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R EI S E M A G A ZIN N 1 Miharayama: Blick auf die Stadt und den Hachijō Fuji Tokyo einmal anders – Entspannen auf Hachijōjima Gigantische Leuchtreklamen, Menschenmassen in Bahnhöfen, schrille Gestalten modischer Extra vaganz und endlose Schlangen vor Restaurants − das alles ist schnell vergessen, wenn man sich von Tokyo aus für eine dreiviertel Stunde ins Flugzeug setzt. Auch Ausländer kommen nur selten auf die Insel. Von Steffen Munz 1 Fahrradtour auf Hachijōjima oder: Eine Schneise durch den Dschungel. 38 J A PA N M A R K T Februar 2010 icht weit von der Weltmetropole Japans entfernt, sozusagen vor der Haustür Tokyos, im pazifischen Ozean, liegt eine kleine verträumte Inselkette: die Izu Inseln (zu Japanisch: Izu shotō). Geographisch südöstlich der gleichnamigen Halbinsel Izu gelegen, gehören die über 100 Landflecken und -fleckchen bürokratischermaßen zur japanischen Hauptstadt. Von den zehn bewohnten, ist Hachijōjima nach Ōshima (JAPANMARKT 03/2009) die zweitgrößte Insel und liegt mit circa 300 Kilometern Entfernung zum Festland relativ weit draußen im Pazifik. Per Flugzeug dauert es von Tokyo Haneda aus bis zur Landung auf dem Eiland ungefähr eine dreiviertel Stunde, ist also um einiges schneller zu erreichen als beispielsweise die OgasawaraInseln (JAPANMARKT 04/2008). Zu bieten hat Hachijōjima viererlei: Meer, Berge, Wälder und Ruhe. Mit ihren knapp 70 Quadratkilometern Fläche ist die Insel nicht sonderlich groß. Hinzu kommt, dass ihr Gesicht durch zwei stille Vulkane geprägt ist. Auf Hachijōjima hält man nicht besonders viel vom fast 4.000 Meter hohen Touristenmagnet auf dem Festland. Hier hat man seinen eigenen heiligen Berg. Der Nishi yama, auch Hachijō Fuji genannt, befindet sich im Nordwesten und ist gut 850 Meter hoch. Der zweite der beiden Berge auf der Insel, der Miharayama im Südosten, ist circa 700 Meter hoch. Der Flughafen samt der größten Stadt – oder besser größten Ansammlung von Häusern – liegt genau im Tal dazwischen. Ansonsten findet man nur kleinere verschlafene Siedlungen an der Küste ringsherum. Insgesamt wohnen nur 10.000 Seelen auf Hachjōjima. Glaubt man dem Sushi-Meister im einzig wahren Sushi-Restaurant auf der Insel, ist auch ein nicht unbedeutender Teil davon hier geboren und aufgewachsen. 1 Insel-Sushi: Im „Asoko Sushi“ kommen nur die frischesten Fisch-Spezialitäten auf den Reis. R EI S E T IPP Für einen Flug hin und zurück – sicherlich die bequemere Variante – bezahlt der gestresste Geschäftsmann circa 40.000 Yen. Eine Fahrt mit der billigeren Alternative, der Fähre, erhält man schon für ungefähr die Hälfte dieses Geldes. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie man die zehn Stunden, die es per Seeweg dauert, möglichst angenehm verbringt. Zu empfehlen ist auf Hachijōjima außerdem dringend das Mieten eines Autos, welches man sich im Vorfeld am besten reserviert. Im Sommer kann es durchaus zu Engpässen kommen. Alternativ bietet sich die Möglichkeit Fahrräder zu mieten. Die Insel zu umrunden – realistisch ist eine Fahrradtour an der Küste entlang um einen der Berge – nimmt jedoch mehrere Stunden in Anspruch. Außerdem kann es hier streckenweise für länger bergaufwärts gehen. Die Mühen werden durch eine wunderbare Aussicht und minutenlange Bergabfahrten belohnt. 7 Blick auf Kojima: An der malerischen Küste ist eine kleine Vulkaninsel zu entdecken. Schwarzer Vulkanstrand Die verwaltungstechnischen Feinheiten, dass die Insel zu Tokyo gehört und sich die Bewohner den beliebten ShinagawaAutonummern erfreuen, sind auch das einzige, was einen beim Schnorcheln im klaren Meerwasser mit Blick auf Korallen und Seesterne oder beim Nickerchen am schwarzen Vulkanstrand an das emsige Treiben in der 13-Millionen-Stadt erinnern könnte. Hachijōjima gilt als Anglerparadies. Eine Angelausrüstung lässt sich für wenig Geld mieten. Genauso wie eine Taucherausrüstung. Wer sich nicht allzu tief in die unweiten des Pazifik begeben möchte, kann sich außerdem schon mit Schwimmflossen, Taucherbrille und Schnorchel auf ein Abenteuer einlassen. Ein Besuch auf der Alm Wer Lust dazu verspürt, kann außerdem einen Abstecher in eine ganz andere Welt machen. Dies kommt womöglich unerwartet, doch in ein paar hundert Metern Höhe, auf dem heiligen Berg, dem Hachijō Fuji, befindet sich eine kleine Farm. Hier, auf dem Vulkan mitten im pazifischen Ozean grasen Kühe und Kälber. Frische Hachijō-Milch oder daraus hergestellte Eiskrem kann man gleich in der nahegelegenen Raststätte erwerben. Je nach Wetterlage steht einem der Sinn aber viel eher nach einem heißen Tee. Denn wenn sich die Wolken wie ein Mantel über die Spitze des Hachijō Fuji legen und man sich abgeschnitten von der Außenwelt tatsächlich wie auf einer Alm in Österreich lange Tradition hat. Die Seide ist nicht nach der Insel benannt, sondern die Insel nach der Seide. Hachijō bedeutet „acht Jō“. Jō ist ein altes Längenmaß (1 Jō = circa 3 Meter). Shima ist „die Insel“. Der Name erklärt sich nun daraus, dass vor Jahrhunderten schon die Kaufleute in Einheiten von 24 Meter langen Stoffrollen Handel betrieben. 5 Kihachijō: Seidenstoffe sind das „Gold“ der Insel. 1 Die Alm im Pazifik: Auf Hachijōjima gibt es nicht nur frischen Fisch, sondern auch frische Milch. fühlt, kann es ganz schön kalt werden. Streicheln ist übrigens erlaubt. Kostbare Seidenstoffe Jede Präfektur und jede Stadt in Japan hat ihre ganz eigenen Markenzeichen. Im Falle von Hachijōjima assoziiert der Japaner neben frischem Fisch für gewöhnlich Seide. Berühmt ist die Insel vor allem für Seidenstoff in Gelb- und Brauntönen, Kihachijō genannt. In der Übereinstimmung von Inselnamen und Textil zeigt sich, dass die Webekunst hier schon eine Verbannte Feldherren Wer mit den Einheimischen über die Episoden Hachijōjimas in der japanischen Geschichte plaudern sollte, wird notwendigerweise auf einen Namen stoßen: Ukita Hideie. Ein Feldherr des 16. Jahrhunderts und der wichtigste General der Toyotomi-Familie in der alles entscheidenden Schlacht um die Einigung Japans, der Schlacht von Sekigahara im Jahre 1600. Nach dem Sieg der Tokugawa wurde Ukita verbannt. Den Rest seines Lebens verbrachte er auf Hachijōjima, wo er 1655 beigesetzt wurde. JM Februar 2010 J A PA N M A R K T 39