Archäologiekoffer Mittelalter

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Archäologiekoffer Mittelalter
© STARCH
Geschichte zum Auspacken –
Didaktische Archäologie-Koffer
für Schulklassen
Mittelalter
Werner Wild
Renata Windler
Annamaria Matter
Christian Bader
Lotti Frascoli
Andrea Tiziani
Peter Stöckli
Donatus Stemmle
Luigi Bazzigher
© STARCH
«Geschichte zum Auspacken – Didaktische Archäologie-Koffer für Schulklassen» ist ein Projekt der
Stiftung STARCH, realisiert durch die Kantonsarchäologie Zürich KAZ in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen
Hochschule Zürich PHZH und dem Musée Suisse,
Landesmuseum Zürich LM.
Die Realisierung dieses Projektes wurde ermöglicht
durch Beiträge des Fonds für gemeinnützige Zwecke des Kantons Zürich und der Vontobel Stiftung
Zürich.
Impressum
Autoren: Werner Wild, KAZ; Annamaria Matter,
KAZ; Christian Bader, KAZ; Lotti Frascoli, KAZ;
Renata Windler, KAZ; Andrea Tiziani, KAZ;
Peter Stöckli, PHZH; Donatus Stemmle, PHZH;
Luigi Bazzigher, PHZH.
Objektfotos: Martin Bachmann, KAZ.
Projektleitung und Redaktion: Andrea Tiziani, KAZ.
Layout, Satz und Druck: Stäubli AG Zürich.
© 2004
STARCH – Stiftung für Archäologie im Kanton Zürich
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INHALT
VORWORT
ARBEITEN MIT DEM ARCHÄOLOGIE-KOFFER
1 Didaktische Absichten
2 Grundsätzliches zur Methodik
3 Arbeitsvorschläge
4 Fachdidaktische Literaturhinweise
ARCHÄOLOGIE – EINE EINFÜHRUNG
MITTELALTER
1 Einleitung
2 Gesellschaft und Alltag
3 Religion und Glauben
4 Landwirtschaft, Handwerk und Handel
5 Bauen und Siedlungswesen
6 Bildung und Wissenschaft
7 Spiel und Kurzweil
8 Musik
ANHANG
OBJEKTBLÄTTER
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VORWORT
Archäologische Ausgrabungen treffen in der Öffentlichkeit und insbesondere bei Schulklassen auf ein reges Interesse; Kinder sind von der Arbeit
der Archäologinnen und Archäologen fasziniert. Im Lehrplan für die
Volksschule des Kantons Zürich wird denn auch die Bedeutung der Archäologie für die Erkenntnis historischer Zusammenhänge hervorgehoben
(Richtziele für den Unterrichtsbereich Mensch und Umwelt). Das didaktische Angebot in diesem Bereich ist vielerorts jedoch unbefriedigend. Die
Arbeitsweise der archäologischen Wissenschaft, wie etwa die Interpretationsweise menschlicher Zeugnisse im Boden, die Techniken der Fundbestimmung oder die Datierungsmethoden von Funden und Strukturen
werden in den bestehenden Lehrmitteln wenig berücksichtigt.
Die Idee, Archäologie-Koffer zu den wichtigsten Epochen der Menschheitsgeschichte, zur Steinzeit, zu den Metallzeiten (Bronze- und Eisenzeit), zur römischen Epoche und zum Mittelalter für den Schulunterricht
anzubieten, ist in verschiedenen Köpfen, in verschiedenen Institutionen
gleichzeitig entstanden. Alle waren sich einig, dass solche ArchäologieKoffer dem vielerorts bestehenden Bedürfnis Rechnung tragen, in ein pädagogisch-didaktisches Konzept eingebettete und sinnlich (be)greifbare
archäologische Objekte für den Schulunterricht zur Verfügung zu stellen.
Beim Projektstart zu Beginn des Jahres 2002 konnte sich kaum jemand
vorstellen, neben dem Tagesgeschäft und unter dem momentanen Spardruck in Bildung und Kultur ein pädagogisches Projekt dieser Grössenordnung anzupacken. Katalytische Wirkung hatte dabei die Unterstützung
der Stiftung STARCH: Die im Jahr 2000 gegründete Stiftung hat zum wichtigsten Ziel, das Interesse für die Archäologie und Kulturgeschichte des
Kantons Zürich zu wecken und zu fördern. Das Projekt «Geschichte zum
Auspacken – Didaktische Archäologie-Koffer für Schulklassen» entsprach
genau dieser Intention, so dass die Stiftung STARCH die Trägerschaft des
Projektes übernahm. Aufgrund des bereits bestehenden Netzwerkes
konnte sie zudem ein Projektteam zusammenstellen, das alle Bedürfnisse eines solchen Vorhabens abdecken konnte. Für die archäologischen
Inhalte, die Beschaffung der Originalobjekte und Repliken, für die Gesamtrealisation sowie die Projektleitung konnte die Kantonsarchäologie Zürich
gewonnen werden. Das Musée Suisse (Landesmuseum Zürich) hat verschiedene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Herstellung von Repliken und für Lektoratsarbeit zur Verfügung gestellt. Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule Zürich haben zudem das Projekt von Anfang an
didaktisch begleitet. Die Projektarbeit mit einem Team aus verschiedenen Institutionen und Experten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen mit unterschiedlichem Hintergrund war für alle Beteiligten ein Novum. Das überzeugende Resultat bestätigt uns darin, dass sich die
manchmal aufwändigere Koordinationsarbeit gelohnt hat.
Die Archäologie-Koffer enthalten in erster Linie Fundobjekte (Originale
und Repliken) – also Sachquellen unserer Vergangenheit –, die von den
Schülerinnen und Schülern mit ihrem eigenen Vorwissen, ihrer Neugier
und dann auch mit Zusatzinformationen untersucht werden. Ausführliche
Unterlagen zur archäologischen Arbeitsweise und zu den wichtigsten
Themen der jeweiligen Epoche dienen den Lehrkräften als Vorbereitung
und Hintergrundinformation. Von zentraler Bedeutung ist der Lehrerkom-
Vorwort 1
2 Vorwort
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mentar im Kapitel «Arbeiten mit dem Archäologie-Koffer», worin das didaktische Konzept und der methodische Einsatz der Archäologie-Koffer
dargestellt sind. Ein Verzeichnis aktueller Lehrmittel und Anschauungsmedien bietet zudem einen übersichtlichen Zugang zu weiterführenden
Materialien.
Die Stiftung STARCH konnte dieses Projekt nur dank grosszügiger Beiträge des Fonds für gemeinnützige Zwecke (Finanzdirektion des Kantons
Zürich), der Vontobel Stiftung und namhafter Eigenleistungen der Kantonsarchäologie Zürich und des Musée Suisse (Landesmuseum Zürich)
realisieren. Beide Institutionen haben enorme Personalressourcen in
dieses Projekt gesteckt, ohne die es nie zu Stande gekommen wäre. Ein
ganz besonderer Dank gilt hier dem ganzen Projektteam, das trotz
manchmal überbordendem Tagesgeschäft das Projekt nie aufgegeben
hat und mit grossem Effort und Durchhaltevermögen zum Gelingen beigetragen hat:
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Luigi Bazzigher, Pädagogische Hochschule Zürich
Ulrich Eberli, Kantonsarchäologie Zürich
Christian Foppa, externer Berater
Adrian Huber, Kantonsarchäologie Zürich
Verena Jauch, Kantonsarchäologie Zürich
Andreas Mäder, Kantonsarchäologie Zürich
Salome Maurer, Müsée Suisse (Landesmuseum Zürich)
Donatus Stemmle, Pädagogische Hochschule Zürich
Peter Stöckli, Pädagogische Hochschule Zürich
Werner Wild, Kantonsarchäologie Zürich
Ich wünsche allen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften
viel Spass beim «Geschichte auspacken».
Andrea Tiziani, Kantonsarchäologie Zürich, Projektleiter
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Thema: Didaktische Absichten 3
ARBEITEN MIT DEM ARCHÄOLOGIE-KOFFER
1
Didaktische Absichten
Ein Archäologie-Koffer bietet die einzigartige Möglichkeit, weit zurückliegende Geschichte erlebbar zu machen. Die Objekte erlauben ein handelndes Lernen, das das erworbene Wissen nachhaltig verfügbar werden lässt.
Die Faszination, die die Originalfunde ausstrahlen, ist durch nichts zu ersetzen: Es bleibt für die meisten Menschen ein einmaliges Erlebnis, ein
echtes Steinzeitwerkzeug oder eine bronzene Fibel in der Hand gehalten
zu haben!
Aus diesen Gründen lohnt es sich, einmal im Verlauf eines Klassenzuges die Arbeit mit einem Archäologie-Koffer auf sich zu nehmen, sich
wie Forschende mit geschichtlichen Funden auseinander zu setzen und
sich dadurch ein Bild von vergangener Zeit zu machen.
Wir gehen davon aus, dass die Epoche, zu der ein Koffer bestellt worden ist, Inhalt einer längeren Unterrichtssequenz ist und die Schülerinnen
und Schüler bereits ein Vorwissen erworben haben. Sie kennen die vergangene Zeit aus Bildern und Texten und freuen sich nun auf die direkte
Begegnung mit den Originalen. Sie sind weiter in der Lage, sich intensiv
mit Objekten auseinander zu setzen und verfügen über Fähigkeiten und
Fertigkeiten zu Beobachten, Protokollieren und Präsentieren. Sie sind sich
gewohnt, auch selbstständig Informationen zu beschaffen und sind vertraut mit Bibliothek und Internet.
Damit die kurze Zeit, in der der Koffer zur Verfügung steht, auch optimal genutzt werden kann, haben Sie sich als Lehrperson intensiv mit
dem Kommentar befasst und sich die Stundenabläufe zurecht gelegt. Das
didaktische Hintergrundwissen, die vorgeschlagenen Methoden und die
Liste aktueller Literatur und Lernmedien im Kapitel «Fachdidaktische Literaturhinweise» sollen Ihnen die Planung erleichtern.
Kernstück der Unterlagen ist die Checkliste (siehe weiter unten), die Ihnen die Grundlagen für eine eigene, auf die Bedürfnisse Ihrer Klasse zugeschnittene Arbeitsanleitung liefert. In den Ausführungen zur Didaktik können Sie nachlesen, warum es wichtig ist, das Vorwissen abzurufen und
die Beziehung zum Objekt zu klären, bevor Vermutungen und auftauchende
Fragen notiert werden. Erst dann soll – möglichst selbstständig – nach Antworten gesucht werden. Die beiliegenden Objektblätter sind mit dem Bewusstsein einzusetzen, dass sie in der Sprache der Erwachsenen verfasst
sind. Das Verstehen bedingt also der Hilfe der Lehrperson. Dasselbe gilt für
die Thementexte und die Ausführungen zur Wissenschaft der Archäologie.
Die methodischen Vorschläge sind als Anregung gedacht: In ihrer Anlage können sie für sämtliche Koffer verwendet werden. Das Ziel ist die
Vertiefung und Vernetzung des erworbenen Wissens.
Projekt und Text: Peter Stöckli, Donatus Stemmle, Luigi Bazzigher
Geschichte zum Auspacken
Neben den Bild- und Textquellen sind Sachquellen der dritte grosse Bereich historischer Zeugnisse. Entsprechend den Objekten im Archäologiekoffer sind damit bewegliche Objekte, Gegenstände des alltäglichen oder
4 Thema: Didaktische Absichten
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des kultischen Gebrauchs gemeint, die man nur ungefähr nach Oberbegriffen gliedern kann:
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Werkzeuge und Geräte aller Art
Einrichtungsgegenstände
Kleidung
Spielzeug
Geld
Im Unterricht spielen Sachquellen zu Unrecht nur eine bescheidene
Rolle. Ein Archäologiekoffer vermag dies zu ändern und darüber hinaus
bei den Schülern und Schülerinnen die Forscherneugier zu wecken. Denn
gerade in der Andersartigkeit und Ungewohntheit von Sachquellen liegen
vielfältige Unterrichtsmöglichkeiten. Bei Text- und Bildquellen eines
Schulbuches handelt es sich nicht um Originale, sondern um Übertragungen und Reproduktionen. Objekte dagegen treten in ihrer natürlichen Gestalt, Grösse und Materialität in Erscheinung. Anders als die meisten
sonstigen Quellen sind Objekte nicht durch eine ideologische historische
Perspektive geprägt. Sie bieten (auch als Repliken) die einzigartige Möglichkeit, weit zurückliegende Geschichte «handfest» erlebbar zu machen.
Sachquellen vermitteln meist die den Schülerinnen und Schülern zugänglichere Alltagsgeschichte. Und selbst wenn sie nur bruchstückhaft überliefert oder durch Gebrauch beschädigt sind, sind sie zugleich Hinweis auf
vergangene Nutzungssituationen und Lebenszusammenhänge. Nie wird
es nur um die technische Funktion oder das Objekt an sich gehen, so interessant es auch sein mag. Es geht darum, mit seiner Hilfe zu einer allgemeineren historischen Einsicht über die jeweilige Zeit zu gelangen und
um die historische Bedeutung, die das Objekt hatte und zu deren Erforschung und Reflexion es Anstoss gibt.
Objektbetrachtung
Objekte, wie sie im Archäologie-Koffer zu finden sind, nehmen wir meist
als Kunstobjekte wahr. Mitunter sind sie in ihrer Epoche zu solchen geworden, ihr ursprünglicher gesellschaftlicher Wert und das Prestige aber
bleiben uns vorerst verschlossen. Deshalb sind über alle narrativen Forscher-Fragen hinaus zwei Punkte bedeutsam:
■ Objekte rekonstruieren wie alle anderen Quellen nicht die historische
Realität, sondern können lediglich Lehrpfad in der Betrachtung und Interpretation der Vergangenheit sein.
■ Objekte sind andererseits nicht bloss Quellen. Ihre Objekthaftigkeit und
Konkretheit, ihre Erscheinungsform als Gegenstand entfaltet erst nach
der entsprechenden Betrachtung und Würdigung ihre besondere Aussagekraft.
Aus welcher Zeit stammt das Objekt? Wozu diente es, wer hat es früher einmal benutzt? Wie lange wurde es in dieser Form verwendet? Welchen Stand der Technik lässt es erkennen?
Jede neue Frage lässt ein Objekt in einem anderen Licht erscheinen.
Objektarbeit ist wie jede historische Quellenarbeit einer «kontrollierten
Imagination» gleichzusetzen. Und «an der Quelle soll die Wahrheit der
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Geschichte entgegensprudeln», kühl und klar. Diese Analogie ist nur auf
den ersten Blick eindeutig. Schauen wir nämlich in einen Quellgrund –
was sehen wir? – uns selbst...
Objekte der Geschichte sind stumme Reste einer vergangenen Kultur.
Erst durch die Entdeckung, beziehungsweise deren Interpretation, werden wir sie über unser Denken zum «Sprechen» bringen. Die nachhaltige
Arbeit an und mit Objekten erfordert denn auch verhältnismässig viel
Zeit. Lernwege und Lernergebnisse sind für Lehrpersonen wohl weniger
klar definiert als etwa in der Arbeit mit Text und Bild in einem Lehrbuch.
Die Faszination darüber aber wird dafür Schüler, Schülerinnen und Lehrperson für die Mehrarbeit umso mehr entlöhnen!
Geschichte entsteht im Kopf
Das Besprechen von Objekten, selbst wenn es noch so fleissig und fantasievoll betrieben wird, garantiert aber noch nicht eine wahre Geschichte.
In «unserer Geschichte» fliessen dann zweierlei zusammen: Objekte als
Überreste der Geschichte und die Erzählung über sie. Es gilt zu bedenken, dass das, was «unsere Geschichte» zusammenhält, nie in der Vergangenheit ruht, sondern immer Projektion aus der Gegenwart ist und
nie die beschriebene Epoche selbst sein kann. Deutung wird hier verstanden als Einordnung der Fundstücke zu einem der unzähligen «Geschichtsbilder».
Anders ausgedrückt heisst das: Objekte der Vergangenheit setzen wir
als Überreste einer Epoche in Beziehung zueinander und füllen die Lücken zwischen ihnen mit unserer Vorstellungskraft. Eine «Geschichte an
sich» existiert nie, denn Geschichtsbetrachtung ist das eine, Interpretation das andere. So entsteht ein Geschichtsbild immer durch gedankliche
Konstruktion, abhängig von
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der Wahl der Objekte,
der Qualität unseres Vorwissens,
der Neugier und den damit verbundenen Fragen,
der Sicht für das Ganze oder für das Detail,
den Ergebnissen der Objektbetrachtung,
der gewählten Zusatzinformationen und
der Objektbetrachtung auch «gegen den Strich».
Beim Betrachten von Objekten ist weiter zu beachten, dass es in der
Menschheitsgeschichte weder die reine Wiederholung noch die Idee eines permanenten Fortschritts gibt. Wesentlich scheint, dass angesichts
der Primitivität einzelner Objekte wir uns vor der Vorstellung zu hüten
haben, dass frühere Menschen lediglich «Dorftrottel» waren und eben
noch nicht wie wir mit «Hightech» vertraut…
Weiterführende Literatur
M. SAUER, Geschichte unterrichten (Kallmeyer, Seelze-Velber 2001),
Kap. 5.1.3 Sachquellen.
G. SCHNEIDER, Sachzeugnisse. Steine zum Reden bringen.
In: Dittmer/Siegfried (Hg.), Spurensucher (Seinheim/Basel 1997).
Thema: Didaktische Absichten 5
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2
Thema: Grundsätzliches zur Methodik 7
Grundsätzliches zur Methodik
Arbeit am Objekt
In diesem Kapitel geht es um den methodischen Einsatz der ArchäologieKoffer. Neben einer allgemein einsetzbaren Checkliste als «Rückgrat» für
die Ausarbeitung eigener Arbeitsanleitungen werden Vorschläge gemacht für eine weiter gehende Vertiefung und Vernetzung der Untersuchungen am Objekt, indem die Fundgegenstände in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden. Diese Vertiefung verlangt allerdings eine
längere Vorbereitungsphase vor dem Einsatz eines Archäologie-Koffers,
eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Zeit und dem Leben der
Epoche.
Es ist uns wichtig, dass Sie sich vorgängig die Objekte anschauen und
einige ausgewählte in die Hand nehmen. Vielleicht finden Sie Zeit, sich
dieselben Gedanken zu machen wie später Ihre Schülerinnen und Schüler. Verschaffen Sie sich eine Übersicht über das beigelegte Bildmaterial
und die Zeittafel.
Wir sind der Ansicht, dass die von den Archäologen und Archäologinnen verfassten Objektblätter den Schülerinnen und Schülern nicht zeitgleich mit den Objekten verteilt werden sollten, da sie die eigenständige
Beobachtung sofort behindern würden und in der Regel nicht ohne Kommentar der Lehrperson verstanden werden können.
Der einleitende Text gibt eine aktuelle Übersicht über die Forschungsergebnisse der Epoche. Es bleibt Ihnen überlassen, inwiefern sie Ausschnitte daraus (z.B. für Gruppenarbeit) zur Verfügung stellen möchten.
Dasselbe gilt für die Einführung in die Archäologie.
Ausarbeitung eigener Arbeitsanleitungen
Zu Beginn der Untersuchung arbeiten die Schülerinnen und Schüler nur
mit dem Objekt, ohne weitere Unterlagen. Je nach Fähigkeit können sie
skizzieren, beschreiben oder sich Fragen notieren. Sie sind allein auf ihr
Vorwissen und auf ihre Neugier angewiesen. Das einfache In-die-HandNehmen erschöpft sich aber, sobald der Begriff und die Funktion feststehen.
Um das Objekt und seine Bedeutung zu entschlüsseln, braucht es eine
weiter führende Anleitung und eine geschulte Fragehaltung. Die eigene
Wahrnehmung reicht freilich nicht aus: In Partner- oder Gruppenarbeit
werden zusätzliche Meinungen zusammen getragen. Trotzdem: Es werden zusätzliche Informationen zu Entstehung, Funktion und Geschichte
gebraucht. Neben den im Schulzimmer bereits vorhandenen Lehrmitteln
und Sachbüchern kann im Internet recherchiert werden. Im Koffer selber
finden sich die Objektblätter mit Illustrationen und Texten.
Der Präsentation der Ergebnisse kommt eine grosse Bedeutung zu: Es
interessiert nicht nur zu wissen, wie das Objekt heisst und wozu es dient,
von Bedeutung ist auch, wie die Schülerinnen und Schüler zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Dabei geht es darum darzustellen, welchen
Hypothesen (Vermutungen) und Fragen nachgespürt wurde und was sich
im Verlauf der Untersuchungen verändert hat.
8 Thema: Arbeitsvorschläge
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Ceckliste
Die Lehrperson soll aus der nachstehenden Checkliste eine Auswahl treffen und neu zusammenstellen:
■ Das Vorwissen abrufen: Betrachten, untersuchen, beschreiben.
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Worum handelt es sich bei diesem Objekt?
Aus welcher Zeit stammt es?
Wozu dient das Objekt?
Wie verwendet man es?
Die eigene Beziehung zum Objekt klären.
Woran erinnert mich das Objekt?
Welches sind meine Assoziationen?
In welches Umfeld gehört es (persönliches Umfeld, Zeit, Kultur)?
Als Skizze anfertigen (und in einen Alltagszusammenhang stellen).
Vermutungen anstellen, vorläufige Antworten suchen, Hypothesen
bilden...
…zur Herkunft des Objekts.
…zum Gebrauch des Objekts.
…zu den verwendeten Materialien und Techniken.
…zur Funktion.
Wer stellte es her?
Welche technischen Voraussetzungen bedingte die Existenz des Objekts?
Welche Möglichkeiten eröffnete der Gebrauch des Objekts?
Und wenn es dieses Objekt nicht gäbe...?
Fragen stellen.
Mit welchen Alltagsthemen kann das Objekt in Verbindung gebracht
werden?
Wie lebte man in der Zeit, aus der dieses Objekt stammt?
Welche Rolle spielte das Objekt für die Gesellschaft?
Welcher Gesellschaftsschicht lässt sich das Objekt zuordnen?
Wie hat sich der Umgang mit dem Objekt im Laufe der Zeit – bis zum
heutigen Tag – geändert?
Wo erhalte ich zusätzliche Informationen?
Antworten finden.
In Medien, in Museen, im Kontakt mit Fachleuten, eventuell bei Zeitzeugen.
Auswerten.
Antworten zusammentragen, vorstellen, diskutieren, vergleichen.
Überprüfen der Hypothesen: Welche der vorläufigen Antworten waren
zutreffend?
Erkenntnisse gewinnen: Bild des Lebens in früheren Zeiten beschreiben.
Gruppieren und beschriften
(Material: Stein, Holz, Metall, Glas, Keramik, Papier, künstliche Stoffe).
Gruppieren und beschriften (Funktion).
Gruppieren und beschriften (Bedeutung einst und jetzt).
Rollenspiel.
Planspiel.
Übertragen: Fülle einen 2000-er Koffer!
Übertragen: Suche Gegenstände, die für die anderen ein Rätsel sind –
jetzt beginnt die Arbeit der Archäologinnen und Archäologen!
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Thema: Arbeitsvorschläge 9
Arbeitsvorschläge
Ein Beispiel aus der Literatur
Literatur
Der Katalog zeigt auf, was aus der Arbeit mit Fundobjekten entstehen
kann: Neben der Abbildung steht ein Text, der von Studierenden der Universität Zürich auf Grund einer intensiven Auseinandersetzung mit dem
Gegenstand entstanden ist, indem vorhandenes Wissen mit der eigenen
Beobachtung verbunden wird. Längst nicht alle Legenden bleiben beim
reinen Faktenwissen stehen. Es werden Fragen aufgeworfen, Vermutungen angestellt, Zweifel eingeräumt. Es wird phantasiert, gestaunt, bewundert und verglichen.
Wenn die Lehrperson den Titel des Katalogs als Programm umsetzt
und die Objekte durch die Schülerinnen und Schüler erzählen lassen will,
soll ein Teil des Schulzimmers umgestaltet werden, um die Objekte auf
geeignete Art auszustellen: auf Augenhöhe, gut beleuchtet und mit einer
Legende versehen.
Wie in einem richtigen Museum gibt es zusätzliche Angebote: Ausstellungskatalog, Plakat und Führungen.
Nachdem sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig informiert haben, besteht die Möglichkeit, eine Parallelklasse zum Besuch einzuladen
– selbstverständlich mit Führung – oder die Ausstellung am Besuchsmorgen zu präsentieren. Die Ergebnisse können fotografiert und auf die Homepage der Schule gestellt werden.
Es entsteht eine Dokumentation, die neben Skizzen auch die Legenden
enthält, aber auch eventuelle Fotos, den Ausstellungskatalog, das Plakat.
Die Lehrperson kann die Dokumentation zu einem Nachschlagewerk zum
Thema ausbauen, indem sie geeignete Sachtexte und Bilder kopiert und
eine weiterführende Literaturliste inkl. Websites anfügt. Für ihr persönliches Mensch und Umwelt-Heft (oder Ordner) zum Thema erhalten die
Schülerinnen und Schüler eine Kopie des Ausstellungskatalogs.
Die Pfahlbauer – 150 Objekte erzählen 150 Geschichten. Begleitband zur Ausstellung im
Schweizerischen Landesmuseum (Zürich 2004).
150 grossformatige Fotos von einzelnen Fundobjekten aus der Schweiz belegen den neusten
Wissensstand der Feuchtbodenarchäologie auf
einzigartige Weise.
Link
www.musee-suisse.ch
Beispiele für Ideen zur Vernetzung
Weil wir der Ansicht sind, dass die Arbeit mit dem Archäologie-Koffer
nicht isoliert, sondern in einer Unterrichtsreihe (z.B. Steinzeit) geschehen
soll, stellen wir vier Beispiele als Ideenskizze vor. Dabei kann gleichzeitig
die Absicht der Vernetzung verfolgt werden: Das Thema wird in einen
grösseren Zusammenhang gestellt, die Arbeit mit dem ArchäologieKoffer ist eingebettet in eine Abfolge von Lektionen, Fragen werden dabei beantwortet, aber auch neue Fragen tauchen auf. Neben dem Generieren von Wissen werden auch Fähigkeiten und Fertigkeiten trainiert.
Eine zusätzliche Vertiefung ist durch die Beschäftigung mit den Methoden
der Archäologie möglich (Kapitel Archäologie – eine Einführung).
Steinzeit: Der Mann aus dem Eis
Literatur
Seit der Entdeckung des Eismannes auf dem Similaungletscher (I) im Jahr
1991 ist die Faszination für «Ötzi» und sein Leben und Sterben ungebrochen: Kein Jahr vergeht ohne neue Forschungsergebnisse und immer
wieder von neuem müssen die Zeittafeln korrigiert werden. Das Südtiro-
G. SULZENBACHER (Hg.), Thema Ötzi – Didaktische
Materialien zum Mann aus dem Eis (Folio-Verlag,
Wien/Bozen 1999).
Link
www.iceman.it
10 Thema: Arbeitsvorschläge
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ler Archäologiemuseum in Bozen publiziert ausgezeichnete Unterlagen
für den Schulunterricht (siehe oben), die Website ist geeignet für Schülerinnen und Schüler, und die interessierte Lehrperson wird den Aufwand
für einen (persönlichen) Besuch in Bozen nicht bereuen.
Diese Informationsmöglichkeiten und verschiedene Objekte aus dem
Archäologie-Koffer, die aus dem Besitz des Eismannes stammen könnten,
sind die Gründe für den Vorschlag, diese mit seiner Person zu verknüpfen. Die Schülerinnen und Schüler überlegen sich, ob ihr Objekt etwas
mit «Ötzi» zu tun habe und begründen ihre Meinung in der Präsentation.
Festhalten des Wissens
Die Schülerinnen und Schüler gestalten in Partner- oder Gruppenarbeit eigene Hefteinträge zu verschiedenen Themen. Sie verwenden neben den
genannten didaktischen Materialien Informationen aus dem Internet und
aus zusätzlichem Unterrichtsmaterial (Werkstatt, Sach- und Schulbücher),
aber auch aktualisiertes eigenes Wissen (Sachbücher, Museumsbesuche,
Zeitungs- und Fachartikel etc.). Die Ergebnisse werden in geeigneter
Form präsentiert und allen Schülerinnen und Schülern zugänglich gemacht (Dokumentation, Zusammenfassung, Ausstellung).
Varianten
■ Planspiel: Der Eismann stellt seine Ausrüstung zusammen, bevor er
aufbricht.
■ Rollenspiel: Der Eismann begegnet auf seiner Wanderung verschiedenen Personen an verschiedenen Orten.
Bezug zur Umgebung
Vergleiche Anhang (Exkursionsziele, Museen).
Metallzeiten: Eine glänzende Idee
Literatur
DECURTINS, HUBER: mitenand 1, Geschichte und
Gegenwart für Schweizer Primarschulen,
Vom Zeltlager zum Alamannendorf. «thema» 2,
S. 32ff. (mit Begleitband S. 66ff.).
Mit der Bronzeverarbeitung tritt ein neuer Handwerkszweig in den Siedlungen auf. Für den Abbau, das Schmelzen, Giessen und Schmieden waren spezialisierte Sachkenntnis und handwerkliche Begabung Voraussetzungen.
Neue Techniken sind oft Folge neuer Herausforderungen oder Bedürfnisse. Zudem gehören Handelsleute zu den wichtigsten Medien in der
Entwicklungsgeschichte. Während der Bronzezeit erreichten Handelsströme eine geographische Weiträumigkeit, die für die vorangehenden
Zeiten bisher nicht nachgewiesen werden konnte.
Neue Techniken können aber auch innerhalb einer Gruppe entwickelt
werden. So sind Erfindungen vielfach das Resultat vieler kleiner Verbesserungen und Erkenntnisse. Entsprechend zeigen viele Alltagsgegenstände keinen plötzlichen technischen Fortschritt gegenüber der Jungsteinzeit. Vielmehr entwickelten sich die Objekte schrittweise. Was beispielsweise den Anstoss gab, Sicheln fortan aus Bronze anzufertigen, ist
unklar, zumal mit den ersten Exemplaren möglicherweise weniger effektiv als mit den Steinsicheln gearbeitet werden konnte.
Der neue Werkstoff bedingte die Herausbildung von Berufen. Dazu
gehört Wissen und Können, über das andere nicht (selbstverständlich)
verfügen. Im Rahmen der Bearbeitung von Metall ist man auf Feuer angewiesen. Der Schmied gewinnt Metall aus Stein und stellt daraus einen
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Thema: Arbeitsvorschläge 11
neuen Gegenstand her. Diese Verwandlung hat stets etwas Magisches
an sich: So war die Metallverarbeitung in vielen Kulturen religiös eingebettet.
Das Thema «Eine glänzende Idee» ist gegliedert in Impulse von aussen, von innen, Berufe und die Kraft des Feuers. Der Begleitband liefert
zu allen Texten und Bildern konkrete Vorschläge zur Umsetzung: Fragen,
Anweisungen, Arbeitsmöglichkeiten, Hinweise im Sinne einer Ausweitung und Aktualisierung. Eine solche Text- und Bildarbeit erleichtert die
Vernetzung mit den Objekten im Archäologiekoffer.
Festhalten des Wissens
Vier Teilthemen werden als Gruppenarbeit bearbeitet, die Ergebnisse auf
Plakaten festgehalten und mit den entsprechenden Gegenständen aus
dem Koffer in Verbindung gebracht.
Varianten
■ Planspiel: Arbeitsvorgänge in der Schmiede nacherzählend spielen
(Lage der Schmiede im Dorf, Einrichtung, Rohstoffe, Blasebalg, Feuer
machen, Holzkohle, Gussform, Giessen, Gussstücke bearbeiten, Gedanken des Schmieds über seine Arbeit und sein Leben).
■ Rollenspiel: Einer Gruppe, die abwesend war (auf Jagd, Vieh hüten,
Beeren sammeln), vom Besuch der Händlerinnen erzählen. Die eingetauschten Gegenstände (aus dem Koffer) vorstellen und rühmen.
Bezug zur Umgebung
Vergleiche Anhang (Exkursionsziele, Museen).
Römische Epoche: Augst – Augusta Raurica
Literatur
Die Lehrperson wird darauf hin arbeiten, dass sich die Schülerinnen und
Schüler wie auf einem Stadtplan einer vertrauten Stadt zurechtfinden. In
ihrer Vorstellungskraft füllt sich der Plan mit Häusern, Wohnungen, Plätzen, Menschen. Sie suchen sich Wege durch Gassen und Tore, stellen sich
vor, wie sie sich in der Stadt bewegen würden zum Spielen, Einkaufen,
auf dem Weg zur Schule. Sie überlegen sich, wo und wie sie selber mit
ihren Eltern und Geschwistern wohnen würden und wie es im Haus und
der unmittelbaren Umgebung aussähe.
Im Unterricht haben sie sich bereits mit dem Leben der Römer vertraut
gemacht. Nun sind sie in der Lage, ihr Objekt aus dem Römerkoffer an
einem selbst gewählten Ort zu platzieren. In der Präsentation legen sie
dar, weshalb sie diesen Ort ausgewählt haben und was sie über ihr Objekt herausgefunden haben. Nach Möglichkeit sollen die Schüler Bezug
nehmen auf die Ausführungen ihrer Mitschülerinnen.
Mit diesem Vorschlag nähern sich die Schülerinnen und Schüler der
Arbeit der Archäologinnen und Archäologen, die sich aufgrund der Ausgrabung von Objekten, Mauern, Plätzen, Strassen etc. ein Bild einer
Stadtanlage machen.
Festhalten des Wissens
Für ihr persönliches Mensch und Umwelt-Heft (oder Ordner) zum Thema
«Römer» tragen die Schülerinnen und Schüler auf einer Kopie des Stadtplanes die Lage ihres Objektes ein und zählen auf, was man hier auch
S. MARTIN-KILCHER, M. ZAUGG, Fundort Schweiz.
Die Römerzeit, Bd. 3 (Verlag Aare, Solothurn
1983), S. 38–41 (vergriffen, aber in vielen
Schulhäusern noch vorhanden).
Die Doppelseite zeigt eine Ansicht der Stadt zur
Römerzeit.
12 Thema: Arbeitsvorschläge
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noch hätte finden können. Es ist der Lehrperson überlassen zu bestimmen, wie ausführlich diese Liste sein soll.
Varianten
■ Planspiel: Das «Tourismusbüro von Augusta Raurica» plant eine Führung zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt.
■ Rollenspiel: Ein Mädchen macht einen Rundgang durch den Markt und
trifft auf Marktleute, Handwerker, Soldaten, Händlerinnen, Gaukler...
Bezug zur Umgebung
Vergleiche Anhang (Exkursionsziele, Museen).
Mittelalter: Auf der Gasse und hinter dem Ofen
Literatur
J. MÜLLER, A. SIEGFRIED, J. SCHNEIDER, Auf der Gasse
und hinter dem Ofen: Eine Stadt im Spätmittelalter (Verlag Sauerländer, Aarau 1995).
Dieses Lehrmittel ist im Archäologie-Koffer
Mittelalter enthalten.
Das Lehrmittel enthält vier Gänge durch eine fiktive mittelalterliche
Stadt. Zu jedem Gang gehören eine Erzählung und ein Bildausschnitt. Die
Lesenden begleiten dabei die Hauptperson und können die Reise auf
sehr detaillierten grossformatigen Bildern verfolgen. Die wechselweise
Umsetzung Text-Bild-Text erhöht die Spannung dadurch, dass die Lesenden im Laufe der Zeit immer wieder den gleichen Personen begegnen
und dabei erfahren, was aus ihnen geworden ist.
Diese Voraussetzungen prädestinieren die vier Gänge für Gruppenarbeiten: Es gibt in den einzelnen Bildern viel zu entdecken, und die Zusammenhänge halten das Interesse für das Ganze aufrecht.
Sowohl in den Erzählungen als auch in den Bildern tauchen Objekte
auf, die die Schülerinnen und Schüler im Koffer Mittelalter auswählen. Es
liegt also auf der Hand, in der Gruppenpräsentation Bild, Geschichte und
Objekte zusammen zu fügen. Die Objekttexte vertiefen dabei die Zusammenhänge weiter. Damit ist die Gruppe in der Lage zu erklären, was für
ein Gegenstand hier zu sehen ist, warum man ihn ausgerechnet hier findet, wie er funktioniert und welche Bedeutung er für das Leben der Bewohner der Stadt hatte.
Festhalten des Wissens
Für ihr persönliches Mensch und Umwelt-Heft (oder Ordner) zum Thema
«Mittelalter» gestalten die Schülerinnen und Schüler einen eigenen Beitrag in der Gruppe in einer kopierfähigen Form, so dass er der ganzen
Klasse zur Verfügung gestellt werden kann.
Varianten
■ Planspiel: Die Schicksale der dargestellten Personen werden weitergeführt.
■ Rollenspiel: Die Erzählung wird in einem Rollenspiel dargestellt.
Bezug zur Umgebung
Vergleiche Anhang (Exkursionsziele, Museen).
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4
Thema: Fachdidaktische Literaturhinweise 13
Fachdidaktische Literaturhinweise
Alle Epochen
Links
www.archaeologie-online.de
www.pfahlbauten.ch
www.pfahlbauten.de
www.mediatime.ch/museum/pfahlbau
www.latenium.ch
www.wasistwas.de
www.blindekuh.de
www.milkmoon.de
www.aeiou.at
Zur Unterrichtsvorbereitung
S. BOLLIGER SCHREYER, S. REBSAMEN (Hg.), Pfahlbau und Uferdorf.
Leben in der Steinzeit und Bronzezeit, Glanzlichter aus dem Bernischen Historischen Museum 13 (Bern 2004), ISBN 3-0340-0653-5.
Inhalt: Einzigartiges Fenster in das Leben der Stein- und Bronzezeit
(4300–800 v.Chr.).
P. BROKEMPER, Projekt Geschichte. Vorgeschichte bis Mittelalter, Bd. 1
(Verlag an der Ruhr, Mühlheim 1993), ISBN 3- 86072-128-3.
Inhalt: I Wie Archäologen arbeiten, Methoden, Techniken;
II Epochenteil; III Kreativ durch die Zeiten.
CH. FOPPA , Urgeschichte. Der Weg unserer Heimat bis zu den Römern
(Lehrmittelverlag Graubünden, Chur 1994).
Inhalt: Didaktische Hinweise und Materialien, Ortshinweise zur
Bündner Geschichte.
CH. FOPPA u.a., UrgeschiCHte, Leben in der Ur- und Frühgeschichte
(Basel 2004), ISBN 3-908006-76-714.
Inhalt: Lebensbilder von den Rentierjägern der Altsteinzeit bis zu
den frühmittelalterlichen Dorfbewohnern; 14 Farbfolien; Lesetexte,
Bildlegenden, Erklärungen; konkrete Arbeitsaufträge und wissenschaftliche Informationen.
U. HUBER, G. DECURTINS, Vom Zeltlager zum Alamannendorf, mitenand 1
(Sauerlädner, Zürich und Aarau 1992), ISBN 3-252-05051-1 (-X).
Inhalt: Geschichte und Gegenwart, Viele Aktualisierungsaufgaben –
handlungsorientiert.
P. KNOCH, Spurensuche Geschichte. Vorgeschichte bis Frühmittelalter, Bd. 1
(Klett Verlag Balmer, Zug 1994), ISBN 3-12-42001 0-1.
Inhalt: Anregungen für einen kreativen Geschichtsunterricht.
G. LÜSCHER, Wanderungen in die Urgeschichte der Schweiz (Ott Verlag,
Thun 1986), ISBN 3-7225-6400-X.
Inhalt: 17 kommentierte Ausflüge zu Stätten der Stein- und Metallzeit.
F. MÜLLER, Götter – Gaben – Rituale. Religion in der Frühgeschichte
Europas (Zabern, Mainz 2002), ISBN 3-8053-2801-X.
M. SAUER, Geschichte – Das Methodenbuch (Friedrich, Velber 2000),
ISBN 3-617-92300-3.
Inhalt: Lernbox über das instrumentelle Lernen; Orientierung,
Recherche, Quellen, Darstellung, Medien, Präsentation.
14 Thema: Fachdidaktische Literaturhinweise
© STARCH
Zur Unterstützung und Animation zur Freiarbeit
I. BAUER, S. KARG, R. STEINHAUSER, Kulinarische Reise in die Vergangenheit.
Schriften des Kantonalen Museums für Urgeschichte Zug 44
(Zug 1995), ISBN 3-9520098-5-7.
Inhalt: Ein Kochbuch mit Rezepten von der Steinzeit bis ins Mittelalter.
S. BOLLIGER, Kleidung und Schmuck in der Urgeschichte (Museum für
Urgeschichte, Zug 1992), ISBN 3-9520098-2-2.
Inhalt: Leseheft mit anschaulichen Bildern.
Mit Corax durchs Moor. Eine archäologische Spurensuche für Kinder von
der Steinzeit bis ins Mittelalter, Kinder-CD, (Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover 2002), ISBN 3-00-010073-3.
Inhalt: Hörspiel basiert auf der Ausstellung «Der Tempel im Moor».
J. FITZSIMMONS U.A ., Tolle Ideen. Arbeitsergebnisse präsentieren und ausstellen (Verlag an der Ruhr, Mülheim1996), ISBN 3-86072-254-9.
L. HALL , Tolle Ideen, Geschichte für Kinder (Verlag an der Ruhr, Mühlheim
1987), ISBN 3-86072-015-5.
Inhalt: Methodische Tipps, Grundlagen für handlungsorientierten
Unterricht.
M. KINSKY, Pfahlbaumuseum Unterhuldingen. Lernort Pfahlbauten
(Pfahlbaumusuem Unterhuldingen 1997), ISBN 3-0946-0519.
H. J. MÜLLER, Ein Schultag im Pfahlbauland (Lehrmittelverlag, Zürich
1990).
Inhalt: Arbeitsblätter für Schüler.
S. NOON, A. MILLARD, Die Geschichte einer Strasse. Eine Reise durch
die Jahrtausende (Bibliographisches Institut Mannheim 1999),
ISBN 3-411-07401-9.
Inhalt: Zeitreise aus der Steinzeit über die mittelalteriche Stadt zur
heutigen Zeit.
Die Pfahlbauer – 150 Objekte erzählen 150 Geschichten. Begleitband
zur Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum (Zürich 2004).
Inhalt: 150 Jahre Entdeckung der schweizerischen Pfahlbauten.
Verzauberte Welten. Göttinnen und Götter (Time Life, Amsterdam 1986),
ISBN 90-6182-932-1.
Archäologie-Koffer Steinzeit
Zur Unterrichtsvorbereitung
CH. OSTERWALDER, Von den Fundort Eiszeitjägern zu den ersten Bauern,
Fundort Schweiz Bd. 1 (Aare Verlag, Solothurn 1990),
ISBN 3-7260-0168-0.
Inhalt: Bilder, Illustrationen, Quellen, Texte.
U. STODIEK , H. PAULSEN, Mit dem Pfeil, dem Bogen... Techniken der
steinzeitlichen Jagd (Isensee Verlag, Oldenburg 1996),
ISBN 3-89598-388-8.
Inhalt: Technik der steinzeitlichen Jagd.
Zur Unterstützung und Animation zur Freiarbeit
F. SEEBERGER, Steinzeit selbst erleben! Waffen, Schmuck und Instrumente –
nachgebaut und ausprobiert. Mit einem Vorwort von E. KEEFER
(Theiss Verlag, Stuttgart 2003), ISBN 3-8062-1861-7.
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Thema: Fachdidaktische Literaturhinweise 15
Archäologie-Koffer Metallzeiten
Zur Unterrichtsvorbereitung
S. BOTHEROYD, P. BOTHEROYD, Lexikon der keltischen Mythologie
(Diederichs, München 1992), ISBN 3-424-01077-4.
K. BRODERSEN, Asterix und seine Zeit. Die grosse Welt des kleinen Galliers
(Ehapa, München 2001), ISBN 3-406-45944-7.
A. FURGER, F. MÜLLER (Hg.), Gold der Helvetier. Ausstellungskatalog des
Schweizerischen Landesmuseums (Zürich 1991).
A. FURGER-GUNTI, Die Helvetier. Kulturgeschichte eines Keltenvolkes
(NZZ Verlag, Zürich 1984), ISBN 3-85823-152-5.
R. GROSSE , Der Silberkessel von Grundestrup. Ein Zeugnis des Läuterungsund Einweihungsweges bei den Kelten (Goetheanum, Dornach 1983),
ISBN 3-7235-0296-2.
L. LENGYEL , Das geheime Wissen der Kelten. Druidisch keltische
Mythik und Symbolik (Bauer, Freiburg i. Breisgau 1988),
ISBN 3-7626-0-0200-X.
CH. OSTERWALDER, Von den ersten Bronzegiessern zu den Helvetiern, Fundort Schweiz Bd. 2 (Aare Verlag, Solothurn 1991), ISBN 3-7260-0176-X.
Inhalt: Bilder, Illustrationen, Quellen, Texte.
O. SCHERTLER, Die Kelten und ihre Vorfahren. Burgenbauer und Städtebauer
(Battenberg, Augsburg 1999), ISBN 3-89441-424-3.
G. SULZENBACHER (Hg.), Thema Ötzi. Didaktische Materialien zum Mann
aus dem Eis (Lernmaterialien) (Folio Verlag, Wien/Bozen 2000),
ISBN 3-85256-153-1.
Inhalt: Kopiervorlagen, Folien, Rekonstruktionen, Memory, Quartett,
Zeitleiste.
B. VERHAGEN, Götter – Kulte und Bräuche der Nordgermanen. Kulturelle
Wurzeln des Abendlandes in der nordeuropäischen Bronzezeit
(Grabert Verlag, Tübingen 1983), ISBN 3-88199-291-X.
Zur Unterstützung und Animation zur Freiarbeit
I. BAUER, W. H. SCHOCH, Geräte und Werkzeuge aus Holz in der Bronzezeit
(Museum für Urgeschichte, Zug 1993), ISBN 3-9520098-3-0.
Inhalt: Informationen und Anleitungen.
I. BAUER, Feuer am See. Eine Geschichte aus der Bronzezeit
(Metz Verlag, Gaggenau 1999), ISBN 3-927655-31-7.
H. EGGMANN, Die Helvetier – ein Keltenvolk. «thema» 1
(Lehrmittelverlag SG, Rorschach 1993).
Inhalt: Arbeits- und Leseheft.
M. SÉNÉCHEAU, Die Zeit der Kelten in Kinder- und Jugendbüchern
(Museum für Ur- und Frühgeschichte, Freiburg i. Breisgau 1998),
Tel. 0049 761 201 2500.
Inhalt: 21 Sach- und Geschichtenbücher werden ausführlich
vorgestellt.
A. SIEGFRIED, Mond im Kreis (Sauerländer, Aarau 1993),
ISBN 3-293-21054-6.
Inhalt: Roman über die junge Keltin Macha und dem etruskischen
Händler Laris.
J. VLADISLAV, Keltische Märchen (Breitschopf, München 1992),
ISBN 3-7004-0196-5.
Inhalt: Märchen zum Lesen und Spielen und Diskutieren.
16 Thema: Fachdidaktische Literaturhinweise
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Archäologie-Koffer römische Epoche
Zur Unterrichtsvorbereitung
Alltag im antiken Rom, Geschichte lernen, Heft 45 (Friedrich in Velber
1995), Best.Nr.17045.
Inhalt: Handlungsorientierte Praxisberichte, mit Modellbaubogen.
W. DRACK , R. FELLMANN, DIE SCHWEIZ ZUR RÖMERZEIT. FÜHRER ZU DEN DENKMÄLERN
(ARTEMIS, ZÜRICH 1991), ISBN 3-7608-1045-4.
Inhalt: Führer zu den Denkmälern; Anregungen für kulturhistorische
Ausflüge; 300 römische Fundorte im Gelände sowie Führer zu den
Museen.
W. HÜRBIN, Römisches Brot. Mahlen, Backen, Rezepte. Augster Blätter
zur Römerzeit 4 (Römermuseum Augst 1994), ISBN 3-7151-2204-8.
U. LASSERT, Die Menschen damals. Bei den Römern – Kopiervorlagen zur
Freiarbeit (Auer Verlag, Donauwörth 1998), ISBN 3-403-02757-0.
Inhalt: Alltagswelt der Römer erleben; Handlungs-, Spiel- und Bastelanleitungen.
D. SIMKO, Die Maskenspiele im römischen Theater. Geschichte für Kinder
und Jugendliche. Augster Museumshefte 11 (Römermuseum Augst
1989).
SYNAULIA . Musik des antiken Rom, CD 1 und 2 (Amiata Records DDD,
Florenz 1996), ISBN 8-015297 139601 / 8-015297 0302 05.
Inhalt: Nachempfundene Musik auf nachgebauten Instrumenten.
Zur Unterstützung und Animation zur Freiarbeit
H. EGGMANN, Römer in Helvetien. «thema» 4 (Lehrmittelverlag SG,
Rorschach 1994).
Inhalt: Arbeits- und Leseheft.
S. HOJER, Antike Spiele (Museumspädagogisches Zentrum, München 1996).
Inhalt: Diverse Spiele mit Anleitungen, Material und Hintergrundinformationen.
H. HUBER, Lernspiele Römerzeit (Verlag an der Ruhr, Mühlheim 1999),
ISBN 3-86072-408-8.
Inhalt: 10 Spiele, die das alte Rom (fast) wieder lebendig werden lassen.
D. SIMKO, Prisca und Silvanus, Comics, 2 Bde. (Unruhige Zeiten in Augusta
Raurica/Die Zerstörung von Augusta Raurica), Augster Museumshefte
15 und 18 (Römermuseum Augst 1995 und 1996),
ISBN 3-7151-1015-5 und 1018-X.
Archäologie-Koffer Mittelalter
Zur Unterrichtsvorbereitung
U. ANDRAE , Projektmappe Mittelalter. Materialien für einen handlungsorientierten Unterricht (Cornelsen, Berlin 2001), ISBN 3-464-64861-3.
M. BLACK , Küchengeheimnisse des Mittelalters. Kulinarische Entdeckungen und Rezepte (Flechsig, Würzburg 1998), ISBN 3-88189-240-0.
Inhalt: Faszinierender Streifzug durch die mittelalterliche Kochkunst.
Mehr als 50 für heute bearbeitete Rezepte.
F. BÜNZLI, M. ILLI, Hirsebarden und Heldenbrei (Zytglogge, Bern 1995),
ISBN 3-7296-0519-4.
Inhalt: Comics und Hintergrundinformationen
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Thema: Fachdidaktische Literaturhinweise 17
H. HOEFS, Durchblick – Freies Lernen in Projekten. Ritter, Bauern, Bürger
(Verlag an der Ruhr, Mühlheim 2002), ISBN 3-86072-089-9.
J. MÜLLER, A. SIEGFRIED, J. E. SCHNEIDER, Auf der Gasse und hinter dem Ofen.
Eine Stadt im Spätmittelalter (Verlag Sauerländer, Aarau 1995),
ISBN 3-7941-3890-2.
Inhalt: Bilder, Texte, Erzählungen.
H. SCHNEIDER, Entdecken und Verstehen, Arbeitshefte. Vom Mittelalter bis
zur Frühen Neuzeit (Cornelsen, Berlin 1997), ISBN 3-464-64158-9.
D. STEMMLE , Die Bauern und die Herren, mitenand 2
(Sauerländer, Zürich und Aarau 1994), ISBN 3-252-05052-8-6.
Inhalt: Schülerband und Begleitband, 500 Vorschläge zur Aktivierung.
J. TAUBER, F. HARTMANN, Das Hochmittelalter, Fundort Schweiz Bd. 5
(Aare Verlag, Solothurn 1988), ISBN 3-7260-0296-0.
Inhalt: Von den Karolingern bis zur grossen Pest; Bilder, Illustrationen,
Quellen, Texte.
Zur Unterstützung und Animation zur Freiarbeit
L. CARLSON, Wir spielen Mittelalter. Eine Mappe zum Basteln, Malen,
Kochen, Spielen, Lernen (Verlag an der Ruhr, Mühlheim 1998),
ISBN 3-86072-380-4.
I. FLOERKE , B. SCHÖN, Markt, Musik und Mummenschanz. Stadtleben im
Mittelalter (Münster 1999), ISBN 3-931902-43-9.
Inhalt: Zum Singen, Tanzen, Spielen, Schmökern, Basteln und Kochen
(mit CD).
K. HOFFMANN-PIEPER U.A ., Das grosse Spektaculum. Kinder spielen
Mittelalter (Ökotopia, Münster 1997), ISBN 3-925169-78-4.
CH. JACKWERTH, E. RÜGER, Mittelalter. I like Geschichte 1
(AOL-Verlag, Lichtenau 2002), ISBN 3-89312-561-2.
Inhalt: Geschichtswerkstatt, ungewöhnliche/einfallsreiche Arbeitsblätter.
R. PERNOUD, Ein Tag im Leben eines Troubadours. Welt des Mittelalters,
von Hof zu Hof, von Burg zu Burg, von Stadt zu Stadt (Echter, Würzburg
1996), ISBN 3-429-01844-7.
Die Stadt im Mittelalter, CD-Rom (Sauerländer, Aarau 1995),
ISBN 3-7941-3977-1.
Inhalt: Alltagsleben hinter Turm und Mauern. Die Welt einer mittelalterlichen Stadt wird in den detailreichen Bildern durch eine
multimediale Anwendung und Interaktionen sowie zeitgenössische
Bilder lebendig.
F. STEPHAN-KÜHN, Viel Spass im Mittelalter (Arena; Würzburg 1984),
ISBN 3-401-04089-8.
Inhalt: Handlungsorientierter Umgang mit Quellen, Bildern und
Fiktionen.
H.-J. VAN DER GIETH, Leben und Alltag im Mittelalter. Alltagsgeschichte
handlungsorientiert aufbereitet (Buch Verlag, Kempen 2003),
ISBN 3-932519-13-2.
© STARCH
Einführung 19
ARCHÄOLOGIE – EINE EINFÜHRUNG
Mit dem Begriff «Archäologie» werden oft ägyptische Pyramiden, griechische Tempel oder römische Theater verbunden. Spektakuläre Funde
wie etwa der «Ötzi» oder «Eismann», das heisst die jungsteinzeitliche
Gletschermumie aus dem obersten Ötztal im Südtirol, erregen Aufsehen.
Eine grosse Zahl archäologischer Fundstellen gibt es aber auch ganz in
unserer Nähe, im Kanton Zürich. Bis heute sind rund 5000 bekannt. Über
lange Zeiten der Menschheitsgeschichte bilden archäologische Spuren
die einzigen Informationsquellen. In den jüngeren Epochen, seit der Römerzeit, vor allem aber ab dem Mittelalter, können die archäologischen
Überreste zusammen mit schriftlichen und bildlichen Quellen ein facettenreiches Bild der Vergangenheit vermitteln.
Die Zahl archäologischer Funde nimmt durch neue Entdeckungen und
Ausgrabungen einerseits jedes Jahr zu, andererseits werden durch die
Zersiedelung der Landschaft, durch Bauvorhaben aller Art, aber auch
durch natürliche Erosion laufend archäologische Stätten zerstört. Im Kanton Zürich hat die Kantonsarchäologie die Aufgabe, diese Quellen zu
schützen oder zumindest vor der Zerstörung deren Informationsgehalt
durch Rettungsgrabungen zu sichern. Mit den prähistorischen Seeufersiedlungen, den so genannten Pfahlbauten, ist im Kanton Zürich eine
Fundstellengruppe besonders gut vertreten, die im internationalen Rahmen dank der Erhaltung des organischen Materials (beispielsweise Holz
oder Textilien) einen hohen Stellenwert einnimmt. Eine Aufnahme in die
Liste des UNESCO-Weltkulturerbes steht derzeit zur Diskussion. Aber auch
aus den anderen Epochen sind wichtige Fundstellen und Fundgegenstände zu verzeichnen.
Taucher bei der Untersuchung der
urgeschichtlichen Siedlungen («Pfahlbauten») von Meilen-Roorenhab ZH.
Stadt Zürich, Büro für Archäologie, Tauchequipe.
Womit beschäftigt sich die Archäologie?
Gegenstand der archäologischen Forschung sind die materiellen Hinterlassenschaften des Menschen seit seinem Auftreten vor rund 2 Millionen Jahren. Der älteste Fundgegenstand aus der Schweiz ist etwa
250’000, der älteste aus dem Kanton Zürich – aus Schlieren – etwa
100’000 Jahre alt. Es handelt sich um Faustkeile, Werkzeuge der Menschen in der älteren Altsteinzeit (Altpaläolithikum). In beiden Fällen ist
über die Fundzusammenhänge nichts Genaueres bekannt, und ebenso
wenig kennen wir Feuerstellen oder Spuren von Behausungen dieser
Menschen.
In der Archäologie wird zwischen den mobilen Funden – zum Beispiel
den erwähnten Faustkeilen – und den immobilen Befunden wie etwa
Feuerstellen, Pfostenlöchern, Mauern und Gräbern unterschieden. Das
Spektrum an möglichen Befunden aus den verschiedenen Epochen von
der Altsteinzeit bis an die Schwelle zur Gegenwart ist überaus breit. Es
reicht von fest gefügten Mauern bis zu kaum sichtbaren Verfärbungen,
die trotz ihres unscheinbaren Aussehens wichtige Aufschlüsse geben
können. Bahnbrechend für die archäologische Wissenschaft war die «Entdeckung» des Pfostenlochs, das heisst die Erkenntnis, dass Holzkonstruktionen – etwa von Häusern – auch nach dem Zerfall des Holzes sich noch
nach Jahrtausenden im Boden als dunkle (weil humusreichere) Verfärbungen abzeichnen können.
«Pfostenlöcher»: die runden Verfärbungen zeugen von Holzpfosten (Ausgrabung mittelalterlicher Siedlungsreste
in Oberwinterthur ZH).
Kantonsarchäologie Zürich.
20 Einführung
© STARCH
Bei den Funden interessieren nicht nur die von Menschen gefertigten
Gegenstände wie etwa Geschirr aus Keramik, Glas, Metall oder Holz sowie Geräte, Schmuck oder Waffen, sondern auch Tierknochen und Pflanzenreste. Bei ersteren kann es sich beispielsweise um Schlacht- oder
Speiseabfälle, bei letzteren um Vorräte oder Fäkalien handeln.
Sowohl bei den Befunden wie auch bei den Funden ist die Erhaltung
äusserst unterschiedlich. Während Keramik, Stein, Knochen, Glas und Metall in der Regel verhältnismässig gut erhalten bleiben, vergehen organische Materialien in unseren abwechselnd feuchten und trockenen Böden
innerhalb von kurzer Zeit vollständig.
Unter Luftabschluss und in stets feuchtem Milieu hingegen können Gegenstände aus organischen Materialien (wie Holz oder Textilien) über
Jahrtausende erhalten bleiben. Diese Bedingungen sind in den urgeschichtlichen Seeufersiedlungen, den «Pfahlbauten», vorhanden, wo sich
deshalb eine grosse Breite der materiellen Kultur erschliesst. Auch stets
trockene Verhältnisse ermöglichen die Erhaltung verschiedenster organischer Reste. Diese Bedingungen liegen vor allem in Wüstengebieten
(zum Beispiel in Ägypten) vor, selten auch bei uns in Innenräumen, beispielsweise in Kirchen. Schliesslich können chemische Veränderungen
wie Verkohlung oder Oxidation organische Materialien überliefern.
Befunde und Funde
Für weiterführende Deutungen ist die kombinierte Untersuchung von
Funden, den mobilen Gegenständen, und Befunden, den immobilen
Strukturen, von zentraler Bedeutung. Es gilt deren Zusammenhänge zu
klären. Wie wichtig diese sind, zeigen die folgenden zwei Beispiele:
■ Aus dem römischen Gutshof von Dietikon ZH sind die Fundamentreste
eines viereckigen Gebäudes mit Umgang (porticus) bekannt. Auf
Grund der Architektur kann es als gallorömischer Tempel gedeutet
werden. Im Zentrum des Tempels fand sich eine Grube, in der sich ein
Pfostenloch abzeichnete. In der Grubenauffüllung lagen zahlreiche
Münzen. Diese sind als Weihegaben an jene Gottheit zu interpretieren,
deren hölzerne Statue einst im erwähnten Pfostenloch gestanden
hatte. Da die Prägezeiten der Münzen bestimmbar sind, wissen wir zudem, dass der Tempel bis ins 4. Jh. hinein aufgesucht wurde.
Fundamentreste eines gallorömischen
Vierecktempels im Gutshofareal von
Dietikon ZH. Das Areal am rechten Bildrand ist noch nicht ausgegraben. Im
Zentrum des Vierecks eine mit Steinen
überlagerte Grube, in der einst die hölzerne Kultstatue stand.
Kantonsarchäologie Zürich.
Plan der Überreste des gallorömischen
Vierecktempels im Gutshofareal von
Dietikon.
Kantonsarchäologie Zürich.
Rekonstruktion des gallorömischen
Vierecktempels von Dietikon.
Kantonsarchäologie Zürich.
© STARCH
Einführung 21
■ In einem frühmittelalterlichen Männergrab aus der Winterthurer
Altstadt ZH fanden sich unter anderem eine Gürtelschnalle und eine
Pferdetrense. Da wir auf Grund zahlreicher Grabfunde die Gürtelmode
jener Zeit gut kennen, lässt sich das Grab recht genau an den Beginn
des 7. Jh. datieren. Während ähnliche Gürtelschnallen aus verschiedenen Gräbern im Kanton Zürich bekannt sind, ist die Tatsache, dass dem
Verstorbenen eine Pferdetrense mit ins Grab gegeben wurde, etwas
ganz Besonderes. Wie grossräumige Untersuchungen gezeigt haben,
kommen Pferdetrensen im 6. und 7. Jh. ausschliesslich in reich ausgestatteten Gräbern einer germanischen Oberschicht vor. Dazu passt der
«Befund» in Winterthur, denn der besagte Mann hatte nicht nur eine
Pferdetrense für das Jenseits mit ins Grab bekommen, sondern war
auch in einer besonders grossen Grabgrube, ja in einer eigentlichen
Grabkammer, bestattet worden. Wie reich die weitere Grabausstattung
einst gewesen war, wissen wir jedoch nicht. Denn bereits Jahrhunderte, bevor Archäologen das Grab bei einer Rettungsgrabung untersuchten, war es von Grabräubern ausgeplündert worden.
Mit den beiden Beispielen aus dem römischen Gutshof von Dietikon
ZH und dem frühmittelalterlichen Gräberfeld in der Winterthurer Altstadt
wurden bereits verschiedene Methoden der Archäologie angesprochen.
In der Arbeit von Archäologinnen und Archäologen ist die Ausgrabung
nur ein Schritt unter mehreren: vom Auffinden von beziehungsweise
dem gezielten Suchen nach Fundstellen über die Ausgrabung oder Bauuntersuchung und Dokumentation bis hin zur Auswertung, Interpretation
und Präsentation.
Diese Pferdetrense aus einem Männergrab des 7. Jh. bezeugte den hohen
sozialen Stand des Verstorbenen
(Fundort Winterthur, Schmidgasse ZH).
Kantonsarchäologie Zürich.
Prospektion und Inventar
Nur ein kleiner Teil der archäologischen Fundstellen ist noch heute
im Gelände anhand von Ruinen,
Wallgraben-Anlagen oder etwa
Grabhügeln zu erkennen, die Mehrzahl ist nicht mehr sichtbar. So führen vor allem Bauarbeiten zur Entdeckung archäologischer Fundstellen. Bei Baggerarbeiten ist indes
die Gefahr, dass die Fundstellen
unerkannt zerstört werden, sehr
gross. Wichtig ist deshalb die
archäologische Prospektion, das
heisst die gezielte Suche nach
Fundstellen. Dabei können verschiedene Methoden, Feldbegehungen, Luftbildarchäologie und geophysikalische Messungen (unter anderem mit Radar oder Magnetik), zum Einsatz kommen.
Auch Namen geben wichtige Hinweise: Flurnamen wie «Steinmüri»
oder «Heidenkeller» weisen auf römische Gutshöfe, «Leeberen» auf Gräber hin. Siedlungsnamen im Wald oder in offenen Fluren wie zum Beispiel
«Waldikon» und «Mullikon» südlich von Adlikon ZH oder «Nuningen» südlich von Oberstammheim ZH zeugen von aufgelassenen mittelalterlichen
Siedlungen, so genannten Wüstungen. Für die Arbeit der Kantonsarchäolo-
Luftbild eines römischen Gutshofs bei
Kloten ZH. Im Bewuchs des Getreidefeldes zeichnen sich Mauern ab.
Kantonsarchäologie Zürich.
22 Einführung
© STARCH
Massstäbliche Zeichnung der Grundmauern einer römischen Räucher- oder
Darranlage in Oberwinterthur ZH.
Verschiedene Materialien werden mit
bestimmten Farben angegeben
(blau=Sandstein, orange=Ziegel).
gie Zürich ist die Erfassung der archäologischen Fundstellen in einem Inventar von zentraler Bedeutung, denn so können – bei Meldung des Bauvorhabens durch die Gemeinden – vor Aushubarbeiten Sondierungen, gegebenenfalls auch Rettungsgrabungen durchgeführt werden.
Kantonsarchäologie Zürich.
Ausgrabungen und Bauuntersuchungen
Freilegen mittelalterlicher Siedlungsspuren in Niederglatt-Nöschikon ZH.
Kantonsarchäologie Zürich.
Bei Ausgrabungen und Bauuntersuchungen spielen technische Arbeiten
eine wichtige Rolle. Beim Freilegen kommen verschiedene Geräte wie
Bagger, Pickel, Schaufel, Maurerkelle, Spachtel und – selten – Pinsel zum
Einsatz. Zerbrechliche und schlecht erhaltene Fundgegenstände oder auch
komplizierte Befunde wie Gräber mit Beigaben können eingegipst und «en
bloc» geborgen und darauf im Labor freigelegt und konserviert werden.
Einen zentralen Teil der Ausgrabung und Bauuntersuchung bildet die
Dokumentation, die neben Plänen und Fotografien Beschreibungen und
Interpretationen beinhaltet. Grundlage für die massstäblichen Flächenund Profilpläne bildet ein Vermessungsnetz, das in die Landeskoordinaten eingebunden ist. Damit können Pläne aus mehreren Grabungsflächen
zu einem Gesamtplan zusammengefügt werden, und die Ausgrabung
lässt sich auch Jahre später wieder genau im Gelände lokalisieren.
Bei einer Ausgrabung geht es keineswegs in erster Linie darum,
schöne oder spektakuläre Gegenstände zu finden, Ziel ist es, der Geschichte eines Fundplatzes in all ihren Facetten nachzuspüren, auch den
unscheinbaren. Wichtig sind beispielsweise Spuren, die zeigen können,
wie ein Gebäude aussah und wofür es genutzt wurde, wann der erste
Bau errichtet wurde, wann Reparaturen oder Erweiterungen erfolgten
und wann ein Gebäude oder eine ganze Siedlung zerstört oder auch einfach verlassen wurde.
Von zentraler Bedeutung ist es, die Abfolge der verschiedenen Befunde, Mauern, Bauhorizonte, Böden, Abbruchschichten oder Zerstö-
© STARCH
rungsniveaus zu untersuchen und die Fundgegenstände nach diesen Befunden getrennt zu bergen. Vergleichbar mit der Geologie spielt dabei
die Stratigraphie, das heisst die Beschreibung der Schichtabfolge, eine
wichtige Rolle. Solche Schichtabfolgen entstehen in erster Linie dort, wo
über Jahrhunderte hinweg an der gleichen Stelle gesiedelt wurde oder
wo natürliche Ablagerungen Siedlungsreste überlagerten. Dabei gilt der
Grundsatz, dass die unteren Schichten älter, die oberen jünger sind. Bei
der Ausgrabung wird dabei nach Möglichkeit so vorgegangen, dass zuerst
die jüngsten, dann fortlaufend ältere Befunde freigelegt werden. So wird
gewissermassen die Geschichte eines Fundplatzes im «Rückwärtsgang»
nachvollzogen. Die jüngeren Befunde werden dabei in der Regel mit
dem Grabungsfortgang zerstört. Von zentraler Bedeutung sind deshalb
die Dokumentation und das Bergen von Fundmaterial, allenfalls auch die
Entnahme von Proben.
Besonders interessant sind Hinweise auf gewerbliche Tätigkeiten, so
beispielsweise die Reste von Töpferöfen, Webstühlen oder Schmiedeanlagen. Grosse Aufmerksamkeit gilt auch den Abfällen aller Art. Fehlbrände, Schlacken und Hammerschlag können Anhaltspunkte zur Produktion und zu technologischen Fragen geben. Wichtig ist dabei stets die
Frage, wo und in welchem Zusammenhang diese Gegenstände gefunden
werden. Tierknochen und Pflanzenreste aus Latrinen geben Hinweise auf
die Ernährung. Werden sie hingegen in Gräbern gefunden, belegen sie
nicht in erster Linie, was gegessen, sondern was den Verstorbenen für
die Reise ins Jenseits mitgegeben wurde.
Bei der Ausgrabung sind nicht nur das sorgfältige Freilegen und eine
genaue Dokumentation von Bedeutung; ganz entscheidend ist es, im
richtigen Moment die richtigen Fragen zu stellen. Nur so können die
Befunde sowie die Zusammenhänge zwischen Befunden und Funden
gezielt untersucht und dokumentiert sowie die richtigen Proben genommen werden. Im Nachhinein ist dies anhand der Dokumentation und der
geborgenen Funde nur noch beschränkt möglich.
Einführung 23
Profil mit verschiedensten sich überlagernden Böden, Planieschichten usw.
aus dem 11. bis 13. Jh.
(Winterthur, Marktgasse 9 ZH).
Kantonsarchäologie Zürich.
Konservierung und Restaurierung von Funden...
Nach der Bergung müssen gewisse Funde konserviert und unter speziellen Bedingungen gelagert werden. Besonders heikel sind organische
Materialien wie Holz oder Textilien, die sich unter Sauerstoffabschluss in
feuchten oder nassen Böden erhalten haben. Bei der Konservierung kommen verschiedene Technologien zum Einsatz. Diese sollen den nach der
Fundbergung sofort einsetzenden Zerfall unterbinden oder zumindest
aufhalten. Vor allem bei Gegenständen aus Eisen sind die ursprüngliche
Form oder Verzierungen wegen der Korrosion oft nicht mehr erkennbar.
Erste Anhaltspunkte zum ursprünglichen Aussehen geben Röntgenaufnahmen, je nach Bedeutung werden die Eisenobjekte anschliessend
restauriert. Dabei wird unter anderem die ursprüngliche Oberfläche frei-
Gürtelgarnitur des 7. Jh. aus Flurlingen ZH.
a Foto des Fundzustandes
b Röntgenbild des Fundzustandes,
erkennbar ist die Verzierung mit im
Eisen eingelegten Silberdrähten
(so genannte Tauschierung)
c Zustand nach der Restaurierung.
Kantonsarchäologie Zürich.
24 Einführung
© STARCH
gelegt, auseinander gebrochene Teile werden geklebt. Um die Korrosion
aufzuhalten, müssen die Eisengegenstände darauf noch entsalzt werden.
Zusätzliche Ansprüche an die Restaurierung erfordern Gegenstände, die
in einer Ausstellung präsentiert werden sollen.
...und Befunden
Da Ausgrabungen in der Schweiz heute in der Regel im Rahmen von Notmassnahmen, also vor einem geplanten Bauvorhaben, erfolgen, sind
meist keine Möglichkeiten zur Erhaltung und Präsentation des archäologischen Befundes vorhanden. Ausnahmen sind gut erhaltene Mauerreste,
bei welchen sich die Möglichkeit einer Präsentation bieten. Beispiele im
Kanton Zürich sind die römischen Thermen von Zürich oder archäologische Spuren unter Kirchen beispielsweise in Elgg, Winterthur-Stadtkirche,
Oberwinterthur, Meilen und Zell sowie der römische Gutshof von Seeb,
der als Freilichtmuseum mit römischem Garten gestaltet ist.
Besondere Probleme stellen sich bei der Konservierung dachloser Bauten, meist Burgruinen. Da ihr Mauerwerk nicht mehr vor der Witterung
geschützt ist, befinden sie sich in einem instabilen Zustand. Oft besitzen
sie einen grossen Identifikationswert für die Bevölkerung und sind beliebte Ausflugsziele. Sicherheit, Anschaulichkeit und Nutzung der Ruine
sind bei Konservierungsmassnahmen ebenso zu berücksichtigen wie das
erstrangige Ziel einer Erhaltung der originalen Bausubstanz.
Auswertung
Typologische Entwicklung von Fibeln
(Gewandspangen) aus der Latènezeit
(jüngere Eisenzeit, etwa 450–15 v. Chr.
Jahrringbreite
Chronologie. Archäologische Daten der Schweiz.
Antiqua 15 (Basel 1986).
Nach der Ausgrabung beziehungsweise Bauuntersuchung muss eine Auswertung von Dokumentation und Fundmaterial erfolgen. Nur so können
wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse und Fragestellungen für weitere
Untersuchungen gewonnen werden.
Grundfragen sind jene nach der zeitlichen Abfolge und dem Alter der
ausgegrabenen Befunde und Funde. Bei der Untersuchung der zeitlichen
Abfolge, der «relativen Chronologie», ist das zeitliche Verhältnis der Befunde und Funde zueinander zu untersuchen. Fragen wie «was ist jünger,
Zeit
Prinzip der dendrochronologischen
Datierung.
Lernort Pfahlbauten. Materialien für die Projektarbeit mit Schülern (Unteruhldingen 1994), Abb. 28.
© STARCH
was ist älter» sind zu beantworten.
Daraus ergibt sich eine zeitliche
Abfolge von Befunden und Funden.
Bei den Befunden bieten die Stratigraphie,
Befundüberlagerungen
und Bauabfolgen eine Grundlage.
Bei den Funden gilt es typologische
Entwicklungen zu erkennen. Nach
der Erarbeitung einer relativen
Chronologie stellt sich die Frage
nach der «absoluten Chronologie»,
das heisst der Datierung nach Jahren beziehungsweise Jahrzehnten
oder Jahrhunderten.
Zum einen stehen naturwissenschaftliche
Datierungsmethoden
zur Verfügung, wovon die wichtigsten für die Archäologie die C14-Datierung und die Dendrochronologie sind. Die C14-Analyse lässt sich an allen
Materialien, die Kohlenstoff (C) enthalten, besonders an Holz und Holzkohle, anwenden. Die aufgrund des radioaktiven Zerfalls des Kohlenstoffisotops C14 gewonnenen Daten geben Altersangaben im Rahmen eines
oder weniger Jahrhunderte.
Die Dendrochronologie basiert auf der Tatsache, dass je nach Witterung die Bäume unterschiedlich breite Jahresringe ausbilden. Bei der
Untersuchung wird die Breite der Jahrringe gemessen und die daraus gewonnene Kurve in standardisierte Mittelkurven eingefügt. Sind bei einer
Probe genügend Jahrringe (rund 30) und die Waldkante vorhanden, lassen sich so auf das Jahr oder gar Halbjahr (Frühjahr/Herbst) genaue
Datierungen gewinnen. Für die Eiche ist eine Mittelkurve der Jahrringentwicklung bekannt, die bis weit in die Jungsteinzeit zurückreicht. So lässt
sich etwa bei den verschiedenen jungstein- und bronzezeitlichen «Pfahlbau»-Dörfern an den Zürcher Seen eine bisweilen auf das Jahr genaue
Bauzeit ermitteln.
In den jüngeren Epochen können zum Teil archäologische Befunde mit
bestimmten Ereignissen oder Personen in Zusammenhang gebracht werden. Beispiele dafür sind etwa militärische Anlagen der Römer, welche mit Eroberungszügen und Verteidigungsmassnahmen verknüpft
werden können. Für einzelne liegen Inschriften vor, so etwa für das
unter Kaiser Diocletian im Jahr 294
errichtete Kastell auf dem Kirchhügel in Oberwinterthur ZH. Andere
Anlagen können mit den Angaben
antiker Autoren in Verbindung
gebracht werden. Paradebeispiel
eines archäologischen Befundes,
der nicht nur auf Grund schriftlicher
Quellen genau datiert, sondern sogar mit einer historischen Person
verbunden werden kann, ist das
Einführung 25
Die Bauinschrift des spätrömischen
Kastells von Oberwinterthur aus dem
Jahr 294 n. Chr.
Kantonsarchäologie Zürich.
Rekonstruktion des römischen Gutshofs
bei Buchs ZH.
Kantonsarchäologie Zürich. CAD-Rekonstruktion
von Ettlin & Grando Gmbh, Forch.
26 Einführung
Rekonstruktionszeichnung eines
frühmittelalterlichen Klappstuhls.
A. BURZLER u.a., Das frühmittelalterliche Schleitheim
– Siedlung, Gräberfeld und Kirche. Schaffhauser
Archäologie 5 (Schaffhausen 2002), Taf. 63.
Eisenstäbe wie dieser aus einem Frauengrab des späten 5. Jh. in Flaach ZH
dienten als Mittelachsen von Klappstühlen (vgl. Rekonstruktion).
Kantonsarchäologie Zürich.
© STARCH
Grab des fränkischen Königs Childerich, der 482 im belgischen Tournai
mit grossem Pomp beigesetzt worden war. Anhand des beigegebenen
Siegelrings konnte das Grab bereits bei der Entdeckung 1653 identifiziert
werden. Die dem König beigegebenen Münzen bestätigen die Datierung
auf Grund schriftlicher Quellen. Münzen sind besonders für die römische
Zeit eine wichtige Datierungshilfe, da sich ihre Prägezeit oft auf das Jahr
oder doch auf wenige Jahre genau bestimmen lässt. Für das Mittelalter
sind neben dendrochronologischen Datierungen historische Quellen, vor
allem über Zerstörungen oder Brandereignisse, wichtig. Archäologisch
gut fassbar ist beispielsweise ein Stadtbrand von 1313 in der Winterthurer Altstadt, den der Chronist Johannes von Winterthur in seiner Jugendzeit selber miterlebte.
Neben der Datierung eines Fundgegenstandes oder eines Befundes
stellen sich die Fragen nach dem ursprünglichen Aussehen und der Funktion. Differenzierte Untersuchungen konnten in den letzten Jahren beispielsweise zu römischen Gutshöfen im Kanton Zürich durchgeführt werden. Dabei stand einerseits die Rekonstruktion der Architektur und der
Gebäudeausstattung im Vordergrund, andererseits ist auch die Funktion
und wirtschaftliche Basis der Anlagen untersucht worden. Die bis zu etwa
15 ha grossen Anlagen waren in verschiedene Bereiche, einen Herrschafts- und einen Wirtschaftsteil, gegliedert. Ersterer konnte sehr repräsentativ, mit Malereien, Mosaiken, Badegebäude und einer Gartenanlage
(nachgewiesen in Dietikon ZH), angelegt sein. Im Wirtschaftsteil sind
Wohngebäude der im Gutsbetrieb arbeitenden Personen sowie unter anderem Töpferöfen, Schmieden, Viehtränken und Räucheranlagen belegt
und geben Hinweise auf die wirtschaftliche Basis der Anlagen. Durch den
Vergleich verschiedener Anlagen zeigt sich zudem eine Differenzierung:
Während etwa der römische Gutshof von Neftenbach ZH unter anderem
auf Viehzucht spezialisiert war, dürfte die Anlage von Dietikon ZH mit den
gallorömischen Tempeln auch für das Umland oder für Reisende Funktionen eines lokalen Heiligtums besessen haben.
Die Frage nach der Funktion stellt sich indes nicht nur bei Gebäuden
und gewerblichen Anlagen, sondern auch bei Gegenständen. Da oft nur
Teile der ursprünglichen Objekte erhalten sind, bereitet die Deutung der
Funktion nicht selten Kopfzerbrechen. Beispiel dafür sind etwa rund 40
cm lange Eisenstäbe, die in mehreren gut ausgestatteten frühmittelalterlichen Frauengräbern zum Vorschein gekommen sind. Ohne überzeugende Argumente wurden sie als Bratspiesse oder Waagebalken gedeutet, bis schliesslich Holz- und Lederreste
zur überzeugenden Interpretation als Achsen von Klappstühlen führten. Damit ist die
praktische Funktion in Zusammenhang mit
dem ursprünglichen Objekt nun geklärt, es
fragt sich aber dennoch, weshalb Klappstühle reichen Frauen mit ins Grab gegeben wurden. Welche Funktion und Bedeutung haben diese Objekte als Grabbeigabe?
Auf Grund weiterer Vergleiche stellt sich
heraus, dass Klappstühle wie andere spezielle Beigaben den gesellschaftlichen
Stand der Verstorbenen im Jenseits deutlich machen sollten.
© STARCH
Einführung 27
Zu den Aussagemöglichkeiten der Archäologie
Anhand der archäologischen Überreste lassen sich in erster Linie längerfristige Entwicklungen, so zum Beispiel Aspekte der Kultur-, Siedlungsund Wirtschaftsgeschichte fassen. Unter Einbezug der Archäobiologie und
der Klimageschichte können zudem Rückschlüsse auf die Umweltentwicklung und Umweltnutzung gezogen werden. Bereits für die römische
Zeit lassen sich in bestimmten Gebieten Anzeichen einer Übernutzung
feststellen, während am Übergang zum Mittelalter eine Reduktion der
Ackerflächen zu beobachten ist.
Themen der Archäologie sind auch verschiedenste Aspekte der Alltagsgeschichte, vom Wohnen über Kleidung bis hin zur Ernährung. Hier
lassen sich Unterschiede feststellen, die auf soziale Gliederungen schliessen lassen. Werkstätten und Produkte erlauben Rückschlüsse auf Handwerk, technologische Entwicklungen, Wirtschaft und Handel. Oft sind
allerdings nur Deutungsansätze möglich. So müssen Gegenstände aus
entfernten Produktionsorten nicht unbedingt durch Handel zu uns gelangt
sein, sondern können auch als Geschenk oder Raubgut mitgebracht worden sein. In Kultbauten wie Kirchen, Synagogen und Tempeln aber auch
in Gräbern spiegeln sich Glaubensvorstellungen. Während bei heute noch
lebendigen Religionen oder solchen, die durch Schriftquellen überliefert
sind, eine nähere Deutung meist möglich ist, zeigen sich besonders in
urgeschichtlichen Epochen sehr rasch die Grenzen der Archäologie in Bezug auf geistesgeschichtliche Fragestellungen.
Archäologische Fundstellen – ein bedrohtes Archiv
Durch Baumassnahmen aller Art, intensive Landwirtschaft und Erosion
sind die archäologischen Fundstellen heute stark bedroht. In den meisten
Kantonen der Schweiz gibt es deshalb kantonale Dienste, welche die Aufgabe haben, Fundstellen zu schützen oder, wo dies nicht möglich ist, Rettungsgrabungen, Notbergungen und Dokumentationen durchzuführen.
Kantonsarchäologien sind damit
gewissermassen die Hüterinnen
des archäologischen Staatsarchivs
im Boden.
Im Kanton Zürich besteht die
Kantonsarchäologie seit 1958. Neben Rettungsgrabungen hat sie die
Aufgabe, ein Inventar aller archäologischen Fundstellen und ein
Fundstellenarchiv zu führen sowie
die dem Kanton gehörenden Funde
zu lagern. Seit der Einführung des
eidgenössischen Zivilgesetzbuches
1912 ist die Eigentumsfrage geregelt. Bodenfunde gelangen in den
Besitz jenes Kantons, in dem sie
gefunden werden. Von grosser Bedeutung für eine erfolgreiche Tätigkeit der Kantonsarchäologie ist ein
möglichst vollständiges Inventar
Rettungsgrabung am Rand einer
Kiesgrube bei Weiach ZH.
Kantonsarchäologie Zürich.
28 Einführung
Öffentliche Führung auf einer
Ausgrabung in Oberwinterthur ZH.
Kantonsarchäologie Zürich.
© STARCH
der archäologischen Fundstellen.
Um dieses ergänzen zu können,
betreibt sie eine intensive archäologische Prospektion. Klar fassbare
Fundstellen werden als archäologische Zonen ausgeschieden. Bauvorhaben auf solchen Verdachtsflächen werden von den Gemeinden im Rahmen des Bewilligungsverfahrens der Kantonsarchäologie
angezeigt. So können vor Baubeginn Sondierungen, gegebenenfalls
Rettungsgrabungen durchgeführt,
in einzelnen Fällen auch Schutzmassnahmen erlassen werden.
Neben der «Feldarbeit», der Ausgrabung oder Bauuntersuchung,
sind die wissenschaftlichen Auswertungen Bestandteil der archäologischen Untersuchungen. Die Ergebnisse werden in wissenschaftlichen Publikationen vorgelegt. Ein wichtiges Anliegen ist auch die Vermittlung an ein interessiertes Laienpublikum, sei es durch Tage des offenen Bodens, Führungen und
Vorträge, temporäre Ausstellungen, populäre Publikationen oder die vorliegenden Schulkoffer.
Renata Windler
© STARCH
MITTELALTER
1
Einleitung
Aus dem Mittelalter sind ungleich viel mehr Zeugen erhalten und sichtbar
geblieben als aus allen vorangehenden Epochen. Spuren lassen sich noch
heute in unseren Städten und Dörfern, seltener auch in der Landschaft
entdecken. Fast alle heutigen Siedlungen gehen, sofern sie nicht wie Zürich und Oberwinterthur noch ältere Wurzeln besitzen, in ihren Ursprüngen ins Mittelalter zurück.
Das gängige Bild des Mittelalters ist indes ganz wesentlich durch die
schriftliche Überlieferung geprägt. Zudem werden wichtige Bauwerke,
Kathedralen und Klöster, Burgen und befestigte Städte, mit dem Begriff
«Mittelalter» verbunden. Einzelne prägende Persönlichkeiten, von Karl
dem Grossen und Richard Löwenherz bis zu Franz von Assisi und der Legendengestalt des Wilhelm Tell, tauchen beim Stichwort «Mittelalter» in
unserem Bewusstsein auf. Ein Bild von Belagerungen und Kämpfen von
Ritterheeren wird durch verschiedene Computerspiele, die im Mittelalter
angesiedelt sind, projiziert.
Hier können die meist unspektakulären, aber dennoch aussagekräftigen archäologischen Objekte das Bild des Mittelalters erweitern und verändern. Sie sind meist im Alltag der Leute angesiedelt und decken verschiedene Lebens- und Tätigkeitsbereiche ab. Zeitlich ist die Auswahl der
vorliegenden Objekte auf das Hoch- und Spätmittelalter beschränkt, vereinfacht gesagt auf die Zeit der Burgen, des Aufblühens der Städte, von
Handwerk und Handel sowie auf die Krisenzeit des Spätmittelalters, die
Zeit des Umbruchs kurz vor der Reformation und den Übergang zur frühen Neuzeit.
Es kann und soll damit kein allgemeiner Überblick über die Geschichte
des Mittelalters vermittelt werden. Dazu stehen verschiedene Übersichtswerke, für den Kanton Zürich namentlich die Zürcher Kantonsgeschichte,
zur Verfügung (vgl. das Literaturverzeichnis).
Die Gegenstände geben in erster Linie Einblick in den Bereich der Archäologie, die Objektbeschreibungen zeigen aber verschiedenste Verbindungen zu anderen Quellengruppen auf, die zur Erforschung des Mittelalters einbezogen werden. Denn waren es für die vorangehenden Epochen
nur oder doch fast ausschliesslich archäologische Überreste im Boden,
so besitzen wir aus dem Mittelalter auch zahlreiche schriftliche Quellen
(beispielsweise Urkunden, Verwaltungsakten, Chroniken, literarische
Werke) sowie Gebäude und bildliche Darstellungen. Unsere Kenntnisse
über das Mittelalter sind deshalb viel breiter als jene über die vorangehenden Epochen. Allerdings sind diese Informationsquellen zeitlich sehr
ungleich über die rund 1000 Jahre Mittelalter verteilt.
Schriftliche Quellen
Die schriftlichen Quellen werden erst im Laufe des 13. Jh., vor allem aber
im 14. und 15. Jh. zahlreich, decken also im Wesentlichen das Spätmittelalter ab. Während im Früh- und Hochmittelalter der Schriftgebrauch
fast ausschliesslich auf den kirchlichen Bereich konzentriert war und
Einleitung 1
2 Einleitung
© STARCH
die Schreiber auch für weltliche Geschäfte meist aus dem kirchlichen
Umfeld stammten, entwickelte sich im Spätmittelalter eine in viel stärkerem Masse als zuvor verschriftlichte Kultur. Dies betraf besonders alle
Arten von Rechtsgeschäften und die Verwaltung namentlich der Städte.
Auch die Zahl der Chroniken und literarischen Werke nimmt im Laufe
des 14. und 15. Jh. sehr stark zu. Lesen und Schreiben, die schriftliche
Kommunikation, hatte in der Gesellschaft einen viel höheren Stellenwert
gewonnen (vgl. das Thema Bildung und Wissenschaft). Allerdings waren
daran nach wie vor nur bestimmte Gruppen der Gesellschaft beteiligt,
was auch das Bild, das durch diese Schriftzeugnisse vermittelt wird,
prägt.
Bildquellen
Noch viel stärker als die Schriftquellen betreffen die bildlichen Darstellungen aus dem Früh- und Hochmittelalter den kirchlich-religiösen, erst
im Spätmittelalter vermehrt auch den weltlichen Bereich. Bilder sollten in
erster Linie eine bestimmte Botschaft vermitteln, sie dienten der Selbstbestätigung durch Symbole. Eine im modernen Sinne dokumentarische
Darstellung war dem Mittelalter hingegen fremd. Dies müssen wir uns
stets vor Augen halten, wenn wir mittelalterliche Bilder wie etwa jene in
der Manessischen Liederhandschrift betrachten. Dort sollte ein (idealisiertes) Bild der ritterlich-höfischen Lebenswelt in Form einer Selbstdarstellung vorgeführt werden.
Mittelalterliche Bauten und archäologische Überreste
Im Gegensatz zur Urgeschichte und – auf dem Gebiet der Schweiz – weitgehend auch zur römischen Archäologie sind die archäologischen Überreste des Mittelalters nicht nur im Boden, sondern auch in zahlreichen
Gebäuden erhalten und als Ruinen auch ohne Ausgrabung sichtbar. So
kann denn eine archäologische Untersuchung ebenso Bauforschung wie
Ausgrabung beinhalten, neben dem Grundriss kann auch die dritte Dimension, die Konstruktion im Aufgehenden, untersucht werden. Neben
der Erforschung von Kirchen, Häusern und Burgen spielt wie in den vorangehenden Epochen auch in der Mittelalterarchäologie die Untersuchung von Gräbern und ihres vielfältigen Fundmaterials eine wichtige
Rolle.
Während die schriftlichen Dokumente aus dem Mittelalter von wenigen Ausnahmen abgesehen wohlbehütet in den Archiven aufbewahrt
werden, ist der Bestand an mittelalterlichen Bauten bzw. Bauteilen wie
auch an archäologischen Überresten im Boden gefährdet. Am wenigsten
gilt dies für Kirchen und Klöster sowie Burgen, deren Schutzwürdigkeit in
der Regel heute nicht mehr bestritten wird. Bedroht sind die unscheinbareren, deswegen aber nicht von vorneherein weniger interessanten Bauten und Bauteile sowie die ohne Freilegung nicht sichtbaren archäologischen Spuren. In grösseren Städten, vor allem in Zürich, aber auch in
Winterthur und in der Stadt Rheinau ZH, sind Gebäudeteile, die ins ausgehende Mittelalter zurückgehen, gar nicht so selten. Meist sind es gemauerte Teile von Häusern, die die Jahrhunderte überdauert haben. Vor
allem Brandmauern alter Altstadthäuser gehen häufig ins Spätmittelalter
(13.–15. Jh.) zurück, während die Fassaden fast immer bei Renovationen
© STARCH
später ersetzt wurden. Selten sind mittelalterliche Dachstühle oder Teile
der Innenausstattung eines Hauses – etwa mit Wandmalereien – erhalten. Solche mittelalterlichen Bauteile kommen oft erst bei Umbauten
zum Vorschein. Diese bedeuten leider gleichzeitig oft einen Verlust an
mittelalterlicher Bausubstanz, vor allem wenn neue und andersartige,
einem Gebäude nicht angepasste Nutzungen realisiert werden sollen.
In den Dörfern ist, abgesehen von den Kirchen, mittelalterliche Bausubstanz bedeutend seltener als in den Städten. Die ältesten im Kanton
Zürich erhaltenen Bauernhäuser gehen ins 1. Viertel des 15. Jh., einzelne
Bauteile auch noch weiter zurück. Die Schweiz ist im europäischen Vergleich besonders reich an frühen ländlichen Holzhäusern. In der Innerschweiz gibt es, wie sich dank Bauuntersuchung und Dendrochronologie
erst in den letzten 10 Jahren gezeigt hat, sogar noch einzelne bis ins
12. Jh. zurückgehende Holzhäuser. Trotz der grossen historischen Bedeutung ist die Erhaltung hoch- und spätmittelalterlicher Bauernhäuser aber
keineswegs selbstverständlich, sondern im Gegenteil praktisch in jedem
Fall gefährdet.
Verschiedene Quellen – verschiedene Aussagen
Je nach Quellenart – Schriftquelle, archäologischer Befund oder Fund,
bildliche Darstellung – sind die Aussagemöglichkeiten sehr unterschiedlich, und je nach Themenbereich, Fragestellung und Zeitabschnitt innerhalb des Mittelalters besitzen die verschiedenen Quellengattungen einen
anderen Stellenwert. Mit der Archäologie lassen sich vor allem längerfristige, allmähliche, meist nicht personifizierte Entwicklungen in verschiedensten Bereichen der materiellen Kultur verfolgen. Eine Stärke ist zweifellos die Anschaulichkeit: Die Befunde (Mauern, Gruben, Gräber) und
die vielfältigen Funde sind handgreiflich. Während aus den schriftlichen
Quellen bekannte oder auch unbekannte Personen unmittelbar zu uns
sprechen, legen die archäologischen Befunde und Funde ein indirektes
Zeugnis ab; sie wurden meist nicht absichtlich hinterlassen. Man spricht
deshalb häufig von archäologischen Überresten, seien es nun Siedlungsabfälle (wie Keramikscherben, Tierknochen usw.), Reste von Bestattungen (Skelette, z.T. mit Beigaben) oder Ruinen bzw. Verfärbungen von
Holzbauten (Balkengräbchen, Pfostenlöcher).
Mit Hilfe der Mittelalterarchäologie können verschiedenste Fragen der
Siedlungs-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte untersucht werden. Wichtige Themen sind z. B. die Entstehung und Entwicklung von Städten und
Dörfern, Bau und Funktionen von Burgen, Veränderungen im Hausbau
und in der Wohnkultur, Entstehung sowie Entwicklung von Architektur
und Funktionen von Kirchen, Bestattungsbräuche, aber auch technische
Innovationen im Handwerk usw.
Mittelalterarchäologie im Kanton Zürich
Wie die ur- und frühgeschichtliche Archäologie geht auch die Archäologie
des Mittelalters auf das 19. Jh. zurück. Sie erfuhr jedoch in den vergangenen rund 40 Jahren einen grossen Aufschwung. Vor allem in den 1960er
und 1970er Jahren wurden bei Renovationen zahlreiche Kirchen ausgegraben. Im Laufe der 1970er Jahre – z.T. auch etwas früher – gerieten die
Städte ins Zentrum des Interesses. Bei Neubauten, Restaurierungen,
Einleitung 3
4 Einleitung
© STARCH
Platzgestaltungen und Werkleitungsbauten wurden zahlreiche Rettungsgrabungen, Bauuntersuchungen und Beobachtungen durchgeführt. Die
Burgenarchäologie kam in dieser Zeit zwar umfangmässig ins Hintertreffen, wurde nun aber vom Stand lokaler Heimatforschung auf ein wissenschaftliches Niveau gehoben. Den Dörfern und allgemein den ländlichen
Siedlungen hingegen wurde lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erst in den letzten 10 Jahren sind auch in der Schweiz vermehrt
Untersuchungen auf diesem Gebiet durchgeführt worden. Doch bis heute
wissen wir aus der Archäologie bedeutend mehr über die Entwicklung
von Städten und Burgen als über jene von Dörfern.
Folgende Beispiele aus dem Kanton Zürich sollen in knapper Form
einen Einblick in Aussagemöglichkeiten der Mittelalterarchäologie – oft
in Verbindung mit schriftlichen, z.T. auch bildlichen Quellen – vermitteln.
Einige Themenbereiche werden dabei in den einführenden Thementexten und Objektbeschreibungen wieder aufgenommen.
Beispiel 1: Frühmittelalterliches Zürich –
Aufstieg eines Herrschaftszentrums
Der Lindenhof in Zürich
aus der Vogelperspektive.
Kantonsarchäologie Zürich.
Wie erst jüngst archäologische Untersuchungen gezeigt haben, war
Zürich bereits in der späten La-Tène-Zeit (ab etwa 60–40 v. Chr.) eine befestigte, damals noch keltische Siedlung. In römischer Zeit bildete es als
kleinstädtische Siedlung (vicus) und Zollstation das wirtschaftliche Zentrum der Region. Massgebend für die Bedeutung von Zürich war seine
hervorragende verkehrsgeographische Lage. Zentrum der Siedlung war
von spätkeltischer Zeit bis ins Hochmittelalter der Lindenhof, der als Endmoränenhügel den Seeausgang beherrscht. Das dort in spätrömischer
Zeit errichtete Kastell bildete den Kern des frühmittelalterlichen Herrschaftszentrums. Reparaturen belegen eine länger dauernde Nutzung.
Zur Übergangszeit von der Spätantike zum Frühmittelalter (etwa
5.–7. Jh.) geben vor allem verschiedene Bestattungsplätze Auskunft.
Ein Gräberfeld lag an der Strasse
Richtung Baden AG, westlich des
Stauffacher-Platzes. Neben Gräbern
der einheimischen, noch römisch
geprägten Bevölkerung wurden
dort um die Mitte des 6. Jh. einzelne Fränkinnen und Franken bestattet. Diese fremde Herkunft ist
an Tracht und Waffenausrüstung zu
erkennen. Nachdem um 536/37
Zürich wie auch die Nordostschweiz unter die Herrschaft des
fränkischen Merowingerreiches gelangt war, kamen diese fränkischen
Gruppen hierher, um die neu erlangte Herrschaft zu sichern und
durchzusetzen. Dazu liessen sich
Amtsträger des fränkischen Mero-
© STARCH
wingerreichs bei den bestehenden Zentren, namentlich den spätrömischen Kastellorten wie Zürich und Oberwinterthur, nieder.
Am Südabhang des Hügels bei St. Peter hingegen bestatteten noch im
7. Jh. die Nachkommen der einheimischen, römischen Bevölkerung. Im
7. oder 8. Jh. ist auch an der Stelle von St. Peter eine erste Kirche errichtet worden. Dort bildete sich ein Siedlungsteil, der in schriftlichen Quellen
als curtis, Herrenhof, bezeichnet wird. Ein weiterer Siedlungsteil ist auf
Grund einer anderen Gräbergruppe um 700 rechts der Limmat, im Bereich Neumarkt, zu lokalisieren. Zentrum der Siedlung war aber weiterhin
der Lindenhof, was auch ein im 8.–10. Jh. angelegter Befestigungsgraben
(Rennweg – Fortunagasse) zeigt. Umfangreiche Neubauten in karolingischer und ottonischer Zeit (800–1000) belegen die Entwicklung zur Pfalz,
dem temporären Aufenthaltsort von Kaisern und Königen. Auch in kirchlichen Belangen erlebte Zürich in jener Zeit einen gewaltigen Aufschwung.
Nach dem Bau des Grossmünsterstiftes an der Stelle der legendären Gräber von St. Felix und Regula wurde im Jahr 853 durch König Ludwig den
Deutschen das Fraumünsterstift gegründet und im 10. Jh. entstand die
Wasserkirche an der Stelle des Martyriums der Stadtheiligen, woraus sich
eine Wallfahrt entwickelte, die der werdenden Stadt weiteren Auftrieb
verlieh.
Einleitung 5
Feintopographie von Zürich mit den frühen Kirchen Grossmünster, Fraumünster,
St. Peter, Wasserkirche und der nicht
mehr bestehenden Kirche St. Stefan
beim heutigen Annahof. Zudem ist der
Standort des Lindenhofs eingetragen.
Zeichnung Amt für Städtebau der Stadt Zürich/
Archäologie, Urs Jäggin.
Beispiel 2: Gesellschaftliche Veränderungen
im Spiegel frühmittelalterlicher Gräber
Ein standesgemässes Begräbnis war im Mittelalter von grosser Bedeutung. So lassen sich auf Grund von Bestattungsbräuchen auch Rückschlüsse auf gesellschaftliche Strukturen und deren Veränderungen
gewinnen. Beispiel dafür sind Entwicklungen, die sich an den frühmittelalterlichen Bestattungsplätzen in Bülach ZH beobachten lassen. In
Bülach ist einerseits ein nordöstlich des Zentrums gelegenes Gräberfeld
des 6. und 7. Jh. bekannt, andererseits wurde ab der Mitte des 7. Jh.
auch in bzw. bei der Kirche bestattet.
Im 6. und 7. Jh. war es üblich,
die Verstorbenen für das Jenseits
mit Beigaben auszustatten: Die
meisten Toten wurden in ihrer
Tracht, die Männer oft zusätzlich
mit Waffen ausgerüstet, begraben.
Zum Teil wurden weitere Beigaben
wie Geschirr mit ins Grab gegeben.
Anhand dieser Beigaben lassen
sich klare Abstufungen in der Qualität der Grabausstattungen feststellen, die soziale Strukturen widerspiegeln.
Interessant ist nun die Beobachtung, dass im Gräberfeld von
Bülach einige sehr reiche Gräber
des 6. Jh. belegt sind. Hier hatten
sich offensichtlich Angehörige der
Siedlungstopographie von Bülach.
1–3 römische Siedlungsstellen; 4 Gräberfeld des 6./7. Jh.; 5 Grab der Mitte oder
des 3. Drittels des 7. Jh.; 6 Kirche mit
Gründergrab des mittleren 7. Jh.; Ortsname eingerahmt: Ausstellungsort einer
Urkunde vor dem Jahr 1000.
Kantonsarchäologie Zürich.
6 Einleitung
Die Kirche von Bülach ZH lässt sich
durch das darin angelegte Grab einer
hochgestellten Dame seit dem mittleren 7. Jh. nachweisen.
Schweizerisches Landesmuseum.
Bei der auf dem Üetliberg-Uto Kulm ZH
gefundenen Mörtelscheibe handelt es
sich um ein frühmittelalterliches Mörtelmischwerk. Zu erkennen sind die
Rechenspuren und die Lage eines zentralen Pfostens.
Kantonsarchäologie Zürich.
Rekonstruktion eines Mörtelmischwerks.
D. GUTSCHER, Mechanische Mörtelmischer. Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 38, 1981, S. 186, Abb. 19.
© STARCH
Oberschicht bestatten lassen. Daneben finden sich aber auch in
grösserer Zahl einfach ausgestattete Gräber des 6. Jh. Anders ist
das Bild im 7. Jh. Nun sind keine
reich ausgestatteten Gräber mehr
vorhanden. Die lokale Oberschicht
liess sich nun, wie ein reiches
Frauengrab der Mitte des 7. Jh.
zeigt, getrennt von der gewöhnlichen Bevölkerung in der wohl
kurz zuvor errichteten Kirche bestatten. Ab dem 8. Jh. war der
Friedhof bei, aber nicht in der Kirche dann auch für die breite Bevölkerung der übliche Bestattungsort. In der Wahl des Bestattungsplatzes zeigt sich damit im 7. Jh.
eine Separierung der Oberschicht.
Der Fall in Bülach ist dabei keineswegs ein Einzelfall. Im Gegenteil, dies ist geradezu ein zeittypisches Phänomen, dessen Ursache in einer verstärkten Abgrenzung der sozialen
Oberschicht von der breiten Bevölkerung zu suchen ist.
Beispiel 3: Ein Bauvorhaben
des Königs Rudolf von Hochburgund auf dem Üetliberg?
Seit der Jungsteinzeit wurde der Üetliberg immer wieder begangen und
besiedelt. Neben Überresten aus den urgeschichtlichen Epochen, der
römischen Zeit, dem Hochmittelalter und der Neuzeit wurden bei den
Ausgrabungen von 1985/86 auf dem Uto-Kulm auch Spuren aus dem
10. Jh. entdeckt: drei Mörtelmischwerke, ein Reitersporn und eine Silbermünze. Die drei Anlagen zum Mörtelmischen zeigen, dass damals auf
dem Üetliberg ein grosses Bauvorhaben im Gang war, denn vergleichbare Mörtelmischwerke finden sich andernorts bei bedeutenden Bau-
© STARCH
Einleitung 7
werken. Interessanterweise sind auf dem Üetliberg aber kaum Mauern
aus dieser Zeit vorhanden. Es ist deshalb anzunehmen, dass das Projekt
nicht über erste Arbeiten hinauskam, also nie fertig gestellt wurde. Die
erwähnte Münze dürfte Aufschluss über den Bauherrn geben. Es handelt
sich um einen in Zürich geprägten Pfennig des Königs Rudolf von Hochburgund. Nur über kurze Zeit konnte dieser – kurz nach 914 – seine Herrschaft in das Gebiet der schwäbischen Herzöge bis in den Raum Zürich
ausdehnen. Bereits 919 wurde sein Heer in einer Schlacht bei Winterthur
ZH geschlagen. Die Münze vom Üetliberg und ein in Zürich gefundener
Bleiabschlag mit einem Münzbild (vielleicht ein Gewicht) sind die einzigen unmittelbaren Zeugnisse seiner Herrschaft in Zürich. Die Münze und
die Mörtelmischwerke weisen nun darauf hin, dass König Rudolf von
Hochburgund auf dem Üetliberg eine Burg errichten wollte, diese aber
während seiner kurzen Herrschaft über das Zürcher Gebiet nicht fertig
stellen konnte.
Beispiel 4: Burgen –
Herrschaftszentren und Keimzellen des Landesausbaus
Burgen spielten im Hochmittelalter als Herrschaftszentren eine wichtige
Rolle. Je nach Besitzerfamilie konnten Grösse und Ausstattung einer Anlage ganz unterschiedlich sein. Prominente Beispiele wichtiger Anlagen
im Kanton Zürich sind die Burgruine Alt-Regensberg sowie Mörsburg und
Kyburg. Der mächtige Wohnturm auf der Mörsburg wurde im 13. Jh. an
der Aussenseite mit grossen Findlingen ummantelt. Etwa aus der gleichen Zeit stammt der in Bossenquadern gefügte Bergfried der Kyburg.
Bauherren waren in beiden Fällen die Grafen von Kyburg, die bis zu ihrem Aussterben 1264 in der Nordschweiz eine wichtige Rolle gespielt
hatten. In beiden Bauwerken wird die Macht der Besitzer, aber auch deren Bedürfnis nach Repräsentation sichtbar. Der fortifikatorische Aspekt
spielte dabei eine untergeordnete
Rolle. Aber auch kleine Burganlagen, die wie z.B. die heute zerstörte Burg Bonstetten lediglich aus
einem von einem Graben umgebenen Wohnturm bestanden, hoben
sich deutlich vom Gehöft einer gewöhnlichen Bauernfamilie ab. Archäologische Funde, darunter eine
elfenbeinerne Schachfigur, belegen
einen adeligen Lebensstil. Für den
Alltag und die wirtschaftliche Existenz der Burgbewohnerinnen und
-bewohner spielte allerdings der
Wirtschaftsbetrieb eine entscheidende Rolle. Von der landwirtschaftlichen Tätigkeit zeugen z.B.
Sicheln und Rebmesser, die regelmässig bei Burgengrabungen zum
Vorschein kommen. Viele Burgen
wurden auf neu gerodetem Land
errichtet. Charakteristisches Bei-
Silbermünze des Königs Rudolf II.
von Hochburgund, gefunden auf dem
Üetliberg-Uto Kulm ZH.
Kantonsarchäologie Zürich.
Die Burg Schauenberg bei Hofstetten ZH
wurde durch österreichische Amtsleute
zusammen mit Bürgern von Zürich und
Winterthur vor 1344 zerstört. Diese Zerstörung ist sowohl aus der schriftlichen
Überlieferung als auch aus der archäologischen Untersuchung eindeutig belegt.
Kantonsarchäologie Zürich.
8 Einleitung
© STARCH
spiel einer kleinen Rodungsburg ist die Burg Schauenberg bei Hofstetten,
die im 13. Jh. auf einer abgelegenen Anhöhe auf fast 900 m über Meer
erbaut wurde.
Beispiel 5: Winterthur – der Wandel zur Stadt
Im brandzerstörten Nebengebäude der
Mörsburg ZH haben sich neben Vorräten
aus der landwirtschaftlichen Produktion
auch Sicheln erhalten.
Kantonsarchäologie Zürich.
Rekonstruktion der Siedlung Winterthur
um 1100. Ab dem 11. Jh. wurden längs
der heutigen Marktgasse rechtwinklig
dazu ausgerichtete Häuser gebaut.
Kantonsarchäologie Zürich.
Die Rekonstruktion der Siedlung Winterthur um 1200 zeigt die Befestigung der
Kernstadt, die neu angelegten Gassenzüge und den Stadtbach.
Kantonsarchäologie Zürich.
Im Jahr 1180 lässt sich die Siedlung in der heutigen Altstadt von Winterthur zum ersten Mal mit Sicherheit in einer Urkunde fassen. Die schriftlichen Quellen des 13. Jh. zeugen von der Entwicklung zur Stadt. Die vorangehende, bis ins 6. Jh. zurückreichende Entwicklung kann auf Grund
der archäologischen Überreste verfolgt werden. In der Zeit um 1000 richtete sich ein Adelsgeschlecht in der Kirche im Zentrum der Siedlung, der
heutigen Stadtkirche, eine Begräbnisstätte ein (vgl. das Thema Religion
und Glaube). Das erste Gotteshaus war bereits im 7. oder 8. Jh. errichtet
worden. Nach einem ersten Neubau im 9./10. Jh. entstand im 11. Jh. eine
grosse romanische Kirche mit einem Anbau für die Adelsgrablege. In der
gleichen Zeit erlebte auch die Siedlung einen Aufschwung. Entlang der
heutigen Marktgasse entstand eine regelmässige Bebauung. Importgüter
wie Hering und damals noch seltene und entsprechend kostbare Trinkgläser gelangten nach Winterthur, wo vermutlich bereits damals regelmässig ein Markt abgehalten wurde.
Ein weiterer Ausbau, ja eine eigentliche Umstrukturierung der Siedlung
erfolgte in der Zeit um 1200. Winterthur wandelte sich zur Stadt. Der
Kern der Siedlung mit der Kirche im Zentrum wurde nun befestigt, der
Aushub aus den Gräben grossflächig planiert, Gassenzüge wurden neu
ausgeschieden und gleichzeitig Stadtbäche angelegt. Noch im 13. Jh. erhielt Winterthur auch eine Trinkwasserversorgung. Über hölzerne Wasserleitungen wurden Brunnen mit Quellwasser gespiesen. In der gleichen
Zeit entstanden mehrere Steinhäuser, die Kirche wurde zur städtischen Pfarrkirche umgebaut. Mit
all diesen Baumassnahmen hatte
sich innerhalb eines Zeitraums von
nur 50 bis 100 Jahren Winterthur
radikal verändert.
Beispiel 6: Werkstätten
eines gefragten Handelsgutes
Der Bodenseeraum ist seit dem
12. Jh. als bedeutendes Produktionsgebiet von Leinenstoffen bekannt. Zahlreiche schriftliche Quellen geben Auskunft über den Handel, der weit über die engere
Region bis in den Nordsee- und in
den Mittelmeerraum eine wichtige
Rolle spielte. Schriftlich fixierte
Vorschriften sollten die Qualität der
Produkte garantieren. Die schriftlichen Quellen geben z.B. auch Auskunft über Zölle oder über Perso-
© STARCH
nen, die in der Leinwandproduktion
und im -handel tätig waren.
Einen anderen Aspekt dieses
Handwerkszweigs kann die Archäologie beleuchten. In der Altstadt
von Winterthur konnten mehrere
Webkeller aus dem 13. und 14. Jh.
untersucht werden (vgl. Objekt 27).
Wie Spuren von Webstühlen belegen, standen in den Kellern auf engem Raum bis zu vier Webstühle.
Neben
feinem
Leinengewebe
wurde hier auch Hanftuch gewoben. Bei den Webstühlen handelt
es sich um Trittwebstühle, die ab
dem 11./12. Jh. bei uns den Gewichtswebstuhl (vgl. Objekt 26)
verdrängten. Mit dem Trittwebstuhl
konnte viel schneller gewoben werden. Erst dies dürfte den Aufschwung
der Leinwandproduktion zur «Exportindustrie» überhaupt ermöglicht haben.
Renata Windler
Einleitung 9
Unter der Obergasse in Winterthur
kamen die mit Rutengeflecht gesicherte
Böschung des Stadtbachs und im Hintergrund eine hölzerne Wasserleitung
aus dem 13. Jh. zum Vorschein.
Kantonsarchäologie Zürich.
Weiterführende Literatur
H. BOXLER, J. MÜLLER, Burgenland Schweiz. Bau und Alltag (Solothurn
1990).
Burgenkarte der Schweiz, Blatt 2: Nordostschweiz (Wabern 1978),
eine Neuauflage erscheint 2005/2006.
N. U. M. FLÜELER, Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch – Die Stadt um
1300 (Stuttgart 1992).
N. U. M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 1:
Frühzeit bis Spätmittelalter (Zürich 1995).
A. FURGER, C. JÄGGI, M. MARTIN, R. WINDLER, Die Schweiz zwischen Antike
und Mittelalter (Zürich 1996).
Geschichte der Schweiz und der Schweizer (Basel/Frankfurt am Main
1986).
M. GRAF u.a., Hintergrund – Untergrund. Archäologische Entdeckungsreise durch Winterthur. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek 331, 2001
(Zürich 2000).
M. ILLI, Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt (Zürich 1992).
Lexikon des Mittelalters, Bde. 1–9 (München 1980–1998).
R. MARTI, L. STEINER, R. WINDLER (Hg.), Die Schweiz vom Paläolithikum
bis zum frühen Mittelalter, Band 6: Frühmittelalter (5.–8. Jahrhundert),
erscheint 2005 in der Reihe «Antiqua».
W. MEYER, E. WIDMER, Das grosse Burgenbuch der Schweiz (Zürich
19782).
J. TAUBER, F. HARTMANN, Fundort Schweiz. Von den Karolingern bis zur
grossen Pest (Solothurn 1988).
L. VISCHER, L. SCHENKER, R. DELLSPERGER (Hg.), Ökumenische Kirchengeschichte (Freiburg i.Ü./Basel 1994).
© STARCH
2
Thema: Gesellschaft und Alltag 11
Gesellschaft und Alltag
Die mittelalterliche
Gesellschaft
Grundsätzlich war das Mittelalter
durch eine ländliche Gesellschaft
geprägt. Der allergrösste Bevölkerungsteil lebte von den selber erwirtschafteten Bodenerträgen. Im
frühen Mittelalter beruhte das Gesellschaftsmodell auf der Unterscheidung zwischen Freien und
Unfreien sowie Geistlichen und
Weltlichen. Erst im Hochmittelalter (ab 11. Jh.) tauchte die Dreigliederung in Betende (geistlicher
Stand), Kämpfende (Adel und Ritter) und Arbeitende (Bauern und
Handwerker) auf. Es ist allerdings
sehr umstritten, wie stark der
Wirklichkeitsbezug dieses Modells
tatsächlich war, denn es gab abweichende Gesellschaftsgliederungen und – wenn auch in Ausnahmefällen – eine soziale Mobilität zwischen den Ständen. Innerhalb dieser drei Stände wurden
dann insbesondere im Spätmittelalter weitere Untergliederungen
getroffen: z.B. die «Kämpfenden»
in Hochadel und Dienstadel oder
die «Arbeitenden» in eine Vielzahl von in sich wiederum hierarchisch geordneten Handwerkern.
Die Familie war die Grundgemeinschaft der durchwegs patriarchalisch
geordneten Gesellschaft. Jeder Mensch war Teil einer Gruppe oder Familie
und kein Individuum im modernen Sinn. Die Familie war auch Modell
für grössere, nicht verwandtschaftlich begründete Gemeinschaften wie
Königsherrschaft, Grundherrschaft oder Klostergemeinschaft (Mönchskonvent), an deren Spitze der König, Graf oder Abt wie ein pater familias stand.
Sogar die ganze Menschheit wurde als Familie mit Gott als Vater angesehen. Zur kleinsten Familieneinheit gehörten nach mittelalterlichem Verständnis alle in einem Haus lebenden Personen (inkl. Gesinde, Gesellen).
Bereits im Wochenbett führten mangelnde Hygiene und schlechte
medizinische Kenntnisse zu Krankheit und Tod. Mütter- und Kindersterblichkeit waren im Mittelalter sehr hoch (vgl. das Thema Religion und
Glaube). Dies führte zu «Patchwork-Familien», wo der Mann mit Frau und
Kindern aus mehreren Ehen zusammenlebte.
Kinder hinterlassen in archäologischen Quellen selten Spuren. Spielsachen, meist in Form von Tonfiguren, erlauben einen Einblick in die
Die Gliederung der mittelalterlichen Gesellschaft nach Ständen: links oben die
Geistlichen, rechts oben der Adel und
unten das arbeitende Volk. Nach einem
Holzschnitt aus dem 15. Jh.
N. FLÜELER, M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte
des Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 408.
12 Thema: Gesellschaft und Alltag
© STARCH
Kinderwelt. Sowohl auf dem Land wie in der Stadt mussten die Kinder
bei der täglichen Arbeit mithelfen, zur Schule gingen die wenigsten. Mit
der Rolle als Mutter und Hausfrau waren die Frauen sehr früh konfrontiert, denn sie heirateten bereits mit rund 15 Jahren. Frauen waren generell im Gewerbe oder in der Landwirtschaft tätig.
Der Tagesablauf der Menschen im Mittelalter
Objekte 22, 23
Monatsbilder auf dem Wandgemälde im
«Haus zum langen Keller» in Zürich, Rindermarkt 26, Datierung 1320/30. Links
oben ist eine offene Herdstelle zum
Kochen und Fleischräuchern dargestellt,
die in den Wintermonaten (1. Bild:
Januar) eine beliebte Wärme- und Lichtquelle war. Als bäuerliche Tätigkeiten
sehen wir Schneiden der Bäume (2. Bild:
Februar), Aussähen der Sommersaat
(3. Bild: März), Überprüfen des Wachstums (6. Bild: Juni), Kornernte (7./8. Bild:
Juli/August), Weinernte (9. Bild: September), Schlachten von Schweinen und Rindern (10./11. Bild: Oktober/November).
Schliesslich wärmt sich im Dezemberbild
ein Mann an einem Kachelofen.
N. FLÜELER, M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte
des Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 291.
Spätmittelalterliche Anhänger, Zierbleche von Kleidungsstücken und
Nestelspitzen (Blechhülsen). Diese
Metallgegenstände gingen bei Kirchenbesuchen in der Winterthurer Stadtkirche verloren.
Kantonsarchäologie Zürich.
Im Mittelalter richteten sich die Menschen nach der Natur, der Tag begann mit dem Sonnenaufgang und endete mit dem Sonnenuntergang.
Die bäuerliche Tätigkeit war durch den natürlichen Wechsel von Tag und
Nacht und der Jahreszeit bestimmt. Die Arbeitszeit war von der Dauer der
Helligkeit abhängig; Kerzen und Talglämpchen waren wenig effizient. Gearbeitet wurde an sechs Tagen, lediglich der Sonntag und religiöse Feiertage sowie Feste waren frei. Wichtige Tätigkeiten des mittelalterlichen
Menschen sind in den Monatsbildern auf dem Zürcher Wandgemälde im
Haus «Zum langen Keller» dargestellt (vgl. Abb.). Die alltägliche Hauptsorge der (meisten) Menschen im Mittelalter war, überhaupt genügend
zu essen zu bekommen. Bauern mussten zudem viele Nahrungsmittel ihrer Herrschaft abliefern.
Die Kleidung
Objekte: 24–28
Neben der monatlichen Tätigkeit zeigt uns das Zürcher Monatsbild, wie
die mittelalterlichen Menschen gekleidet waren. Sowohl bei Frauen wie
bei Männern waren Röcke üblich. Im archäologischen Fundmaterial sind
Trachtbestandteile aus nicht vergänglichem Material überliefert, z. B.
Gürtelschnallen, Fibeln und winzige Funde wie Zierbleche, Stecknadeln
sowie Nestelspitzen (Blechhülsen) aus Metall, mit denen die Enden von
Schnüren oder Bändern verstärkt waren (vgl. Abb.). Zur frühmittelalterlichen Kleidung geben Grabfunde aus dem 6. und
7. Jh. Auskunft. Damals wurden die Verstorbenen
noch in ihrer Tracht begraben. Männern wurde
teilweise die Waffenausrüstung mit ins Grab gegeben. In Gräbern des 6. und 7. Jh. werden deshalb oft Gürtelschnallen, Schwerter, Lanzen- und
Pfeilspitzen sowie Schmuck gefunden (vgl. das
Thema Religion und Glaube).
Mittelalterliche Kleider sind wegen der schlechten Erhaltungsbedingungen im archäologischen
Material nur sehr selten überliefert, dafür geben
uns Darstellungen von mittelalterlichen Menschen
© STARCH
sowohl in der Malerei, Bildhauerkunst oder Buchmalerei wie auch auf
Ofenkacheln oder in Form von Tonfiguren eine Vorstellung der damaligen
Kleidung (vgl. auch die Textilherstellung bei den Objekten 24–27). Die
Kleidung war abhängig von der Mode und von der sozialen Stellung des
Trägers oder der Trägerin. Farben, Stoffe und Schnitt der Kleider sind je
nach sozialer Stellung unterschiedlich. So wurden Rot und Blau oder Grün
vorwiegend vom Adel getragen, mit dunkel, oft braun gefärbten Kleidern
waren geistliche Personen aber auch Diener gekleidet. Darstellungen auf
Ofenkacheln und Tonfiguren aus dem Kanton Zürich führen uns durch
eine spätmittelalterliche Modeschau.
Eine Ofenkachel aus der Moosburg ZH zeigt ein stehendes Liebespaar,
welches nach höfischer Manier elegant gekleidet ist (vgl. Abb.). Der mit
Locken frisierte Mann trägt einen knielangen Rock. Die Beinlinge, d.h.
lange Strümpfe, enden in charakteristischen spitzen Schnabelschuhen. In
seiner linken Hand hält der Mann einen Jagdfalken, das soziale Rangzeichen des Adels. Die Frau ist mit einem langen Kleid mit Stehkragen
gekleidet, darüber trägt sie einen weiten Überwurf.
Thema: Gesellschaft und Alltag 13
Fibel aus Bronze mit Glaseinlagen aus
der Burg Schauenberg ZH. Datierung
13. Jh. Broschen dieser Art dienten als
dekorativer Verschluss der Bekleidung
und wurden an gut sichtbaren Stellen
getragen.
Kantonsarchäologie Zürich.
Ofenkachel mit höfischem Paar von der
Moosburg ZH, kurz nach 1425.
TH. BITTERLI, D. GRÜTTER, Alt-Wädenswil. Vom Freiherrenturm zur Ordensburg. SBKAM 27 (Basel 2001),
Abb. 97.
14 Thema: Gesellschaft und Alltag
Tonfiguren aus Winterthur,
Datierung 14. Jh.
Kantonsarchäologie Zürich.
© STARCH
Die Dame unter den Tonfiguren
aus Winterthur (vgl. Abb.) hat einen Pagenschnitt, der in einem
langen Zopf endet, und trägt ein
Kleid mit für die erste Hälfte des
15. Jahrhunderts charakteristischem
Décolleté und hochgeschnürter
Taille.
Die andere Tonfigur ist mit einem Kapuzenmantel bekleidet. Die
Kopfbedeckung, die sogenannte Gugel, war neben modischem Element
auch ein Standeszeichen. Mäntel mit Kapuzen wurden von den unteren
Volksschichten getragen.
Die Körperpflege
Objekte 13, 14
Der badende Jakob von Warte umkreist
von drei höfischen Damen.
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der
Grossen Heidelberger Liederhandschrift (Frankfurt
a.M. 1988), Nr. 20.
Baden galt bei den gehobenen Schichten als Vergnügen, wobei gleichzeitig gegessen und getrunken wurde. Bekannt ist die Abbildung der Manessischen Liederhandschrift, wo Jakob von Warte in einem hölzernen
Badezuber von drei Damen bedient
wird. Das Badewasser ist mit roten
Blüten übersät und eine Hofdame
reicht ihm einen goldenen Kelch
(vgl. Abb.).
Im städtischen Badehaus hatten
der Bader und der Barbier neben
der Betreuung der Kunden auch
heilkundliche Aufgaben, wie Aderlassen und Schröpfen oder die Behandlung von Kopf- und Zahnschmerzen (vgl. das Thema Bauen
und Siedlungswesen).
Der Haarpflege wurde besondere Beachtung geschenkt, trugen
doch die Frauen häufig langes Haar.
Gegenseitiges Entlausen gehörte
zur Körperpflege.
Essen und Trinken
Objekte 1, 2, 4, 5, 6, 8, 15
Vor dem Essen wurden die Hände
gewaschen; eine dafür mit Wasser
gefüllte Holzschale stand auf dem
Tisch bereit. Adlige reinigten sich
die Hände mit einem eleganten,
häufig in Tierform gestalteten Wasserbehälter aus Metall oder aus
Keramik, dem sogenannten Aquamanile (vgl. Abb.). Gegessen wurde mit den Fingern aus einem
Holzteller, in einfachen Haushalten
gar aus einer einzigen Schüssel,
© STARCH
Thema: Gesellschaft und Alltag 15
zum Besteck gehörten Löffel und das meist persönliche Messer. Gabeln
gab es im Mittelalter noch nicht.
Auf einer für die Zeit um 1300 charakteristischen, vornehmen Tafel
(vgl. Abb.) fallen neben Wasser- und Weinkrügen aus Keramik und Trinkgläsern die zahlreichen Holzgefässe auf. Behälter aus Holz erhalten sich
nur unter feuchten Bedingungen. Deshalb finden sie sich nur selten bei
archäologischen Grabungen.
Bis zum 12. Jh. wurden aus Ton fast nur Töpfe hergestellt, erst ab dem
13. Jh. wird das Spektrum des Keramikgeschirrs durch weitere Formen
erweitert, dies betrifft besonders das Servier- und Essgeschirr (Schüsseln,
Krüge; vgl. Abb.). Ab dem 15. Jh. werden, nicht zuletzt aus hygienischen
Gründen, die Gefässe vermehrt mit einer Glasur versehen.
Der Inhalt von Latrinen und die häuslichen Abfälle geben uns Auskunft
über die Essgewohnheiten des mittelalterlichen Menschen. Als Grundnahrung spielte sowohl beim Adligen wie auch beim Bauern neben
Milchprodukte der Getreidebrei aus Hafer, Hirse oder Gerste, der mit Gemüse und Gewürzen oder mit Früchten angereichert wurde, eine wichtige Rolle. Bei den Bauern war Fleisch eine Festtagsspeise, Adlige hingegen konnten sich häufiger mit kostbaren Gewürzen, Datteln oder Feigen
verfeinertes Fleisch leisten. Die Jagd war im Mittelalter dem Adel vorbehalten, Wildtiere gelangten aber trotzdem nur selten auf den Tisch.
Saures und Salziges wurden häufig gleichzeitig mit Süssem, etwa
Honig, aufgetragen. Ab dem 14. Jh. tauchten Gewürze wie Safran, Zimt
und Sandelholz in den Rezepten auf. Als Getränke wurden neben Wasser,
verdünntem Wein, Met (eine Mischung aus Honig und Wasser), Bier und
Ein Aquamanile in Form eines Widders
aus der Stadtkirche in Winterthur. Datierung um 1300.
Kantonsarchäologie Zürich.
Bügelkanne (Wasserbehälter), Dreibeintöpfe zum Kochen, ein Deckel und ein
Öllämpchen aus Winterthur. Datierung
um 1400.
Kantonsarchäologie Zürich.
Mittelalterliche «Speisezettel» aus Winterthur
Mittelalterliche Latrinen geben
Aufschlüsse zur Ernährung. Obstkerne, Knochensplitter und Fischgräten gelangten mit den menschlichen Fäkalien in den Boden, anderes wurde als Abfall entsorgt.
Der Latrineninhalt erlaubt auch
Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Benutzer, z.B. durch den
Nachweis von teuren, importierten
Früchten, Gewürzen oder grossen
Fleischmengen. Eine erste Durchsicht des geschlämmten Probematerials aus zwei spätmittelalterlichen Latrinen am Oberen Graben
26/28 in Winterthur hat eine aufschlussreiche Pflanzenliste geliefert. Doch erhalten sich bei weitem
nicht alle Nahrungsmittel. Getreidesorten, die zu Mehl verarbeitet
werden, oder pulverisierte Gewürze, Wurstwaren, Milchprodukte
wie Käse hinterlassen keine Spu-
ren. Hier folgt die Liste der pflanzlichen Funde aus der Latrine.
n Obstarten
Pflaumen (sehr viel), Zwetschgen,
Süss- und Sauerkirschen, Erdbeeren, Äpfel, Hagebutten, Himbeeren, Brombeeren, schwarzer und
roter Holunder, Weintrauben.
n Nüsse
n Getreide
Hafer, Gerste, Roggen, Saatweizen,
Einkorn, Dinkel.
n Senf
n Gemüse- und Salatpflanzen
u.a. Rüben, Hülsenfrüchte, Linsen.
n Zahlreiche Unkräuter,
wenige Heilpflanzen
n Fischknochen, Insekten
und Holzreste
Tier- und Fischknochen aus einer
Latrine (Obere Kirchgasse 4/6 in
Winterthur) geben Auskunft über
die Essgewohnheiten der städtischen Oberschicht im 12. Jh. Es
sind über 4000 Knochen nachgewiesen, am häufigsten Schafe
und Ziegen, gefolgt von Rindern
und Schweinen. Geflügel und
Hirsch finden sich seltener. Der
grösste Teil der Tierreste besteht
allerdings aus kleinen, weniger
als 10 cm langen Fischen. Es sind
u.a. Groppen, Egli, Hechte, Aale,
Bachforellen und Felchen belegt.
Als Besonderheit sind Heringe
nachgewiesen, die eingesalzen
von der Nordsee nach Winterthur
importiert wurden.
16 Thema: Gesellschaft und Alltag
© STARCH
Die gedeckte Tafel mit Keramik-,
Glas- und Holzgefässen. Um 1300.
C. BRINKER, D. FLÜHLER-KREIS, Die Manessische
Liederhandschrift in Zürich (Zürich 1991), S. 196.
Obstsaft aufgetischt. Gewürze wurden sowohl verdauungsfördernd als
auch als Gegengift und färbend verwendet. Es sind auch Sellerie, Petersilie und Portulak, seltener Koriander wie auf der Mörsburg ZH, nachgewiesen (vgl. Beilage: Rezept). Exotische Gewürze wie Pfeffer, Zimt, Nelken,
Kardamom und Muskat konnten sich die wenigsten leisten.
Annamaria Matter
Weiterführende Literatur
H. BOXLER, J. MÜLLER, Burgenland Schweiz. Bau und Alltag (Solothurn
1991).
C. BRINKER, D. FLÜHLER-KREIS, Edele frouwen – schoene man. Die Manessische Liederhandschrift in Zürich (Zürich 1991).
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde. Auf den Spuren des mittelalterlichen Lebens in der Schweiz (Olten 1986).
J. TAUBER, F. HARTMANN, Fundort Schweiz, Band 5: Das Hochmittelalter.
Von den Karolingern bis zur grossen Pest (Solothurn 1988).
© STARCH
3
Thema: Religion und Glauben 17
Religion und Glauben
Älteste Zeugnisse des Christentums in unserem Gebiet
Konstantin der Grosse tritt 313 zum
Christentum über und im Jahre 391
n. Chr. wird das Christentum im Römischen Reich durch Kaiser Theodosius zur Staatsreligion erklärt. In
diese Zeit (Mitte 4. Jh.) reichen
auch die ältesten Zeugnisse des
christlichen Glaubens im Gebiet der
Schweiz zurück. Allerdings war die
galloromanische Bevölkerung am
Übergang von der Spätantike zum
Frühmittelalter nicht vollständig
christianisiert. Vor allem im Versteckten dürften die Menschen z.T.
noch die alten römischen Gottheiten verehrt haben. Mit der Ansiedlung von Alemannen im 7. Jh.
wurden wohl verstärkt wieder Elemente heidnischen Glaubens in
der Nordschweiz wirksam. Wie
die zahlreichen Kirchenbauten des
7. und 8. Jh. zeigen, hatten sich
damals – zumindest nach aussen
hin – das Christentum und seine
Organisation, die Kirche, bereits
weitgehend durchgesetzt.
Im Kanton Zürich lässt sich das
Christentum anhand einzelner Gegenstände mit christlicher Symbolik
bis ins 6. Jh. zurückverfolgen. Spätestens im 7. Jh. wurden hier die
ersten Kirchen errichtet; zu den ältesten gehören jene von Bülach,
Meilen, Winterthur (Stadtkirche)
und Zürich (St. Peter).
Die kirchliche Organisation lehnte sich an die römischen Verwaltungsstrukturen an. Das Zürcher
Gebiet gehörte anfänglich zum Bistum Vindonissa (Windisch). In das
späte 6. Jh. fällt die Entstehung des Bistums Konstanz, zu welchem fortan
auch das Zürcher Gebiet gehörte. Die unterste Verwaltungsebene bildeten die Pfarreien, denen die Gläubigen ihrem Wohngebiet entsprechend
angehörten und denen sie ihren Zehnten (Abgabe des zehnten Teils aller
landwirtschaftlichen Erträge) zum Unterhalt der Pfarrkirche entrichteten.
Eine wichtige Rolle spielten im Mittelalter die Klöster, die nicht nur religiöse und kulturelle Funktionen besassen, sondern auch herrschaftpolitisch und wirtschaftlich wichtige Stellungen übernehmen konnten. Dies
Ersterwähnungen von Pfarrkirchen sind
von den Zufällen der schriftlichen Überlieferung abhängig. Deshalb liegen für
die Zeit vor 1000 nur wenig Belege vor.
Informationen über den Zeitpunkt der
Kirchengründungen liefern archäologische Untersuchungen. Da längst nicht
alle Kirchen des Kantons Zürich archäologisch untersucht wurden, veranschaulicht diese Karte den Minimalbestand.
N. FLÜELER, M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.) Geschichte
des Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 142.
18 Thema: Religion und Glauben
© STARCH
Kirchengrabungen
In den Jahren zwischen 1960
und 1980 wurden zahlreiche Kirchen mit Fussbodenheizungen
ausgestattet oder sogar teilweise
unterkellert. Dies führte zu einer
grossen Anzahl von Rettungsgrabungen. Die Untersuchungen der
Stadtkirche Winterthur zeigen
exemplarisch, welche Erkenntnisse eine Kirchengrabung bringen
kann.
Gründungszeit: Vor Beginn
der Untersuchungen galt Winterthur als kyburgische Stadtgründung der Zeit um 1180. Man ent-
deckte aber die Überreste einer
Holzkirche aus dem 7./8. Jh., die
im 9./10. Jh. durch einen Steinbau
ersetzt wurde. Somit liegen auch
die Wurzeln der Siedlung Winterthur im Frühmittelalter.
Bauentwicklung: Generationen bauten an der Stadtkirche, die
laufend vergrössert und dem architektonischen Zeitgeschmack angepasst wurde. Die ältesten aufrecht
stehenden Bauteile (unterer Teil
des Nordturms und Chor) stammen aus dem späten 12. bzw.
dem 13. Jh. Die Vergrösserung der
Bauentwicklung der Stadtkirche Winterthur im Überblick.
M. ILLI, R. WINDLER, Stadtkirche Winterthur, Archäologie und Geschichte (Winterthur 1994), S. 19.
Kirche lässt ein stetes Wachstum
der Siedlung vermuten.
Funktionsänderungen:
Beim Umbau um 1000 erweiterte
man das Kirchenschiff um Anbauten, die als Begräbnisplatz dienten. Die adligen Bauherren sind in
den Schriftquellen nicht überliefert. Im 13. Jh. verzichtete man
auf diese Grabanbauten, worin
sich der Wandel von der adligen
Grablege zur städtischen Pfarrkirche widerspiegelt.
Gräber: Bei Kirchengrabungen
kommt eine Vielzahl von Gräbern
zum Vorschein. Einige befanden
sich einst im Kirchhof einer kleinen Kirche und kamen bei deren
Vergrösserung ins Innere der
neuen Kirche zu liegen. In diesem
Fall kann man die Gräber relativ
genau datieren. AnthropologInnen untersuchen die Skelette,
um den Altersdurchschnitt und
die Geschlechterverteilung zu bestimmen. An den Knochen ablesbare Spuren von Mangelerscheinungen, Krankheiten und Unfällen
geben Einblick in die Gesundheit
der Bevölkerung.
Kleinfunde: Beim Kirchgang
gingen oft kleine Dinge verloren,
die zwischen Ritzen von Holzböden fielen. So finden sich in
der Nähe der Opferstöcke häufig
Münzen. Auch Ringe von Gebetsschnüren (Paternoster) oder Bestandteile der Kleidung (Stecknadeln, Nestelspitzen) gingen verloren.
Grabbeigaben: Um 700 hört
die Sitte, den Toten Beigaben mit
ins Grab zu geben, weitgehend
auf. Nur ganz selten erhielten
die Verstorbenen im 9.–15. Jh.
religiöse Objekte – Pilgerzeichen,
Jakobsmuscheln oder Anhänger –
mit ins Grab.
© STARCH
Thema: Religion und Glauben 19
zeigt sich etwa bei der 853 gegründeten Fraumünsterabtei, einer wichtigen Grundherrin, die bis ins Spätmittelalter hinein in Zürich die Stadtherrschaft innehatte.
Frömmigkeit im Mittelalter
Die Frömmigkeit des mittelalterlichen Menschen – egal
ob arm oder reich – war geprägt durch die Allgegenwart des Todes. Die Sorge um das Seelenheil stand bei
ihm im Zentrum seines Denkens. Dabei galt die Kirche
als Vermittlerin des Heils. Dem Pfarrer oblag es, den
Gläubigen die Sakramente (Taufe, Beichte, Eucharistie
und Sterbesakramente) zu spenden, ohne die das
ewige Leben nicht möglich war. Die Predigt nahm eine
wichtige Stellung ein, da die Gläubigen über die richtige Ausübung des Glaubens unterrichtet werden wollten. Denn gute Werke im Diesseits minderten die Strafen im Fegefeuer und ebneten den Weg ins Paradies
am Tag des Jüngsten Gerichts. Im Gebet wurden Gott
und die Heiligen um Schutz und Hilfe angerufen. Die
wichtigsten religiösen Texte, die jeder Gläubige
kannte, waren das Vaterunser, das Ave-Maria, das
Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote (vgl. das Klangbeispiel 16 auf
der CD Musik und Text).
Andachtsbilder
Objekt 16
Für die Ausübung privater Frömmigkeit waren Andachtsbilder weit verbreitet. Es handelt sich hierbei um Gemälde, Holzschnitte, Kupferstiche
oder gar kleine Skulpturen, die an das Leben und Wirken von Jesus Christus erinnerten. Beliebt waren kleine Christusfiguren aus Terrakotta. Häufig
hatten die Menschen auch religiöse Bildchen bei sich, von deren Betrachtung sie sich Schutz- und Wunderwirkung erhofften. Beispielsweise sollte
der Anblick des Heiligen Christophorus den Gläubigen vor plötzlichem Tod
schützen. Die gleiche Funktion wie die Andachtsbilder erfüllten Anhänger, die meist an Ketten um den Hals getragen wurden. Die Gussform eines Anhängers in Kreuzform (Objekt 16) wurde in Winterthur gefunden.
Eine verstärkte Wirkung versprach man sich offensichtlich davon, die Anhänger während des Gebetes in der Hand zu halten. Dies lässt sich daran
erkennen, dass Amulettanhänger zuweilen stark abgegriffen sind.
Am Tag des Jüngsten Gerichts erheben
sich die Toten aus den Gräbern. Christus, flankiert von den Heiligen, richtet:
Die Seligen ziehen ins Paradies, die Verdammten versinken im Höllenschlund.
Köln (D), um 1460–1480.
P. JEZLER, Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im
Mittelalter (Zürich 1994), S. 340.
Rosenkranz
Objekte 18.1–18.3
Die im Mittelalter jedoch am häufigsten verwendete Devotionalie (der
Andacht dienender Gegenstand) ist ohne Zweifel der Rosenkranz. Aus
der seit dem 13. Jh. entwickelten Tradition, eine Anzahl Paternoster (Vaterunser) zu beten und dazu eine zusammengebundene Gebetsschnur
mit aufgereihten Knochenringen (Objekte 18.1–18.2) zum Abzählen zu
verwenden, entwickelte sich im 15. Jh. der heute noch gebräuchliche
Rosenkranz mit 50 Ave-Maria-Perlen und 5 Paternoster-Perlen (Objekt
18.3).
Gedruckter Pilgerzettel von der Wallfahrtsstätte «Unserer Lieben Frau im
Pflasterbach» an der Lägeren ob Sünikon ZH aus dem Anfang des 16. Jh.
Diese Zettel erwarb man als Andachtsbild und Erinnerung an den Besuch der
Gnadenstätte.
N. FLÜELER, M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.) Geschichte
des Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 447.
20 Thema: Religion und Glauben
© STARCH
Zur Verankerung der Rosenkranz-Gebetsform gründete der Dominikaner Jakob Sprenger 1475 in Köln (D) die erste Rosenkranzbruderschaft,
der Arme und Reiche, Männer und Frauen kostenlos beitreten konnten.
Die Mitglieder beteten mindestens dreimal wöchentlich den Rosenkranz
und erwirkten so einen Ablass von Sündenstrafen im Fegefeuer. Für
einen Verstorbenen konnte ein Lebender das Gebet übernehmen.
Ablass und Wallfahrt
Objekte 17, 19
«Paternosterer» stellten Ringe aus
Knochen und anderen Materialien her,
die für die seit dem 13. Jh. verbreiteten
Gebetsketten benötigt wurden. Aus
diesen entstand 1475 der Rosenkranz.
Der Name «Paternosterer» leitet sich
vom Beginn des Gebets «Vater unser»
ab. Darstellung aus dem 15. Jh.
N. U. M. FLÜELER (Hg.), Stadtluft, Hirsebrei und
Bettelmönch. Die Stadt um 1300 (Stuttgart 1992),
S. 416.
Dieser Mann bekam eine Pilgermuschel
mit ins Grab, die entweder auf dem Gewand oder einer beigegebenen Pilgertasche aufgenäht war. Er wurde zwischen dem 12. und dem 15. Jh. bei der
Stadtkirche Winterthur bestattet. Später
wurde sein Grab zur Hälfte beim Bau
eines Fundaments zerstört, als man die
Kirche erweiterte.
Kantonsarchäologie Zürich.
Eine Möglichkeit zur Tilgung der Sünden bestand im Erwerb von Ablässen. Dies brachte der katholischen Kirche erhebliche Summen, führte
aber im 16. Jh. zur Kritik der Reformatoren, die eine Käuflichkeit des
Seelenheils bestritten.
Eng verbunden mit dem Ablassgedanken waren Wallfahrten und Pilgerreisen zu Heiligengräbern oder den Aufbewahrungsorten berühmter
Reliquien. Man hoffte auf Heilung von Krankheiten oder Hilfe in besonderen Nöten. Oft erfolgte die Pilgerreise auch als Erfüllung eines Gelübdes
oder als Busse in der Hoffnung auf Sündenvergebung. Wer es vermochte,
brauchte die beschwerliche Reise nicht unbedingt selbst anzutreten, sondern konnte gegen Bezahlung einen Berufspilger auf den Weg schicken.
Besonders für arme Leute konnte das eine willkommene Art sein, Geld
© STARCH
Thema: Religion und Glauben 21
zu verdienen. Erkennbar war der Pilger an seinem Pilgerzeichen, das zum Beweis der Reise an seiner Kleidung aufgenäht war. Pilger, die aus Santiago de Compostela in Nordspanien kamen, brachten z. B. die so genannte Jakobsmuschel
mit (Objekt 17). Pilgerzeichen wurden oft in Flüssen gefunden, wo sie als Dankopfer für die glückliche Heimkehr hinein
geworfen wurden. Als Grabbeigabe waren sie dem Verstorbenen hilfreich zur Fürbitte des Heiligen am Tag des Jüngsten
Gerichts. Die wichtigsten Pilgerziele waren Jerusalem (IL),
Rom (I) und Santiago de Compostela (E). Für kürzere Pilgerreisen bot sich unter anderem Einsiedeln SZ an.
Heiligenkult und Reliquienverehrung
Objekt 19
Das Pilgern und Wallfahren ist im Zusammenhang mit einer
im Mittelalter laufend zunehmenden Heiligenverehrung zu
sehen. Beliebt waren vor allem jene Heilige, von denen sich
die Gläubigen Beistand in der Todesstunde versprachen. Besondere Wirkung versprach man sich von der Fürbitte der
Heiligen aus der Gruppe der 14 Nothelfer. Mit dem Heiligenkult wuchs auch die Reliquienverehrung, die Verehrung von
sterblichen Überresten der Heiligen oder Gegenständen, die
zu Christus oder den Heiligen in Verbindung standen. Reliquien wurden in bestimmten, eigens dafür angefertigten Behältern aufbewahrt, dem Reliquiar (Objekt 19).
Stiftungen
Auch mit Stiftungen suchten die Gläubigen ihr Seelenheil günstig zu beeinflussen und die Strafzeit im Fegefeuer zu verkürzen. Gestiftet wurde
vom Messgewand bis zum Altar alles, was für den liturgischen Kult nötig
war. Kirchenbauten oder gar Klostergründungen und damit das Recht, an
bevorzugter Lage bestattet zu werden, konnten sich allerdings nur begüterte adlige Stifter leisten.
Viele Stiftungen erfolgten als einmalige Abgeltung für das Lesen jährlicher Seelenmessen. Solche Jahrzeiten konnten auch durch einen Zins erworben werden. Auch wenn der Zins bescheiden war, konnte sich längst
nicht jeder Gläubige eine eigene Seelenmesse leisten.
Darstellung der Graböffnung von Felix
und Regula, der Stadtheiligen von
Zürich, im 8. Jh. Um ein Grab, über das
nichts Näheres bekannt war, bildete
sich die Legende von Felix und Regula.
Die damit verbundene Begründung des
Wallfahrtsortes Zürich erscheint aus
heutiger Sicht als Schwindel, führte
aber dem mittelalterlichen Menschen
das Martyrium bildlich vor Augen.
H. F. ETTER (Hg.), Die Zürcher Stadtheiligen Felix
und Regula (Zürich 1988), Abb. 65.
Orden in der Stadt
Seit dem 13. Jh. erfreuten sich die
Bettelorden grosser Beliebtheit.
Die Franziskaner nahmen sich
Christus als Vorbild, lebten in Armut und verschrieben sich der
Seelsorge. Die Dominikaner sahen
ihre Aufgabe vor allem in der
Predigt und unterrichteten das
Volk im rechten Glauben. Im Chor
der Klosterkirche, der durch eine
Schranke vom Kirchenschiff ab-
getrennt war, versammelten sich
die Mönche sieben Mal am Tag
zum Stundengebet. Neben den
Männer- und Frauenklöstern gab
es auch religiöse Gemeinschaften
frommer Frauen, die ohne Gelübde
zusammenlebten und sich vor allem der Krankenpflege widmeten:
die Beginen.
In einer mittelalterlichen Stadt
konnte bis zu einem Viertel des
ummauerten Gebiets von Kirchen,
Klosteranlagen und Wohnhäusern
des Klerus (Priesterschaft) überbaut sein. Entsprechend gross war
der Anteil der Geistlichen und
ihres beschäftigten Personals: in
Basel dürfte er im 15. Jh. bei einer
Gesamtbevölkerung von 15 000
etwa 1000 bis 1500 Personen
umfasst haben.
22 Thema: Religion und Glauben
© STARCH
Das Bild des Oetenbachklosters in Zürich
von 1520 zeigt die wichtigsten Teile
eines Klosters: die Kirche, dahinter
Kreuzgang mit den Konventsgebäuden,
einige Ökonomiebauten und die Umfassungsmauer.
N. FLÜELER, M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte
des Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 223.
Glockengeläute
Das Glockengeläut richtete sich nach den Gebetszeiten, den Horen. Diese
variierten während des Jahres, denn sie richteten sich nach dem Lichttag.
Ausserdem wurde für jede Kirche eine eigene Zeit geschlagen. Das
Geläut rief zum Gebet und bestimmte die Arbeitszeiten. Dieses sogenannte Tagwerk begann am Morgen mit dem Ave-Maria-Läuten, wurde
vom Mittagsläuten unterbrochen und endete vor dem Sonnenuntergang
mit einem weiteren Ave-Läuten.
Kirchhof
Kirchen mit Bestattungsrecht besassen einen Friedhof. Für die
Kirchgenossen herrschte Pfarrzwang, wozu auch die Bestattung
zählte. Einfache Holzkreuze oder
schmale Bretter markierten die
Gräber, selten zierte eine Steinplatte das Grab eines Vermögenden. Die Friedhöfe mussten mit
Zäunen oder Mauern von frei herumstreunendem Vieh geschützt
werden. Als geweihte Stätte war
Wahrscheinlich liegen in diesem Massengrab die Opfer der Pestepidemie von 1519.
Damals «was ein grosser sterbet ze Winterthur an der pestilenntz und sturbend by
fünfhundert menschen, jung und altt», wie der Chronist Laurentius Bosshard berichtet.
Kantonsarchäologie Zürich.
Massenbestattung von Pestopfern auf
dem Kirchhof von Tournai (B) im 14. Jh.
N. U. M. FLÜELER (Hg.), Stadtluft, Hirsebrei und
Bettelmönch. Die Stadt um 1300 (Stuttgart
1992), S. 489.
der Gottesacker auch ein Ort des
Sonderfriedens und des Kirchenasyls. Aber er hatte nicht nur sakrale Funktion: Hier kamen die
Menschen auch zum Austausch
von Nachrichten zusammen oder
hielten Markt.
© STARCH
Thema: Religion und Glauben 23
Fastengebot
Der kirchliche Kalender schrieb verschiedene Fastenzeiten vor. So an
den 40 Tagen vor Ostern, den Fronfastentagen, den Vortagen vor den
Apostelfesten und weiteren kirchlichen Festtagen wie Allerheiligen,
Mariahimmelfahrt und Weihnachten. Während der Fastenzeit war
den 21- bis 60-Jährigen nur eine
tägliche Mahlzeit erlaubt, die weder Fleisch warmblütiger Tiere
noch Eier und Milchprodukte enthalten durfte. Diese Abstinenz
wurde im Spätmittelalter aber nicht
mehr strikte eingehalten und immer öfter gewährte der Papst Fastenerleichterungen.
Christian Bader
Weiterführende Literatur
S. BEISSEL , Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland im Mittelalter (Darmstadt 1988).
J. BLUM, Jakobswege durch die Schweiz (Thun 2001).
K. EDER MATT, Reliquienkult im mittelalterlichen Basel. In: B. MELES (Hg.),
Der Basler Münsterschatz (Basel 2001), S. 322–328.
H. F. ETTER (Hg.), Die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula (Zürich
1988).
N. FLÜELER, M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte des Kantons Zürich,
Bd. 1 (Zürich 1995), S. 136–146.
B. HELBLING, M. BLESS-GRABHER, I. BUHOFER, Bettelorden, Bruderschaften
und Beginen in Zürich (Zürich 2002).
M. ILLI, R. WINDLER, Stadtkirche Winterthur, Archäologie und Geschichte
(Winterthur 1994).
N. OHLER, Pilgerstab und Jakobsmuschel (München 2000).
D. SCHUMACHER, Kirche und Frömmigkeit. In: Spätmittelalter am
Oberrhein. Alltag, Handwerk, Handel 1350–1525 (Stuttgart 2002),
S. 89–125.
L. VISCHER, L. SCHENKER, R. DELLSPERGER (Hg.), Ökumenische Kirchengeschichte der Schweiz (Freiburg i. Ü. 1994).
Von den Arbeitsgängen zum Guss einer
Glocke bleiben meistens nur die Gruben
als archäologisch fassbares Relikt übrig.
1 Gestell zum Modellieren der Gussform.
2 Modellieren der Gussform aus Ton und
Wachs.
3 Gussform nach Ansetzen der Kronen
(Aufhängung) und der Öse für den Klöppel.
4 Herunterlassen der Gussform in die
Grube.
5 Brennen der Gussform.
6 Einleiten der flüssigen Bronze in die
Gussform.
M. ILLI, R. WINDLER, Stadtkirche Winterthur, Archäologie und Geschichte (Winterthur 1994), S. 86.
24 Thema: Religion und Glauben
© STARCH
Aberglaube
Der Aberglauben war im Mittelalter allgegenwärtig, hinterliess
aber nur in Ausnahmefällen archäologische Spuren. Kleinfunde
wie durchbohrte Bärenzähne oder
Anhänger mit rätselhaftem Inhalt
weisen auf das Bedürfnis ihrer
TrägerInnen hin, sich vor Widerwärtigkeiten zu schützen oder
von einem Talisman Kraft zu erhalten. Einen äusserst seltenen
Einblick gewährte auch ein 2003
untersuchtes Grab in Elsau ZH. Im
9. Jh. begrub man in einem Anbau
einer Steinkirche eine etwa 42jährige Frau, die von schweren
Krankheiten – Knochenentzündungen und schwerer Arthrose im
Kniegelenk – gezeichnet war. Kurze
Zeit, evtl. lediglich ein Jahr nach
der Bestattung, öffnete man das
Grab erneut, um gezielt die Lage
einzelner Knochen zu verändern:
Nachgewiesen sind das Verteilen
der Fussknochen im Bereich der
Unterschenkel und der Knochen
der rechten Hand seitlich des
Oberkörpers und das Verdrehen
der Schlüsselbeine. Der Schädel
rollte nach rechts.
Nach etwas Erde verlegte man
eine dichte Steinpackung über
dem Skelett. Darüber deponierte
man im Bereich des Schädels einen Seeadlerfuss sowie im Bereich
der Knie Teile eines Fuchsfusses.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die gegensätzlichen
Inhalte, die in der christlichen
Symbolik mit diesen beiden Tieren
verbunden werden. Während der
Adler als Symbol der Auferstehung
und Himmelfahrt Christi gilt, ist
der Fuchs Symbol des Teufels und
allgemein des Bösen. Die ungewöhnlichen Handlungen nach der
Beisetzung und die Beigabe dieser
Tierfüsse erfolgten vielleicht, weil
die Frau als Wiedergängerin (zurückkehrende Tote) galt. Angst
vor Wiedergängern stellte sich
ein, wenn sich eine Anzahl von
Unglücksfällen, Todesfällen oder
schlechten Ereignissen wie Naturkatastrophen auffällig häuften
und zuvor jemand gestorben war,
dem nach Meinung der Hinterbliebenen der Zugang zum Jenseits verwehrt war.
So sollten die Handlungen am
Grab von Elsau offenbar das Böse
überwinden helfen und der Seele
so das Tor zum Himmel öffnen.
Offenbar reichte dies aus, weil die
endgültige Lösung des Problems,
die Verbrennung der Leiche nämlich, nicht zur Anwendung kam.
Mit der Entwicklung der Vorstellung des Fegefeuers versuchte
dann die katholische Kirche im
Verlauf des 12. und 13. Jh., jenen
armen Seelen, die keinen Zugang
zum Jenseits fanden, einen Platz
zuzuweisen.
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4
Thema: Landwirtschaft, Handwerk und Handel 25
Landwirtschaft, Handwerk und Handel
Quellen zur Wirtschaft im Mittelalter
Das Mittelalter ist nicht nur die Zeit der Ritter und
Burgbewohner, sondern vor allem der Bauern, Handwerker und Händler. Fragen zur Wirtschaft eines bestimmten Gebietes stehen darum bei der Auswertung einer archäologischen Ausgrabung oder beim
Studium der Funde oft im Vordergrund. Wer stellte
die gefundenen Gegenstände her und unter welchen Bedingungen geschah das? Woher stammten
die dafür benötigten Rohstoffe wie Farben, Tone,
Wolle, Knochen oder Eisen? Wie wurden die fertigen
Gegenstände gehandelt und verkauft? Solche Fragen
sind für das Spätmittelalter eindeutiger zu beantworten, da in diesem Zeitabschnitt schriftliche und bildliche Quellen zusätzliche Informationen geben. Für
das Früh- und Hochmittelalter dagegen sind Hinweise zur Lebensart und zur Wirtschaft fast ausschliesslich von der archäologischen Wissenschaft zu
erwarten.
Von der Rohstoffgewinnung zur Produktion
Objekt 22
Archäologische Ausgrabungen bringen manchmal Spuren und Funde ans
Tageslicht, die Hinweise auf die mittelalterliche Wirtschaft vor Ort geben.
Man findet einerseits Orte der Gewinnung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen: Alte Terrassierungen um Dörfer und Städte zeigen, wo die Bauern Getreide, Gemüse, Reben oder Färbepflanzen anbauten, oder im Wasser erhaltene Holzreusen weisen auf den Fischfang in der Vergangenheit.
Es sind andererseits Spuren der mittelalterlichen Rohstoffgewinnung erhalten geblieben: Heute noch erkennbare Schächte oder Einbuchtungen
am Berg weisen auf Eisen- oder Goldabbau durch Minenarbeiter oder in
tonhaltigen Regionen sind manchmal Lehmgruben erhalten geblieben,
die den Ort der mittelalterlichen Tongewinnung in der Feintopographie
noch zeigen. Bei der Nahrungsmittelproduktion oder der Rohstoffgewinnung benötigte man spezielle Werkzeuge, die manchmal bei der Arbeit
auf freiem Feld verloren gingen
und nach Jahrhunderten durch
Zufall oder bei einer archäologischen Grabung wieder gefunden
werden. Diese Werkzeuge (beispielsweise ein Rebmesser, Objekt 22) sind für den Archäologen
oder die Archäologin – wenn ihr
Fundort bekannt ist – insofern
von grosser Bedeutung, als sie
für die ursprüngliche Tätigkeit am
Fundort eine weitere Informationsquelle sind.
Herstellung von Glas: Oben wird der Rohstoff Sand gewonnen, in die Glashütte
unten transportiert und dort unter Zusatz
von Pflanzenasche geschmolzen und zu
Gegenständen geblasen. Böhmisches
Manuskript aus dem 15. Jh.
E. BAUMGARTNER, I. KRUEGER, Phönix aus Sand und
Asche. Glas des Mittelalters (München 1988), S. 22.
Glasschale, welche in einem Grab des
Frühmittelalters zum Vorschein gekommen ist. Fundort: Flaach ZH.
Kantonsarchäologie Zürich.
26 Thema: Landwirtschaft, Handwerk und Handel
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Ländliche Nahrungsmittel- und Güterproduktion
Objekte 1, 4, 8, 23–28
Die gewonnen Rohstoffe werden in die Siedlungen transportiert, verarbeitet und oft in neuen Kombinationen gebraucht – aus Weizen wird Getreidebrei, aus Ton ein gebrannter Dreibeintopf mit Füsschen, aus Lein
Kleiderstoff (Hinweise darauf sind Schere, Spinngeräte, Webbrettchen,
Webgewicht, Schwinghebel), aus Eisen und Holz Messer mit Holzgriffen.
Die Herstellung solcher Güter geschah in den Einzelhöfen, den Dörfern,
Burgen und Städten, in den Wohnungen, in landwirtschaftlichen Gebäuden und in Werkstätten, aber auch im Freien. In den Dörfern sind vor allem die Schmiede und Müller als spezialisierte Handwerker anzutreffen.
Die Dorfbewohner – zieht man statistische Hochrechnungen bei, sind
das immerhin etwa 80% der Bevölkerung – rodeten in Zeiten von Landknappheit Wald und kümmerten sich um Nutzpflanzen und Haustiere,
stellten daneben aber einen grossen Teil der in der Landwirtschaft und
im täglichen Leben benutzten Gegenstände selber her und hielten sie instand (sogenannte Hausgewerbe). Mittelalterliche Dörfer sind im Kanton
Zürich archäologisch erst wenig erforscht, mögliche ländliche Gewerbe
damit vielleicht gar noch nicht erfasst. Mehr weiss man aus der Siedlung
Berslingen SH. Hier gruben die ArchäologInnen einen Ort aus, der sich
ab dem 5. Jh. von einem Wohnhaus mit zwei kleinen Nebengebäuden,
sogenannten Grubenhäusern (als Lager oder Arbeitsort genutzt) bis um
1000 n. Chr. zu einem Dorf mit sieben bis acht Wohngebäuden und zugehörigen Nebengebäuden entwickelte. Die Bevölkerungszahl erhöhte sich
im gleichen Zeitraum von wenigen Personen auf 50 bis 70 Menschen.
Schweine und Rinder wurden hier als wichtigste Fleischlieferanten gehalten, aber auch Hunde, Gänse, Hühner, Enten, Ziegen und Schafe wurden
aufgezogen. Neben der Landwirtschaft kümmerten sie sich auch um die
Herstellung von Textilien und in geringem Masse um Eisengewinnung.
Die Handwerker in Städten, Klöstern und Burgen
Objekte 1, 2, 4, 6, 10, 11, 16, 18, 23–28
Herstellung von Knochenperlen: Der
ganze Langknochen eines Rindes wird
in gerade Teile zerlegt. Mittels eines
Eisenbohrers dreht der Knochenschnitzer auf einer Werkbank Ringe heraus
(rechts im Bild).
Kantonsarchäologie Zürich.
Spezialisierte Handwerker sind vor
allem in den Städten, Klöstern,
aber auch auf Burgen nachzuweisen. Aus Grabungen in der Altstadt
von Winterthur konnten einige
Handwerker archäologisch nachgewiesen werden: es sind dies
Metzger (Tierknochen), Weber
(Webstühle, Gewebe), Schmiede
(Schlacken und Eisengeräte), Glaser
(Glasabfall), Töpfer (keramische
Gegenstände, vor allem Ess- und
Kochgeschirr),
Knochenschnitzer
(Abfall von Knochenringherstellung), Schuhmacher (Lederreste,
Schuhe) und Steinmetze (Steinsplitter). Die Handwerker lebten mit ihren
Familien und bei Bedarf mit Gesellen und Mägden in Reihenhäusern entlang der Strassen. Frauen und Kinder arbeiteten mit. Die Werkstatt hatte
man oft ebenerdig im Wohnhaus oder im Hinterhofbereich eingerichtet,
darin wurden die benutzten Werkzeuge aufbewahrt. Sogar Reste so lär-
© STARCH
Thema: Landwirtschaft, Handwerk und Handel 27
miger und rauchiger Gewerbe wie Töpfereien und Schmieden findet man
im Stadtbereich. Der Fund eines Heuhaufens aus der Zeit um 1400 in einem Haus in Winterthur macht deutlich, dass auch die Handwerker im
Umkreis der Stadt Landwirtschaft betrieben, sie besassen oft Weideland
und Rebberge.
Im Laufe des Spätmittelalters beobachtet man eine zunehmende Aufsplitterung des Handwerks. In einer mittleren Stadt (5000 bis 10 000 Einwohner) waren 80 bis 100 verschiedene Handwerkszweige keine Seltenheit: Erwähnt wird in den Schriftquellen nicht nur ein Schmied, sondern
jetzt auch ein Messerschmied, ein Schlosser, ein Nadelmacher, Drahtzieher, Harnischmacher, Klempner oder Kesselmacher. Sie stellten von
Stecknadeln über Hämmer, Ketten bis zu Türbeschlägen eine grosse
Produktpalette her. In spätmittelalterlichen Schichten ist die Vielfalt an
Fundgegenständen entsprechend grösser.
Vertrieb und Transport
Objekt 30
Handwerkliche Produkte (Töpfe, Stoffe oder Knochenringe) wurden entweder direkt beim Handwerker in der Werkstatt oder im Laden bestellt
oder auf Märkten eingehandelt. Dann gab es auch grosse überregionale
Märkte, beispielsweise in der Champagne (F) oder auch in Zurzach AG,
die mehrere Tage bis Wochen dauerten und wo sich viele Händler einfanden. Waren und Rohstoffe wurden dort über ganz Europa hinweg getauscht und verkauft.
Die meisten Gegenstände des Alltags wurden jedoch auf lokalen Tages- und Wochenmärkten gehandelt. Der ursprüngliche Tauschhandel
wurde auch auf lokalen Märkten durch die Geldwirtschaft abgelöst. Im Mittelalter wurde während Jahrhunderten als einzige Münzsorte der Pfennig geprägt (selten auch Halbstücke des Pfennigs). Erst ab 1330/40
tauchten in unserer Gegend Goldmünzen und grössere
Silbermünzen auf, die alle fremder Herkunft waren.
Münzen wurden an zahlreichen Orten geprägt. Allein
auf dem Gebiet der heutigen Schweiz und den Nachbarregionen waren über 20 verschiedene Münzorte tätig.
Verschiedene Münzen wurden nebeneinander gebraucht, weil sie – trotz der unterschiedlichen Münzbilder – die gleiche Machart aufwiesen. Es bildeten sich
Währungsgebiete, in denen Münzen gleicher Art, aber
vielfältiger Herkunft verwendet wurden.
Münzfunde sind neben schriftlichen Dokumenten
eine wichtige Informationsquelle zum Geld im Mittelalter. Bei den Münzfunden ist zu unterscheiden zwischen
absichtlich deponierten bzw. vergrabenen Münzen
(Schatzfunden, Bauopfern und Grabbeigaben) und zufällig verlorenen Münzen aus Siedlungen und Kirchen.
Eine kleine Oberschicht – Adlige, Priester und Kaufleute – benutzte neben alltäglichen Gegenständen auch
solche, die aus kostbareren Materalien bestanden: Becher aus Gold und Silber, verzierte Messer, exotische
Gewürze, speziell schöne Stoffe. Kirchen und Klöster
bewahrten Reliquienbehälter und Goldkreuze auf, ihre
Marktfahrer mit Ware. Ausschnitt aus
der Wandmalerei von Ambrogio Lorenzetti im Palazzo Pubblico in Siena von
1338.
A. U. CH. FRUGONI, Storia di un giorno in una città
medievale (Bari 1998), Abb. 19.
Markt in Bologna, Anfang 15. Jh. Il mercato di Porta Ravegnana. Miniatur aus
dem Manuskript Matricolae Societatis
Draperorum.
A. U. CH. FRUGONI, Storia di un giorno in una città
medievale (Bari 1998), Abb. 38.
28 Thema: Landwirtschaft, Handwerk und Handel
© STARCH
Reste einiger Webstühle aus dem 14.
Jh. Fundort Winterthur, Tösstalstrasse.
Erhalten haben sich neben einigen
Pfostenresten die hölzernen Pedale,
mit denen die Kettfäden angehoben
werden konnten.
Kantonsarchäologie Zürich.
Fenster waren mit bunten Glasbildern versehen. Gerade für solch aufwändig gestaltete Produkte waren hochspezialisierte Handwerker nötig;
ihre Waren werden allerdings selten in Grabungen gefunden.
Manchmal kann man über die Verteilung bestimmter Funde in einem
grösseren Gebiet herausfinden, bis in welche Regionen ein Gegenstand
gehandelt wurde. Besonders gut gelingt dies mit Gütern, deren spezielle
Machart für eine einzelne Handwerkerfamilie oder eine Handwerkerverbindung in einer bestimmten Stadt oder Region typisch war. Häufig werden solche Güter entlang der damals für den überregionalen Transport
genutzten Strassen und Wasserläufe gefunden. Im mittelalterlichen Europa waren Rhein und Rhone, aber auch kleinere, heute nicht mehr zum
Warentransport benutzte Wasserwege wie die Limmat oder der Zürichsee
von grosser Wichtigkeit.
Lotti Frascoli
Weiterführende Literatur
K. BÄNTELI, M. HÖNEISEN, K. ZUBLER, Berslingen – ein verschwundenes Dorf
bei Schaffhausen. Mittelalterliche Besiedlung und Eisenverhüttung im
Durachtal. Schaffhauser Archäologie 3 (Schaffhausen 2000).
U. LINDGREN (Hg.), Europäische Technik im Mittelalter. Ein Handbuch
(Berlin 1996).
S. LORENZ , TH. ZOTZ (Hg.), Spätmittelalter am Oberrhein. Alltag, Handwerk
und Handel 1350–1525. Ausstellungskatalog Karlsruhe. Aufsatzband
(Karlsruhe 2001).
R. WINDLER, Das Gräberfeld von Elgg und die Besiedlung der Nordostschweiz im 5.–7. Jh. Zürcher Denkmalpflege, Archäologische Monographien 13 (Zürich und Egg 1994).
© STARCH
Thema: Landwirtschaft, Handwerk und Handel 29
Ein frühmittelalterlicher Kleiderverschluss und seine mögliche Herkunft
Knöpfe und Reissverschlüsse
kannte man im Frühmittelalter als
Kleiderverschlüsse noch nicht –
so benutzten die Frauen und
Mädchen stattdessen zum Zusammenhalten von Kleidungsstücken
Fibeln, eine Art schön verzierte
Spangen. Starb die Besitzerin, so
wurde sie in ihren Kleidern mit
den Fibeln begraben. In Elgg ZH
fanden ArchäologInnen auf dem
frühmittelalterlichen Friedhof ein
junges Mädchen, dessen Mantel
von einer bronzenen Scheibenfibel zusammengehalten wurde.
Zeichnet man die Fundorte
weiterer ähnlich dekorierter Fibeln auf, so finden sie sich hauptsächlich in Nordwestfrankreich
und im angrenzenden Belgien. Etliche Fragen tauchen auf: Welcher
Handwerker stellte die schöne Fibel her? Wurde die Kleiderspange
über eine weite Strecke getauscht? Wanderte das junge
Mädchen mit seiner Familie ein?
Grabbeigaben im Mädchengrab; neben einem Kamm aus Geweih (5), einer Gürtelschnalle (2) und Schuhgarnitur (3 und 4) kam die runde Scheibenfibel (1) zum Vorschein (in vier Ansichten abgebildet).
Kantonsarchäologie Zürich.
Verbreitungskarte mit ähnlichen Fibeln wie im Mädchengrab von Elgg ZH (roter
Fundpunkt). Die meisten Punkte liegen östlich des Flusses Seine im heutigen
Frankreich.
Kantonsarchäologie Zürich.
Das durchwühlte Mädchengrab aus
Elgg ZH mit der Scheibenfibel 1.
Kantonsarchäologie Zürich.
Die Archäologin, welche das
Mädchengrab untersuchte, kam
anhand weiterer Hinweise zum
Schluss, im Gräberfeld von Elgg
seien tatsächlich aus dem nördlichen Frankreich, dem Kerngebiet
des Frankenreichs, eingewanderte
Personen begraben worden. Menschen als Mitträger von Gegenständen, aber auch von Ideen
sind wichtige Motoren des wirtschaftlichen und politischen Geschehens.
© STARCH
5
Thema: Bauen und Siedlungswesen 31
Bauen und Siedlungswesen
Die antike Siedlungslandschaft wurde im Frühmittelalter grundlegend verändert. In Orten mit
antiken Wurzeln setzte eine Neuorganisation
ein, die bis ins Spätmittelalter auch zur Verlegung der zentralen Siedlung führen konnte, wie
es das Beispiel von Oberwinterthur und Niederwinterthur, dem heutigen Winterthur, zeigt.
Zahlreiche neue Siedlungen, die in vielen Fällen
bis heute bestehen, wurden teils im Umfeld der
Ruinen römischer Gutshöfe (z.B. Dällikon ZH),
teils an neu gewählten Standorten gegründet.
Durch Rodung erschloss man dafür neue Siedlungsräume.
In den meisten Fällen bestanden Siedlungen
bereits lange, bevor sie das erste Mal in den Schriftquellen zufällig Erwähnung fanden. Winterthur und Zürich entwickelten sich bereits seit
der Jahrtausendwende in verschiedenen Schritten zur Stadt. Zahlreiche
Kleinstädte wurden im 13. Jh. im Umfeld einer Burg oder eines Klosters
gegründet. Oftmals bildeten sie den Versuch, die herrschaftlichen Rechte
über umstrittenes Gebiet zu festigen (z.B. Glanzenberg ZH, Rheinau ZH).
Dies war auch ein wichtiges Motiv für die Gründung von Klöstern (z. B.
Töss bei Winterthur).
Ausgegrabenes Grubenhaus in Niederglatt-Nänikon ZH (10.–12. Jh). Die Löcher
in den Ecken der Grube dienten zur
Fixierung der Hauspfosten. In den kleinen Löchern entlang der Grubenwände
sassen die Staketen des Rutengeflechts,
das die Hauswand bildete. Da sich das
Holz im Boden zersetzte, sind die Vertiefungen nur noch anhand von Farbunterschieden erkennbar (stellenweise weiss
markiert).
Kantonsarchäologie Zürich.
Bäuerliche Landsiedlungen
Objekte 22, 26
In früh- und hochmittelalterlichen Landsiedlungen erhoben sich mehrere
Bauernhöfe, die aus verschiedenen Holzbauten bestanden. Das einstöckige Wohnhaus enthielt auch Stallungen. Offene Feuerstellen dienten
zum Kochen, zum Heizen und für
handwerkliche Tätigkeiten. Grubenhäuser, die halbkellerartig in den
Boden eingetieft waren, dienten
meistens als Webkeller oder Lagerraum. Zudem gab es Speicherbauten. Der Bau von mehrgeschossigen Fachwerkhäusern setzte erst
im Spätmittelalter ein.
Archäologische Ausgrabungen
von Landsiedlungen gestalten sich
schwierig. Die Überreste der Holzbauten sind nur als unscheinbare
Bodenverfärbungen erhalten, Feuerstellen zeichnen sich als orange,
gelblich verfärbte Lehmlinsen ab.
Meist sind als Funde nur wenige Keramikscherben, Tierknochen
(Speiseabfälle) und vereinzelte Eisengeräte zu verzeichnen. Bei Bauarbeiten in heutigen Dörfern wer-
Diese Rekonstruktion mit zum Teil
gedecktem Dach zeigt die Konstruktion
eines Grubenhauses.
Experimentelle Archäologie, Bilanz 1991, Archäolog. Mitteilungen aus Nordwestdeutschland,
Beiheft 6, Abb. 2.
32 Thema: Bauen und Siedlungswesen
© STARCH
den diese unscheinbaren Siedlungsreste häufig unerkannt zerstört. Bessere Erhaltungsbedingungen bieten verlassene Dörfer, die
unter Wies- oder Waldland liegen.
Wohnen in der Stadt
Objekte 20, 21, 31–34
Winterthur im Frühmittelalter (um 700).
Entlang der wohl ursprünglich römischen Fernstrasse von Zürich nach Oberwinterthur, der heutigen Marktgasse,
entstand im 6./7. Jh. Niederwinterthur.
Nördlich der Strasse erstreckte sich ein
Friedhof. Dieser wurde im 7./8. Jh. nach
Süden zur ältesten, in Holz errichteten
Kirche verlegt, welche am Platze der
heutigen Stadtkirche stand. Die Gehöfte
waren locker über das Gelände verteilt.
Kantonsarchäologie Zürich.
Winterthur um 1300. Bereits um 1000
n. Chr. setzte die Entwicklung zur Stadt
ein, welche mit dem Stadtrecht von
1264 einen Abschluss fand. Über dem
vergessenen Friedhof des 6./7. Jh.
entstand ein parzellierter Siedlungsteil.
Um 1200 erhielt Winterthur eine Stadtmauer und neue Gassen. In der zweiten
Hälfte des 13. Jh. erweiterte man die
Stadt mit zwei Vorstädten, die zunächst
noch mit einem Wall befestigt waren.
Kantonsarchäologie Zürich.
Die Entwicklung zur Stadt konnte
sich über mehrere Jahrhunderte erstrecken (Zürich und Winterthur).
Die Ausgrabungen in einer Stadt
ermöglichen als einzige Geschichtsquelle die Rekonstruktion
der verschiedenen Ausbauschritte.
Besonders im 13./14. Jh. kam es
zu zahlreichen Neugründungen von Kleinstädten auf unbesiedeltem Gelände (z. B. Glanzenberg ZH) oder im Vorfeld einer Burg (z. B. Regensberg
ZH, Greifensee ZH).
Wichtigste Charakteristika der mittelalterlichen Stadt sind die Befestigung, der Markt und das Stadtrecht. Kirchen, Klöster und Wohnbauten
wohlhabender Einwohner waren in Stein errichtet und ragten über die
Bauten der Umgebung heraus. Die grosse Bevölkerungszahl auf engem
Raum zwang zum Bau mehrgeschossiger Häuser – in gewissem Sinne mit
heutigen Hochhäusern vergleichbar – und funktionierender Versorgungsund Entsorgungsanlagen.
Massive Steinhäuser wurden von
der städtischen Oberschicht seit
dem 13. Jh. gebaut. Im Erdgeschoss befanden sich Lagerräume,
zuweilen auch Werkstätten und
Verkaufsläden. Im ersten Obergeschoss lagen eine beheizbare, manchmal mit aufwändigen
Wandmalereien verzierte Stube
und die Küche. Zur Ausstattung der
Stuben gehörten Kachelöfen. Deren Beheizung von der Küche aus
ermöglichte einen rauchfreien Aufenthalt. Die Entwicklung neuer Kachelformen erlaubte das Darstellen
ganzer Bildprogramme mit religiösen und ritterlich-höfischen Motiven.
Von den Möbeln sind in der Regel nur noch Bestandteile aus Eisen erhalten (Beschläge, Schlüssel). Zur Ausstattung der Stuben vornehmer
Häuser gehörten im Spätmittelalter mit Butzenscheiben besetzte Fenster.
Die oberen Geschosse, welche die Wohn- und Schlafräume enthielten,
konnten auch aus Holz gefügt sein. Zu diesen Wohnbauten gehörten
meist hölzerne Nebenbauten. Hölzerne Wohnhäuser, die ebenfalls Höhen
bis zu drei Geschossen erreichten, waren zwar zahlreich, entziehen sich
aber wegen der späteren Umbauten oftmals dem archäologischen Nachweis.
© STARCH
Thema: Bauen und Siedlungswesen 33
Das Haus in Winterthur an der Oberen
Kirchgasse 18 wurde gemäss dendrochonologischen Untersuchungen im Jahr
1311 unterkellert. Die ansehnliche
Breite des Kellerabgangs von 2,2 Meter
erlaubte unter anderem auch die Einlagerung von Weinfässern im Keller.
Kantonsarchäologie Zürich.
Erst im Verlaufe des 14. Jahrhunderts führte die zunehmende Raumnot
zur Unterkellerung bestehender Häuser. Dazu untergrub man stückweise
die Fundamente, stellte sie auf Holzpfosten ab und mauerte zwischen
diesen die Kellermauer hoch.
Die «Versteinerung» des städtischen Hauses und die Bedachung mit
Ziegeln führte natürlich zu einem verbesserten Brandschutz. Die steinernen Mauern zwischen den Stadthäusern trugen darum schon damals den
Namen «Brandmauern», weil sie bei Hausbränden das Übergreifen auf
benachbarte Häuser verhindern sollten (vgl. das Textbeispiel 19 auf der
CD Musik und Text).
Städtische Infrastruktur
Objekte 14, 28, 30, 35
Gassenoberflächen in mittelalterlichen Städten bestanden aus festgetretenem Kies, auf dem sich nach Regengüssen Pfützen bildeten. Schwere
Die Steinbauten des 13. Jh. in Winterthur verfügten meistens nur über
wenige und kleine Fenster.
Kantonsarchäologie Zürich.
Im Süden der heutigen Altstadt von
Winterthur standen um 1300 mehrere
Steinhäuser, die direkt an die Stadtmauer gebaut wurden. Viele Bauteile
wie Obergeschosse, Dachstühle und
Laubengänge waren aus Holz konstruiert. Bis in heutige Zeit überdauerten
die Brandmauern.
Kantonsarchäologie Zürich.
34 Thema: Bauen und Siedlungswesen
Wasserleitung aus Tonröhren in Zürich,
welche das Dominikanerkloster um
1230 mit Trinkwasser versorgte. Eine
derartige Wasserleitung war damals
einzigartig.
Büro für Archäologie der Stadt Zürich.
Dieser gemauerte Schacht in Zürich
diente als Latrine. Auf einer Abdeckung
aus Brettern stand das WC-Häuschen.
Nicht mehr gebrauchte Latrinen füllte
man mit Abfall auf. Damit werden die
Latrinen zur archäologischen Fundgrube;
ausser im zersetzten Kot enthaltenen
Fischgeräten und Kirschensteinen findet
sich auch Hausrat, der anders als heute
auch in der Latrine entsorgt wurde.
Büro für Archäologie der Stadt Zürich.
Diese Latrine besitzt zwei Sitzlöcher, die
nicht abgetrennt waren. Im Mittelalter
hiess das stille Örtchen im Gegensatz zu
heute «sprachhus», weil man beim Geschäft miteinander diskutieren konnte.
W. MEYER, HIRSEBREI UND HELLEBARDE (Olten 1985), S.182.
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Karren sowie Abdrücke der Füsse von Pferden, Kühen und Schweinen
liessen zahlreiche Unebenheiten zurück. Tierische Exkremente sowie
Speiseabfälle, die auf den Gassen liegen blieben, führten zu heute nicht
mehr vorstellbaren Geruchsbelästigungen. Mehrmals bedeckte man die
Gasse mit neuen Kiesschüttungen. Kopfsteinpflaster kamen erst im Verlaufe des 15. Jh. auf.
Das Holen von Wasser war ein mühsames, zeitraubendes Tagewerk.
Brunnenschächte befanden sich in den Hinterhöfen, oft neben Latrinengruben. Dies führte zur Verunreinigung des Wassers. Winterthur besass
bereits um 1200 einen offenen, durch wichtige Gassen geführten Stadtbach, welcher Brauchwasser in die Stadt leitete. Aus Tonröhren oder aneinander gesetzten, ausgebohrten Holzstämmen (sogenannten Teucheln)
bestehende Wasserleitungen kamen vereinzelt im 13./14. Jh. auf. Sie
spiesen Brunnen in Klöstern oder auf Plätzen. Öffentliche Brunnen galten
im späten Mittelalter als wichtiges Repräsentationsobjekt einer Stadt und
waren reich mit Statuen verziert.
Als Toilette standen Latrinengruben in den Hinterhöfen zur Verfügung.
Waren diese voll, liess man sie ausschaufeln und führte die Fäkalien als
Dünger auf die Felder. Einige Häuser verfügten über Aborterker, welche
sich in schmale Gässchen zwischen den Häusern entleerten. Mittels Bächen oder bei heftigen Regenfällen wurden diese dann durchgespült. Gerade im warmen Sommer boten überlaufende Latrinen häufig den Grund
für nachbarliche Streitigkeiten.
In den Städten befanden sich die verschiedenartigsten Handwerke. Archäologisch sind vor allem jene Gewerbe nachweisbar, deren technische
Einrichtungen wie Öfen (Töpfer, Hafner, Bäcker), Feuerstellen (Buntmetallgieser, Schmiede) oder Bottiche (Gerber) im Boden erhalten blieben
oder deren Abfallprodukte als Müll in Aufschüttungen gelangten (Knochenschnitzer, Glaser). Eine Vielzahl von Berufen entzieht sich weitgehend dem Nachweis (Küfer, Drechsler, Pergamentmacher usw.), da die
Werkstätten keine Spuren hinterliessen.
Zur Stadt gehörten das Badehaus, in dessen Umfeld sich oft zerschlagene Schröpfköpfe finden, sowie Spitäler. Im ersten 1173 gegründeten
Spital in Zürich fanden Arme und Kranke, Fremde und Pilger Aufnahme.
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Thema: Bauen und Siedlungswesen 35
Sondersiechenhäuser, vor allem
für Aussätzige gebaut, befanden
sich ausserhalb der Stadtmauern.
Diese Spitäler finanzierten sich
durch die Erträge aus gestiftetem
Grundbesitz, womit sich die Spender eine Sicherung ihres Seelenheils erhofften.
Kirchen und Klöster
Objekte 16, 19
Kirchen und Klöster mit den dazugehörenden Friedhöfen spielten
im Mittelalter eine herausragende
Rolle. Mit Umbauten und Vergrösserungen auf der Höhe des Zeitgeists stellte sich die Bauherrschaft selber
dar. Der romanische Ausbau des Zürcher Grossmünsters dauerte mit kürzeren Unterbrüchen rund hundert Jahre bis um 1230. Eine besondere
Herausforderung war, die Kirche trotz der Bautätigkeit in Funktion zu halten. In die laufend abgeänderten Baupläne flossen englisch/französische,
oberrheinische und oberitalienische Ideen ein.
Anders als heute nutzte man den Kirchhof (angrenzend an die Kirche)
als Friedhof. Kirche und Friedhof waren Treffpunkte; hier traf man sich zu
Gedächtnisfeiern für Verstorbene und Ratsbeschlüsse wurden vor versammeltem Kirchenvolk verlesen.
Zürich um 1250. Noch ist das Gelände
beidseits des Flusses locker überbaut.
Deutlich heben sich die in Stein gebauten Kirchen und Häuser ab. 1 Fraumünster, 2 Grossmünster, 3 St. Peter, 4 Bebauung am Münsterhof, 5 Obere Brücke,
6 Wasserkirche, 7 Untere Brücke, 8 Rathaus, 9 Fischmarkt, 10 Umfriedung des
Klosterareals Fraumünster, 11–13 Adelstürme, 14 Wies- und Rebgelände, 15
Rindermarkt-Neumarkt.
M. U. N. FLÜELER (Hg.) Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300 (Stuttgart 1992), S.81.
Burgen
Die Burg, wehrhafter Wohnsitz adliger Familien und Verwaltungsmittelpunkt einer zugehörigen Herrschaft, war ein weithin sichtbares Merkmal
des hoch- und spätmittelalterlichen Landschaftsbilds. Als Burgenbesitzer
treten uns im 11. und 12. Jh. Hochadlige – beispielsweise die Grafen von
Kyburg und die Freiherren von Regensberg –, später auch zahlreiche An-
Das Leben auf der Burg
Die Dichter mittelalterlicher, höfischer Ritterromane stellten das
Leben auf der Burg in den prächtigsten Farben dar. Weitgehend
vorbehaltlos übernahm die Romantik im 19. Jh. diese idealisierten Beschreibungen, was bis in
heutige Zeit nachwirkt. Archäologische Erkenntnisse korrigieren
dieses Bild. Die zahlreichen kleinen Burgen waren eigentlich befestigte Landwirtschaftsbetriebe,
in denen man auch Tiere hielt.
Zuweilen lagen Stallungen direkt
unterhalb der Wohnstuben, da die
Wärme der Tiere die Heizleistung
der Kachelöfen verbesserte. Noch
fehlte Fensterglas weitgehend, um
die Räume gegen die Winterkälte
isolieren zu können. Ein wichtiger
Teil des Alltags bestand aus häuslichen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten, an denen sich auch die
meisten niederen Adligen beteiligten. Natürlich fiel der Alltag der
Hochadligen komfortabler aus, die
sich ihren grundherrlichen Pflichten zu widmen hatten, während
Mägde und Knechte das Tagewerk
vollbrachten.
Der romanische Umbau des Zürcher
Grossmünsters. Die neue Kathedrale
wurde so um den älteren Kirchenbau
herumgebaut, dass dieser möglichst
lange gebraucht werden konnte. Das
bereits verkürzte Schiff war mit einer
provisorischen Bauwand abgedichtet.
Um die Kirche muss man sich noch die
Werkstätten von Steinmetzen, Schmieden sowie Mörtelmischwerke vorstellen.
D. GUTSCHER, Grossmünster Zürich, Schweizerischer
Kunstführer 326 (Bern 1983), Abb. 4 u. 5.
36 Thema: Bauen und Siedlungswesen
Baustelle auf einer Burg. Im Hintergrund sind Steinmetze und Zimmermänner zu sehen. Im Vordergrund
erkennt man das Kalkbrennen, Mörtelmischen sowie das Hochziehen von
Quadern mit einem einfachen Kranen.
H. BOXLER, Burgenland Schweiz, Bau und Alltag
(Solothurn 1990).
Burgruine Alt-Regensberg ZH. Im Zentrum steht der Hauptturm. Innerhalb
der Ringmauer erhoben sich Wohn- und
Wirtschaftsbauten.
© STARCH
gehörige niederer Adelsschichten entgegen. Gerade bei deren Burgen beschränkten sich zugehörige Herrschaftsrechte vielfach auf die gerodeten
Flächen im unmittelbaren Umfeld der Burg, die
landwirtschaftlich genutzt wurden.
Im Kanton Zürich standen vor allem kleine Burgen, die meist nur einen Hauptturm, ein Wohngebäude und landwirtschaftliche Bauten aufwiesen.
Nur wenige Burgen verfügten über mehrere
Steingebäude und eine Kapelle. Die Wasserversorgung stellten ausser Zisternen auch Sodbrunnen sicher. Deren bis in wasserführende Gesteinsschichten abgeteufte Schächte mit Tiefen bis zu
57 Metern sind herausragende Zeugnisse mittelalterlicher Tiefbaukunst.
Burggräben wurden zur Gewinnung des Baumaterials in die Felsen gehauen, waren aber zusamment mit den Ringmauern auch wehrhafte
Teile. Die militärische Bedeutung einer Burg war entgegen landläufiger
Meinung äusserst gering, die Ausstattung bot im besten Fall Schutz vor
einem handstreichartigen Überfall. Stand hingegen eine geplante militärische Aktion bevor, blieb den Bewohnern vielfach nur die Flucht
(Schauenberg ZH).
Die Entstehung von grossflächigen Herrschaftsgebieten mit wenigen
Verwaltungssitzen sowie die Wirtschaftskrise führten im Spätmittelalter
zur Aufgabe zahlreicher Burgen. Im Umfeld von Zürich erstanden einige
Familien aus dem städtischen Patriziat Burgen, die sie mit grossem Aufwand ausbauten und so an die adlige Lebensweise anknüpften. Die
Wehrhaftigkeit war nunmehr Zierde.
Werner Wild
Weiterführende Literatur
Kantonsarchäologie Zürich.
CH. BADER, Die mittelalterlichen Siedlungsreste von NiederglattNöschikon. In: Archäologie im Kanton Zürich 1999–2000, Berichte der
Kantonsarchäologie 16 (Zürich und Egg 2002) S. 121–140.
K. BÄNTELI, M. HÖNEISEN, K. ZUBLER, Berslingen – ein verschwundenes Dorf
bei Schaffhausen. Mittelalterliche Besiedlung und Eisenverhüttung im
Durachtal. Schaffhauser Archäologie 3 (Schaffhausen 2000).
H. BOXLER, Burgenland Schweiz, Bau und Alltag (Solothurn 1990).
N. U. M. FLÜELER (Hg.) Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt
um 1300 (Stuttgart 1992).
D. FLÜHLER-KREIS, Farbfolien mit Kommentar zum Ausstellungskatalog
Schloss Kyburg (Zürich 2001).
R. GLATZ, Burgdorf – Ehemaliges Siechenhaus. Ergebnisse der archäologischen Grabungen und Bauforschungen 1989 bis 1991 (Bern 1995).
M. GRAF u.a., Hintergrund – Untergrund. Archäologische Entdeckungsreise durch Winterthur, Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur
331 (Zürich 2000).
M. ILLI, Von der Schîssgruob zur modernen Stadtentwässerung (Zürich
1987).
M. ILLI, R. WINDLER, Stadtkirche Winterthur, Archäologie und Geschichte
(Winterthur 1994).
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6
Thema: Bildung und Wissenschaft 37
Bildung und Wissenschaft
Ein Verständnis für die mittelalterliche Struktur von Bildung setzt Abstrahierung von seither entfalteten Denkformen voraus. Insbesondere das
18. Jh. hat die Konzeption von Bildung als Leitbegriff für die Individualitäts- und Freiheitsidee der Aufklärung bis in unsere Zeit hinein geprägt.
Bildung wurde damals vor allem auf eine Lese- und Schreibfähigkeit verengt und das Analphabetentum verpönt. Im Mittelalter war Analphabetentum dagegen nicht mit Unbildung deckungsgleich. Das Mittelalter
kennt neben dem althochdeutschen Wort zucht eine Vielzahl lateinischer
Begriffe (educatio, eruditio, disciplina, doctrina, informatio, formatio morum, institutio, ars, scientia, sapientia, peritia), die allesamt Nähe zu Unterweisung, Lernen bzw. Lehren, Gehorsam sowie zu Wissenschaft oder
Erfahrung widerspiegeln und damit ein weites Bedeutungsspektrum von
Bildung und Erziehung aufzeigen.
Die Eigenart der ständisch differenzierten Bildung und Erziehung im
Mittelalter wurzelte im Erbe aus zwei Kulturen: In der Völkerwanderungszeit traf die aus mediterranen Schriftkulturen gewachsene spätrömische
Welt auf das Germanentum, das bis ins Hochmittelalter eine schriftlose
Bildung kultivierte. Die Kirche fungierte während des Mittelalters als Kontinuitätsträgerin von römischer Administration und lateinischer Schriftlichkeit, während die weltlichen Gesellschaftsschichten – vom Bauern bis hin
zum regierenden Hochadel – lange in der volkssprachlichen Schriftlosigkeit verharrten.
Bildung, Erziehung und Wissenschaft waren im mittelalterlichen Weltbild getragen von der philosophischen Idee einer theologischen und hierarchisch gestuften Einheit der Schöpfung. In diese Hierarchie fügten sich
auch die verschiedenen Wissenschaften ein, wobei nicht deren Erkenntniszweck, sondern vielmehr die Erkenntnisweisen ihre Position auf der
Stufenleiter bestimmten. Im Vordergrund stand oft eine normierte und
standardisierte, ausschliesslich auf Erfahrung beruhende Wissenschaft,
die in der Scholastik eine Blüte fand. So standen die sieben artes liberales (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik
und Astronomie) in der Hierarchie über den artes mechanicae, die der
«blossen» Ingenieurtätigkeit zugeschrieben wurden.
In der Zeit vor 1100 wurden Bildung und Wissenschaft vor allem in
den Klöstern gepflegt. Mönche schrieben alte Bücher ab und kommentierten sie. So entstanden u.a. in den Skriptorien (Schreibstuben) der
Klöster Rheinau ZH, St. Gallen und Reichenau (D) Schätze der Buchmale-
«Hier erschafft Gott den Himmel, die
Erde, die Sonne, den Mond und alle Elemente.» So lautet auf Altfranzösisch die
Überschrift über diesem Bild, mit dem
in einer französischen Bibel des 13. Jh.
das erste Buch der Genesis beginnt. Der
Zirkel, mit dem Gott die Grenzen des
Universums definiert, ist ein typisches
Arbeitsgerät auf den Baustellen im Mittelalter. Gott symbolisiert damit auch
den bedeutenden Beruf des Baumeisters, der nur freien Männern offen
stand und eine lange Lehrzeit sowie
profunde Kenntnisse in Mathematik und
Geometrie voraussetzte.
R. TOMAN, Das hohe Mittelalter. Besichtigung einer
fernen Zeit (Köln 1988), S. 98.
Links: Im Mittelpunkt dieser Weltkarte
des 13. Jh. liegt Jerusalem. Oben befindet sich Asien, links unten Europa,
rechts Afrika, an dessen Rand seltsame
Geschöpfe dargestellt sind.
R. BARLETT (Hg.), Die Welt des Mittelalters. Kunst,
Religion, Gesellschaft, Enzyklopädie mit 800 Bildern (Stuttgart 2001), S. 208.
Rechts: Ausschnitt einer Karte von
1513. Der Norden befindet sich unten.
Nun sind einzelne Ortschaften, Hügel
und Gewässer gut erkennbar. Ihre Darstellung richtet sich nach Bekanntheit
und Bedeutung. In der Bildmitte liegt
Zürich (Turegum), am oberen Rand
Schwyz.
N. U. M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.) Geschichte des
Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 393.
38 Thema: Bildung und Wissenschaft
Dieser Mönch auf einem um 1170
gemalten Bild ist dabei, einen Text zu
schreiben. Rechts hält er die Schreibfeder, links ein Radiermesser, um Fehler
auskratzen zu können.
R. TOMAN, Das hohe Mittelalter. Besichtigung einer
fernen Zeit (Köln 1988), S. 98.
© STARCH
reikunst. Der grösste Teil der antiken Literatur – die Schriften der altgriechischen Gelehrten wie Archimedes, Aristoteles und Pythagoras – wurden im Mittelmeerraum ins Arabische übersetzt und gelangten erst allmählich ab dem 11. Jh. über das muslimische Spanien in den mitteleuropäischen Raum. Die Kirche versuchte aber die wissenschaftliche und philosophische Auseinandersetzung mit antikem Gedankengut weitgehend
zu unterbinden. Gelehrte wie etwa der im süddeutschen Raum geborene
Albertus Magnus (um 1200–1280) wagten als Mönche den Spagat zwischen Wissenschaft und Kirche, setzten sich mit den antiken Autoren auseinander und waren immer drohenden kirchlichen Sanktionen (z. B. Exkommunikation) ausgesetzt.
Das Aufblühen der städtischen Kultur, das Aufkommen einer rudimentären Verwaltung und die Ausdehnung des Handels im Spätmittelalter
führten zu einer rasanten Zunahme schriftlicher Zeugnisse im Laufe des
13. Jh., vor allem aber im 14. und 15. Jh. Wenn noch im Hochmittelalter
der Schriftgebrauch und damit die Wissenschaft fast ausschliesslich auf
den kirchlichen Bereich konzentriert war, weitete sich dieser im Spätmittelalter insbesondere auch auf die Städte aus. Im Zuge der frühen Entdeckungsreisen wurde das mittelalterliche Weltbild und seine kartographische Darstellung revolutioniert. Die schematische und sicherlich auch
symbolische Darstellung der Welt als Scheibe, in deren Mittelpunkt Jerusalem lag, mit den vom Meer und Ungeheuern umgebenen Landmassen
hatte geringen praktischen Nutzen für die Seefahrt. Im 15. und 16. Jh.
entstehen immer detailliertere Landkarten, sowohl von den entdeckten
Küstenabschnitten Afrikas und Asiens wie auch von der näheren Umgebung – etwa der Umgebung von Zürich.
Auswendiglernen in den mittelalterlichen Schulen
Da Bücher als Schulmaterial
weitgehend fehlten, bestand
das Lernen aus dem endlosen
mündlichen Nachsagen von
Texten. Memorieren durch Repetieren beherrschte den Schulalltag. Da vor allem religiöse
Texte eingeübt wurden – die
Schule bot natürlich die Gelegenheit, die gesellschaftliche
und gottgewollte Ordnung einzutrichtern –, fühlt man sich bei
der Vorstellung des Unterrichts
in
einem
mittelalterlichen
Schulzimmer an die Bilder der
heutigen Koranschulen erinnert.
Das Textbeispiel auf dem Bild
zeigt den «Cisiojanus», ein
Lehrgedicht, welches die wichtigsten Daten des Heiligenkalenders mnemotechnisch einprägen soll. Im lateinischen um 1200
entstandenen Original ist jeder
S. LORENZ, Th. Zotz (Hg.), Spätmittelalter am Oberrhein. Alltag, Handwerk und Handel 1350–1525.
Ausstellungskatalog Karlsruhe. Katalogband
(Karlsruhe 2001), S. 243.
Monat in zwei Versen gefasst
und besteht aus einer Aneinanderreihung der Anfangssilben der Heiligenfeste sowie des Monatsnamens. Es
beginnt: Cisio Janus Epi =
Circumcisionis Christi Janus
Epiphaniae = Christi Beschneidungsfest (1.1.), Januar, Dreikönigstag. Komplette Januarverse: «Cisio Janus Epi sibi vendicat Oc Feli
Mar An Prisca Fab Ag Vincen
Ti Pau Po nobile lumen». Das
Gedicht wurde bis weit ins
15. Jh. gebraucht und wie
vorliegendes Beispiel von
1524 zeigt, ins Deutsche
übersetzt: «Jenner hat XXXI
tag. Jesus das kind ward beschnitten. drey künig von orient
komen geritten. und opfferten
dem herzen lobesan.»
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Thema: Bildung und Wissenschaft 39
Nur aufgrund archäologischer Funde
weiss man, dass die Wikinger von Skandinavien gegen das Ungewisse im Westen gesegelt waren und die Inseln Island, Grönland
und den Norden des amerikanischen Kontinents erreichten. Diese Leistung wäre ohne
geeignete Schiffe, ohne grossen Mut und
Entdeckungswillen unmöglich gewesen.
Schulen im Mittelalter
Objekt 35, Klangbeispiele auf der CD Musik und Text.
Die Ausbildung war bis ins 13./14. Jh. auf
Klöster beschränkt, noch gab es erst wenige
Universitäten (Bologna: 1118; Paris: 1150
gegründet). Das Aufkommen der Städte, die
Organisation des Handwerks und die Zunahme des Handels führten auch zur Verbesserung im Bildungswesen. Nach wie vor
bildeten die Klöster ihren eigenen Nachwuchs aus. Zu diesen Klosterschulen, deren Anzahl durch die Gründungen der Bettelmönchsorden anstieg,
gesellten sich Lateinschulen. Deren Schulmeister wurde von der Stadt
angestellt. Latein war nach wie vor die internationale amtliche Schriftsprache, auch wenn allmählich im späten 13. Jh. deutsch verfasste
Urkunden auftauchen. Das damals gesprochene Mittelhochdeutsch
wurde immerhin bereits seit dem 12. Jh. neben dem Latein als
Sprache der Literatur verwendet (Ritterromane, Minnelieder: vgl. die
Klangbeispiele 13–15, 17–18 auf der CD Musik und Text).
Die Schulen blieben den Jungen vorbehalten, weshalb sie Knabenschulen genannt wurden. Hier erfolgte die Grundausbildung in Latein und
Chorgesang. Letzterer entsprach den Bedürfnissen der kirchlichen Litur-
Dieses Bild aus der zweiten Hälfte des
14. Jh. zeigt eine Vorlesung an der
Universität von Bologna. Hier sind auch
ältere Männer sowie zwei Frauen zu
sehen.
N. U. M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte des
Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 191.
Wachstafeln für Schreibübungen und Notizen
Natürlich mussten auch Schreibübungen erledigt werden. Dafür
boten sich die seit der Antike bekannten hölzernen Schreibtäfelchen an. Die häufig aus Buchenholz geschnittenen Tafeln wiesen
eine eingetiefte Fläche auf, die
G. P. FEHRUNG, Stadtarchäologie in Deutschland
(Stuttgart 1996), Abb. 70.
mit Bienenwachs aufgefüllt wurde. In dieses Wachs konnte man
mit einem spitzen Gegenstand
Texte schreiben. Das andere Ende
dieser Griffel war flach, sodass
man die Fläche wieder glätten und
erneut darauf schreiben konnte.
Die abgebildeten Schreibtäfelchen wurden in Lübeck (D) gefunden. Da sich Holz im Boden zersetzt, findet man meistens nur die
aus Eisen oder Bronze hergestellten Griffel. Die Unterscheidung von
Nadeln, Nägeln und kleinen Ahlen
ist aber schwierig und nur möglich,
wenn sich das flache hintere Ende
erhalten hat.
Die Griffel unten stammen alle
von der Burg Alt-Wädenswil ZH.
Der Fundort erstaunt auf den ersten Blick. Zwischen 1300 und 1549
war die Burg aber im Besitz der Jo-
hanniter, eines geistlichen Ritterordens, dessen Mitglieder grösstenteils über Schreib- und Lesekenntnisse verfügten.
Kantonsarchäologie Zürich.
40 Thema: Bildung und Wissenschaft
Dieses Bild aus der Manessischen Liederhandschrift zeigt zwei Schulstuben
(Anfang 14. Jh.). Beide Lehrer erheben
den Zeigefinger und halten eine Rute in
der Hand. Die grüne Rute war das Symbol für Grammatik bei der Darstellung
der sieben Künste (Fächer). Der grosse
Lehrer links trägt einen Bart, der für Alter und Weisheit steht, und ist weltlich
gekleidet. Unter ihm sitzen zwei Schüler, wobei der linke aufgrund seiner
Tonsur zum geistlichen Stand gehört.
Der Lehrer rechts ist auch Geistlicher.
I. F. WALTHER, Codex Manesse. Die Miniaturen
der Grossen Heidelberger Liederhandschrift
(Frankfurt a. M. 1988), Nr. 96.
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gie, die auf den lateinischen Wechselgesang von
Priestern und ausgebildetem Chor basierte.
In den Städten gab es die unter Aufsicht der städtischen Oberschicht geführten deutschen Schulen für
jene, die nicht für die Lateinschule geeignet oder zugelassen wurden: Handwerksburschen und Mädchen.
Daneben gab es sogar ein Angebot für private Kurse,
wie ein Beispiel aus Basel zeigt. Hier bot Oswald
Geisshüsler 1526 neben dem regulären Kirchenunterricht Schnellkurse für jeden, Mann und Frau, Jung und
Alt, in «deutsch Schreiben und Lesen» sowie in Buchhaltung an.
Im 15. Jh. kam es im süddeutschen Raum zur Gründung von Universitäten (u. a. Basel und Freiburg im
Breisgau D 1460). Die Studiengänge waren europaweit einheitlich strukturiert. Beim Eintritt mit 14 bis 16
Jahren musste man über genügende Lateinkenntnisse
verfügen. Das Grundstudium der freien Künste (Artisten) ist etwa mit der heutigen gymnasialen Oberstufe
vergleichbar. Danach folgten die höheren Fakultäten
der Juristen, Mediziner und Theologen.
Spätestens seit dem 15. Jh. hatten Lehrer in der Regel ein Universitätsstudium absolviert. Das Salär setzte
sich aus Geld- und Naturalbeiträgen der Schulleitung,
der Schüler und kirchlicher Stiftungen zusammen.
Dem Lehrer ging meistens ein Gehilfe zur Hand, der den Ofen in der
Schulstube beheizte, über die Disziplin wachte und beim Abfragen der
Schüler half. Die Anzahl Schüler, die zusammen in einem Raum unterrichtet wurden, konnte 60 bis 70 erreichen.
Schulalltag
Der Schuleintritt erfolgte ungefähr nach Abschluss des 7. Lebensjahres.
Alle Alterstufen wurden zusammen in einem Zimmer unterrichtet. Dabei
gab es aber kein nach Jahrgang gegliedertes Programm; ältere Schüler
unterschieden sich von jüngeren hauptsächlich durch die Anzahl Wiederholungen desselben Stoffs. Über den Übertritt an die Universität entschieden die Kenntnisse im Latein und das vorhandene Geld für den eigenen Lebensunterhalt.
Wie den autobiographischen Berichten beispielsweise des Wallisers
Thomas Platter (1499–1582) zu entnehmen ist, entschieden die Gelegenheiten zum Betteln oder bezahlten Singen über die Wahl des Studienorts.
Almosen an Schüler zu vergeben gehörte zu den «guten Werken» im
Sinne der eigenen Jenseitsvorsorge (je mehr Geld man spendete, desto
früher durfte man das Fegefeuer verlassen). Die Beschaffung des Lebensunterhalts war auch verantwortlich für Unterbrechungen oder Abbruch
des Schul- und Universitätsbesuchs. Dabei wurden jüngere ABC-Schützen
von den älteren Burschen brutal zum Betteln und Stehlen gezwungen.
Der Abschluss des Universitätsstudiums war nicht nur von den fachlichen
Leistungen abhängig. Zum Erwerb des Doktortitels mussten die Studenten ein grosses Essen für die Professoren veranstalten und ihnen und
ihren Ehefrauen Geschenke machen.
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Thema: Bildung und Wissenschaft 41
Auch bezüglich Pensum und Ferien manifestieren sich Unterschiede
zu heute. Schulfrei waren der Donnerstag- und Samstagnachmittag, dafür
wirkten die Schüler an Sonn- und Feiertagen an Gottesdiensten mit.
Eigentliche Schulferien waren unbekannt, doch fiel an den vielen kirchlichen Feiertagen des Jahres der Unterricht aus. Diese Freitage entsprachen etwa der Dauer der heutigen Schulferien.
Die Schulfeste boten Unterbrechungen des trockenen Schulalltags.
Heute noch beliebt ist der Schulsilvester, der auf das am Tag der Unschuldigen Kindern am 28. Dezember gefeierte Narrenfest zurückgeht. Da
wurde die «verkehrte Welt» inszeniert. Schüler wählten einen «Schülerbischof» und verkleideten sich als Narren und Kapläne. Abends gingen
sie in ein Wirtshaus zum Nachtessen oder veranstalteten ein Tanzfest.
Hierfür war die Fraumünsterschule in Zürich berühmt. Wegen den Schulferien findet heute der Schulsilvester vor Weihnachten statt. Das Herauslärmen der Lehrer und Umherziehen lassen noch deutliche Bezüge zur
verkehrten Welt erkennen.
Im frühen 16. Jh. erfahren wir auch erstmals von Schülertheatern. Die
Schüler des Zürcher Grossmünsters führten zu Neujahr 1514 ein «Spiel
von den alten und jungen Eidgenossen» auf, in dem sie den Solddienst
der Zeitgenossen kritisierten und Genügsamkeit, Frömmigkeit und Fleiss
der Vorfahren priesen.
Wissen und Bildung ausserhalb der Schulen
Objekte 1, 6, 10, 20, 21, 27, 34, 35
Die Darstellung des spätmittelalterlichen Schulwesens darf nicht darüber
hinwegtäuschen, dass schulische Bildung ein Privileg war. So gingen
Bauernkinder auf dem Land nicht zur Schule, sie wurden früh als Arbeitskräfte eingesetzt.
Auch die grossen Erfindungen
und Leistungen in Handwerk und
Technik entstanden nicht an den
Hochschulen, sondern in den Werkstätten und auf den Bauplätzen.
Nach der Ausbildung in der Werkstätte folgten die Wanderjahre, wie
man sie heute etwa noch von den
Zimmerleuten her kennt. Da gelangten natürlich neue Errungenschaften sehr rasch von einer Stadt
in die andere. Auch die Bildung
von Zünften in den spätmittelalterlichen Städten führte zu einem guten Informationsaustausch und der
Festlegung von Qualitätsnormen
innerhalb eines Berufsstandes.
Anhand der archäologischen
Funde kann der Austausch von Innovationen nachvollzogen werden,
wie folgende Beispiele zeigen. Bei
der Ofenkeramik erfolgt das Auftauchen neuer Kachelformen, etwa
der viereckigen Blattkacheln in der
Das Reisen und die Kontakte der Oberschicht förderte die Vermittlung fremder Einflüsse. In ihrer Burg Neu-Regensberg ZH liessen die Freiherren von
Regensberg einen runden Hauptturm
errichten, wie er im westschweizerischen Raum Mode war.
N U. M. FLÜELER (Hg.), Stadtluft,
Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300
(Stuttgart 1992), S. 25.
42 Thema: Bildung und Wissenschaft
© STARCH
ersten Hälfte des 14. Jh. im Raum Basel, Bern, Zürich, Winterthur, derart
rasch, dass nicht mehr zu entscheiden ist, wo die Erfindung erfolgte. Interessant sind auch Beobachtungen bei der Geschirrkeramik: Bis zum
12./13. Jh. gab es noch regionale Unterschiede in Aussehen und Machart. Ab dem späten 13. Jh. finden sich Gefässe wie die Dreibeintöpfe, die,
ob aus Winterthur oder Basel stammend, zum Verwechseln ähnlich aussehen. Auch im Glasbläserhandwerk führte die Entwicklung zu weiträumigen Vereinheitlichungen, wie vor allem die Nuppenbecher zeigen.
Einige im Archäologie-Koffer versammelte Objekte stehen als Beispiele für die zahlreichen Errungenschaften des hohen und späten Mittelalters. Kachelöfen trugen zur Steigerung des Wohnkomforts bei, ermöglichten sie doch die rauchfreie Beheizung von Innenräumen. Glasfenster
wiesen in wohlhabenden Haushalten die Kälte ab. Der Hufbeschlag von
Pferden verbesserte u.a. deren Einsatz im Krieg und auf Reisen. Pferde
konnten dank der Kummetbespannung ab dem 13. Jh. in der Landwirtschaft eingesetzt werden und waren gegenüber den Ochsengespannen
weitaus leistungsfähiger. Die Entwicklung des horizontalen Webstuhls
führte zu Verbesserungen in der Tuchherstellung. Handgeschöpftes Papier
(anstelle des teuren Pergamentes) war Voraussetzung für die grössere
Verbreitung von Büchern und Flugblättern. Mit den Modeln zur Dekoration von Gebäck und Ofenkacheln fassen wir eine Vervielfältigungstechnik. Ein Höhepunkt dieser Technik ist der nur in seltenen Fällen
archäologisch fassbare Buchdruck in der zweiten Hälfte des 15. Jh.
Andrea Tiziani / Werner Wild
Weiterführende Literatur
R. BARLETT (Hg.), Die Welt des Mittelalters. Kunst, Religion, Gesellschaft,
Enzyklopädie mit 800 Bildern (Stuttgart 2001).
N. U. M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 1:
Frühzeit bis Spätmittelalter (Zürich 1995), S. 462–463.
U. LINDGREN (Hg.), Europäische Technik im Mittelalter. Ein Handbuch
(Berlin 1996).
D. MERTENS, Bildung. In: S. Lorenz, Th. Zotz (Hg.), Spätmittelalter am
Oberrhein. Alltag, Handwerk und Handel 1350–1525. Ausstellungskatalog Karlsruhe. Katalogband (Karlsruhe 2001), S. 239–246.
E. ROTH KAUFMANN, Spätmittelalterliche reliefierte Ofenkeramik in Bern
(Bern 1994).
G. WIELAND, Ars und Scientia im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
(Tübingen 2002).
© STARCH
7
Thema: Spiel und Kurzweil 43
Spiel und Kurzweil
Spiel und Fest waren sowohl für Kinder wie auch für Erwachsene bedeutend im Alltagsleben. Zahlreiche mittelalterliche Geschicklichkeits-,
Beweglichkeits- wie auch Brett- und Kartenspiele bestehen bis heute
(Reifen, Stelzen gehen, Windrädchen, Seilspringen, Ringen, Steinstossen,
Schiessen, Wettrennen, Fechten). Manchmal sind die Spielplätze sogar
am gleichen Ort geblieben: Auf dem Zürcher Lindenhof gab es bereits im
Jahr 1474 Schaukeln und Tische mit Schachspielen.
Spiele für Kinder und Erwachsene
Von den zahlreichen auf bildlichen Darstellungen gezeigten Spielgeräten
haben nur wenige die Zeit überdauert: Murmeln und Figürchen aus Ton,
Kindergeschirr und selten Holzpuppen. Ähnlich wie heute ahmten die
Kinder die erwachsene Welt nach und übten so bereits die späteren gesellschaftlichen Rollen ein.
Einer grossen Beliebtheit erfreuten sich Gesellschafts- und Glücksspiele. Zum Würfeln gesellte sich nach 1370 das Kartenspiel. Weil oft um
Geld gespielt wurde, war die Problematik der Spielsucht allgegenwärtig.
Die Kirche kritisierte deshalb diese Spiele als unchristlich und forderte deren Verbot. Auch die Stadtbehörden versuchten im 14./15. Jh. erfolglos,
Spielverbote durchzusetzen, um Schlägereien zu verhindern.
In sportlichen Wettkämpfen massen sich Kinder wie Erwachsene. Beliebt waren Wettrennen, Ringen, Schiessen und Imitationen von Turnie-
1560 malte Pieter Bruegel der Ältere
das berühmte Bild «Kinderspiele»,
das sich heute im Kunsthistorischen
Museum Wien befindet. Zahlreiche
der 78 dargestellten Spiele sind heute
noch beliebt.
JEANETTE HILLS, Das Kinderspielbild von Pieter
Bruegel d. Ä. (1560), Eine volkskundliche Untersuchung. Veröffentlichungen des Österreichischen
Museums für Volkskunde, X (Wien 1957).
44 Thema: Spiel und Kurzweil
© STARCH
ren. Ein sportliches Vergnügen der Oberschicht war die Jagd. Besonders
aufwändig wegen der Abrichtung der Vögel war die Falknerei.
Brettspiele
Objekte 36–38
Tricktrack-Spielbrett aus Freiburg im
Breisgau (D). Dieses kunstvolle Spiel
stammt aus dem 13. Jh. Der Fundort
in einer Klosterlatrine wirft Fragen auf.
Wurde es von Mönchen absichtlich weggeworfen, um nicht beim Spielen auf
dem Abort erwischt zu werden, oder
warf es der Abt als Strafe in die Latrine?
G. P. FEHRING, Stadtarchäologie in Deutschland
(Stuttgart 1996), Abb. 81.
Der Teufel schwebt über vier Personen,
die eine Partie Tricktrack spielen. Kirche
und Obrigkeit sahen in solchen Spielen
in erster Linie eine Gefährdung der
Menschen.
J. BRÜLISAUER, H. DRAEYER, Y. JOLIDON (Hg.), Alltag zur
Sempacherzeit. Innerschweizer Lebensformen
und Sachkultur im Spätmittelalter. Ausstellungskatalog des Historischen Museums Luzern (Luzern
1986), Titelbild.
Die wichtigsten Brettspiele waren Schach, Tricktrack (das heutige Backgammon) und Mühle. Die beiden letztgenannten Spiele blicken auf antike Vorläuferspiele zurück, die auch in unserer Gegend gespielt wurden.
Das vermutlich bereits im 3./2. Jh. v. Chr. in Indien erfundene Schach erreichte dagegen erst im 6./7. Jh. n. Chr. den persisch-arabischen Raum,
wobei es nach dem persischen Wort für König «Shah» benannt wurde.
Das Schach gelangte dann auf zwei Wegen nach Europa: über Handelswege von Persien durch Russland und den Ostseeraum sowie über den
arabischen Mittelmeerraum. Hier führte eine Auslegung des Korans, welche die Darstellung von Figuren verbietet, zur Erfindung von abstrakten
Figuren. Bis ins 13./14. Jh. bestanden in Mitteleuropa sowohl abstrakte
wie auch figürliche Spielsätze nebeneinander. Das Schach wurde als Abbild der Gesellschaftsordnung gesehen: «Die Welt gleicht einem Schachspiel, sie hat auch Könige und Königinnen, Grafen (Türme), Ritter (Springer), Bischöfe (Läufer) und Bauern.»
Auch beim Backgammon dürfte der zunehmende Kontakt des Abendlandes mit der muslimischen Welt im 11./12. Jh. zu einer wachsenden
Beliebtheit des Spiels in Europa geführt haben. Die heutigen Regeln entstanden jedenfalls erst im Mittelalter. Der Name «Tricktrack» ist französischen Ursprungs (von triebrac). Eine sprachliche Wurzel ist sicher frz. tricher: austricksen. «Track» könnte noch im heutigen Wort «vertrackt»
(schwierig) weiterleben. So gesehen wäre Tricktrack ein sehr sinngemässer Name für dieses strategische Brettspiel.
Wertvolle und einfache Spiele
Besonders wertvolle Spiele besassen Steine aus Bergkristall, Elfenbein oder Geweih und hölzernen
Brettern, deren Felder mit Intarsien
oder mit Knochenplatten ausgelegt
waren. Daneben gab es natürlich
eine Vielzahl von einfachen geschnitzten Holzfiguren und in Holz
oder Stein eingeritzte Spielpläne.
Diese haben sich aber nur in seltenen Fällen erhalten. Würfel waren
aus Knochen oder Holz geschnitzt.
Wie in der Römerzeit war auch
im Mittelalter das Spielen mit Knöchelchen, den Astragalen aus den
Sprunggelenken von Schafen und
Ziegen, verbreitet. Wie heute noch
in nordafrikanischen Ländern, der
Türkei und der Mongolei galt es als
unterhaltsames Geschicklichkeitsund Würfelspiel.
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Thema: Spiel und Kurzweil 45
Feste
Das Fest war eine willkommene Abwechslung
im eintönigen Alltag. Sowohl private Lebensabschnitte wie Taufe, Eintritt ins Erwachsenenleben
und Hochzeit als auch öffentliche Handlungen –
etwa Bundesbeschwörungen, Verkündung von
Verträgen und Besuche hochgestellter Persönlichkeiten – bildeten Anlässe für ausgelassene Feiern.
Dazu gesellten sich mehrere Dutzend kirchliche
Feiertage, Namenstage von Heiligen – erinnert sei
an den Stefans- und den Berchtoldstag –, Kirchweihen und Termine wie Fasnacht, Fruchtbarkeitsund Erntefeste. Auch Kirchweihen und jährliche,
gemeinsame Wallfahrten waren mit Tanz und
sportlichen Wettkämpfen verbunden.
Feste erlebte man als Ausnahmezustand, der
die Ordnung und Gesetze des Alltags weitgehend ausser Kraft setzte. Sie
boten die Gelegenheit, Nachrichten auszutauschen und überregionale
Kontakte zu knüpfen. Begegnungsfeste zweier verbündeter Städte oder
auch auf bestimmte Bevölkerungsgruppen beschränkte Feiern wie ritterliche Turniere oder Zunfttage förderten das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Die festliche Stimmung konnte wegen des übermässigen Alkoholgenusses in wüste, mit Händen und Waffen ausgetragene Raufereien münden,
deren Kontrolle der Obrigkeit oftmals entglitt.
Bildliche Darstellungen von Festen kennen wir aus illustrierten Handschriften. Hingewiesen sei auf die in Zürich im beginnenden 14. Jh. ent-
Schützenfest in Konstanz 1458 (Chronik
des Diebold Schilling, Luzern). Innerhalb
des Zauns steht ein fahrbarer Schützenstand. Rechts ist eine Schlägerei zwischen Einheimischen und Eidgenossen
im Gange, deren Münzen als «Kuhplapparte» (Kuhpfennig) beschimpft und
abgewiesen wurden. Darauf verwüsteten diese mit Verstärkung aus der Innerschweiz das Umland von Konstanz
und waren erst unter Vermittlung Zürichs bereit, mit einer finanziellen Abfindung abzuziehen.
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985),
S. 293.
Das höfische Fest – Vom Ritterturnier zur Parodie
Die spätmittelalterlichen Ritterturniere haben das Mittelalterbild
bis heute nachhaltig geprägt.
Austragungsort dieser mehrtägigen Feiern mit Banketten, Tänzen,
Umzügen und Kampfspielen waren die Städte. Turniere sind für
Zürich etwa für 1368 und 1467
belegt, aus Schaffhausen liegt der
detaillierte Bericht eines spanischen Teilnehmers aus dem Jahr
1436 vor. Die Teilnahme war für
den Adel Pflicht. Zu Beginn fand
die Helmschau statt, bei der die
Damen unter den ausgestellten
Helmen diejenigen zu Boden warfen, deren Träger in der vergangenen Zeit gegen die Standesregeln verstossen hatten (z.B.
Heirat eines Adligen mit einer
Tochter aus bürgerlichem Haus,
unstandesgemässe Kleidung und
Auftreten). Beim Turnei, einem innerhalb eines Pferchs durchgeführten Kampf zweier Mannschaften,
wurden die dermassen Geächteten
gezielt verprügelt. Als Tjost bezeichnet man den Kampf zweier
Ritter zu Pferd. Schwere Unfälle
veranlassten die Kirche wiederholt,
Turnierverbote
auszusprechen.
Stadtbürger versuchten dem Glanz
ritterlicher Ideale nachzuleben und
organisierten ebenfalls Turniere.
Beliebter waren Turnierparodien,
die im Spätmittelalter von Bauern
und Bürgern zur Fasnachtszeit aufgeführt wurden. Als Ausrüstung
dienten Strohzöpfe, Speckschwarten, Lebkuchen und Kücheneimer,
als Reittiere Steckenpferde, Esel
und Ziegen.
Dieses Bild aus der Zeit um 1470 zeigt
einen Turnierritter. Erkennbar ist der
für das 15. Jahrhundert charakteristische Stechhelm, der nur an Turnieren
getragen wurde. Die Lanze ist beim
Aufprall auf den von rechts herangaloppierenden, nicht sichtbaren Ritter
in Stücke zerborsten.
Kantonsarchäologie Zürich.
46 Thema: Spiel und Kurzweil
© STARCH
standene Manessische Liederhandschrift sowie auf die in Bern, Luzern
und Zürich verfassten «Schweizer» Bilderchroniken. Bei Hausuntersuchungen in Zürich und Winterthur entdeckte man unter jüngeren Verputzschichten spätmittelalterliche Wandmalereien. Diese zeigen häufig Darstellungen von Festen. Turnierritter, Tanzpaare und Hofnarren waren im
14. und 15. Jh. zudem beliebte Motive auf Ofenkacheln.
Gegenstände, die klar ins Umfeld von Fest und Brauchtum gehören,
wie eine in Ulm (D) gefundene Fasnachtsmaske aus Ton, stellen die Ausnahme dar, da sie in der Regel aus vergänglichem Material gefertigt waren. Bei metallenen Schellen ist die Funktion nicht bestimmbar, fanden
sie doch sowohl als Bestandteile festlicher Kleidung wie auch des Pferdeund des Falknergeschirrs Verwendung.
Werner Wild
Wettkämpfe in Einsiedeln SZ. Im Vordergrund Weitsprung aus dem Stand,
Steinstossen und Wettlauf. Im Hintergrund erkennt man Kleiderringen, eine
Form des heutigen Schwingens. Links
im Bild befindet sich das Schützenhaus
mit der Zielscheibe. Darstellung aus der
Luzerner Chronik des Diebold Schilling
von 1513.
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985),
S. 295.
Weiterführende Literatur
Topfhelm aus dem 14. Jh., gefunden in
der Ruine Gesslerburg SZ. Bislang kamen in der Schweiz drei, in Europa 11
Topfhelme zum Vorschein. Sie wurden
sowohl beim Turnier wie im Kampf getragen.
W. MEYER, E. WIDMER, Das grosse Burgenbuch der
Schweiz (Zürich 1981), S. 94.
K. BÄNTELI u.a., Ex terra lux (Schaffhausen 2002), S. 184ff. (Turnierbericht Schaffhausen).
W. ENDREI, Spiele und Unterhaltung im alten Europa (Hanau 1988).
J. HILLS, Das Kinderspielbild von Pieter Bruegel d. Ä. (1560). Eine volkskundliche Untersuchung. Veröffentlichungen des Österreichischen
Museums für Volkskunde, X (Wien 1957).
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985).
A. PFEIFFER (Hg.), Spielzeug in der Grube lag und schlief ... Archäologische Funde aus Römerzeit und Mittelalter. museo 5 (Heilbronn 1993).
J. E. SCHNEIDER, J. HANSER, Wandmalerei im Alten Zürich (Zürich und Egg
1986).
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8
Thema: Musik 47
Musik
Alle mittelalterlichen Feste – Turniere, Schützenfeste, Kirchweihen – waren von Musik begleitet (vgl. diverse Klangbeispiele auf der CD Musik und
Text). An Banketten wurden Musiker und Tänzer engagiert. Der Hofherr
lud gerne seine Gäste zum Tanz ein. In Europa waren die Musiker stark
umworben. Die Quellenlage zur Spielweise und Aufführungspraxis mittelalterlicher Musik ist sehr schlecht, es wurde viel improvisiert. Erste Noten
für Gesang sind in Europa erst ab dem ausgehenden 9. Jh. überliefert.
In der Manessischen Liederhandschrift, einer in Zürich entstandenen
Liedersammlung aus der 1. Hälfte des 14. Jh., bilden das ritterliche Leben
und das höfische Ideal das Hauptthema. Die Liebessehnsucht wurde mit
grosser Leidenschaft besungen, meist von einer Fiedel oder Laute begleitet. Der Minnesang des 12. und des 13. Jh. war offen, Text und Melodie
konnten auch geändert werden. Minne bedeutet Liebe (Mittelhochdeutsch), Frau Minne stellt seit dem 12. Jh. in der Lyrik die Personifikation
der Liebe dar.
Musikinstrumente
Objekte 39–41, diverse Klangbeispiele auf der CD Musik und Text.
Mehrteilige Musikinstrumente aus Holz wie etwa die Fiedel oder die
Laute sind wegen den schlechten Erhaltungsbedingungen selten im archäologischen Fundmaterial überliefert. Einfachere Instrumente wie
Maultrommeln, Knochenflöten und Tonpfeifen, die im alltäglichen Leben
verwendet wurden, finden sich indessen auf Burgen und in den städtischen Siedlungen (z.B. Bonstetten ZH, Technikumstrasse in Winterthur).
Für eine Übersicht der mittelalterlichen Musikinstrumente sind wir darum auf Darstellungen in Buchillustrationen, auf Wandmalereien oder auf
Ofenkacheln angewiesen. Im Mittelalter gab es eine grosse Vielfalt an Musikinstrumenten, die in unterschiedlichen Grössen und Ausführungen hergestellt wurden. Sie wurden in «leise» und «laute» Instrumente unterschieden. Flöten und alle Saiteninstrumente gehörten zur ersten Gruppe, Schalmeien, Sackpfeifen und Geradtrompeten zur zweiten (vgl. Abb.).
In einer Buchillustration aus der Zeit um 1420 sind fünf musizierende
Engel dargestellt (vgl. Abb.): Oben links spielt ein Engel das Portativ, eine
kleine, tragbare Orgel (v.a. im kirchlichen Musikleben), darunter eine Fiedel, die auf der Armbeuge gespielt wird. Laut geht es zu und her beim
Trompetenspiel (adeliges Standessymbol, nur spezielle Hoftrompeter),
hier mit krummem Horn (für Empfänge, Turniere, Alarm und Jagd verAusschnitt aus einem Lied des Zürcher Minnesängers Johannes
Hadlaub, aufgeschrieben in der Manessischen Liederhandschrift
Al ze hôhe minne
Brâchten mich ûz dem sinne
Dô ich ir ougen unde mund
Sach wol stên und ir kinne,
dô wart mir daz herze enbinne
von sô süezer tumpheit wunt,
Daz mir wîsheit wart unkunt.
Allzu grosse Liebe
brachten mich um den Verstand.
Als ich ihre Augen, ihren Mund
und ihr Kinn so wohlgeformt sah,
da war mir innen das Herz
in so süsser Verrwirrtheit
verwundet,
Dass mir aller Verstand fehlte.
Der Tanz war ein wichtiger Bestandteil
der mittelalterlichen Musik. Man tanzte
einzeln, in Paaren oder Gruppen. Das
Bild aus der Manessischen Liederhandschrift zeigt Heinrich von Stretelingen in
höfisch-galantem Schreittanz mit seiner
Geliebten.
I. F. WALTHER, Codex Manesse. Die Miniaturen
der Grossen Heidelberger Liederhandschrift
(Frankfurt a. M. 1988), Nr. 30.
Buchillustration aus der Manessischen
Liederhandschrift (1300–1340). Meister
Heinrich Frauenlob auf dem Thron gibt
den Takt an. Im Zentrum hervorgehoben der Fiedelspieler, an seiner rechten
und linken Seite Musiker mit Trommeln
und Rasseln sowie Schalmeien, Flöten
und Sackpfeifen.
I. F. WALTHER, Codex Manesse. Die Miniaturen
der Grossen Heidelberger Liederhandschrift
(Frankfurt a. M. 1988), Nr. 129.
Zitiert nach: C. Brinker, D. Flühler-Kreis,
Die Manessische Liederhandschrift
in Zürich. Ausstellungskatalog des
Schweizerischen Landesmuseums
(Zürich 1991), S. 133.
48 Thema: Musik
© STARCH
wendet). Einen sanften Klang hingegen gibt die Laute wieder, die einen
abgeknickten Wirbelkasten und einen im Bild nicht erkennbaren runden
Resonanzkasten hat. Schliesslich ist noch ein auf dem Hackbrett spielender Engel (das Hackbrett heute noch in der Volksmusik verwendet) zu erkennen. Fiedel und Laute waren im Mittelalter als Begleitinstrumente
sehr beliebt.
Annamaria Matter
Weiterführende Literatur
Darstellung von musizierenden Engeln
aus einer Buchillustration (um 1450).
Instrumente: a) Portativ, b) Fiedel,
c) Krummhorn, d) Laute, e) Hackbrett.
J. BRÜLISAUER, H. DRAEYER, Y. JOLIDON (Hg.), Alltag zur
Sempacherzeit. Innerschweizer Lebensformen
und Sachkultur im Spätmittelalter. Ausstellungskatalog des Historischen Museums Luzern
(Luzern 1986), S. 100.
C. BRINKER, D. FLÜHLER-KREIS, Die Manessische Liederhandschrift in
Zürich. Ausstellungskatalog des Schweizerischen Landesmuseums
(Zürich 1991), S. 284ff.
C. HOMO-LECHNER, Sons et instruments de musique au Moyen Age
(Paris 1996).
C. RIOT, Chants et instruments. Trouveurs et jongleurs au Moyen Age
(Paris 1995).
A. TAMBOER, Ausgegrabene Klänge, Archäologische Musikinstrumente
aus allen Epochen (Oldenburg 1999).
Ein weiter Weg vom Orient über Spanien bis nach Zentraleuropa
Eine einfache Form der Laute war
bereits den alten Ägyptern bekannt. Ab dem 9. Jh. spielte die
Laute im Orient eine wichtige Rolle, wo in den Königspalästen gut
bezahlte Sänger von drei bis vier
Lautenisten begleitet wurden.
Ofenkachel mit typischer Minneszene:
Ein Paar musiziert, die Dame spielt
Harfe, der Mann die Laute (aus Arbon
TG um 1470/80).
J. BRÜLISAUER, H. DRAEYER, Y. JOLIDON (Hg.), Alltag zur
Sempacherzeit. Innerschweizer Lebensformen
und Sachkultur im Spätmittelalter. Ausstellungskatalog Historisches Museum Luzern (Luzern
1986), S. 104.
Der Name Laute stammt aus
dem Arabischen «al’ ud», was Holz
bedeutet. Dabei handelt es sich
meist um eine sogenannte Kurz-
halslaute, die aus einem Stück
Holz gefertigt wurde. Später ist die
Laute aus mehreren Holzteilen zusammengesetzt: ein runder Korpus und ein angesetzter Hals mit
abgewinkeltem Wirbelkasten. Die
Noten sind in einer speziell für die
Laute entwickelten Tabulatur geschrieben, die ebenfalls aus dem
Orient stammt. Die Laute verbreitete sich in Europa durch die spanische Eroberung und ist heute
noch über die Grenzen Nordafrikas
hinaus beliebt (Klangbeispiele 1–3
auf der CD Musik und Text).
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9
Anhang 49
Anhang
Exkursionsziele
Museen
Ritterhaus Bubikon
Link
Das Johannitermuseum Bubikon ist in einer ehemaligen Niederlassung
des Johanniterordens untergebracht. Die Ausstellung rückt die historische
Bedeutung der Kommende (selbständige Niederlassung eines Ritterordens) ins Zentrum. Diethelm von Toggenburg stiftete 1192 die Johanniterkommende. Der weitere Ausbau entstand nicht nach einem Gesamtplan, sondern erhielt seine heutige Gestalt durch Neu-, Um- und Anbauten vom 12. bis 16. Jh.
www.ritterhaus.ch
Kyburg
Link
Die auf einem Hügelsporn über der Töss thronende Burg wird 1027 erstmals
erwähnt. Hartmann von Dillingen gelangte durch Heirat in den Besitz der
Güter und der Burg, baute beides aus und nannte sich nach dem neuen Sitz
Graf von Kyburg. Dieses Geschlecht wurde zur wichtigsten Adelsfamilie neben den Habsburgern und den Savoyern im Gebiet des heutigen Schweizer
Mittellandes. Nach dem Tod des letzten Kyburgers 1264 sicherte sich Rudolf
von Habsburg das Erbe. Die Habsburger verlagerten ihr Interesse später nach
Osten (Kärnten, Niederösterreich), so dass im 15. Jh. die Stadt Zürich durch
Kauf in den Besitz der Grafschaft gelangte, die sie als Landvogtei verwaltete. Bis 1798 amteten vornehme Zürcher Bürger jeweils für sechs Jahre auf
der Kyburg als Vögte, hielten Gericht und trieben die Abgaben ein.
www.schlosskyburg.ch
Faltblatt
Von Kemptthal auf die Kyburg. Archäologische
Wanderung (1999), zu beziehen über die Kantonsarchäologie Zürich.
Lenzburg
Link
Die Lenzburg zählt zu den ältesten und bedeutendsten Höhenburgen
der Schweiz. Erste Erwähnung eines Lenzburger Grafen in einer Urkunde
von 1036. Erste Erwähnung der Burg in einem Chronikeintrag von 1077.
Ulrich IV. war der letzte Lenzburger; er hat die Burg vererbt an seinen
persönlichen Freund, Friedrich I. von Hohenstaufen, genannt Barbarossa.
Über Heiratsverbindungen, Erbgänge und Lehen gelangte sie an die
Kyburger (1173–1273). Durch Heirat kam sie an die Habsburger (1273–
1415). 1415 Eroberung durch Bern (Eidgenossen). Ab 1444 während über
350 Jahren diente sie als Landvogteisitz und damit als zentraler Verwaltungssitz, militärischer Stützpunkt und Grosslager für Korn.
www.ag.ch/lenzburg
Schweizerisches Landesmuseum
Literatur
Die archäologische Ausstellung «Vergangenheit im Boden – vom Anfang
bis 800» bietet einen Überblick von der frühen Menschheitsgeschichte. Es
werden bedeutende Hinterlassenschaften, Überreste vergangener Zeiten,
Kulturen und Menschen präsentiert. Die mittelalterliche Epoche ist auch
im kulturgeschichtlichen Rundgang insbesondere anhand von Öfen und
Ofenkacheln thematisiert.
Vergangenheit im Boden. Vom Anfang bis 800.
Begleitheft zur archäologischen Ausstellung
des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich
(Zürich 2000).
Link
www.musee-suisse.ch
50 Anhang
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Burgen
Burgruine Alt-Wädenswil
Literatur
TH. BITTERLI, D. GRÜTTER, Alt-Wädenswil. Vom Freiherrenturm zur Ordensburg. Schweizerische Beiträge
zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 27 (Basel 2001).
Urkundliche Ersterwähnung 1267. Einzelne Funde aus dem 12. Jh. deuten
jedoch darauf hin, dass die Besiedlung des Burgplatzes wesentlich älter
ist. 1287 veräusserte Freiherr Rudolf von Wädenswil Burg und Herrschaft
an die Johanniterkommende Bubikon, die nach 1300 hier eine eigne
Verwaltung einrichtete. 1550 Verkauf an Zürich.
Kantonsarchäologie Zürich.
Burgruine Freienstein
Literatur
Der Turm zu Freienstein: 1254–2204. Jubiläumsschrift (Zürich 2004).
Gut erhaltene Turmruine aus dem mittleren 13. Jh., um 1450 verlassen.
Burgruine Schauenberg
Literatur
A. MATTER, A. TIZIANI, J. WINIGER, Die Burg Schauenberg bei Hofstetten, Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 33 (Zürich 2000).
Faltblatt
Die Burg Schauenberg bei Hofstetten (2001),
zu beziehen über die Kantonsarchäologie Zürich.
Bei der ersten um 1200 durch die kleinadligen Herren von Schauenberg
erbauten Burg handelte es sich um eine Holzburg, die im letzten Viertel
des 13. Jh. einem Brand zum Opfer fiel. Danach ist ein massiver Turm am
selben Ort erbaut worden. Nach 1331 ist Beringer von Hohenlandenberg
als Burgherr nachgewiesen. Wegen seiner antizürcherischen Haltung
nach der Brunschen Verfassung von 1337 ist die Burg Schauenberg vor
1344 zerstört worden.
Kirchen und Klöster
Beerenberg
Literatur
M GRAF u.a., Hintergrund – Untergrund. Archäologische Entdeckungsreise durch Winterthur, Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 331
(Winterthur 2000), S. 138–143.
Konservierte Klosterruine. 1355 gegründet, im 16. Jh. verlassen und zerfallen.
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Anhang 51
Kappel am Albis
Link
Gutes Beispiel einer Klosteranlage: Baubeginn des Zisterzienserklosters
um 1210. Bedeutende gotische Kirche aus der Zeit um 1300, Klostergebäude in der Neuzeit umgebaut.
Winterthur – Stadtkirche
Vgl. Winterthur.
Zürich – Grossmünster
www.klosterkappel.ch
Literatur
R. BÖHMER, Das ehemalige Zisterzienserkloster
Kappel am Albis, Haus der Stille und Besinnung.
Schweizerischer Kunstführer GSK (Bern 2002).
Fresken in der Stephanskapelle mit
Wappen und Helmzier der Gessler von
Brunegg. Auffällige Ähnlichkeit der
Adlerköpfe mit der Globi-Figur. Deren
Schöpfer wohnte im benachbarten
Hausen am Albis, soll Globi aber ohne
Kenntnis der Adlerköpfe in Kappel entworfen haben.
N. U. M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.) Geschichte des
Kantons Zürich, Bd. 1 (Zürich 1995), S. 455.
Vgl. Zürich.
Städte
Bülach
Faltblätter
Landstädtchen. Stadtmauer an mehreren Stellen sichtbar. Heutige Kirche
Neubau von 1508–1514, anstelle eines frühmittelalterlichen Gotteshauses. Besichtigung gut mit Wanderung nach Eglisau kombinierbar.
Archäologie in Bülach, Mittelalter (2000), zu beziehen über die Kantonsarchäologie Zürich.
Von Bülach nach Eglisau. Archäologische Wanderung (2001), zu beziehen über die Kantonsarchäologie Zürich.
Glanzenberg
Literatur
Stadtwüstung mit konservierter Ruine sowie Ruine der Burg. Nahegelegen Kloster Fahr und Burgruine Schönenwerd.
W. DRACK, Glanzenberg. Burg und Stadt: Bericht
über die Freilegungs- und Sicherungsarbeiten von
1975 und 1980/81. Zürich : Stiftung für die Erforschung des Uetlibergs (Zürich 1984).
G. SIMMEN-KISTLER, Das Kloster Fahr AG. Schweizerischer Kunstführer, GSK (Bern 1988).
Winterthur
Literatur
Diverse, im Führer «Hintergrund – Untergrund» erläuterte Besichtigungspunkte (z.B. Stadtkirche, Stadtbefestigung, Stadtanlage, Sodbrunnen).
M. GRAF u.a., Hintergrund – Untergrund. Archäologische Entdeckungsreise durch Winterthur.
Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 331
(Winterthur 2000), S. 76–131.
M. ILLI, R. WINDLER, Stadtkirche Winterthur, Archäologie und Geschichte (Winterthur 1994).
Faltblätter
Winterthur Obergasse (2000), zu beziehen über
die Kantonsarchäologie Zürich.
Winterthur Steinberggasse (1999), zu beziehen
über die Kantonsarchäologie Zürich.
52 Anhang
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Zürich
Link
www3.stzh.ch/internet/hbd/home/erinnern/
baugeschichtliches_archiv.html
Literatur
D. GUTSCHER, Grossmünster Zürich. Schweizerischer
Kunstführer, GSK (Bern 1983).
Altstadt: Rundgang zu verschiedenen «archäologischen Fenstern» (z.B.
Stadtmauer, Ehgraben, jüdische Wandmalereien an der Brunngasse 8,
Lindenhofkeller).
Grossmünster: Bedeutendste romanische Kirche auf Zürcher Kantonsgebiet.
Lindenhof: Neben den Häusern am südlichen Rand des Plateaus des Lindenhofs befindet sich ein öffentlich zugänglicher Keller, in welchem verschiedene Bebauungsphasen des Hügels sichtbar sind (spätrömisches
Kastell, früh- und hochmittelalterliche Pfalz). Der Schlüssel kann im Baugeschichtlichen Archiv abgeholt werden.
Weiterführende Literatur
Allgemein
R. BARTLETT (Hg.), Die Welt des Mittelalters. Kunst – Religion – Gesellschaft (Stuttgart 2001).
H. BOXLER, J. MÜLLER, Burgenland Schweiz. Bau und Alltag (Solothurn
1990).
F. HÜRLIMANN, L. BAZZIGHER, Spuren der Kultur und Geschichte (Elgg 2001).
E. JACOBY (Hg.), Geschichte des Mittelalters. Bauern – Ritter – Priester –
Bürger (Hildesheim 2002).
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985).
H. SPYCHER, M. ZAUGG, Das Frühmittelalter. Fundort Schweiz 4 (Solothurn
1986).
J. TAUBER, F. HARTMANN, Das Hochmittelalter. Fundort Schweiz 5 (Solothurn
1988).
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der Grossen Heidelberger
Liederhandschrift (Frankfurt a. M. 1988).
Kanton Zürich
N. U. M. FLÜELER-GRAUWILER (Hg.), Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 1
(Zürich 1995).
Weiterführende Links
Archäologische Institutionen
www.archaeologie.ch
Handschriften lesen
www.adfontes.unizh.ch
Grösste Sammlung mittelalterlicher Bilder im Internet
www.imareal.oeaw.ac.at
Schweizerischer Burgenverein
www.burgenverein.ch
Kunstdenkmäler aller Epochen
www.gsk.ch
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1.1–1.2
Schülerheft: Objekt 1
Dreibeintopf
Replik
1.1: Regula Wälti, Bern.
Original
1.2: Winterthur, Adlerapotheke.
Beschreibung
1.1: Dreibeintopf mit unverdicktem, schräg nach
innen abgestrichenem Rand und abgewinkelten
Rundstabhenkeln. Auf Schulterhöhe Rädchenverzierung. Fundort des Vorbilds: Winterthur, Obergasse 4.
1.2: Fuss eines Dreibeintopfes mit umgeschlagener
Spitze.
Datierung
1.1: 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts.
1.2: 14. Jahrhundert.
Fundort und Fundumstände
Das Vorbild dieses Dreibeintopfes wurde nahezu vollständig im Keller eines Hauses gefunden, das in der
2. Hälfte des 13. Jahrhunderts abgebrannt war. Die
Erhaltung des Dreibeintopfes ist erstaunlich gut, es
musste lediglich ein Füsschen angeklebt werden. Mit
dem Dreibeintopf wurden weitere Fragmente von
mittelalterlichem Geschirr sowie zahlreiche Ofenkacheln geborgen (vgl. Objekt 20).
Ein idealer Kochtopf
Der Dreibeintopf konnte direkt ins Feuer oder auf die
Herdstelle gestellt werden, was eine gute Hitzeverteilung garantierte. Er verfügte mit seinen drei Füsschen
– ähnlich einem Fotostativ – über eine gute Stand-
festigkeit. Vorbild des Dreibeintopfes war der so genannte Grapen aus Bronze. Bronzegefässe konnten
sich aber nur die wenigsten leisten, weshalb die billigere Imitation aus Keramik sehr beliebt war.
Schülerheft: Objekt 1
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Herstellung und modische Weiterentwicklung
Der Topf wurde auf der Töpferscheibe hergestellt. In
einem zweiten Arbeitsschritt formte man die Henkel
und Füsschen und setzte sie an das Gefäss an (siehe
Herstellungsspuren am Gefäss, z.B. bei den Füsschen).
Darauf liess man das Gefäss trocknen, bis es schliesslich im Töpferofen gebrannt werden konnte.
Wie alle Gefässformen ist auch der Dreibeintopf Modeerscheinungen unterworfen, die anhand der unterschiedlichen Rand-, Henkel- sowie Füsschenformen
erkennbar sind. Ein letzter Schritt in der Entwicklung
des Dreibeintopfes war die Verwendung der Glasur,
mit welcher man die Innenseite versah (vgl. dazu glasierte Schüssel, Objekt 2).
Kochen im Dreibeintopf
Ein typisches mittelalterliches Rezept, das man in einem Dreibeintopf kochte, befindet sich auf diesem
Blatt. Speziell an diesem Eintopfrezept ist der Koriander. Solche Gewürze waren im Mittelalter wertvolle
Zutaten.
Gersten-Linsen-Eintopf mit Speck
2 Tassen gequetschte Gerste
10 Tassen Wasser
1 grosses Stück Speck
1
⁄2 Tasse Linsen
3–4 Handvoll Lauch oder Bärlauch, Gänsefuss,
Brennesseln oder ähnliches
etwa 2 Teelöffel Korianderkörner
Salz nach Belieben
Den Speck in kleine Würfel schneiden und mit der
Gerste in einem Topf aufkochen. Die Linsen zugeben. Auf ganz kleiner Flamme mindestens zwei
Stunden köcheln lassen. 10 bis 15 Minuten vor
dem Essen die gesammelten Gemüse und die zerstossenen Korianderkörner ebenfalls zugeben.
Je nachdem, wie viel Wasser beigegeben und wie
lange gekocht wird, entsteht am Ende ein Brei
oder eine Suppe. Werden Gerste und Linsen eingeweicht, ist der Eintopf schneller gar, aber weniger schmackhaft.
Weiterführende Literatur
I. BAUER , S. KARG, R. STEINHAUSER, Kulinarische Reise
in die Vergangenheit. Schriften des Kantonalen
Museums für Urgeschichte Zug 44 (Zug 1995).
CH. KELLER, Gefässkeramik aus Basel. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gefässkeramik aus Basel. Materialhefte
zur Archäologie in Basel, Heft 15 (Basel 1999).
Vergleichsobjekte
2 Schüssel
8 Nahrungsmittel
20 Becherkachel
© STARCH
2.1–2.2
Schülerheft: Objekt 2
Schüssel
Replik
2.1: Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Original
2.2: Kantonsarchäologie Zürich.
Beschreibung
Henkelschüssel. Drehscheibenware.
Feine Magerung, harter, orangegebrannter Ton.
Grüne Bleiglasur auf weisser Engobe.
Fundort
2.2: Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil
Datierung
15. Jahrhundert und 1. Hälfte 16. Jahrhundert.
Glasiertes Geschirr – erneut erfunden
Bereits in römischer Zeit gab es vereinzelt glasiertes
Geschirr. Nach 500 Jahren, im beginnenden Mittelalter, war diese Technik in Mitteleuropa vergessen.
Erst im 13. Jahrhundert begann man wieder, Geschirr
zu glasieren. Zunächst waren es ausgewählte Gefässe,
bei denen man die Glasur auf der Aussenseite als Verzierung auftrug. Ab dem 14. Jahrhundert glasierte
man auch das Gefässinnere. Dies verhinderte das
«Anhocken» und Einbrennen der Speisen beim Kochen und erleichterte natürlich das Putzen. Die Gefässe waren dadurch auch wasserdicht. Zunächst war
glasiertes Geschirr sehr kostbar. Erst im 15. Jahrhundert konnten auch einfachere Leute glasiertes Geschirr
kaufen.
Grün, eine Lieblingsfarbe?
Die Scherbe stammt von einer Schüssel, die in der Küche wie auch auf dem Esstisch Verwendung fand. Im
15. Jahrhundert gab es beinahe nur grün glasierte
Schüsseln und Ofenkacheln. Der Töpfer konnte die
Farbe der Glasur bewusst auswählen. Weshalb grünes
Geschirr so beliebt war, weiss man heute nicht mehr.
Schülerheft: Objekt 2
© STARCH
Wie stellt man eine glasierte Schüssel her?
Das auf der Drehscheibe getöpferte Gefäss wird mit
einem feinen Tonschlicker (Engobe) übergossen und
ein erstes Mal gebrannt (Schrühbrand). Die Engobe
sieht nach dem Brennen weiss aus. Nun übergiesst
man die Schüssel mit der flüssigen Glasurmasse. Beim
zweiten Brand (Glasurbrand) mit höheren Temperaturen schmilzt diese und bildet eine feste, glasartige
Schicht über dem Ton. Die darunter liegende Engobe
bewirkt eine hellere Glasurfarbe.
Die Glasurflüssigkeit besteht aus drei Substanzen:
dem Quarzsand, dem Flussmittel, welches das
Schmelzen der Glasur ermöglicht, und dem Metall,
das die Glasurfarbe beeinflusst. Im Mittelalter verwendete man Blei als Flussmittel. Blei besitzt einen
tiefen Schmelzpunkt, ist aber hochgiftig. Dies war den
mittelalterlichen Menschen aber noch nicht bewusst.
Farbgebende Metalle sind u.a. Kupfer (grün) und Eisen
(rot).
Umweltgifte im Mittelalter
Blei ist eine äusserst giftige Substanz. Man gewann es
als Nebenprodukt beim Silberbergbau. In den Bergbaugebieten des Mittelalters, z.B. südlich von Freiburg
im Breisgau (D), ist die Verschmutzung des Bodens
noch heute messbar. Da den unverarbeiteten Bleiglasuren sowie den Glasurbränden giftige Dämpfe entwichen, waren auch Töpfer gefährdet. Wegen der Häufung von Erkrankungen sprach man von der Hafnerkrankheit. Heute arbeiten die Töpfer in der Schweiz
mit anderen Substanzen, die beim Glasurbrand höhere Temperaturen benötigen. Im Ausland dagegen
kommen noch Bleiglasuren zur Anwendung, weshalb
das Bundesamt für Gesundheit (BAG) regelmässig
zur Ferienzeit vor dem Kauf von entsprechendem
Geschirr warnt. Aus den Gefässen kann nämlich das
Blei durch säurehaltige Nahrungsmittel (Zitrusfrüchte,
Salatsaucen u. a.) wieder gelöst werden und in die
Nahrung gelangen.
Im Mittelalter war man sich dieser Gefahren wohl
kaum bewusst.
Je nach Wohlstand eines Haushaltes konnte man im Spätmittelalter verschiedenes Tischgeschirr antreffen. Die wenigen
mit gelben Papier unterlegten Originalfunde zeigen, was
davon im Falle der Burgruine Alt-Wädenswil ZH erhalten
geblieben ist. Von besonderer Bedeutung waren gedrechselte
Näpfe, die als archäologische Funde selten vorkommen, da
Holz nur bei bestimmten Bedingungen (z.B. Feuchtboden) die
Zeit überdauert. Zinnteller waren teuer. Von den Gläsern blieben nur kleinste Scherben übrig. Nur vom Tongeschirr finden
sich grössere Bruchstücke.
Kantonsarchäologie Zürich.
Weiterführende Literatur
CH. KELLER, Gefässkeramik aus Basel. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gefässkeramik aus Basel. Typologie, Technologie, Funktion, Handwerk. Materialhefte zur
Archäologie in Basel; Heft 15 A (Basel 1999).
A. MOREL , Der gedeckte Tisch. Zur Geschichte der
Tafelkultur (Zürich 2001).
F. HAMER UND J. HAMER, Lexikon der Keramik
und Töpferei. Material, Technik, Geschichte
(Augsburg 1990).
Vergleichsobjekte
1 Dreibeintopf
4 Messer
5 Holzlöffel
6 Trinkglas
21 Blattkachel
© STARCH
3
Schülerheft: Objekt 3
Backmodel
Replik
Schweizerisches Landesmuseum Zürich.
Beschreibung
Hölzernes Backmodel in Form des gotischen
Buchstabens i mit spiegelverkehrter Darstellung
(siehe Abbildung auf der Rückseite).
Rückseite mit eingebrannten, nicht mehr identifizierbaren Markierungen.
Fundort
Unbekannt, Ankauf 1920 von Privatperson aus
Mettmenstetten ZH.
Datierung
2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Backmodel aus Holz und Ton
Aus Holz geschnitzte Model, die aus dem späten Mittelalter (14./15. Jahrhundert) stammen, sind sehr selten. Etwas häufiger sind Model aus Ton, die sich als
archäologische Funde erhalten haben.
Mit einem Model lassen sich Bilder beliebig oft vervielfältigen. Diese Technik machten sich damals auch
andere Handwerker – zum Beispiel die Hafner für die
Verzierung der Ofenkacheln – zu Nutze. Heute verziert
man noch immer Anisgebäck, Biberfladen und die
Zürcher Tirggel mit Modeln.
Welche Motive gab es?
Auf dem Gebäck waren ganz verschiedene Bilder zu
sehen: religiöse (z. B. das Lamm Gottes), weltliche
(z.B. Liebespaare) oder sogar Szenen aus griechischen
Sagen (z. B. Krieg um Troja). Rätselhaft ist aber das
Bild auf dem Model von Mettmenstetten. Als Vorlage
diente die rechte Hälfte des von Figuren gebildeten
Buchstabens n (siehe Abbildung auf der Rückseite).
Aus den restlichen Buchstaben dieses Figurenalphabets geht hervor, dass der Künstler die Sitten und Zustände des 15. Jahrhunderts anprangert. Priester und
Mönche waren reich – ein Gegensatz zur von Christus
gelebten Armut. Die Darstellung im Buchstaben n
könnte auch mit dem Wort Narrheit zusammenhängen.
Ist nun nur die Hälfte des Backmodels erhalten? Oder
wollte der Modelschnitzer nur ein i darstellen, im
Sinne des lateinischen Wortes ira (Zorn)? Spielte er so
auf die Strafe an, welche die Sünder im Jenseits zu
gewärtigen hatten? Diese Fragen sind nicht mehr zu
beantworten.
Schülerheft: Objekt 3
© STARCH
Gebäck im Mittelalter
Abgesehen von Broten, Wecken und Brezeln gab es
auch süsses Gebäck (z.B. Lebkuchen). Da man den Zucker noch nicht kannte, verwendete man zum Süssen
Bienenhonig. Lebkuchen und Marzipan verzierte man
mit Gebäckmodeln. Marzipan galt im Mittelalter als
Kostbarkeit. Forscher sehen den Ursprung des Marzipans in den kleinen Mandelkuchen, welche die Römer
ihren Göttern opferten. Der Name leitet sich vom lateinischen pane Martius, übersetzt «Märzenbrot», ab.
Der süsse Mandelteig gelangte vom Orient nach Europa und wurde anfangs von Apothekern hergestellt.
Bis ins 18. Jahrhundert galt Marzipan auch als Heilmittel, war aber natürlich zugleich ein beliebtes Dessert
am Tisch reicher Leute und ein kostbares Geschenk.
Rechts Vorbild für das Backmodel von Mettmenstetten.
Eine Frau schlägt mit einer Rute auf den Hintern eines auf
dem Boden knienden Mönchs. Dieser liegt auf einem Adler.
Der zweite Mönch blickt durch eine Brille.
Die Mönche links tragen Narrenkleider. Einer zeigt seinen
nackten Hintern, der Zweite leert ein Glas mit Flüssigkeit
über den Dritten.
J. A. WURST, Das Figurenalphabet des Meisters E.S., Schriften aus dem Institut
für Kunstgeschichte 73 (München 1999), Tafel XIII, Abb. 1.
Weiterführende Literatur
F. ARENS, Die ursprüngliche Verwendung gotischer
Stein- und Tonmodel mit einem Verzeichnis der
Model in mittelrheinischen Museen. In: Mainzer
Zeitschrift 66, 1971, S. 106–131.
H. EISELEN (HG.), M. WÄHREN, Gesammelte Aufsätze
und Studien zur Brotgeschichte und Gebäckkunde, 1940–1999 (Ulm 2000).
J. A. WURST, Das Figurenalphabet des Meisters E.S.,
Schriften aus dem Institut für Kunstgeschichte 73
(München 1999).
Vergleichsobjekte
21 Blattkachel
41 Schelle
© STARCH
4
Schülerheft: Objekt 4
Messer
Replik
Reto Zürcher, Huttwil BE (www.waffenschmiede.ch).
Beschreibung
Messer mit Griffangel. Griff aus Eschenholz.
Fundort des Originals
Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil.
Datierung
Spätmittelalterlich (13. bis mittleres 16. Jahrhundert).
Das Messer als Mehrzweckgerät
Das Messer war eines der wichtigsten Alltagsgeräte
des Mittelalters. Messer verschiedener Grösse und
Form fanden in der Küche, am Esstisch, in der Werkstatt und unterwegs Verwendung.
Als Gebrauchsgegenstand waren sie kaum zeitlichen
Veränderungen unterworfen. Deshalb ist auch das Alter eines Messers meistens nicht genauer bestimmbar. Wozu ein bei einer Grabung gefundenes Messer
gebraucht wurde, lässt sich ebenfalls selten herausfinden.
Tischgedeck im Mittelalter
Messer und Löffel benützen wir auch heute. Die
Gabel dagegen fehlte auf dem mittelalterlichen Tisch.
An ihrer Stelle verwendete man ein ahlenförmiges
Gerät, den Pfriem. Dieser besass zuweilen zwei Zin-
ken wie heutige Fleischgabeln. Besuchte man ein
Wirtshaus, so musste man sein eigenes Besteck mitbringen. Dies gehörte nämlich zur persönlichen Ausrüstung.
«Nit in daz tischlach snawtzen» (lach = Laken = Tuch)
In den verschiedenen Texten über die Tischregeln erfährt man aus heutiger Sicht Merkwürdiges. So durfte
man mit den Händen essen. Knochen, welche man
über die Schulter auf den Boden warf, wurden von
den Hunden gefressen. Zwar war es erlaubt, sich den
Mund am Tischtuch abzuwischen. Das Hineinschneuzen war aber sehr verpönt.
Schülerheft: Objekt 4
© STARCH
Der Griff zum Messer – Gewaltbereitschaft im Mittelalter
Messer und Dolche gehörten zur Kleidung der Männer
und wurden gut sichtbar am Gürtel getragen. Bereits
im Mittelalter war der schnelle Griff zum Messer bei
einer Rauferei ein Problem. In den Städten versuchte
man mit Verboten, Dolche und Messer ohne Futteral
zu tragen, den Messerstechereien vorzubeugen. Die
ständige Wiederholung solcher Verordnungen zeigt,
dass sie offenbar wenig nützten. Die Raufereien zeigen auch, wie schnell auf eine wüste Gebärde oder
ein Schimpfwort ein Faustschlag oder ein Messerstich
folgen konnte.
Folgenschwer war etwa die Verhöhnung einiger Innerschweizer mit Gebärden und Worten wie «Kuhschweizer» an einem Konstanzer Schützenfest im Jahr
1458. Zusammen mit herbeigeeilten Kollegen verwüsteten diese die Umgebung von Konstanz derart,
dass die Stadt Konstanz Beitrittsverhandlungen zur
Eidgenossenschaft sofort abbrach. So war ein Streit
Ursache dafür, dass Konstanz heute nicht zur Schweiz,
sondern zu Deutschland gehört.
Der Übergang vom Messer zum Dolch war zuweilen fliessend.
An der Dolchscheide befanden sich häufig aussen noch Fächer
für ein kleines Messer und den auf dem Bild nicht sichtbaren
Esspfriem.
J. A. WURST, Das Figurenalphabet des Meisters E.S., Schriften aus dem Institut
für Kunstgeschichte 73 (München 1999), Tafel VII, Abb. 1.
Weiterführende Literatur
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985),
S. 337ff.
A. MOREL , Der gedeckte Tisch. Zur Geschichte der
Tafelkultur (Zürich 2001).
G. SCHIEDLAUSKY, Essen und Trinken, Tafelsitten bis
zum Ausgang des Mittelalters (München 1956).
Vergleichsobjekte
5 Holzlöffel
© STARCH
5
Schülerheft: Objekt 5
Holzlöffel
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Geschnitzter Löffel aus Lindenholz.
Fundort des Originals
Ähnliche Löffel bekannt aus Freiburg im Breisgau
und Konstanz (D).
Datierung
14./15. Jahrhundert.
Das Essgerät am Gürtel
Auf zeitgenössischen Bildern werden auf einer mittelalterlichen Tafel eine Menge Gefässe abgebildet: Keramikschüsseln, Glasbecher, Metallkannen, Daubenbecher aus Holzschindeln, Holzteller und anderes. Sie
dienten zum Auftragen von Speisen und Flüssigkeiten.
Wie wurde damals das Essen zum Mund befördert?
Im Spätmittelalter kannte man den Löffel zum Essen
der vielen Breispeisen und Suppen, das Messer zum
Kleinschneiden fester Speisen. Um die Bissen in den
Mund zu schieben, brauchte man die Finger, da Gabeln noch nicht bekannt waren. Gabeln kommen bei
uns erst in der frühen Neuzeit auf und stammen ursprünglich aus Italien, wo sie beim Aufwickeln von
glatten Nudelspeisen hilfreich waren.
Löffel und Messer gehörten zur persönlichen Habe einer Person und wurden oft am Gürtel oder in einem
Beutel überall mitgetragen. So konnte man unterwegs
oder auf Besuch das persönliche Essgerät benutzen
und war nicht auf dasjenige des Gastgebers angewiesen.
Löffel kommen in ganz verschiedenen Ausführungen
vor. Sie bestehen manchmal aus Buntmetall, meist
aber aus Holz wie das hier beigelegte Exemplar. Der
Holzlöffel wurde mit einem Messer aus einem geeigneten Stück Holz geschnitzt und manchmal verziert.
Einfache Holzlöffel fertigte man oft aus Nadelholz
oder Buche, während für solche mit Schnitzverzierungen das stabilere Eiben- und Ahornholz geläufig war.
Grosse Holzlöffel dienten zum Schöpfen und Rühren,
kleine als Ess-, aber auch als Salzlöffel.
Schülerheft: Objekt 5
© STARCH
Andere Form – anderer Gebrauch.
Oder: Wie halte ich einen Löffel?
Im Mittelalter können nicht nur die Formen der Gegenstände anders sein als in unserer Zeit, man muss immer
auch mit einer anderen Handhabung der Geräte rechnen. So zeigt ein Bild auf diesem Blatt einen Mann, der
elegant ein Trinkglas mit einer Hand am unten spitz zulaufenden Bodenteil hält. Die Löffel, die man in archäologischen Grabungen findet, haben manchmal so kurze Stiele, dass man annehmen muss, man hätte sie mit
der ganzen Hand umfasst – etwas, was bei uns als
schlechte Manieren gilt (siehe Abbildung).
Zwei Ansichten eines aus Eibenholz
geschnitzten Löffels, am Stielende
verschränkte Hände, eingeschnittene
Buchstaben: St. Afra (Schutzpatronin der
Stadt Augsburg). Evtl. Salzlöffel? Fundort
Konstanz (D),14./15. Jahrhundert.
U. MÜLLER, Holzfunde aus Freiburg (Augustinereremitenkloster) und Konstanz. Herstellung und Funktion
einer Materialgruppe aus dem späten Mittelalter
(Stuttgart 1996), Tafel 23.6.
Vielleicht lassen dich deine Eltern einmal essen wie
im Mittelalter? Du solltest es aber vorher gut abmachen, dass du nur einen Löffel, ein Messer und die
Finger gebrauchst. Möchtest du noch das passende
Essen dazu? Kopier doch das Breirezept (Objekt 1
Dreibeintopf)! Mittelalterliche Tischregeln findest du
beim Objekt 4, dem Eisenmesser.
Das sitzende Kind isst mit Holzlöffel aus einem Breitopf, das
stehende Kind braucht ein Sauggefäss (eine Art Schoppen).
Altarflügel der Dominikanerkirche Lübeck, 1509.
CH. KELLER, Gefässkeramik aus Basel, Materialhefte zur Archäologie, Basel,
15 A (Basel 1999), Abb. 184.
Weiterführende Literatur
U. MÜLLER, Holzfunde aus Freiburg (Augustinereremitenkloster) und Konstanz. Herstellung und
Funktion einer Materialgruppe aus dem späten
Mittelalter (Stuttgart 1996).
J. BRÜLISAUER , H. DRAEYER , Y. JOLIDON (HG.), Alltag zur
Sempacherzeit. Innerschweizer Lebensformen
und Sachkultur im Spätmittelalter (Luzern 1986).
Essen und Trinken in früheren Zeiten, Archäologie
der Schweiz (Zeitschrift) 8, 1985, Heft 3.
Familie des Zunftmeisters Faesch, Basel 1559. Der Mann hält
das Glas mit einer Hand unten, die Frau im rotem Rock trägt
ein Messer und einen Beutel am Gürtel. Die Teller sind Holzscheiben.
CH. KELLER, Gefässkeramik aus Basel, Materialhefte zur Archäologie, Basel,
15 A (Basel 1999), Abb. 182.
Vergleichsobjekte
1 Dreibeintopf
2 Schüssel
4 Messer
6 Trinkglas
© STARCH
6
Schülerheft: Objekt 6
Trinkglas
Original
Kantonsarchäologie Zürich.
Beschreibung
Scherbe eines Krautstrunks. Grünes Glas mit aufgesetzter Nuppe.
Fundort
Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil.
Datierung
15./1. Hälfte 16. Jahrhundert.
Von Glasbläsern, Glashütten, Waldglas und kostbaren
Trinkgläsern
Vor rund 2000 Jahren wurde das Glasblasen erfunden.
Die Römer brachten Trinkgläser und Flaschen aus Glas
in die Schweiz. Glasbläsereien entstanden. Im Frühund Hochmittelalter war Glasgeschirr eine Kostbarkeit.
Es existierten nur noch wenige Betriebe nördlich der
Alpen, beispielsweise in der Gegend von Köln (D). Exquisite Gläser wurden in Werkstätten des Mittelmeergebiets, besonders in Venedig und Syrien, hergestellt.
Wegen des aufwändigen Transports über die Alpen
waren solche Gläser selten und sehr kostbar.
Im Spätmittelalter entstanden neue Werkstätten, so
genannte Glashütten, im Jura, im Schwarzwald (D)
und in Böhmen (CZ). Diese beherrschten allerdings
die Herstellung von farblosem Glas noch nicht. Deshalb ist das Glas oft grün und heisst Waldglas. Weil die
Transportwege nun kürzer waren und der Handel insgesamt zunahm, wurden Gegenstände aus Glas viel
billiger und so zur Massenware.
Die «Krautstrünck» – Wie trank man mit fettigen Händen?
Die Glasscherbe hat einen lustig aussehenden Buckel
(Nuppe) auf der Aussenseite. Dies ist ein Glastropfen,
den der Glasbläser auf das fertige Trinkglas aufsetzte.
Diese Nuppen sassen so dicht, dass das grüne Glas
von weitem wie ein entblätterter Strunk eines Kohlkopfs aussah. Deshalb erhielt es bereits im Mittelalter
den Namen «Krautstrunk». Auch sonst verwendete
man originelle Namen für Trinkgläser: «Teubelein,
Brüderlein, Maigelin, Piergleser und feine kleine
Trinckgleserlein».
Gläser mit Nuppen waren sehr beliebt. Da man häufig
mit den Händen ass – die Gabel gehörte damals
noch nicht zum Tischgedeck – rutschte einem das Glas
dank der Nuppen nicht so schnell aus den fettigen
Händen.
Schülerheft: Objekt 6
© STARCH
Den Glasbläsern über die Schultern geschaut
Auf dem im frühen 15. Jahrhundert gemalten Bild sind
die verschiedenen Arbeitsschritte sehr gut sichtbar.
Oben wird das Rohmaterial für die Glasmasse ausgegraben und in Säcke und Behälter gefüllt. Für die
Glasmasse braucht man drei Materialien: Quarzsand,
ein Flussmittel (Kalk oder Blei) und einen Stabilisator
(Soda oder Pottasche). Das Flussmittel bewirkt, dass
das Glas im Ofen bei hoher Temperatur flüssig wird.
Das Rohmaterial bringt man zur Glashütte. Die Glashütte befindet sich üblicherweise in einem Waldgebiet, weil man für das Heizen der Brennöfen und für
die Herstellung der Pottasche viel Holz benötigt. Der
Mann rechts unten schürt das Feuer im Ofen. In der
Mitte stehen zwei Glasbläser. Derjenige links bläst in
ein langes Rohr, auf dem sich zuvorderst Glasmasse
befindet. Durch das vorherige Erhitzen wurde die
Masse so flüssig, dass sie der Bläser ballonartig aufblasen kann. Mit weiteren Werkzeugen stellt er die
gewünschte Form her. Am Schluss kann er das Glas
auf der Aussenseite noch verzieren, indem er wie
beim Krautstrunk auf die Aussenseite Tropfen einer
anderen Glasmasse aufklebt. Links sieht man fertige
Gläser, die sorgfältig begutachtet werden.
E. BAUMGARTNER, I. KRUEGER, Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters
(München 1988), S. 22.
Weiterführende Literatur
E. BAUMGARTNER , I. KRUEGER , Phönix aus Sand und
Asche. Glas des Mittelalters (München 1988).
R. GLATZ , Hohlglasfunde der Region Biel. Zur Glasproduktion im Jura (Bern 1991).
Vergleichsobjekte
2 Schüssel
© STARCH
7
Schülerheft: Objekt 7
Lavezbecher
Replik
Hergestellt von A. Gaggi, Chiesa (I).
Beschreibung
Konischer Becher aus Lavez.
Fundorte der Originale
Städte (z. B. Zürich und Winterthur), Burgen und
Dörfer.
Datierung
12. und 13. Jahrhundert.
Fundort und Fundumstände
Lavez oder Speckstein ist eine mehr oder weniger
weiche Gesteinsart (fühlt sich seifig an), die in den Alpen vorkommt. Der Begriff «Lavez» kommt von lat.
lapis (Stein) und damit verwandt sind rätoromanisch
laveschg (gedrehte Steinpfanne) und italienisch laveggio (der Kochtopf).
Bereits ab der Eisenzeit wurden im Alpengebiet Gefässe aus Speckstein hergestellt. Ab römischer Zeit
wurden Specksteingefässe aus den alpinen Lagerstätten in weit entfernte Gegenden exportiert. Im Frühund Hochmittelalter sind im Kanton Zürich Lavezgefässe sowohl in ländlichen Siedlungen wie in den
Städten belegt. Die häufigste Form ist der Becher. Im
Mittelalter sind Lavezgefässe bis ins 13. Jahrhundert
verbreitet; so wurden z. B. in Zürich zahlreiche Topf-,
Deckel- und Becherfragmente sowie Spielsteine aus
dem 12. und 13. Jahrhundert geborgen.
Kochgeschirr und Trinkbecher
Lavez ist ein Wärmespeicher und eignet sich deshalb
sehr gut für die Herstellung von Kochgefässen. Eine
Quelle aus dem 18. Jahrhundert nennt die entsprechenden Vorzüge: Laveztöpfe «behalten die Hitze des
Feuers weit länger als metallene oder irdene Geschirre, sie bleiben im grössten Feuer unzerbrechlich,
sie brechen auf keine andere Weise als durch Fall;
was darin gekocht wird, siedet weit geschwinder als
in anderen Gefässen, die Speisen darin behalten ihren
guten Geschmack und nehmen keinen fremden an»
(J. C. Fäsi, Landvogtey Meyenthal, 1766). Dass Lavezgefässe tatsächlich zum Kochen gebraucht wurden,
zeigen die vom Herdfeuer stammenden Russspuren
an der Aussenwandung der Gefässe. Einfache Becher
dienten zudem als Trinkgeschirr.
Schülerheft: Objekt 7
© STARCH
Die Arbeit an der Drehbank
Da das Gestein einen geringen Härtegrad hat, war es
möglich, Steinblöcke aus dem Bruch zu lösen, die in
ihren Umrissen bereits die Form des Endproduktes erahnen liessen. Der Transport vom Berg ins Tal war voller Hindernisse. Die besten Steine gingen zur Verarbeitung an die Drehbank, die vom Wasser angetrieben wurde. Nachdem der Brocken von aussen bearbeitet wurde, höhlte ihn der Handwerker mit speziell
angefertigten Eisenstangen aus, um schliesslich mittels abgerundeten Eisenstäben den Boden zu runden
(vgl. Drehriefen am Objekt). Die heikelste Phase ist
die Trennung des Gefässes vom Kern. Gelingt dies, so
kann man aus einem Gesteinsblock mehrere Gefässe
vom grössten zum kleinsten herausdrehen.
Handwerker an der Drehbank, mit Eisenstangen für die
Bearbeitung des Specksteins und der Kerne.
MUSEO DI VALMAGGIA , CEVIO (HG.), 2000 anni di pietra ollare (Locarno 1985), S. 34.
Weiterführende Literatur
MUSEO DI VALMAGGIA (HG.), 2000 anni di pietra ollare
(Locarno 1985).
A. MUTZ, Die Technologie der alten Lavezdreherei.
Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Bd. 73
(Basel 1977).
J. SCHNEIDER , D. GUTSCHER , H. ETTER , J. HANSER , Der
Münsterhof in Zürich. Bericht über die Stadtkernforschungen 1977/78. Schweizer Beiträge zur
Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters, Band 10 (Olten 1982).
Vergleichsobjekte
37 Spielsteine
© STARCH
8
Schülerheft: Objekt 8
Nahrungsmittel
Originale
Tierknochen aus Winterthur, Obergasse.
Moderne Stücke
Baumnüsse, Schlehensteine und Kirschsteine.
Beschreibung und Fundorte
Speiseabfälle aus Siedlungsschichten (Tierknochen,
Baumnüsse) und Latrinen.
Datierung
13. und 14. Jahrhundert.
Erhaltung und Bestimmung von Pflanzen- und Tierresten
Die Untersuchung von Pflanzenresten und Tierknochen aus archäologischen Ausgrabungen liefert wichtige Informationen zur Ernährung und zum Lebensstandard der Menschen im Mittelalter. Darüber hinaus
ist es möglich, die damalige Vegetation anhand der
archäologischen Pflanzenreste zu rekonstruieren.
Ideale Erhaltungsbedingungen für Pflanzenreste liefern Latrinen (Latrine = Toilette). Die Lagerung in einer feuchten Erdschicht unter Luftabschluss ermöglicht die Erhaltung von unverkohlten Samen, Früchten,
Getreideresten und Unkräutern. Auch im verkohlten
Zustand können sich Samen und Früchte gut erhalten,
z. B. in einer Brandschicht. Auf der Mörsburg bei
Winterthur wurde im Keller eines Speichers, der um
1300 abgebrannt war, eine reichhaltige Brandschicht
dokumentiert. Auf dem Kellerboden lagen verbrannte
Äpfel, Birnen, Nüsse und Getreidereste (vgl. Abbildung).
Die Archäozoologie beschäftigt sich mit der Bestimmung der Tierknochen, die bei Grabungen sehr häufig
als Küchenabfall geborgen werden. Bei der Bestimmung der Tierknochen benötigt man eine Vergleichssammlung mit ganzen Skeletten heutiger Haus- und
Wildtierarten. Dabei ist die Menge und Artenzusammensetzung der Knochen wichtig, z. B. der Anteil von
Haus- und Wildtieren. Stark fragmentierte Knochen
deuten auf Speise- und Schlachtabfälle (z. B. Rind,
Schwein, Schaf und Ziege). In Latrinen finden sich
nicht nur Reste von grossen Tieren, sondern auch
nicht verdaute Fischknochen oder ganze Skelette von
Nagetieren, Katzen oder Hunden, deren Kadaver vermutlich dort entsorgt wurde.
Neben Küchenabfällen können auch Tierknochen als
Werkabfälle der Gerberei und Knochenschnitzerei vorkommen, z. B. Fuss-, Schädel- und Hornteile von Rindern, Schafen oder Ziegen.
Schülerheft: Objekt 8
© STARCH
Reichhaltiger Speisezettel
aus zwei spätmittelalterlichen Latrinen
Von den menschlichen Fäkalien in den mittelalterlichen Latrinen werden Proben entnommen und von
der Archäobotanikerin oder vom Archäobotaniker im
Labor untersucht. Durch Schlämmen der Erdproben
mit Wasser können die Pflanzenfunde ausgelesen
und mit optischen Geräten (Binokular und Mikroskop)
bestimmt werden. Der Latrineninhalt erlaubt auch
Rückschlüsse auf die soziale Stellung der Benutzer,
z. B. durch den Nachweis von teuren, importierten
Früchten, Gewürzen oder grossen Fleischmengen.
Eine erste Durchsicht des geschlämmten Probematerials aus zwei spätmittelalterlichen Latrinen am Oberen Graben 26/28 in Winterthur haben eine aufschlussreiche Pflanzenliste geliefert. Nicht alle Nahrungsmittel erhalten sich, z. B. Getreidesorten, die zu
Mehl verarbeitet werden oder pulverisierte Gewürze,
Milchprodukte wie Käse. Vergleiche die heutige Vielfalt an Früchten und Gemüsen mit der Liste aus der
Latrine.
In der Brandschicht im Keller des Speicherbaus auf der
Mörsburg lagen verkohlte Baumnüsse und Ofenkacheln.
Kantonsarchäologie Zürich.
Obstarten
Pflaumen (sehr viel), Zwetschgen, Süss- und Sauerkirschen, Erdbeeren, Äpfel, Hagebutten, Himbeeren, Brombeeren, schwarzer und roter Holunder,
Weintrauben.
Nüsse
Getreide
Hafer, Gerste, Roggen, Saatweizen, Einkorn, Dinkel
Senf
Gemüse und Salatpflanzen
unter anderem Rüben, Hülsenfrüchte, Linsen
Zahlreiche Unkräuter, wenige Heilpflanzen
Fischknochen, Insekten und Holzreste
Diese am Oberen Graben 26 in Winterthur ausgegrabene
Latrine bestand aus einer einfachen Erdgrube. Deren Wand
war mit einem Holzgeflecht konstruiert.
Kantonsarchäologie Zürich.
Weiterführende Literatur
P. KAMBER , CH. KELLER, Fundgruben – Stille Örtchen
ausgeschöpft (Basel 1996).
M. KÜHN, R. SZOSTEK , R. WINDLER U.A ., Äpfel, Birnen,
Nüsse – Funde und Befunde eines Speicherbaus
des 13. Jahrhunderts bei der Mörsburg. In: Archäologie im Kanton Zürich 1999–2000. Ber. Kantonsarchäologie Zürich 16 (Zürich und Egg 2002),
S. 271–308.
Vergleichsobjekte
1 Dreibeintopf
15 Mörser
22 Rebmesser
© STARCH
9
Schülerheft: Objekt 9
Feuerzeug
Replik
Hergestellt von Johann Tinnnes, Köln (D).
Beschreibung
Feuerstahl mit Feuerstein und Zunderschwamm
in Lederbeutel.
Fundorte der Originale
Verschiedenste Dörfer, Städte und Burgen.
Datierung
Spätmittelalter und Neuzeit.
Feuerzeug vor dem Feuerzeug
Bevor um 1830 die Entwicklung der Zündhölzer begann und um 1900 die uns bekannten Feuerzeuge
entstanden, war das Feuermachen mit Feuerstahl,
Silex (Feuerstein) und Zunderschwamm die gängigste
Technik. Es brauchte dazu mehr Geduld und Geschick
als mit den modernen Feuerzeugen. Da aber in der
Vergangenheit das Feuer im Alltag eine zentrale Rolle
spielte und darum sorgfältig gehütet wurde, brannte
fast immer im Haus ein Feuer, von dem aus Lampen
und Kerzen angezündet werden konnten.
Zu Beginn der Eisenzeit hat man die Eigenschaft des
Feuerstahls erkannt. Dabei handelt es sich um ein
kohlenstoffreiches und sprödes Eisen, das bei richtiger
Anwendung eine starke Funkenbildung entwickelt.
Der Feuerstahl wurde im Mittelalter als bügelförmig
gebogenes und handgerechtes Stück Eisen geformt.
Beim Silex handelt es sich um einen Quarz. Dieser
Stein, der in vielen Farben in ganz Europa vorkommt,
ist sehr hart. Er lässt sich in allen Richtungen spalten
und eignete sich in der Steinzeit daher gut zum Herstellen von Steinklingen und ähnlichen Werkzeugen.
Beim Zunderschwamm handelt es sich um einen
Baumpilz, der an abgestorbenen Bäumen (vor allem
Birken und Buchen) wächst. Um das zum Feuermachen geeignete Rohmaterial zu gewinnen, musste das
ledrige oder korkige Innere des Pilzes von der steinharten Rinde getrennt werden. Das weiche Innere
wurde in Scheiben geschnitten und während rund
zwei Wochen nitriert. Im Mittelalter wurde es dafür in
Urin eingelegt. Danach wurde es getrocknet und mit
einem Holzknüppel kräftig geklopft, bis es sich wie
weiches Wildleder anfühlte.
Schülerheft: Objekt 9
© STARCH
Feuer schlagen
Zum Feuermachen wird in der einen Hand der Silex
gehalten, wobei ein Stück Zunderschwamm darauf
gelegt wird. Mit der anderen Hand schlägt man den
Feuerstahl mehrmals über eine scharfe Kante des
Feuersteins. Dabei werden kleinste Späne des spröden Feuerstahls abgerissen, die durch die Reibung zu
glühen anfangen und in Form von Funken nach oben
sprühen. Mit etwas Glück und Geduld fallen diese auf
den Zunderschwamm, der dadurch zum Glimmen gebracht wird.
Vom glimmenden Zunder zum Feuer mit Flammen
sind nun weitere Schritte nötig. Der glimmende Zunderschwamm muss in sehr trockenes und feines Material (Hobelspäne, Heu oder Flugsamen) gelegt werden. Durch vorsichtiges Blasen wird dieses Material,
das man am besten in den Händen hält, zum Brennen
gebracht.
So funktionieren mittelalterliche Feuerzeuge.
H. A. BRUNNER, Feuer und Feuerschlagmesser (Frauenfeld 1998), S. 35.
Nun kann das brennende Material auf die Feuerstelle
gelegt, vorsichtig mit feinem Holz belegt und so langsam zu einem richtigen Feuer entfacht werden.
Weiterführende Literatur
H. A. BRUNNER , Feuer und Feuerschlagmesser
(Frauenfeld 1998).
Vergleichsobjekte
1 Dreibeintopf
2 Schüssel
© STARCH
10
Schülerheft: Objekt 10
Hufeisen
Original
Fundorte aus dem ganzen Kanton Zürich.
Beschreibung
Hufeisen. Nagellöcher meistens zugerostet,
Hufnägel fehlen weitgehend.
Fundorte
Burgen, Städte und Dörfer, gepflügte Felder.
Datierung
Spätmittelalterlich, frühneuzeitich.
Hufeisen – eine Erfindung im Dienste des Krieges?
Der Hufbeschlag hatte drei Hauptzwecke:
n Verhinderung der Abnützung des Hufes, wodurch
ein Pferd für längere Feldzüge oder Reisen ohne
Zwangspausen benutzt werden konnte.
n Verwendung der Pferde auch bei Schneeglätte.
n Bessere Beweglichkeit der Pferde in Turnier und
Krieg (schnelleres Wenden).
Zusammen mit der von Jahrhundert zu Jahrhundert
verbesserten Rüstung verschaffte der Hufbeschlag
dem Reiterkrieger vorübergehend eine grosse Überlegenheit gegenüber den Fusstruppen. So gelang es
den Rittern auf dem ersten Kreuzzug ins Heilige Land
(1095–1099), die Gegner förmlich über den Haufen zu
reiten.
Als ältester Beleg für die Schweiz gilt das Verzeichnis
der Abgaben des Klosters St. Gallen, wonach ein Hof
im Jahre 826 als Zinsgabe Hufeisen zu liefern hatte.
Bislang fehlen archäologische Funde, welche älter
sind. Damit steht fest, dass der Hufbeschlag eine Errungenschaft des Mittelalters darstellt.
Wie kann man das Alter eines Hufeisens bestimmen?
Eine Altersbestimmung ist nur mittels Vergleich mit
Fundstellen möglich, deren Besiedlungsdauer bekannt
ist. Als Beispiel dient die Burg Schauenberg bei Hofstetten ZH. Da diese vor 1344 zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde, sind die dort gefundenen Hufeisen älter als aus dem Jahr 1344.
Hufeisen sind aber Gebrauchsgegenstände, deren
Aussehen sich im Mittelalter nur geringfügig veränderte. Deshalb ergibt der Vergleich von ähnlich
aussehenden Hufeisen nur eine ungefähre Altersbestimmung (z. B. 13./14. Jahrhundert). Erschwerend ist
zudem, dass die Hufeisen bis um 1930 von jedem
Schmied selber hergestellt und den Hufen angepasst
wurden. Vorder- und Hintereisen unterscheiden sich
ebenfalls aufgrund der Anatomie des Hufs.
Schülerheft: Objekt 10
© STARCH
Pferdezubehör
Vom Reitzubehör überdauerten nur die Teile aus
Metall die Zeit: Reitsporen, Trensen, Beschläge vom
Zaumzeug, Steigbügel, Pferdestriegel, Hufeisen und
Hufnägel. In grösserer Zahl kommen solche Gegenstände bei Grabungen auf Burgen zum Vorschein. Zügel, Sattel und andere Teile aus Leder sind meist nicht
erhalten. Bei Turnieren schmückte man die Pferde mit
kunstvoll verzierten Decken. Dies sieht man auf mittelalterlichen Bildern.
Vom Reisen und einer
Landwirtschaftsrevolution
Pferde waren natürlich beliebte Reittiere für Reisen
des Adels und der Kirchen- und Kaufleute. Die Bedeutung des Reisens war für diese Bevölkerungsgruppen
immens. Die Könige hatten bis ins späte Mittelalter
keine feste Residenz. Sie zogen übers Land und hielten an vorher bekannt gegebenen Orten Hof. Hier
konnte man erscheinen und seine Anliegen vortragen.
Danach zog der König mit seinem Tross weiter.
Anspannung eines Pferdes im Kummetgeschirr (nach moderner Vorlage). Der lederne Kummet wird dem Pferd um den
Hals gelegt, wodurch es die Last mit der ganzen Körperkraft
ziehen kann.
Umzeichnung Kantonsarchäologie Zürich.
Im Verlauf des 13. Jahrhunderts hielt das Pferd auch
Einzug in die Landwirtschaft. Davon zeugen noch
heute Wörter wie «Pferdestärke» (PS) für Motorstärken und «Ackergaul». Bahnbrechend war nämlich die
Erfindung des Kummet. Diese Vorrichtung ermöglichte
es, Pferde vor den Pflug zu spannen. Ihre Leistung
war viel besser als jene eines Ochsengespanns. Das
Pferdegespann konnte man auch schneller wenden.
Weiterführende Literatur
J. CLARK (HG.), The Medieval Horse and its Equipment, c. 1150–1450. Medieval Finds from Excavations in London 5 (London 1995).
W. DRACK , Hufeisen – entdeckt in, auf und über der
römischen Strasse in Oberwinterthur (Vitudurum). Ein Beitrag zur Geschichte des Hufeisens.
Bayerische Vorgeschichtsblätter 55, 1990,
S. 191–239.
S. FELGENHAUER-SCHMIEDT, Die Sachkultur des Mittelalters im Lichte der archäologischen Funde.
Europäische Hochschulschriften, Reihe XXXVIII
Archäologie ; Bd. 42, 1993, S. 201ff.
N. OHLER, Krieg und Frieden im Mittelalter
(München 1997).
© STARCH
11
Schülerheft: Objekt 11
Geschossspitze
Original
Kantonsarchäologie Zürich.
Beschreibung
Lanzettförmige Geschossspitze mit rhombischem
Blattquerschnitt und Tülle, Eisen, geschmiedet.
Fundort
Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil.
Datierung
Ausgehendes 12. und 13. Jahrhundert.
Pfeilspitze oder Eisen eines Armbrustbolzens
Die weitaus häufigsten Relikte von Langbogen und
Armbrust, die bei archäologischen Ausgrabungen zutage treten, sind die eisernen Geschossspitzen. Die
hölzernen Pfeil- oder Bolzenschäfte haben sich dagegen bei Bodenfunden in den allermeisten Fällen nicht
erhalten. Ohne Schaft kann man meist nicht bestimmen, ob es sich um eine Pfeilspitze oder einen Armbrustbolzen handelt.
Geschossspitzen sind im Fundgut von Burgen häufig
vertreten (z. B. Alt-Regensberg ZH, Alt-Wädenswil ZH
und Wulp bei Küsnacht ZH). In Dörfern und Städten
dagegen kommen Geschossspitzen nur sehr vereinzelt vor. Dies erstaunt nicht, brauchte man doch Bogen und Armbrust bei der Jagd, die im Mittelalter dem
Adel vorbehalten war. In der Schlacht dagegen waren
Bogen und Armbrust bei den Rittern verpönt: Man
kämpfte mit Schwertern und Lanzen gegeneinander.
Das weitgehende Fehlen von Geschossspitzen in Städten ist etwas erstaunlicher, da Armbrustschützen Teil
der städtischen Kriegstruppen waren.
Mit Bogen und Armbrust auf die Jagd und in den Krieg
Als Jagdwaffe besass die Armbrust gegenüber dem
Bogen einen wichtigen Vorteil: Sie liess sich im
schussfertigen Zustand mitführen und ermöglichte
auch ein längeres Verharren mit gespannter Sehne
ohne Dauerbelastung des Arms. Ausserdem liessen
sich gezieltere und schärfere Schüsse abgeben.
Auch im Krieg war die Armbrust dem Bogen vor allem
an Durchschlagskraft weit überlegen. Dafür gelang einem geübten Bogenschütze eine bedeutend höhere
Schussfrequenz, d. h., während mit der Armbrust etwa
zwei bis drei Bolzen pro Minute abgeschossen wurden, war es leicht möglich, in der gleichen Zeit 15
Pfeile zu verschiessen. Dies ist letztlich der Grund,
warum der Bogen eher in der offenen Feldschlacht,
die Armbrust aber zur Verteidigung einer Burg oder
Stadt eingesetzt wurde.
Schülerheft: Objekt 11
© STARCH
Verarbeitung und Schmiedetechnik
Zum Schmieden einer Geschossspitze benötigt man
einen etwa 15 cm langen und 1,5 cm dicken runden
Eisenstab. Ein Ende wird in der Esse auf etwa 1300 °C
erhitzt und zur lanzettförmigen Spitze ausgeschmiedet. Ebenfalls im glühenden Zustand wird das andere
Ende flach gehämmert, mit Hilfe eines sogenannten
Rundgesenks gebogen und schliesslich mittels eines
konischen Zylinders zur Tülle ausgeschmiedet. Ein
tüchtiger Schmid benötigt zur Herstellung einer Geschossspitze etwa eine Viertelstunde.
Kol von Nüssen geht mit der Armbrust auf Vogeljagd.
Manesse-Liederhandschrift.
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der Grossen Heidelberger
Liederhandschrift (Frankfurt a. M. 1988), Nr. 33.
Die verschiedenen Arbeitsschritte beim Schmieden einer
Geschossspitze mit Tülle.
Umzeichnung Kantonsarchäologie Zürich nach B. ZIMMERMANN 2000, Tafel 34.
Weiterführende Literatur
J. WINIGER , A. MATTER , A. TIZIANI, Die Burg Schauenberg bei Hofstetten. Monografien der Kantonsarchäologie Zürich 13 (Zürich und Egg 2000).
B. ZIMMERMANN, Mittelalterliche Geschossspitzen.
Kulturhistorische, archäologische und archäometallurgische Untersuchungen. Schweizer Beiträge
zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 26 (Basel 2000).
Vergleichsobjekte
10 Hufeisen
© STARCH
12
Schülerheft: Objekt 12
Stecknadel
Original
Kantonsarchäologie Zürich.
Beschreibung
Stecknadel aus Messing.
Fundort
Winterthur, Stadtkirche.
Datierung
Spätmittelalter (13.–15. Jahrhundert).
Ein Teil der Kleidung
Die vorliegende Nadel ist unseren modernen Stecknadeln sehr ähnlich. Während diese heute beim Nähen
zum Zusammenheften von Stoffen gebraucht werden,
waren die Stecknadeln im Spätmittelalter in erster Linie ein Teil der Kleidung. Hauben und Schleier wurden
mit Stecknadeln an der Frisur befestigt, wie es das
Bild einer wohlhabenden Frau aus dem 15. Jahrhundert zeigt (siehe Abbildung auf der Rückseite). Den
feinen Schleier hat sie mit einer Nadel, von der nur
der Kopf zu erkennen ist, angeheftet.
Neben den einfachen Nadeln, wie diesem Originalfund aus der Stadtkirche Winterthur, gab es auch kostbarere Stücke. Der Nadelkopf wurde zum Teil mit einem eingelegten Edelstein verziert. Betrachten wir
das vorliegende Stück genau, so sehen wir, dass hier
der Nadelkopf aus einem aufgerollten, kurzen Stück
Draht besteht.
Schülerheft: Objekt 12
© STARCH
In der Kirche verloren
Stecknadeln wurden im Spätmittelalter in grossen
Mengen gebraucht. So hatten sieben Kaufleute aus
Venedig, deren Schiff 1440 den Hafen von Southampton in Südengland anlief, 83 000 Stück in ihrer Ladung.
Nadeln gingen auch gelegentlich verloren und werden heute bei Ausgrabungen wieder gefunden. Allein
bei den Ausgrabungen in der Stadtkirche von Winterthur kamen gegen 150 Stück zum Vorschein. Die Nadeln waren ebenso wie kleine Zierbleche (siehe Abbildung), Münzen (Objekt 30) und anderes mehr von
den Kirchgängerinnen und -gängern verloren worden
und in den Ritzen des Bretterbodens verschwunden.
Unter dem Holzboden bildete sich so im Laufe der Zeit
eine Schicht, in der sich neben Schmutz und Sand allerlei kleine Gegenstände ansammelten.
Gemälde eines schwäbischen Malers des 15. Jahrhunderts.
Es zeigt das Porträt einer wohlhabenden Frau, deren Haube
mit Stecknadeln befestigt ist.
E. LAMGMUIR, The National Gallery, Companion Guide (London 1994), S. 91.
Auf der Kleidung aufgenähte Zierbleche und andere kleine
Gegenstände, die Kirchgängerinnen und Kirchgänger im Mittelalter in der Stadtkirche von Winterthur verloren hatten.
Kantonsarchäologie Zürich.
Weiterführende Literatur
M. ILLI, R. WINDLER , Stadtkirche Winterthur –
Archäologie und Geschichte (Zürich 1994).
© STARCH
13
Schülerheft: Objekt 13
Holzkamm
Replik
Stefan Schreyer, Bern.
Beschreibung
Zweireihiger Kamm aus Buchsbaumholz.
Fundort des Originals
Konstanz (D).
Datierung
Im Spätmittelalter bekannt. Gut erhaltene Holzkämme stammen oft aus feuchten Schichten, da
sich dort Holz gut erhält. Solche Kämme werden bis
in die Neuzeit benutzt.
Das Vorbild der Replik: Ein Buchsholzkamm aus Konstanz (D)
Die am Bodensee gelegene Stadt Konstanz war im
Mittelalter sehr bedeutend, nicht zuletzt als Zentrum
von verschiedenen Handwerkern (z. B. Schmiede, Paternosterer, Schuster). In den feuchten Schichten nahe
dem Seeufer kamen auf Stadtgebiet auch etliche gut
erhaltene Holzkämme aus Buchsbaumholz zum Vorschein.
Die Kämme wurden wahrscheinlich von einem
«Kammcher» (= Kammmacher) mit Hilfe von Ziehmesser und feiner Säge angefertigt. Kämme stellte
man nicht nur aus Holz, sondern auch aus Knochen
oder Horn, selten auch aus Elfenbein her. Eine Seite
des Kamms war oft mit einer groben, die andere mit
einer etwas feineren Zahnreihe versehen.
Ein Kamm in der Tasche
Wahrscheinlich besassen die meisten Menschen im
Spätmittelalter einen Kamm – er diente zur selbstverständlichen Körperpflege. Man trug ihn meist am Gürtel in einer kleinen Tasche. Damit wurden die Haare
aufgeteilt und dann kunstvoll aufgesteckt, aber man
konnte auch versuchen, den Kopfläusen beizukommen. Man darf nicht annehmen, dass man im Mittelalter die Haare oft gewaschen hat (und sicher noch
ohne Shampoo!).
Schülerheft: Objekt 13
© STARCH
Holz ist nicht gleich Holz:
Welches Holz kann man wofür brauchen?
Einfache Gegenstände wie Kämme können mit wenig
Werkzeugen hergestellt werden. Eine Säge mit feinem Sägeblatt, ja sogar nur ein Messer genügen zur
Herstellung. Wichtig ist aber die Auswahl des richtigen Holzes: Die Menschen des Mittelalters wussten
sehr genau, welches Holz am besten geeignet war,
einen stabilen Kamm zu erhalten, der möglichst wenig an den Haaren riss. Sie benutzten für einfache
Kämme oft das Holz des Buchsbaumes, eines bis etwa
4 Meter hohen Bäumchens mit hartem Stamm.
Buchsbäume findet man wild in der Schweiz im Solothurner Jura oder der Gegend von Basel, sie werden
oft auch als Gartenhecken gepflanzt.
Auch andere Holzgegenstände des täglichen Gebrauchs wurden aus speziellen Hölzern gearbeitet.
Geeignet für Spielzeug, aber auch für Pokale, Holzschalen, Brillengestelle und Wachstafeln sind vor allem Hölzer wie Ahorn, Erle, Eibe und Buche. Sie sind
zäh und dauerhaft, und ihre Maserung (die Zeichnung
der Jahrringe im Holz) ist sehr schön. Möbel sind oft
aus Nadelhölzern wie Tanne oder Fichte hergestellt.
Dreiteiliger Geweihkamm eines Mannes aus dem Frühmittelalter, Gräberfeld Elgg, Kt. Zürich. Mehrere gezähnte Plättchen
werden durch zwei Leisten zusammengehalten. Das erkennt
man an der Schnittzeichnung (nicht ausgefüllte Flächen =
Knochenteile, schwarze Fläche = Niete).
Kantonsarchäologie Zürich.
Spätmittelalterliche Holzgegenstände aus Freiburg (D) und
Konstanz (D): ein Kreisel, ein Kerbholz (zum Messen), eine
Schale und ein Flötenkopf, soweit bekannt hergestellt aus
Eibe, Buche und Fichte.
U. MÜLLER, Holzfunde aus Freiburg (Augustinereremitenkloster) und Konstanz,
Herstellung und Funktion einer Materialgruppe aus dem späten Mittelalter
(Stuttgart 1996), Taf. 26.19, 32.3, 5.20, 28.10.
Weiterführende Literatur
U. MÜLLER , Holzfunde aus Freiburg (Augustineremitenkloster) und Konstanz, Herstellung und
Funktion einer Materialgruppe aus dem späten
Mittelalter (Stuttgart 1996).
Vergleich mit einer früheren Periode: B. Hedinger,
U. Leuzinger, Tabula rasa, Holzgegenstände aus
den römischen Siedlungen Vitudurum und Tasgetium (Frauenfeld 2002).
W. OBERHUBER , W. HOFBAUER , Holz- und Rindenartefakte von Schloss Bruck bei Lienz in Osttirol.
In: Archäologie Österreichs 13, 2002, Sonderausgabe, Mittelalter und Neuzeitarchäologie,
S. 35–43.
Vergleichsobjekte
5 Holzlöffel
38 Schachfiguren
© STARCH
14
Schülerheft: Objekt 14
Schröpfkopf
Replik
Regula Wälti, Bern.
Beschreibung
Schröpfkopf aus Keramik. Grau gebrannter Ton.
Fundorte der Originale
Badstuben in Städten, z. B. Winterthur, Metzggasse,
und Burgen.
Datierung
Spätmittelalterlich.
Fundorte
Schröpfgefässe werden sowohl auf Burgen wie in
den städtischen Badstuben gefunden. Eine grössere
Anzahl fand man bei Ausgrabungen der unteren
Badstube in Winterthur (Ecke Metzggasse/Steinberggasse). Die kleinen Gefässe sind meistens aus unglasiertem Ton gefertigt.
Neben Schröpfköpfen aus Keramik waren auch solche
aus Metall oder Glas in Gebrauch. Die rundlichen, auf
der Töpferscheibe hergestellten Gefässe besitzen häufig einen gewölbten Boden und einen einziehenden,
verdickten Randabschluss, der direkt auf der Haut des
Patienten haftete.
Schröpfen in der Badestube
Von der Antike bis in die Neuzeit ist die «Vier-SäfteLehre» wichtigster Bestandteil der Medizin. Danach
besteht der Mensch aus den Grundsubstanzen Blut,
Schleim, schwarze und gelbe Galle. Gesundheit ist
durch das Gleichgewicht der vier Säfte, Krankheit
durch ihr Ungleichgewicht gegeben. Bei kranken
Menschen wurden die verdorbenen, überschüssigen
Säfte entzogen. Der Blutentzug wurde meist von den
Badern und Barbieren in den Schwitz- und Badestuben durchgeführt. Um die schlechten Körpersäfte zu
entziehen, wurde die Haut mit einem Schröpfeisen
eingeritzt und ein Schröpfkopf tief in die Wunde hineingedrückt. Sobald das Schröpfgefäss ein Drittel mit
Blut gefüllt war, fiel es durch sein Gewicht selbst ab.
Neben diesem sogenannten blutigen Schröpfen gab
es auch die Möglichkeit, den erhitzten Schröpfkopf auf
die unverletzte Haut aufzusetzen, wo er sich unter
dem entstehenden Unterdruck festsaugte (sogenanntes trockenes Schröpfen). Diese Behandlung fördert
die Durchblutung und wirkt anregend.
Aderlass
Aderlassen war hingegen Aufgabe der Barbiere (auch
Scherer genannt). Dabei verlor der Patient eine gewisse Menge Blut bei angeschnittenen Armvenen. Es
gab komplizierte Theorien über die möglichen Einstichpunkte für den Blutentzug. Jede Einstichstelle am
menschlichen Körper hatte eine andere Wirkung.
Schülerheft: Objekt 14
© STARCH
Das Ende der Badstuben-Kultur
Am Ende des 15. Jahrhunderts schreckte die rasante
Verbreitung der Geschlechtskrankheit Syphilis die Bevölkerung auf. Die Badstuben, in denen sich auch
Frauen prostituierten, galten sehr schnell als Ansteckungsorte, weshalb es im 16. Jahrhundert zu Schliessungen der Betriebe kam.
Archäologen auf der Spur
der Syphilis
Syphilis wurde über Jahrhunderte von Medizinern und
Medizinhistorikern für eine Seuche aus Amerika gehalten, die 1492 von den Spaniern nach Europa gebracht wurde. Kürzlich entdeckte man aber bei Ausgrabungen auf einem Klosterfriedhof in Hull (GB) bei
der Hälfte der Skelette an den Knochen Spuren der
Syphilis. Da die Gräber ins 14. Jahrhundert datieren,
sehen einige Wissenschaftler die Syphilis nicht mehr
als eine aus Amerika eingeschleppte Seuche an.
Funde aus dem Mittelmeerraum, namentlich aus
Pompeji (I) und Metaponto (I), stützen diese neue Erkenntnis. Ungeklärt bleibt nun, weshalb die Syphilis
nach 1492 in ihrer Ansteckungsfähigkeit so beängstigend zunahm. Erst mit der Entdeckung des Penicillins
gelang es im 20. Jahrhundert, die Syphilis einzudämmen. Nachlässigkeit und die Fixierung auf AIDS lässt
sie in unseren Tagen wieder verstärkt auftreten.
Aderlass und Schröpfen in der Badstube. Darstellung aus einer
um 1500 entstandenen böhmischen medizinischen Handschrift.
U. L. GANTENBEIN, Schwitzkur und Angstschweiss. Praktische Medizin in Winterthur seit 1300. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 327 (Winterthur
1996), S. 37.
Weiterführende Literatur
U. L. GANTENBEIN, Schwitzkur und Angstschweiss.
Praktische Medizin in Winterthur seit 1300. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 327
(Winterthur 1996).
CH. MÖRGELI, Das Medizinhistorische Museum der
Universität Zürich (Zürich 1991).
B. TUCHEN, «... wolher ins bad reich und arm...».
Die «Obere Badstube» zu Wangen im Allgäu. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 26 (Stuttgart 1994).
Vergleichsobjekte
13 Holzkamm
15 Mörser
© STARCH
15
Schülerheft: Objekt 15
Mörser
Replik
Deutsches Apothekenmuseum, Heidelberg (D).
Beschreibung
Halb so gross wie das Original. Konische, vierfach
gerippte Form mit Löwenfüssen, ein eckiger Henkel.
Krückenpistill. Bronze, etwa 1⁄2 Kilogramm schwer.
Herkunft der Originale
Unterschiedliche Museumstücke.
Datierung
15. Jahrhundert.
Mörser aus Stein, Holz und Metall
Auf Burgen werden häufig Mörser aus Stein gefunden,
so z. B. auf dem Schauenberg bei Hofstetten ZH. Der
wohl aus Holz gefertigte Stössel hat sich nicht erhalten. Neben Steinmörsern waren im Mittelalter sicher
Exemplare aus Holz weit verbreitet, die sich aber
nicht erhalten haben. Metallene Mörser sind indessen
erst ab dem Spätmittelalter nachgewiesen. In Mogeren bei Schaffhausen wurde bei der Freilegung eines
abgebrannten Gebäudes aus der 2. Hälfte des 15.
Jahrhunderts ein ganzer Mörser aus Bronze geborgen.
Dieser weist wie die Replik eine gerippte, schlanke
Gesamtform mit Löwenfüssen auf. Der zweihenklige
Mörser hat ein Gewicht von 8 kg und besitzt zudem
am Rande die Inschrift: «Maria • went • unser • elent •
maria • hilf • uns • o fraw» (Maria wende unser Elend
ab. Maria hilf uns, oh Frau).
Der Mörser im Haushalt
Da im Mittelalter Küchenmaschinen fehlten, besass
jeder Haushalt mindestens einen Mörser, der zum
Zerstossen von Gewürzen und anderen Nahrungsmitteln diente.
Am häufigsten finden sich in der Schweiz während
des Mittelalters folgende Gewürze: Dill, Sellerie, Petersilie und Portulak. Exotische Gewürze, wie etwa
Zimt, Nelken, Kardamom und Ingwer kamen eher in
grossen Städten mit Handelsbeziehungen vor. Gewürze waren ein kostspieliger Luxusartikel, den sich
die wenigsten leisten konnten, denn sie wurden über
lange Strecken transportiert.
Der Mörser in der Apotheke
Gewürze und Salz spielten nicht nur in der Küche eine
wichtige Rolle, sondern auch in der Heilkunst. Pfeffer
z. B. konnte sowohl gegen Zahnschmerzen wie – vermischt mit Honig – gegen Flechten helfen. Der Apotheker besass unterschiedlich grosse und aus verschiedenen Materialien gefertigte Mörser. Mörser aus
Glas, Serpentin oder Granit wurden bei Materialien,
die mit Metall reagieren, verwendet.
Der Apotheker unterschied zwischen dem groben Zerstossen von Substanzen in grossen Mörsern und dem
Verreiben in kleinen Mörsern. Das Verreiben bis zur
Pulverisierung sowie die Mischung der Substanzen
war von grosser Wichtigkeit.
Schülerheft: Objekt 15
© STARCH
Herstellung eines Mörsers aus Metall
Bei der Herstellung eines Metallmörsers wird die gleiche Methode wie beim Glockengiessen angewendet.
Der um eine vertikale Spindel geformte Lehmkern
entspricht dem Innern des Mörsers, der Mantel dem
Äusseren. Nach Fertigung des Lehmkerns werden
leicht erwärmte Wachsplatten aufgetragen, mit einer
Schablone geformt, verziert und die Oberfläche geglättet (= falscher Mörser). Danach wird der Mantel
mittels Lehmschichten gebildet, nach dem Trocknen
wird das ganze Paket von der Spindel abgezogen und
aufrecht gestellt, das Eingussloch wird vorbereitet.
Schliesslich setzt man die Form in die Giessgrube, erhitzt das Ganze stark und giesst das Metall durch das
Eingussloch. Nun schmilzt das Wachs aus und der
Mörser entsteht.
Herstellung eines Mörsers.
E. LAUNERT, Der Mörser (München 1990), S. 30, 32.
Weiterführende Literatur
E. LAUNERT, Der Mörser (München 1990).
M. SCHEFFER, Fernhandel. In: S. Lorenz, Th. Zotz
(Hg.), Spätmittelalter am Oberrhein. Alltag,
Handwerk und Handel 1350–1525. Ausstellungskatalog Karlsruhe. Aufsatzband (Karlsruhe 2001),
S. 81–88.
Vergleichsobjekte
8 Nahrungsmittel
16 Gussform
© STARCH
16
Schülerheft: Objekt 16
Gussform
Replik
Markus Keller, Atelier für handwerkliches Gestalten,
Winterthur.
Beschreibung
Zweiteilige Gussform aus Stein für Kreuzanhänger,
Aussenseite unbearbeitet, Kanten z.T. deckungsgleich, mit Eingusstrichter und zwei Stiftlöchern,
Breite 4,4 cm. Bei der einen Formhälfte stammen
ein weiteres Stiftloch und die Hälfte eines zweiten
Eingusstrichters von einer früheren Verwendung
als Gussform.
Fundort des Originals
Winterthur, Marktgasse 10.
Datierung
1. Hälfte 13. Jahrhundert.
Formguss aus Metall
Das Giessen in eine Form ist die älteste Art der Metallverarbeitung. Seit dem 5. Jahrtausend v. Chr. kennt
man Kupfer, aber erst die Legierung von Kupfer und
Zinn zu Beginn der Bronzezeit (um 2200 v. Chr.) führte
zur serienmässigen Herstellung von widerstandsfähigen Werkzeugen und Waffen.
Auch im Mittelalter war der Metallguss neben dem
Schmieden eine gängige Art der Metallverarbeitung.
Im Vergleich zur komplizierten Gusstechnik bei Kirchenglocken oder spätmittelalterlichen Kanonenrohren ist die Herstellung kleiner Objekte verhältnismässig einfach. Grundsätzlich muss zwischen zwei Gusstechniken unterschieden werden. Die eine Technik
bedient sich einer einteiligen Form, die nach der Verwendung zerstört wird, deshalb die Bezeichnung Guss
in die verlorene Form. Hierbei wird das später zu giessende Objekt aus Wachs modelliert und dann mit einem Lehmmantel umgeben. Nach dem Ausschmelzen
des Wachses kann das Objekt gegossen und durch
Zerschlagen der Form aus seinem Mantel befreit werden.
Ganz anders ist das Verfahren bei der hier vorliegenden zweiteiligen Gussform: diese Form wurde nach
Abkühlen des Metalls auseinander genommen und
konnte beliebig oft verwendet werden. Damit sich die
beiden Formhälften während des Gusses nicht verschoben, konnten sie durch Stifte in den Stiftlöchern
fixiert werden. Zweiteilige Gussformen können aus
Lehm bzw. Ton von einem Originalobjekt abgenommen oder aber aus Stein herausgearbeitet sein. Tonformen haben den Vorteil, dass von einem Originalobjekt beliebig viele identische Gussformen in Ton
abgedrückt werden können, während eine in Stein
gearbeitet Gussform immer ein Einzelstück darstellt.
Schülerheft: Objekt 16
© STARCH
Abzeichen, Amulette und Votivgaben
Kleine gegossene Objekte aus Metall fanden im Mittelalter in ganz unterschiedlichen Funktionen Verwendung. Plastische Abbildungen verschiedener Körperteile aus Blei- oder Bronzeguss erfreuten sich als sogenannte Votivgaben grosser Beliebtheit. Sie wurden
den zuständigen Heiligen als Dank für die Genesung
eines entsprechenden Körperteils gestiftet.
Auch als Pilgerabzeichen kamen oft gegossene Metallobjekte zum Einsatz. Wie die Jakobsmuschel (Objekt Nr. 17) den Pilger aus Santiago de Compostela (E)
kennzeichnete, belegte der heilige Meinrad (Bild
rechts) eine Wallfahrt nach Einsiedeln SZ.
Auch Amulettanhänger waren häufig aus Metall gegossen. Vielleicht wurde unsere Gussform zur Herstellung solcher Glücksbringer aus Silber oder Bronze verwendet.
Erst kürzlich wurden auf dem Lindenhof in Zürich Bestattungen des 13. und 14. Jahrhunderts ausgegraben.
Dabei entdeckten die ArchäologInnen das Grab einer
Frau, die auf der Brust ein kleines aus Bronze gegossenes Kreuz trug.
Ältestes erhaltenes Pilgerzeichen aus Einsiedeln. Bleiguss um
1360. Dargestellt ist der heilige Meinrad (Mitte). Mit vier
Ösen, von welchen eine fehlt, konnten die Pilger das Zeichen
an ihrem Gewand oder Hut befestigen.
G. MATHEY U.A . (HG.), Spätmittelalter am Oberrhein. Alltag, Handwerk und Handel 1350–1525. Ausstellungskatalog Karlsruhe. Katalogband (Karlsruhe 2001),
Kat. Nr. 223.
Möglicherweise diente unsere Gussform aber auch zur
Herstellung für Kreuzanhänger von Rosenkränzen (Objekt Nr. 18).
Weiterführende Literatur
M. BALMER , A. MOTSCHI, D. WILD, Archäologie auf
dem Zürcher Lindenhof. Archäologie der Schweiz
27, 2004, S. 16–25.
Vergleichsobjekte
17 Jakobsmuschel
18 Paternoster
© STARCH
17
Schülerheft: Objekt 17
Jakobsmuschel
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Jakobsmuschel mit zwei Durchbohrungen.
Fundorte der Originale
Gräber (Winterthur, Zürich u. a.).
Datierung
Mittelalterlich, ab dem 12. Jahrhundert.
Eine Muschel als Beweis für eine Pilgerfahrt
Muscheln wie diese wurden bei der grossen Kirche
von Santiago de Compostela (E) als Pilgerzeichen verkauft. Da solche Muscheln nur an der europäischen
Atlantikküste vorkommen, waren sie Beweis für den
Besuch des wichtigen Pilgerorts im Nordwesten von
Spanien. Mit den zwei Bohrungen konnte man sie am
Hut, am Gewand oder an der Tasche gut sichtbar annähen.
Pilgerfahrten im Mittelalter
Hinter Jerusalem (IL) und Rom (I) war das Grab
Heiligen Jakobus in Santiago de Compostela (E)
drittwichtigste Pilgerort. Vor allem im 11. und
Jahrhundert gewann die Reise nach Santiago an
deutung.
des
der
12.
Be-
Daneben gab es zahlreiche weitere Orte unterschiedlicher Bedeutung, beispielsweise Einsiedeln SZ. An
jedem Ort konnte man aus Metall gegossene Pilgerzeichen mit dem Bildnis des dort verehrten Heiligen
kaufen.
Pilgerzeichen als Grabbeigaben
Nach 700 n. Chr. war es nicht mehr üblich, den Toten
Beigaben ins Grab zu legen. Eine Ausnahme waren Jakobsmuscheln. Die oder der Verstorbene wollte wohl
am Tag des Jüngsten Gerichts beweisen können, dass
sie oder er während seines Lebens die Pilgerreise
nach Santiago de Compostela (E) auf sich genommen
hatte und hoffte, damit vor Hölle und Fegefeuer bewahrt zu werden. Hiess es doch: «Am Tag des Jüngsten Gerichts werden unter den Auserwählten, die
nicht fehlen, die Pilger im Namen Christi waren.»
Schülerheft: Objekt 17
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Pilgerfahrt im Mittelalter
Die Motivation für eine Pilgerfahrt war vielfältig und
nicht nur in der religiösen Frömmigkeit begründet.
Vom Gebet in der Nähe der Reliquien eines bedeutenden Heiligen erhoffte man sich die Heilung von Krankheiten und Gebresten. Es zirkulierten Erzählungen
wundersamer Heilungen, die sicher auch bewusst
werbewirksam von den Kirchenleuten der Pilgerorte
verbreitet wurden. Die Pilgerfahrt hatte – etwa dem
heutigen Massentourismus vergleichbar – eine
enorme wirtschaftliche Bedeutung. Unzählige Gewerbe und Gasthöfe profitierten von den Pilgern, am
Hauptziel wie an den Reiserouten. Diese Routen waren in Pilgerführern beschrieben. Die Wege nach Santiago sind heute noch als Jakobswege im Wanderwegnetz integriert und wieder sehr populär geworden.
Da Pilger zu Fuss gingen, dauerte die Reise monatelang. In Gerichtsurteilen wurde zuweilen die Durchführung einer Pilgerfahrt als Strafe und Busse ausgesprochen. Dies kam einer befristeten, oftmals über ein
Jahr dauernden Verbannung gleich.
Dieses Bild aus dem frühen 14. Jahrhundert zeigt links einen
Pilger. Auf dem Hut sind drei Jakobsmuscheln aufgenäht.
Wie ein zugehöriges Gedicht schildert, steckt der Pilger seiner
Herzensdame einen Liebesbrief zu.
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der Grossen Heidelberger
Liederhandschrift (Frankfurt a. M. 1988), S. 122.
Weiterführende Literatur
J. BLUM , Jakobswege durch die Schweiz (Thun
2001).
C. JÄGGI, H.-R. MEIER , R. WINDLER , M. ILLI, Die Stadtkirche St. Laurentius in Winterthur. Ergebnisse
der archäologischen und historischen Forschungen. Zürcher Denkmalpflege. Archäologische
Monographien 14 (Zürich und Egg 1993), S. 71f.
N. OHLER , Pilgerstab und Jakobsmuschel (München
2000).
I. F. WALTHER , Codex Manesse, Die Miniaturen
der Grossen Heidelberger Liederhandschrift
(Frankfurt a. M. 1988).
Vergleichsobjekte
19 Reliquien
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18.1–18.3
Schülerheft: Objekt 18
Paternoster
Originale
18.1: Winterthur, Neumarkt.
18.2: Winterthur, Stadtkirche.
Replik
18.3: Ars pro deo, Einsiedeln SZ.
Beschreibung
18.1 Produktionsabfälle. Gelenkkopf eines Mittelfussknochens (Rind) und Knochenstück mit ausgebohrten Kreisen.
18.2 Ring und Perle aus Knochen.
18.3 Heutiger Rosenkranz mit Kreuzanhänger.
Fundorte und Datierung
18.1: Stadtgrabenverfüllung. 15. Jahrhundert.
18.2: Kircheninneres. Spätmittelalter.
18.3: modern.
Der Paternoster
Der Name «Paternoster» leitet sich vom Gebet «Vater
unser, der du bist im Himmel...» ab. Als Paternoster
bezeichnete man die im 13. Jahrhundert aufkommende Gebetskette, die vom Islam ins Christentum
übernommen wurde. Die auf einer kreisförmig zusammengebundenen Schnur aufgereihten Knochenringe dienten zum Abzählen einer Anzahl Gebete,
beispielsweise von 10 «Vaterunser». Der Paternoster
wurde dann in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Rosenkranz umgewandelt. Dieser enthielt
jeweils mehrere Einheiten («Gesetze») zu 10 Ringen
oder Perlen für «Ave-Maria»-Gebete und einer andersartigen Perle für ein «Vaterunser». Die Anzahl der
Gesetze war damals noch variabel. Interessanterweise
unterschieden sich auch die Rosenkränze von Männern und Frauen. Was waren wohl die Gründe dafür,
dass diejenigen der Männer meistens kleiner waren,
d. h., dass sie weniger beten mussten?
Erst in der Zeit um 1600 erhielt der Rosenkranz seine
heute gültige Form und Zusammensetzung. Nun hatten auch Frauen und Männer denselben Rosenkranz.
Gebetsschnüre sind keine Eigenheit der katholischen
Kirche, sie kommen auch im Islam, im Buddhismus
und im Hinduismus vor.
Der Paternoster aus Knochenringen – für alle erschwinglich
Ringe aus Knochen und Holz waren billige Massenware. Zur Herstellung der Knochenringe verwendete
man Mittelhand- und Mittelfussknochen von Rindern
und Pferden. Zunächst kochte man die Knochen aus,
um Fleischreste zu entfernen und die Knochen zu entfetten. Anschliessend trennte man die Gelenkenden
ab und spaltete die Langknochen in Streifen (18.1).
Danach konnte man mit einem speziellen, mit einem
Bogen angetriebenen Bohrer die Ringe ausbohren
(18.2). In den spätmittelalterlichen Städten gab es einen spezialisierten Berufszweig der Knochenschnitzer,
die «Paternosterer». Sie stellten nur diese Knochenringe her. Natürlich gab es auch wertvollere Paternoster mit Ringen aus Silber, Bernstein oder Koralle.
Schülerheft: Objekt 18
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Religiöse Volksfrömmigkeit im Spätmittelalter
Das Mittelalter war eine sehr von Religion und tief
empfundenem Glauben geprägte Zeit. Der Glaube war
ein eigentlicher Motor, der die Leute auf allen handwerklichen Gebieten zu Höchstleistungen anspornte,
man denke an den Bau der Kirchen, an Glas- und
Buchmalerei, Goldschmiedearbeiten oder Holzschnitzkunst. Klostergemeinschaften mit ihren Bibliotheken
waren eigentliche Hüter von Wissen und Bildung.
Gebet und Andacht, die Bitte um Beistand der Heiligen hatte für jeden Menschen eine herausragende
Bedeutung. Für alle Berufsstände, aber auch für Leiden und Krankheiten war ein Heiliger zuständig, den
man anrufen konnte. So gab es unzählige Heilige:
Barbara war die Schutzpatronin der Bergleute, Sebastian half gegen die Pest, an Odilia wendete man sich
bei Augenleiden, an Verena bei Liebeskummer usw.
Alle erhofften sich, dass am Tag des Jüngsten Gerichts
ihre Gebete und Beichten helfen mögen, damit sie in
den Himmel einziehen durften. In den Kirchen waren
auf Wand- und Altargemälden die Schrecken dargestellt, welche die Verdammten in Hölle und Fegefeuer
erwarten würden. In einer Zeit, als der grösste Teil der
Menschen ungebildet war, ja aus Analphabeten bestand, muss der Eindruck solcher Bilder zusammen
mit einer einheizenden Predigt gewaltig gewesen
sein. Also galt es zu beten und zu hoffen, dass einen
nicht ein plötzlicher Tod ereile und man keine Gelegenheit zur Vorbereitung, der letzten Beichte nämlich,
hätte.
Am Tag des jüngsten Gerichts erheben sich die Toten aus
den Gräbern. Christus, flankiert von den Heiligen, richtet:
Die Seligen ziehen ins Paradies, die Verdammten versinken
im Höllenschlund. Köln (D), um 1460–1480.
P. JEZLER, Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter (Zürich 1994),
S. 340.
Weiterführende Literatur
H. F. ETTER (HG.), Die Zürcher Stadtheiligen Felix
und Regula (Zürich 1988).
U. B. FREI, F. BÜHLER (HG.), Der Rosenkranz. Andacht
– Geschichte – Kunst (Bern 2003).
P. JETZLER (HG.), Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das
Jenseits im Mittelalter (Zürich 1994).
T. MITTELSTRASS, Zur Archäologie der christlichen
Gebetskette. In: Zeitschrift für Archäologie des
Mittelalters 1999/2000, S. 219–261.
Vergleichsobjekte
16 Gussform
19 Reliquien
29 Handbohrer
Vgl. auch Textbeispiel 16 auf der CD Musik und
Text
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19
Schülerheft: Objekt 19
Reliquien
Repliken
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Ovale Spanschachtel, Boden mit Samt ausgelegt.
Inhalt: Weihrauchkörner, Splitter des Kreuzes Christi,
Dorn der Dornenkrone Christi, Fetzen vom Gewand
der Heiligen Barbara, Fingerknochen des Heiligen
Johannes, Glasgefäss mit Erde vom Hügel Golgatha,
mit Bienenwachssiegel verschlossen.
Möglicher Fundort
Kircheninneres, Altar.
Datierung der Vergleiche
Spätmittelalterlich.
Reliquien als Lebensversicherung?
Reliquien sind entweder Gebeine von Heiligen oder
Gegenstände, die mit diesen Personen in Berührung
gekommen sind oder die von heiligen Orten stammen. Bereits im 5. Jahrhundert setzte im Gebiet der
heutigen Schweiz die Verehrung von Heiligen ein (z.B.
heiliger Mauritius in Saint-Maurice VS, heilige Verena
in Zurzach AG). Von den Heiligen erhoffte man sich
Hilfe auf Erden und Fürbitte am Tag des Jüngsten Gerichts. Dann – so stellte es sich der mittelalterliche
Mensch vor – werden die Seligen ins Paradies einziehen und die Sünder in die Hölle kommen.
Die Reliquien stellten den direkten Kontakt zum
Heiligen her: entweder durch Berührung oder durch
Anbetung. Jede neu errichtete Kirche erhielt einen
Schutzheiligen (St. Martin, St. Laurentius usw.) und
hatte mindestens eine Reliquie. Je mehr Reliquien
man vorweisen konnte, umso wichtiger war die
Kirche. Deshalb gibt es auch richtige Auflistungen von
Reliquien.
«Buntes Sammelsurium» – Andenken an eine Pilgerreise
ins Heilige Land?
Kleine Reliquien legte man zuweilen in hölzerne
Spanschachteln und mauerte diese in Altären ein. Da
findet sich ein wunderliches Sammelsurium: ein Glas
mit Erde des Hügels Golgatha, mit Siegel beglaubigt;
ein Fetzen des Gewandes der heiligen Barbara; ein
Splitter des Kreuzes Christi; ein Dorn der Dornenkrone Christi; Weihrauchkörner. Aus heutiger Sicht sind
solche Gegenstände im besten Fall als Souvenir einer
Pilgerreise ins Heilige Land anzusehen, im Mittelalter
war man von ihrer Echtheit überzeugt. In einer Urkunde von 1409 werden zum Beispiel die Reliquien
des Klosters Schöntal bei Langenbruck BL aufgezählt:
«Stücke von den Kleidern der Maria, vom Arm der
heiligen Christina (...) ein Stück Fels vom Geburtsort
Christi (...) Erde vom Paradies (...) ein Stück vom
Kreuz, von der Wiege des Herrn (...) vom Heiligen
Grab (...) vom Stab des Aaron (...)».
Schülerheft: Objekt 19
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Diebstahl von Reliquien
Bei der Beschaffung von Reliquien schreckte man sogar vor Diebstahl nicht zurück – dies obwohl es in den
zehn Geboten ja heisst: «Du sollst nicht stehlen.» Im
Gegenteil: Reliquienraub konnte sogar als fromme
und ehrenvolle Tat gelten. Reliquien, die nicht umziehen wollten, konnten sich aber wehren, wie Legenden berichten.
Schändung von Reliquien
des Feindes
Als die Schwyzer 1314 das Kloster Einsiedeln SZ überfielen, brachen sie u.a. die Reliquienbehälter auf und
trieben mit den Gebeinen der Heiligen pietätlosen
Schabernack. Derartige, bei vielen kriegerischen Übergriffen nachweisbare Taten zielten darauf, die Gegner
zu verspotten. Sie hätten Knochen und Bilder verehrt,
die nicht von Heiligen stammen, da sich diese sonst
gewehrt hätten. So versuchte man die Moral der Gegner zu brechen.
Handel und Fälschungen
Natürlich entstand sehr rasch ein grosser Handel mit
Reliquien, wobei auch zahlreiche Fälschungen in Umlauf gebracht wurden. So könnte man aus den zahlreichen Splittern des Kreuzes Christi mehrere Kreuze
zimmern. Die Kirche versuchte, dem Missbrauch entgegenzuwirken. Die Geistlichen hatten die Echtheit
der Reliquien zu prüfen und mussten sie mit Siegel
oder einem Zertifikat kennzeichnen. Dennoch gibt es
heute noch immer Unklarheiten. Ein gutes Beispiel
sind die Gebeine des am 14. Februar verehrten heiligen Valentin. Rom (I), Terni (I), Dublin (IRL), Krumbach
(D), Kiedrich (D) und Worms (D) behaupten, seine Gebeine zu besitzen.
Darstellung der Graböffnung von Felix und Regula, der Stadtheiligen von Zürich, im 8. Jahrhundert. Um ein Grab, über das
nichts näheres bekannt war, bildete sich die Legende von
Felix und Regula. Die damit verbundene Begründung des
Wallfahrtsortes Zürich erscheint aus heutiger Sicht als Schwindel, führte aber dem mittelalterlichen Menschen das Martyrium (Leidensgeschichte der Heiligen) bildlich vor Augen.
H. F. ETTER (HRSG.), Die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula (Zürich 1988),
Abb. 65.
Weiterführende Literatur
S. BEISSEL , Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland im Mittelalter (Darmstadt
1988).
K. EDER MATT, Reliquienkult im mittelalterlichen
Basel. In: B. Meles (Hg)., Der Basler Münsterschatz (Basel 2001), S. 322–328.
H. F. ETTER (HG.), Die Zürcher Stadtheiligen Felix
und Regula (Zürich 1988).
Vergleichsobjekte
16 Gussform
17 Jakobsmuschel
18 Paternoster
© STARCH
20
Schülerheft: Objekt 20
Becherkachel
Replik
Fredi Mathys, Seuzach ZH.
Beschreibung
Becherkachel mit schräg nach innen abgestrichenem Rand. Oranger, hart gebrannter Ton. Feine
Sandmagerung. Aussen feine Drehriefen. Bodenunterseite mit radialen Abschneidespuren.
Fundort des Originals
Winterthur, Obergasse 4.
Datierung
2. Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Fundort und Fundumstände
Diese Becherkachel war ursprünglich in einem Kachelofen der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts eingebaut. Sie
wurde mit zahlreichen Geschirr- und Ofenkachelfragmenten und verbranntem Hausrat in einem mittelalterlichen Keller geborgen, der zu einem in der
2. Hälfte des 13. Jahrhunderts abgebrannten Haus gehörte (vgl. Objekt 1, ebenfalls aus dieser Kellerverfüllung). Viele Kacheln konnten nahezu unversehrt
geborgen werden. Die grosse Anzahl Ofenkacheln,
Lehmteile der Ofenwand sowie ein Ofenaufsatz lassen
auf einen einzigen Ofen schliessen.
Die frühesten Ofenkacheln aus dem Kanton Zürich
stammen aus dem 12. Jahrhundert. Im Vergleich zur
Becherkachel weisen sie einen sehr geringen Durchmesser auf und werden deshalb Röhrenkacheln genannt. Während des Hoch- und Spätmittelalters
vergrössert sich die wärmeabstrahlende Fläche der
Kacheln: von den engen Becherkacheln bis zu den
breiten, flachen Blattkacheln.
Der Kachelofen steigerte die Wohnqualität der Menschen im Mittelalter erheblich. Ausser der Küche mit
dem offenen Herdfeuer gab es nun einen zweiten
geheizten Raum, die Stube, in der man nicht mehr
dem Rauch ausgesetzt war, sondern die wohlige
Wärme des Ofens geniessen konnte.
Schülerheft: Objekt 20
© STARCH
Die Rekonstruktion eines Kachelofens
In der Ausstellung des Museums Kyburg ZH wurde ein
Ofen aus Becherkacheln anhand von Winterthurer
Funden und Befunden aus dem 13. Jahrhundert rekonstruiert. Der Ofensockel war mit Eichenbohlen eingefasst, der darauf liegende Feuerkasten aus Lehm
gebaut. Darüber finden wir die mit Becherkacheln bestückte Kuppel, die von einem Aufsatz in Form eines
Gesichtes bekrönt wird. Die Kuppel konnte anhand
von gewölbten Lehmresten mit Negativen von Becherkacheln aus einem Winterthurer Ofen, der in der
Metzggasse ausgegraben wurde, rekonstruiert werden. Dies bedeutete Spuren lesen: Die Lehmteile mit
Negativen der Kacheln konnten wie in einem Puzzle
an die Becherkacheln angepasst werden, bis die Kuppelform erkennbar wurde.
Rekonstruktion des Winterthurer Ofens im Museum Kyburg ZH
durch Fredi Mathys. Der auf den Fundstücken basierende
Wiederaufbau lieferte wichtige Erkenntnisse. Aufgrund von
Berechnungen nahm man zunächst an, dass für den Bau der
Kuppel 85 Becherkacheln ausreichen. Tatsächlich benötigte
man aber 144 Kacheln.
Kantonsarchäologie Zürich.
Rekonstruierte Ofenkuppel aus originalen Becherkacheln und
Lehmteilen der Ofenwand. Fundort Winterthur, Metzggasse.
Datierung um 1200.
Kantonsarchäologie Zürich.
Weiterführende Literatur
TH. BITTERLI UND D. GRÜTTER, Alt-Wädenswil. Vom Freiherrenturm zur Ordensburg. Schweizer Beiträge
zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 27 (Basel 2001).
A. MATTER UND W. WILD, Neue Erkenntnisse zum
Aussehen von Kachelöfen des 13. und frühen
14. Jahrhunderts – Befunde und Funde aus dem
Kanton Zürich. Mittelalter. Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins 1997, S. 77–95.
W. WILD, Die Rekonstruktion eines Becherkachelofens im Museum Schloss Kyburg, Mittelalter.
Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins
1997, S. 99–100.
Vergleichsobjekte
21 Blattkachel
© STARCH
21
Schülerheft: Objekt 21
Blattkachel
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Ofenkachel mit Darstellung eines Löwens, grün
glasiert auf weisser Engobe (Tonschlicker).
Fundorte der Originale
Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil; Zürich.
Datierung
Mittleres 15. Jahrhundert.
Löwen – Drachen – Edeldamen – Ritter:
reich verzierte Kachelöfen
Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts begannen die Hafner
(Töpfer), ihre Ofenkacheln mit Bildern zu verzieren
und grün zu glasieren. Die Kacheln waren ohne Lücke
aneinander gereiht und ihre Bilder erzählten Geschichten des vornehmen Lebens.
Da sah man Ritter im Turnier aufeinander prallen, dort
tanzten feine Damen und Herren miteinander. Jäger
schleppten fette Beute aus dem Wald. Natürlich durften Fabelwesen – zum Beispiel Drachen – und Tiere
nicht fehlen. Beliebt war vor allem der starke Löwe.
Als König der Tiere beeindruckte er vor allem die
mächtigen Leute, die ihn häufig auch als Tier für ihr
Familienwappen wählten. Dies mag erstaunen, da die
wenigsten Leute in ihrem Leben einen richtigen Löwen zu sehen bekamen.
Wann landet ein Kachelofen auf dem Müll?
Nur reiche Leute konnten sich solch teure Kachelöfen
kaufen. Scherben von Ofenkacheln – in seltenen Fällen sogar vollständige Stücke – findet man bei Ausgrabungen auf Burgruinen oder in Häusern reicher
Stadtbewohner. Einen Kachelofen konnte man gegen
fünfzig Jahre gebrauchen. Danach musste man ihn erneuern. Die Kacheln des kaputten Ofens warfen die
Burgbewohner häufig einfach aus einem Fenster in
den Burggraben hinunter, wo sie liegen blieben und
auf Archäologinnen und Archäologen warteten …
Häufig befanden sich die Kachelöfen in den oberen
Stockwerken der Häuser. Wenn das Haus niederbrannte, fiel der Ofen hinunter und blieb auf dem Boden liegen. In einigen Fällen baute man das Haus
nicht mehr auf und kippte später noch weitere Erde
oder Schutt über den Ofen. Bei einer Ausgrabung
kann man dann im Idealfall alle Kacheln des Ofens
finden und wieder zu einem Ofen zusammensetzen.
Schülerheft: Objekt 21
© STARCH
Herstellung – aufwändig und teuer
Die Herstellung der verzierten Kacheln war aufwändig, da sie aus zwei zusammengefügten Teilen, der
Vorderseite mit dem Bild («Blatt») und der röhrenförmigen Rückseite («Tubus»), besteht. Die Bilder werden aus einem Ton- oder Holzmodel abgeformt (1, 2).
Diese Technik kommt heute noch bei mit Bildern verziertem Gebäck – z.B. den Züri-Tirggeln – zur Anwendung (siehe Objekt 3). Aus einem Model konnten beliebig viele Kacheln abgeformt werden: Eine eigentliche mittelalterliche «Kopiermaschine» war erfunden.
Auf der Töpferscheibe drehte man nun einen Zylinder
und löste ihn mit Draht von der Scheibe (3, 4). Mit
viel Tonschlicker konnte der Hafner die beiden Teile
zusammenfügen. Nun war die Kachel für einen ersten
Brand im Töpferofen bereit. Erst danach übergoss man
sie mit der Bleiglasur. Nach einem zweiten Brand
glänzte die Glasur je nach Glasurrezept dunkelgrün bis
olivbraun (5). Der röhrenförmige Teil diente dazu, die
Kachel mit Lehm im Kachelofen zu verbauen.
E. J. BEER U.A . (HG.) Berns grosse Zeit. Das 15. Jh. neu entdeckt (Bern 1999),
Abb. 159.
Weiterführende Literatur
TH. BITTERLI, D. GRÜTTER , Alt-Wädenswil. Vom Freiherrenturm zur Ordensburg. Schweizer Beiträge zur
Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters
27 (Basel 2001).
E. ROTH KAUFMANN, R. BUSCHOR , D. GUTSCHER, Spätmittelalterliche reliefierte Ofenkeramik in Bern.
Herstellung und Motive, Schriftenreihe der Erziehungsdirektion des Kantons Bern (Bern 1994).
Vergleichsobjekte
3 Backmodel
20 Becherkachel
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22
Schülerheft: Objekt 22
Rebmesser
Original
Fundorte im ganzen Kanton Zürich.
Beschreibung
Rebmesser mit breiter Klinge und Angel zur
Fixierung des Holzgriffs. Diese teilweise unten
umgebogen.
Fundorte
Burgen und Dörfer.
Datierung
Mittelalterlich oder neuzeitlich. Weil sich die
Formen der Rebmesser nicht veränderten, sind
sie nicht genauer datierbar.
Ein hochspezialisiertes Gerät
Das Rebmesser gleicht in Form und Gestaltung dem
Gertel, einem grossen Haumesser, mit dem man Äste
abschlägt. Das kleinere Rebmesser mit gebogener
Klinge diente im Frühjahr zum Beschneiden des Rebstocks, zur Erntezeit im Herbst zum Abschneiden der
reifen Trauben von den Stöcken. Auf Burgen und in
ländlichen Siedlungen finden sich immer wieder Rebmesser, so auf der Burg Scheidegg BL oder in einem
heute nicht mehr existierenden Dorf bei Unterstammheim ZH. Was normalerweise erhalten bleibt, ist nur
das Eisenmesser, nicht aber der Holzgriff.
Diese Messerform, die bereits die Römer kannten,
war noch bis ins letzte Viertel des 19. Jahrhunderts in
Gebrauch. Danach wurde das Rebmesser durch stählerne Rebscheren abgelöst.
Das Rebmesser findet sich häufig auf Wappen als
Symbol für den Weinbau (so z. B. das Wappen der
Gemeinde Weiningen ZH).
Schülerheft: Objekt 22
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Der Weinbau
Die Trauben der Wildreben waren bereits den Menschen in der Bronzezeit bekannt. Erst die Römer führten die Kulturrebe nördlich der Alpen ein. Der sogenannte Kammertbau, bei dem die Reben an einem
Gerüst aus Pfählen gezogen wurden, stammt ebenfalls von den Römern. Im Frühmittelalter waren es vor
allem die Klöster, die den Rebbau pflegten. Ausser in
der Messe (fürs Abendmahl) benötigte man den Wein
auch für die Bewirtung der Mönche und Pilger. Im
Hochmittelalter wurden bei günstigen klimatischen
Verhältnissen vermehrt steinige Böden genutzt und
Rebberge auf Terrassen an steilen Hängen angelegt.
Im zürcherischen Weinland – zwischen der Grafschaft
Kyburg und der Landvogtei Andelfingen – spielte der
Rebbau seit dem Mittelalter eine wichtige Rolle. Der
Landvogt bezahlte Handwerker und Fuhrleute häufig
mit Wein, der wegen des etwas sauren Geschmacks
mit Zimt, Nelken, Ingwer und Honig gewürzt wurde.
Im Mittelalter waren die Rebleute, die sich um den
Weinberg kümmerten, in einer eigenen Rebleutezunft
organisiert. Neben Rebordnungen gab es im ausgehenden Mittelalter sogenannte Weinbücher, in denen
Regeln und praktische Anweisungen für Winzer und
Wirte aufgelistet wurden.
In der mittelalterlichen Malerei war das Thema der Monatsbilder beliebt. Mit jeweils einem Bild pro Monat sind typische
bäuerliche Tätigkeiten dargestellt. Das Bild des Septembers
zeigt meistens die Weinlese. Entstanden ist die abgebildete
Wandmalerei um 1320/30 im Haus «Zum langen Keller»
(Zürich, Rindermarkt 26).
Schweizerisches Landesmuseum.
Flurnamen, wie z. B. Weinberg oder Rebhalde, erinnern heute noch an den Weinbau.
Auf dem Wandbild sieht man, wie Fässer angezapft und der
Wein degustiert wurde. Die Malerei entstand um 1494 im
Keller des Hauses Technikumstrasse 26 in Winterthur.
Geschichte des Kantons Zürich. Band 1, Frühzeit bis Spätmittelalter (Zürich
1995), S. 357.
Weiterführende Literatur
A. HAUSER, Vom Essen und Trinken im alten Zürich
(Zürich 1973, 3. Auflage).
G. MATHEY, H.-P. WIDMANN, Weinbau und Alltag der
Rebleute. In: S. Lorenz, Th. Zotz (Hg.), Spätmittelalter am Oberrhein. Alltag, Handwerk und Handel 1350–1525. Ausstellungskatalog Karlsruhe.
Aufsatzband (Karlsruhe 2001), S. 165–168.
Vergleichsobjekte
8 Nahrungsmittel
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23
Schülerheft: Objekt 23
Bügelschere
Replik
S. Roth, Seelenschmiede, Braunschweig (D).
Beschreibung
Bügelschere aus Eisen.
Fundorte der Originale
Burgen, Städte und Dörfer.
Datierung
Form seit der Bronzezeit bekannt und bis in die
Neuzeit benutzt.
Fundort und Fundumstände
Die Bügelschere wird aus einem Eisenstab hergestellt,
den ein Schmied mit Hammer und Amboss in die richtige Form bringt. Die zwei Schneideflächen sind geschärft. Die Schere wird mit einer Hand bedient durch
Zusammendrücken des elastischen Bügelteils, wodurch die zwei Schneidflächen sich nähern und den
Stoff in der Mitte schneiden. Öffnet man die Hand
leicht, so öffnen sich die Scherenschenkel wieder und
es kann weitergeschnitten werden.
Solche Scheren gehörten wohl in unterschiedlichsten
Grössen in den Haushalt der meisten Familien im Mittelalter, wobei man damit weniger das damals noch
äusserst seltene Papier schnitt, sondern eher Leder
oder Stoff, Haare oder Wolle. Zum Schafscheren werden ähnliche Exemplare bis heute gebraucht.
Scheren kommen als archäologische Funde in Siedlungen, auf Burgen, manchmal sogar in Gräbern als
Beigabe vor. Im späten Mittelalter findet man sie auch
auf Bildern, sie gelten dazu als Symbole für bestimmte Berufszweige wie die Tuchscherer.
Scheren, die aus zwei Teilen zusammengesetzt wurden wie unsere heutigen Exemplare, kommen im
spätesten Mittelalter auf. Kannst du dir vorstellen,
worin der Unterschied zu einer zweiteiligen Schere,
wie wir sie noch heute gebrauchen, liegt?
Schülerheft: Objekt 23
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Eine eiserne Bügelschere: Gegenstand und Symbol
Die eisernen Bügelscheren findet man manchmal in
archäologischen Grabungen, manchmal auch auf Bildern des Spätmittelalters. Sie erscheinen dort zusammen mit anderen Werkzeugen, die für die Ausübung
einer handwerklichen Tätigkeit nötig waren.
Auf dem Bild rechts erscheint die Bügelschere aber in
einem anderen Zusammenhang, nämlich als Symbol
für diejenigen Gegenstände, welche eine Frau in ihre
Ehe von Zuhause mitbrachte. Der Sachsenspiegel, ein
handgeschriebenes Gesetzbuch, welches das sächsische Recht darstellt, enthielt neben einem geschriebenen Text immer auch uns heute fast comic-artig anmutende Bildchen, die für diejenigen Personen gedacht waren, die nicht lesen konnten. Da dieser Text
von Dingen sprach, wie «was mit Landbesitz geschah,
wenn jemand starb» oder «ob ein Wirt für Reittiere
der Gäste im Stall im Falle einer Feuersbrunst aufzukommen hatte» – also alles Gedanken, die nicht leicht
in Bildern auszudrücken sind – mussten einfach erkennbare Symbole des täglichen Lebens dafür gefunden werden, wie die abgebildete Eisenschere erkennen lässt.
Grosse eiserne Bügelschere aus dem 11. Jahrhundert. Altenberg BL, Füllinsdorf.
J. TAUBER, F. HARTMANN, Fundort Schweiz, Bd. 5, Kapitel Hauswerk und Handwerk (Solothurn 1988), S. 144.
Die Frau umfasst mit der rechten Hand eine Bügelschere, ihr
linker Arm hält ihr Kind. Die Schere symbolisiert diejenigen
Güter, welche ihr vor der Heirat gehörten und die sie nach
einer «Scheidung» von ihrem Mann zusammen mit einem
Teil des Mannesguts (symbolisch dargestellt als Sack Geld,
den ihr Exgatte ihr hinstreckt ) wieder zurückerhält.
Sachsenspiegel, 13. Jahrhundert.
W. KOSCHORRECK, Der Sachsenspiegel in Bildern. Aus der Heidelberger Bilderhandschrift ausgewählt und erläutert (Frankfurt a. M. 1976), Nr. 100.
Weiterführende Literatur
W. KOSCHORRECK , Der Sachsenspiegel in Bildern. Aus
der Heidelberger Bilderhandschrift ausgewählt
und erläutert (Frankfurt a. M. 1976).
J. TAUBER , F. HARTMANN, Fundort Schweiz, Bd. 5, Kapitel Hauswerk und Handwerk (Solothurn 1988).
Vergleichsobjekte
24 Handspindel
© STARCH
24
Schülerheft: Objekt 24
Handspindel
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Spinnwirtel aus gebranntem Ton, Spindel aus Holz.
Auf der Spindel ist ein aus der Wolle gesponnener
Faden aufgewickelt. Im Boden bleibt meist nur der
Spinnwirtel erhalten.
Fundorte der Originale
Burgen, Dörfer, Städte.
Datierung
Mittelalter.
Spinnen – ein Faden entsteht
Ein Faden entsteht durch das Drehen mehrerer Fasern
oder Haare. Bis ins 19. Jahrhundert standen dafür
pflanzliche Fasern (Lein/Flachs, Hanf und Baumwolle), Tierhaare (vor allem Schafwolle) und Seide
(vom Kokon der Seidenraupe) zur Verfügung. Baumwolle und Seide mussten aus südlichen Ländern (u. a.
Mittelmeerraum) importiert werden, denn das Klima
nördlich der Alpen ist für den Anbau der Baumwolle
wie auch für die Seidenraupenzucht zu kühl.
Das Herstellen des Fadens hat sich erst in den letzten
200 Jahren vollständig verändert. Von der Jungsteinzeit bis ins 13. Jahrhundert war bei uns die Handspindel das einzige Hilfsmittel beim Spinnen. Der Spinnwirtel dient dabei als Schwungrad. Zuerst wird mit
den Fingern aus wenig Wolle ein kurzer Faden gedreht. Dieser wird an der Spindel befestigt. Darauf
wird die hängende Spindel mit den Fingern in
Schwung gebracht und nach und nach Wolle aus dem
Wollebausch gezupft: ein Faden entsteht. Dieser Faden wird auf der Spindel aufgewickelt, die herunterhängende Spindel kann erneut in Drehung versetzt
werden usw.
Erst Jahrtausende nach der Entwicklung der Handspindel folgte mit der Einführung des Spinnrades – in Europa ab dem 13. Jahrhundert – ein kleiner Schritt in
Richtung Mechanisierung (in Indien und China war es
schon lange bekannt). Allerdings wurde noch über
Jahrhunderte neben dem Spinnrad auch die Handspindel verwendet, in abgelegenen Gegenden z. B. des
Tessins wurde vereinzelt sogar noch im 20. Jahrhundert mit der Handspindel gesponnen. Seit dem 19.
Jahrhundert haben aber die Spinnmaschinen das
Spinnrad und die Handspindel rasch verdrängt. Die
Maschine hat die Handarbeit ersetzt. Mit der Maschine konnte in kurzer Zeit sehr viel mehr Faden und
dazu noch von gleich bleibender bester Qualität produziert werden.
Schülerheft: Objekt 24
© STARCH
Spinnen – «Spinnst du?»
Das Spinnen war früher eine typische Tätigkeit der
Frauen und Mädchen. Das Wort «spinnen» hatte im
Mittelalter noch keinen schlechten Beigeschmack. Im
Gegenteil, das Spinnen war Sinnbild einer tugendhaften Tätigkeit. Dies sehen wir auf zahlreichen mittelalterlichen Bildern der heiligen Maria. Auf vielen Darstellungen der Verkündigung ist Maria gerade am
Spinnen. Dies soll ihre Jungfräulichkeit unterstreichen,
wenn der Engel Gabriel ihr von der bevorstehenden
Geburt des Jesuskindleins berichtet.
Das Wort «spinnen» kommt aber auch in vielen Redewendungen vor:
So sagen wir: «Das Leben hängt an einem Faden.»
Nach antiker Vorstellung spinnen die Schicksalsgöttinnen den Lebensfaden. Reisst er, so stirbt ein Mensch.
Eine weiterer bildhafter Ausdruck ist: «Gedanken
spinnen.» Hier wird der Gedanke einem Faden
gleichgesetzt. Verwirren sich diese Gedankenfäden,
so «spinnt» ein Mensch.
Die heilige Maria beim Spinnen. Der Engel Gabriel verkündigt
ihr die Geburt des Jesuskindes. Buchmalerei aus dem 12. Jahrhundert.
G. SPORBECK, Textilherstellung – Zu mittelalterlichen Spinn- und Webgeräten.
In: U. Lindgren (Hg.), Europäische Technik im Mittelalter. Tradition und Innovation (Berlin 1996), Abb. 3.
Weiterführende Literatur
G. SPORBECK , Textilherstellung – Zu mittelalterlichen
Spinn- und Webgeräten. In: Uta Lindgren (Hg.),
Technik im Mittelalter. Tradition und Innovation
(Berlin 1996), S. 471–478.
Das Spinnen eines Fadens mit der Handspindel.
M. SCHMAEDECKE, J. TAUBER, Ausgrabungen in Lausen-Betterach. Archäologie und
Museum 25 (Liestal 1992), Abb. 30.
Vergleichsobjekte
25 Webbrettchen
26 Webgewicht
27 Schwinghebel
© STARCH
25
Schülerheft: Objekt 25
Webbrettchen
Replik
Experimenta, K. und C. Schäppi, Andelfingen ZH.
Beschreibung
Zehn 4fach gelochte Webbrettchen aus Buchenholz
mit Ritzmuster.
Fundorte der Originale
Gräber, Siedlungen, Webkeller.
Datierung
Bei uns hauptsächlich im Früh- und Hochmittelalter
als Fund bekannt. Die Technik ist aber sehr alt (aus
Ägypten Hinweise aus dem 3. Jahrtausend v. Chr.).
Fundort und Fundumstände
Der Gebrauch von Webbrettchen zum Herstellen von
Textilien ist heute gänzlich unbekannt, da Maschinen
ihre Funktion übernommen haben. Bis ins 15. Jahrhundert dienten Webbrettchen hauptsächlich zum
Fabrizieren von farbigen, reissfesten Bändern als Abschluss an Kleidern, aber auch um feste Stoffkanten
zu erhalten, die man dann zu grösseren Stücken Stoff
erweitern konnte (z. B. bei der Herstellung von Mänteln). Diese Technik, die eigentlich auf dem Drehen
von Fäden und dem gleichzeitigen Öffnen von Fächern zum Durchschiessen eines Fadens beruht, kann
auch unabhängig von einem Webrahmen im Stehen
ausgeübt werden. Archäologisch überlieferte Brettchen sind meistens quadratisch aus Knochen oder Holz
gearbeitet und etwas kleiner als die hier mitgegebenen Repliken (2–3,5 cm Kantenlänge). Sie sind oft mit
vier, manchmal fünf Löchern versehen. Solche Bänder
wurden von verschiedenen Personen im Heimwerk
gewoben. Ein Fund mit 52 Webbrettchen stammt aus
dem Grab einer Königin in einem Wikingerschiff in
Norwegen (Osebergschiff, um das Jahr 850 n. Chr.). Im
Kanton Zürich findet man in vielen Mittelaltergrabungen in Siedlungen einzelne Webbrettchen (z. B. auf
dem Münsterhof in Zürich und in Embrach ZH).
Webtechnik: Wie erhalte ich ein Bändchen?
Durch die Löcher in den Brettchen wird jeweils ein
bunter Faden eingefügt (= 4 Fäden pro Brettchen). Im
Mittelalter mussten diese Fäden von Hand zuerst
mit der Spindel gesponnen werden (siehe Objekt 24).
Ein Bündel solcher bestückter Brettchen wird oben
zusammengebunden, danach kann im entstandenen
Fach zwischen den oberen und den unteren zwei
Fäden ein Schussfaden durchgeschoben werden. Mit
einer 90-Grad-Drehung aller Brettchen (= alle um
ein Loch weitergedreht) werden die Fäden miteinander verdreht, und es verschiebt sich das Fach, welches
sich gebildet hat. Dies erlaubt es, den Schussfaden
wieder zurückzuschicken. Eine weitere Brettchendrehung ergibt ein neues Fach, der Schussfaden
kann wieder durchgeführt werden usw. Dieses einfache Grundprinzip wurde im Mittelalter dazu benutzt,
geometrische Motive, aber auch Tiere, Pflanzen und
Schriften durch bestimmte Drehbewegungen der
Brettchen und spezielle Abfolgen der Fadenfarben auf
die Bänder zu zaubern. Die Brettchen können nämlich
auch einzeln oder in bestimmten Sequenzen vor- und
rückwärtsgedreht werden. Mit einfachen Bewegungen, aber etwas Phantasie und Können kann man so
eine riesige Anzahl verschiedener Bänder herstellen.
Schülerheft: Objekt 25
© STARCH
Die Herstellung eines eigenen Bändchens
mit Hilfe von Webbrettchen
Hat dich die Technik des Webbrettchenwebens neugierig gemacht? Möchtest du so etwas gerne selber
ausprobieren? Du musst dir im Klaren sein, dass solche einfachen Techniken mit vielen praktischen Kniffen verbunden sind, die wir dir hier nicht alle vermitteln können. Du musst also etwas Geduld und Zeit
mitbringen (etwa 1 Stunde für grössere Bändchen),
da du ja zuerst die Brettchen mit den Fäden versehen
musst, bevor es ans Weben geht. Eine praktische Anleitung liegt bei.
Vielleicht hast du aber wenig Zeit? So kannst du es
mit nur zwei Brettchen und 8 Fäden versuchen. Das
Bändchen wird sehr schmal sein, aber du verstehst
wenigstens, wie die Technik des Brettchenwebens in
seiner einfachsten Form funktioniert.
Die in der Mitte sitzende Frau stellt ein langes Band mit Hilfe
von Brettchen her. Sie benutzt dazu eine Art stehenden Holzrahmen, um die langen Kettfäden nicht zu verwirren. Das
hölzerne Webschwert in der rechten Hand erlaubt es ihr, den
schon gewobenen Bandteil zu einem festen Gewebe zusammenzuschieben. Manesse-Handschrift, frühes 14. Jahrhundert.
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der Grossen Heidelberger
Liederhandschrift (Frankfurt a. M. 1988), Nr. 20.
Weiterführende Literatur
C. CROCKETT, Weben mit Brettchen (Bern 1994).
P. COLLINGWOOD, The Techniques of Tablet Weaving
(McMinnville, USA, 1996).
Internet unter Stichwort Webbrettchen (z.B.
www.dueppel.de/lexikon: dort Webbrettchen)
Vergleichsobjekte
24 Handspindel
26 Webgewicht
© STARCH
26
Schülerheft: Objekt 26
Webgewicht
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Gewicht aus schwach gebranntem Ton, von einem
Gewichtswebstuhl.
Fundort der Originale
Dörfer.
Datierung
6. bis 12. Jahrhundert.
Der Gewichtswebstuhl – ein Webgerät unter vielen
Zum Weben eines Stoffes wurden im Laufe der Jahrtausende ganz verschiedene Geräte entwickelt. Vielleicht hast du selber schon einmal auf einem Webrahmen gewebt. Dort musst du die sogenannten Kettfäden zuerst möglichst straff um den Rahmen wickeln.
Dann kannst du den sogenannten Schussfaden einziehen. Dabei wirst du den Schussfaden einmal unter
und einmal über den Kettfäden durchziehen. Bei der
nächsten Reihe machst du das Gleiche, aber nun versetzt. Bei denjenigen Kettfäden, wo du vorher den Faden unten durchgezogen hast, ziehst du ihn nun oben
durch und umgekehrt. So entsteht ein Gewebe.
Beim Gewichtswebstuhl werden die Kettfäden nicht
um einen Rahmen gespannt, sondern Webgewichte
ziehen jeweils mehrere Kettfäden nach unten. Im Gegensatz zum Webrahmen, den man zum Weben auf
einen Tisch legt, oder zum heute noch üblichen Trittoder Handwebstuhl (siehe Objekt 27, Schwinghebel)
verlaufen die Kettfäden beim Gewichtswebstuhl also
nicht waagrecht, sondern senkrecht. Man steht beim
Weben vor dem Webstuhl. In der Schweiz wurde der
Gewichtswebstuhl etwa im 12. Jahrhundert durch den
Trittwebstuhl verdrängt. In Skandinavien und Island
hingegen blieb der Gewichtswebstuhl bis ins 20. Jahrhundert hinein in Gebrauch.
Schülerheft: Objekt 26
© STARCH
Was wird bei Ausgrabungen von Webstühlen gefunden?
Im Boden bleiben meistens keine Holzreste erhalten,
denn Holz verrottet. Ausnahmen sind verkohlte Holzteile (siehe Objekt 27, Schwinghebel) oder solche, die
entweder immer nass oder immer trocken blieben.
Auf Ausgrabungen findet man deshalb nur selten Teile
von Webstühlen. Eine Ausnahme sind Webgewichte
aus gebranntem Ton. Manchmal werden dort, wo
einst ein Gewichtswebstuhl stand, ganze Reihen von
nebeneinander liegenden Webgewichten gefunden.
Auch im Boden eingerammte Pfosten eines Webstuhls
können als Spuren sichtbar bleiben: Der verrottete
Holzpfosten ist im Boden als dunkle Verfärbung erkennbar.
Gewichtswebstuhl. Gewebt wird stehend, von oben nach
unten.
G. SPORBECK, Textilherstellung – Zu mittelalterlichen Spinn- und Webgeräten.
In: U. Lindgren (Hg.), Europäische Technik im Mittelalter. Tradition und Innovation (Berlin 1996), S. 473.
Weiterführende Literatur
G. SPORBECK , Textilherstellung – Zu mittelalterlichen
Spinn- und Webgeräten. In: UTA LINDGREN (Hg.),
Technik im Mittelalter. Tradition und Innovation
(Berlin 1996), S. 471–478.
Vergleichsobjekte
24 Handspindel
25 Webbrettchen
27 Schwinghebel
© STARCH
27
Schülerheft: Objekt 27
Schwinghebel
Replik
Stefan Schreyer, Bern.
Beschreibung
Schwinghebel aus Fichtenholz, von einem
Trittwebstuhl.
Fundort des Originals
Winterthur, Obere Kirchgasse.
Datierung
Um 1300.
Ein Schwinghebel – was ist das?
Wenn du schon einmal gewoben hast, weisst du, dass
du den Schussfaden abwechselnd einmal über und
einmal unter den Kettfäden hindurchziehen musst.
Beim Trittwebstuhl geht dies einfacher und schneller.
Dazu besitzt er Tritte, Schäfte und Schwinghebel.
Diese Teile erkennst du auf dem Bild (siehe Abbildung
auf der Rückseite). Der Schwinghebel ist in der Mitte
aufgehängt, seine Enden jeweils mit einem Schaft
des Webstuhls verbunden. Die Schäfte ihrerseits sind
mit Schnüren an einem Tritt (Pedal) des Webstuhls
festgebunden. Tritt man mit dem Fuss auf das eine
Pedal, so senkt sich auch der Schaft und das damit
verbundene Ende des Schwinghebels. Das andere hingegen wird dadurch nach oben gezogen. So zieht der
eine Schaft jeden zweiten Kettfaden hinauf, der andere jeden zweiten hinunter. Damit öffnete sich eine
Lücke, durch die der Schussfaden durchgezogen wird.
Darauf wird das andere Pedal mit dem Fuss nach unten gedrückt. Nun werden die anderen Fäden nach
unten bzw. nach oben gezogen, es kann wieder ein
Schussfaden eingezogen werden und so entsteht mit
der Zeit ein Stück Stoff.
Schülerheft: Objekt 27
© STARCH
Leinenstoffe für den Export
Hölzerne Schwinghebel gehören zu den sehr seltenen
Funden. Die Holzteile eines Webstuhls bleiben im Boden fast nie erhalten. Im Fall des Fundstückes aus
Winterthur hatte vermutlich der Stadtbrand von 1313
den Webkeller zerstört. Einiges verbrannte jedoch
nicht vollständig. Stoffreste (Leinen) und Teile eines
Webstuhls, darunter auch der Schwinghebel, sind in
verkohltem Zustand erhalten geblieben. Verkohltes
Holz und Textil verrotten im Boden nicht, sie sind zwar
schwarz und äusserst brüchig, aber die Form ist gut
erkennbar. Solche Funde sind für Archäologinnen und
Archäologen ein Glücksfall.
In der Altstadt von Winterthur wurden noch weitere
Webkeller ausgegraben. Wir wissen deshalb, wie im
13. und 14. Jahrhundert eine Weberwerkstatt aussah.
Auf engstem Raum arbeiteten bis zu vier Weberinnen
und Weber nebeneinander. Nur wenig Licht drang in
die Keller, in denen es feucht und kühl war. Die Weber
gehörten meist zu den armen Leuten. Viel Geld konnten dagegen die Kaufleute verdienen, denn die Leinenstoffe aus der Nordostschweiz waren begehrt und
wurden unter anderem nach Spanien, Italien und
Norddeutschland verhandelt.
Darstellung eines Trittwebstuhls.
P. W. ROGERS, Textile Production at 16–22 Coppergate. The Archeology of York.
The Small Finds 17/11 (York 1997).
So wird der ausgegrabene Webkeller aus dem 14. Jahrhundert an der Tösstalstrasse 7 in Winterthur ausgesehen haben.
Kantonsarchäologie Zürich.
Weiterführende Literatur
R. WINDLER , A. RAST-EICHER, Spätmittelalterliche
Weberwerkstätten in der Winterthurer Altstadt.
Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters
27/28, 1999/2000, S. 3–84.
Vergleichsobjekte
24 Handspindel
25 Webbrettchen
26 Webgewicht
© STARCH
28.1–28.2
Schülerheft: Objekt 28
Leder
Replik
Serge und Marquita Volken, Gentle Craft, Lausanne.
Beschreibung
28.1: Musterheft verschiedener Gerbmethoden und
Tierarten, die man im Mittelalter kannte.
1 Rohhaut, ungegerbt, Rind.
2 Pergament, ungegerbt, Ziege.
3 Sämischleder, Gelbgerbung, Hirsch.
4 Weissleder, Alaungerbung, Ziege.
5 Blankleder, Lohgerbung, Rind.
6 Rot- oder Lohleder, pflanzliche Gerbung, Kalb.
7 Rot- oder Lohleder, pflanzliche Gerbung, Ziege.
8 Lohleder, pflanzliche Gerbung, Wildschwein.
9 Spiessleder, pflanzliche Gerbung, Rind.
28.2: Lupe in Lederbeutel.
Datierung
Mittelalterlich.
Leder – ein tierisches Material
Am Leder ist die Tierart durch das Narbenbild (Anordnung der Poren an der Hautoberfläche) zu erkennen.
Jede Tierart trägt in ihrer Haut die Kennzeichnung ihrer
Gattung. Vergleiche die Narbenbilder mit Hilfe der
Lupe.
Im Mittelalter nutzte man für die Ledergewinnung
vornehmlich Ziegenarten (caprae) und Rinderarten
(bovidae). Schafleder ist nicht sehr reissfest, weshalb
namentlich bei Schuhmachern dessen Gebrauch bei
Strafe verboten war und man es auch für die Herstellung billigeren Pergaments nutzte. Obwohl man anhand der Knochenfunde weiss, dass Schweine zu den
wichtigsten Fleischlieferanten zählten, findet man
kaum deren Leder. Die fettige Schweinehaut beliess
man wohl lieber am Fleisch (Speck- oder Schinkenschwarten), weil der Arbeitsaufwand für die Ledergewinnung viel zu gross war.
Wo findet man Leder?
Leder ist ein organisches Material und folglich dem
natürlichen Zerfall ausgesetzt. Dies erklärt, weshalb
man nur unter ganz bestimmten Bedingungen Leder
findet. Die Bodenverhältnisse müssen über lange Zeit
konstant sein. Bei den meisten Lederfunden handelt
es sich um Nasslederfunde, d.h. Leder, die in nassen
und sauerstoffarmen Böden die Zeiten überstanden
haben, z. B.in Latrinengruben oder in Mooren.
Trockenlederfunde sind ausgedörrte Leder, die man
an geschützten und ständig trockenen Stellen findet
wie beispielsweise in Kirchengräbern, Mauernischen,
Salzbergwerken, aber auch in Wüstengegenden. Hier
erhalten sich sämtliche Lederarten, sogar die ungegerbte Rohhaut und Pergament.
Seltener finden sich gefrorene Leder, die manchmal
auf seltsame Weise in Gletscher, ewigen Schnee oder
in die Tundra gerieten und sogar über Jahrtausende in
einwandfreiem Zustand überstehen konnten.
Schülerheft: Objekt 28
© STARCH
Die Gerbung –
eine Knochenarbeit mit sehr viel Ellenbogenschmiere
Zuerst mussten die Häute enthaart und entfleischt
werden. Um die Haare mitsamt deren Wurzeln zu entfernen, wurden sie geäschert, d.h. in Brühen von Kalk
und Asche gelegt, damit die Haut aufquillt und die
Haare entfernt werden konnten. Auf der Fleischseite
schabte man die Fleisch- und Fettreste ab. Nach dem
Entäschern und mehrmaligen Auswaschen erhielt
man endlich die zum Gerben bereite Haut. Ungegerbte Häute (Rohhaut 1 und Pergament 2) sind keine
Leder, da diese nicht gegerbt wurden.
Je nach verwendetem Gerbstoff sprach man von:
n Gelbgerbung (3): Tierische Fette und Tran wurden
in die Haut eingewalkt und anschliessend gestreckt
und gestampft, bis die Leder weich und gar waren.
Im Spätmittelalter nutzte man dafür Stampfmühlen.
n Weissgerbung (4): Man legte die Häute in Alaunund Salzlaugen, rührte und stampfte sie, bis sie gar
waren.
n Loh- oder Rotgerbung (5–9): Man nutzte pflanzliche
Gerbstoffe (wasserlösliches Tannin in Rinden, Hölzern und bestimmten Blättern), welche sich mit
den Eiweissstoffen der Haut chemisch verbinden
und auf diese Weise die Häute in Leder umwandelten. Dünne Häute konnte man in Bottichen gerben,
dicke hingegen legte man in Gruben, wo sie bis zu
11⁄2 Jahre in der Gerblohe lagen. War die Lohe zu
stark, blieben manchmal die mittleren Schichten
des Leders ungegerbt (9). Man nutzte diese vorerst
unerwünschte Erscheinung für Objekte, die steifes
Leder benötigten: Messer- und Schwertscheiden,
Lederdosen usw.
Bevor man aber das Leder verkaufen konnte, musste
es noch zugerichtet werden. Es galt hier, die Leder
nachzufetten, zu strecken, zu färben oder auszubügeln, um nur wenige Arbeitsschritte der Zurichterei zu
erwähnen.
In der marokkanischen Stadt Fes wird noch heute in grossen,
an einem Fluss gelegenen Gerberei mit uralten Methoden gearbeitet. In den Gruben werden die Tierhäute gegerbt. Beissender Gestank liegt über dem Gerbereiviertel.
BENEDIKT ZÄCH, Winterthur.
Weiterführende Literatur
G. A. BRAVO, JULIANE TRUPPKE , 100 000 Jahre Leder,
eine Monographie (Basel und Stuttgart 1970).
W. WILD, S. UND M. VOLKEN, Lederfunde des 13. Jahrhunderts aus dem Winterthurer Stadtbach.
In: Archäologie im Kanton Zürich 1999–2000, Berichte der Kantonsarchäologie 16 (Zürich 2003),
S. 241–262.
© STARCH
29
Schülerheft: Objekt 29
Handbohrer
Replik
AGIL, Büro für angewandte Archäologie, Reppenstedt bei Lüneburg (D).
Beschreibung
Handbohrer. Hölzerner Bohrerschaft mit eisernem
Bohrer. An Schnur befestigte Querstange.
Vorlage
Verschiedene mittelalterliche Bilder.
Datierung
Gesamtes Mittelalter.
Vom einfachen Steinbohrer zum Handbohrer
Die Notwendigkeit, Löcher in einen Gegenstand bohren zu können, forderte bereits den steinzeitlichen
Menschen heraus. Was heute meistens mittels eines
elektrischen Werkzeugs in Sekunden zu erledigen ist,
brauchte früher viel Zeit und Kraft.
Zunächst dienten einfache, angespitzte, ungeschäftete
Steinwerkzeuge als Bohrer. Diese drückte man mit der
Spitze auf das Werkstück und bohrte nun das Loch
durch Hin- und Herdrehen der Hand. Bald versah man
die Bohrspitze mit einer Schäftung in Form eines Holzstabes. Den Stab legte man zwischen die Handflä-
chen. Die Bohrung führte man nun durch schnelles
Hin- und Herreiben der Handflächen aus.
Die Dreule ist ebenfalls ein einfacher Handbohrer. Das
Werkzeug ermöglicht das Bohren in senkrechter Haltung. Zunächst drückt man mit einer Ahle ein kleines
Loch, in das man die Bohrspitze setzt. Die Schnur mit
dem Querholz muss etwas aufgewickelt sein, bevor man
zu bohren beginnt. Nun bewegt man mit der rechten
Hand das an den Schnüren befestigte Querholz rasch
nach unten und oben, wie wenn man mit einem Jo-Jo
spielen würde. Auf diese Weise dreht sich der Bohrer.
Das Problem der Interpretation einzelner Bestandteile
Was würde von einem derartigen Handbohrer im
Boden überdauern? Normalerweise nur die eisernen
Bestandteile. Eisen verrostet im Boden zu unförmigen
Klumpen, bei denen oft kaum mehr der einstige
Verwendungszweck erkennbar ist. Am Beispiel des
Handbohrers lässt sich deshalb die Schwierigkeiten
der Arbeit mit Fundgegenständen besonders gut ver-
anschaulichen. ArchäologInnen müssen über ein breites Wissen über alte Handwerksgeräte und -techniken
sowie erhaltene Gegenstände und Bilder aus dem
Mittelalter verfügen. Nur so ist es ihnen möglich, bei
Gegenständen wie einem Eisenzylinder mit Loch auf
die Idee zu kommen, dass es sich um einen Teil eines
solchen Bohrers handeln könnte.
Schülerheft: Objekt 29
© STARCH
Auch für Verzierungen
In Mitteleuropa ist die Verwendung solcher Handbohrer (Rennspindel oder Dreule) erst seit dem Mittelalter sicher nachgewiesen. Wahrscheinlich kannte man
sie aber schon vorher. Der Mönch Theophilus Presbyter beschreibt den Handbohrer bereits im 11. Jahrhundert. Vom gewählten Bohrkern ist es abhängig, ob
man zylindrische Löcher bohren oder auf einem Gegenstand eine Verzierung mit Kreisaugen anbringen
kann. Diese Kreisaugen waren als Dekor für Kämme,
Zierbeschläge auf Kästchen, Spielfiguren und Würfel
sehr beliebt (vgl. die Schachfigur, Objekt 38). Bemerkenswert ist auch die weite Verbreitung des Handbohrers: Er findet sich u.a. bei Inuit, Chinesen, Indern und
Indianern.
Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung zu Nürnberg
um 1425.
M. UND N. FLÜELER (Hg.), Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um
1300 (Stuttgart 1992), S. 416.
Fiedelbohrer
Für anstrengende Bohrungen – etwa Löcher in harte
Steine – entwickelte man den Fiedelbohrer. Der Antrieb erfolgte nun mittels einer um den Bohrerschaft
geschlungenen Sehne, die an einer Holzstange befestigt wurde. Das obere Ende der Bohrachse musste
man mit einem Hilfsmittel (etwa mit einem gelochten
Stein) oder einer Halterung fixieren. Nun konnte man
die Achse mit dem Bogen in Drehung versetzen. Dank
der Achse lässt sich die Kraft im rechten Winkel umlagern, das heisst, je schneller man den Bogen bewegt,
desto schneller drehte sich der Bohrer. Der Name Fiedelbohrer rührt vom Antriebsbogen, der dem Bogen
einer Geige oder Fiedel ähnlich sieht.
Weiterführende Literatur
W. TREUE (Hg.), Das Hausbuch der Mendelschen
Zwölfbrüderstiftung zu Nürnberg, Deutsche
Handwerkerbilder des 15. und 16. Jahrhunderts
(Nürnberg 1965).
Vergleichsobjekte
18 Paternoster.
38 Schachfiguren.
© STARCH
30
Schülerheft: Objekt 30
Münze
Replik
Christoph Jäggy, Biel-Benken BL.
Beschreibung
Pfennig der Fraumünsterabtei Zürich, Original Silber,
Replik Kupferkern, versilbert.
Fundort des Originals
Mit 1439 Exemplaren im Münzschatz von Winterthur, Haldengut (1930), enthalten.
Datierung
Um 1310/20.
Ein Pfennig der Fraumünsterabtei in Zürich
Die Originale der im Koffer mitgelieferten Repliken
bestehen aus dünnem Silberblech und wiegen etwa
0,3 g. Um derartige Münzen herzustellen, wurden
dünngehämmerte Silberstreifen in kleine Vierecke
zerschnitten, in eine runde Form gehämmert und
dann mit einem Stempel geprägt, und zwar nur auf
einer Seite. Bei diesem Arbeitsablauf entstanden die
charakteristischen «Zipfel». Die Münzen werden deshalb als «einseitig und vierzipflig» bezeichnet; die
Rückseite zeigt das Negativ der Prägung.
Das Bild dieser um 1310/20 geprägten Münze zeigt
die Umschrift ZVRICH (= Zürich) und einen Frauenkopf
mit Schleier – die Äbtissin (Vorsteherin) der Fraumünsterabtei – wobei dieser nicht einer bestimmten
Frau zugeschrieben werden kann. Mit dem wappenartigen Bild war klar, wer diese Münze geprägt hatte
und wer ihren Wert garantierte.
Im Mittelalter wurde während Jahrhunderten als einzige Münzsorte der Pfennig geprägt (selten auch
Halbstücke des Pfennigs). Erst ab 1330/40 tauchten
in unserer Gegend Goldmünzen und grössere Silbermünzen auf, die alle fremder Herkunft waren. Münzen
wurden an zahlreichen Orten geprägt. Allein auf dem
Gebiet der heutigen Schweiz und in den Nachbarregionen waren über 20 verschiedene Münzorte tätig.
Verschiedene Münzen wurden nebeneinander gebraucht, weil sie – trotz der unterschiedlichen Münzbilder – die gleiche Machart aufwiesen (siehe Abbildung auf der Rückseite). Es bildeten sich Währungsgebiete, in denen Münzen gleicher Art, aber vielfältiger
Herkunft verwendet wurden. Die Situation muss man
sich etwa so vorstellen, wie wenn heute in der
Schweiz sowohl mit schweizerischem wie auch mit
Eurogeld und ausserdem mit weiteren europäischen
Münzen gleichzeitig bezahlt würde.
Schülerheft: Objekt 30
© STARCH
Geld im frühen 14. Jahrhundert:
der Schatzfund von Winterthur
Münzfunde sind neben schriftlichen Dokumenten eine
wichtige Informationsquelle zum Geld im Mittelalter.
Bei den Münzfunden ist zu unterscheiden zwischen
absichtlich deponierten bzw. vergrabenen Münzen
(Schatzfunden, Bauopfern und Grabbeigaben) und zufällig verlorenen Münzen aus Siedlungen und Kirchen
(siehe Stecknadel, Objekt 12).
Der über 2750 Pfennige umfassende Schatzfund, der
1930 auf dem Areal der Brauerei Haldengut in Winterthur gefunden wurde, ist eines der besten Beispiele
für ein spätmittelalterliches Sparguthaben. Der in einem Topf mit Deckel aufbewahrte Münzschatz wurde
um 1320/25 verborgen. Die Münzen waren kein riesiges Vermögen, sie entsprachen etwa einem Fünftel
des Jahresgehaltes des Zürcher Stadtschreibers, des
wichtigsten städtischen Beamten.
Der Haldengutfund zeigt, welche Münzen bei uns im
frühen 14. Jahrhundert verwendet wurden. Er macht
zum einen deutlich, dass nur eine einzige Münzsorte,
der Pfennig, im Umlauf war, und zum anderen, dass
unter diesen Pfennigen eine grosse Vielfalt herrschte.
Nur rund die Hälfte der Münzen stammte aus Zürich;
knapp ein Viertel der Münzen wurde in Basel, rund
ein Achtel in Zofingen AG, die restlichen in Schaffhausen (7%), Freiburg im Breisgau (D) (4%), Laufenburg
AG (1%), vereinzelte in weiteren Münzstätten geprägt.
Münzen aus dem um 1320/25 verborgenen Münzschatz vom
Haldengut-Areal in Winterthur.
Kantonsarchäologie Zürich.
Weiterführende Literatur
H.-U. GEIGER , Der Münzumlauf in Zürich um 1300.
In: C. Brinker, D. Flühler-Kreis, Die Manessische
Liederhandschrift in Zürich (Zürich 1991), S. 213.
B. ZÄCH, H.-M. VON KÄNEL , Zürcher Geld – 950 Jahre
zürcherische Münzprägung. Broschüre der Zürcher Kantonalbank (1986).
© STARCH
31
Schülerheft: Objekt 31
Hohlziegel
Original
Kantonsarchäologie Zürich.
Beschreibung
Stück eines Hohlziegels.
Fundort
Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil.
Datierung
Spätmittelalterlich (14./15. Jahrhundert).
Liegende Nonnen und Mönche – die Klosterdächer
Teilweise im 13., vor allem ab dem 14. Jahrhundert
begann sich die Verwendung von Dachziegeln einzubürgern. Üblich waren zunächst sogenannte Hohlziegel, welche die Form von halbierten Röhren haben.
Sie sind entweder leicht konisch geformt oder zumindest an einem Ende etwas abgeschrägt. Dadurch lassen sie sich auf dem Dach besser ineinander fügen.
Abwechslungsweise legt man die Ziegel übereinander
und benützt sie als Wasserrinne wie auch als Abdeckung der Zwischenräume. Dächer mit Hohlzie-
geln nennt man auch Klosterdächer: Die unteren
Ziegel bezeichnete man als «Nonne», die oberen als
«Mönche». Diese Bezeichnungen sind erstmals 1295
in Lübeck (D) nachweisbar. Am Ende des Spätmittelalters begannen dann flache Ziegel die Hohlziegel zu
verdrängen. Hohlziegeldächer sind heute noch vereinzelt in Altstädten wie Winterthur und in alten
Dorfkernen oder in grosser Zahl in südeuropäischen
Ländern zu sehen.
Weitere Bedachungsmaterialien
Nördlich der Alpen waren Schindeldächer weit verbreitet. Die dünnen rechteckigen Holzbretter aus Nadelholz wurden mit Nägeln auf die Dachlatten genagelt. Im 15. und 16 Jahrhundert entstandene Stadtansichten von Zürich und Luzern zeigen das Nebeneinander von Schindel- und Ziegeldächern. Heute finden
sich Schindeldächer u.a. noch im Oberwallis. In anderen Regionen, so in Teilen des Kantons Zürichs, waren
Strohdächer üblich. Hier ist ein einziges noch erhalten,
das 1683 erbaute Strohdachhaus in Hüttikon ZH.
Da Schindel- und Strohdächer und Holzkonstruktionen
leicht brannten, waren Bauvorschriften nötig. Bei einem Brand konnte das Feuer sehr schnell auf andere
Häuser übergreifen. Vor allem in den Städten hatte
dies verheerende Folgen. Bei einem Stadtbrand wurden oft ganze Quartiere zerstört.
Schülerheft: Objekt 31
© STARCH
Brandschutz in den Städten
Eine besondere Sorge in mittelalterlichen Städten bereiteten Grossbrände. Zum Feuerlöschen standen damals lediglich Eimer zur Verfügung. Grossflächige
Stadtbrände sind denn auch für fast jede Stadt entweder archäologisch oder in Schriftquellen bezeugt. Die
Häuser bestanden zu wesentlichen Teilen noch aus
Holz. Steinhäuser mit Ziegeldächern waren im 13. und
auch im 14. Jahrhundert sehr selten. Da man an offenen Feuerstellen kochte und auch Handwerker in den
Städten Feuerstellen und Öfen betrieben, bestand immer grosse Brandgefahr. Mit besonderen Massnahmen, die in Bauvorschriften überliefert sind, versuchte
man den Bränden vorzubeugen. Dazu zählte die Förderung von Ziegeldächern wie auch von Mauern zwischen den Häusern, den sogenannten Brandmauern.
Zudem versuchte man, gefährliche Handwerksbetriebe aus den Städten zu verbannen. Wie in Städten
ausgegrabene Ofenanlagen zeigen, waren diese Bestrebungen offenbar zum Teil nicht erfolgreich.
Ein Stadtbrand hatte katastrophale Folgen. Den Bewohnern
blieb meistens nichts anderes übrig, als ihr Hab und Gut
zu retten. Das Feuer versuchten sie mit Wassereimern
zu löschen. Das Bild zeigt den Stadtbrand von Bern 1405
(Diebold Schilling, Amtliche Chronik Bern).
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985), S. 114.
Weiterführende Literatur
J. GOLL , Kleine Ziegel-Geschichte, Zur Einordnung
der Ziegelfunde aus der Grabung St. Urban. In:
Jahresbericht der Stiftung Ziegeleimuseum
Meienberg Cham 2, 1984, S. 29–102.
J. GOLL , Baumaterial. In: M. und N. Flüeler (Hg.),
Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt
um 1300 (Stuttgart 1992), S. 267–280.
Vergleichsobjekte
Vgl. Textbeispiel 19 auf der CD Musik und Text
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32
Schülerheft: Objekt 32
Schlüssel
Replik
S. Roth, Seelenschmiede, Braunschweig (D).
Beschreibung
Schlüssel. 8 cm lang. Aus einem Stück geschmiedet, rautenförmiger Griff.
Fundort des Originals
Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil.
Datierung
13. Jahrhundert.
Drehschlüssel – noch heute eine wichtige Erfindung
Einfache Schlüssel zum Verriegeln von Türen gab es
schon in der späten Bronzezeit (1000–800 v. Chr.). In
der römischen Epoche nahm die Bedeutung der
Schlüssel markant zu, wie zahlreiche archäologische
Funde zeigen. Bei den damals üblichen Schlössern
musste man den Schlüsselbart so in einen Riegel stecken, dass man diesen anheben und zur Seite schieben konnte (Hebe-Schiebe-Schlüssel). Entsprechend
waren die Schlüssellöcher länglich geformt.
Die Erfindung des im Mittelalter wie auch heute üblichen Drehschlosses erfolgte offenbar bereits in der
Antike. Durch das Drehen des Schlüssels wurde das
Schloss geöffnet. Der Bart betätigte die Verschlussriegel und konnte durch Durchbrüche und Einschnitte auf
ein bestimmtes Schloss zugeschnitten werden. Damit
liess sich der Schutz vor fremdem Zugriff natürlich wesentlich verbessern. Griff und Bart wurden zudem mit
der Zeit immer mehr verziert.
Schlösser für Türen, Truhen oder Schränke
Aufgrund seiner Länge von 8 cm dürfte der Schlüssel
von der Burgruine Alt-Wädenswil ZH zum Verschliessen eines Möbels gedient haben. Zusätzlich zu den
fest angebrachten Schlössern kannte man auch Vorhängeschlösser, die mit einfachen Steckschlüsseln geöffnet wurden.
Schülerheft: Objekt 32
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Schutz vor Nachschlüsseln
Aus dem 14. Jahrhundert sind Verordnungen aus den
Handwerkerverbindungen (Zünfte) der Schmiede und
Schlosser erhalten, welche die Herstellung von falschen Schlüsseln unter Strafe stellen. Wer unerlaubterweise einen Nachschlüssel nach Teig-, Wachs- oder
Tonabdrücken anfertigte, musste eine Geldbusse zahlen.
Der Schlüssel –
eine bedeutendes Symbol
Der Schlüssel ist das Symbol für den Zutritt zum Reich
Gottes. Deshalb hält Petrus auf mittelalterlichen Bildern den Schlüssel zur Himmelspforte in der Hand. Im
13. Jahrhundert begannen die Päpste, den Schlüssel in
ihrem Wappen zu führen. Auch verschiedenste Adelsfamilien wählten Schlüssel für Siegel und Wappen.
Nidwalden, dessen heutiges Kantonswappen einen
Doppelschlüssel zeigt, verwendete bereits für die
Bundesbriefe 1291 und 1315 ein Siegel mit der Darstellung eines Schlüssels.
Schlüssel versinnbildlichen auch Verfügungsgewalt.
Besuchte ein König eine Stadt, so überreichten ihm
die Bürger als Huldigung vor der Stadt die Torschlüssel. Die Übergabe der Schlüssel war auch ein Zeichen
der Kapitulation im Belagerungsfall. Im Haushalt verfügte die Ehefrau über die Schlüssel, wie in Rechtsbüchern geschrieben steht.
Die Bedeutung von Schlüsseln drückt auch das folgende im 13. Jahrhundert verfasste Gedicht aus:
Dû bist mîn, ich bin dîn:
Du bist mein, ich bin Dein
Des solt dû gewis sîn.
Dessen sollst Du gewiss sein.
Dû bist beslozzen
Du bist eingeschlossen
In mînem herzen:
In meinem Herzen:
Verlorn ist das slüzzelîn:
Verloren ist das Schlüsselchen:
Dû muost immer drinne sîn.
Du musst immer drinnen sein.
Die Apostel Petrus (Mitte) mit Schlüssel, Johannes mit Kelch
und Jakobus mit Pilgerstab (siehe Jakobsmuschel, Objekt 17).
Um 1490 geschnitzte Holzfigurengruppe des Hauptaltars der
Kathedrale von Chur.
Archäologischer Dienst Graubünden, Denkmalpflege Graubünden, Jahresbericht 2002 (Chur 2003), Abb. 115.
Weiterführende Literatur
J.-J. BRUNNER, Der Schlüssel im Wandel der Zeit
(Bern 1988).
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33
Schülerheft: Objekt 33
Lampenschale
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Lampenschale, unglasierter, hellrot gebrannter Ton.
Einfache Delle, um den Docht aufzulegen.
Fundorte der Originale
Burgen, Städte, Kirchen.
Datierung
Getöpferte Lämpchen kommen im 13. Jahrhundert
auf und waren das ganze Spätmittelalter über beliebt.
Lampenschalen – die verbreitetsten Beleuchtungskörper
im Spätmittelalter
Die kleinen offenen Tonschalen besitzen am Rand
eine einfach eingedrückte Delle. Diese diente als
Schnauze für den Docht. In die Schale füllte man
pflanzliches Öl oder tierische Fette (Talg oder Unschlitt
genannt). Den mit Flüssigkeit vollgesogenen Docht
zündete man am Ende bei der Schnauze an, was ein
kleines Licht gab. Da der Docht laufend Öl oder Talg
nachsog, genügte ein kurzes Stück. Wegen der starken Russbildung bevorzugte man pflanzliche Öle. Bereits in einem 794 geschriebenen Buch und in Texten
Hildegards von Bingen (1098–1179) wird Rüböl aus
Raps als beliebtes Lampenöl genannt. Vor allem seit
dem 13. Jahrhundert waren getöpferte Lämpchen ein
eigentlicher Massenartikel. Die auffallend unsorgfältig, schnell getöpferten Schalen waren sehr billig und
für fast alle Leute erschwinglich. Kostbarer waren
Lampen aus Eisen, Bronze oder Glas. Sie kamen nur in
Haushalten wohlhabender Familien vor und wurden
auch in Kirchen gebraucht.
Isolation und Licht im Wohnhaus
Beim Bau eines Wohnhauses war die Isolation gegen
die Kälte ein schwieriges Problem. Kleine, meist
schlitzartige Fenster konnte man zwar im Winter besser mit Brettern, Fellen oder in wohlhabenden Haushalten mit Fensterglas verschliessen. Der Nachteil
kleiner Fenster war im Winter wie auch im Sommer,
dass wenig Aussenlicht in die Räume gelangte. Deshalb war man auf künstliches Licht angewiesen. Die
Lämpchen wie auch die auf der Rückseite vorgestell-
ten Lichtquellen boten aber nur spärliches Licht. Da
war man froh, dass in der Küche noch das offene
Herdfeuer Licht spendete. Handwerkliche Tätigkeiten,
die nicht im Freien verrichtet werden mussten, erledigte man deshalb manchmal in der Küche. Bei mittelalterlichen Fenstern fallen zudem auch die seitlichen, gemauerten Sitzbänke auf. Hier liess sich für
einfache Verrichtungen – etwa Nähen oder Spinnen –
das Tageslicht optimal nutzen.
Schülerheft: Objekt 33
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Kerzen, Kienspäne und Fackeln
Ausser Lampenschalen kannte man Kerzen, Kienspäne
und Fackeln. Die teuren Kerzen aus Bienenwachs verwendete man hauptsächlich in der Kirche. Nur in ganz
wenigen reichen Haushalten, in Kirchen und Klöstern
gab es metallene Kerzenständer und mit Kerzen bestückte, von der Decke herabhängende Kronleuchter.
Kienspäne waren rund 60 cm lange, bis 8 cm breite
stark harzhaltige Holzstückchen. Im Wort Kienspan ist
das mittelalterliche Wort «Kienboum» (Kiefer) enthalten. Man steckte sie in einen eisernen Halter. Die Herstellung war verglichen zur eigentlich kurzen Brenndauer von etwa 20 Minuten recht aufwändig. Von
Nadelhölzern, bevorzugt von Kiefer und Föhre, schnitt
man Stücke von 60 bis 80 cm Länge und entfernte die
Rinde. Danach legte man die Holzstücke in eine
feuchte Wiese oder in einen Heuhaufen, bis sie sich
blau verfärbten. Nun konnte man die Stücke zu dünnen Spänen spalten, die man austrocknen liess.
Baschi Hegner, einstmals Mönch im Kloster Rüti ZH, wollte
ohne Licht aus dem Haus ins «Sprachhus» (WC) gehen. Dabei
stürzte er im Dunkeln die Treppe hinunter und kam ums Leben. Man nannte das WC häufig «Sprachhus», weil sich mehrere Sitze ohne Abtrennung nebeneinander befanden und die
Leute während dem Geschäft miteinander sprechen konnten.
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985), S. 182.
Bei den Fackeln trug man an einem Ende Pech oder
Harz auf. Beim Gebrauch sollte nur dieses aufgestrichene Material verbrennen, damit das Holz später
wieder bestrichen und gebraucht werden konnte.
Nachteile von Fackeln waren starker Rauch und Russ
sowie der gefährliche Funkenflug. Deshalb verwendete man sie vor allem draussen.
Weiterführende Literatur
C. JÄGGI, H.-R. MEIER , R. WINDLER , M. ILLI, Die Stadtkirche St. Laurentius in Winterthur. Zürcher Denkmalpflege, Archäologische Monographien 14
(Zürich und Egg 1993).
H. KÜHNEL (HG.), Alltag im Spätmittelalter (Graz
1985, 2. Auflage).
W. MEYER, Hirsebrei und Hellebarde (Olten 1985).
Vergleichsobjekte
9 Feuerzeug
34 Butzenscheibe und Flachglas
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34
Schülerheft: Objekt 34
Butzenscheibe und Flachglas
Originale
Kantonsarchäologie Zürich.
Beschreibung
Fragmente einer Butzen- und einer Flachglasscheibe (Teile von Fenstern).
Fundort
Richterswil ZH, Burgruine Alt-Wädenswil.
Datierung
Spätmittelalter.
Vom speziellen Farbfenster zum gewöhnlichen Fensterglas
Ein Spruch besagt, wichtig an einem Zimmer sei nicht
das, was ist, sondern das, was nicht ist, nämlich der
leere Raum. Um diesen Raum nutzen zu können,
braucht es Licht, braucht es Öffnungen in den Wänden, also Türen und Fenster. Um die Wärme im Rauminnern zu behalten, sind solche Fenster am angenehmsten, durch die zwar das Licht in den Raum fällt,
die aber zugleich isolieren.
Kleinere Fenster aus Glas kannte man schon in römischer Zeit, sie wurden oft in geheizten Baderäumen
(Thermen) gebraucht. Aus dem frühen Mittelalter sind
wenige farbige Glasscherben bekannt, vor allem aus
Klöstern und Kirchen. Man nimmt an, dass Fenster mit
Glasscheiben erst in den Städten des 13. Jahrhunderts
vermehrt benutzt wurden. Vorher brauchte man Holzläden – die allerdings wenig Licht durchliessen – vielleicht auch geöltes Pergament oder Stoffe.
Die mittelalterlichen Glasfenster sahen aber anders
aus als die heutigen: Glas war lange Zeit ein kostbarer
und erst noch zerbrechlicher Werkstoff. Ausserdem
gab es noch keine Geräte, um grosse, dünne Glasscheiben auszuwalzen. Deshalb setzten die Glaser die
Fenster mit Hilfe von Bleiruten aus einzelnen kleinen,
eckigen oder runden Scheiben zusammen. Die Glasscheiben waren auch nicht so durchsichtig wie heutiges Glas. Wenn du das Scheibenteil vorsichtig ans
Auge hältst, so siehst du eine Färbung und manchmal
entdeckst du im Glas Luftbläschen und Schlieren, die
ein typisches Zeichen für die Herstellung durch einen
Handwerker, eben den Glasmacher, sind.
Schülerheft: Objekt 34
© STARCH
Glas, ein alter Werkstoff
Glas ist ein Gemisch verschiedener Rohstoffe, die mit
Hilfe von hohen Temperaturen zusammen flüssig gemacht werden. Der Glasmacher braucht hauptsächlich
Quarzsand, Kalk und Pflanzenasche (bei uns meist
Pottasche) und manchmal färbende Zusätze wie Metalloxide. Dies ergibt das sogenannte Rohglas, welches im Mittelalter oft grünlich oder bläulich erscheint. In einem zweiten Schritt erhitzt der Glasmacher das Rohglas in einem besonderen Ofen nochmals
auf über 1100 Grad und verarbeitet die zähflüssige
Masse zu Gefässen (wie Trinkgläser, Glasflaschen oder
Schalen) oder zu Glasscheiben.
Da die Glasherstellung in unseren Breitengraden
grosse Mengen Holz verbrauchte (zum Heizen der
Öfen, aber auch zur Herstellung der Pflanzenasche),
lagen die Glasmacherhöfe oft nahe grosser Waldgebiete. Um genügend Rohstoffe zu finden, musste man
von Zeit zu Zeit umziehen und neue Höfe in noch unberührten Waldgegenden bauen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Flachgläser herzustellen. Hier zwei im Mittelalter benutzte, sehr unterschiedliche Techniken:
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Butzenscheiben: Flüssige Glasmasse wird wie ein Ballon mit Hilfe eines Rohrs aufgeblasen, durch eine Drehbewegung zu einer
Scheibe geschleudert und der Rand umgebogen. Um eine ganze Fensterfläche zu erhalten, muss man neben die runden Scheiben eckige Zwickelstücke einsetzen. Diese Technik kommt im Spätmittelalter auf.
Kantonsarchäologie Zürich.
Gegossene Glasplatten: In einen Holz- oder Steinkasten wird ein Trennmittel wie Sand gestreut, damit die Glasplatte nicht kleben bleibt. Darauf wird flüssige Glasmasse gegossen und mit einem Spatel verstrichen. Die Glasplatte kann man zerschneiden.
Technik seit der Römerzeit bekannt.
Kantonsarchäologie Zürich.
Ausschnitt aus einem
französischen Manuskript des 15. Jahrhunderts. Fenster in einem vornehmen Haus
mit verschiedenen
Teilen: Gitter, Glasfenster mit Bleieinfassungen, Holzladen.
Weiterführende Literatur
E. BAUMGARTNER , I. KRUEGER , Phönix aus Sand und
Asche. Glas des Mittelalters (München 1988).
W. MÜLLER , Glasherstellung und Bleiverglasung. In:
Uta Lindgren (Hg.), Europäische Technik im Mittelalter, 800 bis 1200, Tradition und Innovation
(Berlin 1996), S. 289–300.
J. CHERRY, Medieval crafts –
a book of days (London
1993), S. 101 (Französisches Manuskript des
frühen 15. Jh. mit Illustrationen zu einem Buch von
Christine de Pisan).
Vergleichsobjekte
2 Schüssel
6 Trinkglas
33 Lampenschale
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35.1–35.2
Schülerheft: Objekt 35
Pergament und Papier
Repliken
35.1–35.2: Papiermühle, Schweizerisches Papiermuseum, Basel.
Beschreibung
35.1: Pergament aus Kalbshaut.
35.2: Handgeschöpftes Papier mit modernem Wasserzeichen der Papiermühle Basel.
Fundorte der Originale
Werden in Archiven und Bibliotheken aufbewahrt.
Datierung
35.1: Im ganzen Mittelalter.
35.2: Ab 14. Jahrhundert.
Verschiedene Schriftträger
In der römischen Antike wurde auf Wachstafeln und
Papyrus geschrieben. Papyrus wurde im alten Ägypten seit dem frühen 3. Jahrtausend v. Chr. verwendet.
Es besteht aus zwei kreuzweise ineinander geklopften
Lagen des Marks von Stengeln der Papyruspflanze.
Die letzten auf diesem Material niedergeschriebenen
Texte entstanden im Hochmittelalter im arabischen
Raum (11. Jahrhundert). Im 2. Jahrhundert v. Chr. beginnt man, enthaarte und geglättete Tierhäute (Pergament) als Schriftträger zu verwenden. Um Pergament zu erhalten, wird die Haut nicht gegerbt, sondern in einer Kalklösung gereinigt, danach in einen
Rahmen gespannt und getrocknet. Erst im 4. Jahrhundert setzte sich das Pergament gegen den Papyrus
durch. Der Ausspruch «es geht auf keine Kuhhaut»
geht in die Zeit zurück, als man noch auf Pergament
schrieb.
Im europäischen Mittelalter dienten Pergament und
weiterhin auch Wachstafeln als Schriftträger. Ab dem
15. Jahrhundert verbreitete sich dann nördlich der Alpen das bereits im 2. oder 1. Jahrhundert v. Chr. in
China erfundene Papier, das über den arabischen
Raum und Italien in unsere Gegend eingeführt wurde.
Papier wurde aus zerstampften Hadern, aus alten
Lumpen, die man verfaulen liess, gewonnen. Der Papierbrei wurde als dünne Lage in ein Metallsieb gegossen und zu einer Seite gepresst, die man dann wie
Pergament beschriften und zu Büchern zusammenbinden konnte.
Schülerheft: Objekt 35
© STARCH
Was wurde geschrieben?
Wissenschaftliche und religiöse Texte und insbesondere die Bibel spielten in der mittelalterlichen Schriftlichkeit eine wichtige Rolle. Damit diese für das Studium und die Messe zur Verfügung stehen konnten,
mussten sie zuerst abgeschrieben werden. Einzelne
Klöster waren für ihre Schreibstube (scriptorium) berühmt, wo Mönche den ganzen Tag Texte kopierten
und mit prächtigen Buchmalereien verzierten. Auf
Pergament und später auf Papier wurden aber auch
Rechtshandlungen als Urkunden festgehalten, und die
seit dem Spätmittelalter wachsende Verwaltungstätigkeit gründete in starkem Mass auf schriftlich festgehaltenen Texten. Im 14. und 15 Jahrhundert nahm
die Menge der Schriftstücke unter dem Einfluss der
sich ausweitenden Verwaltung stark zu.
Im Mittelalter bedienten sich vor allem kirchliche und
weltliche Herrschaften der Schriftlichkeit. Damit nämlich begründeten sie ihre Herrschaftsansprüche gegenüber ihren Widersachern, und was schriftlich festgehalten ist, hat auch heute noch eine weit grössere
Bedeutung als eine mündliche Abmachung.
Zwei Seiten der Manessischen Liederhandschrift (Anfang
14. Jahrhundert). Bei dieser Sammlung von Liedertexten mit
bunten Bildern der meist adligen Dichter handelt es sich um
eines der bekanntesten mittelalterlichen Bücher. Es wurde
mit grösster Wahrscheinlichkeit in Zürich in Auftrag gegeben.
Das Buch mit 426 Seiten aus Pergament, 25×35,5 cm gross,
wiegt etwa 7 kg.
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der Grossen Heidelberger
Liederhandschrift (Frankfurt a. M. 1988), Nr. 60.
Wachstäfelchen mit Griff aus einer Latrine in Freiburg i. Br. (D),
15. Jahrhundert, Länge 6,9 cm. Vorderseite (rechts) mit Vertiefung zur Aufnahme von gehärtetem Wachs, auf der Rückseite
Kerbe zur Aufnahme eines Schreibgriffels. Solche Tafeln benutzte man zum Schreibenlernen, aber auch für Notizen aller
Art.
U. MÜLLER, Holzfunde aus Freiburg (Augustinereremitenkloster) und Konstanz,
Herstellung und Funktion einer Materialgruppe aus dem späten Mittelalter
(Stuttgart 1996), Tafel 31.3.
Bild aus der Manessischen Liederhandschrift (Anfang 14. Jahrhundert): Ein Liederdichter diktiert seine Texte einem Schreiber, der mit Feder und Radiermesser hantiert. Das Radiermesser diente zum Auskratzen von Schreibfehlern.
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der Grossen Heidelberger
Liederhandschrift (Frankfurt a. M. 1988), Nr. 124.
Weiterführende Literatur
R. SABLONIER , Schriftlichkeit, Adelsbesitz und adliges Handeln im 13.Jahrhundert. In: O. G. Oexle,
W. Paravicini (Hg.), Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa (Göttingen
1997), S. 67–100.
M. SCHEFFER , Schule und Erziehung. In: S. Lorenz,
Th. Zotz (Hg.), Spätmittelalter am Oberrhein,
Alltag. Handwerk und Handel 1350–1525.
Katalogband (Karlsruhe 2001), S. 241ff.
© STARCH
36
Schülerheft: Objekt 36
Astraguli
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Astraguli, d.h. Sprunggelenkknochen von Schafen,
in einem Leinensäckchen.
Fundorte der Originale
Städte, Dörfer, Burgen.
Herkunft
Mongolei.
Datierung
Mittelalter.
Mit Knochen spielen?
Der Astragalus stammt aus dem Sprunggelenk der
Hinterbeine von Schafen und Ziegen. Aus zeitgenössischen Berichten geht hervor, dass das Spiel mit Astraguli bereits in der Antike, also zur Zeit der alten Griechen und Römer, beliebt war.
Häufig benutzte man die Astraguli als Würfel. Betrachtet man einen Astragal genauer, so fällt auf, dass alle
vier länglichen Seiten verschieden aussehen. Diesen
verteilt man nun Zahlen zwischen 1 und 6, wobei die
Summe gegenüberliegender Seiten wie beim modernen Würfel 7 ergeben muss. Zwei Zahlen bleiben für
die beiden Enden übrig, auf denen der Astragal aber
kaum je liegen bleibt. Natürlich machten die Leute
diese Zahlenwerte der Würfelseiten immer wieder
neu untereinander ab.
Beliebt waren auch Geschicklichkeitsspiele mit Astraguli. Man wirft fünf in die Luft und versucht, sie mit
dem Handrücken aufzufangen. Man wird dabei höchstens zwei bis drei Knochen auffangen können, die
anderen rollen auf den Boden. Diese versucht man
dann mit den Fingern der Fanghand aufzunehmen,
ohne dass die anderen zu Boden fallen. Nun lassen
sich die Punkte zusammenzählen: Jeder aufgefangene
Astragal gibt einen Punkt. Oder der Wert der obenliegenden Seite wird gezählt wie beim Würfelspiel.
Astraguli gehören zu den einfachen Spielen, die fast
keine archäologischen Spuren hinterliessen. Nur wenn
man drei oder mehrere zusammen ausgräbt, kann
man annehmen, dass mit den Knochen auch tatsächlich gespielt wurde. Heute sind Spiele mit Astraguli
noch in der Mongolei, in Nordafrika und in der Türkei
beliebt.
Schülerheft: Objekt 36
© STARCH
Von Würflern und Spielverboten
Natürlich gab es bereits im Mittelalter die heute geläufigen Würfel mit sechs Seiten. Meistens wurden sie
aus Tierknochen geschnitten. In spätmittelalterlichen
Städten gab es einen spezialisierten Berufszweig der
Knochenschnitzer, die «Würfler», die nur Würfel herstellten.
Diese Würfel fanden teils für Brettspiele wie das Tricktrack (das heutige Backgammon) Verwendung. Sehr
verbreitet waren aber auch einfache Würfelspiele. Dabei konnte man die Werte zusammenzählen und Gewinner war derjenige, der am meisten oder am wenigsten Punkte hatte. Häufig spielten die Leute um
Geld. Die Verlierer hatten dann einen vereinbarten
Geldbetrag, den Spieleinsatz, dem Gewinner abzugeben. Natürlich war der Anreiz, das verlorene Geld zurückzugewinnen, hoch und man versuchte sein Glück
noch einmal. So erlagen viele Leute der Spielsucht
und verloren ihr Geld bei diesem Glücksspiel. Oft gab
es deshalb auch wüste Flüche, Beschimpfungen,
Prügel oder Messerstechereien. Aus diesem Grund
predigten die Pfarrer häufig gegen Glücksspiele wie
Würfeln und Kartenspiel und versuchten, solche Spiele
zu verbieten. Dies blieb chancenlos, weil die Spiele
bei Bauern, Bürgern und Adligen zu beliebt waren.
Im «Sachsenspiegel», einem Gesetzesbuch des 13. Jahrhunderts, kommt das Würfelspiel vor: Der Knecht im roten Rock
verlor beim Würfeln das gelbe Gewand seines Herrn. Der Herr
kann es aber beim Gewinner (im grün gestreifen Gewand)
zurückverlangen (rechts).
W. KOSCHORRECK, Der Sachsenspiegel in Bildern. Aus der Heidelberger Bilderhandschrift ausgewählt und erläutert (Frankfurt am Main 1976), Nr. 115.
Archäologische Funde aus Konstanz (D) zeigen die Würfelherstellung. Zunächst werden die Gelenkenden des Mittelfussknochens des Rindes weggesägt. Danach sägt man aus dem
Knochen lange Späne, aus denen man schliesslich die Würfel
schneiden kann.
A. PFEIFFER (HG.), Spielzeug in der Grube lag und schlief…, Archäologische
Funde aus Römerzeit und Mittelalter, museo 5 (Heilbronn 1993).
Weiterführende Literatur
W. ENDREI, Spiele und Unterhaltung im alten Europa
(Hanau 1988).
A. PFEIFFER (Hg.), Spielzeug in der Grube lag und
schlief…, Archäologische Funde aus Römerzeit
und Mittelalter, museo 5 (Heilbronn 1993).
Vergleichsobjekte
37 Spielsteine
38 Schachfiguren
© STARCH
37
Schülerheft: Objekt 37
Spielsteine
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
8 Spielsteine (zwei Scherbenrundel, Holzstück, zwei
gedrechselte Holzscheiben, ein Lavez, zwei verschiedenfarbige Kiesel) in Lederbeutel.
Fundorte der Originale
Städte, Dörfer, Burgen.
Datierung
Mittelalter.
Das Problem «Vergänglichkeit»
Gerade bei den Brettspielen kann das Problem der
Vergänglichkeit sehr gut angesprochen werden. Spielpläne haben sich nur erhalten, wenn sie entweder
in Stein eingeritzt waren oder sich unter besonders
günstigen Bedingungen (z. B. immer feuchter Boden)
Holz erhalten hat. Dasselbe gilt auch für die Spielsteine. Man stelle sich vor: Zwei Leute wollen im Mittelalter spontan Mühle spielen. Mit einem Messer
kann man sehr schnell den Spielplan in die Erde ritzen. Dann schaut man sich um nach brauchbaren
Spielsteinen. Man findet verschiedenfarbige Steinchen
oder schneidet Holzscheibchen. Oder man sieht Tonscherben, bei denen man nur die Ecken abschlagen
muss, damit sie eine rundliche Form erhalten. Auch
Scherben von Specksteingefässen (Lavez) bieten sich
an, zu Spielsteinen verarbeitet zu werden. Die Möglichkeiten, ohne grossen Aufwand Spielsteine zu erhalten, sind beinahe unbegrenzt.
Siebenhundert Jahre später legen die ArchäologInnen
den Fussboden frei, auf dem die beiden Leute Mühle
gespielt haben. Der Spielplan ist natürlich nicht mehr
sichtbar. Auch Spielsteine aus Holz sind längst zersetzt. Einzig die rundlichen Tonscherben oder Lavezstücke erregen die Aufmerksamkeit des Ausgräbers.
Hat hier irgendjemand gespielt? Was haben sie gespielt? Hier werden die Grenzen der Archäologie sichtbar: im besten Fall erkennt man den Verwendungszweck der unscheinbaren Objekte als Spielsteine.
Weitere Informationen sind aber längst vergangen
und nicht mehr erhalten.
Das Problem «Wohlstand»
Natürlich gab es auch verschieden wertvolle Spielsteine im Mittelalter. Auf einer Burg findet man vielleicht einen jener kostbaren Steine, die aus Knochen
geschnitzt sind und sogar Bilder wie Fabelwesen zeigen. Ärmere Leute mussten sich mit den einfacheren
Spielsteinen – Steinchen, Holzstückchen, Scherben –
begnügen. Diese sind dann eben nicht mehr vorhanden oder nicht mehr als Spielsteine erkennbar. Der
Schluss, diese Leute hätten weniger gespielt, ist aber
falsch.
Schülerheft: Objekt 37
© STARCH
Welche Brettspiele kannte man im Mittelalter?
Beliebt waren die heute noch bekannten Spiele
Mühle, Tricktrack (heute Backgammon) und Schach.
Dazu gab es einige taktische Brettspiele (z.B. Belagerungsspiel). Dies wissen wir dank der schriftlichen
Aufzeichnungen und Abbildungen aus dem Mittelalter
.
Ein vollständiges
Tricktrack-Spiel
aus Freiburg im Breisgau
In ganz seltenen Fällen haben sich sogar Spielbretter
aus Holz erhalten. So fiel in einem Kloster in Freiburg
im Breisgau (D) ein vollständiges Tricktrack-Spiel in
die Latrine.
Das Spielbrett besteht aus zwei Holztafeln, die mit Lederriemen verbunden waren. Gedrechselte Holzscheiben dienten als Spielsteine. Die Würfel waren aus
Knochen hergestellt.
Das Freiburger Spielbrett zeigt das handwerkliche Geschick
der Schreiner im 13. Jahrhundert. Die Spielfelder waren aus
dunkelfarbigem Holz in das Brett eingelassen. Die Bretter waren in einen Holzrahmen eingenutet. Im Spätmittelalter galt
die Herstellung eines solchen Spiels zu den Meisterstücken
und wird auch heute noch als Gesellenstück abgeliefert. Weshalb dieses Spiel in die Latrine fiel, bleibt natürlich Gegenstand von Spekulationen. Versuchten zwei Mönche, es vor
einem anderen Bruder oder dem Abt zu verstecken, weil sie
eigentlich nicht spielen durften?
G. P. FEHRING, Stadtarchäologie in Deutschland. Sonderheft Archäologie in
Deutschland (Stuttgart 1996), Abb. 81.
Weiterführende Literatur
W. ENDREI, Spiele und Unterhaltung im alten Europa
(Hanau 1988).
U. MÜLLER , Holzfunde aus Freiburg und Konstanz,
Forschungen und Berichte der Archäologie des
Mittelalters in Baden-Württemberg 21 (Stuttgart
1996).
A. PFEIFFER (Hg.), Spielzeug in der Grube lag und
schlief…, Archäologische Funde aus Römerzeit
und Mittelalter, museo 5 (Heilbronn 1993).
Vergleichsobjekte
36 Astraguli
38 Schachfiguren
© STARCH
38.1–38.7
Schülerheft: Objekt 38
Schachfiguren
Repliken
38.1: Schweizerisches Landesmuseum.
38.2–38.7: Gebrüder Imhof, Holzschnitzerei, Binn VS.
Beschreibung
38.1: Schachfigur. Hälfte eines «Turms». Original
aus Elfenbein. Dreiseitig reiche Verzierung mit
Kreisaugen, an der vierten Seite Befestigungslöcher
für die fehlende Hälfte.
38.2–38.7: Schachfiguren. König, Königin, Läufer,
Springer, Turm und Bauer in abstrahierter Form.
Fundorte der Originale
38.1: Bonstetten ZH, Burgstelle.
38.2–38.7: Verschiede Fundorte.
Datierung
12. bis 14. Jahrhundert.
Der lange Weg des Schachspiels nach Europa
Das vermutlich bereits im 3./2. Jahrhundert v. Chr. in
Indien erfundene Schach erreichte wahrscheinlich erst
im 6./7. Jahrhundert n. Chr. den persisch-arabischen
Raum. Hier benannte man es nach dem persischen
Wort für König «Shah» Schach. Das Schach gelangte
dann auf zwei Handelswegen nach Europa. Beim einen Weg von Persien durch Russland und den Ostseeraum passte man die Figuren einfach an ihre neue
Umgebung an. So verwandelten sich der Maharadscha auf dem Kriegselefanten zu einem König und der
Streitwagen zum Turm. Beim anderen Weg durch den
arabischen Mittelmeerraum veränderte sich das Aussehen der Figuren grundlegend. Je nach Auslegung
des Korans erachteten es die gläubigen Muslime als
verboten, Figuren von lebenden Wesen mit Augen zu
verwenden. Deshalb erfanden sie abstrakte Figuren,
die nur noch sehr entfernt den indisch-persischen Vorbildern glichen. Bis ins 13./14. Jahrhundert benutzte
man in Mitteleuropa sowohl abstrakte als auch figürliche Spielsätze nebeneinander.
Figurensätze unterschiedlicher Qualität
Der Turm von Bonstetten ZH, leider nur noch zur
Hälfte erhalten, gehörte zu einem kunstvoll verzierten
Figurensatz aus Elfenbein. Solch wertvolle Figuren
gehören zu den seltenen Funden bei Grabungen auf
Burgen.
Wesentlich günstiger waren aus Knochen oder Holz
geschnitzte Figuren. Funde aus Klöstern und Städten
zeigen, dass auch dort vereinzelte Leute Schach
spielten.
Schülerheft: Objekt 38
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Schach als Abbild der mittelalterlichen Gesellschaft
Bereits um 950 wurde im Kloster Einsiedeln SZ ein Gedicht verfasst, das den Wert des Spiels unterstreicht
sowie die Figuren und Regeln beschreibt. Im 12. Jahrhundert zählte Schachspielen mit Reiten, Schwimmen, Bogenschiessen, Boxen, der Falknerei und der
Dichtung zu den sieben Fähigkeiten eines «guten Ritters». Zudem sah man es als Abbild der Gesellschaftsordnung: «Die Welt gleicht einem Schachspiel, sie hat
auch Könige und Königinnen, Grafen (Türme), Ritter
(Springer), Bischöfe (Läufer) und Bauern.»
Werte der arabischen Figuren (König, Dame, Läufer, Springer,
Turm, Bauer).
H. WICHMANN, Schach (München 1960), S. 75.
Was wäre Europa
ohne die Kontakte mit
der islamischen Welt?
Teile Europas, Sizilien und Spanien, waren im Mittelalter längere Zeit Teil der islamischen Welt. Hier fanden
für die abendländische Geschichte äusserst bedeutsame Kontakte zwischen den Kulturen statt. Arabische
Gelehrte übersetzten zahlreiche Werke griechischer
Autoren der Antike, etwa des Aristoteles, die sonst
verloren gegangen wären. Auch sonst vermittelten sie
dem Abendland Kenntnisse: man denke an Musik,
Medizin, Astronomie und Mathematik. Heute ist zum
Beispiel nicht mehr das römische, sondern das arabische Zahlensystem (Dezimalsystem) gebräuchlich.
Auch wurden arabische Wörter übernommen: Laute,
Zucker, Alkohol, Alchemie, Algebra. Im Mittelalter verlief die Weitergabe von Wissen und Technik nur vom
Morgenland ins Abendland. Die Schachfigur von Bonstetten ZH ist ein kleines Beispiel für dieses damalige
einseitige Nehmen, welches das Fundament für die
europäische Kultur legte.
Zwei Schachspieler. Aus der Manessischen Liederhandschrift,
in Zürich im beginnenden 14. Jahrhundert entstanden.
I. F. WALTHER, Codex Manesse, Die Miniaturen der Grossen Heidelberger
Liederhandschrift (Frankfurt a. M. 1988), Nr. 6.
Weiterführende Literatur
G. CRESPI, Die Araber in Europa (Stuttgart und
Zürich 1992).
A. KLUGE-PINSKER , Schach und Trictrac. Zeugnisse
mittelalterlicher Spielfreude in salischer Zeit.
Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Monographien 30 (Mainz 1991).
A. STEBLER-CAUZZO, Die Burg Bonstetten. In: Burg,
Kapelle, Friedhof. Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 26 (Zürich und Egg 1995),
S. 100f.
Vergleichsobjekte
29 Handbohrer
37 Spielsteine
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39
Schülerheft: Objekt 39
Maultrommel
Replik
Heute übliche Form, erhältlich bei Musik Hug.
Beschreibung
Aus Eisen geschmiedete Maultrommel. Den beweglichen Teil in der Mitte nennt man Lamelle oder
Zunge.
Fundorte der Originale
Burgen, hochalpine Siedlungen.
Datierung
Ab dem 13. Jahrhundert.
Nur ein Instrument des einfachen Volkes?
Die Maultrommel, schweizerdeutsch Trümpi, ist ein
kleines Musikinstrument. Das Spielen auf einem
Trümpi war bei Hirten beliebt. Weil es sehr klein ist,
konnte es gut mitgenommen und zum Zeitvertreib
gespielt werden.
Viele mittelalterliche Maultrommeln kommen bei
Ausgrabungen auf Burgen zum Vorschein. Auf den
ersten Blick mag es erstaunen, ein Musikinstrument
des «einfachen Volkes» auf Burgen, d. h. im Umfeld
des Adels, zu finden. Hatte sich tatsächlich ein adliger
Burgbewohner den eintönigen Burgalltag mit Maultrommelspiel vertrieben? Oder gehörte das Instrument einem als Hirte des burgeigenen Viehs angestellten Senn? Das Trümpi ist nämlich auch ein häufiger Fund in hochalpinen Siedlungsplätzen. Natürlich
kann man anhand eines Fundstücks aus einer Burg
aber nicht mehr entscheiden, wer darauf gespielt
hatte. Dank der archäologischen Funde weiss man
aber immerhin, dass das Trümpi erst im 13. Jahrhundert auftaucht.
Wie spielt man auf dem Trümpi?
Man hält das Instrument mit einer Hand so vor den
Mund, dass die Bügelarme beide Lippen und die Schneidezähne leicht berühren. Mit der anderen Hand versetzt
man die Lamelle durch Zupfen in Schwingung. Dabei
dient der Mund als Resonanzkörper. So kann man durch
die Bewegung der Zunge die Tonhöhe und durch
Hauchen die Lautstärke variieren, d.h. ganze Melodien
spielen. Um mit anderen Instrumenten zusammen zu
spielen, sind natürlich noch bestimmte Tricks zur Veränderung der Grundstimmung der Maultrommel nötig.
So kann man mit Wachskügelchen die Lamelle beschwe-
ren, was zu einer tieferen Stimmung führt. In der Barockzeit hat der Komponist J. G. Albrechtsberger (1736–
1809) sogar Konzerte für Maultrommel mit Orchesterbegleitung geschrieben. Er wurde durch einen virtuosen
Maultrommelspieler, einen Benediktinerpater, zu diesen
Kompositionen angeregt.
Ein heute international bekannter Maultrommler ist
der Schweizer Anton Bruhin, der auch mit Maultrommelspielern aus anderen Ländern, etwa der Mongolei,
spielt.
Schülerheft: Objekt 39
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«Trümpi» als Familienname
Das mittelalterliche Wort «Trümpi» leitet sich von
althochdeutsch «Trumba» und mittelhochdeutsch
«Trumbe» oder «Trumme» ab, was sowohl Trommel
als auch Blasinstrument bedeutet. 1318 taucht erstmals der Familienname «trümpler» in Rüschlikon ZH
auf. Die 1353 erstmals in Zürich genannte Familie
«trümpi» führte sogar eine Maultrommel im Siegel.
Noch heute ist der Familienname Trümpy verbreitet,
bekannt ist etwa der 1946 geborene Komponist Balz
Trümpy.
Weshalb aber wählten diese Familien im 13. und 14.
Jahrhundert ein Instrument als Familienname? Erst im
Verlauf des 13. Jahrhunderts wurde es üblich, Familiennamen zu führen. Beim Adel war dies einfach, er
nannte sich nach einer Burg oder einer Ortschaft (Grafen von Kyburg, Freiherren von Wädenswil). In den
Städten, wo nun mehr Leute als in einem Dorf beisammen wohnten, wollte man sie irgendwie auseinander halten können. Ein weiteres Problem war zudem, dass – wie heute auch – einige Vornamen wie
Heinrich und Konrad äusserst beliebt waren (die noch
heute geläufige Redewendung «Hinz und Kunz» weist
auch darauf hin). So wählte man oft den Beruf als Familienname: Heinrich der Schmied, Konrad der Müller
usw. Auch andere Fertigkeiten wie gutes Instrumentalspiel boten sich als Zuname an: Wernher der Fiedler, Hartmann der Trümpler.
Umzeichnung des Siegels, das Johannes Trümpi 1353 verwendete. Der Text lautet: «S.Iohannis dci Trümpi» = Sanct
Johannes dicti (geheissen) Trümpi. Das Wappen zeigt eine
Maultrommel.
Staatsarchiv Zürich.
Weiterführende Literatur
A. TAMBOER , Ausgegrabene Klänge, Archäologische
Musikinstrumente aus allen Epochen (Oldenburg
1999).
W. MEYER , H. OESCH, Maultrommelfunde in der
Schweiz. In: Festschrift A. Geering. Beiträge zur
Zeit und zum Begriff des Humanismus vorwiegend aus dem Bereich der Musik (Bern 1972),
S. 211–230.
Vergleichsobjekte
40 Knochenflöte
Klangbeispiel 10 auf der CD Musik und Text
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40
Schülerheft: Objekt 40
Knochenflöte
Replik
Erlebbare Archäologie, Züger Wild, Basel.
Beschreibung
Knochenflöte, aus der Tibia (Schienbeinknochen)
eines Schafs. 4 bis 6 Löcher. Mundstück aus Bienenwachs.
Fundorte der Originale
Städte, Burgen.
Datierung
Hoch- und Spätmittelalter (12.–15. Jahrhundert).
Tierknochen als Flöten
Wie Funde zeigen, fertigten die Menschen schon in
der Altsteinzeit, also vor über dreissigtausend Jahren,
erste einfache Knochenflöten an.
Zur Herstellung einer Knochenflöte braucht man einen
möglichst geraden Röhrenknochen. Am besten eignen
sich die Schienbeinknochen junger Schafe oder Knochen von Vögeln. Nach dem Schlachten muss man
den Knochen vom Fleisch befreien und kochen, damit
das im Knochen enthaltene Fett herausgelöst wird.
Danach schneidet man ein oder beide Gelenkenden
weg. Nun bohrt man die Löcher. Das oberste, welches
den Luftstrom teilt, nennt man Labium oder Aufschnitt. Dazu kommen je nach dem ein Daumenloch
auf der Rückseite sowie Grifflöcher für die Finger auf
der Vorderseite.
Eine Untersuchung der mittelalterlichen Flöten zeigt,
dass meistens nur drei oder vier Löcher, seltener
zwei, fünf oder sechs Löcher gebohrt wurden. Einige
hatten zusätzlich ein Daumenloch, andere nicht. Somit konnte man mit den meisten Flöten nur wenige
Töne spielen. Ins obere Ende der Flöte setzte man einen Pfropfen aus Bienenwachs als Mundstück ein. Mit
einem Werkzeug schnitt man nun im Wachs den Luftkanal ein, der schräg auf das Labium treffen muss,
damit sich der Luftstrom teilen kann. Es gab auch Flöten, bei denen das Mundstück aus Holz angefertigt
wurde.
«Schräge Töne»
Anders als bei einer Holzflöte kann man kein in
sich stimmiges Instrument aus Knochen bauen,
da der Hohlraum des Knochens nie gleichförmig ist.
Wer spielte wohl auf solchen Instrumenten? Deine
Ideen kannst du mit unseren auf der Rückseite vergleichen.
Schülerheft: Objekt 40
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Nur ein Instrument des einfachen Volkes?
Knochenflöten waren sehr einfache und kleine Instrumente, jedermann konnte sie ohne grossen Aufwand
herstellen und mitnehmen. Vielleicht waren sie deshalb bei den Hirten sehr beliebt. Viele mittelalterliche
Knochenflöten kamen aber bei Ausgrabungen auf
Burgen zum Vorschein. Auf den ersten Blick mag es
erstaunen, ein Musikinstrument des «einfachen Volkes» auf Burgen im Umfeld des Adels zu finden. Vertrieben sich die Adligen den eintönigen Burgalltag mit
Flötenspiel? Oder stammen sie von den Sennen, die
das burgeigene Vieh hirteten? Oder von fahrenden
Musikanten, den Spielleuten?
Melodien spielen
auf den Flöten?
Wie du auf der Vorderseite erfahren hast, konnte man
meist nur einfache Melodien auf Knochenflöten spielen. Vielleicht war dies von der Musikalität der Hirten
abhängig, die einfache Melodien bevorzugten. Immerhin konnte ein geschickter Spieler auf einer mehrlochigen Flöte mit Gabelgriffen, Halbdeckungen der
Löcher und Überblastechnik doch Melodien spielen.
Weiterführende Literatur
CH. BRADE, Die mittelalterlichen Kernspaltflöten
Mittel- und Nordeuropas (Neumünster 1975).
Knochenklang. Mitteilungen der Prähistorischen
Kommission / Österreichische Akademie der
Wissenschaften 36 (Wien 2000) (CD und Begleitheft).
R. MEYLAN, Die Flöte. Grundzüge ihrer Entwicklung
von der Urgeschichte bis zur Gegenwart (Mainz
2000) (Beilage: CD mit Klangbeispielen).
Vergleichsobjekte
39 Maultrommel.
Klangbeispiele 8 und 9 auf der CD Musik und Text
Wie zahlreiche Bilder aus dem Mittelalter zeigen, spielte man
häufig Blasinstrumente zusammen mit einer Trommel. Für
das einhändige Spielen genügten natürlich wenige Löcher.
Das Bild aus dem Jahr 1542 zeigt einen als Narr verkleideten
Spielmann. Das grobschlächtige Gesicht erinnert an eine
Karikatur. Kunstfertig spielt er ein oboenähnliches Instrument,
schlägt die Trommel, balanciert eine Kerze auf dem Kopf und
geht dazu noch auf Stelzen!
Titelblatt des Liedbuchs von Zeghere Van Male, Cambrai, Bibliothèque
municipale, Mss. 125–128.
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41
Schülerheft: Objekt 41
Schelle
Replik
Warenhaus Manor, Basel.
Beschreibung
Schelle aus Messing, zweiteilig getrieben, mit
Aufhängeöse.
Fundorte der Originale
Städte, Burgen.
Datierung
Ab dem 13. Jahrhundert.
Schellen – einfache Musikinstrumente oder Schmuckstücke?
Kleine Schellen kommen häufig auf Burgen und in
Städten zum Vorschein. Zuerst scheinen sie uns als
Musikinstrument erkennbar. Sie sind aber ein gutes
Beispiel für Gegenstände, bei denen man meistens
den Verwendungszweck nicht bestimmen kann. Der
Archäologe findet meistens nur die metallene Schelle.
Die Textilien oder Leder, auf welche sie aufgenäht
war, sind in der Regel verrottet. So fehlen auch Informationen über den einstigen Gebrauch der Schellen.
Wie uns mittelalterliche Bilder zeigen, erfüllten Schellen die unterschiedlichsten Zwecke.
Schellen – für den Falken, das Pferd, das Festkleid oder
die Narrenkappe?
Bei der Falknerei, der Jagd mit abgerichteten Falken,
band man dem Falken eine Fessel um die Füsse, an
der Schellen befestigt waren. So hörte man immer,
wo sich der Vogel befand. Ein verirrter Falken war
auch als gezähmter Jagdvogel erkennbar.
Schellen dienten auch zur Verzierung von Pferdezaumzeug. Im späten Mittelalter, dem 14. und 15.
Jahrhundert, galt es bei vornehmen Leuten zudem als
modisch, wenn man Schellen an die Kleidung nähte.
Zeitweise muss das Geklingel bei grösseren Menschenansammlungen so laut gewesen sein, dass zum
Beispiel im süddeutschen Ulm 1406 das Tragen von
Schellen in der Kirche ausdrücklich verboten wurde.
Schellen gehörten seit dem 14. Jahrhundert natürlich
auch zur Spielmannstracht. Ein Lederband mit zahlreichen Schellen liess sich um Fuss- oder Handgelenk
binden, womit man rhythmisches Gebimmel als Begleitung beim Spiel eines anderen Instruments einsetzen konnte. Auch der (Hof-)Narr trug an seiner hörnerförmigen Kappe und am Kleid Schellen. Gegen
Ende des 15. Jahrhunderts wechselte die Mode: Die
Vornehmen bevorzugten nun stummen Schmuck. Dagegen behielten die Narren die Glocken bei, was sie
noch altmodischer und lächerlicher wirken liess. Noch
heute sind Schellen Bestandteile von Fasnachtsfiguren, etwa des «Ueli» in Basel.
Schülerheft: Objekt 41
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Falkenschellen – Beleg für die Kontakte zur arabischen Welt
Bereits im 8. Jahrhundert waren die Schellen bei den
Arabern wichtige Bestandteile bei der Beizjagd. Kaiser
Friedrich II. (1194–1250) liess im zeitweise muslimischen Sizilien arabische Falknereiliteratur übersetzen
und ein Buch «Von der Kunst, mit Vögeln zu jagen»
schreiben. Hier tauchen die Schellen offenbar erstmals als Bestandteil der Falknereiausrüstung auf. Anschliessend beschrieben auch andere europäische Autoren ihre Verwendung.
Schellen als Spielkartenfarbe – in der Schweiz noch
heute üblich
Spielkarten gelangten erst ab 1370 aus dem Orient
nach Italien. Von dort verbreiteten sie sich sehr
schnell über Mitteleuropa. Bereits im 15. Jahrhundert
bilden sich die heute noch gebrauchten Schweizer
Karten mit Eichel, Schellen, Schilten und Rosen heraus. Auf einzelnen Karten aus jener Zeit ist auf der
Schellen noch ein Narr dargestellt. Deshalb fand wohl
die Schelle als Sinnbild des Narren Verwendung als
Kartenfarbe.
Schellen als Kennzeichnung
von geistig Behinderten?
Im späten Mittelalter gab es Gesetze zur Kennzeichnung von bestimmten Bevölkerungsgruppen. Leprakranke mussten mit Klappern die Gesunden warnen.
Da Narren häufig auch eine geistige Behinderung hatten oder auch zuweilen einfach aufsässig waren,
dürfte ihr Schellengeklingel die übrigen Leute auf ihr
Nahen aufmerksam gemacht haben.
Narr mit Schellen. Bild aus dem Jahr 1497, gedruckt in Lübeck.
W. MEZGER, Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur, Konstanzer Bibliothek 15 (Konstanz
1991), Abb. 115.
Weiterführende Literatur
D. Hoffmann, Kultur- und Kunstgeschichte der
Spielkarte (Marburg 1995).
W. MEZGER , Narrenidee und Fastnachtsbrauch.
Studien zum Fortleben des Mittelalters in der
europäischen Festkultur, Konstanzer Bibliothek 15
(Konstanz 1991).
W. REDOLFI, Die mittelalterliche Jagd und ihre
Darstellung im Codex Manesse, Mittelalter
(Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins)
2002/3, S. 61–70.
A. TAMBOER , Ausgegrabene Klänge, Archäologische
Musikinstrumente aus allen Epochen (Oldenburg
1999).
Vergleichsobjekte
3 Backmodel
Ausleihe-Reglement
■ Die
Archäologie-Koffer Steinzeit, Metallzeiten
(Bronze- und Eisenzeit), Römische Epoche und
Mittelalter können jeweils für zwei Wochen (von
Mittwoch bis übernächsten Mittwoch) reserviert
werden über die Website:
www.archaeologiekoffer.ch.
■ Als Reservationsbestätigung wird ein Mail verschickt mit den detaillierten Angaben zu Abholund Rückgabemodalitäten. Dieses Mail ist gleichzeitig das Übernahmeprotokoll und muss darum
bei der Ausleihe mitgenommen werden.
■ Die Archäologie-Koffer müssen an folgenden Orten abgeholt oder zurückgebracht werden
Schweizerisches Landesmuseum
Museumstr. 2
8006 Zürich
Bitte vorgängig genauen Termin abmachen mit
Frau Myriam Kunz
Tel. 044 218 65 04
[email protected]
Zufahrt mit dem Auto bis auf den Vorhof erlaubt.
Kantonsarchäologie Zürich
Aussenstelle Oberwinterthur
Römerstr. 237
8404 Winterthur
Ansprechperson:
Herr Andrea Tiziani
Tel. 052 242 78 71
[email protected]
Genügend Parkmöglichkeiten vorhanden.
■ Die Ausleihe erfolgt immer ab Stationierungsort
der Archäologie-Koffer und zwar an eine einzige
verantwortliche Lehrkraft.
■ Für Ab- und Rücktransport hat die leihende Lehr-
■
■
■
■
■
■
kraft zu sorgen. Die Archäologie-Koffer (Masse
93✕53✕34 cm, Gewicht 29–32 kg) sind einseitig
mit Rollen versehen und müssen mit einem PW
abgeholt und zurückgebracht werden.
Für Ab- und Rücktransport ist jeweils der Mittwochnachmittag
vorgesehen.
Rücktransport
14.00–15.30 Uhr, Abtransport 15.30–17.00 Uhr.
Beim Stationierungsort Landesmuseum Zürich ist
vorgängig eine genaue Uhrzeit abzumachen.
Wollen mehrere Lehrkräfte in der gleichen Gemeinde oder im gleichen Schulhaus den Koffer
benützen, so muss dies auf dem Übernahmeprotokoll vermerkt werden.
Es wird erwartet, dass die Archäologie-Koffer mit
der erforderlichen Sorgfalt transportiert und im
Unterricht gehandhabt werden.
Es wird auch erwartet, dass die Objekte und das
didaktische Material an den richtigen Ort zurückgeräumt werden.
Entstehen beim Gebrauch der Archäologie-Koffer
an den Objekten, am didaktischen Material oder
an den Koffern selber Schäden, so sind diese
nicht zu reparieren sondern am Ort der Ausleihe
und der Schulpflege oder der Schulleitung zu
melden. Im Weiteren gilt das Gesetz über die Haftung des Staates und der Gemeinden sowie ihrer
Behörden und Beamten (Kantonales Haftungsgesetz).
Lehrkräfte, welche sich nicht an das Ausleihereglement halten oder den Archäologie-Koffern
nicht die erforderliche Sorgfalt angedeihen lassen, können von der weiteren Ausleihe ausgeschlossen werden.