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WISSENSARBEIT UND
PROFESSION
ZWEI GRUNDFORMEN HOCHQUALIFIZIERTER
ARBEIT ZWISCHEN AUTONOMIE UND
VERWERTUNGSIMPERATIV
Susanne Pernicka // Markus Ellmer
Institut für Soziologie
Abt. Wirtschafts- und Organisationssoziologie
AGENDA
 Steigender Anteil hochqualifizierter Personen / Arbeitskräfte
 Traditionelle Arbeitssoziologie: marktvermittelte Selbststeuerung ersetzt
bürokratisches Management (Arbeitskraftunternehmer_in, marktvermittelte
Wissensarbeit) (Kontrolle des Arbeitsprozesses: Markt- ersetzt Bürokratielogik)
 Feldtheoretische Perspektive: materielle und symbolische Konflikte über
Autonomie und Verwertungslogik haben historisch drei Logiken hervorgebracht
(Profession als dritte Logik: Autonomie durch kollektive Selbststeuerung)
 Zwei Grundformen hochqualifizierter Arbeit: Wissensarbeit (Marktlogik) und
Professionsarbeit (Professionslogik) – zwei Formen der Autonomie im
Arbeitsprozess korrespondieren mit spezifischem Gegenmachtpotenzial
 Empirische Befunde zu folgenden Beispielen – digitale Wissensarbeit (Crowdwork)
und Professionsarbeit an Universitäten
 Fazit
STEIGENDER ANTEIL
HOCHQUALIFIZIERTER PERSONEN …
UND ARBEITSKRÄFTE
Niedrig
25-54 Jahre
Medium
(ISCED 0-2)
(ISCED 3-4)
EU-27
23,50
47,60
28,80
42,70
39,70
17,60
Dänemark
28,80
43,60
35,60
35,80
39,80
24,40
Deutschland
13,10
58,90
28,00
19,50
56,70
23,80
Österreich
14,80
64,80
20,30
31,30
54,20
14,40
Großbritannien
21,40
39,30
39,30
32,40
40,30
27,30
Hoch
Niedrig
(ISCED 5-6) (ISCED 0-2)
55-74 Jahre
Medium
Hoch
(ISCED 3-4)
(ISCED 5-6)
EUROSTAT 2015 (Daten beziehen sich auf 2011, basierend auf ISCED 1997)
VOM BÜROKRATISCHEN MANAGEMENT
ZUR MARKTVERMITTELTEN
SELBSTSTEUERUNG?
 Einige Befunde aus der Arbeitssoziologie:
„Arbeitskraftunternehmer_in“ als neuer Leittypus von Erwerbsarbeit (Voß/Pongratz 1998),
Hochqualifizierte Fachkräfte als „Wissensarbeiter_innen der Zukunft“ (Kotthoff/Wagner 2008),
Immaterielle, schöpferische Wissensarbeit gewinnt an Bedeutung (Heidenreich/Töpsch 1996)
 Transformationsproblem (Transformation der lebendigen Arbeitskraft in Mehrwert):
Wissensarbeit weist hohen Grad an Unkontrollierbarkeit und Unbestimmtheit auf
Indirekte Steuerung und Selbstkontrolle in der Arbeit ersetzen Fremdkontrolle
Outsourcing (z.B. Crowsourcing als webbasierte, räumlich entgrenzte Auslagerung)
erlaubt Steuerung über Marktwettbewerb
Re-Taylorisierung von wissensbasierten Arbeitsprozessen (z.B. Call Center, Klickarbeit)
Bürokratielogik /
Taylorismus
Marktlogik /
Selbststeuerung
HOCHQUALIFIZIERTE ARBEIT
ZWISCHEN AUTONOMIE UND
VERWERTUNGSLOGIK
 Autonomie und Selbstbestimmung (Künstlerkritik) wurden durch ein
verwertungsorientiertes Management instrumentalisiert
 Unser Argument – der Konflikt zwischen Autonomie und kapitalistischer
(Boltansky/Chiapello 2003)

Verwertungslogik hat (historisch) zur Herausbildung von drei institutionellen
Handlungslogiken in wissensintensiven Feldern geführt
Diese weisen unterschiedliche Autonomiepotenziale bzw. – Machtpotenziale der
Beschäftigten auf (Fokus liegt auf Gegenmacht >< Governance Perspektive)
Professionslogik
/ kollektive
Selbststeuerung
Bürokratielogik /
Taylorismus
Marktlogik /
Selbststeuerung
DREI GRUNDANNAHMEN
 These 1: Arbeitspolitische Konflikte sind nicht nur zwischen
Arbeitskraft und Management über die materiellen Bedingungen der
Wirtschöpfung und Verteilung, sondern auch auf Ebene von
Institutionen und übergeordneten Sinnsystemen beobachtbar
 These 2: Wissensarbeit und Professionsarbeit sind in jeweils
feldspezifische institutionelle Systeme eingebettet (Marktlogik und
Professionslogik), die auf die Deutungen, Identitäten und
Verhaltensweisen der Konfliktakteure einwirken/von diesen
verändert werden können (institutional logics / institutional work)
 These 3: Die Bürokratische Logik (Management) wirkt de-
monopolisierend auf professionelles oder exklusives Wissen, weil sie zu
Standardisierung und Arbeitsteilung tendiert. Damit verbunden ist eine
Reduktion der Arbeitskomplexität und der Expert_innenmacht der
Arbeitskraft.
*Institutionelle Logiken (Friedland/Alford 1991, Thorton et al. 2012) – sind Sinnbezüge (frames
of reference), welche die Identitäten, Interessen und Verhaltensweisen von individuellen und
kollektiven AkteurInnen strukturieren und eine spezifische materielle Verteilung implizieren.
ZWEI GRUNDFORMEN
HOCHQUALIFIZIERTER ARBEIT:
PROFESSIONS- UND WISSENSARBEIT
Professionsarbeit und Wissensarbeit
1)
weisen variierende Potentiale sozialer Schließung und
Autonomie (und folglich Arbeitnehmer_innenmacht) auf
2)
weisen unterschiedliche Ziele auf und sind in verschiedene
institutionelle Ordnungen und feldspezifische Logiken
eingebettet
AD 1) POTENTIALE SOZIALER
SCHLIEßUNG
 Professionsarbeit: Professionalisierung als soziale Schließungsstrategie
(Weber 1980/1922, Parkin 1974)
„Die Institutionalisierung beruflicher Teilarbeitsmärkte wirkt also der arbeitsmarktimmanenten
Dynamik der Individualisierung entgegen, puffert den Einzelnen bis zu einem gewissen Grad
gegen die Konsequenzen unmittelbarer Marktschwankungen ab und ermöglicht so überhaupt
erst subjektiv eine kontinuierliche Berufsperspektive“ (Beck et al. 1980, 80)
Professionalisierung als besonders komplexe Marktstrategie im Kampf um die
materielle und symbolische Kontrolle über den Arbeitsprozess
 vertikal: Institutionelle Schließung gegenüber dem Management
 horizontal: Institutionelle Schließung gegenüber Berufsanwärter_innen &
anderen Professionen
 Wissensarbeit – nur temporäre Formen der ökonomischen Schließung bzw.
Monopolisierung (durch Innovationen, Entwicklung von
Alleinstellungsmerkmalen, Nischenbildung, etc.)
AD 2) ZIELE UND INSTITUTIONELLE
EINBETTUNG
Profession
Wissensarbeit
Ziele
Entwicklung, Anwendung
theoretischen und praktischen
Wissens, „Regeln der Kunst“
(lege artis)
Entwicklung, Anwendung (neuer)
ökonomisch verwertbarer
wissensbasierter Produkte und Dienste
Steuerungslogiken des
Wissens
Professionslogik
Gesetzliche oder selbstregulierte
Steuerung des Zugangs und der
Ausübung erlauben
Permanente Marktschließung
Marktlogik
Wettbewerb um Wissensvorsprung
(Innovation) und Vermarktung –
Alleinstellungsmerkmale fördern
temporäre Verhandlungsmacht
Erwerbsorientierungen
/ Karrieren
Professionelle und hierarchische
Karriereorientierungen (z.B.:
Universitäten, Krankenhäuser,
Schulen)
Projektförmige Erwerbsformen,
Marktkarrieren (itinerant experts, hired
guns)
Beispiele
Medizin, Architektur, akademische
Professionen, Rechtsdienstleistungen, etc.
Softwareprogrammierung, Grafik und
Design, Unternehmensberatung,
Werbetexterin, etc.
EMPIRISCHE BEFUNDE UND BEISPIELE
 online-Marktplätze für (hochqualifizierte) Wissensarbeit
(vgl. Ellmer 2015a, 2015b)
 FWF-Projekt (2007-2010) Untersuchung von Hochqualifizierten in
vier Bereichen in Österreich
(vgl. Pernicka et al, 2010, Pernicka/Reichelt 2014, Pernicka/Lücking/Reichelt 2015)




Universitäre Forschung
Außeruniversitäre Forschung
Unternehmensberatung
F&E in der Elektroindustrie
WISSENSARBEIT ONLINE
 Fallstudie: online-Marktplatz für Klickarbeit:
Amazon Mechanical Turk
 Managementpraktiken materialisieren sich in der Infrastruktur
von Arbeitsplattformen: Wer hat welche
Funktionen/Informationen/Rechte und wer kann diese wie
nutzen?; Form der Arbeitsteilung, Kontrollformen, etc.
 Marktlogik: intensiver Wettbewerb auf Online-Plattformen durch
Zugriff auf globale Arbeitskraft (Crowdsourcing)
 Konflikte: Entschädigung, technische Sicherheit, etc.
 Online-Marktplätze für hochqualifizierte Wissensarbeit
WISSENSARBEIT ONLINE
 Formen der Gegenmacht zu ‚digitalen Managementpraktiken‘:
Bewertungsplattformen wie faircrowdwork.org (IG Metall)
 Institutional Work: Beeinflussung feldspezifischer Institutionen
 Normative Netzwerke (vgl. Lawrence & Suddaby 2006)
 Practice Work/Boundary Work (vgl. Zietsma & Lawrence 2011)
 dzt. noch Versuchsstadium: Wie wird Beteiligung von
hochqualifizierten Wissensarbeiter_Innen ausfallen?
ÖSTERREICHISCHE UNIVERSITÄTEN
Segmentierung des internen Arbeitsmarktes
Professionslogik
Bürokratielogik
Steuerung des
Arbeitsprozesses
Institutionalisierte
Management, betriebliche
Selbstregulation der ‚Profession‘ Hierarchie nach Maßgabe der
(Statuspassagen, Habilitations-, Kostenstruktur (befr. Stellen)
Berufungskommissionen, etc.)
Autonomie und
Arbeitskräftemacht
Professionelle Autonomie
= professionelle Schließung
fachliche Monopolisierung
Kaum Autonomie
Outsider (Noviz_innen) keine
Schließungsmacht
Statusgruppen –
Professor_innen und
entfristeter Mittelbau
Statusgruppen – befristeter
Mittelbau,
Drittmittelbeschäftigte
ÖSTERREICHISCHE UNIVERSITÄTEN
KarrierePerspektiven
Professionslogik
Bürokratielogik
Dauerhafte Beschäftigungsund Karriereperspektive an
einer Universität
Befristete Beschäftigung,
kaum Karriereperspektiven
innerhalb der Universität
Professionslogik belohnt
fachliche Exzellenz und
Strategien der sozialen
Schließung durch
Statusaufstieg
Bürokratielogik relativ
indifferent gegenüber
fachlicher Leistung, daher
individuelle Strategien des
hohen Arbeitseinsatzes,
‚Selbstausbeutung‘
ÖSTERREICHISCHE UNIVERSITÄTEN
Wie wirken die institutionellen Logiken auf die Identitäten der Arbeitskräfte aus?
»Irgendwann kommt man dahinter, wo man ungefähr steht vom Talent her und von
den eigenen Fähigkeiten her. … Und man bemerkt schon, je weiter man kommt, …
es gibt schon viele Leute, die viel talentierter sind. … Es wird immer mehr
differenziert, und es wird immer elitärer, es gibt immer weniger Stellen.
…
Also ich für mich persönlich würde sagen …, ich sollte eigentlich auch nicht
Professor werden, vielleicht. Also es gibt andere, denen ich das eher zutraue. … So
gesehen, man braucht halt eine Zeit sich einzugestehen, dass das so ist.«
(Physiker, pre-doc, österreichischen Universität)*
Individualistische Einstellungen und ein hohes Ausmaß an Selbstzuschreibung
eines etwaigen Erfolgs oder Scheiterns in der wissenschaftlichen Karriere erklären
einen Anteil, aber sicher nicht das Gesamt an Ablehnung, was eine kollektive
Organisierung jenseits der etablierten Fachorganisationen betrifft.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
 Institutionelle Logiken im Bereich hochqualifizierter Arbeit
(Professions-, Markt-, Bürokratielogik) implizieren verschiedene
Grade der Autonomie der Arbeitskraft und damit eine spezifische
Machtverteilung zwischen Management und Arbeitskraft
 Institutionelle Logiken beeinflussen sowohl die materielle Verteilung
(Kontrollmacht über die Wissensproduktion) als auch die
symbolische Dimension sozialen Handels – Deutungsmuster,
Identitäten, Orientierungen zu kollektivem Handeln
 Hochqualifizierte Beschäftigte tendieren eher als andere
Erwerbsgruppen zu individueller Selbstvertretung
 Extreme Formen von Ökonomisierung und Bürokratisierung der
Arbeitsprozesse führen zu manifesten Konflikten und Entwicklung
(neuer) Formen kollektiver Gegenmacht
LITERATUR
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