rückseite
einer Armbanduhr. Nimmt das
Uhrwerk unter die Lupe. Wie der
Mechanismus darin funktioniert,
wie die kleinen Rädchen ineinandergreifen, das weiß Kuhn genau. Mit einer guten Lupe, feinen
Pinzetten und Schraubenziehern
sowie anderem Spezialwerkzeug beginnt er, die Uhr zu zerlegen. Millimeterarbeit, die eine ruhige Hand
und ein genaues Auge erfordert.
Mal hat sich Rost angesetzt,
mal ist nur die Batterie leer. Ist etwas defekt, kann Kuhn es reparieren oder austauschen, in seinem
Lager hat er Tausende von Ersatzteilen – vom Armband bis zum Sekundenzeiger. Müssen die Uhren
gereinigt werden, legt er sie in ein
spezielles Spülmittel. Lässt sie danach trocknen, schraubt, poliert
und ölt. „Ich kann alles machen“,
sagt er stolz. Fast alle Uhren bringt
Kuhn in der Werkstatt der diakonia
mit viel Geschick und Erfahrung
wieder zum Ticken und zum Glänzen. Zu kaufen gibt es die kleinen
Schmuckstücke in den SecondhandGeschäften der diakonia.
Meist geht es schnell, bis sich jemand in ein Stück verliebt und es
haben will. „Kaum sind sie dort,
schon kauft sie jemand; oft dauert
es nicht einmal eine Stunde“, erzählt Kuhn – und man sieht ihm
seine Freude an. Für den Uhrenliebhaber ein Kompliment. Und
die schönste Form der Anerkennung für seine gute Arbeit.
Brigitta Wenninger
Beim diakonia kaufhaus secondhand gibt es solche Kunden und solche
Wilde Geschichten aus dem Alltag
Wink von oben: Petra Zammert hat im kleidsam in der Blutenburgstraße in den
vergangenen zwölf Jahren viel Aufbauarbeit geleistet. Foto: Brigitta Wenninger
der diakonia hört. Sie reagiert sofort und ruft an; kurz danach hat
sie ein Vorstellungsgespräch. „Es
war das erste seit langer Zeit, das
richtig gut lief.“
Plötzlich ist die Hoffnung wieder
da. „Ich hatte einfach irgendwie
gleich von Anfang an das Gefühl,
dass das etwas für mich sein könnte.“ Und genau so war es dann
auch. Beim Probearbeiten zeigt Petra Zammert, dass sie fleißig und
zuverlässig ist und anpacken
kann. Und bekommt kurz danach
die Zusage. Das war 2004.
Drei Stunden pro Tag arbeitet
Petra Zammert im kleidsam. Kümmert sich um den Warenlauf,
zeichnet Kleidungsstücke aus, berät Kundinnen. Sie fühlt sich geborgen, gut aufgehoben im Team.
fangs belächelt worden, erzählt Julia Boiger, Betriebsleiterin Einzelhandel bei der diakonia. „Viele
dachten, dass das nicht klappt“,
sagt sie. Von wegen: Es klappte hervorragend. Das Geschäft expandiert seit der Eröffnung stetig. „Heute spielen wir mit dem normalen
Einzelhandel in der ersten Liga.“
Auch Petra Zammert ist das bewusst. Sie weiß, dass sie das lebende Beispiel dafür ist, dass die
Zweifler und Kritiker damals Unrecht hatten. „Dass so etwas sehr
wohl geht, sieht man ja an mir“,
sagt sie und lächelt froh. „Und ein
Wink von oben war es auch.“
Letztlich ist das hier für sie mehr
als nur ein Job: „Ich habe mein
Herz ans kleidsam verloren.“
Brigitta Wenninger
Wenn man nur lange genug im diakonia kaufhaus secondhand arbeitet, hat man irgendwann genug
wilde Geschichten erlebt, um ein
ganzes Buch zu schreiben. Hier
nun ein paar Highlights der vergangenen fünf Jahre.
Ob mit dem Feuerwehrauto, einem Leichenwagen oder einem 30Tonnen-LKW: Es gibt viele Möglichkeiten, um bei uns die soeben
günstig erstandenen Möbel abzutransportieren. Das in Einzelteile
zerlegte Bett aufs blanke Autodach
gebunden, die Stricke durch die
Fenster und dann durch den Kofferraum hineingeklettert, auch das
geht irgendwie.
Oder man zersägt sündhaft teure antike Tische zu Brennholz, damit sie in den Kleinwagen passen.
Man kann Stühle auf dem Rücksitz
des Cabrios etwa vier Meter hoch
stapeln. Oder sich eine siebzig Kilogramm schwere Nähmaschine
mit Stricken auf den Rücken binden und nach Hause schleppen.
Der Kreativität sind hier keine
Grenzen gesetzt. Hauptsache, man
kann sich irgendwie selbst helfen.
Rollschuhe unter die soeben erstandene Couch gelegt, um sie
nach Hause zu schieben – auch
kein Problem. Oder man lässt die
85-jährige Oma einfach für drei
Stunden hier bei uns sitzen, weil
nach dem Einkauf im Fahrzeug
kein Platz mehr ist. Wir haben der
alten Dame dann einen Kaffee
und ein Glas Wasser angeboten
und ein paar Sachen zum Lesen.
Wir haben ja alles da.
Mit dem Auto in die Scheibe
Aber es gibt noch ganz andere
Methoden, um uns Verkäufer aufs
Heftigste zu unterhalten. Man
kann zum Beispiel versuchen, völlig zerfetzte Sandalen umzutauschen mit der Behauptung, man
habe sie erst gestern bei uns gekauft. Andere versuchen, unsere
Feuerlöscher, die Schaufensterpuppen oder gleich die ganze Theke
samt Kassen zu kaufen. In einer
besonders hektischen Phase ist es
sogar schon mal passiert, dass der
Kinderwagen einer Kundin versehentlich verkauft wurde, weil er
unbewacht herumstand. Zum
Glück war das Baby nicht drin.
Babys haben wir nicht in unserem Angebot.
Andere Kunden übersehen
unser winziges Kaufhaus in der
Dachauer Straße und fahren
gleich mit dem Auto in die Scheibe. Alles schon vorgekommen.
Und die Sauna im vierten Stock ist
vor ein paar Jahren auch schon
mal abgebrannt, woraufhin wir
den Laden natürlich räumen
mussten und drei Tage nicht betreten konnten.
Aber das ist nur ein winziger
Auszug aus dem Spektrum der Absurditäten, die man im diakonia
kaufhaus secondhand erleben
kann. Man darf gespannt sein,
was da noch alles kommt. Schocken tut uns jedenfalls nichts
mehr. Und wie gesagt: Wir lieben
unsere Kunden.
Andreas Beutl
Seite 8
Nr. 74 · 2016
Ethikbeirat der Hilfe im Alter startete im März in eine neue Runde
„Die ethische Reflexion hat sich
in den Einrichtungen etabliert“
Als erster Träger von Altenhilfe-Einrichtungen hatte die Hilfe im Alter
2009 einen Ethikbeirat gegründet,
jetzt geht das Gremium in die dritte
Runde. Neu in das Gremium einberufen wurden der Palliativmediziner Dr. Thomas Binsack, Chefarzt
i.R. der Palliativstation St. Johannes von Gott, Dirk Spohd, Leiter des
Evangelischen Pflegezentrums Eichenau, Christine Siemens, Pflegeüberleitung im Evangelischen Alten- und Pflegeheim „FriedrichMeinzolt-Haus“ in Dachau sowie
Doris Oltmanns, Wohnbereichsleitung im Evangelischen Alten- und
Pflegeheim Planegg.
„Wir haben uns in den vergangenen Jahren mit der praktischen
Arbeit in den Pflegeeinrichtungen
eng vernetzen können, weil wir in
den Einrichtungen sehr präsent
sind“, resümiert Dorothea Bergmann von der Pastoralpsychologischen Pfarrstelle Spiritualiät – Palli-
ative Care – Ethik – Seelsorge
(SPES), die auch im Vorstand des
Ethikbeirats ist. Dreimal im Jahr
tagt der Ethikbeirat – seit 2013 immer in einem der Alten- und Pflegeheime der Hilfe im Alter. Dort können dann die Mitarbeitenden zu einer exemplarischen Fallsitzung mit
dem Ethikbeirat kommen. „Das
Angebot kommt gut an“, sagt Bergmann. „In manchen Häusern nehmen bis zu 15 Mitarbeitende teil.“
Ein weiterer Meilenstein der vergangenen Jahre war die fünftägige
Schulung „Hinschauen – beraten –
gemeinsam entscheiden“, in der
die Hilfe im Alter Ethik-Moderatoren ausgebildet hat. Unter den
Teilnehmenden waren Mitarbeitende aus der ambulanten Pflege,
aus der PflegeAkademie sowie aus
den Heimen des Trägers. Sie haben
unter anderem gelernt, welche
praxisnahen Moderationsmodelle
es gibt, wie man ethische Konflikt-
situationen erkennt und löst, Fallgeschichten bearbeitet und eine
wertschätzende Gesprächsstruktur
aufbaut. Mit ihrem Wissen können
sie ethische Fallbesprechungen in
den einzelnen Einrichtungen moderieren. Die Koordination erfolgt
über die Fachstelle SPES.
Bei diesen Runden kommen
dann unter anderem Praxisbeispiele wie dieses zur Sprache: Was
mache ich, wenn ein dementer Bewohner den Kopf wegdreht und die
Lippen zukneift, wenn er Essen
und Trinken sieht? Für eine Fallbesprechung setzen sich alle Betroffenen zusammen an einen Tisch: die
Moderatoren, die Angehörigen, gesetzliche Vertreter, der behandelnde Hausarzt sowie Pflegekräfte,
Stations- oder Einrichtungsleitung.
Sie versuchen, den mutmaßlichen
Willen des Bewohners zu erkunden
– und ein adäquates Procedere für
die Situation zu etablieren.
Stellungnahme des Ethikbeirates und der Fachstelle SPES zum neuen Gesetz
über die Hospiz- und Palliativversorgung
Der Ethikbeirat gibt Hilfestellungen für den Pflegealltag.
Um die 40 Fallbesprechungen
moderieren Dorothea Bergmann
und die neu ausgebildeten Moderatoren im Jahr – Tendenz leicht abnehmend: „In den einzelnen Einrichtungen hat sich bei den Mitarbeitenden mittlerweile die ethische
Reflexion etabliert und intensiviert“, hat Bergmann festgestellt.
„Sie brauchen gar nicht mehr in allen Fällen Hilfe von außen.“
Für die Zukunft hat der Ethikbeirat aber schon weitere Themen
auf der Agenda – insbesondere
wenn es um Lobbyarbeit geht:
Foto: Erol Gurian
Nach dem Weckruf „Menschenwürde gilt für alle“ vor drei Jahren
hat er jetzt eine Stellungnahme
zum aktuellen Hospiz- und Palliativgesetz (siehe unten) veröffentlicht. „Wir merken in unserer Runde, dass die Begleitung von Bewohnern am Lebensende ein Thema
ist, das die Mitarbeitenden in den
Einrichtungen beschäftigt“, sagt
Dorothea Bergmann.
Die Mitglieder des Ethikbeirates
möchten den Mitarbeitenden dafür Leitlinien an die Hand geben.
Isabel Hartmann
Gesichter und Geschichten aus der Pflege
Sterben darf kein Sonderthema für Experten sein
Mit einer Stellungnahme haben
der Ethikbeirat der Hilfe im Alter
und die Fachstelle Spiritualität –
Palliative Care – Ethik – Seelsorge (SPES) aus der Praxis heraus
Stellung bezogen zum „Gesetz
zur Verbesserung der Hospizund Palliativversorgung“, das
der Bundestag Ende vergangenen Jahres verabschiedet hat.
Das Gesetz beinhalte „etliche
Chancen für die Weiterentwicklung
und Verfestigung der allgemeinen
ambulanten Palliativversorgung,
die für den Ausbau und die Förderung von palliativer Kompetenz zu
nutzen sind“. Jetzt gehe es darum,
das Gesetz umzusetzen, zu konkretisieren und weiterzuentwickeln.
Eine Verpflichtung für stationäre Einrichtungen der Altenpflege
zur Kooperation mit externen Anbietern werde vielerorts schon über
Jahre hinweg ohne gesetzliche Regelung gepflegt: „Viele Träger stationärer Einrichtungen verfügen
bereits über eine gute Kultur hospizlicher Begleitung sowie über
etablierte interne Konzepte, die eine adäquate ambulante palliative
Versorgung befördern oder umsetzen helfen.“ Wir veröffentlichen
die Erklärung in Auszügen.
„Bislang haben zahlreiche Pflegeeinrichtungen in der Umsetzung
einer allgemeinen ambulanten
Palliativversorgung vorgearbeitet.
Auch aktuell bleiben große Träger
mit ihren Einrichtungen in diesem
Anliegen nicht stehen, sondern
verstärken ihre Kompetenzen und
bauen die entsprechenden Versorgungsstrukturen in Kooperation
mit Hospizvereinen aus. Diese Vorleistung an Engagement und Be-
reitschaft zu weiterer Qualifikation
durch Pflegekräfte sowie Träger
oder Einrichtungen braucht jedoch
nicht nur Refinanzierung, sondern
auch eine Anerkennung und Wertschätzung.
Die gesetzliche Vorschrift zur Kooperation zwischen stationären
Einrichtungen und externen Anbietern ist – insbesondere für Einrichtungen, die sich in dem Feld der
Palliativkompetenz neu aufstellen –
zugleich Ansporn und Verpflichtung. Auch ist ein belastbares Netzwerk immer leistungsfähiger als ein
Einzelengagement.
Durch die gesunkene Verweildauer von Pflegeheimbewohnern
gehört die selbstverständliche Aufmerksamkeit für hospizliche Aufgaben zum Pflegealltag mit dazu.
Es bedarf aber auch der entsprechenden Ressourcen, um diese
Aufgabe angemessen zu bewältigen. Leben, Wohnen, soziale Teilhabe, Abschied und Sterben –
auch bei komplexen Krankheitsbildern – sind Aufgabenfelder der
Altenpflege. Sterben in den Einrichtungen ist kein Sonderthema
für Experten, sondern Aufgabe
innerhalb unserer Einrichtungen.
(…)
Schon seit Jahren entwickelt die
Hilfe im Alter entsprechende Kompetenzen, die die Beratung der Bewohner hinsichtlich ihrer medizinischen, pflegerischen, psychosozialen und spirituellen Wünsche für
die letzte Lebensphase beachten.
Dazu gehört auch die Begleitung
der An- und Zugehörigen in dieser
Zeit. Dies umfasst einzelne Beratungsgespräche von Palliative
Care-Fachkräften mit pflegerischer
und spiritueller Kompetenz, aber
auch ethische Fallbesprechungen.
(…)
Es ist uns ein wesentliches Anliegen, dass Altenhilfeeinrichtungen, die diese Kompetenzen aufweisen, mutig – auch auf der Ebene der Verbände – ihren Anspruch
auf Re-Finanzierung formulieren.
Mittelfristig ist es ein wichtiges
Ziel, dass zusätzliche Einnahmen
beim Träger zu einer besseren Vergütung der Palliative Care-Kräfte
führen, die längst in vielen Einrichtungen arbeiten.
Ein weiteres Ziel ist für uns, dass
ein zusätzlicher Einsatz von Pflegeund Betreuungskräften in der Versorgung von Hochbetagten in Einrichtungen für Altenhilfe nicht allein von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Träger oder der Angehörigen abhängig ist. (…)
Es muss ein stärkeres gesellschaftliches Anliegen werden, dass
die Pflegekräfte der Altenpflege
nicht als das schwächste Glied in
der Versorgungskette gesehen werden, was die Attraktivität wie die
Positionierung dieser Berufsgruppe
schmälert.
Die Pflegenden und Mitarbeitenden im Altenpflegebereich übernehmen einen unverzichtbaren
Dienst für die Gesellschaft und
haben aufgrund ihres Arbeitsfeldes
einen großen Erfahrungsschatz im
Umgang mit Sterben und Tod.
Um ein Leben in Würde bis zuletzt ermöglichen zu können, bedarf es auch der entsprechenden
Wertschätzung derjenigen, die sich
dies zur Aufgabe machen. Wer
Menschen in Würde begleiten will,
braucht auch die entsprechende
Würdigung seitens der Träger und
seitens der Gesellschaft.“
Die Ausstellung „Menschen lieben. Gesichter und Geschichten aus der Pflege“ stand schon an vielen Orten – aber keiner war bislang so prominent
wie der, an dem sie den April über zu sehen war: im Kreuzgang des Maximilianeums, dort wo bayerische Abgeordnete täglich aus- und eingehen
und die Politik des Freistaates bestimmen. Begleitet war die Ausstellung
von einer Auftaktveranstaltung im ehrwürdigen Senatssaal; Landtagspräsidentin Barbara Stamm lud die rund 300 Gäste zudem noch zu einem Empfang in den Steinernen Saal.
Den ersten Impuls zur Diskussion gab der bayerische Landesbischof und
EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. In einer sehr persönlich
gehaltenen Impulsrede schilderte der Theologe die letzten Wochen seines
Vaters, der erst wenige Tage zuvor verstorben war. Er schaue voller Dankbarkeit auf diese Zeit zurück, sagte der Bischof. Sein Vater habe in einem
Passauer Pflegeheim „noch einmal eine neue Heimat gefunden“.
Wichtigste Person war ein irakischer Pfleger, der erst vor ein paar Jahren
nach Deutschland geflüchtet war. Bedford-Strohm wörtlich: „Der Mann
war ein Segen für meinen Vater und unsere ganze Familie.“
Zugleich warnte der Bischof davor, Pflegebedürftige nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten: „Menschen, die pflegebedürftig sind,
dürfen nie das Gefühl entwickeln, dass sie keinen Wert mehr haben, nur
weil sie keinen ökonomischen Nutzen mehr bringen.“
Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU; rechts im Bild) kritisierte, statt
die Bedürfnisse des einzelnen Menschen anzuschauen, entscheide meist
der Kostenträger über den jeweiligen Bedarf. „Wenn wir die Würde des
Menschen gewährleisten wollen, müssen wir uns an dem einzelnen Menschen orientieren.“ Die Politik stehe in der Verantwortung und müsse deshalb genau hinhören auf die Bedürfnisse der Pflegekräfte: „Was brauchen
die? Was ist für die Pflege dieser wunderbaren Menschen nötig?“
Konzipiert wurde die Ausstellung vom evangelischen Dekanat München
und der Hilfe im Alter. Pfarrerin Edith Öxler (Altenheimseelsorge Dekanat
München) und Pfarrerin Dorothea Bergmann von der Fachstelle „Spiritualität – Palliative Care – Ethik – Seelsorge“ der Hilfe im Alter hatten in mühevoller Arbeit zusammengetragen, wie Pflege in Würde aus Sicht der
Fachkräfte aussieht. Dabei kamen die Pflegekräfte selbst zu Wort; ihre Aussagen zu Berufsmotivation, Berufsbiographie und Pflegealltag veranschaulichen Bilder des Fotografen Thomas Braner.
Klaus Honigschnabel / Foto: Rolf Poss
Nr. 74 · 2016
Seite 9
Hilfe im Alter expandiert erneut: Seit dem 1. Juli
betreibt die Tochtergesellschaft der Inneren Mission
das Pflegeheim in Riemerling
Lore Malsch-Haus wird
zehntes Zentrum
Nach der Übernahme einer Pflegeeinrichtung am Kochelsee baut die
Hilfe im Alter (HiA) ihren Geschäftsbetrieb erneut aus: Zum 1.
Juli übernimmt die Tochtergesellschaft der Inneren Mission die Trägerschaft für das bislang vom Diakoniewerk Hohenbrunn betriebene
Lore Malsch-Haus in Riemerling.
Die Eigentümerin der Immobilie, die Lore Malsch-Stiftung, und
der Beirat der Hilfe im Alter haben
das Vorhaben einstimmig befürwortet. Vorstand Günther Bauer
kommentiert die Entwicklung: „So
wie die Caritas in Kochel auf uns
zugegangen ist, hat sich auch das
Diakoniewerk Hohenbrunn an uns
gewandt.“ Die Innere Mission reagiere auf die Nöte anderer Träger.
„Wir helfen natürlich gerne, wenn
es geht.“
Das Evangelische Pflegezentrum
liegt in ruhiger, friedlicher Waldlage am Rand des Hohenbrunner
Ortsteils Riemerling im Südosten
von München; es verfügt derzeit
über rund 200 Plätze. Ein Teil des
Hauses ist in den vergangenen
Neben der klassischen stationären Pflege gibt es auch Plätze für
„Kurzzeitpflege in eingestreuter
Form“. Die Appartements verfügen
über ein eigenes Bad und einen eigenen Balkon.
Zwei Stationen sind als „offener
Demenzbereich“ für die speziellen
Anforderungen von Menschen mit
diesem Krankheitsbild eingerichtet.
Auf der Dachterrasse im 4. Stock
sind beispielsweise Hochbeete angelegt, bei denen die Senioren leichte
gärtnerische Arbeiten verrichten
können. Duftende Pflanzen und
Kräuter regen dabei die Sinne an.
Die umgebende Natur trägt sehr
zum Wohlbefinden der Bewohner
bei. Zu allen Jahreszeiten laden
ebene Wege in unmittelbarer Umgebung zum Spazierengehen und
Ausspannen ein. Im Haus befinden sich eine Cafeteria, ein kleiner
Laden, eine Praxis für Physiotherapie sowie ein Frisörsalon.
Fast alle Allgemeinärzte der
umliegenden Gemeinden übernehmen Hausbesuche bei den Bewohnern. Aus der hauseigenen Kapelle
Das Lore Malsch-Haus in Riemerling im Südosten der Landeshauptstadt ist die
dritte Pflegeeinrichtung der Hilfe im Alter, die sich im Landkreis München befindet.
Foto: Erol Gurian
Jahren bereits saniert worden; für
den anderen Teil stehen diese Arbeiten demnächst an. Die derzeit
145 Beschäftigten wechseln im Zuge des Betriebsübergangs zur HiA
beziehungsweise zur HWS (Hauswirtschaft und Service GmbH).
sind Bild- und Tonübertragungen
in jedes Zimmer möglich. Und wen
es einmal in die Münchner Innenstadt zieht: Mit der S-Bahn gelangt
man vom Bahnhof Ottobrunn aus
schnell zum Marienplatz; die Haltestelle des Zubringerbusses befin-
det sich direkt vor dem Haus.
Die Einrichtung in Riemerling
geht auf das Mutterhaus für kirchliche Diakonie München zurück.
Dieses Mutterhaus wurde 1946 von
Frauen aus ganz Deutschland gegründet, um der Not nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu begegnen. Auch der ehemalige Erste
Vereinsgeistliche der Inneren Mission München, Pfarrer Friedrich
Hofmann, gehörte zu den Begründern des Mutterhauses. Ihm zu Ehren ist die Straße benannt, die zum
Pflegezentrum führt. Aus dem
Mutterhaus der Diakonieschwestern entstand 1967 das heutige
Pflegezentrum Lore Malsch, zu
dem auch 41 Wohnungen für Mitarbeitende gehören.
Einrichtung mit Tradition
Mit dem Haus in Riemerling erhöht sich die Zahl der von der Hilfe
im Alter angebotenen Pflegeplätze
auf rund 1.400; die Einrichtung ist
neben den Pflegeheimen in Planegg und Ebenhausen die dritte im
Landkreis München, die der diakonische Träger betreibt. Das Diakoniewerk Hohenbrunn hat die Trägerschaft abgegeben, um sich auf
andere Geschäftsbereiche zu konzentrieren.
Gerhard Prölß, Geschäftsführer
der Hilfe im Alter, sieht die erneute
Ausweitung seines Geschäftsbetriebs mit positiven Gefühlen: „Das
Haus in Riemerling ist eine schöne
Einrichtung mit Tradition; es ist sicher von Vorteil und wichtig für
die Zukunft, es in einen größeren
Verbund mit guten Strukturen zu
integrieren.“
Prölß freut sich sowohl auf die
neuen engagierten Mitarbeitenden
als auch auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit
der Lore Malsch-Stiftung. „Auf
dieser Grundlage werden wir auch
die noch anstehenden Sanierungsarbeiten gut meistern und unser
Ziel erreichen, in einem schönen
Haus eine gute und würdevolle
Pflege anzubieten – trotz aller
nach wie vor widrigen Rahmenbedingungen.“
Zum Leiter des Hauses wurde
Jan Steinbach (50) berufen, der
seit sechs Jahren das Pflegeheim
im Reischlhof in Ebersberg leitete.
Die Nachfolgerin dort wird seine
Vorgängerin von einst: Anke Möglinger, damals noch mit ihrem
Mädchennamen Stöcker, hatte das
Haus nach seiner Eröffnung im
Herbst 2005 bis zu Beginn ihrer
Elternzeit geleitet.
ho
Kurz gemeldet
Evangelisches Alten- und
Pflegeheim „LeonhardHenninger-Haus“
Internationale Speisen, Willkommensschilder in vielen Sprachen
und Fähnchen aus aller Welt – im
April feierten Mitarbeitende, Bewohner und Gäste die Auftaktwoche des Projekts zur interkulturellen
Öffnung in der stationären Altenhilfe, das die Stadt München fördert.
Bei einem Fortbildungstag setzten
sich die Stationsleitungen mit dem
Thema Interkulturalität auseinander
– und auf den Stationen gab es Gespräche: Was hilft denn eigentlich
den Mitarbeitenden beim Ankommen in der neuen Arbeitsstelle?
Was brauchen sie, wenn sie sich zusätzlich im neuen Land zurechtfinden müssen? Für die Bewohnerinnen und Bewohner gab es ein Fest
mit griechisch-türkischem Kuchen,
vietnamesischer und nigerianischer
Tracht, Musik aus Kroatien und Bildern aus Bosnien – die ganze Vielfalt des Hauses hat sich in entspannter Atmosphäre präsentiert.
Evangelisches Pflegezentrum Sendling
Wer die Bilder von Birgit Schneider
ansieht, entdeckt in ihnen Körper
von Tieren oder Menschen. „Malen
an sich ist Bewegung und lässt le-
bendige Motive auf dem Bildgrund
entstehen“, beschreibt die 53-jährige gebürtige Münchnerin den Prozess, in dem sie sich von inneren
Bildern, Stimmungen und Eindrücken leiten lässt. Bis heute ist die
Kunst „ihre Quelle, um die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen“. Neben ihrer Arbeit als Buchillustratorin berät sie auch Pflegeeinrichtungen zu Farbkonzepten und
unterrichtet an der Evangelischen
PflegeAkademie. Zu sehen sind ihre
farbenstarken Acryl-Bilder noch bis
zum 24. August im Evangelischen
Pflegezentrum in Sendling, Baierbrunner Straße 101 – 103 (jeweils
8 bis 18 Uhr im Multifunktionsraum
im 1. Stock).
Schüler der Evangelischen PflegeAkademie organisieren Frühlingsfest im benachbarten Pflegezentrum
Polka, Frühlingsgedichte
und vietnamesische Lieder
Es gab einen Maibaum, Erdbeerkuchen, viele Lieder und sogar Volkstänze – beim Tanz in den Mai im
Evangelischen Pflegezentrum
Sendling war alles dabei, was zu
einem richtigen Frühlingsfest gehört. Und noch eine Besonderheit
dazu: Die Organisation lag dieses
Mal – mit etwas Unterstützung des
Teams des Pflegezentrums – in den
Händen der Schülerinnen und
Schüler der Altenpflege-Klasse A
36/15 der Evangelischen PflegeAkademie.
Wand an Wand liegen die beiden Einrichtungen seit der Eröffnung des Neubaus vor drei Jahren;
die unmittelbare Nähe soll auch
stärker genutzt werden – da sind
sich Lisa Hirdes, Leiterin der PflegeAkademie, und Florian Walter,
Leiter des Evangelischen Pflegezentrums Sendling, einig: „Für uns ist
das eine einmalige Chance, Praxis
und Theorie eng zu verzahnen und
unsere Einrichtungen stärker zu
vernetzen“, sagt Walter. Das erste
größere gemeinsame Projekt: das
Frühlingsfest.
Wie organisiere ich ein Fest?
Welche Traditionen und Brauchtümer gibt es? Das steht in der Altenpflege-Ausbildung im ersten Jahr
im Fach Lebenszeit- und Lebensraumgestaltung auf dem Lehrplan. „Wir möchten den Schülern
zeigen, dass zum Altenpflegeberuf
und Schüler daran, das Gelernte in
Gruppen umzusetzen: Es galt, Lieder und Gedichte herauszusuchen
und zu lernen. Und Volkstänze wie
Boarischen, Polka und Siebenschritt einzustudieren – mit Unterstützung von Frank Straub, der selber in einer Volkstanzgruppe ist.
Die einen kümmerten sich um den
Maibaum und die passende Deko,
andere sorgten für den Service und
die Betreuung der Bewohner.
Charmant und liebevoll
„Die Zusammenarbeit lief sehr
gut“, resümiert Einrichtungsleiter
Florian Walter. „Es war ein rundum
tolles Programm – von der Deko
über den Service bis hin zur liebevollen und charmanten Betreuung.“
Die Bewohnerinnen und Bewohner
hätten es genossen, so viele junge
Gesichter um sich herum zu haben.
Und auch sie haben einen
Hauch von anderen Kulturen serviert bekommen: Unter anderem
sang Uyen Thi Thuc Nguyen, eine
Schülerin der Klasse, ein Lied aus
ihrem Heimatland Vietnam.
„Die alten Menschen hatten alle Spaß und wir Schüler auch“, resümiert Albana Feta, die zusammen mit Arnes Kormann die Moderation übernommen hatte. „Ich
habe jetzt eine bessere Vorstellung,
wie man Feste organisiert – und
In Tracht kamen viele der Schülerinnen und Schüler der Evangelischen PflegeAkademie zum Sommerfest im benachbarten Pflegezentrum – und sangen und
tanzten für die Bewohner.
Foto: Anja Hügelschäffer
noch viel mehr gehört als die tägliche Pflege“, sagt Pflegepädagoge
Frank Straub. In der Klasse seien
viele Schüler mit Migrationshintergrund. „Für sie ist es wichtig, unsere Kultur kennenzulernen“, betont
er. Und das gehe in der Praxis immer noch am besten.
Zusammenarbeit im Team
„Mein erster Gedanke war: Das
klingt nach einem Test unserer
Klasse“, erzählt Arnes Kormann,
Schüler der Altenpflege-Klasse A
36/15. „Uns wurde gesagt, dass
mehr als 100 Bewohner und Gäste
da sein werden. Das ist viel Verantwortung, aber das kann auch unsere Zusammenarbeit und Teamfähigkeit zum Vorschein bringen.“
Nach ein paar Stunden Theorie
ging es für die 28 Schülerinnen
kann das auch in meiner Einrichtung machen und damit meinen
Bewohnern ein Lächeln ins Gesicht zaubern“, sagt sie. „Projekte
dieser Art sind eine gute Abwechslung zum theoretischen Teil des
Lernens“, findet Arnes Kormann.
Das sehen auch die Mitarbeitenden der PflegeAkademie und
des Pflegezentrums so – und wollen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten: Derzeit stellt
Birgit Schneider, Dozentin an der
PflegeAkademie, ihre Bilder im
Pflegezentrum aus. Im nächsten
Jahr sollen die Altenpflege-Schüler
wieder das Frühlingsfest gestalten.
Und bald ist die Altenpflege-Klasse
A 36/15 noch mal im Pflegezentrum Sendling zu Gast – sie sind
als Dank für das Frühlingsfest zu
einem Grillfest eingeladen.
Isabel Hartmann
Seite 10
Nr. 74 · 2016
Evangelischer Kindergarten der Inneren Mission –
Himmelfahrtskirche Pasing feiert seinen 40. Geburtstag
Festgottesdienst zur
Geburtstagsfeier
Was kann man mit Luft machen? Das haben die Kinder der Krippe Feldkirchen in Experimenten ausprobiert. Jetzt ist die
Einrichtung „Haus der Kleinen Forscher“ – als eine von zwei Krippen in Oberbayern.
Foto: Krippe Feldkirchen
Die Kinderkrippe Feldkirchen ist „Haus der kleinen Forscher“
Normalerweise sitzen auf dem goldenen Sessel mit dem roten Samtbezug die Geburtstagskinder aus
den zwei Gruppen des Evangelischen Kindergartens der Inneren
Mission München-Himmelfahrtskirche Pasing. Im Juni allerdings
nahm gleich der ganze Kindergarten auf dem Geburtstagsthron
Platz – und bekam einen Riesenkuchen mit vielen Kerzen. Der Anlass: Die Einrichtung wurde in diesem Jahr 40 Jahre alt.
Wissenschaftler in Windeln
Wenn man eine Plastikflasche mit
Wasser füllt und das Wasser dann
wieder ausschüttet, ist die Flasche
leer. Oder? Wenn man die Flasche
aber schnell und fest zusammendrückt, spürt man einen kleinen
Wind. Die Flasche war gar nicht
leer – es war Luft drin!
Die Kinder, die dieses Experiment beobachtet haben, staunen,
lachen und machen große Augen.
Bei der nächsten Gelegenheit werden einige von ihnen beim Anblick einer leeren Flasche rufen:
„Da ist Luft drin!“ Für ein Kindergartenkind wäre diese Erkenntnis
schön, ist aber nicht außergewöhnlich. Das Besondere an dieser
Runde: Kein Kind ist älter als drei
Jahre. Denn das Experiment findet
in der Kinderkrippe Feldkirchen
der Inneren Mission statt.
Hier gehört das Forschen und
Ausprobieren zum festen Programm: Einmal pro Woche bietet
eine der Pädagoginnen beim „Entdeckertag“ ein Experiment zum
Mitmachen an. „Viele denken, mit
den Kleinen geht das noch nicht“,
sagt Angela Middleton, Leiterin
der Einrichtung. „Aber das stimmt
nicht. Die Kinder sind so neugierig.
Sie sind kleine Forscher von Anfang an.“ Und weil der „Entdeckertag“ schon immer ein fester Bestandteil der vor zwei Jahren eröffneten Krippe war, kam Angela
Middleton auf die Idee, sich als
„Haus der kleinen Forscher“ zertifizieren zu lassen. Hinter der Auszeichnung steht eine Stiftung, die
Kindern das Forschen und die Wis-
senschaft näherbringen und damit
eine Grundlage für gute Bildungschancen legen möchte.
Eine Einrichtung, die als „Haus
der kleinen Forscher“ zertifiziert
werden will, muss das Forschen als
festes Element in die pädagogische
Arbeit einbauen, die Experimente
dokumentieren, einen Fragebogen
ausfüllen und die Mitarbeitenden
schulen.
Für die Krippe in Feldkirchen alles kein Problem – nur: Das Zertifikat ist für Krippen gar nicht vorgesehen. Die Arbeitshilfen der Stiftung sind alle für ältere Kinder
konzipiert.
Forschen als festes Element
Angela Middleton und ihr Team
hat das nicht abgeschreckt. Sie
passten die Experimente für ihre
Kleinen an, dachten sich selbst
Projekte aus und bewarben sich
trotzdem. Und es hat geklappt. Seit
Mitte Mai hängt nun die grüne
Plakette am Eingang zur Krippe.
Damit ist die Einrichtung beinahe
oberbayernweit die Einzige – mit
Ausnahme einer Krippe in München. „Darauf sind wir schon
stolz“, sagt Middleton. „Vor allem
weil auch meine Mitarbeiterinnen
voll dabei sind. Wir haben alle viel
Freude und probieren Sachen aus.
Da werden wir selber wieder wie
Kinder.“
Heraus kommen Experimente,
die die Kinder begeistern und
manchmal auch den Erwachsenen
einen Aha-Effekt bescheren. Wie
bei der Luft aus der Plastikflasche.
Luft ist überhaupt ein tolles Forscherthema, weil sie so erst greifbar wird. Luft braucht Platz: Wenn
man versucht, eine luftgefüllte Tüte in ein Glas zu stopfen, passt sie
nicht rein. Luft kann man spüren:
mit Ventilatoren, Fächern oder einer kindergroßen Luftpumpe. Luft
trägt: Eine Holzplatte, die auf
mehreren aufgeblasenen Luftballons liegt, hält locker sechs Kinder
aus!
Das Schönste sei, sagt Angela
Middleton, wenn die Kinder die Experimente weiterentwickelten. Mit
einem Föhn haben sie Luftballons
und Tücher in die Luft gepustet.
Dann kam ein Kind und wollte sehen, ob das auch mit einem StoffSchaf geht. „Ausprobieren und selber machen, darum geht es“, findet Middleton.
Und manchmal kommen die
Ideen zu neuen Experimenten von
den Kindern selber. Ein Bub konnte nicht glauben, dass das Flüssige
in einer Kerze kein Wasser ist – obwohl es so aussieht. Also nahmen
die Pädagoginnen ein Blatt Papier,
kippten einen Tropfen Wachs darauf und daneben einen Tropfen
Wasser. Das Wachs wurde fest, tat
dem Papier aber nichts. Das Wasser hingegen wurde überhaupt
nicht fest, weichte dafür aber das
Papier auf.
„Da hat der Bub den Unterschied verstanden“, erzählt Angela
Middleton. „Und er hat es beim
Abholen gleich seiner Mama erklärt.“
Susanne Hagenmaier
Fachtag „Betriebliches Gesundheitsmanagement“
die Einrichtungen im Anschluss vor
– von Rückenschule über Körpertraining bis hin zur Pausenraumgestaltung. Diese sind mit Hilfe der
Pauschalzuweisung des Landeskirchenamtes ins Leben gerufen worden: Seit zwei Jahren werden durch
einen Teil der Bezuschussung Träger der rund 80 evangelischen Kindertageseinrichtungen im Dekanatsbezirk mit insgesamt 50.000
Euro unterstützt.
„Für uns sind die Angebote zum
Gesundheitsmanagement auch ein
Zeichen der Wertschätzung an unsere Mitarbeitenden“, sagt Rosemarie Reichelt, Leiterin der Abteilung
Und das feierten die Kinder, das
Team, Eltern und Gäste mit einem
Festgottesdienst in der benachbarten Himmelfahrtskirche. Im Anschluss daran gab es ein Kuchenbuffet, Attraktionen für Kinder
und Familien, eine Tombola sowie
eine Fotoausstellung.
Vor 40 Jahren, genauer gesagt
am 9. Februar 1976, hat der Evangelische Kindergarten Pasing seine
Pforten geöffnet, damals unter der
Trägerschaft der Kirchengemeinde.
Von der Zeit vor 40 Jahren erzählte Gabriele Heinze, die heutige
Leiterin der Einrichtung, den Kindern beim Festgottesdienst. So haben damals beim Basteln alle das
Gleiche gebastelt – mit Hilfe einer
Schablone, die die Erzieher vorher
gemacht haben. 2010 hat dann
die Innere Mission die Trägerschaft
Impressum
Von der Rückenschule bis zur Pausenraumgestaltung
„Gestärkt, entspannt, achtsam
und fit“ – mehr als 60 Leitungen
und Trägervertreter waren beim
Fachtag „Betriebliches Gesundheitsmanagement – Chancen und
Nutzen für Kitas“ der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Kindertageseinrichtungen im Dekanatsbezirk München im BuchruckerSaal der Inneren Mission zu Gast.
Auf die Chancen und Nutzen des
Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Zeichen des demografischen Wandels ging Sandra Böhm
von der AOK in einem Impulsvortrag ein. Gelungene Beispiele von
Gesundheitsmanagement stellten
Zum 40. Geburtstag gab es für den
Evangelischen Kindergarten in Pasing
einen Platz auf dem Geburtstagsthron, Geschenke und leckeren Kuchen – hier präsentiert von Leiterin
Gabriele Heinze und Abteilungsleiterin Rosemarie Reichelt (r.). Fotos: isa
Kindertageseinrichtungen und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Kindertageseinrichtungen.
„Wir möchten genau hinsehen, wo
die Mitarbeitenden Unterstützung
brauchen und wie wir sie als Arbeitgeber entlasten können.“
Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Praxis konnten
die Teilnehmenden dann bei den
Workshops erleben, die die AOK
im Rahmen des Fachtags anbot:
unter anderem zu den Themen
Rückenfitness, Entspannung, Resilienz und Achtsamkeit sowie Gesundheitsressourcen und -risiken.
Isabel Hartmann
Diakonie Report
Zeitung der Inneren Mission München
des Kindergartens übernommen.
Heute bilden, betreuen und erziehen dort fünf pädagogische Fachund Ergänzungskräfte sowie Praktikanten 50 Kinder.
Die Zusammenarbeit mit der
Kirchengemeinde ist weiterhin
eng: So haben auch die Kinder
und Erzieherinnen zusammen mit
Pfarrer Hans-Martin Köbler den
Festgottesdienst geplant.
Dort zeigte er den Kindern mit
verschiedenen Bildern und Geschichten, wie wichtig die Zahl 40
– auch in der Bibel – ist: 40 Tage
regnete es, nachdem Noah seine
Arche fertig gebaut hatte, 40 Jahre
lang regierte König Salomon. Und:
Eine Mutter trägt ihr Kind 40 Wochen im Bauch.
„Ich finde es wunderbar, dass
der Kindergarten mitten im Dorf ist
– da gehört er hin“, sagte Günther
Bauer, Vorstand der Inneren Mission München. „Kinder zu erziehen
ist schwer, Kinder mit Freiheit und
Selbstbestimmung zu erziehen, ist
doppelt so schwer“ – mit dieser
Aussage des Pädagogen Friedrich
Fröbel, dem Begründer des ersten
Kindergartens, lobte Juliane Aulinger vom Elternbeirat die Arbeit des
Teams: „Sie sind den Kindern
Freund und Begleiter und bereiten
sie auf das spätere Leben vor.“
Damit es so auch die nächsten
Jahre weiter geht, durften die Gäste Wünsche für die Zukunft aufschreiben: eine tolle Gemeinschaft,
Gottes schützende Hand, Freude,
eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team und nette
Eltern.
Isabel Hartmann
Peljak, Katja Pfeifer, Imke Plesch, Rolf
Poss, Roland Rausch, Doris Richter,
Josephin Schmid, Dieter Sommer,
Thorsten von Eyb, Daniela Weis,
Brigitta Wenninger, Markus Zechmann
Inhaber und Verleger: Innere Mission
München – Diakonie in München
und Oberbayern e.V., Landshuter
Allee 40, 80637 München
Satz: CreAktiv komma München
GmbH, Fürstenrieder Straße 5,
80687 München
Verantwortlicher Redakteur:
Klaus Honigschnabel,
Telefon: 089 / 12 69 91–121
Druck: Druckhaus Kastner, Wolnzach;
gedruckt auf Papier mit 50 Prozent
Recyclinganteil
Redaktion: Isabel Hartmann,
Klaus Honigschnabel
Erscheinungsweise: dreimal jährlich
Mitarbeit:
Yannis Antonopoulos, Kurt Bauer,
Andrea Betz, Andreas Beutl, Oliver
Bodmer, Wilfried Bogner, Gregor
Bresser, Dietmar Frey, Erol Gurian,
Susanne Hagenmaier, Anja
Hügelschäffer, Marina Kauker,
Constanze Mauermayer, Florian
Aktuelle Druckauflage: 9.800 Stück
Dieser Ausgabe liegen bei die Zeitung
der diakonia sowie ein Überweisungsträger für Spenden.
Spendenkonto:
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BIC HYVEDEMMXXX
Nr. 74 · 2016
Seite 11
Feier einstudiert hatten: die Geschichte der Raupe Nimmersatt,
die sich erst durch Äpfel, Sahnetörtchen und Schokoladenkuchen
frisst und dann zu einem wunderschönen Schmetterling wird.
Alles kräftig gewachsen
Große und kleine Begrüßer (v.l.n.r.): Diellza, Thomas Deiring, pädagogischer
Fachdienst, Bereichsleiterin Juliane Kliem und Yanic führten durch die Jubiläumsfeier der Heilpädagogischen Tagesstätten.
Fotos: Marina Kauker
Heilpädagogische Tagesstätten in Feldkirchen und
Garching feiern 25. Geburtstag
„Sie machen den
Landkreis menschlicher“
Was braucht man für eine gute
Party? Eine schwierige Frage – deshalb haben die Pädagoginnen und
Pädagogen der Heilpädagogischen
Tagesstätten Feldkirchen und Garching sich Rat bei einem Expertenteam geholt, als das 25-jährige Jubiläum anstand: bei den Kindern,
die die Einrichtungen besuchen.
Und die Experten wussten genau, was man braucht: viele Leute, eine Discokugel, Musik, ein
oder zwei Leute, die das Buffet machen, Besteck – sonst werden die
Finger dreckig, Aufpasser, damit
nichts kaputt geht, und einen Begrüßer. Das Organisationkomitee
hat sich an die Ratschläge gehalten – und die Experten waren auch
bei der Feier mittendrin: Als Begrüßer führte Elias, 12 Jahre alt,
die Gäste ein – zusammen mit
„Aufpasser“ Achim Weiss, dem
Leiter der Evangelischen Kinderund Jugendhilfe Feldkirchen. Die
neunjährige Diellza und der zehnjährige Yanic führten zusammen
mit Bereichsleiterin Juliane Kliem
und Thomas Deiring vom pädagogischen Fachdienst durchs Programm.
Die Kinder aus den beiden Heilpädagogischen Tagesstätten zeigten, was sie in den Wochen vor der
So wie sich die Raupe entwickelt
hat, so ist auch die Einrichtung gewachsen: Los ging es vor 26 Jahren
im Stammhaus der Evangelischen
Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen – dort, wo jetzt die Wohngruppe Aladdin ihre Räume hat.
Vier Pädagoginnen haben sich damals um 16 Kinder in zwei Gruppen gekümmert.
Kräftig gewachsen – und ein
paar Mal umgezogen – ist die Einrichtung in den Jahren danach.
Die Feldkirchner Gruppe residierte
übergangsweise in einem Container, dann ging es wieder zurück
ins Haupthaus – in die jetzigen
Räume. 2006 kam dann die Außenstelle in Garching dazu: erst an
zwei Standorten, seit 2012 in einem eigens für sie geplanten Holzbau. Heute begleiten rund 20 Mitarbeitende dort und in Feldkirchen
63 Kindergarten- und Schulkinder
auf ihrem Weg ins Leben.
Aber was ist eigentlich eine
Heilpädagogische Tagesstätte?
Auch zu diesem Thema kam das
Expertenteam zu Wort – per Video:
„Man spielt, macht Ausflüge und
Hausaufgaben, da helfen Erwachsene den Kindern und dann gibt es
eine Abschlussrunde, wie der Tag
war.“ Außerdem gibt es einen
Fachdienst, der „tut die Fächer putzen“. Und: Achim Weiss ist der
Hausmeister – da waren sich die
Kinderexperten so ziemlich einig.
Zwei bis drei Jahre lang kommen
die Kinder in die Einrichtung. „Wir
unterstützen sie, wenn sie in ihrer
Entwicklung verzögert sind, Probleme in der Schule oder Auffälligkeiten in der Sprache, der Motorik, im
Spiel- und Lernverhalten oder in
ihrer emotionalen und sozialen
Entwicklung haben“, sagt Bereichsleiterin Juliane Kliem. Die
Mitarbeitenden stärken die Kinder
unter anderem in ihrer Persönlichkeit, helfen ihnen, Kontakte zu
knüpfen, traumatische Erfahrungen zu bewältigen und sich in der
Gruppe zurechtzufinden.
Eine Menge Lob gab es bei der
Jubiläumsfeier für die Arbeit der
beiden Heilpädagogischen Tagesstätten im vergangenen Vierteljahrhundert. Viele Wegbegleiter
waren zum Jubiläum gekommen,
unter anderem Vertreter der Jugendämter, Politiker, Pfarrer, Lehrer, Eltern und ehemalige Mitarbeitende. „Sie
leisten eine
große und
gute Arbeit“, sagte
der stellvertretende
Landrat Otto Bußjäger. „Sie machen den Landkreis menschlicher,
bei Ihnen stehen die Menschen im
Mittelpunkt.“ Die Mitarbeitenden
würden den Kindern eine klare
Botschaft ins Stammbuch schreiben: „Du schaffst das und gemeinsam geht es besser.“
„Sehr stolz“ auf die Heilpädagogischen Tagesstätten in ihren Gemeinden zeigten sich auch Werner
van der Weck und Dieter Gruchmann, der Feldkirchner und der
Garchinger Erste Bürgermeister.
„Wie viele Kinder habt ihr schon
betreut, Schicksale und Geschichten begleitet und in ein selbstständiges Leben geführt – dafür gebührt Dank“, sagte Gruchmann.
„Ihr seid wunderbar!“ fügte van
der Weck hinzu. „Schön, dass es
Euch gibt, dass Ihr Zeit und Herz
investiert“, dankte der Feldkirchner Pfarrer Torsten Bader. „Wenn
man die Kinder sieht, geht einem
das Herz auf.“
Es sei wichtig, den Kindern mitzugeben, dass sie nicht alleine
sind, sagte der „Oberaufpasser der
Inneren Mission“, Vorstand Günther Bauer. „Machen Sie weiter so“,
wandte er sich an die Mitarbeitenden: „Behalten Sie sich die Freude
daran, mit Kindern zu arbeiten.
Ihre Arbeit ist ein Geschenk, das
jemandem zuteil wird.“
Das wurde
auch in dem
Brief der
langjährigen
Bereichsleiterin Barbara
Christl deutlich, die vor
einem Jahr
nach Spanien ausgewandert ist: Darin berichtet sie von
drei Kindern, die sie bei Problemen
im Schulalltag begleitet hatte –
und später wieder getroffen hat.
Einer von ihnen machte gerade
Fachabitur, einer hatte einen guten Job gefunden, eine andere war
Mutter geworden und wollte eine
Ausbildung zur Pflegefachkraft
beginnen.
Isabel Hartmann
Mit einem großen Fest bedankte sich Feldkirchen bei allen Flüchtlingshelfern, die im vergangenen Herbst kreativ und spontan mitgearbeitet hatten
„Gemeinsam haben wir’s wirklich geschafft“
Als Farzad im September vorigen
Jahres aus Kabul nach Deutschland kam, sprach der 16-Jährige
kein Wort Deutsch. Beim großen
Dankesfest, das die Evangelische
Kinder- und Jugendhilfe und die
Gemeindeverwaltung Ende April
für alle ehren- und hauptamtlichen Helfer ausrichtete, war Farzad der erste, der zu den versammelten Festgästen sprach: mit afghanischem Akzent, aber auf
Deutsch. „Wir schätzen Euch sehr
und sind Euch Helfern sehr dankbar. Danke, danke, danke!“
Gelacht und geweint
Im Zeichen des Danks stand der
ganze Abend. Die Jugendlichen
sollten dabei im Mittelpunkt stehen, wie Gesamtleiter Achim Weiss
bekräftigte – aber eben auch alle,
die im vergangenen halben Jahr
mitgeholfen hatten: „Wir haben es
verdient, weil wir es auch geschafft
haben.“ Und was die Feldkirchner
alles quasi über Nacht geschafft
haben! Als der Anruf kam, dass
demnächst etwa 60 Jugendliche
ein Obdach brauchen, lief alles
wie geschmiert, weil der örtliche
Helferkreis schon in den Startlöchern saß und auch die Hauptamtlichen vorbereitet waren.
Gemeinsam schafften sie es
dann, die Feuerwehr zu aktivieren
(die brachte Betten), Spender zu
mobilisieren (für Handtücher und
andere Gebrauchsgegenstände),
den stellvertretenden Bürgermeister als Fahrer einzusetzen, im Rathaus den Sitzungssaal zu besetzen
und auch noch den Männergesangsverein zu vertrösten (weil der
Probenraum jetzt belegt war).
Und nebenbei gelang es den
versammelten Helfern auch noch,
die zwei oder drei Kritiker im Ort
mit guten Argumenten erfolgreich
abzuwehren sowie „das Jugendamt und die Heimaufsicht zu verwirren, weil das hier alles natürlich nicht mit der festgelegten Finanzierung oder Zimmerbelegung
übereinstimmte“, wie Weiss
schmunzelnd bemerkte.
Und nicht zuletzt habe man in
den fünf Monaten auch bewiesen,
dass 62 Personen mit zwei Duschen auskommen können – auch
wenn es dafür einen ausgeklügelten Plan braucht. Und Kids, die
sich daran halten.
Auch Michaela Strathmann
vom Helferkreis erinnerte sich gerne an „diese schöne Zeit, in der wir
alle zusammen unglaublich viel
geschafft haben – mit wahnsinnig
viel Herz und zahlreichen Überstunden“. Man habe nicht nur erfolgreich zusammengearbeitet,
„sondern auch gelacht und hin
und wieder geweint“. Es war „eine
tolle Zeit“, beim Fest könne man
nun Kraft tanken für die nächsten
Herausforderungen in Feldkirchen.
Dann berichteten Angelika Gillmann und Silja Buchmann über
die Tücken des Alltags. Etwa wenn
das Jugendamt immer wieder Namenslisten anforderte (und es ewig
dauerte, bis man die endlich hatte). Oder wenn der sorgsam ausgeklügelte Weckplan für die Jugendlichen (die zu unterschiedlichen
Zeiten in die Schule mussten)
irgendwie ins Leere lief, „weil da
jeder jede Nacht in einem anderen
Bett geschlafen hat“. Oder wenn
Hunderte von Socken und Unterhosen, die man auf die Schnelle
gekauft hatte, am nächsten Tag
bereits wieder verschwunden waren – und erst nach langem Suchen wieder auftauchten.
die Füße gestellt haben.“ Leider
habe sich das positive Klima dann
Anfang des Jahres geändert, kritisierte Rausch. „Die Stimmung ist
nicht umgeschlagen, sie wurde
umgeschlagen von vielen, denen
diese Entwicklung nicht gepasst
hat.“
Feldkirchens Erster Bürgermeister Werner van der Weck überbrachte schließlich den offiziellen
Dank: „Das war professionelle und
ehrenamtliche Hilfe, die nur so geflutscht hat.“ Die Gemeinde werde
nicht vergessen, was da rausgekommen ist. „Eine ganz tolle und
menschliche Geschichte. Respekt!“
Zur Stärkung für alle gab es dann
nach mehreren Trommel- und Musikeinlagen und dem Auftritt des
Kabarettisten Simon Pearce ein erlesenes Flying Buffet: Bulgur, Meeresfrüchtesalat, Hirschragout mit
Süßkartoffelgratin, Panna cotta
und Rote Grütze. „Alles frisch gekocht und selbstverständlich halal“, wie Latif Rasech erläuterte,
der vor neun Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling
hierher kam, eine Ausbildung
machte und jetzt als festangestellter Koch arbeitet. Noch so eine Erfolgsgeschichte aus Feldkirchen.
Klaus Honigschnabel
Hilfe auf allen Ebenen
Dennoch war es auch für die
beiden eine „ganz tolle Zeit“. Angelika Gillmann beschrieb das so:
„In meiner mehr als 30-jährigen
Berufszeit habe ich so was noch
nicht erlebt. Und das Schönste ist,
gemeinsam haben wir’s wirklich
geschafft.“ Auch Roland Rausch,
bei der Inneren Mission verantwortlich für die Finanzen, erinnerte sich an das eine Wochenende
im September, an dem es gelang,
innerhalb kürzester Zeit die Hilfe
zu organisieren: „Es ist phantastisch, was viele Menschen hier auf
Internationale Gäste, internationale Speisen, internationale Musik: Mori Dioubaté aus Guinea, Wanda Rosmus und Tom Kaleße (v.l.n.r.) sorgten beim Fest
mit ihren Instrumenten für ungewohnte Klänge.
Foto: ho
Seite 12
Nr. 74 · 2016
Kritik an der Flüchtlingspolitik
„Kopfschütteln und
viele offene Fragen“
Eine neue landesweite Aufnahmeeinrichtung in Bamberg, die mögliche Verlagerung der Münchner
Erstaufnahmeeinrichtung von der
Bayernkaserne nach Fürstenfeldbruck, die Vergabe der Sozialbetreuung an gewerbliche Anbieter –
Vertreter der Inneren Mission haben kritisiert, dass das „organisatorische Chaos“ in der Flüchtlingspolitik auf Bundes- und Landesebene immer größer wird.
„Kopfschütteln und viele offene
Fragen“ hinterlasse beispielsweise
das neue Konzept des Integrierten
Flüchtlingsmanagements des
Bundesamts für Migration und
Flüchtlinge (BAMF), sagte Günther
Bauer, Vorstand der Inneren Mission, bei einer Pressekonferenz Anfang Mai. Dieses sieht vor, dass in
allen Bundesländern – in Bayern
in Bamberg – ein zentrales Ankunftszentrum mit beschleunigten
Asylverfahren eingerichtet werden
soll.
Praxis aus dem Blick verloren
Offen ist laut Bauer unter anderem die Zukunft der schon bestehenden Aufnahmezentren in Bayern und die Frage, wo die Menschen mit Bleibeperspektive künftig wohnen werden. Bauer wörtlich: „Das ist ein Paradebeispiel für
eine Top-down-Politik, die auf Basis der Rechtslage organisiert wird
und die Praxis aus dem Blick verliert.“ Es gehe nicht mehr um
menschliche Schicksale, sondern
nur noch um Logistik: „Menschen
werden etikettiert und wie Stückgut herumgeschoben.“
Die kommunale Ebene – und
mit ihr die Freien Träger, Kirchengemeinden und Akteure des Bürgerschaftlichen Engagements –
werde nicht mehr als Akteur und
Mitspieler gesehen, sondern lediglich als Objekt der Bundes- und
Landespolitik. Das Konzept des
Flüchtlingsmanagements ließe
sich auch dezentral mit den schon
bestehenden Einrichtungen umsetzen. Bauer wörtlich: „Das BAMF
lenkt damit von den eigentlichen
Problemen ab: zu wenig Personal,
schleppende Bearbeitung der Anträge und mangelnde Information.“
Besorgt zeigte sich auch Andrea
Betz, Leiterin der Abteilung Flüchtlingshilfe, Migration und Integration, über die Entwicklungen in
der Flüchtlingspolitik der Regierung von Oberbayern: „Die soziale
Betreuung der Flüchtlinge wird
mittlerweile immer häufiger an
privatwirtschaftliche Dienstleister
vergeben, die vormals nur für die
Bereiche Security und Facility Management zuständig waren und
jetzt der Regierung von Oberbayern weisungsgebunden sind“, kritisierte sie.
Bei der Vergabe auf einem so
sensiblen Gebiet wie der sozialen
Betreuung von Flüchtlingen zähle
offenbar nur noch der Preis. Die
Mitarbeitenden der gewerblichen
Anbieter würden oft unter Tarif bezahlt, fachliche Standards seien
nicht bekannt, die Arbeit von Ehrenamtlichen sei nicht mehr vorgesehen.
Wichtig sei es auch, Kindern
und Jugendlichen in den Unterkünften den Zugang zu Bildung
zu ermöglichen, da dies ein wichtiger Faktor bei der Integration ist:
„Jeder Tag Bildung zählt.“
Sorge bereitet Andrea Betz und
ihren Mitarbeitenden auch die von
der Regierung angedachte Verlegung der Erstaufnahmeeinrich-
tung aus der Bayernkaserne in den
ehemaligen Fliegerhorst Fürstenfeldbruck: „Wenn das tatsächlich
kommt, geht die soziale Infrastruktur verloren, die sich über Jahre
gebildet hat“, legte sie dar. „Das
bringt für Flüchtlinge weitaus
mehr Nachteile als Vorteile.“ Die
Münchner Ehrenamtlichen würden wohl nicht nach Fürstenfeldbruck fahren.
Enges Netzwerk in München
Ein enges Netzwerk aus sozialen
Initiativen und Trägern – von ehrenamtlichen Helferkreisen über
Kleiderkammern bis hin zu Familien- und Jugendzentren – unterstütze derzeit die Flüchtlinge in
München. So habe das Münchner
Gesundheitsamt eigens ein Medizinzentrum auf dem Gelände der
Bayernkaserne eingerichtet,
außerdem finanziere die Stadt
Unterstützungsangebote für Kinder
und Jugendliche und eine Sozialberatung mit einem verbesserten
Betreuungsschlüssel von 1:100
statt der üblichen 1:150. Es sei
nicht sicher, ob Fürstenfeldbruck
dieselbe Versorgung gewährleisten
könne.
Ein dickes Lob gab es dagegen
für das soziale Engagement der
Landeshauptstadt im Bereich der Flüchtlingspolitik. Die
Stadt finanziere
aus einer solidarischen
Grundhaltung her-
aus freiwillig viele Angebote, beispielsweise die Kinderbetreuung in
den Unterkünften oder die Fachstelle zur Koordination des Bürgerschaftlichen Engagements. „Das ist
eine Investition, die nachhaltig
wirkt“, sagte Andrea Betz.
So übernehme München auch
die zusätzlichen Kosten für einen
verbesserten Personalschlüssel in
der Asylsozialarbeit und ermögliche Sprachkurse für alle Flüchtlinge. Bei Vergaben im Bereich der
Betriebsführung sei nicht allein die
finanzielle Komponente ausschlaggebend, sondern es zählten
auch soziale Faktoren. Betz wörtlich: „Dieses Engagement ist herausragend und wir können dafür
im Namen der Flüchtlinge nur ein
dickes Dankeschön sagen.“
Die Innere Mission München
betreut derzeit etwa 7.500 Flüchtlinge, darunter 1.200 Kinder und
Jugendliche in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne
sowie in fünf Dependancen, sieben
Gemeinschaftsunterkünften und
acht kommunalen Unterkünften.
Derzeit sind etwa 650 Ehrenamtliche sowie rund 170 Hauptamtliche
in den Unterkünften tätig.
Isabel Hartmann
Wollen wir dieses Europa?
Karikatur: Yannis Antonopoulos
Kurz gemeldet
Innere Mission
München
Bei der Unterbringung, Versorgung und langfristigen Integration
von Geflüchteten in München besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf. Dies wurde bei der
Podiumsdiskussion des Jungen
Bündnisses für Geflüchtete Ende
April deutlich, zu der rund 200
junge Leute in den Veranstaltungssaal des CVJM gekommen waren.
„München hat mit einer unglaublichen Solidarität die Erstaufnahme
von Geflüchteten bewältigt. Nun
stellt sich umso dringender die
Frage nach der langfristigen Integration“, sagte Stephanie Dachsberger, Sprecherin des Jungen
Bündnis für Geflüchtete.
Lina Homa, Vorstand des HeimatenVereins, kritisierte den Zustand der
Gemeinschaftsunterkünfte: „Die
sind unhygienisch, eng und laut; sie
bieten auch keine Privatsphäre, Kinder und Jugendliche haben dort zu
wenig Schutz vor gewaltsamen und
sexuellen Übergriffen.“ Und Markus Schön, kommissarischer Leiter
des Stadtjugendamts, ergänzte:
„Gerade in Gemeinschaftsunterkünften sollte es institutionalisierte
Strukturen der Beteiligung und
Selbstorganisation geben.“
Stadtrat Marian Offman (CSU) betonte, wie wichtig es für die Ankommenden sei, einer sinnvollen
Tätigkeit nachzugehen. „Jeder, der
einen Beruf erlernen will, soll das
dürfen – unabhängig von Status
und Bleibeperspektive.“
Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission, fokussierte dagegen
auf die weltweite Komponente
von Flucht und Vertreibung: „Wer
‚Ja‘ zur Globalisierung sagt, der
muss auch ‚Ja‘ zur Migration sagen.“ Die Herausforderungen könne man durch „intelligente, strategische Planung und intensivierten
sozialen Wohnungsbau gut bewältigen“.
Geistlicher Impuls über Solidarität mit Flüchtlingen
Eindeutige Zeichen der Menschlichkeit setzen
Jeden Montagmorgen findet in
der Laurentiuskapelle im LöheHaus eine Andacht statt. Abteilungsleiterin Andrea Betz machte sich Gedanken über den Umgang mit Flüchtlingen.
„Wenn ich durch meine Nachrichten-Apps klicke und Berichte
lese über fremdenfeindliche Übergriffe, die Aussagen der AfD, wie
politisch Verantwortliche manchmal unverantwortlich über schutzsuchende Flüchtlinge sprechen und
über Patriotismus. Wenn ich auf
Twitter vom UNHCR und Human
Rights Watch lese, unter welchen
menschenunwürdigen Bedingungen die Flüchtlinge – und vor allem
die Kinder – in den türkischen
Flüchtlingscamps leben, und dass
Präsident Erdogan Mauern mit
automatischen Schießanlagen ausstatten will, dann verzage ich
manchmal und fühle mich einfach
nur noch ohnmächtig. Schreien
möchte ich dann ob solcher Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit.
Im vergangenen Jahr haben wir
in unserem Land eine Welle von
Empathie erlebt. Tausende Menschen haben sich solidarisch gezeigt mit den Menschen, die vor
Terror und Gewalt fliehen mussten.
Immer noch sind Tausende Menschen in der Flüchtlingshilfe aktiv
und setzen Zeichen der Mitmenschlichkeit.
Gleichzeitig sind aber auch viele
Menschen verunsichert. Bei manchen wachsen die Ängste, dass
500.000 oder eine Million Geflüchtete auf 82 Millionen Einwohner in
Deutschland zu viel und nicht zu
integrieren sind. Dass sie sogar eine Gefahr für die eigene Existenz
darstellen könnten.
Menschen, die wenig haben, befürchten, dass ihnen auch noch
von dem Wenigen etwas genommen wird. Andere haben viel und
wollen daran festhalten.
Genau in dieser Situation bekommen Rechtspopulisten Zulauf,
die gegen Fremde hetzen und Werte verunglimpfen, die unsere Ge-
sellschaft bislang so stark gemacht
haben. Selten in der jüngeren Zeit
war so viel Verunsicherung. Selten
ist deshalb Orientierung so wichtig. Auch für uns selbst.
Eine Bibelstelle aus dem Buch
des Propheten Jesaja, Kapitel 58,712, gibt Orientierung. Es ist ein Text
über humanitäre Hilfe und Solidarität: ,Brich dem Hungrigen dein
Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn
du einen nackt siehst, so kleide ihn.
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit
wird vor dir hergehen. (...) Wenn
du in deiner Mitte niemanden
unterjochst und nicht mit Fingern
zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst,
dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel
wird sein wie der Mittag. (...)‘
Diese Worte des Propheten machen Hoffnung: Hilf anderen und
Gott wird Dich immer sättigen und
stärken. Oder wie es Landesbischof
Heinrich Bedford-Strohm einmal
ausgedrückt hat: ,Der Versuch, allen Menschen eine gerechte Teilhabe an den gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Prozessen zu ermöglichen, ist zugleich zum effektivsten Programm zur Überwindung von Gewalt geworden.‘
Neue empirische Untersuchungen zeigen, dass das Zufriedenheitsniveau einer Gesellschaft
nicht von der absoluten Höhe des
materiellen Wohlstandes abhängt,
sondern von der Begrenzung der
Ungleichheit. Nur für die Ärmeren
bedeutet ein Zuwachs an materiellen Ressourcen auch eine Zunahme von Lebenszufriedenheit. Und
das Spannende ist: Auch das
reichste Drittel der Gesellschaft ist
zufriedener in Gesellschaften, in
denen der soziale Ausgleich besonders entwickelt ist. Warum begreifen wir nicht, wie gut uns Gerechtigkeit tut und wie gefährlich Ungerechtigkeit ist?
Was werden zukünftige Generationen über eine Zeit sagen, die
weltweit mehr Reichtum als je zuvor geschaffen hat? Und in der
trotzdem jeden Tag 24.000 Menschen sterben, weil ihnen Nahrung
oder Medikamente fehlen – viele
von ihnen Kinder.
Vor Gott interessiert nicht, was
wir beruflich erreicht haben, was
wir gesellschaftlich dargestellt haben. Und auch nicht, wie beliebt
und mächtig wir waren. Aber wie
wir mit den Geringsten unserer
Brüder und Schwestern umgegangen sind, das wird interessieren.
Ob wir sie überhaupt bemerkt haben, ob wir uns für sie interessiert
haben, ob wir sie in unseren Diskussionen um materielle Interessen vergessen haben oder ob sie
der leitende Gedanke all unserer
Überlegungen waren.
Jeder von uns ist gefragt, unsere
Gesellschaft zu prägen. Im Kleinen, im Alltag, heute, morgen. Es
gilt, Zeichen zu setzen. Zeichen der
Menschlichkeit.“
Nr. 74 · 2016
Seite 13
Krisendienst Psychiatrie startet im Landkreis München mit ersten Angeboten
Kunstwerke aus Knete
Nummer gegen Seelen-Kummer
Es war für die Kinder im Family House der Bayernkaserne ein besonderer
Tag: Die „Sir Peter Ustinov Stiftung“ spendete 300 Kreativpakete, die der
Schauspieler Götz Otto überreichte. Kaum verteilt, packten die Kleinen eilig
Blei- und Buntstifte, farbige Knete, Malbücher und Aufkleber aus. Gemeinsam mit dem Gast begannen die Kinder sofort zu malen und zu basteln.
Innerhalb kürzester Zeit entstanden die ersten Kunstwerke. Von afrikanischen Figuren aus violetter Knete bis zur Bleistiftzeichnung mit 3D-Effekt
war alles dabei; vieles zeugte von großem Talent. Die Zeit mit Götz Otto
verging wie im Fluge und die strahlenden Kinderaugen zeigten, wie viel
Freude diese Überraschung bereitet hat.
Text / Foto: Markus Zechmann
0180 / 655 3000 – täglich von 9 bis
24 Uhr: Der Landkreis München
hat seit Anfang Juni einen psychiatrischen Krisendienst mit einheitlicher Notrufnummer. Vorbild ist
der seit 2007 bestehende Krisendienst Psychiatrie München, der in
die neue Organisation integriert
wird. Auch die sozialpsychiatrischen Dienste der Inneren Mission
sind bei dem Verbund mit dabei.
Der Krisendienst Psychiatrie
wird nun schrittweise ausgebaut:
Seit Juni ist der Landkreis München am Netz. Im Herbst 2016 folgen die Landkreise um München
sowie Südost-Oberbayern; Ende
2017 ist dann ganz Oberbayern
dabei. Das Projekt ist laut Bezirkstagspräsident Josef Mederer ein
„Meilenstein für die Versorgung
psychiatrischer Notfälle“. Es wird
zunächst für fünf Jahre in der Praxis erprobt.
Ein Herzensanliegen
Eine Masterarbeit untersucht die Motive Ehrenamtlicher am Lighthouse Welcome Center
Ehrliches Engagement
oder bloßer Aktivismus?
Es ist noch keine zwei Jahre alt –
und doch gilt das Lighthouse
Welcome Center, das die Innere
Mission, der Verein Lichterkette
und Invild Goetz Philanthropy gemeinsam betreiben, als weit über
München hinausweisendes Leuchtturmprojekt. Steht das kleine Holzhaus unmittelbar vor dem Eingang
zur Bayernkaserne doch für die
herzliche Willkommenskultur, mit
der Flüchtlinge hier empfangen
werden. Mehr als 130 Ehrenamtliche arbeiten bei dem Projekt mit.
Julia Meindl, Studentin der Kulturwissenschaften an der Münchner
Ludwig-Maximilians-Universität,
hat nun in ihrer Masterarbeit mit
dem Titel „Willkommen in der Bayernkaserne! – Ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge aus Sicht der
Engagierten“ die Erwartungen und
Motive der Helfenden sowie deren
Einstellungen gegenüber den Geflüchteten und den Umgang mit ihnen untersucht. Für ihre Arbeit mit
rund 300 Seiten, die sie am Institut
für Interkulturelle Kommunikation
bei Professor Alois Moosmüller einreichte, bekam die 28-Jährige übrigens eine glatte Eins.
Tropfen auf den heißen Stein?
Nach der ausgiebigen Klärung
der Forschungsfelder Ehrenamtliches Engagement und Flucht /
Asyl sowie der methodischen Vorgehensweise bilden sechs teilweise
mehrstündige Interviews den
Hauptteil der Arbeit.
Die Ergebnisse fallen natürlich
je nach Interviewpartner unterschiedlich aus. Während sich die
einen schon mal selbstkritisch fragen, ob sie „eher Kaffeekocher sind
oder Informant, eher Animateur
als Berater“, fühlt sich eine 41-jährige Kommunikationsdesignerin
im Lighthouse „genau am richtigen Platz“. Auch wenn die Tätigkeit hin und wieder als „Tropfen
auf den heißen Stein“ empfunden
werde, mache sie dennoch Hoffnung: Anders als die Behördenvertreter, die für Einzelne oft kaum
Zeit haben, könnten die Ehrenamtlichen den Flüchtlingen zuhören, ihnen dadurch Selbstbewusstsein geben und so wenigstens für
einen Moment dazu beitragen, sie
vom Leben in der tristen Unterkunft abzulenken.
Häufiges Antriebsmoment der
Helfenden ist es, bewusst anders zu
gestalten, was staatliche Behörden
und Politiker vermissen lassen. Einige wollen einen konkreten kleinen Beitrag leisten, um die Welt zu
verbessern; die meisten erleben
durch ihre Tätigkeit, dass sich ihr
Horizont deutlich erweitert.
Dennoch gelangen die Ehrenamtlichen bei der Arbeit immer
wieder an Grenzen ihrer Toleranz
oder erleben interkulturelle Differenzen, weshalb Julia Meindl ein
vorsichtig kritisches Fazit zieht: So
notwendig und sinnvoll die Einbeziehung Ehrenamtlicher in die
Flüchtlingsarbeit auch ist, so wichtig sei es, „eine Ehrenamtskultur
sowie ein Freiwilligenmanagement
zu schaffen und interkulturelle Bildungsangebote zu konzipieren, damit der Einsatz dieses wachsenden
sozialen Kapitals weiter optimiert
werden kann“.
Andrea Betz, die als Abteilungsleiterin den gesamten Flüchtlingsbereich bei der Inneren Mission
verantwortet, ist dankbar für die
Anregungen einer Beobachterin
aus einem anderen Blickwinkel.
Im Bereich der interkulturellen
Schulungen konnte in der Zeit
nach der Befragung (März 2015)
schon vieles umgesetzt werden.
Die vielfältigen Angebote und
Projekte werden seit Beginn des
Jahres auch von der Fachstelle Volunteering / Ehrenamt qualifiziert
begleitet und organisiert.
Klaus Honigschnabel
Die Kosten liegen im Endausbau bei circa 7,4 Millionen Euro
pro Jahr, der Personalbedarf nach
ersten Berechnungen bei bis zu 88
Stellen. Dieses Stellenkontingent
verteilt sich auf rund 600 Mitarbeitende, da die Abend- und Wochenenddienste von Mini-Jobbern übernommen werden. Ausgelegt ist das
Angebot auf rund 20.000 Anrufe
im Jahr.
Der Aufbau des Projektes ist für
den Bezirk eine gewaltige Kraftanstrengung. „Aber wir schultern
das, weil der Krisendienst für uns
ein Herzensanliegen ist“, sagte Bezirkstagspräsident Mederer. Endlich können Menschen in akuten
seelischen Krisen einen gezielten
Hilferuf an einer dafür ausgewiesenen Fachstelle absetzen. Die neue
Spezial-Leitstelle für psychiatrische
Krisen unterstützt sie fachkompe-
tent, das jeweils am besten geeignete Hilfeangebot zu finden – noch
dazu möglichst nah am jeweiligen
Wohnort. Mederer: „Dadurch wird
künftig hoffentlich auch eine ganze Reihe der bisher in solchen Situationen üblichen Polizeieinsätze
überflüssig.“
Problemberge zügig angehen
Die Innere Mission ist mit dem
Sozialpsychiatrischen Dienst
(SpDi) in Bogenhausen dabei; von
Anfang Oktober an ist auch der
SpDi Ebersberg eingebunden. Darüber hinaus ist der Geschäftsbereich Herzogsägmühle mit drei Beratungseinrichtungen vertreten.
Michael Frieß, bei der Inneren
Mission für den Bereich der Sozialpsychiatrie zuständig, kennt die
Problematik aus eigener Erfahrung
als Rettungsassistent: „Sobald die
ganze Maschinerie anläuft mit
Sanka, Polizei und Blaulicht, hat
man keine Möglichkeit mehr, das
abzubremsen.“ Diese Chance sei
nun gegeben: Fachleute könnten
die Klienten in aller Ruhe davon
überzeugen, sich freiwillig in eine
Behandlung zu begeben und so
Aufsehen vermeiden.
Frieß ist auch an einem anderen Punkt des Krisendienstes involviert. Er hat federführend an einem einheitlichen Bezahlmodell
mitgearbeitet: „Die Herausforderung war, dass alle Mitarbeitende
an dem Projekt dasselbe verdienen
sollen – obwohl die Träger alle
unterschiedliche Tarife haben.“
Gemeinsam mit der Caritas sei es
gelungen, dieses Problem zu lösen.
Zum Start im Landkreis München wurde auch die neue Homepage unter www.krisendienst-psychiatrie.de freigeschaltet. Dort ist
auch ein Video sowie ein Interview
mit dem Extremkletterer Alexander
Huber (einer der „Huaba-Buam“)
eingestellt; er ist ehrenamtlicher
Fürsprecher des Krisendienstes.
Huber hat in seinem Leben selbst
einmal eine seelische Krise überwunden; jetzt ermutigt er Menschen
in psychischer Not, sich rasch Hilfe
zu holen. Huber: „Wenn man einen
Berg besteigen will, bringt es nichts,
immer nur um den Berg herumzulaufen. Irgendwann muss man den
Berg angehen. Gleiches gilt auch
für Krisen im Leben. Wenn man
merkt, dass es einem nicht gut geht,
sollte man selbst aktiv werden.“
Die Anrufe gehen wie bisher bei
der Leitstelle in München ein. Diese ist ärztlich geführt, fachlich
kompetent besetzt und übernimmt
die Erstberatung mit der Koordinierung geeigneter Hilfen vor Ort. In
den jeweiligen Versorgungsregionen liegt die Krisenintervention in
den Händen von dezentral verorteten Fachstellen (unter anderem Sozialpsychiatrische Dienste und Psychiatrische Institutsambulanzen).
Je nach Bedarf erfolgt die Krisenhilfe über kurzfristige ambulante Beratungstermine, Kriseneinsätze vor Ort oder stationäre
Klinikeinweisungen. Netzwerkpartner für die Vor-Ort-Einsätze sind
die Träger der Freien Wohlfahrtspflege. Aus Sicht des Sprechers der
Netzwerkpartner für die Region
München, Horst Reiter, ist der Krisendienst ein „deutschlandweit
einmaliges Verbundprojekt“.
Aufsuchende Krisenhilfe
Ein besonderer Schwerpunkt
liegt in der aufsuchenden Krisenhilfe, die auch präventiv erfolgen
kann, um die Zuspitzung einer Krise abzuwenden. Der Münchner Krisendienst hatte 2015 rund 13.000
Telefonkontakte; bei etwa sieben
Prozent waren Vor-Ort-Einsätze erforderlich. Die Leitstelle übernimmt hierbei nach den Worten
des ärztlichen Leiters Michael Welschehold die zentrale Lotsenfunktion. „Wir hören zu, deeskalieren,
beraten und vermitteln. Die Betroffenen wissen in ihrer Not am wenigsten, wo es passende Hilfe gibt.“
Das bestätigen auch Vertreter
der Betroffenen-Verbände sowie
der Angehörigen, die seit Jahrzehnten den Aufbau einer psychiatrischen Krisenversorgung gefordert hatten. „Unsere Erfahrungen
mit dem Münchner Krisendienst
sind sehr positiv. Wir sind daher
froh, dass bald Patienten in ganz
Oberbayern auf dieses Angebot
bauen können“, sagte Gottfried
Wörishofer, Geschäftsführer der
Münchner Psychiatrie-Erfahrenen.
Und Eva Straub, stellvertretende
Landesvorsitzende der Angehörigen psychisch Kranker, erklärte bei
der Vorstellung des Dienstes vor
der Presse: „Es wird eine menschenwürdige, flächendeckende,
ambulante Krisenversorgung geben, die die Tür aufmacht für psychiatrische Behandlungen.“ Statt
eines kompetenten Helferteams sei
bisher oft der Krankenwagen mit
Polizeieskorte gekommen: „Vertrauen zerbrach, der Glaube an eine hilfreiche Psychiatrie ging verloren. Das wird es so nicht mehr
geben.“
Constanze Mauermayer
Seite 14
Nr. 74 · 2016
Ein Ort zum Leben: Die „Lebensplätze“ in Milbertshofen-Am Hart feiern fünfjähriges Jubiläum
Wohnen ist ein
Menschenrecht
In Karla 51 finden obdachlose Frauen eine Unterkunft – und Fachpersonal, das ihnen zuhört und versucht, gemeinsam
die Probleme zu lösen.
Fotos: Erol Gurian
Erste Anlaufstelle für Frauen in Not: Das Frauenobdach Karla 51 wird 20 Jahre alt
Eine sichere Bleibe auf Zeit
Seit 20 Jahren gibt es das Frauenobdach Karla 51. Hervorgegangen ist „die Karla“ aus der Frauenteestube in der Dreimühlenstraße, wo sich seit 1989 wohnungslose Frauen tagsüber treffen, Wäsche
waschen und Hilfe erhalten konnten. Doch irgendwann war klar,
dass die Frauen auch nach 22 Uhr,
der Schließzeit des Cafés, einen eigenen Anlaufpunkt brauchten. In
den gemischten Notunterkünften
für Obdachlose waren sie häufig
Übergriffen von männlichen Bewohnern ausgesetzt. „Es dauerte
eine Weile, bis der Bedarf für eine
Einrichtung speziell für obdachlose
Frauen akzeptiert wurde“, sagt Isabel Schmidhuber, die Leiterin des
Frauenobdachs. 1995 wurde das
Haus in der Karlstraße 51 angemietet; vorher war hier ein Wohnheim für Auszubildende der Post.
1996 eröffnete dort das Frauenobdach unter der Leitung von Carol
Wandt, die vorher die Frauenteestube geführt hatte. Sie leitete die
Einrichtung bis 2003 und bekam
für ihren Einsatz 2005 das Bundesverdienstkreuz.
40 Einzelzimmer mit eigenem
Bad und Gemeinschaftsküche bieten seitdem ein erstes Obdach für
Frauen, die auf der Straße gelandet sind – aus ganz verschiedenen
Gründen. „Die Geschichten der
Frauen sind unendlich vielfältig“,
erzählt Schmidhuber. Viele waren
gezwungen, sich von ihren Männern zu trennen, und müssen Hals
über Kopf eine neue Bleibe finden,
weil sie nicht mit im Mietvertrag
stehen. Bei anderen ist der Ehemann und Versorger plötzlich verstorben und die Frauen hatten
nicht für eine eigene Absicherung
gesorgt. Andere sind als Au-PairMädchen nach München gekommen, schwanger geworden und
können nicht in ihr Heimatland
zurück. Wieder andere konnten ihre Miete nicht mehr bezahlen und
sind aus der Wohnung geklagt
worden.
Raus aus der Abwärtsspirale
Waren vor 25 Jahren noch zehn
Prozent der Obdachlosen in Oberbayern Frauen, sind es heute 30
Prozent, weiß Isabel Schmidhuber.
Vor allem alleinerziehende Mütter
seien von Armut bedroht: „Es ist
ein Teufelskreis. Es gibt immer
noch zu wenige Krippenplätze –
doch ohne Betreuung für das Kind
können die Frauen keine Arbeit
annehmen.“ Außerdem seien alleinerziehende Frauen bei Vermietern oft nicht besonders beliebt.
Auch die Einführung von Hartz
IV hat dafür gesorgt, dass sich die
Abwärtsspirale im Leben vieler
Menschen deutlich schneller dreht.
Wer seinen Job verliert und Hartz
IV bekommt, muss oft nach einiger Zeit aus der alten Wohnung
ausziehen, weil sie zu teuer ist und
das Jobcenter die Miete deshalb
nicht komplett übernimmt.
Frauen, die bei Karla 51 Unterschlupf finden, sind zwischen 18
und 90 Jahre alt und kommen aus
der ganzen Welt, berichtet die Sozialpädagogin. Etwas mehr als die
Hälfte der Frauen hat einen Migrationshintergrund. Aufgenommen
werden zunächst alle Frauen, ohne
Bedingungen, 24 Stunden am Tag.
„Wir wollen explizit ein niedrigschwelliges Angebot sein“, sagt
Schmidhuber.
Langfristige Perspektiven finden
Nach der Aufnahme gibt es
dann ein sogenanntes „Basis-Clearing“. Dabei werden die wichtigsten Dinge geklärt: Hat die Frau eine Krankenversicherung? Hat sie
ein Recht auf Unterstützung, zum
Beispiel Hartz IV oder Unterhalt?
Ist sie psychisch erkrankt oder
suchtkrank? Wird sie von ihrem
gewalttätigen Mann gesucht und
muss deshalb in einem Frauenhaus in Sicherheit gebracht werden? Jede Frau wird einer Mitarbeiterin im Haus zugeordnet, die sich
speziell um sie kümmert und versucht, mit ihr eine langfristige
Wohnperspektive zu entwickeln.
Etwa die Hälfte der Frauen, die
in Karla 51 unterkommen, hat eine Arbeit, sagt Schmidhuber. Doch
selbst mit dem Mindestlohn können sich viele keine eigene Wohnung leisten. Von der Stadt ins
Umland zu ziehen, ist jedoch oft
auch nicht möglich, weil viele im
Schichtdienst arbeiten und nachts
dann nicht mehr nach Hause
kommen.
In den ersten zehn Jahren hätten die 40 Zimmer einigermaßen
ausgereicht, berichtet Schmidhuber. Wenn alle belegt sind, gibt es
noch den Frauenschutzraum mit
vier Betten, der mittlerweile in der
Einrichtung der Lebensplätze in
Milbertshofen-Am Hart angesiedelt ist (siehe Bericht rechts). Ist
auch der belegt, können die Bahnhofsmission oder im Winter auch
das Kälteschutzprogramm als Ausweichquartiere genutzt werden.
Der Kälteschutz läuft jedoch nur
vom 1. November bis zum 31.
März – im April stiegen deshalb
die Anfragen in der Karla auch
wieder deutlich an, sagt Schmidhuber. Für die Zukunft wünscht sie
sich deshalb dringend ein zusätzliches Quartier zum Haupthaus in
der Karlstraße 51.
Breite Angebotspalette
Neben der persönlichen Beratung durch die acht hauseigenen
Sozialarbeiterinnen gibt es noch
viele weitere Angebote in Karla 51,
die auch Frauen von außerhalb
nutzen können: Das Frauencafé,
das fünfmal pro Woche geöffnet
hat, bietet neben Frühstück oder
warmem Mittagessen auch eine
Kleiderausgabe, Wäsche waschen
oder Duschen an. Einmal im Monat kommt eine Friseurin ins Haus
sowie eine medizinische Fußpflegerin. Dienstags bietet eine Ärztin,
donnerstags eine Psychiaterin
Sprechstunden an. Außerdem
stellt die Münchner Tafel immer
wieder Lebensmittel zur Verfügung. „Das Café ist ein ganz wichtiger Baustein unserer Arbeit“, betont Schmidhuber. Viele Besucherinnen haben früher im Frauenobdach gewohnt. Ihnen bietet das
Café nicht nur einen warmen
Raum und ein günstiges Essen,
sondern auch eine Tagesstruktur,
ist Anlaufstelle mit sozialpädagogischer Beratung oder einfach
Treffpunkt mit Freundinnen.
Wenn man das Zimmer von Jutta
Erlenbach* betritt, würde man
zuerst nicht auf die Idee kommen,
dass hier jemand ein Zuhause gefunden hat. Die Jogginghose auf
dem Bett ist der einzige persönliche Gegenstand, der zu sehen ist –
bis auf das Bett, einen Schrank, einen grünen Sessel und einen kleinen Fernseher auf einem Tischchen ist das Zimmer leer, die Wände sind kahl. Auch die kleine Küchenecke sieht unbenutzt aus. Und
doch wohnt die 65-Jährige schon
seit mehr als vier Jahren im Lieberweg 22 in Milbertshofen-Am Hart
und sagt: „Ich bin froh, dass ich
hier bin.“
Zahlreiche Ansprechpartner
Seit Dezember 2011 bieten die
„Lebensplätze für Frauen“ genau
das: einen Platz zum Leben für 25
ältere ehemals wohnungslose
Frauen. Diese Frauen fielen vorher
gewissermaßen durch das Raster
aller Betreuungseinrichtungen, erklärt Leiterin Verena Graf. Das Hilfesystem für jüngere obdachlose
Frauen ist in München sehr gut
ausgebaut, weiß sie. „Aber da geht
es vor allem um die Wiedereingliederung in den Arbeits- und Wohnungsmarkt – und die Unterbringungsplätze sind alle befristet.“
Gerade ältere Frauen, die schon
lange obdachlos sind, haben jedoch so viel Schlimmes erlebt und
leiden meist unter psychischen
und körperlichen Erkrankungen,
sodass eine Wiedereingliederung
in den Arbeitsmarkt oder den normalen Wohnungsmarkt kaum
möglich ist. Andererseits gestehen
viele dieser Frauen sich nicht ein,
dass sie Hilfe brauchen, und wollen sich auch nicht beraten lassen.
Und genau hier liegt das Problem. „Der Wohnraum ist normalerweise gekoppelt an eine Mitwirkungspflicht der Frauen“, erläutert
Graf. Eine obdachlose Frau bekommt also nur einen Unterbringungsplatz, wenn sie bereit ist,
daran mitzuwirken, ihre Lage zu
verbessern. Tut sie das nicht oder
verstößt sie mehrfach gegen bestimmte Regeln, ist irgendwann
auch der Wohnraum wieder weg.
„Das Besondere am Konzept der
Lebensplätze ist deshalb, das Wohnen von der Beratung zu trennen.
Wir sehen Wohnen als Menschenrecht an – und erst danach schauen wir, wie wir die Frauen motivieren können, unsere Beratungsangebote anzunehmen.“
80 Bewerbungen gab es vor
dem Start im Dezember 2011, eine
Kommission aus Mitarbeitenden
verschiedener Einrichtungen wählte 25 Frauen aus. Jede hat ein EinZimmer-Appartement mit eigener
Küche und eigenem Bad – und einen regulären Mietvertrag auf ihren Namen. In der Regel wird die
Miete vom Sozialbürgerhaus bezahlt, da viele Frauen Grundsicherung beziehen, andere haben eine
kleine Rente.
Auch Jutta Erlenbach war bei
diesen ersten 25 Frauen dabei –
zwei Tage vor Heiligabend 2011
zog sie ein: „Wie ich die Bude hier
gesehen habe, war ich schon
froh“, sagt sie. Vorher hatte sie in
verschiedenen Münchner Notunterkünften und Pensionen gelebt. Von ihrem Mann hat sie sich
scheiden lassen, nachdem er sie
jahrelang aufs Übelste misshandelt hatte. Es folgten viele andere
Männer, „doch das ging immer
schief“. Fünfmal war sie im Gefängnis. Nun kommt ihr kein
Mann mehr ins Haus. Aber mit
den anderen Frauen im Lieberweg
versteht sie sich gut. „Man kann
hier reden und hat Spaß. Und mit
den Mitarbeiterinnen komme ich
auch gut klar.“
Sieben Leute arbeiten hauptamtlich bei den Lebensplätzen –
manche in Teilzeit: Neben Leiterin
Graf noch zwei Sozialpädagoginnen, eine Krankenschwester zur
Gesundheitsfürsorge, eine Verwaltungsangestellte, eine Hauswirtschafterin und ein Hausmeister.
„Jeder kann und soll Ansprechpartner sein“, erklärt Graf. Das
Wichtigste ist, Vertrauen aufzubauen. Das ist offenbar gelungen:
Treffpunkt für Ehemalige
An diesem Dienstag sitzen hier
zum Beispiel Margot, 63, und Olivia, 59, die sich während ihres gemeinsamen Aufenthaltes in Karla
51 kennengelernt haben. Beide
haben mittlerweile eine Wohnung
und zumindest eine Teilzeitarbeit
gefunden – trotzdem kommen sie
so oft es geht wieder hierher. „Man
trifft so viele nette Leute und bekommt ein günstiges Essen“, sagt
Margot. „Ich wohne jetzt alleine“,
erzählt Olivia. „Hierher komme
ich, damit ich einfach mal reden
kann.“
Imke Plesch
Wurzeln schlagen – nach Irrwegen durchs Leben und durchs Hilfesystem: Die
Lebensplätze sind für viele Frauen eine große Chance.
Foto: Lebensplätze
Nr. 74 · 2016
Von den 25 Frauen, die anfangs
einzogen, sind 21 bis heute geblieben. Mit dem wachsenden Vertrauen können die Frauen auch immer
mehr Hilfe zulassen und wenden
sich beispielsweise freiwillig an einen Arzt. Jede Unterstützung, die
eine Frau annimmt, ist für Graf
ein Erfolgserlebnis.
Neben der persönlichen Beratung gibt es auch täglich Gemeinschaftsangebote im Haus: Sei es
das wöchentliche gemeinsame Kochen und Essen, das Kreativatelier
oder die Schreibwerkstatt. Auch
diese Angebote sind freiwillig – erlauben den Frauen aber, miteinander in Kontakt zu kommen und
sich auszutauschen.
Seite 15
Persönlich
Seit Anfang dieses Jahres ist Iris
Krohn Betriebsleiterin von diakonia secondhand. Das Büro der 44Jährigen befindet sich im Stammhaus an der Dachauer Straße; von
dort aus setzt sich die Sozialpädagogin ein für Menschen, die durch
eine regelmäßige Tätigkeit auf
neue Weise Anerkennung und eine konstruktive Beschäftigung erleben, wodurch ihr Alltag selbstbestimmter und bewusster wird.
„Unterschiedlichste Menschen
stehen bei uns in realen Beschäftigungsverhältnissen, die zwar
meist befristet sind, aber trotzdem
Wohnen auf Dauer
Nachdem das Ziel der ersten
Jahre vor allem war, eine stabile
Hausgemeinschaft aufzubauen,
wünscht sich Graf für die Zukunft
mehr Integration in den Stadtteil
sowie Kontakte zu anderen sozialen Einrichtungen vor Ort und den
Nachbarn. Dies müsse aber behutsam geschehen, weil viele Frauen
jahrelang Ablehnung erfahren
und Schwierigkeiten im Umgang
mit anderen hätten.
Ausgelegt sind die Wohnungen
in den Lebensplätzen auf Dauer.
„Die Frauen sollen hier zur Ruhe
kommen, bleiben und alt werden
dürfen“, erklärt Graf. In Zukunft
werden deshalb sicher die Themen
Gesundheit und Pflege immer
wichtiger. Barrierefrei ist das Haus
bereits: Es wurde von den Architekten der GWG München in Absprache mit dem Evangelischen Hilfswerk auf die Bedürfnisse der Lebensplätze hin geplant und gebaut.
Imke Plesch
*Name von der Redaktion geändert
Kurz gemeldet
Evangelisches Hilfswerk
München
Seit Anfang April 2016 betreut das
Evangelische Hilfswerk München
im Nordwesten der Stadt einen
zweiten Beherbergungsbetrieb für
Familien, die bereits obdachlos
oder von Obdachlosigkeit bedroht
sind: In dem vierstöckigen Haus in
der Dachauer Straße 334 stehen
insgesamt 152 Plätze in 30 Apartments zur Verfügung.
Wichtigste Ziele von „Dachauer
334“ sind es, so dessen pädagogische Leiterin Renata Zadro-Galic,
„die akute Wohnungslosigkeit der
Familien zu überwinden, abzuklären, inwieweit sie mietfähig sind
und sie nach Möglichkeit in eine
eigene Wohnung oder eine andere
geeignete Wohnform weiterzuvermitteln“. Da in dem Beherbergungsbetrieb im Stadtteil Moosach auch Flüchtlinge mit Bleibeperspektive aufgenommen werden, gelte es zudem, die kulturellen Hintergründe der jeweiligen
Personen zu berücksichtigen.
Die Landeshauptstadt München
hat für die Finanzierung in den
kommenden drei Jahren rund anderthalb Millionen Euro bewilligt;
insgesamt besteht das Team in
dem Haus aus drei Sozialpädagoginnen und drei Mitarbeiterinnen
für die Kinderbetreuung sowie einer Verwaltungskraft.
in begleiteter Form die beruflichen
Anforderungen eines normalen
Jobs stellen.“ Für viele ist das ein
Einstieg, der Perspektiven bietet
und so nur selten geboten wird.
Fast 200 Mitarbeitende hat diakonia secondhand derzeit – alle
in unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen. Dazu kommen noch zahlreiche Ehrenamtliche, deren Unterstützung für den
gesamten Textilbereich „lebensnotwendig ist“, wie Iris Krohn
sagt.
Freiwillige für die Sortierung
oder die Ausgabe in den beiden
Kleiderkammern kann sie deshalb
immer brauchen. Denn deren Koordination gehört ebenfalls zu
den Aufgaben der gebürtigen
Münchnerin, die sie wie so viele
andere gerne übernommen hat.
Nach den ersten sechs Monaten im neuen Job sagt sie rückblickend: „Es gibt nichts, was mir an
der diakonia nicht gefällt.“
Kaufmännische und organisatorische Grundlagen eignete sie sich
früh an, da sie das Geld für ihr
Studium an der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München
in der Gastronomie verdiente.
Später war Krohn dann sozialpädagogische Küchenleitung im
Netzwerk Geburt und Familie und
startete in dieser Funktion auch
2001 beim Treffpunkt Familie
International. Nach 15 Jahren in
dieser Einrichtung stand nun eine
neue Aufgabe an.
Das Spannendste bei diakonia
secondhand ist für Iris Krohn der
ständige Wandel: Arbeitnehmer,
die vielfältigen Herausforderungen gerecht werden sollen, eine
Unternehmensstruktur, die laufend an interne und externe Bedürfnisse angepasst werden muss
– und natürlich die wechselnden
Artikel im Gebrauchtwarenhaus,
für dessen Betrieb sie auch zuständig ist. „Mein Job darf nicht
nur ein Job sein, sondern muss
auch einen gesellschaftlich wertvollen Selbstzweck haben“,
betont sie.
Monika Baur übernahm Anfang
Januar die Leitung des WeM –
Wohnen für Menschen mit Epilepsie und/oder Schädel-Hirn-Verletzungen. Dazu gehört einerseits
die Wohngemeinschaft für acht
Betroffene in der Segenstraße, andererseits bietet das WeM auch
ambulante Unterstützung zu
Hause an und betreut knapp 60
Klienten. Neben der pädagogischfachlichen Ausrichtung ist die 47Jährige für das Team von 20 Mitarbeitenden, die Gremien- und
Netzwerkarbeit sowie die Finanzen zuständig. Derzeit ist Baur
noch in der Einarbeitungsphase.
Doch parallel dazu beginnen
bereits neue Aktionen, „was mir
große Freude macht“. So startete
bereits Anfang Mai die „Kinderneurologiehilfe“ mit Elternberatung und für den November plant
sie den Start einer „Inklusiven
WG“.
Bereits im März 2015 hatte das
WeM zusammen mit der „Koordinationsstelle psychosoziale Nachsorge für Familien mit an Krebs
erkrankten Kindern“ (Kona) ein
Wohnprojekt für Jugendliche eröffnet; Monika Baur führt das Begonnene jetzt fort. Ein gemeinsames Ziel verbindet alle Projekte:
„Wir wollen unseren Klienten die
Hand reichen zu einem möglichst
selbstständigen und eigenverantwortlichen Leben“, sagt die gebürtige Stuttgarterin. Dazu gehört die
Berufsfindung, die Freizeitgestaltung und das Knüpfen sozialer
Kontakte, Erledigungen im Haushalt und Kontakt mit Behörden.
Nach ihrer Ausbildung zur
Physiotherapeutin in Mainz verbrachte sie einige Monate auf der
Insel Föhr, aber der Wunsch nach
Nähe zur Familie und die Liebe zu
den Bergen führte sie wieder in
den Süden. In München übte Monika Baur ihren Beruf in einem
Akutkrankenhaus und bei der
Pfennigparade aus, spezialisierte
sich auf Kinder und Erwachsene
mit neurologischen Erkrankungen
und Schädel-Hirn-Verletzungen.
Vor zehn Jahren entschloss sie
sich zum Studium der Sozialwirtschaft am bfz in München und
baute danach das Therapieplanungssystem und -controlling in
der Schön Klinik auf. Doch das
war eine Tätigkeit, „die mir langfristig zu zahlenlastig war“, sagt
sie rückblickend. Die Klienten, deren Leben und Denken ihr so vertraut sind, fehlten. In ihrer neuen
Tätigkeit kann sie all ihre Kompetenzen verbinden.
Den Arbeitsbereich „Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe, Frauen
und Familie“ beim Evangelischen
Hilfswerk München leitet seit Jahresbeginn die gebürtige Südtirole-
rin Alexandra Reinalter. Die 38Jährige studierte Psychologie und
Psychotherapie in Padua und
Mailand. Nach Abschluss ihres
Studiums entwickelte sie für einen
Verein in Bozen Einrichtungen,
die sich um Frauen in Not kümmerten.
Doch dann tauchte der
Wunsch auf, wieder in ihrem eigentlichen Beruf als Psychologin
zu arbeiten. Obwohl ihr Familie
und Freundeskreis in Bruneck sehr
wichtig waren, zog sie 2008 nach
München. Ihr erster Arbeitgeber
war die Erzdiözese München-Freising, wo sie als Psychologin arbeitete. Später wechselte sie zum
Evangelischen Beratungszentrum,
wo sie eine Beratungsstelle von
2012 an auch leitete. Berufsbegleitend schloss Reinalter Anfang
2015 den Master of Business Administration an der FOM Hochschule ab.
Verantwortlich ist sie jetzt beim
Evangelischen Hilfswerk für drei
Einrichtungen für Familien – das
Charlotte-von-Kirschbaum-Haus
LOLLO, das Haus in der Dachauer Straße 334 und die Beratungsstelle FamAra (Migrationsberatung wohnungsloser Familien) –
sowie für den kompletten Frauenbereich: die Lebensplätze für Frauen, das Frauenobdach KARLA 51
und den Evangelischen Beratungsdienst für Frauen (Stationäres Wohnen, Unterstütztes Wohnen, Beratungsstelle und Straffälligenhilfe).
Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit
den Mitarbeiterinnen in den Einrichtungen „zeitgemäße Antworten für die Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten zu
finden und eine Begleitung zu bieten, die Ressourcen aktiviert und
zu eigenständigem Leben führt“.
Dazu nützt Reinalter ihre Gestaltungsfreiheit und setzt auf ihr
Team von 140 (mehrheitlich) Kolleginnen und (wenigen) Kollegen:
„Mir ist es wichtig, dass wir an einem gemeinsamen Strang ziehen
und die Interessen von Frauen und
Familien immer besser vertreten.“
Um weiterzukommen, müssen
Menschen manchmal die Perspektive wechseln. Sich neue Horizonte erschließen. Für Sandra
Ebert, die den Treffpunkt Familie
International (Treffam) an der Tübinger Straße seit Januar 2016 leitet, stand genau das immer im
Vordergrund – in zweierlei Hinsicht. Zum einen prägte es ihre eigene Entwicklung. Zum anderen
zielte auch ihr berufliches Engagement von Anfang an darauf
ab, anderen dabei zu helfen, neue
Blickwinkel zu entdecken und so
das Leben besser zu meistern.
Sandra Ebert, gebürtig in
Schwäbisch Hall, hat es immer als
Bereicherung empfunden, Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern kennenzulernen. Also erfüllte sie sich nach
dem Abitur 2003 einen Traum:
Zusammen mit einer Freundin
ging sie nach Australien und
Neuseeland, legt Zwischenstopps
in Thailand und Indonesien ein.
Menschen aus der ganzen Welt
lernt die 32-Jährige auch heute
täglich kennen, denn genau für
diese ist das Treffam eine Anlaufstelle: Familien und Alleinerziehende aller Nationalitäten finden
dort ein breites Angebot an Unterstützung; es gibt Seminare und
Beratung, Hilfe bei unterschiedlichsten Problemen, Integrationsund Deutschkurse, Kindertagesbetreuung und Aktionen. Zentraler
Bestandteil ist das Eltern-Kind-Café, ein offener Begegnungsort für
Familien zum Treffen, Kennenlernen, Informieren und Erholen.
Für Sandra Ebert ein Traumjob,
in den sie ihre ganze berufliche
Erfahrung einfließen lassen kann.
„Ich wollte etwas Sinnvolles machen, mit Menschen arbeiten“, erzählt sie. 2004 begann sie, an der
Hochschule in Esslingen Soziale
Arbeit zu studieren; ihr Praxissemester absolvierte sie bei der Diakonie in Schwäbisch Hall. „Während des Praktikums merkte ich,
dass ich genau das beruflich machen möchte. International im
Familienbereich arbeiten.“
Nach dem Studium stieg sie sofort
ins Berufsleben ein. „Ich bin zunächst zweigleisig gefahren, mit
Teilzeitjobs in der Sozialpädagogischen Familienhilfe bei der Diakonie in Schwäbisch Hall und der
Arbeiterwohlfahrt in Aalen“, erzählt sie. Dort bekam sie schließlich eine Vollzeitstelle. Berufsbegleitend studierte sie an der Päda-
gogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd Bildungswissenschaft und machte ihren Master.
Sie bildete sich parallel weiter, in
systemischer Beratung, Erlebnispädagogik, in systemischer Supervision und Coaching.
2013 wechselte Sandra Ebert
an die Hochschule in Schwäbisch
Gmünd und arbeitete als Dozentin. Dann entschied sie, wieder an
die Basis zu gehen. „Die Nähe zur
Praxis fehlte mir.“
Als Leiterin des Treffam ist Sandra Ebert sich selbst treu geblieben: „Mir ist es wichtig, präsent
zu sein und Kontakt zu den Menschen zu haben.“ Genauso wichtig ist ihr in ihrer Arbeit, einen
Beitrag zur Teilhabe an der Gesellschaft und zu mehr Chancengleichheit für die ganz unterschiedlichen Menschen zu
schaffen.
Seite 16
Nr. 74 · 2016
Innere Mission bietet Betriebssozialarbeit an
Hilfe für die Helfer
Anderen Menschen helfen, ihnen
mit Rat und Tat zur Seite stehen –
das ist Aufgabe fast aller Mitarbeitenden in den rund 120 Einrichtungen der Inneren Mission. Aber
wer hilft, wenn es den Helfern selber mal nicht so gut geht? Wenn
es Ehe- oder Partnerschaftsprobleme gibt, wenn Schulden aufgelaufen sind oder eine Sucht überhand
nimmt?
Mit einem neuen Wegweiser
wendet sich die Innere Mission
jetzt an alle ihre Mitarbeitenden,
um ihnen Mut zu machen und
Wege aufzuzeigen, wo sie selber
professionelle Hilfe innerhalb des
eigenen Trägers (oder auch außerhalb) bekommen können. „Wenn
Kolleginnen und Kollegen helfen
können“ lautet das Motto des
Flyers, der Anfang Juni an die
rund 2.500 Mitarbeitenden verteilt
wurde. „Wir möchten Ihnen mit
unserer Kompetenz bei Problemen
im privaten Umfeld zur Seite stehen“, heißt es in dem Faltblatt.
Anfragen würden selbstverständlich diskret behandelt und sind
kostenfrei.
Bei dem Angebot betrieblicher
Sozialarbeit handelt es sich um eine freiwillige Maßnahme des
Unternehmens. Da in den Einrichtungen bereits ein hohes Maß an
Beratungskompetenz vorhanden
sei, müsse keine eigenständige Beratungsstelle eingerichtet werden,
sondern nur „der Weg zu geeigneten Stellen erleichtert werden“.
Auch im Internet ist der Flyer abrufbar unter www.im-muenchen.de/
betriebssozialarbeit.html
Klaus Honigschnabel
T E R M I N E
10 Jahre Tagesstätte Neuhausen; 5.
Juli, ab 11 Uhr, Landshuter Allee 38a
30 Jahre Pflegeheim „Lindenhof“
in Grafenaschau; 22. Juli, ab 14.30
Uhr, Aschauer Straße 28
10 Jahre Evangelisches Pflegezentrum Eichenau; 8. Juli, 11 – 17 Uhr,
Bahnhofstraße 117
Herbstflohmarkt; 8. – 9. Oktober,
Herzogsägmühle
30 Jahre Treffpunkt im Stadtteilbüro Neuperlach; 9. Juli, ab 13 Uhr;
Gerhard-Hauptmann-Ring 56
Infoveranstaltung „Vorsorge
nicht nur fürs Alter“; 13. Oktober,
18 – 20 Uhr, Seidlstraße 4
10 Jahre Evangelisches Haus für
Kinder Messestadt Ost; 15. Juli,
ab 16 Uhr; Astrid-Lindgren-Straße
127
Weitere Veranstaltungen finden Sie
unter www.im-muenchen.de
Naturabenteuer und
Phantasiereisen
Die Sommerferien stehen schon
fast vor der Tür – und wer noch
nach Abenteuern sucht, ist bei der
Ferienerholung der Inneren Mission München genau richtig: Es
gibt noch freie Plätze, unter anderem bei der Stadtranderholung
und den beiden Sommerfreizeiten
für Schulkinder von sechs bis zwölf
Jahren.
Beim Natur-Stadt-Erlebnis (27.8.
– 2.9.) im Jugendhaus St. Anna bei
Freising erkundet die Gruppe gemeinsam im Norden von München
die Gegend, Natur und Stadt. Wanderungen, Lagerfeuer, Geschichten
und Kreativsein gehören zum Programm des Natur-Phantasie-Erlebnisses (3. – 9.9.) im Jugendhaus
Ensdorf in Kraiburg am Inn.
Viel geboten ist bei der Stadtranderholung auf dem Gelände
des Waldheims Gräfelfing des
Evangelischen Handwerkervereins:
Die Kinder werden ganztägig auf
einem Gelände mit weitläufigen
Wald- und Wiesenflächen betreut.
Sie bauen Waldlager, malen, texten, tanzen, singen, klettern, balancieren, schlüpfen in neue Rollen
und vieles mehr. Geschlafen wird
zu Hause. Die sechs Campwochen
können auch kombiniert werden.
Familien mit einem geringen
Einkommen bekommen – dank
Zuschüssen der Stadt München –
bei den Angeboten eine Ermäßigung. Die Anmeldung läuft vorzugsweise über das Formular auf
der Homepage.
www.ferienerholung-muenchen.de
Betreuer gesucht
Für den Workshop Parkour und für
die Stadtranderholung werden
noch fitte Betreuer gesucht, mit
gutem Draht zu Kindern und gerne
mit Gruppenleitungserfahrung. Für
weitere Informationen sind die Mitarbeitenden der Ferienerholung unter der Nummer 089 / 41 07 99 12
oder per E-Mail [email protected] zu erreichen.
Kompass-Jahr hat noch
einige Plätze frei
Die Innere Mission hat noch Plätze
frei in ihrem Kompass-Jahr, unter
anderem in der Altenhilfe, Flüchtlings- und Jugendhilfe, in der Kleiderkammer der diakonia und der
Bahnhofsmission.
Zu diesem Freiwilligen Sozialen
Jahr für junge Frauen und Männer
zwischen 18 und 27 Jahren gehören auch drei Seminarwochen und
zwölf regionale Bildungstage zu
Themen der sozialen und persönlichen Bildung. Die Besonderheit:
Für vier bis sechs Wochen können
die Teilnehmenden von ihrem eigenen Arbeitsbereich in einen zweiten
Arbeitsbereich wechseln. 40 Stunden arbeiten die KomPassanten in
der Woche, dafür gibt es im Monat
195 Euro Taschengeld, 10 Euro
Kleidergeld und 236 Euro Verpflegungsgeld. Wer nicht zu Hause
wohnt, dem bietet die Innere Mission einen Platz in einer Wohngemeinschaft an.
Weitere Informationen über das KomPass-Jahr der Inneren Mission gibt es
bei Kirstin Uhlig (089/12 69 91 – 311,
[email protected]) oder Markus Waldherr (089/12 69 91 – 312,
[email protected]).
Nürnbergerin startet ungewöhnliche Spendenaktion
Völlig von
den Socken
Viele Menschen haben angesichts
der vielen Flüchtlinge Geld gespendet oder Zeit, manche auch Gebrauchsgegenstände. Aber die
Spendenaktion, die Sabine MeyerScholz Ende vergangenen Jahres
auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle ins Leben rief, haut einen im wahrsten Sinne des Wortes
von den Socken.
Meyer-Scholz ist als Kundenberaterin für Behindertenwerkstätten
in ganz Deutschland tätig und vertreibt Produkte, die beispielsweise
von blinden Menschen hergestellt
werden: Bürsten, Besen, Handtücher – und eben auch Socken.
Als die Nürnbergerin im vergangenen Herbst dann im Fernsehen die Bilder sah von Flüchtlingen, die trotz des hereinbrechenden Winters oft barfuß in Flipflops
bei uns ankamen, taten ihr die
Menschen leid. Kurz entschlossen
rief sie in der Bayernkaserne an
und fragte, wie sie da am sinnvollsten helfen könne.
Die Idee mit den Socken war geboren. Sie fragte ihre Kunden an,
ob sie denn nicht zusätzlich zu den
Bestellungen auch etwas spenden
wollten. Und 25 von ihnen sagten
„Ja“. In München gingen dann bis
Ende des Jahres insgesamt 189
Paar hochwertige Arbeitssocken
ein (sowie ein paar Waschhandschuhe). Wert der Spenden:
2.586,57 Euro.
Am Telefon will Sabine MeyerScholz gar kein so großes Aufheben um ihre Aktion machen: „Die
Leute in den Werkstätten haben
Arbeit, die Spender bekommen eine Bestätigung für die Steuer – und
die Flüchtlinge haben was Warmes
an den Füßen. So ist allen geholfen.“ Manchmal ist es ganz einfach, Gutes zu tun.
ho
Und jetzt das Letzte…
Ich fasse es nicht:
So viele Alibi-Männer
ausgerechnet beim
Frauen-Fest!
Foto: Florian Peljak
Die jährlichen Benefizkonzerte der Koreanischen Evangelischen Gemeinde
München unter Leitung von Pastor Hyunchul Won haben schon Tradition.
In diesem Jahr stand das Konzert unter dem Motto „Migranten musizieren
und engagieren sich für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“. Diakon
Dietmar Frey, Beauftragter für internationale Partnerschaftsarbeit des
Evangelisch-Lutherischen Dekanats, begrüßte dazu Mitte Mai rund 400
Besucher in der Dekanatskirche St. Markus.
In der Region München gehören mehr als 500 Koreaner dieser evangelischen Gemeinde an. Der große Chor sang Werke von Wolfgang Amadeus
Mozart, die Kinder- und Jugendchöre begeisterten mit modernen und traditionellen Stücken.
Hanka Thiemeier von der Inneren Mission berichtete über die Situation
minderjähriger Flüchtlinge in der Stadt: „Sie kommen meist auf dem Landweg, unter großen Entbehrungen und oft unter lebensbedrohlichen Umständen zu uns.“ Nicht selten führten die Fluchtumstände zu traumatischen Erlebnissen.
Das Benefizkonzert und die Kampagne des Dekanats München ergaben
3.000 Euro für die Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.
Im Namen der Jugendlichen sagen wir ein herzliches „Vergelt’s Gott“!
red / Foto: Dietmar Frey
Freie Plätze in der Stadtranderholung und Sommerfreizeit
Frauen-Bereichsleiterin Alexandra Reinalter, falsch zitiert von ho.
Asiatische Klänge zugunsten unbegleiteter
minderjähriger Flüchtlinge
Nr. 74 · 2016
Seite 17
mit Musik, Buffet und Vorführungen von Kindern aus benachbarten Schulen und Kindergärten.
„Seit zehn Jahren haben wir immer gutes Wetter gehabt bei unserem Sommerfest“, erzählt Spohd.
Da kann beim großen Jubiläum ja
eigentlich nichts mehr schief gehen.
Imke Plesch
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Viel Platz und intensive Betreuung: Vor zehn Jahren
wurde das Pflegezentrum Eichenau eröffnet
Professionelle Hilfe auf
dem letzten Weg
Am Anfang war da nur eine riesige grüne Wiese. Dort, unmittelbar
am S-Bahnhof Eichenau im Westen von München, entstand dann
vor gut zehn Jahren ein Pflegeheim der Inneren Mission komplett neu. Heimleiter Dirk Spohd,
der das Pflegezentrum seit der Eröffnung im März 2006 leitet, erinnert sich an diese Zeit: „Wir waren von Anfang an in die Planungen und den Bau mit einbezogen.“
Der Bau kam genau zum richtigen
Zeitpunkt, weil es damals noch
viele Fördermittel vom Landkreis
Fürstenfeldbruck und vom Freistaat Bayern gab, „die es so heute
nicht mehr gibt“.
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Aufgrund dieser finanziellen
Förderung konnte das Haus großzügig angelegt werden: Die Flure
sind breit, es gibt viel Platz für Sitzecken und Aufenthaltsräume. Zudem ist die Lage des Pflegezentrums besonders günstig: Zum SBahnhof mit der direkten Anbindung nach München sind es nur
wenige Meter. Und hinter dem
Haus am Starzelbach beginnt direkt die Natur: „Man kann von
hier durch Wald und Wiesen bis
zum Wörthsee spazieren“,
schwärmt Spohd. Angrenzend an
das Heim entstand zur selben Zeit
eine Wohnsiedlung; das Pflegezentrum versorgt sie umweltfreundlich
mit Wärme aus dem gasbetriebenen Blockheizkraftwerk.
„Wir sind sehr gut in die Gemeinde Eichenau integriert und
arbeiten viel mit örtlichen Ärzten
und Apothekern zusammen“, berichtet Spohd. Und auch die Mandatsträger und Vereine sind gern
gesehene Gäste im Haus. Die ehemalige Gemeinderätin Marille Musolf hält Lesungen, Blaskapelle
und Chor spielen regelmäßig bei
Festen. Der frühere Erste Bürgermeister Hubert Jung ist voll des Lobes über die Einrichtung, die von
der Hilfe im Alter betrieben wird:
„Das Pflegezentrum ist ein Glücksfall für die Gemeinde. Ich freue
mich, dass viele Eichenauerinnen
und Eichenauer dort professionelle
Pflege und engagierte menschliche
Zuwendung finden.“
Neben der Planung eines neuen
Pflegeheims war auch der organisatorische Aufbau von Anfang an
für Einrichtungsleiter Spohd „sehr
interessant“. Nicht nur Räume und
Geräte waren beim Einzug nagelneu, auch das Team für das Haus
musste er ja komplett neu zusammenstellen: „Es gab keine
langjährigen verkrusteten Strukturen – alle Mitarbeitende waren ja
gleich ‚neu’.“ Dies ist sicher auch
ein Grund dafür, dass viele von ihnen zehn Jahre später immer noch
dabei sind (siehe Kästen).
Wie verbunden auch der Einrichtungsleiter mit dem Pflegezentrum ist, erkennt man daran, dass
er mit seiner Familie selbst in einer
Wohnung im Haus wohnt. „Damit
bin ich heute ein Exot“, sagt
Spohd. Früher waren HeimleiterEhepaare, die im selben Haus
wohnten, eher die Regel – heute ist
das eher die Ausnahme.
Gut 180 Menschen leben derzeit
in verschiedenen Abteilungen des
Pflegezentrums. Das Angebot
reicht von der Kurzzeitpflege bis zu
einem beschützenden Bereich für
demenzkranke Menschen. Diese
Vielfalt erlaubt es den Bewohnern,
auch bei einem Wechsel der Station in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben.
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Die 16 Plätze in die Kurzzeitpflege sind für Menschen gedacht, die
zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt noch nicht wieder
nach Hause entlassen werden können, die kurzzeitig im Heim gepflegt werden – wenn etwa Angehörige im Urlaub sind – oder die
die Wartezeit auf einen vollstationären Platz überbrücken müssen.
Nach diesem „Probewohnen“
entscheiden sich viele, später ganz
ins Pflegezentrum zu ziehen – zum
Beispiel in eine der elf Pflegewohnungen. „Das ist eine Mischform
aus stationärer Pflege und Seniorenwohnen“, erklärt Spohd. Die
Appartements sind für Paare gedacht, die zwar selbständig wohnen möchten, aber Unterstützung
im Haushalt oder beim Essen benötigen, oder bei denen ein Partner pflegebedürftig ist, das Paar
aber trotzdem weiter zusammenbleiben möchte.
Im beschützenden Bereich leben
28 Menschen, die Pflege brauchen
und demenzkrank sind oder eine
altersbedingte psychische Krankheit haben. Für die Unterbringung
hier ist ein richterlicher Beschluss
nötig. Der Bereich ist in sich geschlossen, in seiner Mitte liegt ein
kleiner grüner Innenhof. Ein Flur
führt um ihn herum; an einer Stelle laden eine Sofaecke und großflächige Naturfotos zum Verweilen
ein.
An den Wänden gibt es zudem
thematische Regale, in denen zum
Beispiel Modelleisenbahnen oder
alte Waschbretter liegen. „Es geht
uns darum, die Bewohner räumlich, zeitlich und biographisch mit
allen Sinnen anzusprechen“, erklärt Spohd. Die Menschen werden
intensiv beschäftigt, motorisch
und kognitiv aktiviert. Durch diese
intensive Betreuung ist es auch gelungen, Anzahl und Dosis der ärztlich verschriebenen Psychopharmaka deutlich zu reduzieren.
Die meisten Bewohner des Pflegezentrums leben in den vier
Wohngruppen, die insgesamt 120
Michaela Bittner (50), Stationsleitung: „Ich bin von einem anderen Träger zur Hilfe
im Alter gewechselt und bin
immer noch froh über diesen
Schritt. Freilich war’s am Anfang stressig in dem neuen
Haus. Aber hier steht
Menschlichkeit nicht nur auf
dem Papier geschrieben, hier
wird sie gelebt.“
Plätze in der stationären Pflege
bieten. Für sie alle bietet das Haus
eine Vielzahl von unterschiedlichsten Aktivitäten: Gymnastik, Singen und Musizieren, Ausflüge in
die nahe Umgebung, Lesungen
und Kino-Abende oder Bastelnachmittage mit dem nahegelegenen
Sterntaler-Kindergarten. BingoNachmittage sind sehr beliebt und
so manche Bewohnerin übt sich
im virtuellen Kegeln an der WiiKonsole. Und fast jeden Monat
Malgorzata Waszak (42),
Reinigungskraft: „Ich bin
sehr zufrieden mit meiner Arbeit; hier läuft alles ohne
Stress. Kein Tag ist wie der
andere und ich kann mir
meine Arbeit selber einteilen.
Toll finde ich, dass es jedes
Jahr einen Betriebsausflug
gibt und ein festliches
Weihnachtsessen.“
gibt es auch ein kleines Fest: Mal
der Jahreszeit angepasst oder eben
dem Kirchenjahr entsprechend.
Dennoch hat sich in den vergangenen zehn Jahren einiges geändert, bemerkt Spohd. Früher gab
es beispielsweise noch Faschingspartys, bei denen alle getanzt haben. Heute finden die meisten Veranstaltungen direkt auf den Stationen statt, „weil die Leute nicht
mehr so mobil sind“. Durch die Reformen in der Pflegefinanzierung
und eine hochaltriger werdende
Gesellschaft kommen die Menschen immer später ins Pflegeheim, wo sie dann nur noch eine
relativ kurze Zeit bleiben, in der sie
oft intensiv gepflegt werden müssen. „Das macht natürlich etwas
mit einem Haus, wenn die fitten
Bewohner immer weniger werden“, sagt Spohd. „Der letzte Weg
wird deshalb immer mehr zum
Schwerpunkt unserer Arbeit.“
Mithilfe des Projektes „Leben bis
zuletzt“ wurde über mehrere Jahre
die Palliativversorgung in die Arbeit im Haus integriert – seitdem
gehören zum Beispiel ethische
Fallbesprechungen zum Alltag der
Pflegekräfte. Bei der medizinischen
Betreuung am Lebensende arbeitet
das Pflegezentrum eng mit dem
ambulanten Palliativteam aus
dem Landkreis Fürstenfeldbruck
zusammen. Aus dem Hospiz kommen ehrenamtliche Helfer, die die
Mitarbeiter bei der Sterbebegleitung der Bewohner unterstützen.
Eine evangelische und eine katholische Seelsorgerin unterstützen die
Mitarbeiter und bieten den Bewohnern ein offenes Ohr. Jede Woche
gibt es einen Gottesdienst im Haus,
im Wechsel evangelisch und katholisch.
Diese Veränderung der Bewohnerstruktur werde sicher auch die
künftige Arbeit im Pflegezentrum
weiter verändern, vermutet Spohd.
Doch er und seine Mitarbeitenden
sind es gewohnt, ihre Arbeit ständig zu reflektieren. Schon ein halbes Jahr nach der Eröffnung wurde
das Zentrum nach der Norm ISO
9001 zertifiziert – der meist verbreiteten und bedeutendsten Norm im
Qualitätsmanagement.
Nicht nur hier wird die Erfüllung der Vorgaben regelmäßig
vom TÜV Süd kontrolliert, auch
der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) überprüft das
Haus immer wieder und hat es
meist mit einer 1,0 benotet; die
„schlechteste“ Bewertung war eine
1,2 – weit über dem bayerischen
Durchschnitt. Und zudem kann
sich das Haus rühmen, vom FocusMagazin bei einem bundesweiten
Vergleich zu den 629 Top-Pflegeheimen gezählt zu werden. Darüber hinaus arbeiten alle zehn Heime der Hilfe im Alter intern ständig an Verbesserungen; ein Haus
lernt vom anderen.
Am 8. Juli wird das zehnjährige
Jubiläum ausgiebig gefeiert. In einem großen Zelt hinter dem Haus
Joszef Vonderwist (50),
Hausmeister:
„In den zehn Jahren gab es
immer viel Arbeit, vor allem
am Anfang. Aber es ist eine
fröhliche Arbeitsstelle, wir
können viel lachen. Es
herrscht ein gutes Klima im
Haus, obwohl viel Wechsel
beim Personal ist.“
wird zunächst ein Gottesdienst mit
vielen Ehrengästen stattfinden, danach gibt es ein buntes Programm