Diakonie 66_13 - Innere Mission München
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Diakonie 66_13 - Innere Mission München
Schwerpunktthema: 20 Jahre diakonia (Seite 3 – 7) Hilfe im Alter: Neues Pflegezentrum in Riemerling (Seite 9) Sozialpsychiatrie: Krisendienst Oberbayern ist gestartet (Seite 13) Die Zeitung der Inneren Mission München • Juli 2016 Liebe Leserin, lieber Leser, S itzen ein Affe, ein Goldfisch, ein Zebra und ein Pinguin in der Bewerberrunde. Sagt der Personalchef: „Wer zuerst auf dem Baum ist, bekommt den Job!“ Logisch: Einer aus der Runde gewinnt, drei verlieren. Drei Einrichtungen des Frauenbereichs im Evangelischen Hilfswerk haben gemeinsam Geburtstag gefeiert Netzwerken für eine menschliche Stadt Dieses Netz ist im richtigen Leben meist unsichtbar; jetzt wird es sichtbar: handgeknüpft und bunt, mal dicht, mal mit größeren Löchern – aber immer gehalten und nie am Boden. Entstanden ist es während des Jubiläumsgottesdienstes in der Markuskirche binnen weniger Minuten und es steht symbolisch für das soziale Netz, das die drei Einrichtungen des Evangelischen Hilfswerks (EHW) seit fünf, 20 und 50 Jahren beharrlich knüpfen. Ein Netz, das speziell Frauen in schwierigen Lebenslagen gezielte Unterstützung und vielfältige Hilfe bietet. Breitgefächerte Hilfepalette Dieter Sommer Geschäftsführer diakonia S o wie diesen Dreien geht es auch den Menschen, die in unserer Arbeitswelt abgehängt werden. Sie entsprechen nicht den Anforderungen – zumindest auf den ersten Blick. Viele Talente und Potentiale bleiben auf der Strecke, weil kaum jemand den zweiten Blick riskiert. Dabei profitieren wir alle davon, wenn diese besondere Vielfalt in unserem sozialen Leben und betrieblichen Geschehen ihren Niederschlag findet. Zuallererst gewinnen die Menschen selbst, wenn sie sich einbringen können und für ihre Leistung Anerkennung finden. Wenn soziale Ausgrenzung nicht mehr in den eigenen Köpfen oder den Köpfen der Andern stattfindet. B Seit 50 Jahren hat beispielsweise der Evangelische Beratungsdienst seine breitgefächerte Hilfepalette aufgebaut, deren einzelne Angebote ineinander greifen und flexibel auf die jeweilige Notlage reagieren: Dezentrales Stationäres Wohnen, Fachberatungsstelle „Wohnen und Existenzsicherung“, Fachstelle zur Vermittlung von Müttern in gemeinnützige Arbeit, Integrationshilfen, Straffälligenhilfe, Wohngemeinschaften und Wohnheim. Allesamt Einrichtungen für Frauen, die in ihrem Leben zumeist schlechtere Startchancen hatten: weil ihre Eltern süchtig oder psychisch krank – oder schlichtweg gar nicht vorhanden waren. Deren Lebensläufe geprägt sind, von Vernachlässigung, Beziehungsabbrüchen, Gewalterfahrungen und Missbrauch. Oder das Frauenobdach Karla 51, das seinen zwanzigsten Geburtstag feiert. In der Einrichtung in der Karlstraße gibt es 40 Einzelzimmer, in denen Frauen – auch mit Kindern – rund um die Uhr einen geschützten Raum finden, beraten und unterstützt werden, bis sie wieder „etwas Boden unter den Füßen“ haben und in eine weiterführende Einrichtung umziehen können. Sofern es denn freie Plätze gibt. Jüngstes Geburtstagskind: Die Lebens- mige – parteienübergreifende Unterstützung im Münchner Rathaus hervor, die für ihn wichtiger sei als der finanzielle Support: „Der Stadtrat hat ein Auge nicht nur auf die da oben, sondern auch für die am anderen Ende.“ Die Innere Mission werde ihr Engagement in diesem Bereich künftig noch intensivieren, so Bauer. Gerade angesichts steigender Zahlen von Flüchtlingsfrauen ohne legalen Aufenthaltsstatus sowie von Armutsmigranten aus Osteuropa sei dies ein Gebot der Stunde. „Die Menschenwürde hört nicht beim Aufenthaltsstatus auf.“ Knüpfen am sozialen Netz für Frauen: Was sonst unsichtbar ist, wurde bei dem Gottesdienst in der Markuskirche sichtbar. plätze, ein niedrigschwelliges Wohnangebot für ehemals obdachlose Frauen im Münchner Norden. 25 Bewohnerinnen leben in dem neu errichteten Haus am Lieberweg, haben einen eigenen Mietvertrag – und können die Hilfeangebote des Sozialpädagoginnenteams nutzen oder auch nicht. Ganz wie sie wollen oder können. Immer wieder geht es also ums Wohnen. In einer Stadt, in der Wohnungen notorisch knapp sind und Mietpreise exorbitant hoch, trifft das vor allem diejenigen am härtesten, die irgendwie aus der Bahn geflogen sind. Stadtdekanin Barbara Kittelberger sagte denn auch in ihrer Predigt: „Eine Bleibe zu haben, ist ein Segen. Ein Dach über dem Kopf fühlt sich wunderbar an.“ Es sei deshalb auch ein Segen, dass es die drei EHW-Einrichtungen schon seit Jahren „als zuverlässige Anlaufstellen“ gibt. Hier könnten Frauen spüren, dass sie nicht alleine sind; hier begebe man sich gemeinsam auf die Suche nach „Lösungen, die tragen und halten“. Und wörtlich: „Offene Ohren, die zuhören, machen das Reden auch leichter.“ Die Mitarbeiterinnen seien für ihre Klientinnen manchmal so etwas wie „gute En- D ie Vielfalt und Besonderheit vieler Menschen, die aus den Krisengebieten dieser Welt zu uns kommen, bereichern uns jeden Tag. In dieser Ausgabe des Diakonie Reports können Sie einen zweiten Blick werfen auf unsere Betriebe und auf die Mitarbeitenden, die hier eine neue Heimat gefunden haben. Eine anregende Lektüre wünscht Körbeweise Glückwünsche gab es für die Einrichtungsleiterinnen dann beim Empfang im Alten Rathaus. Fotos: Florian Peljak gel“, so Kittelberger. Fürsorge erfolge „nicht von oben nach unten“, sondern werde miteinander auf gleicher Ebene gestaltet. An die vielfältigen Verdienste der drei Einrichtungen erinnerten auch die Festredner beim anschließenden Empfang im Alten Rathaus. Rund 350 Gäste waren gekommen – dem Anlass entsprechend mehrheitlich Frauen. Bürgermeisterin Christine Strobl überbrachte die Grüße der Stadt und erinnerte an die ideelle – und finanzielle – Unterstützung der Kommune: „Dieses Geld, das wir hier investieren, ist sehr gut angelegtes Geld.“ Das Thema „Frauen in Notsituationen“ werde leider noch länger aktuell bleiben, mutmaßte sie. Die Stadt sehe sich hier in der Pflicht, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Strobl wörtlich: „Eine Stadt ist nur dann eine menschliche Stadt, wenn auch Menschen in ihr leben können, die irgendwie aus der Bahn geworfen wurden.“ Angebot neu justieren Gordon Bürk, Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks, wies ebenfalls auf den stark angestiegenen Anteil von Frauen in der Wohnungslosigkeit hin. Habe der in den 80er-Jahren noch etwa zehn Prozent betragen, liege er derzeit bei rund 30 Prozent. Angesichts dieser Entwicklung müsse jetzt das gesamte Angebot neu ausjustiert und um ambulante Dienste erweitert werden. „Die Frauen, die vermehrt zu uns kommen, brauchen Hilfe. Wir dürfen sie nicht alleine lassen!“ Bürk dankte für das aufopferungsvolle und oft weit über die Grenzen hinausgehende berufliche Engagement der Hauptamtlichen: „Die Mitarbeiterinnen durchwandern manche dunkle Stunde, bis am Ende dann doch noch das Licht durchbricht.“ Und auch den Ehrenamtlichen sprach er seinen Dank aus: „Ihr besonderer Zugang zu den Menschen, die Sie betreuen, ist uns eine große Hilfe, auf die wir nicht verzichten können.“ Klaus Honigschnabel Empfang im Alten Rathaus Helmut Roth, Leiter des Referats für Sozialplanung beim Bezirk Oberbayern, erklärte in Vertretung von Bezirkstagspräsident Josef Mederer, Wohnungslosigkeit sei mittlerweile in ganz Bayern ein Thema: „Männer sind auffälliger, wohnungslose Frauen fallen nicht so auf.“ Gerade deshalb bräuchten sie mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung. Frauenspezifische Anfragen des EHW verstehe der Bezirk nicht als Nörgelei – ganz im Gegenteil: „Sie scheren nichts über einen Kamm, sondern übersetzen Bedarfe, lindern Notlagen und verbessern Lebenschancen.“ Für die Frauengleichstellungsstelle der Stadt verwies Sabine Kellig auf die Erfolge der Frauenarbeit: „Sie geben denjenigen eine Perspektive, die sonst keine Perspektive mehr haben.“ Und Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission, hob die – meist einstim- Wir freuen uns über Ihre Spende! Spendenkonto: 36 70 70 70 BLZ 700 202 70 bei der HypoVereinsbank ei diakonia versuchen wir seit 20 Jahren erfolgreich, diese Schätze zu heben. Jeder Mensch ist einmalig, jeder Mensch hat etwas Besonderes beizutragen – und für alle gibt es bei uns einen unverwechselbaren Arbeitsplatz. Natürlich muss man noch etwas dazulernen und sich anpassen. Doch wenn dieser Einsatz den individuellen Stärken gilt und alle Energie nicht an übergroßen Hindernissen scheitert, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, durch diakonia eine berufliche Zukunft zu finden. Ausgabe 74 • www.im-muenchen.de Seite 2 Nr. 74 · 2016 Der Strom kommt vom Dach: Auf dem Sonnenhof in Ebenhausen liegen 600 Quadratmeter Photovoltaik. Foto: Wilfried Bogner Die Innere Mission produziert auch Energie Wenn aus Sonnenenergie Strom wird „Gemeinsam die Schöpfung bewahren“ – das ist das Ziel des Diakonischen Solarfonds. Durch den Bau von Photovoltaikanlagen auf Dächern diakonischer Einrichtungen will die Initiative einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Der Diakonische Solarfonds entstand 2011 als Nachfolger des 2009 gegründeten Evangelischen Solarfonds. Ziel beider Fonds war und ist es, auf möglichst vielen kirchen- oder diakonieeigenen Gebäuden wie Kindergärten, Altenheimen oder Pfarr- und Gemeindehäusern Photovoltaikanlagen einzurichten und so durch regenerative Energiegewinnung die Umwelt zu schonen. Energie zum Vorzugspreis Das Prinzip ist einfach: Die Einrichtungen vermieten ihre Dächer an den Diakonischen Solarfonds, der gewonnene Strom kann für einen Zeitraum von 20 Jahren zu einem Vorzugspreis selbst genutzt werden. Anschließend kann die Anlage für einen eher symbolischen Preis erworben werden. „Zugleich bestand die Möglichkeit, Mitgesellschafter des Fonds zu werden“, erklärt Roland Rausch, Abteilungsleiter Wirtschaft und Finanzen der Inneren Mission. Doch dabei blieb es nicht: „Heute sind wir der größte Anteilseigner.“ Die erste Anlage, die die Innere Mission nach diesem Verfahren errichtet hat, entstand 2011 auf den Dächern der Hans und Gerda Tremml-Stiftung in Grünwald. Weitere Pflegeheime und Einrichtungen folgten, zehn davon stehen unter der Leitung der Inneren Mission. Eines der jüngsten Projekte ist die Anlage auf dem „Sonnenhof“, einem Nebengebäude des Altenund Pflegeheims in Ebenhausen mit beschützender Pflege. „Die Idee, das Flachdach des Sonnenhofes für Solaranlagen zu verwenden, entstand bereits vor zwei Jahren“, erläutert Einrichtungsleiter Wilfried Bogner. Neben dem Umweltgedanken war für Bogner ein Blick auf die Stromrechnung ausschlaggebend, sich an der Aktion des Diakonischen Solarfonds zu beteiligen. „Bei einem Jahresverbrauch zwischen 400.000 und 500.000 Kilowattstunden kommt man schon mal ins Nachdenken“, sagt Bogner. „Aber da viele unserer Senioren Augenprobleme haben, brauchen wir es sehr hell, um so die Sturzgefahr zu minimieren.“ Seit März gibt eine Anzeigetafel im Eingangsbereich des Pflegeheims einen Überblick über den gerade erzeugten Strom. Bogner lacht: „Wenn man die Photovoltaikanlage schon nicht sieht, soll man wenigstens sehen, was sie tut.“ Damit sowohl der Sonnenhof als auch das benachbarte Pflegeheim von dem erzeugten Strom profitieren, wurden beide Stromnetze zusammengeführt. Der Gesamtpreis der Anlage beträgt rund 150.000 Euro – Geld, das sich in etwa zehn Jahren wieder amortisiert hat. „Das Dach des Sonnenhofs war einfach ideal für unser Vorhaben“, bestätigt Clemens Bloß, Geschäftsführer des Diakonischen Solarfonds. Im September vergangenen Jahres wurden in zweiwöchiger Bauzeit auf der etwa 600 Quadratmeter großen Fläche 396 Module installiert, die nun Strom liefern. Ihre Leistung liegt bei 97 Kilowatt So feiern andere Religionen (Juli – September 2016) Juli 5. – 7. Juli: 6. Juli: 19. Juli: Id al-Fitr, Ramadan Ende (islamisch) Ratha Yatra (hinduistisch) Asalha Puja (buddhistisch) August 13. – 15. August: 14. August: 25. August: Obon Fest (buddhistisch) Tischa beAw (jüdisch) Krishna Janmashtami (hinduistisch) September 5. September: Ganesh Chaturthi (hinduistisch) 12. – 15. September: Id al-adha, Opferfest (islamisch) 27. September: Kreuzerhöhung (orthodox) pro Stunde, im Jahr ergibt das also rund 90.000 Kilowattstunden. Verbraucht wird der Strom vom Pflegeheim selbst. „Das ist so, als ob der Verbraucher gleich auf dem Feld sitzt und die Ernte aufisst“, vergleicht Bloß auf humorvolle Art. „Ins Netz eingespeist wird nichts.“ Anders sieht die Sache bei der Wohnanlage der Tremml-Stiftung aus: „Hier wird der Solarstrom nur für die Allgemeinflächen und die technischen Anlagen genutzt, denn die Mieter haben ihre eigenen Stromanschlüsse“, erklärt Rausch die Lösung in Grünwald. Und die Heilpädagogische Tagesstätte in Garching kann den Strom vom Dach nur an den Schultagen verbrauchen, wenn im Haus auch Betrieb ist. An allen anderen Tagen wird er ins Netz eingespeist. Die Umwelt hat gewonnen Die größte Anlage steht in Eichenau auf dem Dach des Evangelischen Pflegezentrums, weiß Roland Rausch. „Im vergangenen produzierte sie rund 210.000 Kilowattstunden; 85 Prozent davon wurden vor Ort verbraucht. Das entspricht knapp 30 Prozent des Gesamtstrombedarfs des Hauses.“ Und sollte eine Anlage wider Erwarten einmal nichts liefern, bekommt Clemens Bloß sofort eine Meldung auf seinem Computer. „Hier wird angezeigt, wie alle unsere Anlagen arbeiten, ob ein Fehler aufgetreten ist, ob die Sonne scheint oder ob gerade Schnee draufliegt.“ Basierend auf diesen Informationen kann sofort eine Reparatur in die Wege geleitet werden. Die Größe der Solaranlagen auf den Dächern der Einrichtungen der Inneren Mission schwankt zwischen 58 Quadratmetern (Garching; 34 Module) und 1.474 Quadratmetern (Eichenau; 867 Module). Insgesamt sind es 2.615 Module, die für die Innere Mission umweltfreundlichen Diakonie-Strom erzeugen. Und deren Produktivität kann sich sehen lassen: Der Gesamtertrag bei allen Häusern liegt laut Bloß bei 1,65 Gigawattstunden: „Allein mit der im vergangenen Jahr auf den Dächern der Inneren Mission erzeugten Energie könnte man rechnerisch 87 Haushalte ein Jahr lang versorgen“, verdeutlicht der Experte diese Zahl. Und die Einsparung an CO2 betrug vergangenes Jahr 215 Tonnen; die Prognose für die Gesamtlaufzeit liegt bei 6.247 Tonnen. Clemens Bloß und Roland Rausch sind sich da einig: „Für die Umwelt hat sich das allemal gelohnt.“ Weitere Standorte im Geschäftsbereich München sieht Rausch derzeit allerdings nicht mehr. Allenfalls auf dem Dach des Pflegeheims der Lore Malsch-Stiftung in Riemerling (siehe Seite 9) könnte noch eine Anlage entstehen. Zudem soll der aktuelle Diakonische Solarfonds in diesem Jahr geschlossen werden. Doch die Innere Mission hat schon vor Längerem eine weitere Möglichkeit gefunden, umweltfreundlich und nachhaltig Strom zu erzeugen. Das Diakonieunternehmen betreibt mittlerweile 14 Klein-Blockheizkraftwerke in seinen Einrichtungen. Rausch schmunzelt: „Das sind dann noch einmal mehr als 500.000 Kilowattstunden jährlich, die quasi als Abfallprodukt der Heizungsanlage anfallen.“ Sabine Hermsdorf www.kirchensolarpark.de Finanzen 2015: Optimistischer Blick in die Zukunft Gemeinsam viel geleistet „Gemeinsam schaffen wir’s“ stand auf diesem Wahlplakat der CSU im Jahr 1947. Es wandte sich an Vertriebene mit dem Slogan „Eure Not ist unsere Sorge“. Für die Vertriebenen ging es um die Existenz und um „Wohnen“. Auch 2015 ging es für viele Menschen auf der Welt oftmals um die pure Existenz: Sie mussten ihre Heimat verlassen angesichts von Krieg, Terror, Zerstörung und existentieller Not. Ihre Wohnungen wurden zerbombt und zerschossen, vielfach von der eigenen Regierung. Etwa eine Million der weltweit mindestens 60 Millionen Flüchtlinge kamen nach Deutschland – meist mit nicht viel mehr als mit ihren Kleidern am Leib. Die großen Augen eines vielleicht sechs Monate alten Kindes auf den Armen eines freiwilligen Helfers gegen Mitternacht am Hauptbahnhof, daneben seine Mutter mit einer kleinen Reisetasche auf dem Rücken, werde ich – gerade selbst wieder Großvater geworden – wohl nicht mehr vergessen. „Gemeinsam schaffen wir’s“ war und ist das Motto unzählig vieler Menschen, Ehrenamtlicher und Hauptamtlicher, um die Herausforderungen der sogenannten Flüchtlingskrise zu bewältigen. So wurde unsere Tochtergesellschaft diakonia geradezu zum Synonym für die Bekleidungshilfe in der bayerischen Landeshauptstadt. Mehrere tausend Ehrenamtliche halfen beim Sortieren und der Ausgabe der Kleiderspenden. In der Asylsozialarbeit engagieren wir uns mit inzwischen rund 170 Hauptamtlichen und noch sehr viel mehr Ehrenamtlichen in einer Vielzahl von Asylbewerberunterkünften. Ferner betreuen wir annähernd 300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) in unseren Jugendhilfeeinrichtungen. Wir haben 2015 von heute auf morgen der Regierung von Oberbayern im Ankunftszentrum und später auch am Hauptbahnhof geholfen sowie in der Notunterkunft Dornach. Und in Feldkirchen haben wir für annähernd 100 UMF an einem Wochenende eine Notunterbringung organisiert, auch hier wieder unterstützt von einem großen Helferkreis. Enormes Umsatzwachstum Aber nicht nur in der Flüchtlingshilfe haben wir 2015 gemeinsam viel geleistet: Alle unsere Firmen weisen im vergangenen Jahr ein enormes Umsatzwachstum auf. In der gesamten Münchner Unternehmensgruppe stiegen die Erträge um 17,5 Prozent von 104,2 Millionen Euro (in 2014) auf 122,4 Millionen Euro. Differenziert nach den jeweiligen Firmen waren es 15,5 Prozent mehr im Münchner Geschäftsbereich des Vereins, 11,5 Prozent Zuwachs bei der Hilfe im Alter (HiA), 31,0 Prozent beim Evangelischen Hilfswerk (EHW) und 17,6 Prozent bei der diakonia. Im Verein betraf das Wachstum vor allem die Jugendhilfe und den Bereich der Asylsozialbetreuung. Bei der HiA resultierte das Wachstum vor allem aus der nunmehr erreichten Vollauslastung des 2013 eröffneten Pflegezentrums in Send- ling sowie Verbesserungen bei den Personalschlüsseln (zusätzliche Präsenzkräfte, Aufstockung der Zahl an Demenzhelfern). Das außerordentlich hohe Umsatzwachstum beim Evangelischen Hilfswerk ist insbesondere im erstmals ganzjährigen Betrieb der Notunterkunft für obdachlose Menschen „Charlotte von KirschbaumHaus / Lollo“ begründet sowie in der deutlichen Erhöhung der städtischen Zuschüsse für den Kälteschutz und die Betreuung der dort untergebrachten Menschen vornehmlich aus osteuropäischen Ländern. Überdurchschnittlicher Einsatz Von den Gesamterträgen entfielen 86,3 Millionen Euro (70,5 Prozent, +19,8 Prozent) auf Umsatzerlöse (insbesondere Leistungsentgelte entgeltfinanzierter Einrichtungen) und 26,7 Millionen Euro (21,8 Prozent, +17,2 Prozent) auf Zuschüsse. Der Personalaufwand betrug 2015 81,1 Millionen Euro (66,3 Prozent) – 15,5 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Zahl unserer Mitarbeitenden stieg dabei um 12,4 Prozent. Das Sachanlagevermögen belief sich auf 114,1 Millionen Euro, etwas weniger als im Vorjahr, da 2015 keine größeren Neuinvestitionen erfolgt sind. Die Bilanzsumme erhöhte sich dennoch von 139,2 Millionen Euro auf 142,6 Millionen Euro. Der Jahresüberschuss stieg deutlich von 558.000 Euro auf knapp 2,36 Millionen Euro; das entspricht 1,9 Prozent der Gesamterträge. Dieser Anstieg ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass für das Pflegezentrum in Sendling keine Anlaufverluste mehr angefallen sind. Das gute Ergebnis ist aber auch Ausdruck des hohen Engagements unserer Mitarbeitenden. Leider können wir angesichts der angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt für Fachkräfte nicht immer alle Stellen besetzen. Umso mehr ist der überdurchschnittliche Einsatz derer gefragt, die für unsere Klienten arbeiten. Auch hier galt im vergangenen Jahr mehr denn je: „Gemeinsam schaffen wir’s“. Der erwirtschaftete Überschuss verbleibt selbstverständlich im Unternehmen und gibt uns die notwendige Sicherheit, auch im vor uns liegenden Jahr die weiter wachsenden Aufgaben optimistisch anzugehen. Roland Rausch Nr. 74 · 2016 Seite 3 aus den vergangenen Jahren ist lang; die der wichtigen Kunden auch: Sie reicht von der GWG über die Wogeno und die Stadtsparkasse München bis zur Inneren Mission, der zusammen mit dem Dekanatsbezirk der Betrieb gehört. „Bei den großen Baustellen in München sind wir zweimal pro Jahr dabei“, erklärt der kaufmännische Leiter Jürgen Schmaler. Sechs bis acht Monate sind 12 bis 15 Mitarbeiter mit einem Projekt beschäftigt. Normaler Standard. „Wir sind ein Unternehmen wie jedes andere auch. Nur unsere Mitarbeiter sind speziell.“ Ausbildung als Chance Manchmal treiben sie es ziemlich bunt, manchmal wird alles weiß: Den Malerteams der diakonia ist kein Auftrag zu schwer. Fotos: Gregor Bresser, Kurt Bauer Der Malerfachbetrieb der diakonia mischt erfolgreich in der ersten Liga mit Nicht kleckern, sondern klotzen Sich im hart umkämpften Markt der Baubranche erfolgreich zu etablieren, ist nicht leicht. Doch der diakonia Malerfachbetrieb hat es geschafft: Er kann locker mit anderen Firmen mithalten – und ist dennoch nicht mit ihnen vergleichbar. Denn er beschäftigt und qualifiziert Menschen mit und ohne Handicap, mit Schwerbehinderung sowie Langzeitarbeitslose. Er bietet ihnen eine nachhaltige berufliche Perspektive. Und er ist vermutlich der einzige anerkannte Ausbildungs- und Integrationsbetrieb dieser Art in Deutschland, der sich richtig große Projekte zutraut – und sie auch bewältigt. Anfang mit Entrümpelungen Mit einer mobilen, breit aufgestellten Hausmeisterei fing vor langer Zeit alles an. Der Betrieb „diakonia Handwerk“ übernahm seit 1997 unter anderem Renovierungen, Entrümpelungen, Elektround Sanitärinstallationen. Als das aber nicht so rund lief, entschied man sich für die Spezialisierung. Die Gründung des Fachbetriebs erfolgte 2003 unter der Leitung von Dietmar Janz, der an der Akademie der Bildenden Künste in München ein Studium der Bildhauerei absolvierte und davor in Freiburg Sozialarbeit studiert hatte. Ein Mann, der den schwierigen Schritt damals stark unterstützt hat, ist der Malermeister Manfred Schwertfeger. Ein Glücksfall. Er kam über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zum Betrieb und brachte beim Aufbau mit großem Elan seine ganze Berufserfahrung ein. Der Plan ging auf. Der kleine Träger befristeter Arbeitsmaßnahmen, der seine Aufträge vorwiegend vom Sozialreferat der Stadt München bekam, mauserte sich schnell zu etwas Größerem. Bald gehörten auch Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften zu den Kunden; später kamen dann kirchlich- diakonische Träger dazu. 2006 dann die erste große Bewährungsprobe: ein Neubau des Katholischen Siedlungswerks mit 99 Wohnungen am Fritz-Meyer-Weg. Dietmar Janz: „Wir haben da selber ein bisserl Angst vor unserer eigenen Courage gehabt. Aber dann hat fast alles wunderbar geklappt – und wir waren drin in der ersten Liga.“ Das ermöglichte dem Malerbetrieb, der vor ein paar Jahren auch Mitglied der Maler- und Lackiererinnung geworden war, für die Mitarbeitenden langfristige Perspektiven zu eröffnen. Am Anfang gab es vier befristet angestellte Maler und Lackierer; heute sind es gut zwei Dutzend. „Es ging von Anfang an um Professionalität“, sagt Betriebsleiter Martin Burkhardt, der außerdem die diakonia TipTopBOX leitet, ein Unternehmen, das leere Tonerkartuschen und Tintenpatronen sammelt und recycelt. Das Ziel sei damals sofort klar gewesen. „Alle sagten, wir wollen kein wohlwollendes Schulterklopfen. Wir wollen und müssen auf dem privaten Markt mitmischen.“ Genau das gelang. Es wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt. Längst ist der strukturelle Wandel abgeschlossen. Der Malerfachbetrieb, der seinen Sitz seit vergangenem Jahr am Stahlgruberring 8 hat, ist konkurrenzfähig und gut im Geschäft. Dank seiner Zuverlässigkeit, seiner Erfahrung und der Kompetenz und der perfekten Leistung der Mitarbeiter. Burkhardt ist seit knapp zwei Jahren Chef des Betriebs; 2014 trat er die Nachfolge von Dietmar Janz an. Vorher arbeitete er acht Jahre lang als Malermeister in dem diakonia-Betrieb; sein erstes Projekt, das er verantwortlich leitete, war die Großbaustelle am Fritz-MeyerWeg. Von 2010 an studierte er berufsbegleitend Management im Sozial- und Gesundheitswesen. „Wir machen gerne große Objekte“, erklärt er. Denn genau das sei nötig, um den Mitarbeitern ganzjährig feste Arbeitsplätze zu sichern und um auf dem privaten Markt zu überleben: „Wir haben Umsatzdruck, so wie alle.“ Bei den öffentlichen Ausschreibungen, bei den Aufträgen gelten für den Malerbetrieb der diakonia die gleichen Bedingungen wie für alle anderen Firmen. „Es fragt niemand nach den Behinderungen unserer Mitarbeiter. Wir wollen auch gar nicht, dass die Kunden das interessiert. Genau das ist Inklusion“, sagt Burkhardt. Lange Kundenliste Schwerpunkte des Fachbetriebs sind Malertätigkeiten bei Innenrenovierungen, Innenarbeiten in Neubauten sowie Fassaden- und Bodenbeschichtungen. Hinzu kommen unter anderem Tapezier-, Lackier- und Spachtelarbeiten und dekorative Maltechniken. Ein aktuelles großes Projekt und gutes Beispiel ist das künftige Bildungszentrum der Münchner Volkshochschule an der Einsteinstraße, das in diesem Jahr fertig gestellt wird. „Ein Riesenauftrag“, sagt Burkhardt und man sieht ihm die Freude darüber an. „Und eine fachlich anspruchsvolle Sache, bei der historische Gebäude und Neubauten miteinander verschmelzen.“ Die Liste wichtiger Aufträge Der diakonia Malerfachbetrieb hat Geschichten geschrieben. Vor allem die Geschichten von Menschen, die es trotz Widrigkeiten, trotz schwieriger Lebensumstände schaffen. Von Frauen und Männern, deren Potential oft unterschätzt wird. Die mehr Unterstützung als andere brauchen, um es zu entfalten. Die diakonia bietet genau diese Unterstützung und bildet aus. „Im Moment haben wir sieben Umschüler, die alle den Gesellenbrief bekommen werden“, berichtet Schmaler. So wie auch die vielen anderen Umschüler und Auszubildenden des Betriebs vor ihnen, für die sich damit gute Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgetan haben. Für die meisten, die in dem Betrieb der diakonia anfangen, geht der Weg weiter. Bestes Beispiel dafür ist Tamara Moser: Sie begann ihre Ausbildung als 18-Jährige und startete dann richtig durch. Heute ist sie 24, Malergesellin, Vorarbeiterin und besucht die Meisterschule. Künftig kann sie damit auch als Anleiterin tätig sein. „Sie hat bei uns richtig Gas gegeben“, sagt Burkhardt sichtlich stolz. 28 Beschäftigte hat der Malerfachbetrieb momentan: darunter Malermeister, Gesellinnen und Gesellen, Sozialpädagogen und Umschüler. Menschen, mit und ohne Handicap, die erfolgreich zusammenarbeiten. Letztlich sind es nicht nur die Zuverlässigkeit, Flexibilität und das Know-how, die den Betrieb erfolgreich machen, sondern der Teamgeist. Das große Zugehörigkeitsgefühl, das die Mitarbeitenden entwickeln. „Viele befanden sich in einem Strudel, aus dem sie sich bei uns befreien können“, sagt Burkhardt. „Sie wollen endlich irgendwo ankommen.“ Genau das gelingt. „Und es motiviert sie jeden Tag aufs Neue.“ Brigitta Wenninger Ein Eldorado für Leseratten Gleich am Eingang stehen die ersten. Neben der Kasse – nochmal ein ganzer Tisch voll. Im Regal am Fenster dann eine ganze Reihe. Unübersehbar: Die Bücher haben sich im kaufhaus an der Dachauer Straße ihren Platz erobert. Und auch in anderen diakonia-Läden laden sie die Kundschaft zum Schmökern und Kaufen ein. 2013 machte das kaufhaus mit ihnen etwa fünf Prozent seines Umsatzes; mittlerweile liegt der Anteil doppelt so hoch. Tendenz: steigend. Hinter dem Erfolg steht Thorsten von Eyb (3. v. l.) mit seinem Bücherteam – neun Leute, „mittlerweile gut eingespielt und motiviert“, sagt von Eyb. Täglich wühlen sie sich durch rund 1.000 Kilo an gespendeten Büchern. Etwa zwei Drittel werden als Altpapier aussortiert, weil sie zerlesen sind oder keine Nachfrage zu erwarten ist. Der Rest wandert in den Verkauf: Belletristik, Sachbücher, Ratgeber, Kochbücher, Kinderbücher. Schön geordnet nach Kategorien stehen sie in der Bücherabteilung im ersten Stock. Jedes Preisetikett ist mit Datum versehen. „Ladenhüter wollen wir hier nicht“, sagt von Eyb. Was länger als zwei Monate im Regal steht, fliegt wieder raus; Kinder- und Jugendbücher haben sogar nur einen Monat Bewährungszeit. Sonst würden sie der Bücherberge nicht mehr Herr. Gekauft wird viel, denn offen und luftig hat das Büchterteam die Regale aufgestellt. „Keine geschlossene Wand mehr wie früher“, sagt Thorsten von Eyb. Da ein Sofa mit Tischchen, dort ein Hocker zum gemütlichen Schmökern. Viele Kunden kommen regelmäßig, auch Händler sind darunter – auf der Suche nach verborgenen Schätzen. Doch die versuchen die Mitarbeiter schon beim Sortieren zu bergen: „Man braucht ein geschultes Auge“, sagt von Eyb. Hat jemand ein offensichtlich besseres Buch gefunden, wird das Internet zu Rate gezogen. Vieles landet schließlich im Raritäten-Regal – zu etwas höheren Preisen. Ansonsten ist das Preisgefüge einfach: 50 Cent pro Taschenbuch, ein Euro für Hardcover, 2,50 Euro für Bildbände. Trotz dieser relativ kleinen Beträge kommt einiges zusammen. Und es soll noch mehr werden. Eine Idee und ein Büro gibt es dafür bereits. Und rund 1.600 Bücher – die demnächst im Internet verkauft werden sollen. „Vor allem aktuelle Literatur eignet sich dafür“, erklärt Thorsten von Eyb. Und dann gibt es da noch die Verkäufe über ebay und die Bücheraktionen… Die Ideen gehen dem Bücherteam nicht so schnell aus. Der Nachschub auch nicht. Doris Richter / Foto: Oliver Bodmer Seite 4 Nr. 74 · 2016 Seit 20 Jahren steht die diakonia für das Anliegen der beruflichen Integration Diese Arbeit stiftet Sinn Wenn ein Mensch seine Arbeit verliert, verliert er nicht nur seine finanzielle Sicherheit: Ohne Arbeitsplatz fehlt die Struktur, das Gespräch mit den Kollegen, das Gefühl, gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun. „Wenn jemand aus dem Arbeitsprozess rausfällt, ist das ein großes Problem“, sagt Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission München. Ein Problem, das es zu lösen gilt. Seit Ende der 1970er-Jahre gehört Arbeitslosigkeit zu den größten sozialen Problemen in Deutschland. Auch die evangelische Kirche begann damals, sich mit dem Thema zu beschäftigen, und hatte vor allem die sozialen und psychischen Auswirkungen auf die Menschen im Blick. Seit 1994 steht Bauer an der Spitze der Inneren Mission; doch anders als andere Wohlfahrtsverbände hatte der kirchliche Wohlfahrtsverband noch keine nennenswerte Initiative für Langzeitarbeitslose. Um das zu ändern, wandte sich Bauer an Helmut Ruhwandl, den damaligen Münchner Stadtdekan. Ruhwandl hatte vorher bereits mit dem „Werkhof“ in Regensburg und später als Vorsitzender des Sozialen Beratungsdienstes im Hasenbergl Erfahrung mit Arbeitslosen gesammelt. Einmalige Kooperation Das Dekanat hatte damals gerade eine Erbschaft von gut 20.000 Mark erhalten – verbunden mit der Auflage, das Geld für soziale Zwecke einzusetzen. Auch aus der Weihnachtsspendenaktion der Inneren Mission war Geld für den Aufbau einer Beschäftigungsinitiative zusammengekommen. Somit standen also die 50.000 Mark zur Verfügung, die für die Gründung einer GmbH notwendig waren. 1996 entstand dann die diakonia als gemeinsame Beschäftigungsgesellschaft der Inneren Mission und des evangelischen Dekanatsbezirks München – eine bayernweit einmalige Kooperation zwischen Diakonie und Kirche. Jetzt feiert diakonia, die sich aus bescheidenen Anfängen mittlerweile zu einem mittelständischen Betrieb mit derzeit rund 420 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von knapp zehn Millionen Euro gemausert hat, ihren zwanzigsten Geburtstag. Stadtdekanin Barbara Kittelberger, die selber leidenschaftlich gerne schicke Sachen in den Secondhand-Läden ersteht, freut sich, dass die diakonia heute ein angesehener Partner mit klarem christlichen Profil auf dem Markt der beruflichen Integration und Beschäf- tigung in München ist. „Für mich bedeutet diese Kooperation von zwei Gesellschaftern, dass ich zwei Ansprechpartner habe, die sich verantwortlich fühlen und uns unterstützen“, sagt Dieter Sommer, der seit Anfang an Geschäftsführer der diakonia ist. Sommer war vorher Leiter des Beschäftigungsbetriebes des Diakonischen Werks Rosenheim. Für die diakonia musste er nun ein tragfähiges Konzept entwickeln, mit dem der Betrieb auch am Markt bestehen konnte: Weil ab Mitte der 1990er-Jahre nicht mehr viel finanzielle Unterstützung vom Staat für Beschäftigungsinitiativen zu erwarten war, musste – und muss – die diakonia einen großen Teil ihrer Mittel selbst erwirtschaften. Bereits Ende 1997 hatte der Betrieb 36 Arbeitsplätze in den Bereichen Verwaltung, mobile Hausmeisterei, EDV und Hausdienste. In den ersten Jahren bekam die diakonia von den Behörden vor allem Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zugewiesen, die durch eine befristete Maßnahme wieder auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet werden sollten. „Die Arbeitsplätze sollten möglichst realistisch und marktnah sein – ein Kriterium dafür war, damit Geld zu erwirtschaften“, erinnert sich Dietmar Janz an diese Zeit. Der Sozialpädagoge und bildende Künstler begann wenige Jahre nach der Gründung bei der diakonia zu arbeiten. Für Janz war der Spagat zwischen den Anforderungen des Marktes und den begrenzten Ressourcen seiner Mitarbeiter nicht immer einfach. „Das Geld kam mehr aus der Förderung als aus dem gewerblichen Bereich – aber im Alltag war der gewerbliche Bereich viel präsenter.“ Die mobile Hausmeisterei etwa erledigte vor allem Wohnungsrenovierungen, Kücheneinbauten und Umzüge von Sozialhilfeempfängern. Doch die Arbeiten waren für die ungelernten Kräfte zu komplex. So wandelte Janz die mobile Hausmeisterei von 2002 an zu einem Malerfachbetrieb um. Gewerbliche Erlöse kamen jetzt fast ausschließlich aus Arbeiten für private Haushalte, kleine und mittelständische Unternehmen und Wohnungsbaugesellschaften. Mehrere Secondhand-Läden Anfang der 2000er-Jahre hatte die diakonia bereits mehr als 100 Beschäftigte in 14 Betriebsbereichen. Neben dem Malerfachbetrieb ist vor allem das Gebrauchtwarenhaus eine Erfolgsgeschichte: 1999 in der Landshuter Allee eröff- net und 2011 an die Dachauer Straße umgezogen, bietet das Secondhand-Kaufhaus Möbel, Haushaltsgegenstände, Bücher und Kleidung an. Allesamt gespendete Sachen, die überprüft, repariert, gereinigt oder aufbereitet werden, bevor sie in den hellen und großzügigen Verkaufsräumen landen. Hier arbeiten Menschen als Verkäufer, Möbelpacker, Schreiner, Elektriker, Lageristen, Transporteure und Sortierer. Für Secondhand-Kleidung gibt es außerdem mehrere Läden in der Stadt. Hatte dieser Bereich ursprünglich nur acht Mitarbeiterinnen eine sinnvolle Beschäftigung geboten, so finden heute fast 200 hier eine Arbeit. 1998 wurde die TipTopBOX gegründet, ein Bereich, in dem bis heute leere Tonerkartuschen und Tintenpatronen gesammelt und recycelt werden. Gestalten statt zerstören Und auch die Hausdienste, heute diakonia inhouse, sind eine Erfolgsgeschichte: Hauswirtschafterinnen und -helferinnen kochen, reinigen und waschen mittlerweile in 18 Kindertagesstätten im Raum München. Günther Bauer von der Inneren Mission war es von Anfang an wichtig, in der diakonia konstruktive Tätigkeiten anzubieten. „Die Menschen sollen etwas gestalten und nichts zerstören – deshalb wollten wir zum Beispiel keine Abbrucharbeiten am Bau machen oder Arbeiten, bei denen Geräte in ihre Einzelteile zerlegt werden.“ Wertschätzung und Wertschöpfung gingen Hand in Hand, betont auch Stadtdekanin Kittelberger. diakonia stehe ein für Chancengerechtigkeit, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Nationalität, Religion oder Weltanschauung: „Die Botschaft der Nächstenliebe spornt an.“ Ein großer Einschnitt in der Geschichte der diakonia waren 2005 die Hartz IV-Reformen mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II. Sozialhilfe und Arbeitslosengeld wurden zusammengelegt, die Förderzuständigkeiten für die diakonia änderten sich stark. War es in den ersten zehn Jahren noch Priorität, Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln, verlagerte sich der Schwerpunkt nun darauf, in den eigenen Betrieben dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Denn statt arbeitsloser Fachkräfte kamen immer mehr Menschen, die so nachhaltig eingeschränkt waren, dass sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt chan- Die Mitarbeitenden in der TipTopBOX recyceln gebrauchte Tonerkartuschen. Fotos: Thorsten von Eyb, Gregor Bresser, Kurt Bauer, Archiv cenlos blieben, erinnert sich Dieter Sommer. „Gleichwohl haben sie alle ihre Potentiale.“ Um sie beschäftigen zu können, hatte sich die diakonia schon zu Beginn nicht nur als Beschäftigungs-, sondern auch als Integrationsbetrieb für Menschen mit Behinderungen anerkennen lassen, wodurch dauerhafte Arbeitsplätze gefördert werden können. „Dadurch geben wir einerseits den Menschen Sicherheit und stabilisieren andererseits auch unsere Betriebe, weil das Personal nicht mehr so oft wechselt, was natürlich auch für die Qualität der Arbeit gut ist“, erläutert Sommer. Nachteil eines Integrationsbetriebes ist es jedoch, dass die Menschen als Schwerbehinderte anerkannt werden müssen, um in den Genuss einer Förderung zu kommen. Viele Mitarbeitende fühlen sich dadurch abgestempelt – bekommen andererseits aber die Chance auf einen dauerhaften Arbeitsplatz. Wertschöpfende Arbeitsplätze Die dritte Beschäftigungsform, die die diakonia bietet, ist der Zuverdienst: Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung weniger als drei Stunden täglich arbeiten können, können hier einer Tätigkeit nachgehen und ihre Grundsicherung aufbessern. Durch die Einführung des Mindestlohns im vergangenen Jahr mussten die Konzepte allerdings grundlegend geändert werden, die diakonia-Filiale in Ebersberg wurde sogar geschlossen. Doch mittlerweile gibt es neue Strukturen für den Zuverdienst und auch in Ebersberg ist die diakonia mit dem Secondhand-Laden M7 wieder vertreten. Etwa 40 Prozent der Beschäftigten bei der diakonia haben eine psychische Erkrankung. „Anfangs hätte ich nicht gedacht, dass der Betrieb einen so hohen Anteil verkraftet“, sagt Geschäftsführer Sommer. Doch die Beschäftigten profitieren vor allem vom „Normalitätsprinzip“ der diakonia: „Wir leben bei uns einen ganz normalen betrieb- lichen Alltag, mit allen Rechten und Pflichten – und den notwendigen betrieblichen Toleranzen.“ Von dem Bestreben, möglichst wertschöpfende Arbeitsplätze zu schaffen, um die Beschäftigten zu fördern, und gleichzeitig mit den Produkten am Markt zu bestehen, profitieren auch die Menschen, die noch in der Phase der Ausbildung oder Umschulung sind. Seit 2006 bietet die diakonia in mittlerweile acht Ausbildungsberufen eine Umschulung für über 25-jährige Hartz IV-Empfänger an. Mehr als 80 Prozent der Umschüler haben seitdem erfolgreich ihren Abschluss gemacht. Die Ausbildungs- und Umschulungskonzepte der diakonia können in Zukunft auch verstärkt Flüchtlingen zugute kommen. „Es kommen immer mehr Menschen zu uns, obwohl wir eigentlich gar nicht weiter wachsen wollen“, sagt Geschäftsführer Dieter Sommer. Es sei deshalb besonders wichtig, bei der öffentlichen Finanzierung auf mehreren Säulen zu stehen und gleichzeitig den Markt nicht aus den Augen zu verlieren. Vor allem im Bereich der Altkleidersammlung und -aufbereitung sieht Sommer die diakonia als Spezialistin; seit 2014 beliefert sie die Kleiderkammer für Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne. Der Textilbereich ist schon seit einigen Jahren der am stärksten wachsende Betrieb der diakonia. Arbeit löst viele Probleme Günther Bauer wünscht sich für die Zukunft jedenfalls mehr öffentliche Unterstützung. Gerade in Zeiten, in denen nahezu Vollbeschäftigung herrscht, dürfe man die Menschen nicht aus den Augen verlieren, die auf dem Ersten Arbeitsmarkt nicht bestehen könnten. „Es ist für einen Menschen substantiell wichtig, Arbeit zu haben“, sagt auch Dieter Sommer. „Wenn jemand sein berufliches Auskommen hat, lösen sich viele soziale und gesundheitliche Probleme – oder es kommt erst gar nicht dazu.“ Imke Plesch Nr. 74 · 2016 Seite 5 Mohammed Abas musste vor dem Terror im Irak fliehen – und fand bei der diakonia eine neue Arbeit Weg aus der Sackgasse „Es ist eine gute Arbeit“, sagt Mohammed Abas. Er steht vor einem großen Tisch und packt vorsichtig in Papier eingewickelte Vasen in einen Karton. In der Spendenannahme der diakonia hat der 43-Jährige nach langer Durststrecke wieder einen Job gefunden. Er ist darüber so dankbar, dass er es kaum in Worte fassen kann. Denn hinter ihm liegt ein steiniger Weg. Ein Weg, der zur Sackgasse zu werden drohte. Vor genau neun Jahren war es, als alles zerbrach: Die Familie von Mohammed Abas betreibt im Irak ein Fotogeschäft und irgendwann kommt der anonyme Anruf. Eine Stimme sagt, dass Fotografie „haram“ sei. Ein arabischer Begriff für alles, was im Islam nach der Scharia verboten ist. Mohammed und sein Vater halten das zunächst für einen schlechten Scherz. Doch dann kommen Morddrohungen per Brief. Vor dem Laden sehen sie Männer, die die Familie vom Auto aus beobachten. Mohammed flieht in die Türkei, holt zehn Tage später seine Familie nach. Doch auch dort legt sich die Angst nicht. Dann trifft er Menschen, die ihm anbieten, ihn für Geld aus dem Land zu bringen. Schließlich steigen er, seine Frau und seine Kinder in einen Transporter, rund 48 Stunden dauert die Fahrt. Als sie aussteigen dürfen, weiß die Familie zunächst nicht, wo sie ist. „Ihr seid in Deutschland“, sagt jemand. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Mohammed Abas noch nicht, wie schwer es werden würde. Zwar findet er irgendwann bei einer Firma einen Job. Doch dort wird er – obwohl es gut läuft – nicht weiterbe- schäftigt. Seine Frau versucht, ihm mit einem kurdischen Sprichwort Mut zu machen: „Eine Tür schließt sich, hundert andere gehen auf.“ Mohammed bemüht sich, sucht weiter, sitzt jede Woche bei seiner Sachbearbeiterin im Sozialamt. Doch es tut sich nichts. Fünf Jahre lang ist er arbeitslos. „Ich habe mich gefühlt wie ein Fisch, den man aus dem Wasser genommen er Straße zu arbeiten. Seit einem Jahr ist er dort fest angestellt. „Ich bin für die Hausratssortierung zuständig“, sagt er stolz. Sein Job bei der diakonia, die Unterstützung, das Verständnis, das er dort erfährt – all das schenkt Mohammed Abas Kraft. „Sie sind alle so nett hier, sie helfen mir“, erzählt er. Als im November 2015 sein Vater im Irak stirbt, wendet er sich an seine Vorarbeiterin Martina Wagner, die sich für ihn einsetzt. „Ich konnte dann in den Irak fahren“, berichtet Abas. Er gibt sich Mühe, hängt sich rein. Für sich selbst und für die Kampf gegen überbordende Bürokratie Seit 1977 gibt es das Münchner Arbeitslosenzentrum (MALZ); die Innere Mission rief die Beratungseinrichtung ins Leben, seit 2002 gehört sie zur diakonia. Die Sozialpädagoginnen Irmgard Ernst (Foto) und Julia Klesper kennen wie kaum jemand die Sorgen und Nöte der Arbeitslosen; täglich kommen etwa bis zu zehn Anfragen von Menschen, die Hilfe und Rat suchen. Mit der Bereichsleitung Irmgard Ernst sprach Klaus Honigschnabel. ? ! Mohammed Abas floh aus dem Irak. Bei der diakonia hat er eine sinnvolle Arbeit gefunden. Foto: Brigitta Wenninger hat“, erzählt er. Er kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen. Vor zwei Jahren empfiehlt ihm seine Sachbearbeiterin, Kontakt mit der diakonia aufzunehmen. „Das ist eine gute Chance“, sagt sie ihm. Sie hat Recht. Abas beginnt zunächst, als Ein-Euro-Jobber in der Spendenannahme an der Dachau- Spendenannahme. „Mohammed ist sehr gewissenhaft“, lobt Wagner. Er habe inzwischen viel Erfahrung, treffe eigene Entscheidungen. „Ein super Mitarbeiter, wir sind froh, dass wir ihn haben“, sagt sie. Für sie ist das „die beste Form der Integration“. Brigitta Wenninger diakonia inhouse: Aus- und Weiterbildungsangebote sind für Mitarbeitende ein Gewinn „Wie ein Sechser im Lotto“ Melek Gecin ist die gute Seele in der Küche der Kindertagesstätte Neuhausen. Sie arbeitet mit einem fünfköpfigen Team, das sich um die Komplettversorgung der kleinen Krippenbesucher kümmert. Melek Gecin liebt ihre Arbeit, doch der Einstieg ins Berufsleben war alles andere als leicht. Mit 26 Jahren übersiedelte die gebürtige Türkin nach Deutschland – ohne Deutschkenntnisse und ohne Ausbildung. Drei Jahre lang suchte sie vergeblich eine Arbeitsstelle, dann bekam sie vom Jobcenter ein Angebot von diakonia inhouse. Zunächst arbeitete sie als Hauswirtschaftshelferin im Treffpunkt Familie International der Inneren Mission im Westend. „Es war das erste Mal, dass ich mein eigenes Geld verdient habe“, erinnert sich die 43-Jährige. Danach wechselte sie in die hauseigene Kantine der diakonia, später in die Kinderkrippe Giesing und seit vielen Jahren arbeitet sie nun in der Kita in Neuhausen. Die Arbeit selbst fiel ihr nie schwer: „Von klein auf kenne ich die Aufgaben in einem Haushalt.“ Das Problem war vielmehr die Seismograph der Gesellschaft: Die Mitarbeitenden im MALZ wissen, wo Arbeitslose der Schuh drückt deutsche Sprache. „Ich musste alles neu lernen; das ist mir nicht leicht gefallen.“ Das Sprachproblem ist heute passé. Nach erfolgreichen Kursen bei diakonia spricht sie inzwischen fließend Deutsch – mit charmantem Akzent. Mit Bravour bestanden „Meine Vorgesetzten haben mir immer Zeit gelassen, mich zu entwickeln. Das ist nicht selbstverständlich.“ Melek Gecin hat ihre Chance genutzt. Mit Hilfe der zertifizierten Qualibausteine hat sie ihre Kenntnisse in der Hauswirtschaft für Kitas kontinuierlich erweitert. In acht Kursen hat sie alles Sabine Keßler hat dank diakonia eine Arbeit gefunden. Foto: Katja Pfeifer Wissenswerte über Ernährung, Arbeitsschutz, Hygiene, Arbeitsorganisation und Textilkunde gelernt – und jede Abschlussprüfung mit Bravour bestanden. Auch Sabine Keßler nutzte ihre Chance: Im Juli 2010 bestand sie die Externenprüfung zur Hauswirtschafterin. Für die 48-Jährige war das kein Problem, schließlich hatte sie lange als Hauswirtschaftshelferin in Kantinen und Altenheimen gearbeitet. Nachdem ihre Kinder erwachsen waren, wurde der Wunsch nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung immer größer. „Das Jobcenter konnte mir nur Seminare anbieten, deshalb habe ich mich im Internet selbst nach einer Ausbildungsmöglichkeit umgeschaut und diakonia inhouse gefunden“, erinnert sie sich. Die Initiativbewerbung hat gefruchtet, seit sechs Jahren kümmert sie sich nun um die RundumVersorgung in Kitas. Nach erfolgreichem Abschluss wurde Sabine Keßler im September 2010 als Hauswirtschafterin von diakonia inhouse übernommen: „diakonia ist für mich wie ein Sechser im Lotto.“ Katja Pfeifer Was sind die Hauptsorgen, mit denen die Leute zu Ihnen in die Beratungen kommen? Grundsätzlich brauchen alle unsere Unterstützung bei der Jobsuche und beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen. Dazu kommen Fragen nach beruflichen Perspektiven oder einer Neuorientierung. Ein weiterer Punkt sind arbeitsrechtliche Probleme, etwa bei ungerechtfertigter oder fristloser Kündigung sowie bei Lohnrückständen. Oft müssen wir auch die Informationen geben, die eigentlich die Mitarbeiter im Jobcenter leisten sollten. Wir helfen dann, die Anträge auszufüllen und erklären die meist schwer verständlichen Bescheide der Behörde. Manchmal sehen wir auch, dass sie fehlerhaft sind, etwa weil die Sachbearbeiter dort einfach überlastet sind. Nicht selten erhält ein Klient monatelang falsche Bescheide. Mal wird zu wenig ausbezahlt, mal zu viel. So kann es vorkommen, dass er dann plötzlich eine Nachberechnung kriegt mit enorm hohen Rückforderungen, obwohl er selbstverständlich den bisherigen Bescheiden der Behörde vertraut hatte. Die Folge sind dann existentielle Notlagen. Immer mehr Menschen, die zu uns kommen, müssen mit Mitteln auskommen, die ihnen nur ein Leben unter dem Existenzminimum erlauben. Ich finde das beschämend; Deutschland ist schließlich eines der reichsten Länder der Welt. Und dann wird da behördlicherseits regelrecht Armut produziert. Die Menschen sind oft verzweifelt. ? ! In welchen Fällen können Sie helfen, in welchen nicht? In den meisten Fällen können wir Gott sei Dank helfen: etwa wenn es darum geht, die Bewerbungsunterlagen optimal zusammenzustellen. Da helfen einer unserer Mitarbeitenden und ein ehrenamtlicher Jobcoach. Beide haben darin unendlich viel Erfahrung. Wenn es arbeitsrechtliche Probleme gibt, dann kommen neben uns hauptamtlichen Beraterinnen die Anwälte ins Spiel, die jeden Mittwoch ehrenamtlich eine Spezialberatung anbieten. Wenn es Probleme mit Behörden oder dem Jobcenter gibt, greifen wir auch schon mal zum Telefon und rufen den zuständigen Vermittler – oder den Vorgesetzten – direkt an. Das wirkt manchmal Wunder. Und wenn nicht, dann formulieren wir einen Widerspruch gegen einen Bescheid, in der Regel mit Erfolg. Nicht helfen können wir, wenn das Problem durch das Gesetz selber oder durch die bürokratischen Vorgaben verursacht wird. Die Hartz-Gesetze sind ja da sehr hart und bieten dem Staat wesentlich mehr Möglichkeiten, die Bezüge eines Arbeitslosen bis zum sozialrechtlichen Minimum zu kürzen – schon beim geringsten Anlass. ? Seit gut zehn Jahren gibt es ja die Hartz IV-Gesetze. Was hat sich durch diese bei Ihrer Beratungstätigkeit geändert? Der Unterschied zwischen Arbeitslosenhilfe und dem Arbeitslosengeld II, das Hartz IV-Empfänger bekommen, ist schon im zugrunde liegenden Ansatz sichtbar: Früher stand die Arbeitslosigkeit und deren Abhilfe im Mittelpunkt. Das Problem war die Sachlage, sprich die akute Arbeitslosigkeit, und nicht der Mensch. Entsprechend war die zuständige Behörde die Arbeitsagentur. Nun begreift sich das Jobcenter als allumfassende Behörde, die den Arbeitslosen und seine Familie als Ganzes im Auge hat. Nicht selten greift sie mit ihren Maßnahmen in die Privatsphäre der Menschen ein. Jetzt ist der Antragsteller – und dessen gesamte Familie – das Problem. Aus unserer Sicht hat mit dem Gesetz eine überbordende Bürokratie Einzug gehalten. Das beginnt mit seitenlangen Anträgen; auch die Leistungsbescheide sind für einen Laien kaum zu verstehen. Zudem sind die Sachbearbeiter mit den komplizierten Computerprogrammen und den hohen Fallzahlen schlichtweg überfordert. ! Als sehr entwürdigend erleben es vor allem ältere Arbeitslose mit einer langen Erwerbsbiographie, dass der Regelsatz, den sie erhalten, sich jetzt an der Sozialhilfe orientiert. Hartz IV kam ja mit dem Schlagwort vom „Fordern und Fördern“ daher; die Umsetzung ist jedoch recht einseitig. Denn das Fördern geschieht häufig nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage: Die Jobcenter kaufen im großen Stil Maßnahmen ein, die dann mit ALG II-Empfängern aufgefüllt werden müssen, egal, ob das für die passt oder nicht. Von den ursprünglich angekündigten passgenauen Weiterbildungsmaßnahmen bekommen wir eher selten zu hören. Manche Fehlentscheidung können wir korrigieren. Nicht zuletzt aufgrund der guten Kontakte zur Leitungsebene laufen die Gespräche mit dem Münchner Jobcenter meist sehr gut und konstruktiv. Seite 6 Nr. 74 · 2016 Olena Kuznetsova hat trotz ihres Handicaps einen Job gefunden Selbstbewusstsein lernen im geschützten Raum „Wenn man keine Arbeit hat, hat man keine Sicherheit“, sagt Olena Kuznetsova. Eine belastende Situation, die sie selbst erlebt hat. Eine Situation, die Ängste verursacht. Jeden Tag aufs Neue: „Weil man nie weiß, was morgen kommt.“ Doch heute ist alles anders; die Unsicherheit ist Vergangenheit: Die 41-Jährige hat eine Festanstellung bei der diakonia. Sie ist als Vorarbeiterin in der Textilsortierung am Stahlgruberring tätig. Und fühlt sich dort mehr als wohl. Ein großer grauer Wagen rollt heran, randvoll mit Kleidung. Alles kunterbunt zusammengewürfelt: Hosen, Blusen, Kleider in allen Mustern und Größen. Alles Sachen, die Menschen der diakonia gespendet haben. Olena Kuznetsova fischt ein Teil nach dem anderen heraus, nimmt es genau unter die Lupe, legt die Stücke in verschiedene Kartons. Sie sortiert die Spenden für den späteren Verkauf in einem der Secondhand-Läden der diakonia. „Je nach Marke, Stil und Farbe“, erklärt sie. Zum Beispiel für das Secondhand-Kaufhaus in der Dachauer Straße oder für die Boutique kleidsam in der Blutenburgstraße. wechselte sie in die Textilsortierung. „Dort gefiel es mir von Anfang an besonders gut“, sagt sie. Ein Glücksfall für die gebürtige Ukrainerin. Denn auf dem Ersten Arbeitsmarkt hat sie kaum eine Chance. Olena Kuznetsova ist seit einer schweren Krankheit schwerbehindert. Als junge Frau absolvierte sie noch eine Ausbildung als Bankkauffrau, fand danach aber keine Festanstellung und schlug sich mit verschiedenen Jobs durch. Doch es wurde immer schwieriger. Als sie 30 war, verließ sie die Ukraine. „Ich wollte in Deutschland endlich richtig arbeiten.“ Vor allem auch, weil sie ihre Mutter finanziell unterstützen wollte. „Denn die hat fast nichts zum Leben.“ Genau das kann Olena Kuznetsova nun. „Das ist eine große Erleichterung“, sagt sie. Und ein gutes Gefühl. Die Arbeit macht ihr Spaß, der Kontakt zu den Kolleginnen auch. „Auch weil ich dadurch besser Deutsch gelernt habe.“ Und noch etwas hat sie gelernt: Selbstbewusstsein. „Olena ist bei uns richtig aufgeblüht“, lobt Nicole Bößl, die Leiterin der Textilsortierung. Wie für viele andere Menschen mit Handicap bildet für Kuznetsova diese besondere Arbeitsstätte einen geschützten Raum, in dem sie ihre Fähigkeiten optimal entfalten kann – ohne Druck. „Wir gehen auf die Menschen ein, nehmen Rücksicht“, berichtet Bößl. Das motiviert auch Olena Kuznetsova. Es gibt ihr die Sicherheit, die sie lange vermisst hat. Weil sie nun jeden Tag zeigen darf, was in ihr steckt. Und weil auch das Team ihr das Gefühl gibt, gebraucht zu werden. Für sie ist jedenfalls klar: „Hier möchte ich bleiben.“ Brigitta Wenninger Eine große Erleichterung Olena Kuznetsova stieg mit Mitte 30 zunächst als Ein-Euro-Jobberin bei der diakonia ein. „Meine Sachbearbeiterin im Jobcenter hatte mir das empfohlen“, erzählt sie. „Ich dachte, ich probiere es. Und es hat mir gleich gefallen.“ Zunächst arbeitete sie in der früheren Spendenannahme an der Landshuter Allee, später dann zwei Jahre im kleidsam-Laden. Im Januar 2015 Die Textilsortierung der diakonia kann laufend Nachschub gebrauchen „Wir bekommen selten genug“ Die Menge der Kleiderspenden, die im vergangenen Jahr bei den Annahmestellen der diakonia in der Dachauer Straße und am Stahlgruberring abgegeben wurde, war enorm. Sie entsprach der großen Hilfsbereitschaft der Münchner, als die Zahl ankommender Flüchtlinge in der Landeshauptstadt besonders hoch war. „In den Herbstmonaten war es extrem, da kamen an manchen Tagen bis zu 20 Tonnen Kleidung zusammen“, erzählt Nicole Bößl, die Leiterin der Textilsortierung im Moosfeld. Inzwischen hat sich die Menge wieder auf das Normalmaß eingependelt: acht Tonnen täglich. Etwa ein Lastwagen voll. Dirndl und Hochzeitskleider Die Ukrainerin Olena Kuznetsova kann bei der Kleidersortierung jeden Tag zeigen, was in ihr steckt. Foto: Brigitta Wenninger Kuriositäten-Kabinett: Was sonst noch alles in den Containern der diakonia landet Schlüssel, Strafzettel und Schmusetiere Schlüssel, Geldbörsen, Fahrzeugpapiere, Lieblings-T-Shirts und Kuscheltiere – all das haben Thomas Rosenberger (48) und seine Kollegen schon aus den rund 100 Textilcontainern gefischt, die der Sozialbetrieb diakonia in München, Mühldorf, Ebersberg und Rosenheim aufgestellt hat, um Spenden für seine Kleiderkammern, Secondhand-Läden und die Flüchtlingshilfe zu sammeln. Auch Bargeld haben sie bereits gefunden. In der Sortierstelle am Moosfeld entdeckten die diakoniaMitarbeiter erst Ende vergangenen Jahres rund 1.500 Euro in einer Kleiderspende. „Da war sogar eine Adresse dabei: auf einem Kontoauszug aus den 1990ern“, erzählt Rosenberger. Allerdings habe man den Besitzer des Geldes dort nicht mehr finden können und die Scheine letztendlich der Polizei übergeben. Etwa ein bis zwei Mal pro Monat müssen Rosenberger und sein Team ausrücken, weil etwas im Container gelandet ist, das nicht als Spende gedacht war: Mal Viviana Quintero hat die Zettel für die Kleiderausgabe in unterschiedlichen Farben gestaltet: Damit die richtige Ware in die richtigen Hände kommt. Foto: Oliver Bodmer rutscht ein Schlüssel beim Einwerfen mit in den Behälter, mal die Geldbörse. Manchmal steckt der Fahrzeugschein noch in der Hose, die weitergegeben wird – oder das Handy. „Dann trifft man sich am Textilcontainer, sperrt auf und sucht. Wenn es gerade erst passiert ist, liegen die Sachen ja meist noch ganz oben.“ Besonders häufig bitten Eltern um Hilfe, die beim Ausmisten das Lieblings-Kleidungsstück oder -Kuscheltier ihres Kindes ausrangiert haben. Bricht der Nachwuchs in Tränen aus, muss das gute Stück irgendwie zurückgeholt werden – oft ist dann Thomas Rosenberger der Retter in der Not. Einmal habe eine Frau nach der Trennung sämtliche Kleidung ihres Lebensgefährten im Container entsorgt, sagt Rosenberger. Das Ärgerliche daran sei gewesen, dass der Mann den Behälter aufgebrochen habe, um seine Sachen zurückzuholen. „Und wir hatten weder Name noch Nummer von ihm.“ In einem anderen Fall hatte das Team Glück: Jemand hatte seinen Hausmüll im Spendenbehälter entsorgt – samt Strafzettel und einem Schreiben von der Polizei. So konnte der Betreffende gefunden und belangt werden. Natalie Kettinger / Abendzeitung Kinder im Container? Das kam bislang Gott sei Dank noch nicht vor... Foto: Archiv Seit April vergangenen Jahres – also gerade rechtzeitig vor der Spendenwelle – befindet sich die Textilsortierung der diakonia am Stahlgruberring 8 im Moosfeld; vorher war sie in der Dachauer Straße untergebracht. „Hier steht uns deutlich mehr Platz zur Verfügung“, sagt Bößl. Rund 30 Menschen sind in der Textilsortierung beschäftigt. Die meisten sind Frauen, aber auch einige Männer sind darunter: „Mode ist eben eher ein Thema, das Frauen interessiert.“ Für die meisten von ihnen bietet die Textilsortierung zudem die Möglichkeit, trotz eines Handicaps wieder im Berufsleben Fuß zu fassen (siehe auch Berichte Seite 5 und 7). Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen jedes einzelne Kleidungsstück und Accessoire in Augenschein und entscheiden dann, was damit passiert: Ob damit Flüchtlinge versorgt werden, ob eine der beiden Kleiderkammern oder eines der SecondhandGeschäfte der diakonia das Ziel ist, wo Menschen dann für wenig Geld die passende Kleidung erstehen können. Außer die Spende ist von vorneherein für einen bestimmten Zweck bestimmt. Vom Dirndl bis zum Hochzeitskleid – es gibt nichts, was nicht in der Textilsortierung landet. Leider sind es manchmal auch Dinge, die dort nicht hingehören. Kleidungsstücke, die völlig verdreckt oder kaputt sind, zum Beispiel. Oder Sachen, die mit Kleidung überhaupt nichts zu tun haben. „Tüten mit vollen Windeln waren auch schon dabei“, berichtet Nicole Bößl. Die Leiterin der Textilsortierung kennt auch die schwierigen Phasen ihres Geschäfts. „Etwa wenn eine Zeitlang überhaupt keine guten Sachen kommen.“ Eine Frage der Würde Manchmal beschleicht ihr Team dann auch das Gefühl, dass es gar nicht darum geht, zu spenden, sondern nur darum, überflüssige und unbrauchbare Dinge auf dem kürzesten Weg zu entsorgen. „Das ist dann auch frustrierend für unsere Leute.“ Und es widerspricht der Philosophie der diakonia: „Es geht um Würde. Darum, dass Menschen in Not nicht auch noch schäbige Kleidung tragen müssen, sondern schöne Sachen bekommen“, sagt Bößl. Und schöne Sachen sind fast immer darunter. Manchmal sogar neu und originalverpackt. Auch gut erhaltene Markenstücke und Designerteile fischen die Frauen manchmal aus den Tüten. Doch oft kommt das nicht vor. Was Bößl auffällt: „Die Ware wird qualitativ immer schlechter.“ Seit etwa fünf Jahren stellt sie einen gewissen Wandel fest: „Offenbar versuchen immer mehr Menschen, ihre Kleidung noch irgendwie zu Geld zu machen.“ Zum Beispiel auf einem der vielen Flohmärkte oder durch den Verkauf über das Internet. „Außerdem wird Kleidung wohl länger getragen als früher“, sagt Bößl. Das gilt vor allem für Männer. Nur etwa fünf Prozent der gesamten Sammelmenge entfällt auf Herrenbekleidung. Herrensachen dringend gesucht Gleichzeitig steigt der Bedarf an gespendeter Kleidung. „Wir bekommen selten genug rein“, sagt die Chefin der Textilsortierung. Dringend benötigt werde zum Beispiel auch immer Herrenkleidung in Größe S oder Kinderkleidung. Das geänderte Spendenverhalten spiegelt sich in dem Lager wider. Früher war das manchmal regelrecht mit Damenkleidung vollgestopft. „Jetzt kommt die Ware rein, wird sortiert und praktisch sofort wieder abgegeben.“ Brigitta Wenninger Nr. 74 · 2016 Seite 7 Petra Zammert arbeitet seit zwölf Jahren in der Secondhand-Boutique in der Blutenburgstraße sortierung mit an, arbeitete als Hausmeister und Fahrer. „Wegen Asthmaproblemen konnte ich später aber nur noch leichtere Tätigkeiten machen.“ Also putzte er Schuhe, bis sich 2014 sein Traum erfüllte. Seitdem macht Peter Kuhn das, was er schon immer machen wollte: Er repariert Uhren. Armbanduhren, Wanduhren, Tischuhren, Wecker – eben all das, was Menschen bei der diakonia abgeben. „Ich habe mein Herz ans kleidsam verloren“ Petra Zammert ist angekommen. Sie ist dort, wo sie immer sein wollte und wo sie ihre Stärken ausspielen kann. Nach einer langen, zermürbenden Phase der Arbeitslosigkeit fand sie vor zwölf Jahren bei der diakonia endlich ihren Traumjob: als Verkäuferin im Secondhand-Geschäft kleidsam in der Blutenburgstraße. Ihr bedeutet das unendlich viel: „Damals fing ich an, wieder glücklich zu sein“, sagt sie und strahlt. Genauso strahlt Petra Zammert, wenn sie im kleidsam steht. Begrüßt so auch die Kundinnen, die in das Geschäft kommen, um sich umzusehen, um etwas Schickes zu kaufen. Ein freundlicher offener Blick aus blauen Augen. Ihre Herzlichkeit ist ansteckend. Jahrelang hatte Petra Zammert sich nicht wohlgefühlt: Sie hatte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau abgeschlossen, doch danach lief es nicht mehr rund. Sie wurde nicht übernommen und kam dadurch in eine persönlich immer schwieriger werdende Situation. Eine Situation, gegen die sie trotz allem ankämpfte. Sie bemühte sich, verschickte eine Bewerbung nach der anderen. „Leider ohne Erfolg.“ Doch dann kam der Lichtblick.“ Petra Zammert ist 34, als sie von In dem Geschäft in Neuhausen und dem dahinterliegenden „Second Hand im Gartenhaus“ wird hochwertige gebrauchte Damenmode zu erschwinglichen Preisen angeboten. Alles stammt aus Spenden, Nachschub kommt mal mehr, mal weniger. Es ist alles dabei: Designer- und Markenmode, Kleidungsstücke fürs Büro, für die Freizeit, Abendroben, Brautkleider, Dirndl, Accessoires, Taschen, Schuhe und Schmuck. Für Petra Zammert das ideale Umfeld: „Mit Farben und Formen umzugehen, das hat mir schon immer gefallen“, sagt sie. Ruhige Hand und genaues Auge Batterien wechseln, Rädchen reparieren, bis alles wieder richtig tickt: Geht nicht, gibts nicht für Peter Kuhn. Foto: Brigitta Wenninger Erste Liga im Einzelhandel Das kleidsam hatte damals gerade erst neu eröffnet. Eine spannende Phase – für alle Beteiligten. „Es war ein schönes Gefühl, etwas mit aufbauen zu dürfen“, erinnert sich die 46-Jährige. Schön ist seitdem auch das Gefühl, wenn jemand sie fragt, welchen Beruf sie hat. „Ich arbeite bei kleidsam, das ist eine Boutique“, antwortet sie dann. Die Idee, ein Secondhand-Geschäft zu gründen, in dem Langzeitarbeitslose und Menschen in schwierigen Lebenssituationen wieder eine Perspektive finden, sei an- Peter Kuhn hat bei der diakonia seinen Beruf gefunden – oder besser: seine Berufung Er hat an der Uhr gedreht Was verbirgt sich in einer Uhr? Wie funktioniert sie? Diese Fragen haben Peter Kuhn schon als Kind fasziniert und nie losgelassen. Bereits als 10-Jähriger versuchte er, hinter das Geheimnis unter den Zifferblättern zu kommen. Seit 43 Jahren sind Uhren sein Hobby. Heute ist er 61 und arbeitet für diakonia secondhand an der Dachauer Straße. In seiner kleinen Werkstatt nimmt er gespendete Uhren unter die Lupe und bringt sie fachmännisch wieder auf Vordermann und zum Laufen. Ziemlich geschimpft hat sein Vater jedes Mal, erinnert er sich, wenn er als Bub wieder einmal eine Armbanduhr auseinandergenommen hatte. Doch der Tadel nützte nichts, die Neugier war größer. Immer wieder nahm er die Abdeckungen ab, um herauszufinden, was die Zeiger bewegt. Er baute Uhrwerke auseinander und wieder zusammen. „Oft waren die Uhren danach kaputt“, erzählt er und lächelt. Doch die Erfahrung wuchs, er probierte aus und lernte. Eine Uhrmacherlehre wäre sein Traum gewesen. Doch es klappte nicht. Kuhn ist hörgeschädigt, als Kind besuchte er eine Sprachheilschule. „Ich habe keine Ausbildung“, erzählt er. Er machte verschiedene Praktika, jobbte fast 25 Jahre lang als Lagerarbeiter, wurde arbeitslos. Und kam dann zur diakonia. Neun Jahre ist das her. Er begann dort – damals noch in der Landshuter Allee – als Ein-EuroJobber, wurde dann fest angestellt. Endlich Beständigkeit im Leben. Peter Kuhn packte in der Spenden- Vorsichtig öffnet er mit einem Messer den Deckel an der Rückseite einer Armbanduhr. Nimmt das Uhrwerk unter die Lupe. Wie der Mechanismus darin funktioniert, wie die kleinen Rädchen ineinandergreifen, das weiß Kuhn genau. Mit einer guten Lupe, feinen Pinzetten und Schraubenziehern sowie anderem Spezialwerkzeug beginnt er, die Uhr zu zerlegen. Millimeterarbeit, die eine ruhige Hand und ein genaues Auge erfordert. Mal hat sich Rost angesetzt, mal ist nur die Batterie leer. Ist etwas defekt, kann Kuhn es reparieren oder austauschen, in seinem Lager hat er Tausende von Ersatzteilen – vom Armband bis zum Sekundenzeiger. Müssen die Uhren gereinigt werden, legt er sie in ein spezielles Spülmittel. Lässt sie danach trocknen, schraubt, poliert und ölt. „Ich kann alles machen“, sagt er stolz. Fast alle Uhren bringt Kuhn in der Werkstatt der diakonia mit viel Geschick und Erfahrung wieder zum Ticken und zum Glänzen. Zu kaufen gibt es die kleinen Schmuckstücke in den SecondhandGeschäften der diakonia. Meist geht es schnell, bis sich jemand in ein Stück verliebt und es haben will. „Kaum sind sie dort, schon kauft sie jemand; oft dauert es nicht einmal eine Stunde“, erzählt Kuhn – und man sieht ihm seine Freude an. Für den Uhrenliebhaber ein Kompliment. Und die schönste Form der Anerkennung für seine gute Arbeit. Brigitta Wenninger Beim diakonia kaufhaus secondhand gibt es solche Kunden und solche Wilde Geschichten aus dem Alltag Wink von oben: Petra Zammert hat im kleidsam in der Blutenburgstraße in den vergangenen zwölf Jahren viel Aufbauarbeit geleistet. Foto: Brigitta Wenninger der diakonia hört. Sie reagiert sofort und ruft an; kurz danach hat sie ein Vorstellungsgespräch. „Es war das erste seit langer Zeit, das richtig gut lief.“ Plötzlich ist die Hoffnung wieder da. „Ich hatte einfach irgendwie gleich von Anfang an das Gefühl, dass das etwas für mich sein könnte.“ Und genau so war es dann auch. Beim Probearbeiten zeigt Petra Zammert, dass sie fleißig und zuverlässig ist und anpacken kann. Und bekommt kurz danach die Zusage. Das war 2004. Drei Stunden pro Tag arbeitet Petra Zammert im kleidsam. Kümmert sich um den Warenlauf, zeichnet Kleidungsstücke aus, berät Kundinnen. Sie fühlt sich geborgen, gut aufgehoben im Team. fangs belächelt worden, erzählt Julia Boiger, Betriebsleiterin Einzelhandel bei der diakonia. „Viele dachten, dass das nicht klappt“, sagt sie. Von wegen: Es klappte hervorragend. Das Geschäft expandiert seit der Eröffnung stetig. „Heute spielen wir mit dem normalen Einzelhandel in der ersten Liga.“ Auch Petra Zammert ist das bewusst. Sie weiß, dass sie das lebende Beispiel dafür ist, dass die Zweifler und Kritiker damals Unrecht hatten. „Dass so etwas sehr wohl geht, sieht man ja an mir“, sagt sie und lächelt froh. „Und ein Wink von oben war es auch.“ Letztlich ist das hier für sie mehr als nur ein Job: „Ich habe mein Herz ans kleidsam verloren.“ Brigitta Wenninger Wenn man nur lange genug im diakonia kaufhaus secondhand arbeitet, hat man irgendwann genug wilde Geschichten erlebt, um ein ganzes Buch zu schreiben. Hier nun ein paar Highlights der vergangenen fünf Jahre. Ob mit dem Feuerwehrauto, einem Leichenwagen oder einem 30Tonnen-LKW: Es gibt viele Möglichkeiten, um bei uns die soeben günstig erstandenen Möbel abzutransportieren. Das in Einzelteile zerlegte Bett aufs blanke Autodach gebunden, die Stricke durch die Fenster und dann durch den Kofferraum hineingeklettert, auch das geht irgendwie. Oder man zersägt sündhaft teure antike Tische zu Brennholz, damit sie in den Kleinwagen passen. Man kann Stühle auf dem Rücksitz des Cabrios etwa vier Meter hoch stapeln. Oder sich eine siebzig Kilogramm schwere Nähmaschine mit Stricken auf den Rücken binden und nach Hause schleppen. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, man kann sich irgendwie selbst helfen. Rollschuhe unter die soeben erstandene Couch gelegt, um sie nach Hause zu schieben – auch kein Problem. Oder man lässt die 85-jährige Oma einfach für drei Stunden hier bei uns sitzen, weil nach dem Einkauf im Fahrzeug kein Platz mehr ist. Wir haben der alten Dame dann einen Kaffee und ein Glas Wasser angeboten und ein paar Sachen zum Lesen. Wir haben ja alles da. Mit dem Auto in die Scheibe Aber es gibt noch ganz andere Methoden, um uns Verkäufer aufs Heftigste zu unterhalten. Man kann zum Beispiel versuchen, völlig zerfetzte Sandalen umzutauschen mit der Behauptung, man habe sie erst gestern bei uns gekauft. Andere versuchen, unsere Feuerlöscher, die Schaufensterpuppen oder gleich die ganze Theke samt Kassen zu kaufen. In einer besonders hektischen Phase ist es sogar schon mal passiert, dass der Kinderwagen einer Kundin versehentlich verkauft wurde, weil er unbewacht herumstand. Zum Glück war das Baby nicht drin. Babys haben wir nicht in unserem Angebot. Andere Kunden übersehen unser winziges Kaufhaus in der Dachauer Straße und fahren gleich mit dem Auto in die Scheibe. Alles schon vorgekommen. Und die Sauna im vierten Stock ist vor ein paar Jahren auch schon mal abgebrannt, woraufhin wir den Laden natürlich räumen mussten und drei Tage nicht betreten konnten. Aber das ist nur ein winziger Auszug aus dem Spektrum der Absurditäten, die man im diakonia kaufhaus secondhand erleben kann. Man darf gespannt sein, was da noch alles kommt. Schocken tut uns jedenfalls nichts mehr. Und wie gesagt: Wir lieben unsere Kunden. Andreas Beutl Seite 8 Nr. 74 · 2016 Ethikbeirat der Hilfe im Alter startete im März in eine neue Runde „Die ethische Reflexion hat sich in den Einrichtungen etabliert“ Als erster Träger von Altenhilfe-Einrichtungen hatte die Hilfe im Alter 2009 einen Ethikbeirat gegründet, jetzt geht das Gremium in die dritte Runde. Neu in das Gremium einberufen wurden der Palliativmediziner Dr. Thomas Binsack, Chefarzt i.R. der Palliativstation St. Johannes von Gott, Dirk Spohd, Leiter des Evangelischen Pflegezentrums Eichenau, Christine Siemens, Pflegeüberleitung im Evangelischen Alten- und Pflegeheim „FriedrichMeinzolt-Haus“ in Dachau sowie Doris Oltmanns, Wohnbereichsleitung im Evangelischen Alten- und Pflegeheim Planegg. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren mit der praktischen Arbeit in den Pflegeeinrichtungen eng vernetzen können, weil wir in den Einrichtungen sehr präsent sind“, resümiert Dorothea Bergmann von der Pastoralpsychologischen Pfarrstelle Spiritualiät – Palli- ative Care – Ethik – Seelsorge (SPES), die auch im Vorstand des Ethikbeirats ist. Dreimal im Jahr tagt der Ethikbeirat – seit 2013 immer in einem der Alten- und Pflegeheime der Hilfe im Alter. Dort können dann die Mitarbeitenden zu einer exemplarischen Fallsitzung mit dem Ethikbeirat kommen. „Das Angebot kommt gut an“, sagt Bergmann. „In manchen Häusern nehmen bis zu 15 Mitarbeitende teil.“ Ein weiterer Meilenstein der vergangenen Jahre war die fünftägige Schulung „Hinschauen – beraten – gemeinsam entscheiden“, in der die Hilfe im Alter Ethik-Moderatoren ausgebildet hat. Unter den Teilnehmenden waren Mitarbeitende aus der ambulanten Pflege, aus der PflegeAkademie sowie aus den Heimen des Trägers. Sie haben unter anderem gelernt, welche praxisnahen Moderationsmodelle es gibt, wie man ethische Konflikt- situationen erkennt und löst, Fallgeschichten bearbeitet und eine wertschätzende Gesprächsstruktur aufbaut. Mit ihrem Wissen können sie ethische Fallbesprechungen in den einzelnen Einrichtungen moderieren. Die Koordination erfolgt über die Fachstelle SPES. Bei diesen Runden kommen dann unter anderem Praxisbeispiele wie dieses zur Sprache: Was mache ich, wenn ein dementer Bewohner den Kopf wegdreht und die Lippen zukneift, wenn er Essen und Trinken sieht? Für eine Fallbesprechung setzen sich alle Betroffenen zusammen an einen Tisch: die Moderatoren, die Angehörigen, gesetzliche Vertreter, der behandelnde Hausarzt sowie Pflegekräfte, Stations- oder Einrichtungsleitung. Sie versuchen, den mutmaßlichen Willen des Bewohners zu erkunden – und ein adäquates Procedere für die Situation zu etablieren. Stellungnahme des Ethikbeirates und der Fachstelle SPES zum neuen Gesetz über die Hospiz- und Palliativversorgung Der Ethikbeirat gibt Hilfestellungen für den Pflegealltag. Um die 40 Fallbesprechungen moderieren Dorothea Bergmann und die neu ausgebildeten Moderatoren im Jahr – Tendenz leicht abnehmend: „In den einzelnen Einrichtungen hat sich bei den Mitarbeitenden mittlerweile die ethische Reflexion etabliert und intensiviert“, hat Bergmann festgestellt. „Sie brauchen gar nicht mehr in allen Fällen Hilfe von außen.“ Für die Zukunft hat der Ethikbeirat aber schon weitere Themen auf der Agenda – insbesondere wenn es um Lobbyarbeit geht: Foto: Erol Gurian Nach dem Weckruf „Menschenwürde gilt für alle“ vor drei Jahren hat er jetzt eine Stellungnahme zum aktuellen Hospiz- und Palliativgesetz (siehe unten) veröffentlicht. „Wir merken in unserer Runde, dass die Begleitung von Bewohnern am Lebensende ein Thema ist, das die Mitarbeitenden in den Einrichtungen beschäftigt“, sagt Dorothea Bergmann. Die Mitglieder des Ethikbeirates möchten den Mitarbeitenden dafür Leitlinien an die Hand geben. Isabel Hartmann Gesichter und Geschichten aus der Pflege Sterben darf kein Sonderthema für Experten sein Mit einer Stellungnahme haben der Ethikbeirat der Hilfe im Alter und die Fachstelle Spiritualität – Palliative Care – Ethik – Seelsorge (SPES) aus der Praxis heraus Stellung bezogen zum „Gesetz zur Verbesserung der Hospizund Palliativversorgung“, das der Bundestag Ende vergangenen Jahres verabschiedet hat. Das Gesetz beinhalte „etliche Chancen für die Weiterentwicklung und Verfestigung der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung, die für den Ausbau und die Förderung von palliativer Kompetenz zu nutzen sind“. Jetzt gehe es darum, das Gesetz umzusetzen, zu konkretisieren und weiterzuentwickeln. Eine Verpflichtung für stationäre Einrichtungen der Altenpflege zur Kooperation mit externen Anbietern werde vielerorts schon über Jahre hinweg ohne gesetzliche Regelung gepflegt: „Viele Träger stationärer Einrichtungen verfügen bereits über eine gute Kultur hospizlicher Begleitung sowie über etablierte interne Konzepte, die eine adäquate ambulante palliative Versorgung befördern oder umsetzen helfen.“ Wir veröffentlichen die Erklärung in Auszügen. „Bislang haben zahlreiche Pflegeeinrichtungen in der Umsetzung einer allgemeinen ambulanten Palliativversorgung vorgearbeitet. Auch aktuell bleiben große Träger mit ihren Einrichtungen in diesem Anliegen nicht stehen, sondern verstärken ihre Kompetenzen und bauen die entsprechenden Versorgungsstrukturen in Kooperation mit Hospizvereinen aus. Diese Vorleistung an Engagement und Be- reitschaft zu weiterer Qualifikation durch Pflegekräfte sowie Träger oder Einrichtungen braucht jedoch nicht nur Refinanzierung, sondern auch eine Anerkennung und Wertschätzung. Die gesetzliche Vorschrift zur Kooperation zwischen stationären Einrichtungen und externen Anbietern ist – insbesondere für Einrichtungen, die sich in dem Feld der Palliativkompetenz neu aufstellen – zugleich Ansporn und Verpflichtung. Auch ist ein belastbares Netzwerk immer leistungsfähiger als ein Einzelengagement. Durch die gesunkene Verweildauer von Pflegeheimbewohnern gehört die selbstverständliche Aufmerksamkeit für hospizliche Aufgaben zum Pflegealltag mit dazu. Es bedarf aber auch der entsprechenden Ressourcen, um diese Aufgabe angemessen zu bewältigen. Leben, Wohnen, soziale Teilhabe, Abschied und Sterben – auch bei komplexen Krankheitsbildern – sind Aufgabenfelder der Altenpflege. Sterben in den Einrichtungen ist kein Sonderthema für Experten, sondern Aufgabe innerhalb unserer Einrichtungen. (…) Schon seit Jahren entwickelt die Hilfe im Alter entsprechende Kompetenzen, die die Beratung der Bewohner hinsichtlich ihrer medizinischen, pflegerischen, psychosozialen und spirituellen Wünsche für die letzte Lebensphase beachten. Dazu gehört auch die Begleitung der An- und Zugehörigen in dieser Zeit. Dies umfasst einzelne Beratungsgespräche von Palliative Care-Fachkräften mit pflegerischer und spiritueller Kompetenz, aber auch ethische Fallbesprechungen. (…) Es ist uns ein wesentliches Anliegen, dass Altenhilfeeinrichtungen, die diese Kompetenzen aufweisen, mutig – auch auf der Ebene der Verbände – ihren Anspruch auf Re-Finanzierung formulieren. Mittelfristig ist es ein wichtiges Ziel, dass zusätzliche Einnahmen beim Träger zu einer besseren Vergütung der Palliative Care-Kräfte führen, die längst in vielen Einrichtungen arbeiten. Ein weiteres Ziel ist für uns, dass ein zusätzlicher Einsatz von Pflegeund Betreuungskräften in der Versorgung von Hochbetagten in Einrichtungen für Altenhilfe nicht allein von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Träger oder der Angehörigen abhängig ist. (…) Es muss ein stärkeres gesellschaftliches Anliegen werden, dass die Pflegekräfte der Altenpflege nicht als das schwächste Glied in der Versorgungskette gesehen werden, was die Attraktivität wie die Positionierung dieser Berufsgruppe schmälert. Die Pflegenden und Mitarbeitenden im Altenpflegebereich übernehmen einen unverzichtbaren Dienst für die Gesellschaft und haben aufgrund ihres Arbeitsfeldes einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit Sterben und Tod. Um ein Leben in Würde bis zuletzt ermöglichen zu können, bedarf es auch der entsprechenden Wertschätzung derjenigen, die sich dies zur Aufgabe machen. Wer Menschen in Würde begleiten will, braucht auch die entsprechende Würdigung seitens der Träger und seitens der Gesellschaft.“ Die Ausstellung „Menschen lieben. Gesichter und Geschichten aus der Pflege“ stand schon an vielen Orten – aber keiner war bislang so prominent wie der, an dem sie den April über zu sehen war: im Kreuzgang des Maximilianeums, dort wo bayerische Abgeordnete täglich aus- und eingehen und die Politik des Freistaates bestimmen. Begleitet war die Ausstellung von einer Auftaktveranstaltung im ehrwürdigen Senatssaal; Landtagspräsidentin Barbara Stamm lud die rund 300 Gäste zudem noch zu einem Empfang in den Steinernen Saal. Den ersten Impuls zur Diskussion gab der bayerische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. In einer sehr persönlich gehaltenen Impulsrede schilderte der Theologe die letzten Wochen seines Vaters, der erst wenige Tage zuvor verstorben war. Er schaue voller Dankbarkeit auf diese Zeit zurück, sagte der Bischof. Sein Vater habe in einem Passauer Pflegeheim „noch einmal eine neue Heimat gefunden“. Wichtigste Person war ein irakischer Pfleger, der erst vor ein paar Jahren nach Deutschland geflüchtet war. Bedford-Strohm wörtlich: „Der Mann war ein Segen für meinen Vater und unsere ganze Familie.“ Zugleich warnte der Bischof davor, Pflegebedürftige nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten: „Menschen, die pflegebedürftig sind, dürfen nie das Gefühl entwickeln, dass sie keinen Wert mehr haben, nur weil sie keinen ökonomischen Nutzen mehr bringen.“ Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU; rechts im Bild) kritisierte, statt die Bedürfnisse des einzelnen Menschen anzuschauen, entscheide meist der Kostenträger über den jeweiligen Bedarf. „Wenn wir die Würde des Menschen gewährleisten wollen, müssen wir uns an dem einzelnen Menschen orientieren.“ Die Politik stehe in der Verantwortung und müsse deshalb genau hinhören auf die Bedürfnisse der Pflegekräfte: „Was brauchen die? Was ist für die Pflege dieser wunderbaren Menschen nötig?“ Konzipiert wurde die Ausstellung vom evangelischen Dekanat München und der Hilfe im Alter. Pfarrerin Edith Öxler (Altenheimseelsorge Dekanat München) und Pfarrerin Dorothea Bergmann von der Fachstelle „Spiritualität – Palliative Care – Ethik – Seelsorge“ der Hilfe im Alter hatten in mühevoller Arbeit zusammengetragen, wie Pflege in Würde aus Sicht der Fachkräfte aussieht. Dabei kamen die Pflegekräfte selbst zu Wort; ihre Aussagen zu Berufsmotivation, Berufsbiographie und Pflegealltag veranschaulichen Bilder des Fotografen Thomas Braner. Klaus Honigschnabel / Foto: Rolf Poss Nr. 74 · 2016 Seite 9 Hilfe im Alter expandiert erneut: Seit dem 1. Juli betreibt die Tochtergesellschaft der Inneren Mission das Pflegeheim in Riemerling Lore Malsch-Haus wird zehntes Zentrum Nach der Übernahme einer Pflegeeinrichtung am Kochelsee baut die Hilfe im Alter (HiA) ihren Geschäftsbetrieb erneut aus: Zum 1. Juli übernimmt die Tochtergesellschaft der Inneren Mission die Trägerschaft für das bislang vom Diakoniewerk Hohenbrunn betriebene Lore Malsch-Haus in Riemerling. Die Eigentümerin der Immobilie, die Lore Malsch-Stiftung, und der Beirat der Hilfe im Alter haben das Vorhaben einstimmig befürwortet. Vorstand Günther Bauer kommentiert die Entwicklung: „So wie die Caritas in Kochel auf uns zugegangen ist, hat sich auch das Diakoniewerk Hohenbrunn an uns gewandt.“ Die Innere Mission reagiere auf die Nöte anderer Träger. „Wir helfen natürlich gerne, wenn es geht.“ Das Evangelische Pflegezentrum liegt in ruhiger, friedlicher Waldlage am Rand des Hohenbrunner Ortsteils Riemerling im Südosten von München; es verfügt derzeit über rund 200 Plätze. Ein Teil des Hauses ist in den vergangenen Neben der klassischen stationären Pflege gibt es auch Plätze für „Kurzzeitpflege in eingestreuter Form“. Die Appartements verfügen über ein eigenes Bad und einen eigenen Balkon. Zwei Stationen sind als „offener Demenzbereich“ für die speziellen Anforderungen von Menschen mit diesem Krankheitsbild eingerichtet. Auf der Dachterrasse im 4. Stock sind beispielsweise Hochbeete angelegt, bei denen die Senioren leichte gärtnerische Arbeiten verrichten können. Duftende Pflanzen und Kräuter regen dabei die Sinne an. Die umgebende Natur trägt sehr zum Wohlbefinden der Bewohner bei. Zu allen Jahreszeiten laden ebene Wege in unmittelbarer Umgebung zum Spazierengehen und Ausspannen ein. Im Haus befinden sich eine Cafeteria, ein kleiner Laden, eine Praxis für Physiotherapie sowie ein Frisörsalon. Fast alle Allgemeinärzte der umliegenden Gemeinden übernehmen Hausbesuche bei den Bewohnern. Aus der hauseigenen Kapelle Das Lore Malsch-Haus in Riemerling im Südosten der Landeshauptstadt ist die dritte Pflegeeinrichtung der Hilfe im Alter, die sich im Landkreis München befindet. Foto: Erol Gurian Jahren bereits saniert worden; für den anderen Teil stehen diese Arbeiten demnächst an. Die derzeit 145 Beschäftigten wechseln im Zuge des Betriebsübergangs zur HiA beziehungsweise zur HWS (Hauswirtschaft und Service GmbH). sind Bild- und Tonübertragungen in jedes Zimmer möglich. Und wen es einmal in die Münchner Innenstadt zieht: Mit der S-Bahn gelangt man vom Bahnhof Ottobrunn aus schnell zum Marienplatz; die Haltestelle des Zubringerbusses befin- det sich direkt vor dem Haus. Die Einrichtung in Riemerling geht auf das Mutterhaus für kirchliche Diakonie München zurück. Dieses Mutterhaus wurde 1946 von Frauen aus ganz Deutschland gegründet, um der Not nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu begegnen. Auch der ehemalige Erste Vereinsgeistliche der Inneren Mission München, Pfarrer Friedrich Hofmann, gehörte zu den Begründern des Mutterhauses. Ihm zu Ehren ist die Straße benannt, die zum Pflegezentrum führt. Aus dem Mutterhaus der Diakonieschwestern entstand 1967 das heutige Pflegezentrum Lore Malsch, zu dem auch 41 Wohnungen für Mitarbeitende gehören. Einrichtung mit Tradition Mit dem Haus in Riemerling erhöht sich die Zahl der von der Hilfe im Alter angebotenen Pflegeplätze auf rund 1.400; die Einrichtung ist neben den Pflegeheimen in Planegg und Ebenhausen die dritte im Landkreis München, die der diakonische Träger betreibt. Das Diakoniewerk Hohenbrunn hat die Trägerschaft abgegeben, um sich auf andere Geschäftsbereiche zu konzentrieren. Gerhard Prölß, Geschäftsführer der Hilfe im Alter, sieht die erneute Ausweitung seines Geschäftsbetriebs mit positiven Gefühlen: „Das Haus in Riemerling ist eine schöne Einrichtung mit Tradition; es ist sicher von Vorteil und wichtig für die Zukunft, es in einen größeren Verbund mit guten Strukturen zu integrieren.“ Prölß freut sich sowohl auf die neuen engagierten Mitarbeitenden als auch auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Lore Malsch-Stiftung. „Auf dieser Grundlage werden wir auch die noch anstehenden Sanierungsarbeiten gut meistern und unser Ziel erreichen, in einem schönen Haus eine gute und würdevolle Pflege anzubieten – trotz aller nach wie vor widrigen Rahmenbedingungen.“ Zum Leiter des Hauses wurde Jan Steinbach (50) berufen, der seit sechs Jahren das Pflegeheim im Reischlhof in Ebersberg leitete. Die Nachfolgerin dort wird seine Vorgängerin von einst: Anke Möglinger, damals noch mit ihrem Mädchennamen Stöcker, hatte das Haus nach seiner Eröffnung im Herbst 2005 bis zu Beginn ihrer Elternzeit geleitet. ho Kurz gemeldet Evangelisches Alten- und Pflegeheim „LeonhardHenninger-Haus“ Internationale Speisen, Willkommensschilder in vielen Sprachen und Fähnchen aus aller Welt – im April feierten Mitarbeitende, Bewohner und Gäste die Auftaktwoche des Projekts zur interkulturellen Öffnung in der stationären Altenhilfe, das die Stadt München fördert. Bei einem Fortbildungstag setzten sich die Stationsleitungen mit dem Thema Interkulturalität auseinander – und auf den Stationen gab es Gespräche: Was hilft denn eigentlich den Mitarbeitenden beim Ankommen in der neuen Arbeitsstelle? Was brauchen sie, wenn sie sich zusätzlich im neuen Land zurechtfinden müssen? Für die Bewohnerinnen und Bewohner gab es ein Fest mit griechisch-türkischem Kuchen, vietnamesischer und nigerianischer Tracht, Musik aus Kroatien und Bildern aus Bosnien – die ganze Vielfalt des Hauses hat sich in entspannter Atmosphäre präsentiert. Evangelisches Pflegezentrum Sendling Wer die Bilder von Birgit Schneider ansieht, entdeckt in ihnen Körper von Tieren oder Menschen. „Malen an sich ist Bewegung und lässt le- bendige Motive auf dem Bildgrund entstehen“, beschreibt die 53-jährige gebürtige Münchnerin den Prozess, in dem sie sich von inneren Bildern, Stimmungen und Eindrücken leiten lässt. Bis heute ist die Kunst „ihre Quelle, um die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen“. Neben ihrer Arbeit als Buchillustratorin berät sie auch Pflegeeinrichtungen zu Farbkonzepten und unterrichtet an der Evangelischen PflegeAkademie. Zu sehen sind ihre farbenstarken Acryl-Bilder noch bis zum 24. August im Evangelischen Pflegezentrum in Sendling, Baierbrunner Straße 101 – 103 (jeweils 8 bis 18 Uhr im Multifunktionsraum im 1. Stock). Schüler der Evangelischen PflegeAkademie organisieren Frühlingsfest im benachbarten Pflegezentrum Polka, Frühlingsgedichte und vietnamesische Lieder Es gab einen Maibaum, Erdbeerkuchen, viele Lieder und sogar Volkstänze – beim Tanz in den Mai im Evangelischen Pflegezentrum Sendling war alles dabei, was zu einem richtigen Frühlingsfest gehört. Und noch eine Besonderheit dazu: Die Organisation lag dieses Mal – mit etwas Unterstützung des Teams des Pflegezentrums – in den Händen der Schülerinnen und Schüler der Altenpflege-Klasse A 36/15 der Evangelischen PflegeAkademie. Wand an Wand liegen die beiden Einrichtungen seit der Eröffnung des Neubaus vor drei Jahren; die unmittelbare Nähe soll auch stärker genutzt werden – da sind sich Lisa Hirdes, Leiterin der PflegeAkademie, und Florian Walter, Leiter des Evangelischen Pflegezentrums Sendling, einig: „Für uns ist das eine einmalige Chance, Praxis und Theorie eng zu verzahnen und unsere Einrichtungen stärker zu vernetzen“, sagt Walter. Das erste größere gemeinsame Projekt: das Frühlingsfest. Wie organisiere ich ein Fest? Welche Traditionen und Brauchtümer gibt es? Das steht in der Altenpflege-Ausbildung im ersten Jahr im Fach Lebenszeit- und Lebensraumgestaltung auf dem Lehrplan. „Wir möchten den Schülern zeigen, dass zum Altenpflegeberuf und Schüler daran, das Gelernte in Gruppen umzusetzen: Es galt, Lieder und Gedichte herauszusuchen und zu lernen. Und Volkstänze wie Boarischen, Polka und Siebenschritt einzustudieren – mit Unterstützung von Frank Straub, der selber in einer Volkstanzgruppe ist. Die einen kümmerten sich um den Maibaum und die passende Deko, andere sorgten für den Service und die Betreuung der Bewohner. Charmant und liebevoll „Die Zusammenarbeit lief sehr gut“, resümiert Einrichtungsleiter Florian Walter. „Es war ein rundum tolles Programm – von der Deko über den Service bis hin zur liebevollen und charmanten Betreuung.“ Die Bewohnerinnen und Bewohner hätten es genossen, so viele junge Gesichter um sich herum zu haben. Und auch sie haben einen Hauch von anderen Kulturen serviert bekommen: Unter anderem sang Uyen Thi Thuc Nguyen, eine Schülerin der Klasse, ein Lied aus ihrem Heimatland Vietnam. „Die alten Menschen hatten alle Spaß und wir Schüler auch“, resümiert Albana Feta, die zusammen mit Arnes Kormann die Moderation übernommen hatte. „Ich habe jetzt eine bessere Vorstellung, wie man Feste organisiert – und In Tracht kamen viele der Schülerinnen und Schüler der Evangelischen PflegeAkademie zum Sommerfest im benachbarten Pflegezentrum – und sangen und tanzten für die Bewohner. Foto: Anja Hügelschäffer noch viel mehr gehört als die tägliche Pflege“, sagt Pflegepädagoge Frank Straub. In der Klasse seien viele Schüler mit Migrationshintergrund. „Für sie ist es wichtig, unsere Kultur kennenzulernen“, betont er. Und das gehe in der Praxis immer noch am besten. Zusammenarbeit im Team „Mein erster Gedanke war: Das klingt nach einem Test unserer Klasse“, erzählt Arnes Kormann, Schüler der Altenpflege-Klasse A 36/15. „Uns wurde gesagt, dass mehr als 100 Bewohner und Gäste da sein werden. Das ist viel Verantwortung, aber das kann auch unsere Zusammenarbeit und Teamfähigkeit zum Vorschein bringen.“ Nach ein paar Stunden Theorie ging es für die 28 Schülerinnen kann das auch in meiner Einrichtung machen und damit meinen Bewohnern ein Lächeln ins Gesicht zaubern“, sagt sie. „Projekte dieser Art sind eine gute Abwechslung zum theoretischen Teil des Lernens“, findet Arnes Kormann. Das sehen auch die Mitarbeitenden der PflegeAkademie und des Pflegezentrums so – und wollen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten: Derzeit stellt Birgit Schneider, Dozentin an der PflegeAkademie, ihre Bilder im Pflegezentrum aus. Im nächsten Jahr sollen die Altenpflege-Schüler wieder das Frühlingsfest gestalten. Und bald ist die Altenpflege-Klasse A 36/15 noch mal im Pflegezentrum Sendling zu Gast – sie sind als Dank für das Frühlingsfest zu einem Grillfest eingeladen. Isabel Hartmann Seite 10 Nr. 74 · 2016 Evangelischer Kindergarten der Inneren Mission – Himmelfahrtskirche Pasing feiert seinen 40. Geburtstag Festgottesdienst zur Geburtstagsfeier Was kann man mit Luft machen? Das haben die Kinder der Krippe Feldkirchen in Experimenten ausprobiert. Jetzt ist die Einrichtung „Haus der Kleinen Forscher“ – als eine von zwei Krippen in Oberbayern. Foto: Krippe Feldkirchen Die Kinderkrippe Feldkirchen ist „Haus der kleinen Forscher“ Normalerweise sitzen auf dem goldenen Sessel mit dem roten Samtbezug die Geburtstagskinder aus den zwei Gruppen des Evangelischen Kindergartens der Inneren Mission München-Himmelfahrtskirche Pasing. Im Juni allerdings nahm gleich der ganze Kindergarten auf dem Geburtstagsthron Platz – und bekam einen Riesenkuchen mit vielen Kerzen. Der Anlass: Die Einrichtung wurde in diesem Jahr 40 Jahre alt. Wissenschaftler in Windeln Wenn man eine Plastikflasche mit Wasser füllt und das Wasser dann wieder ausschüttet, ist die Flasche leer. Oder? Wenn man die Flasche aber schnell und fest zusammendrückt, spürt man einen kleinen Wind. Die Flasche war gar nicht leer – es war Luft drin! Die Kinder, die dieses Experiment beobachtet haben, staunen, lachen und machen große Augen. Bei der nächsten Gelegenheit werden einige von ihnen beim Anblick einer leeren Flasche rufen: „Da ist Luft drin!“ Für ein Kindergartenkind wäre diese Erkenntnis schön, ist aber nicht außergewöhnlich. Das Besondere an dieser Runde: Kein Kind ist älter als drei Jahre. Denn das Experiment findet in der Kinderkrippe Feldkirchen der Inneren Mission statt. Hier gehört das Forschen und Ausprobieren zum festen Programm: Einmal pro Woche bietet eine der Pädagoginnen beim „Entdeckertag“ ein Experiment zum Mitmachen an. „Viele denken, mit den Kleinen geht das noch nicht“, sagt Angela Middleton, Leiterin der Einrichtung. „Aber das stimmt nicht. Die Kinder sind so neugierig. Sie sind kleine Forscher von Anfang an.“ Und weil der „Entdeckertag“ schon immer ein fester Bestandteil der vor zwei Jahren eröffneten Krippe war, kam Angela Middleton auf die Idee, sich als „Haus der kleinen Forscher“ zertifizieren zu lassen. Hinter der Auszeichnung steht eine Stiftung, die Kindern das Forschen und die Wis- senschaft näherbringen und damit eine Grundlage für gute Bildungschancen legen möchte. Eine Einrichtung, die als „Haus der kleinen Forscher“ zertifiziert werden will, muss das Forschen als festes Element in die pädagogische Arbeit einbauen, die Experimente dokumentieren, einen Fragebogen ausfüllen und die Mitarbeitenden schulen. Für die Krippe in Feldkirchen alles kein Problem – nur: Das Zertifikat ist für Krippen gar nicht vorgesehen. Die Arbeitshilfen der Stiftung sind alle für ältere Kinder konzipiert. Forschen als festes Element Angela Middleton und ihr Team hat das nicht abgeschreckt. Sie passten die Experimente für ihre Kleinen an, dachten sich selbst Projekte aus und bewarben sich trotzdem. Und es hat geklappt. Seit Mitte Mai hängt nun die grüne Plakette am Eingang zur Krippe. Damit ist die Einrichtung beinahe oberbayernweit die Einzige – mit Ausnahme einer Krippe in München. „Darauf sind wir schon stolz“, sagt Middleton. „Vor allem weil auch meine Mitarbeiterinnen voll dabei sind. Wir haben alle viel Freude und probieren Sachen aus. Da werden wir selber wieder wie Kinder.“ Heraus kommen Experimente, die die Kinder begeistern und manchmal auch den Erwachsenen einen Aha-Effekt bescheren. Wie bei der Luft aus der Plastikflasche. Luft ist überhaupt ein tolles Forscherthema, weil sie so erst greifbar wird. Luft braucht Platz: Wenn man versucht, eine luftgefüllte Tüte in ein Glas zu stopfen, passt sie nicht rein. Luft kann man spüren: mit Ventilatoren, Fächern oder einer kindergroßen Luftpumpe. Luft trägt: Eine Holzplatte, die auf mehreren aufgeblasenen Luftballons liegt, hält locker sechs Kinder aus! Das Schönste sei, sagt Angela Middleton, wenn die Kinder die Experimente weiterentwickelten. Mit einem Föhn haben sie Luftballons und Tücher in die Luft gepustet. Dann kam ein Kind und wollte sehen, ob das auch mit einem StoffSchaf geht. „Ausprobieren und selber machen, darum geht es“, findet Middleton. Und manchmal kommen die Ideen zu neuen Experimenten von den Kindern selber. Ein Bub konnte nicht glauben, dass das Flüssige in einer Kerze kein Wasser ist – obwohl es so aussieht. Also nahmen die Pädagoginnen ein Blatt Papier, kippten einen Tropfen Wachs darauf und daneben einen Tropfen Wasser. Das Wachs wurde fest, tat dem Papier aber nichts. Das Wasser hingegen wurde überhaupt nicht fest, weichte dafür aber das Papier auf. „Da hat der Bub den Unterschied verstanden“, erzählt Angela Middleton. „Und er hat es beim Abholen gleich seiner Mama erklärt.“ Susanne Hagenmaier Fachtag „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ die Einrichtungen im Anschluss vor – von Rückenschule über Körpertraining bis hin zur Pausenraumgestaltung. Diese sind mit Hilfe der Pauschalzuweisung des Landeskirchenamtes ins Leben gerufen worden: Seit zwei Jahren werden durch einen Teil der Bezuschussung Träger der rund 80 evangelischen Kindertageseinrichtungen im Dekanatsbezirk mit insgesamt 50.000 Euro unterstützt. „Für uns sind die Angebote zum Gesundheitsmanagement auch ein Zeichen der Wertschätzung an unsere Mitarbeitenden“, sagt Rosemarie Reichelt, Leiterin der Abteilung Und das feierten die Kinder, das Team, Eltern und Gäste mit einem Festgottesdienst in der benachbarten Himmelfahrtskirche. Im Anschluss daran gab es ein Kuchenbuffet, Attraktionen für Kinder und Familien, eine Tombola sowie eine Fotoausstellung. Vor 40 Jahren, genauer gesagt am 9. Februar 1976, hat der Evangelische Kindergarten Pasing seine Pforten geöffnet, damals unter der Trägerschaft der Kirchengemeinde. Von der Zeit vor 40 Jahren erzählte Gabriele Heinze, die heutige Leiterin der Einrichtung, den Kindern beim Festgottesdienst. So haben damals beim Basteln alle das Gleiche gebastelt – mit Hilfe einer Schablone, die die Erzieher vorher gemacht haben. 2010 hat dann die Innere Mission die Trägerschaft Impressum Von der Rückenschule bis zur Pausenraumgestaltung „Gestärkt, entspannt, achtsam und fit“ – mehr als 60 Leitungen und Trägervertreter waren beim Fachtag „Betriebliches Gesundheitsmanagement – Chancen und Nutzen für Kitas“ der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Kindertageseinrichtungen im Dekanatsbezirk München im BuchruckerSaal der Inneren Mission zu Gast. Auf die Chancen und Nutzen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Zeichen des demografischen Wandels ging Sandra Böhm von der AOK in einem Impulsvortrag ein. Gelungene Beispiele von Gesundheitsmanagement stellten Zum 40. Geburtstag gab es für den Evangelischen Kindergarten in Pasing einen Platz auf dem Geburtstagsthron, Geschenke und leckeren Kuchen – hier präsentiert von Leiterin Gabriele Heinze und Abteilungsleiterin Rosemarie Reichelt (r.). Fotos: isa Kindertageseinrichtungen und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Kindertageseinrichtungen. „Wir möchten genau hinsehen, wo die Mitarbeitenden Unterstützung brauchen und wie wir sie als Arbeitgeber entlasten können.“ Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Praxis konnten die Teilnehmenden dann bei den Workshops erleben, die die AOK im Rahmen des Fachtags anbot: unter anderem zu den Themen Rückenfitness, Entspannung, Resilienz und Achtsamkeit sowie Gesundheitsressourcen und -risiken. Isabel Hartmann Diakonie Report Zeitung der Inneren Mission München des Kindergartens übernommen. Heute bilden, betreuen und erziehen dort fünf pädagogische Fachund Ergänzungskräfte sowie Praktikanten 50 Kinder. Die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde ist weiterhin eng: So haben auch die Kinder und Erzieherinnen zusammen mit Pfarrer Hans-Martin Köbler den Festgottesdienst geplant. Dort zeigte er den Kindern mit verschiedenen Bildern und Geschichten, wie wichtig die Zahl 40 – auch in der Bibel – ist: 40 Tage regnete es, nachdem Noah seine Arche fertig gebaut hatte, 40 Jahre lang regierte König Salomon. Und: Eine Mutter trägt ihr Kind 40 Wochen im Bauch. „Ich finde es wunderbar, dass der Kindergarten mitten im Dorf ist – da gehört er hin“, sagte Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission München. „Kinder zu erziehen ist schwer, Kinder mit Freiheit und Selbstbestimmung zu erziehen, ist doppelt so schwer“ – mit dieser Aussage des Pädagogen Friedrich Fröbel, dem Begründer des ersten Kindergartens, lobte Juliane Aulinger vom Elternbeirat die Arbeit des Teams: „Sie sind den Kindern Freund und Begleiter und bereiten sie auf das spätere Leben vor.“ Damit es so auch die nächsten Jahre weiter geht, durften die Gäste Wünsche für die Zukunft aufschreiben: eine tolle Gemeinschaft, Gottes schützende Hand, Freude, eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team und nette Eltern. Isabel Hartmann Peljak, Katja Pfeifer, Imke Plesch, Rolf Poss, Roland Rausch, Doris Richter, Josephin Schmid, Dieter Sommer, Thorsten von Eyb, Daniela Weis, Brigitta Wenninger, Markus Zechmann Inhaber und Verleger: Innere Mission München – Diakonie in München und Oberbayern e.V., Landshuter Allee 40, 80637 München Satz: CreAktiv komma München GmbH, Fürstenrieder Straße 5, 80687 München Verantwortlicher Redakteur: Klaus Honigschnabel, Telefon: 089 / 12 69 91–121 Druck: Druckhaus Kastner, Wolnzach; gedruckt auf Papier mit 50 Prozent Recyclinganteil Redaktion: Isabel Hartmann, Klaus Honigschnabel Erscheinungsweise: dreimal jährlich Mitarbeit: Yannis Antonopoulos, Kurt Bauer, Andrea Betz, Andreas Beutl, Oliver Bodmer, Wilfried Bogner, Gregor Bresser, Dietmar Frey, Erol Gurian, Susanne Hagenmaier, Anja Hügelschäffer, Marina Kauker, Constanze Mauermayer, Florian Aktuelle Druckauflage: 9.800 Stück Dieser Ausgabe liegen bei die Zeitung der diakonia sowie ein Überweisungsträger für Spenden. Spendenkonto: IBAN DE38 70020270 0036707070 BIC HYVEDEMMXXX Nr. 74 · 2016 Seite 11 Feier einstudiert hatten: die Geschichte der Raupe Nimmersatt, die sich erst durch Äpfel, Sahnetörtchen und Schokoladenkuchen frisst und dann zu einem wunderschönen Schmetterling wird. Alles kräftig gewachsen Große und kleine Begrüßer (v.l.n.r.): Diellza, Thomas Deiring, pädagogischer Fachdienst, Bereichsleiterin Juliane Kliem und Yanic führten durch die Jubiläumsfeier der Heilpädagogischen Tagesstätten. Fotos: Marina Kauker Heilpädagogische Tagesstätten in Feldkirchen und Garching feiern 25. Geburtstag „Sie machen den Landkreis menschlicher“ Was braucht man für eine gute Party? Eine schwierige Frage – deshalb haben die Pädagoginnen und Pädagogen der Heilpädagogischen Tagesstätten Feldkirchen und Garching sich Rat bei einem Expertenteam geholt, als das 25-jährige Jubiläum anstand: bei den Kindern, die die Einrichtungen besuchen. Und die Experten wussten genau, was man braucht: viele Leute, eine Discokugel, Musik, ein oder zwei Leute, die das Buffet machen, Besteck – sonst werden die Finger dreckig, Aufpasser, damit nichts kaputt geht, und einen Begrüßer. Das Organisationkomitee hat sich an die Ratschläge gehalten – und die Experten waren auch bei der Feier mittendrin: Als Begrüßer führte Elias, 12 Jahre alt, die Gäste ein – zusammen mit „Aufpasser“ Achim Weiss, dem Leiter der Evangelischen Kinderund Jugendhilfe Feldkirchen. Die neunjährige Diellza und der zehnjährige Yanic führten zusammen mit Bereichsleiterin Juliane Kliem und Thomas Deiring vom pädagogischen Fachdienst durchs Programm. Die Kinder aus den beiden Heilpädagogischen Tagesstätten zeigten, was sie in den Wochen vor der So wie sich die Raupe entwickelt hat, so ist auch die Einrichtung gewachsen: Los ging es vor 26 Jahren im Stammhaus der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen – dort, wo jetzt die Wohngruppe Aladdin ihre Räume hat. Vier Pädagoginnen haben sich damals um 16 Kinder in zwei Gruppen gekümmert. Kräftig gewachsen – und ein paar Mal umgezogen – ist die Einrichtung in den Jahren danach. Die Feldkirchner Gruppe residierte übergangsweise in einem Container, dann ging es wieder zurück ins Haupthaus – in die jetzigen Räume. 2006 kam dann die Außenstelle in Garching dazu: erst an zwei Standorten, seit 2012 in einem eigens für sie geplanten Holzbau. Heute begleiten rund 20 Mitarbeitende dort und in Feldkirchen 63 Kindergarten- und Schulkinder auf ihrem Weg ins Leben. Aber was ist eigentlich eine Heilpädagogische Tagesstätte? Auch zu diesem Thema kam das Expertenteam zu Wort – per Video: „Man spielt, macht Ausflüge und Hausaufgaben, da helfen Erwachsene den Kindern und dann gibt es eine Abschlussrunde, wie der Tag war.“ Außerdem gibt es einen Fachdienst, der „tut die Fächer putzen“. Und: Achim Weiss ist der Hausmeister – da waren sich die Kinderexperten so ziemlich einig. Zwei bis drei Jahre lang kommen die Kinder in die Einrichtung. „Wir unterstützen sie, wenn sie in ihrer Entwicklung verzögert sind, Probleme in der Schule oder Auffälligkeiten in der Sprache, der Motorik, im Spiel- und Lernverhalten oder in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung haben“, sagt Bereichsleiterin Juliane Kliem. Die Mitarbeitenden stärken die Kinder unter anderem in ihrer Persönlichkeit, helfen ihnen, Kontakte zu knüpfen, traumatische Erfahrungen zu bewältigen und sich in der Gruppe zurechtzufinden. Eine Menge Lob gab es bei der Jubiläumsfeier für die Arbeit der beiden Heilpädagogischen Tagesstätten im vergangenen Vierteljahrhundert. Viele Wegbegleiter waren zum Jubiläum gekommen, unter anderem Vertreter der Jugendämter, Politiker, Pfarrer, Lehrer, Eltern und ehemalige Mitarbeitende. „Sie leisten eine große und gute Arbeit“, sagte der stellvertretende Landrat Otto Bußjäger. „Sie machen den Landkreis menschlicher, bei Ihnen stehen die Menschen im Mittelpunkt.“ Die Mitarbeitenden würden den Kindern eine klare Botschaft ins Stammbuch schreiben: „Du schaffst das und gemeinsam geht es besser.“ „Sehr stolz“ auf die Heilpädagogischen Tagesstätten in ihren Gemeinden zeigten sich auch Werner van der Weck und Dieter Gruchmann, der Feldkirchner und der Garchinger Erste Bürgermeister. „Wie viele Kinder habt ihr schon betreut, Schicksale und Geschichten begleitet und in ein selbstständiges Leben geführt – dafür gebührt Dank“, sagte Gruchmann. „Ihr seid wunderbar!“ fügte van der Weck hinzu. „Schön, dass es Euch gibt, dass Ihr Zeit und Herz investiert“, dankte der Feldkirchner Pfarrer Torsten Bader. „Wenn man die Kinder sieht, geht einem das Herz auf.“ Es sei wichtig, den Kindern mitzugeben, dass sie nicht alleine sind, sagte der „Oberaufpasser der Inneren Mission“, Vorstand Günther Bauer. „Machen Sie weiter so“, wandte er sich an die Mitarbeitenden: „Behalten Sie sich die Freude daran, mit Kindern zu arbeiten. Ihre Arbeit ist ein Geschenk, das jemandem zuteil wird.“ Das wurde auch in dem Brief der langjährigen Bereichsleiterin Barbara Christl deutlich, die vor einem Jahr nach Spanien ausgewandert ist: Darin berichtet sie von drei Kindern, die sie bei Problemen im Schulalltag begleitet hatte – und später wieder getroffen hat. Einer von ihnen machte gerade Fachabitur, einer hatte einen guten Job gefunden, eine andere war Mutter geworden und wollte eine Ausbildung zur Pflegefachkraft beginnen. Isabel Hartmann Mit einem großen Fest bedankte sich Feldkirchen bei allen Flüchtlingshelfern, die im vergangenen Herbst kreativ und spontan mitgearbeitet hatten „Gemeinsam haben wir’s wirklich geschafft“ Als Farzad im September vorigen Jahres aus Kabul nach Deutschland kam, sprach der 16-Jährige kein Wort Deutsch. Beim großen Dankesfest, das die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe und die Gemeindeverwaltung Ende April für alle ehren- und hauptamtlichen Helfer ausrichtete, war Farzad der erste, der zu den versammelten Festgästen sprach: mit afghanischem Akzent, aber auf Deutsch. „Wir schätzen Euch sehr und sind Euch Helfern sehr dankbar. Danke, danke, danke!“ Gelacht und geweint Im Zeichen des Danks stand der ganze Abend. Die Jugendlichen sollten dabei im Mittelpunkt stehen, wie Gesamtleiter Achim Weiss bekräftigte – aber eben auch alle, die im vergangenen halben Jahr mitgeholfen hatten: „Wir haben es verdient, weil wir es auch geschafft haben.“ Und was die Feldkirchner alles quasi über Nacht geschafft haben! Als der Anruf kam, dass demnächst etwa 60 Jugendliche ein Obdach brauchen, lief alles wie geschmiert, weil der örtliche Helferkreis schon in den Startlöchern saß und auch die Hauptamtlichen vorbereitet waren. Gemeinsam schafften sie es dann, die Feuerwehr zu aktivieren (die brachte Betten), Spender zu mobilisieren (für Handtücher und andere Gebrauchsgegenstände), den stellvertretenden Bürgermeister als Fahrer einzusetzen, im Rathaus den Sitzungssaal zu besetzen und auch noch den Männergesangsverein zu vertrösten (weil der Probenraum jetzt belegt war). Und nebenbei gelang es den versammelten Helfern auch noch, die zwei oder drei Kritiker im Ort mit guten Argumenten erfolgreich abzuwehren sowie „das Jugendamt und die Heimaufsicht zu verwirren, weil das hier alles natürlich nicht mit der festgelegten Finanzierung oder Zimmerbelegung übereinstimmte“, wie Weiss schmunzelnd bemerkte. Und nicht zuletzt habe man in den fünf Monaten auch bewiesen, dass 62 Personen mit zwei Duschen auskommen können – auch wenn es dafür einen ausgeklügelten Plan braucht. Und Kids, die sich daran halten. Auch Michaela Strathmann vom Helferkreis erinnerte sich gerne an „diese schöne Zeit, in der wir alle zusammen unglaublich viel geschafft haben – mit wahnsinnig viel Herz und zahlreichen Überstunden“. Man habe nicht nur erfolgreich zusammengearbeitet, „sondern auch gelacht und hin und wieder geweint“. Es war „eine tolle Zeit“, beim Fest könne man nun Kraft tanken für die nächsten Herausforderungen in Feldkirchen. Dann berichteten Angelika Gillmann und Silja Buchmann über die Tücken des Alltags. Etwa wenn das Jugendamt immer wieder Namenslisten anforderte (und es ewig dauerte, bis man die endlich hatte). Oder wenn der sorgsam ausgeklügelte Weckplan für die Jugendlichen (die zu unterschiedlichen Zeiten in die Schule mussten) irgendwie ins Leere lief, „weil da jeder jede Nacht in einem anderen Bett geschlafen hat“. Oder wenn Hunderte von Socken und Unterhosen, die man auf die Schnelle gekauft hatte, am nächsten Tag bereits wieder verschwunden waren – und erst nach langem Suchen wieder auftauchten. die Füße gestellt haben.“ Leider habe sich das positive Klima dann Anfang des Jahres geändert, kritisierte Rausch. „Die Stimmung ist nicht umgeschlagen, sie wurde umgeschlagen von vielen, denen diese Entwicklung nicht gepasst hat.“ Feldkirchens Erster Bürgermeister Werner van der Weck überbrachte schließlich den offiziellen Dank: „Das war professionelle und ehrenamtliche Hilfe, die nur so geflutscht hat.“ Die Gemeinde werde nicht vergessen, was da rausgekommen ist. „Eine ganz tolle und menschliche Geschichte. Respekt!“ Zur Stärkung für alle gab es dann nach mehreren Trommel- und Musikeinlagen und dem Auftritt des Kabarettisten Simon Pearce ein erlesenes Flying Buffet: Bulgur, Meeresfrüchtesalat, Hirschragout mit Süßkartoffelgratin, Panna cotta und Rote Grütze. „Alles frisch gekocht und selbstverständlich halal“, wie Latif Rasech erläuterte, der vor neun Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling hierher kam, eine Ausbildung machte und jetzt als festangestellter Koch arbeitet. Noch so eine Erfolgsgeschichte aus Feldkirchen. Klaus Honigschnabel Hilfe auf allen Ebenen Dennoch war es auch für die beiden eine „ganz tolle Zeit“. Angelika Gillmann beschrieb das so: „In meiner mehr als 30-jährigen Berufszeit habe ich so was noch nicht erlebt. Und das Schönste ist, gemeinsam haben wir’s wirklich geschafft.“ Auch Roland Rausch, bei der Inneren Mission verantwortlich für die Finanzen, erinnerte sich an das eine Wochenende im September, an dem es gelang, innerhalb kürzester Zeit die Hilfe zu organisieren: „Es ist phantastisch, was viele Menschen hier auf Internationale Gäste, internationale Speisen, internationale Musik: Mori Dioubaté aus Guinea, Wanda Rosmus und Tom Kaleße (v.l.n.r.) sorgten beim Fest mit ihren Instrumenten für ungewohnte Klänge. Foto: ho Seite 12 Nr. 74 · 2016 Kritik an der Flüchtlingspolitik „Kopfschütteln und viele offene Fragen“ Eine neue landesweite Aufnahmeeinrichtung in Bamberg, die mögliche Verlagerung der Münchner Erstaufnahmeeinrichtung von der Bayernkaserne nach Fürstenfeldbruck, die Vergabe der Sozialbetreuung an gewerbliche Anbieter – Vertreter der Inneren Mission haben kritisiert, dass das „organisatorische Chaos“ in der Flüchtlingspolitik auf Bundes- und Landesebene immer größer wird. „Kopfschütteln und viele offene Fragen“ hinterlasse beispielsweise das neue Konzept des Integrierten Flüchtlingsmanagements des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sagte Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission, bei einer Pressekonferenz Anfang Mai. Dieses sieht vor, dass in allen Bundesländern – in Bayern in Bamberg – ein zentrales Ankunftszentrum mit beschleunigten Asylverfahren eingerichtet werden soll. Praxis aus dem Blick verloren Offen ist laut Bauer unter anderem die Zukunft der schon bestehenden Aufnahmezentren in Bayern und die Frage, wo die Menschen mit Bleibeperspektive künftig wohnen werden. Bauer wörtlich: „Das ist ein Paradebeispiel für eine Top-down-Politik, die auf Basis der Rechtslage organisiert wird und die Praxis aus dem Blick verliert.“ Es gehe nicht mehr um menschliche Schicksale, sondern nur noch um Logistik: „Menschen werden etikettiert und wie Stückgut herumgeschoben.“ Die kommunale Ebene – und mit ihr die Freien Träger, Kirchengemeinden und Akteure des Bürgerschaftlichen Engagements – werde nicht mehr als Akteur und Mitspieler gesehen, sondern lediglich als Objekt der Bundes- und Landespolitik. Das Konzept des Flüchtlingsmanagements ließe sich auch dezentral mit den schon bestehenden Einrichtungen umsetzen. Bauer wörtlich: „Das BAMF lenkt damit von den eigentlichen Problemen ab: zu wenig Personal, schleppende Bearbeitung der Anträge und mangelnde Information.“ Besorgt zeigte sich auch Andrea Betz, Leiterin der Abteilung Flüchtlingshilfe, Migration und Integration, über die Entwicklungen in der Flüchtlingspolitik der Regierung von Oberbayern: „Die soziale Betreuung der Flüchtlinge wird mittlerweile immer häufiger an privatwirtschaftliche Dienstleister vergeben, die vormals nur für die Bereiche Security und Facility Management zuständig waren und jetzt der Regierung von Oberbayern weisungsgebunden sind“, kritisierte sie. Bei der Vergabe auf einem so sensiblen Gebiet wie der sozialen Betreuung von Flüchtlingen zähle offenbar nur noch der Preis. Die Mitarbeitenden der gewerblichen Anbieter würden oft unter Tarif bezahlt, fachliche Standards seien nicht bekannt, die Arbeit von Ehrenamtlichen sei nicht mehr vorgesehen. Wichtig sei es auch, Kindern und Jugendlichen in den Unterkünften den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, da dies ein wichtiger Faktor bei der Integration ist: „Jeder Tag Bildung zählt.“ Sorge bereitet Andrea Betz und ihren Mitarbeitenden auch die von der Regierung angedachte Verlegung der Erstaufnahmeeinrich- tung aus der Bayernkaserne in den ehemaligen Fliegerhorst Fürstenfeldbruck: „Wenn das tatsächlich kommt, geht die soziale Infrastruktur verloren, die sich über Jahre gebildet hat“, legte sie dar. „Das bringt für Flüchtlinge weitaus mehr Nachteile als Vorteile.“ Die Münchner Ehrenamtlichen würden wohl nicht nach Fürstenfeldbruck fahren. Enges Netzwerk in München Ein enges Netzwerk aus sozialen Initiativen und Trägern – von ehrenamtlichen Helferkreisen über Kleiderkammern bis hin zu Familien- und Jugendzentren – unterstütze derzeit die Flüchtlinge in München. So habe das Münchner Gesundheitsamt eigens ein Medizinzentrum auf dem Gelände der Bayernkaserne eingerichtet, außerdem finanziere die Stadt Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche und eine Sozialberatung mit einem verbesserten Betreuungsschlüssel von 1:100 statt der üblichen 1:150. Es sei nicht sicher, ob Fürstenfeldbruck dieselbe Versorgung gewährleisten könne. Ein dickes Lob gab es dagegen für das soziale Engagement der Landeshauptstadt im Bereich der Flüchtlingspolitik. Die Stadt finanziere aus einer solidarischen Grundhaltung her- aus freiwillig viele Angebote, beispielsweise die Kinderbetreuung in den Unterkünften oder die Fachstelle zur Koordination des Bürgerschaftlichen Engagements. „Das ist eine Investition, die nachhaltig wirkt“, sagte Andrea Betz. So übernehme München auch die zusätzlichen Kosten für einen verbesserten Personalschlüssel in der Asylsozialarbeit und ermögliche Sprachkurse für alle Flüchtlinge. Bei Vergaben im Bereich der Betriebsführung sei nicht allein die finanzielle Komponente ausschlaggebend, sondern es zählten auch soziale Faktoren. Betz wörtlich: „Dieses Engagement ist herausragend und wir können dafür im Namen der Flüchtlinge nur ein dickes Dankeschön sagen.“ Die Innere Mission München betreut derzeit etwa 7.500 Flüchtlinge, darunter 1.200 Kinder und Jugendliche in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne sowie in fünf Dependancen, sieben Gemeinschaftsunterkünften und acht kommunalen Unterkünften. Derzeit sind etwa 650 Ehrenamtliche sowie rund 170 Hauptamtliche in den Unterkünften tätig. Isabel Hartmann Wollen wir dieses Europa? Karikatur: Yannis Antonopoulos Kurz gemeldet Innere Mission München Bei der Unterbringung, Versorgung und langfristigen Integration von Geflüchteten in München besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf. Dies wurde bei der Podiumsdiskussion des Jungen Bündnisses für Geflüchtete Ende April deutlich, zu der rund 200 junge Leute in den Veranstaltungssaal des CVJM gekommen waren. „München hat mit einer unglaublichen Solidarität die Erstaufnahme von Geflüchteten bewältigt. Nun stellt sich umso dringender die Frage nach der langfristigen Integration“, sagte Stephanie Dachsberger, Sprecherin des Jungen Bündnis für Geflüchtete. Lina Homa, Vorstand des HeimatenVereins, kritisierte den Zustand der Gemeinschaftsunterkünfte: „Die sind unhygienisch, eng und laut; sie bieten auch keine Privatsphäre, Kinder und Jugendliche haben dort zu wenig Schutz vor gewaltsamen und sexuellen Übergriffen.“ Und Markus Schön, kommissarischer Leiter des Stadtjugendamts, ergänzte: „Gerade in Gemeinschaftsunterkünften sollte es institutionalisierte Strukturen der Beteiligung und Selbstorganisation geben.“ Stadtrat Marian Offman (CSU) betonte, wie wichtig es für die Ankommenden sei, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. „Jeder, der einen Beruf erlernen will, soll das dürfen – unabhängig von Status und Bleibeperspektive.“ Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission, fokussierte dagegen auf die weltweite Komponente von Flucht und Vertreibung: „Wer ‚Ja‘ zur Globalisierung sagt, der muss auch ‚Ja‘ zur Migration sagen.“ Die Herausforderungen könne man durch „intelligente, strategische Planung und intensivierten sozialen Wohnungsbau gut bewältigen“. Geistlicher Impuls über Solidarität mit Flüchtlingen Eindeutige Zeichen der Menschlichkeit setzen Jeden Montagmorgen findet in der Laurentiuskapelle im LöheHaus eine Andacht statt. Abteilungsleiterin Andrea Betz machte sich Gedanken über den Umgang mit Flüchtlingen. „Wenn ich durch meine Nachrichten-Apps klicke und Berichte lese über fremdenfeindliche Übergriffe, die Aussagen der AfD, wie politisch Verantwortliche manchmal unverantwortlich über schutzsuchende Flüchtlinge sprechen und über Patriotismus. Wenn ich auf Twitter vom UNHCR und Human Rights Watch lese, unter welchen menschenunwürdigen Bedingungen die Flüchtlinge – und vor allem die Kinder – in den türkischen Flüchtlingscamps leben, und dass Präsident Erdogan Mauern mit automatischen Schießanlagen ausstatten will, dann verzage ich manchmal und fühle mich einfach nur noch ohnmächtig. Schreien möchte ich dann ob solcher Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Im vergangenen Jahr haben wir in unserem Land eine Welle von Empathie erlebt. Tausende Menschen haben sich solidarisch gezeigt mit den Menschen, die vor Terror und Gewalt fliehen mussten. Immer noch sind Tausende Menschen in der Flüchtlingshilfe aktiv und setzen Zeichen der Mitmenschlichkeit. Gleichzeitig sind aber auch viele Menschen verunsichert. Bei manchen wachsen die Ängste, dass 500.000 oder eine Million Geflüchtete auf 82 Millionen Einwohner in Deutschland zu viel und nicht zu integrieren sind. Dass sie sogar eine Gefahr für die eigene Existenz darstellen könnten. Menschen, die wenig haben, befürchten, dass ihnen auch noch von dem Wenigen etwas genommen wird. Andere haben viel und wollen daran festhalten. Genau in dieser Situation bekommen Rechtspopulisten Zulauf, die gegen Fremde hetzen und Werte verunglimpfen, die unsere Ge- sellschaft bislang so stark gemacht haben. Selten in der jüngeren Zeit war so viel Verunsicherung. Selten ist deshalb Orientierung so wichtig. Auch für uns selbst. Eine Bibelstelle aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 58,712, gibt Orientierung. Es ist ein Text über humanitäre Hilfe und Solidarität: ,Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn. Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen. (...) Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. (...)‘ Diese Worte des Propheten machen Hoffnung: Hilf anderen und Gott wird Dich immer sättigen und stärken. Oder wie es Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm einmal ausgedrückt hat: ,Der Versuch, allen Menschen eine gerechte Teilhabe an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen zu ermöglichen, ist zugleich zum effektivsten Programm zur Überwindung von Gewalt geworden.‘ Neue empirische Untersuchungen zeigen, dass das Zufriedenheitsniveau einer Gesellschaft nicht von der absoluten Höhe des materiellen Wohlstandes abhängt, sondern von der Begrenzung der Ungleichheit. Nur für die Ärmeren bedeutet ein Zuwachs an materiellen Ressourcen auch eine Zunahme von Lebenszufriedenheit. Und das Spannende ist: Auch das reichste Drittel der Gesellschaft ist zufriedener in Gesellschaften, in denen der soziale Ausgleich besonders entwickelt ist. Warum begreifen wir nicht, wie gut uns Gerechtigkeit tut und wie gefährlich Ungerechtigkeit ist? Was werden zukünftige Generationen über eine Zeit sagen, die weltweit mehr Reichtum als je zuvor geschaffen hat? Und in der trotzdem jeden Tag 24.000 Menschen sterben, weil ihnen Nahrung oder Medikamente fehlen – viele von ihnen Kinder. Vor Gott interessiert nicht, was wir beruflich erreicht haben, was wir gesellschaftlich dargestellt haben. Und auch nicht, wie beliebt und mächtig wir waren. Aber wie wir mit den Geringsten unserer Brüder und Schwestern umgegangen sind, das wird interessieren. Ob wir sie überhaupt bemerkt haben, ob wir uns für sie interessiert haben, ob wir sie in unseren Diskussionen um materielle Interessen vergessen haben oder ob sie der leitende Gedanke all unserer Überlegungen waren. Jeder von uns ist gefragt, unsere Gesellschaft zu prägen. Im Kleinen, im Alltag, heute, morgen. Es gilt, Zeichen zu setzen. Zeichen der Menschlichkeit.“ Nr. 74 · 2016 Seite 13 Krisendienst Psychiatrie startet im Landkreis München mit ersten Angeboten Kunstwerke aus Knete Nummer gegen Seelen-Kummer Es war für die Kinder im Family House der Bayernkaserne ein besonderer Tag: Die „Sir Peter Ustinov Stiftung“ spendete 300 Kreativpakete, die der Schauspieler Götz Otto überreichte. Kaum verteilt, packten die Kleinen eilig Blei- und Buntstifte, farbige Knete, Malbücher und Aufkleber aus. Gemeinsam mit dem Gast begannen die Kinder sofort zu malen und zu basteln. Innerhalb kürzester Zeit entstanden die ersten Kunstwerke. Von afrikanischen Figuren aus violetter Knete bis zur Bleistiftzeichnung mit 3D-Effekt war alles dabei; vieles zeugte von großem Talent. Die Zeit mit Götz Otto verging wie im Fluge und die strahlenden Kinderaugen zeigten, wie viel Freude diese Überraschung bereitet hat. Text / Foto: Markus Zechmann 0180 / 655 3000 – täglich von 9 bis 24 Uhr: Der Landkreis München hat seit Anfang Juni einen psychiatrischen Krisendienst mit einheitlicher Notrufnummer. Vorbild ist der seit 2007 bestehende Krisendienst Psychiatrie München, der in die neue Organisation integriert wird. Auch die sozialpsychiatrischen Dienste der Inneren Mission sind bei dem Verbund mit dabei. Der Krisendienst Psychiatrie wird nun schrittweise ausgebaut: Seit Juni ist der Landkreis München am Netz. Im Herbst 2016 folgen die Landkreise um München sowie Südost-Oberbayern; Ende 2017 ist dann ganz Oberbayern dabei. Das Projekt ist laut Bezirkstagspräsident Josef Mederer ein „Meilenstein für die Versorgung psychiatrischer Notfälle“. Es wird zunächst für fünf Jahre in der Praxis erprobt. Ein Herzensanliegen Eine Masterarbeit untersucht die Motive Ehrenamtlicher am Lighthouse Welcome Center Ehrliches Engagement oder bloßer Aktivismus? Es ist noch keine zwei Jahre alt – und doch gilt das Lighthouse Welcome Center, das die Innere Mission, der Verein Lichterkette und Invild Goetz Philanthropy gemeinsam betreiben, als weit über München hinausweisendes Leuchtturmprojekt. Steht das kleine Holzhaus unmittelbar vor dem Eingang zur Bayernkaserne doch für die herzliche Willkommenskultur, mit der Flüchtlinge hier empfangen werden. Mehr als 130 Ehrenamtliche arbeiten bei dem Projekt mit. Julia Meindl, Studentin der Kulturwissenschaften an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, hat nun in ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Willkommen in der Bayernkaserne! – Ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge aus Sicht der Engagierten“ die Erwartungen und Motive der Helfenden sowie deren Einstellungen gegenüber den Geflüchteten und den Umgang mit ihnen untersucht. Für ihre Arbeit mit rund 300 Seiten, die sie am Institut für Interkulturelle Kommunikation bei Professor Alois Moosmüller einreichte, bekam die 28-Jährige übrigens eine glatte Eins. Tropfen auf den heißen Stein? Nach der ausgiebigen Klärung der Forschungsfelder Ehrenamtliches Engagement und Flucht / Asyl sowie der methodischen Vorgehensweise bilden sechs teilweise mehrstündige Interviews den Hauptteil der Arbeit. Die Ergebnisse fallen natürlich je nach Interviewpartner unterschiedlich aus. Während sich die einen schon mal selbstkritisch fragen, ob sie „eher Kaffeekocher sind oder Informant, eher Animateur als Berater“, fühlt sich eine 41-jährige Kommunikationsdesignerin im Lighthouse „genau am richtigen Platz“. Auch wenn die Tätigkeit hin und wieder als „Tropfen auf den heißen Stein“ empfunden werde, mache sie dennoch Hoffnung: Anders als die Behördenvertreter, die für Einzelne oft kaum Zeit haben, könnten die Ehrenamtlichen den Flüchtlingen zuhören, ihnen dadurch Selbstbewusstsein geben und so wenigstens für einen Moment dazu beitragen, sie vom Leben in der tristen Unterkunft abzulenken. Häufiges Antriebsmoment der Helfenden ist es, bewusst anders zu gestalten, was staatliche Behörden und Politiker vermissen lassen. Einige wollen einen konkreten kleinen Beitrag leisten, um die Welt zu verbessern; die meisten erleben durch ihre Tätigkeit, dass sich ihr Horizont deutlich erweitert. Dennoch gelangen die Ehrenamtlichen bei der Arbeit immer wieder an Grenzen ihrer Toleranz oder erleben interkulturelle Differenzen, weshalb Julia Meindl ein vorsichtig kritisches Fazit zieht: So notwendig und sinnvoll die Einbeziehung Ehrenamtlicher in die Flüchtlingsarbeit auch ist, so wichtig sei es, „eine Ehrenamtskultur sowie ein Freiwilligenmanagement zu schaffen und interkulturelle Bildungsangebote zu konzipieren, damit der Einsatz dieses wachsenden sozialen Kapitals weiter optimiert werden kann“. Andrea Betz, die als Abteilungsleiterin den gesamten Flüchtlingsbereich bei der Inneren Mission verantwortet, ist dankbar für die Anregungen einer Beobachterin aus einem anderen Blickwinkel. Im Bereich der interkulturellen Schulungen konnte in der Zeit nach der Befragung (März 2015) schon vieles umgesetzt werden. Die vielfältigen Angebote und Projekte werden seit Beginn des Jahres auch von der Fachstelle Volunteering / Ehrenamt qualifiziert begleitet und organisiert. Klaus Honigschnabel Die Kosten liegen im Endausbau bei circa 7,4 Millionen Euro pro Jahr, der Personalbedarf nach ersten Berechnungen bei bis zu 88 Stellen. Dieses Stellenkontingent verteilt sich auf rund 600 Mitarbeitende, da die Abend- und Wochenenddienste von Mini-Jobbern übernommen werden. Ausgelegt ist das Angebot auf rund 20.000 Anrufe im Jahr. Der Aufbau des Projektes ist für den Bezirk eine gewaltige Kraftanstrengung. „Aber wir schultern das, weil der Krisendienst für uns ein Herzensanliegen ist“, sagte Bezirkstagspräsident Mederer. Endlich können Menschen in akuten seelischen Krisen einen gezielten Hilferuf an einer dafür ausgewiesenen Fachstelle absetzen. Die neue Spezial-Leitstelle für psychiatrische Krisen unterstützt sie fachkompe- tent, das jeweils am besten geeignete Hilfeangebot zu finden – noch dazu möglichst nah am jeweiligen Wohnort. Mederer: „Dadurch wird künftig hoffentlich auch eine ganze Reihe der bisher in solchen Situationen üblichen Polizeieinsätze überflüssig.“ Problemberge zügig angehen Die Innere Mission ist mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst (SpDi) in Bogenhausen dabei; von Anfang Oktober an ist auch der SpDi Ebersberg eingebunden. Darüber hinaus ist der Geschäftsbereich Herzogsägmühle mit drei Beratungseinrichtungen vertreten. Michael Frieß, bei der Inneren Mission für den Bereich der Sozialpsychiatrie zuständig, kennt die Problematik aus eigener Erfahrung als Rettungsassistent: „Sobald die ganze Maschinerie anläuft mit Sanka, Polizei und Blaulicht, hat man keine Möglichkeit mehr, das abzubremsen.“ Diese Chance sei nun gegeben: Fachleute könnten die Klienten in aller Ruhe davon überzeugen, sich freiwillig in eine Behandlung zu begeben und so Aufsehen vermeiden. Frieß ist auch an einem anderen Punkt des Krisendienstes involviert. Er hat federführend an einem einheitlichen Bezahlmodell mitgearbeitet: „Die Herausforderung war, dass alle Mitarbeitende an dem Projekt dasselbe verdienen sollen – obwohl die Träger alle unterschiedliche Tarife haben.“ Gemeinsam mit der Caritas sei es gelungen, dieses Problem zu lösen. Zum Start im Landkreis München wurde auch die neue Homepage unter www.krisendienst-psychiatrie.de freigeschaltet. Dort ist auch ein Video sowie ein Interview mit dem Extremkletterer Alexander Huber (einer der „Huaba-Buam“) eingestellt; er ist ehrenamtlicher Fürsprecher des Krisendienstes. Huber hat in seinem Leben selbst einmal eine seelische Krise überwunden; jetzt ermutigt er Menschen in psychischer Not, sich rasch Hilfe zu holen. Huber: „Wenn man einen Berg besteigen will, bringt es nichts, immer nur um den Berg herumzulaufen. Irgendwann muss man den Berg angehen. Gleiches gilt auch für Krisen im Leben. Wenn man merkt, dass es einem nicht gut geht, sollte man selbst aktiv werden.“ Die Anrufe gehen wie bisher bei der Leitstelle in München ein. Diese ist ärztlich geführt, fachlich kompetent besetzt und übernimmt die Erstberatung mit der Koordinierung geeigneter Hilfen vor Ort. In den jeweiligen Versorgungsregionen liegt die Krisenintervention in den Händen von dezentral verorteten Fachstellen (unter anderem Sozialpsychiatrische Dienste und Psychiatrische Institutsambulanzen). Je nach Bedarf erfolgt die Krisenhilfe über kurzfristige ambulante Beratungstermine, Kriseneinsätze vor Ort oder stationäre Klinikeinweisungen. Netzwerkpartner für die Vor-Ort-Einsätze sind die Träger der Freien Wohlfahrtspflege. Aus Sicht des Sprechers der Netzwerkpartner für die Region München, Horst Reiter, ist der Krisendienst ein „deutschlandweit einmaliges Verbundprojekt“. Aufsuchende Krisenhilfe Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der aufsuchenden Krisenhilfe, die auch präventiv erfolgen kann, um die Zuspitzung einer Krise abzuwenden. Der Münchner Krisendienst hatte 2015 rund 13.000 Telefonkontakte; bei etwa sieben Prozent waren Vor-Ort-Einsätze erforderlich. Die Leitstelle übernimmt hierbei nach den Worten des ärztlichen Leiters Michael Welschehold die zentrale Lotsenfunktion. „Wir hören zu, deeskalieren, beraten und vermitteln. Die Betroffenen wissen in ihrer Not am wenigsten, wo es passende Hilfe gibt.“ Das bestätigen auch Vertreter der Betroffenen-Verbände sowie der Angehörigen, die seit Jahrzehnten den Aufbau einer psychiatrischen Krisenversorgung gefordert hatten. „Unsere Erfahrungen mit dem Münchner Krisendienst sind sehr positiv. Wir sind daher froh, dass bald Patienten in ganz Oberbayern auf dieses Angebot bauen können“, sagte Gottfried Wörishofer, Geschäftsführer der Münchner Psychiatrie-Erfahrenen. Und Eva Straub, stellvertretende Landesvorsitzende der Angehörigen psychisch Kranker, erklärte bei der Vorstellung des Dienstes vor der Presse: „Es wird eine menschenwürdige, flächendeckende, ambulante Krisenversorgung geben, die die Tür aufmacht für psychiatrische Behandlungen.“ Statt eines kompetenten Helferteams sei bisher oft der Krankenwagen mit Polizeieskorte gekommen: „Vertrauen zerbrach, der Glaube an eine hilfreiche Psychiatrie ging verloren. Das wird es so nicht mehr geben.“ Constanze Mauermayer Seite 14 Nr. 74 · 2016 Ein Ort zum Leben: Die „Lebensplätze“ in Milbertshofen-Am Hart feiern fünfjähriges Jubiläum Wohnen ist ein Menschenrecht In Karla 51 finden obdachlose Frauen eine Unterkunft – und Fachpersonal, das ihnen zuhört und versucht, gemeinsam die Probleme zu lösen. Fotos: Erol Gurian Erste Anlaufstelle für Frauen in Not: Das Frauenobdach Karla 51 wird 20 Jahre alt Eine sichere Bleibe auf Zeit Seit 20 Jahren gibt es das Frauenobdach Karla 51. Hervorgegangen ist „die Karla“ aus der Frauenteestube in der Dreimühlenstraße, wo sich seit 1989 wohnungslose Frauen tagsüber treffen, Wäsche waschen und Hilfe erhalten konnten. Doch irgendwann war klar, dass die Frauen auch nach 22 Uhr, der Schließzeit des Cafés, einen eigenen Anlaufpunkt brauchten. In den gemischten Notunterkünften für Obdachlose waren sie häufig Übergriffen von männlichen Bewohnern ausgesetzt. „Es dauerte eine Weile, bis der Bedarf für eine Einrichtung speziell für obdachlose Frauen akzeptiert wurde“, sagt Isabel Schmidhuber, die Leiterin des Frauenobdachs. 1995 wurde das Haus in der Karlstraße 51 angemietet; vorher war hier ein Wohnheim für Auszubildende der Post. 1996 eröffnete dort das Frauenobdach unter der Leitung von Carol Wandt, die vorher die Frauenteestube geführt hatte. Sie leitete die Einrichtung bis 2003 und bekam für ihren Einsatz 2005 das Bundesverdienstkreuz. 40 Einzelzimmer mit eigenem Bad und Gemeinschaftsküche bieten seitdem ein erstes Obdach für Frauen, die auf der Straße gelandet sind – aus ganz verschiedenen Gründen. „Die Geschichten der Frauen sind unendlich vielfältig“, erzählt Schmidhuber. Viele waren gezwungen, sich von ihren Männern zu trennen, und müssen Hals über Kopf eine neue Bleibe finden, weil sie nicht mit im Mietvertrag stehen. Bei anderen ist der Ehemann und Versorger plötzlich verstorben und die Frauen hatten nicht für eine eigene Absicherung gesorgt. Andere sind als Au-PairMädchen nach München gekommen, schwanger geworden und können nicht in ihr Heimatland zurück. Wieder andere konnten ihre Miete nicht mehr bezahlen und sind aus der Wohnung geklagt worden. Raus aus der Abwärtsspirale Waren vor 25 Jahren noch zehn Prozent der Obdachlosen in Oberbayern Frauen, sind es heute 30 Prozent, weiß Isabel Schmidhuber. Vor allem alleinerziehende Mütter seien von Armut bedroht: „Es ist ein Teufelskreis. Es gibt immer noch zu wenige Krippenplätze – doch ohne Betreuung für das Kind können die Frauen keine Arbeit annehmen.“ Außerdem seien alleinerziehende Frauen bei Vermietern oft nicht besonders beliebt. Auch die Einführung von Hartz IV hat dafür gesorgt, dass sich die Abwärtsspirale im Leben vieler Menschen deutlich schneller dreht. Wer seinen Job verliert und Hartz IV bekommt, muss oft nach einiger Zeit aus der alten Wohnung ausziehen, weil sie zu teuer ist und das Jobcenter die Miete deshalb nicht komplett übernimmt. Frauen, die bei Karla 51 Unterschlupf finden, sind zwischen 18 und 90 Jahre alt und kommen aus der ganzen Welt, berichtet die Sozialpädagogin. Etwas mehr als die Hälfte der Frauen hat einen Migrationshintergrund. Aufgenommen werden zunächst alle Frauen, ohne Bedingungen, 24 Stunden am Tag. „Wir wollen explizit ein niedrigschwelliges Angebot sein“, sagt Schmidhuber. Langfristige Perspektiven finden Nach der Aufnahme gibt es dann ein sogenanntes „Basis-Clearing“. Dabei werden die wichtigsten Dinge geklärt: Hat die Frau eine Krankenversicherung? Hat sie ein Recht auf Unterstützung, zum Beispiel Hartz IV oder Unterhalt? Ist sie psychisch erkrankt oder suchtkrank? Wird sie von ihrem gewalttätigen Mann gesucht und muss deshalb in einem Frauenhaus in Sicherheit gebracht werden? Jede Frau wird einer Mitarbeiterin im Haus zugeordnet, die sich speziell um sie kümmert und versucht, mit ihr eine langfristige Wohnperspektive zu entwickeln. Etwa die Hälfte der Frauen, die in Karla 51 unterkommen, hat eine Arbeit, sagt Schmidhuber. Doch selbst mit dem Mindestlohn können sich viele keine eigene Wohnung leisten. Von der Stadt ins Umland zu ziehen, ist jedoch oft auch nicht möglich, weil viele im Schichtdienst arbeiten und nachts dann nicht mehr nach Hause kommen. In den ersten zehn Jahren hätten die 40 Zimmer einigermaßen ausgereicht, berichtet Schmidhuber. Wenn alle belegt sind, gibt es noch den Frauenschutzraum mit vier Betten, der mittlerweile in der Einrichtung der Lebensplätze in Milbertshofen-Am Hart angesiedelt ist (siehe Bericht rechts). Ist auch der belegt, können die Bahnhofsmission oder im Winter auch das Kälteschutzprogramm als Ausweichquartiere genutzt werden. Der Kälteschutz läuft jedoch nur vom 1. November bis zum 31. März – im April stiegen deshalb die Anfragen in der Karla auch wieder deutlich an, sagt Schmidhuber. Für die Zukunft wünscht sie sich deshalb dringend ein zusätzliches Quartier zum Haupthaus in der Karlstraße 51. Breite Angebotspalette Neben der persönlichen Beratung durch die acht hauseigenen Sozialarbeiterinnen gibt es noch viele weitere Angebote in Karla 51, die auch Frauen von außerhalb nutzen können: Das Frauencafé, das fünfmal pro Woche geöffnet hat, bietet neben Frühstück oder warmem Mittagessen auch eine Kleiderausgabe, Wäsche waschen oder Duschen an. Einmal im Monat kommt eine Friseurin ins Haus sowie eine medizinische Fußpflegerin. Dienstags bietet eine Ärztin, donnerstags eine Psychiaterin Sprechstunden an. Außerdem stellt die Münchner Tafel immer wieder Lebensmittel zur Verfügung. „Das Café ist ein ganz wichtiger Baustein unserer Arbeit“, betont Schmidhuber. Viele Besucherinnen haben früher im Frauenobdach gewohnt. Ihnen bietet das Café nicht nur einen warmen Raum und ein günstiges Essen, sondern auch eine Tagesstruktur, ist Anlaufstelle mit sozialpädagogischer Beratung oder einfach Treffpunkt mit Freundinnen. Wenn man das Zimmer von Jutta Erlenbach* betritt, würde man zuerst nicht auf die Idee kommen, dass hier jemand ein Zuhause gefunden hat. Die Jogginghose auf dem Bett ist der einzige persönliche Gegenstand, der zu sehen ist – bis auf das Bett, einen Schrank, einen grünen Sessel und einen kleinen Fernseher auf einem Tischchen ist das Zimmer leer, die Wände sind kahl. Auch die kleine Küchenecke sieht unbenutzt aus. Und doch wohnt die 65-Jährige schon seit mehr als vier Jahren im Lieberweg 22 in Milbertshofen-Am Hart und sagt: „Ich bin froh, dass ich hier bin.“ Zahlreiche Ansprechpartner Seit Dezember 2011 bieten die „Lebensplätze für Frauen“ genau das: einen Platz zum Leben für 25 ältere ehemals wohnungslose Frauen. Diese Frauen fielen vorher gewissermaßen durch das Raster aller Betreuungseinrichtungen, erklärt Leiterin Verena Graf. Das Hilfesystem für jüngere obdachlose Frauen ist in München sehr gut ausgebaut, weiß sie. „Aber da geht es vor allem um die Wiedereingliederung in den Arbeits- und Wohnungsmarkt – und die Unterbringungsplätze sind alle befristet.“ Gerade ältere Frauen, die schon lange obdachlos sind, haben jedoch so viel Schlimmes erlebt und leiden meist unter psychischen und körperlichen Erkrankungen, sodass eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oder den normalen Wohnungsmarkt kaum möglich ist. Andererseits gestehen viele dieser Frauen sich nicht ein, dass sie Hilfe brauchen, und wollen sich auch nicht beraten lassen. Und genau hier liegt das Problem. „Der Wohnraum ist normalerweise gekoppelt an eine Mitwirkungspflicht der Frauen“, erläutert Graf. Eine obdachlose Frau bekommt also nur einen Unterbringungsplatz, wenn sie bereit ist, daran mitzuwirken, ihre Lage zu verbessern. Tut sie das nicht oder verstößt sie mehrfach gegen bestimmte Regeln, ist irgendwann auch der Wohnraum wieder weg. „Das Besondere am Konzept der Lebensplätze ist deshalb, das Wohnen von der Beratung zu trennen. Wir sehen Wohnen als Menschenrecht an – und erst danach schauen wir, wie wir die Frauen motivieren können, unsere Beratungsangebote anzunehmen.“ 80 Bewerbungen gab es vor dem Start im Dezember 2011, eine Kommission aus Mitarbeitenden verschiedener Einrichtungen wählte 25 Frauen aus. Jede hat ein EinZimmer-Appartement mit eigener Küche und eigenem Bad – und einen regulären Mietvertrag auf ihren Namen. In der Regel wird die Miete vom Sozialbürgerhaus bezahlt, da viele Frauen Grundsicherung beziehen, andere haben eine kleine Rente. Auch Jutta Erlenbach war bei diesen ersten 25 Frauen dabei – zwei Tage vor Heiligabend 2011 zog sie ein: „Wie ich die Bude hier gesehen habe, war ich schon froh“, sagt sie. Vorher hatte sie in verschiedenen Münchner Notunterkünften und Pensionen gelebt. Von ihrem Mann hat sie sich scheiden lassen, nachdem er sie jahrelang aufs Übelste misshandelt hatte. Es folgten viele andere Männer, „doch das ging immer schief“. Fünfmal war sie im Gefängnis. Nun kommt ihr kein Mann mehr ins Haus. Aber mit den anderen Frauen im Lieberweg versteht sie sich gut. „Man kann hier reden und hat Spaß. Und mit den Mitarbeiterinnen komme ich auch gut klar.“ Sieben Leute arbeiten hauptamtlich bei den Lebensplätzen – manche in Teilzeit: Neben Leiterin Graf noch zwei Sozialpädagoginnen, eine Krankenschwester zur Gesundheitsfürsorge, eine Verwaltungsangestellte, eine Hauswirtschafterin und ein Hausmeister. „Jeder kann und soll Ansprechpartner sein“, erklärt Graf. Das Wichtigste ist, Vertrauen aufzubauen. Das ist offenbar gelungen: Treffpunkt für Ehemalige An diesem Dienstag sitzen hier zum Beispiel Margot, 63, und Olivia, 59, die sich während ihres gemeinsamen Aufenthaltes in Karla 51 kennengelernt haben. Beide haben mittlerweile eine Wohnung und zumindest eine Teilzeitarbeit gefunden – trotzdem kommen sie so oft es geht wieder hierher. „Man trifft so viele nette Leute und bekommt ein günstiges Essen“, sagt Margot. „Ich wohne jetzt alleine“, erzählt Olivia. „Hierher komme ich, damit ich einfach mal reden kann.“ Imke Plesch Wurzeln schlagen – nach Irrwegen durchs Leben und durchs Hilfesystem: Die Lebensplätze sind für viele Frauen eine große Chance. Foto: Lebensplätze Nr. 74 · 2016 Von den 25 Frauen, die anfangs einzogen, sind 21 bis heute geblieben. Mit dem wachsenden Vertrauen können die Frauen auch immer mehr Hilfe zulassen und wenden sich beispielsweise freiwillig an einen Arzt. Jede Unterstützung, die eine Frau annimmt, ist für Graf ein Erfolgserlebnis. Neben der persönlichen Beratung gibt es auch täglich Gemeinschaftsangebote im Haus: Sei es das wöchentliche gemeinsame Kochen und Essen, das Kreativatelier oder die Schreibwerkstatt. Auch diese Angebote sind freiwillig – erlauben den Frauen aber, miteinander in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. Seite 15 Persönlich Seit Anfang dieses Jahres ist Iris Krohn Betriebsleiterin von diakonia secondhand. Das Büro der 44Jährigen befindet sich im Stammhaus an der Dachauer Straße; von dort aus setzt sich die Sozialpädagogin ein für Menschen, die durch eine regelmäßige Tätigkeit auf neue Weise Anerkennung und eine konstruktive Beschäftigung erleben, wodurch ihr Alltag selbstbestimmter und bewusster wird. „Unterschiedlichste Menschen stehen bei uns in realen Beschäftigungsverhältnissen, die zwar meist befristet sind, aber trotzdem Wohnen auf Dauer Nachdem das Ziel der ersten Jahre vor allem war, eine stabile Hausgemeinschaft aufzubauen, wünscht sich Graf für die Zukunft mehr Integration in den Stadtteil sowie Kontakte zu anderen sozialen Einrichtungen vor Ort und den Nachbarn. Dies müsse aber behutsam geschehen, weil viele Frauen jahrelang Ablehnung erfahren und Schwierigkeiten im Umgang mit anderen hätten. Ausgelegt sind die Wohnungen in den Lebensplätzen auf Dauer. „Die Frauen sollen hier zur Ruhe kommen, bleiben und alt werden dürfen“, erklärt Graf. In Zukunft werden deshalb sicher die Themen Gesundheit und Pflege immer wichtiger. Barrierefrei ist das Haus bereits: Es wurde von den Architekten der GWG München in Absprache mit dem Evangelischen Hilfswerk auf die Bedürfnisse der Lebensplätze hin geplant und gebaut. Imke Plesch *Name von der Redaktion geändert Kurz gemeldet Evangelisches Hilfswerk München Seit Anfang April 2016 betreut das Evangelische Hilfswerk München im Nordwesten der Stadt einen zweiten Beherbergungsbetrieb für Familien, die bereits obdachlos oder von Obdachlosigkeit bedroht sind: In dem vierstöckigen Haus in der Dachauer Straße 334 stehen insgesamt 152 Plätze in 30 Apartments zur Verfügung. Wichtigste Ziele von „Dachauer 334“ sind es, so dessen pädagogische Leiterin Renata Zadro-Galic, „die akute Wohnungslosigkeit der Familien zu überwinden, abzuklären, inwieweit sie mietfähig sind und sie nach Möglichkeit in eine eigene Wohnung oder eine andere geeignete Wohnform weiterzuvermitteln“. Da in dem Beherbergungsbetrieb im Stadtteil Moosach auch Flüchtlinge mit Bleibeperspektive aufgenommen werden, gelte es zudem, die kulturellen Hintergründe der jeweiligen Personen zu berücksichtigen. Die Landeshauptstadt München hat für die Finanzierung in den kommenden drei Jahren rund anderthalb Millionen Euro bewilligt; insgesamt besteht das Team in dem Haus aus drei Sozialpädagoginnen und drei Mitarbeiterinnen für die Kinderbetreuung sowie einer Verwaltungskraft. in begleiteter Form die beruflichen Anforderungen eines normalen Jobs stellen.“ Für viele ist das ein Einstieg, der Perspektiven bietet und so nur selten geboten wird. Fast 200 Mitarbeitende hat diakonia secondhand derzeit – alle in unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen. Dazu kommen noch zahlreiche Ehrenamtliche, deren Unterstützung für den gesamten Textilbereich „lebensnotwendig ist“, wie Iris Krohn sagt. Freiwillige für die Sortierung oder die Ausgabe in den beiden Kleiderkammern kann sie deshalb immer brauchen. Denn deren Koordination gehört ebenfalls zu den Aufgaben der gebürtigen Münchnerin, die sie wie so viele andere gerne übernommen hat. Nach den ersten sechs Monaten im neuen Job sagt sie rückblickend: „Es gibt nichts, was mir an der diakonia nicht gefällt.“ Kaufmännische und organisatorische Grundlagen eignete sie sich früh an, da sie das Geld für ihr Studium an der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München in der Gastronomie verdiente. Später war Krohn dann sozialpädagogische Küchenleitung im Netzwerk Geburt und Familie und startete in dieser Funktion auch 2001 beim Treffpunkt Familie International. Nach 15 Jahren in dieser Einrichtung stand nun eine neue Aufgabe an. Das Spannendste bei diakonia secondhand ist für Iris Krohn der ständige Wandel: Arbeitnehmer, die vielfältigen Herausforderungen gerecht werden sollen, eine Unternehmensstruktur, die laufend an interne und externe Bedürfnisse angepasst werden muss – und natürlich die wechselnden Artikel im Gebrauchtwarenhaus, für dessen Betrieb sie auch zuständig ist. „Mein Job darf nicht nur ein Job sein, sondern muss auch einen gesellschaftlich wertvollen Selbstzweck haben“, betont sie. Monika Baur übernahm Anfang Januar die Leitung des WeM – Wohnen für Menschen mit Epilepsie und/oder Schädel-Hirn-Verletzungen. Dazu gehört einerseits die Wohngemeinschaft für acht Betroffene in der Segenstraße, andererseits bietet das WeM auch ambulante Unterstützung zu Hause an und betreut knapp 60 Klienten. Neben der pädagogischfachlichen Ausrichtung ist die 47Jährige für das Team von 20 Mitarbeitenden, die Gremien- und Netzwerkarbeit sowie die Finanzen zuständig. Derzeit ist Baur noch in der Einarbeitungsphase. Doch parallel dazu beginnen bereits neue Aktionen, „was mir große Freude macht“. So startete bereits Anfang Mai die „Kinderneurologiehilfe“ mit Elternberatung und für den November plant sie den Start einer „Inklusiven WG“. Bereits im März 2015 hatte das WeM zusammen mit der „Koordinationsstelle psychosoziale Nachsorge für Familien mit an Krebs erkrankten Kindern“ (Kona) ein Wohnprojekt für Jugendliche eröffnet; Monika Baur führt das Begonnene jetzt fort. Ein gemeinsames Ziel verbindet alle Projekte: „Wir wollen unseren Klienten die Hand reichen zu einem möglichst selbstständigen und eigenverantwortlichen Leben“, sagt die gebürtige Stuttgarterin. Dazu gehört die Berufsfindung, die Freizeitgestaltung und das Knüpfen sozialer Kontakte, Erledigungen im Haushalt und Kontakt mit Behörden. Nach ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin in Mainz verbrachte sie einige Monate auf der Insel Föhr, aber der Wunsch nach Nähe zur Familie und die Liebe zu den Bergen führte sie wieder in den Süden. In München übte Monika Baur ihren Beruf in einem Akutkrankenhaus und bei der Pfennigparade aus, spezialisierte sich auf Kinder und Erwachsene mit neurologischen Erkrankungen und Schädel-Hirn-Verletzungen. Vor zehn Jahren entschloss sie sich zum Studium der Sozialwirtschaft am bfz in München und baute danach das Therapieplanungssystem und -controlling in der Schön Klinik auf. Doch das war eine Tätigkeit, „die mir langfristig zu zahlenlastig war“, sagt sie rückblickend. Die Klienten, deren Leben und Denken ihr so vertraut sind, fehlten. In ihrer neuen Tätigkeit kann sie all ihre Kompetenzen verbinden. Den Arbeitsbereich „Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe, Frauen und Familie“ beim Evangelischen Hilfswerk München leitet seit Jahresbeginn die gebürtige Südtirole- rin Alexandra Reinalter. Die 38Jährige studierte Psychologie und Psychotherapie in Padua und Mailand. Nach Abschluss ihres Studiums entwickelte sie für einen Verein in Bozen Einrichtungen, die sich um Frauen in Not kümmerten. Doch dann tauchte der Wunsch auf, wieder in ihrem eigentlichen Beruf als Psychologin zu arbeiten. Obwohl ihr Familie und Freundeskreis in Bruneck sehr wichtig waren, zog sie 2008 nach München. Ihr erster Arbeitgeber war die Erzdiözese München-Freising, wo sie als Psychologin arbeitete. Später wechselte sie zum Evangelischen Beratungszentrum, wo sie eine Beratungsstelle von 2012 an auch leitete. Berufsbegleitend schloss Reinalter Anfang 2015 den Master of Business Administration an der FOM Hochschule ab. Verantwortlich ist sie jetzt beim Evangelischen Hilfswerk für drei Einrichtungen für Familien – das Charlotte-von-Kirschbaum-Haus LOLLO, das Haus in der Dachauer Straße 334 und die Beratungsstelle FamAra (Migrationsberatung wohnungsloser Familien) – sowie für den kompletten Frauenbereich: die Lebensplätze für Frauen, das Frauenobdach KARLA 51 und den Evangelischen Beratungsdienst für Frauen (Stationäres Wohnen, Unterstütztes Wohnen, Beratungsstelle und Straffälligenhilfe). Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen in den Einrichtungen „zeitgemäße Antworten für die Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten zu finden und eine Begleitung zu bieten, die Ressourcen aktiviert und zu eigenständigem Leben führt“. Dazu nützt Reinalter ihre Gestaltungsfreiheit und setzt auf ihr Team von 140 (mehrheitlich) Kolleginnen und (wenigen) Kollegen: „Mir ist es wichtig, dass wir an einem gemeinsamen Strang ziehen und die Interessen von Frauen und Familien immer besser vertreten.“ Um weiterzukommen, müssen Menschen manchmal die Perspektive wechseln. Sich neue Horizonte erschließen. Für Sandra Ebert, die den Treffpunkt Familie International (Treffam) an der Tübinger Straße seit Januar 2016 leitet, stand genau das immer im Vordergrund – in zweierlei Hinsicht. Zum einen prägte es ihre eigene Entwicklung. Zum anderen zielte auch ihr berufliches Engagement von Anfang an darauf ab, anderen dabei zu helfen, neue Blickwinkel zu entdecken und so das Leben besser zu meistern. Sandra Ebert, gebürtig in Schwäbisch Hall, hat es immer als Bereicherung empfunden, Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern kennenzulernen. Also erfüllte sie sich nach dem Abitur 2003 einen Traum: Zusammen mit einer Freundin ging sie nach Australien und Neuseeland, legt Zwischenstopps in Thailand und Indonesien ein. Menschen aus der ganzen Welt lernt die 32-Jährige auch heute täglich kennen, denn genau für diese ist das Treffam eine Anlaufstelle: Familien und Alleinerziehende aller Nationalitäten finden dort ein breites Angebot an Unterstützung; es gibt Seminare und Beratung, Hilfe bei unterschiedlichsten Problemen, Integrationsund Deutschkurse, Kindertagesbetreuung und Aktionen. Zentraler Bestandteil ist das Eltern-Kind-Café, ein offener Begegnungsort für Familien zum Treffen, Kennenlernen, Informieren und Erholen. Für Sandra Ebert ein Traumjob, in den sie ihre ganze berufliche Erfahrung einfließen lassen kann. „Ich wollte etwas Sinnvolles machen, mit Menschen arbeiten“, erzählt sie. 2004 begann sie, an der Hochschule in Esslingen Soziale Arbeit zu studieren; ihr Praxissemester absolvierte sie bei der Diakonie in Schwäbisch Hall. „Während des Praktikums merkte ich, dass ich genau das beruflich machen möchte. International im Familienbereich arbeiten.“ Nach dem Studium stieg sie sofort ins Berufsleben ein. „Ich bin zunächst zweigleisig gefahren, mit Teilzeitjobs in der Sozialpädagogischen Familienhilfe bei der Diakonie in Schwäbisch Hall und der Arbeiterwohlfahrt in Aalen“, erzählt sie. Dort bekam sie schließlich eine Vollzeitstelle. Berufsbegleitend studierte sie an der Päda- gogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd Bildungswissenschaft und machte ihren Master. Sie bildete sich parallel weiter, in systemischer Beratung, Erlebnispädagogik, in systemischer Supervision und Coaching. 2013 wechselte Sandra Ebert an die Hochschule in Schwäbisch Gmünd und arbeitete als Dozentin. Dann entschied sie, wieder an die Basis zu gehen. „Die Nähe zur Praxis fehlte mir.“ Als Leiterin des Treffam ist Sandra Ebert sich selbst treu geblieben: „Mir ist es wichtig, präsent zu sein und Kontakt zu den Menschen zu haben.“ Genauso wichtig ist ihr in ihrer Arbeit, einen Beitrag zur Teilhabe an der Gesellschaft und zu mehr Chancengleichheit für die ganz unterschiedlichen Menschen zu schaffen. Seite 16 Nr. 74 · 2016 Innere Mission bietet Betriebssozialarbeit an Hilfe für die Helfer Anderen Menschen helfen, ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen – das ist Aufgabe fast aller Mitarbeitenden in den rund 120 Einrichtungen der Inneren Mission. Aber wer hilft, wenn es den Helfern selber mal nicht so gut geht? Wenn es Ehe- oder Partnerschaftsprobleme gibt, wenn Schulden aufgelaufen sind oder eine Sucht überhand nimmt? Mit einem neuen Wegweiser wendet sich die Innere Mission jetzt an alle ihre Mitarbeitenden, um ihnen Mut zu machen und Wege aufzuzeigen, wo sie selber professionelle Hilfe innerhalb des eigenen Trägers (oder auch außerhalb) bekommen können. „Wenn Kolleginnen und Kollegen helfen können“ lautet das Motto des Flyers, der Anfang Juni an die rund 2.500 Mitarbeitenden verteilt wurde. „Wir möchten Ihnen mit unserer Kompetenz bei Problemen im privaten Umfeld zur Seite stehen“, heißt es in dem Faltblatt. Anfragen würden selbstverständlich diskret behandelt und sind kostenfrei. Bei dem Angebot betrieblicher Sozialarbeit handelt es sich um eine freiwillige Maßnahme des Unternehmens. Da in den Einrichtungen bereits ein hohes Maß an Beratungskompetenz vorhanden sei, müsse keine eigenständige Beratungsstelle eingerichtet werden, sondern nur „der Weg zu geeigneten Stellen erleichtert werden“. Auch im Internet ist der Flyer abrufbar unter www.im-muenchen.de/ betriebssozialarbeit.html Klaus Honigschnabel T E R M I N E 10 Jahre Tagesstätte Neuhausen; 5. Juli, ab 11 Uhr, Landshuter Allee 38a 30 Jahre Pflegeheim „Lindenhof“ in Grafenaschau; 22. Juli, ab 14.30 Uhr, Aschauer Straße 28 10 Jahre Evangelisches Pflegezentrum Eichenau; 8. Juli, 11 – 17 Uhr, Bahnhofstraße 117 Herbstflohmarkt; 8. – 9. Oktober, Herzogsägmühle 30 Jahre Treffpunkt im Stadtteilbüro Neuperlach; 9. Juli, ab 13 Uhr; Gerhard-Hauptmann-Ring 56 Infoveranstaltung „Vorsorge nicht nur fürs Alter“; 13. Oktober, 18 – 20 Uhr, Seidlstraße 4 10 Jahre Evangelisches Haus für Kinder Messestadt Ost; 15. Juli, ab 16 Uhr; Astrid-Lindgren-Straße 127 Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.im-muenchen.de Naturabenteuer und Phantasiereisen Die Sommerferien stehen schon fast vor der Tür – und wer noch nach Abenteuern sucht, ist bei der Ferienerholung der Inneren Mission München genau richtig: Es gibt noch freie Plätze, unter anderem bei der Stadtranderholung und den beiden Sommerfreizeiten für Schulkinder von sechs bis zwölf Jahren. Beim Natur-Stadt-Erlebnis (27.8. – 2.9.) im Jugendhaus St. Anna bei Freising erkundet die Gruppe gemeinsam im Norden von München die Gegend, Natur und Stadt. Wanderungen, Lagerfeuer, Geschichten und Kreativsein gehören zum Programm des Natur-Phantasie-Erlebnisses (3. – 9.9.) im Jugendhaus Ensdorf in Kraiburg am Inn. Viel geboten ist bei der Stadtranderholung auf dem Gelände des Waldheims Gräfelfing des Evangelischen Handwerkervereins: Die Kinder werden ganztägig auf einem Gelände mit weitläufigen Wald- und Wiesenflächen betreut. Sie bauen Waldlager, malen, texten, tanzen, singen, klettern, balancieren, schlüpfen in neue Rollen und vieles mehr. Geschlafen wird zu Hause. Die sechs Campwochen können auch kombiniert werden. Familien mit einem geringen Einkommen bekommen – dank Zuschüssen der Stadt München – bei den Angeboten eine Ermäßigung. Die Anmeldung läuft vorzugsweise über das Formular auf der Homepage. www.ferienerholung-muenchen.de Betreuer gesucht Für den Workshop Parkour und für die Stadtranderholung werden noch fitte Betreuer gesucht, mit gutem Draht zu Kindern und gerne mit Gruppenleitungserfahrung. Für weitere Informationen sind die Mitarbeitenden der Ferienerholung unter der Nummer 089 / 41 07 99 12 oder per E-Mail [email protected] zu erreichen. Kompass-Jahr hat noch einige Plätze frei Die Innere Mission hat noch Plätze frei in ihrem Kompass-Jahr, unter anderem in der Altenhilfe, Flüchtlings- und Jugendhilfe, in der Kleiderkammer der diakonia und der Bahnhofsmission. Zu diesem Freiwilligen Sozialen Jahr für junge Frauen und Männer zwischen 18 und 27 Jahren gehören auch drei Seminarwochen und zwölf regionale Bildungstage zu Themen der sozialen und persönlichen Bildung. Die Besonderheit: Für vier bis sechs Wochen können die Teilnehmenden von ihrem eigenen Arbeitsbereich in einen zweiten Arbeitsbereich wechseln. 40 Stunden arbeiten die KomPassanten in der Woche, dafür gibt es im Monat 195 Euro Taschengeld, 10 Euro Kleidergeld und 236 Euro Verpflegungsgeld. Wer nicht zu Hause wohnt, dem bietet die Innere Mission einen Platz in einer Wohngemeinschaft an. Weitere Informationen über das KomPass-Jahr der Inneren Mission gibt es bei Kirstin Uhlig (089/12 69 91 – 311, [email protected]) oder Markus Waldherr (089/12 69 91 – 312, [email protected]). Nürnbergerin startet ungewöhnliche Spendenaktion Völlig von den Socken Viele Menschen haben angesichts der vielen Flüchtlinge Geld gespendet oder Zeit, manche auch Gebrauchsgegenstände. Aber die Spendenaktion, die Sabine MeyerScholz Ende vergangenen Jahres auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle ins Leben rief, haut einen im wahrsten Sinne des Wortes von den Socken. Meyer-Scholz ist als Kundenberaterin für Behindertenwerkstätten in ganz Deutschland tätig und vertreibt Produkte, die beispielsweise von blinden Menschen hergestellt werden: Bürsten, Besen, Handtücher – und eben auch Socken. Als die Nürnbergerin im vergangenen Herbst dann im Fernsehen die Bilder sah von Flüchtlingen, die trotz des hereinbrechenden Winters oft barfuß in Flipflops bei uns ankamen, taten ihr die Menschen leid. Kurz entschlossen rief sie in der Bayernkaserne an und fragte, wie sie da am sinnvollsten helfen könne. Die Idee mit den Socken war geboren. Sie fragte ihre Kunden an, ob sie denn nicht zusätzlich zu den Bestellungen auch etwas spenden wollten. Und 25 von ihnen sagten „Ja“. In München gingen dann bis Ende des Jahres insgesamt 189 Paar hochwertige Arbeitssocken ein (sowie ein paar Waschhandschuhe). Wert der Spenden: 2.586,57 Euro. Am Telefon will Sabine MeyerScholz gar kein so großes Aufheben um ihre Aktion machen: „Die Leute in den Werkstätten haben Arbeit, die Spender bekommen eine Bestätigung für die Steuer – und die Flüchtlinge haben was Warmes an den Füßen. So ist allen geholfen.“ Manchmal ist es ganz einfach, Gutes zu tun. ho Und jetzt das Letzte… Ich fasse es nicht: So viele Alibi-Männer ausgerechnet beim Frauen-Fest! Foto: Florian Peljak Die jährlichen Benefizkonzerte der Koreanischen Evangelischen Gemeinde München unter Leitung von Pastor Hyunchul Won haben schon Tradition. In diesem Jahr stand das Konzert unter dem Motto „Migranten musizieren und engagieren sich für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“. Diakon Dietmar Frey, Beauftragter für internationale Partnerschaftsarbeit des Evangelisch-Lutherischen Dekanats, begrüßte dazu Mitte Mai rund 400 Besucher in der Dekanatskirche St. Markus. In der Region München gehören mehr als 500 Koreaner dieser evangelischen Gemeinde an. Der große Chor sang Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, die Kinder- und Jugendchöre begeisterten mit modernen und traditionellen Stücken. Hanka Thiemeier von der Inneren Mission berichtete über die Situation minderjähriger Flüchtlinge in der Stadt: „Sie kommen meist auf dem Landweg, unter großen Entbehrungen und oft unter lebensbedrohlichen Umständen zu uns.“ Nicht selten führten die Fluchtumstände zu traumatischen Erlebnissen. Das Benefizkonzert und die Kampagne des Dekanats München ergaben 3.000 Euro für die Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Im Namen der Jugendlichen sagen wir ein herzliches „Vergelt’s Gott“! red / Foto: Dietmar Frey Freie Plätze in der Stadtranderholung und Sommerfreizeit Frauen-Bereichsleiterin Alexandra Reinalter, falsch zitiert von ho. Asiatische Klänge zugunsten unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge Nr. 74 · 2016 Seite 17 mit Musik, Buffet und Vorführungen von Kindern aus benachbarten Schulen und Kindergärten. „Seit zehn Jahren haben wir immer gutes Wetter gehabt bei unserem Sommerfest“, erzählt Spohd. Da kann beim großen Jubiläum ja eigentlich nichts mehr schief gehen. Imke Plesch j asfhgijsahfkjsdhf lkjdsahfkjsadhf kljadshfök asdh fökdsafh ökajdfhs öasdkfhö kladshjlsjdfp#ösad klö Viel Platz und intensive Betreuung: Vor zehn Jahren wurde das Pflegezentrum Eichenau eröffnet Professionelle Hilfe auf dem letzten Weg Am Anfang war da nur eine riesige grüne Wiese. Dort, unmittelbar am S-Bahnhof Eichenau im Westen von München, entstand dann vor gut zehn Jahren ein Pflegeheim der Inneren Mission komplett neu. Heimleiter Dirk Spohd, der das Pflegezentrum seit der Eröffnung im März 2006 leitet, erinnert sich an diese Zeit: „Wir waren von Anfang an in die Planungen und den Bau mit einbezogen.“ Der Bau kam genau zum richtigen Zeitpunkt, weil es damals noch viele Fördermittel vom Landkreis Fürstenfeldbruck und vom Freistaat Bayern gab, „die es so heute nicht mehr gibt“. XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX Aufgrund dieser finanziellen Förderung konnte das Haus großzügig angelegt werden: Die Flure sind breit, es gibt viel Platz für Sitzecken und Aufenthaltsräume. Zudem ist die Lage des Pflegezentrums besonders günstig: Zum SBahnhof mit der direkten Anbindung nach München sind es nur wenige Meter. Und hinter dem Haus am Starzelbach beginnt direkt die Natur: „Man kann von hier durch Wald und Wiesen bis zum Wörthsee spazieren“, schwärmt Spohd. Angrenzend an das Heim entstand zur selben Zeit eine Wohnsiedlung; das Pflegezentrum versorgt sie umweltfreundlich mit Wärme aus dem gasbetriebenen Blockheizkraftwerk. „Wir sind sehr gut in die Gemeinde Eichenau integriert und arbeiten viel mit örtlichen Ärzten und Apothekern zusammen“, berichtet Spohd. Und auch die Mandatsträger und Vereine sind gern gesehene Gäste im Haus. Die ehemalige Gemeinderätin Marille Musolf hält Lesungen, Blaskapelle und Chor spielen regelmäßig bei Festen. Der frühere Erste Bürgermeister Hubert Jung ist voll des Lobes über die Einrichtung, die von der Hilfe im Alter betrieben wird: „Das Pflegezentrum ist ein Glücksfall für die Gemeinde. Ich freue mich, dass viele Eichenauerinnen und Eichenauer dort professionelle Pflege und engagierte menschliche Zuwendung finden.“ Neben der Planung eines neuen Pflegeheims war auch der organisatorische Aufbau von Anfang an für Einrichtungsleiter Spohd „sehr interessant“. Nicht nur Räume und Geräte waren beim Einzug nagelneu, auch das Team für das Haus musste er ja komplett neu zusammenstellen: „Es gab keine langjährigen verkrusteten Strukturen – alle Mitarbeitende waren ja gleich ‚neu’.“ Dies ist sicher auch ein Grund dafür, dass viele von ihnen zehn Jahre später immer noch dabei sind (siehe Kästen). Wie verbunden auch der Einrichtungsleiter mit dem Pflegezentrum ist, erkennt man daran, dass er mit seiner Familie selbst in einer Wohnung im Haus wohnt. „Damit bin ich heute ein Exot“, sagt Spohd. Früher waren HeimleiterEhepaare, die im selben Haus wohnten, eher die Regel – heute ist das eher die Ausnahme. Gut 180 Menschen leben derzeit in verschiedenen Abteilungen des Pflegezentrums. Das Angebot reicht von der Kurzzeitpflege bis zu einem beschützenden Bereich für demenzkranke Menschen. Diese Vielfalt erlaubt es den Bewohnern, auch bei einem Wechsel der Station in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX Die 16 Plätze in die Kurzzeitpflege sind für Menschen gedacht, die zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt noch nicht wieder nach Hause entlassen werden können, die kurzzeitig im Heim gepflegt werden – wenn etwa Angehörige im Urlaub sind – oder die die Wartezeit auf einen vollstationären Platz überbrücken müssen. Nach diesem „Probewohnen“ entscheiden sich viele, später ganz ins Pflegezentrum zu ziehen – zum Beispiel in eine der elf Pflegewohnungen. „Das ist eine Mischform aus stationärer Pflege und Seniorenwohnen“, erklärt Spohd. Die Appartements sind für Paare gedacht, die zwar selbständig wohnen möchten, aber Unterstützung im Haushalt oder beim Essen benötigen, oder bei denen ein Partner pflegebedürftig ist, das Paar aber trotzdem weiter zusammenbleiben möchte. Im beschützenden Bereich leben 28 Menschen, die Pflege brauchen und demenzkrank sind oder eine altersbedingte psychische Krankheit haben. Für die Unterbringung hier ist ein richterlicher Beschluss nötig. Der Bereich ist in sich geschlossen, in seiner Mitte liegt ein kleiner grüner Innenhof. Ein Flur führt um ihn herum; an einer Stelle laden eine Sofaecke und großflächige Naturfotos zum Verweilen ein. An den Wänden gibt es zudem thematische Regale, in denen zum Beispiel Modelleisenbahnen oder alte Waschbretter liegen. „Es geht uns darum, die Bewohner räumlich, zeitlich und biographisch mit allen Sinnen anzusprechen“, erklärt Spohd. Die Menschen werden intensiv beschäftigt, motorisch und kognitiv aktiviert. Durch diese intensive Betreuung ist es auch gelungen, Anzahl und Dosis der ärztlich verschriebenen Psychopharmaka deutlich zu reduzieren. Die meisten Bewohner des Pflegezentrums leben in den vier Wohngruppen, die insgesamt 120 Michaela Bittner (50), Stationsleitung: „Ich bin von einem anderen Träger zur Hilfe im Alter gewechselt und bin immer noch froh über diesen Schritt. Freilich war’s am Anfang stressig in dem neuen Haus. Aber hier steht Menschlichkeit nicht nur auf dem Papier geschrieben, hier wird sie gelebt.“ Plätze in der stationären Pflege bieten. Für sie alle bietet das Haus eine Vielzahl von unterschiedlichsten Aktivitäten: Gymnastik, Singen und Musizieren, Ausflüge in die nahe Umgebung, Lesungen und Kino-Abende oder Bastelnachmittage mit dem nahegelegenen Sterntaler-Kindergarten. BingoNachmittage sind sehr beliebt und so manche Bewohnerin übt sich im virtuellen Kegeln an der WiiKonsole. Und fast jeden Monat Malgorzata Waszak (42), Reinigungskraft: „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit; hier läuft alles ohne Stress. Kein Tag ist wie der andere und ich kann mir meine Arbeit selber einteilen. Toll finde ich, dass es jedes Jahr einen Betriebsausflug gibt und ein festliches Weihnachtsessen.“ gibt es auch ein kleines Fest: Mal der Jahreszeit angepasst oder eben dem Kirchenjahr entsprechend. Dennoch hat sich in den vergangenen zehn Jahren einiges geändert, bemerkt Spohd. Früher gab es beispielsweise noch Faschingspartys, bei denen alle getanzt haben. Heute finden die meisten Veranstaltungen direkt auf den Stationen statt, „weil die Leute nicht mehr so mobil sind“. Durch die Reformen in der Pflegefinanzierung und eine hochaltriger werdende Gesellschaft kommen die Menschen immer später ins Pflegeheim, wo sie dann nur noch eine relativ kurze Zeit bleiben, in der sie oft intensiv gepflegt werden müssen. „Das macht natürlich etwas mit einem Haus, wenn die fitten Bewohner immer weniger werden“, sagt Spohd. „Der letzte Weg wird deshalb immer mehr zum Schwerpunkt unserer Arbeit.“ Mithilfe des Projektes „Leben bis zuletzt“ wurde über mehrere Jahre die Palliativversorgung in die Arbeit im Haus integriert – seitdem gehören zum Beispiel ethische Fallbesprechungen zum Alltag der Pflegekräfte. Bei der medizinischen Betreuung am Lebensende arbeitet das Pflegezentrum eng mit dem ambulanten Palliativteam aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck zusammen. Aus dem Hospiz kommen ehrenamtliche Helfer, die die Mitarbeiter bei der Sterbebegleitung der Bewohner unterstützen. Eine evangelische und eine katholische Seelsorgerin unterstützen die Mitarbeiter und bieten den Bewohnern ein offenes Ohr. Jede Woche gibt es einen Gottesdienst im Haus, im Wechsel evangelisch und katholisch. Diese Veränderung der Bewohnerstruktur werde sicher auch die künftige Arbeit im Pflegezentrum weiter verändern, vermutet Spohd. Doch er und seine Mitarbeitenden sind es gewohnt, ihre Arbeit ständig zu reflektieren. Schon ein halbes Jahr nach der Eröffnung wurde das Zentrum nach der Norm ISO 9001 zertifiziert – der meist verbreiteten und bedeutendsten Norm im Qualitätsmanagement. Nicht nur hier wird die Erfüllung der Vorgaben regelmäßig vom TÜV Süd kontrolliert, auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) überprüft das Haus immer wieder und hat es meist mit einer 1,0 benotet; die „schlechteste“ Bewertung war eine 1,2 – weit über dem bayerischen Durchschnitt. Und zudem kann sich das Haus rühmen, vom FocusMagazin bei einem bundesweiten Vergleich zu den 629 Top-Pflegeheimen gezählt zu werden. Darüber hinaus arbeiten alle zehn Heime der Hilfe im Alter intern ständig an Verbesserungen; ein Haus lernt vom anderen. Am 8. Juli wird das zehnjährige Jubiläum ausgiebig gefeiert. In einem großen Zelt hinter dem Haus Joszef Vonderwist (50), Hausmeister: „In den zehn Jahren gab es immer viel Arbeit, vor allem am Anfang. Aber es ist eine fröhliche Arbeitsstelle, wir können viel lachen. Es herrscht ein gutes Klima im Haus, obwohl viel Wechsel beim Personal ist.“ wird zunächst ein Gottesdienst mit vielen Ehrengästen stattfinden, danach gibt es ein buntes Programm