Reise nach afghanistan

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Reise nach afghanistan
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Drei leitende
­evangelische Geistliche haben sich
auf den Weg nach
Afghanistan gemacht, um die Soldaten und die­
­M itarbeiter von zivilen Hilfsorganisationen zu besuchen.
Dorothea Siegle
ist mitgeflogen.
Und hat Tagebuch
geschrieben
28 . js magazin 03/2011
Dienstag, 1. Februar, 9.30
Uhr, Köln-Wahn
Mittwoch, 2. Februar, 8.30
Uhr, Termez, Usbekistan
Den Weg in den Krieg ziert eine Palme.
Klein und sommerlich steht sie in der
Abflughalle in Köln-Wahn. Weißer,
glänzender Steinfußboden, graue Gitterstühle – alles wirkt wie in einem normalen, modernen Flughafenterminal
auf dem Weg in den Urlaub. Doch die
Passagiere hier tragen Uniform, manche den grünen Feldanzug, die meisten
den hellen Wüstenflecktarn. Und es
gibt im militärischen Teil des Flughafens Köln/Bonn zurzeit nur zwei Ziele,
die zum Check-In ausgerufen werden:
Decimomannu auf Sardinien – dort
sitzt ein Taktisches Ausbildungskommando der deutschen Luftwaffe. Und
Termez in Usbekistan. Da wollen wir
hin.
Der Vorsitzende der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus
Schneider, möchte zusammen mit dem
Evangelischen Militärbischof Martin
Dutzmann und dem Friedensbeauftragten der EKD, Renke Brahms, die Soldaten und die zivilen Hilfsorganisationen in Afghanistan besuchen. Zunächst geht es mit dem Airbus nach
Termez in Usbekistan, von dort aus am
folgenden Morgen weiter mit der
Transall nach Mazar-e Sharif im Norden von Afghanistan. Eine fünftägige
Reise für uns. Wie mag es den mitreisenden Soldaten gehen, die sich gerade
für vier Monaten und länger von ihren
Liebsten verabschiedet haben?
Mit dem Kopf sind wir schon in Afghanistan, tatsächlich aber noch in Usbekistan. Auf dem Lufttransport-Stützpunkt warten wir auf den Abflug der
Transall. Ausgerechnet hier, in dieser
Zwischenwelt zwischen Heimat und
Krieg, ergibt sich ein Gespräch mit Soldaten über Sinn und Zweifel und das
Soldat­sein. Ein Hauptfeldwebel erzählt
den drei evangelischen Geistlichen von
seiner Haltung zum Beruf: Dass er weiß,
dass Gott nicht will, dass man Krieg
führt. Und dass er trotzdem keine Lösung hat, wie es anders laufen kann.
Dass er gerne Soldat ist und mit dieser
Verantwortung vor Gott lebt.
Mittwoch, 2. Februar, 14.30
Uhr, Camp Marmal, Mazar-e
Sharif, Afghanistan
Ein Treffen mit Sanitätern vor dem
Feldlazarett im Camp Marmal. Wir sind
nun in einer sandfarbenen Welt: Die
Container und Gebäude des riesigen
Lagers Camp Marmal sind sandfarben,
die Wölfe, die hier drin herumfahren,
die Uniformen der Soldaten, das Marmal-Gebirge am Horizont. Ein Notarzt
und eine Rettungsassistentin zeigen
uns ihre Ausrüstung, mit der sie als Beweglicher Arzttrupp (BAT) die Soldaten
in Gefechten erstversorgen. Sie berichten, dass sie das Rote Kreuz an ihren
Einsatzfahrzeugen übermalen mussten, immer wieder hatten Taliban ge-
FotoS: reuters,fabrizio Bensch/bundeswehr, PIZ Mes toneatto/Siegle
Reise nach Afghani­stan
nau danach Ausschau
gehalten und die Sanitäter angegriffen. Auf
ihrem Transportpanzer
Fuchs ist nun ein Maschinengewehr installiert – im
Notfall müssen die Sanis
damit schießen. Gleich am
ersten Tag hier in Afghanistan
wird klar: Der Einsatz hat eine
neue Dimension erreicht.
Einen Wunsch tragen mehrere Soldaten an den Evangelischen Militärbischof Martin Dutzmann heran: Im OP North, einem
Außenposten in der Provinz
Baghlan, sind 600 Bundeswehrsoldaten des Ausbildungs- und Schutzbataillons stationiert. Sie stehen in Gefechten und wünschen sich einen eigenen Militärseelsorger für den Operation
Point. Einen, der ständig bei ihnen ist
– momentan fliegt der Militärpfarrer
aus dem Camp Marmal alle zwei Wochen für drei bis vier Tage zu ihnen.
Martin Dutzmann nimmt den Wunsch
mit nach Deutschland.
Mittwoch, 2. Februar, 20.30
Uhr, Haus Benedikt, Camp
Marmal
Am Abend ist Sturm. Er pfeift durch die
Wege des stockdunklen Camps und
zerrt am Zeltdach der kleinen Kapelle.
Drinnen ist Licht, Kerzen brennen am
Altar und in den Fenstern des siebeneckigen Gebäudes. Nikolaus Schneider,
Skeptischer
Blick: Die
Soldaten hoffen,
dass ihr Einsatz
nicht umsonst
ist
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Wir stehen vor dem
Ehrenhain für die
gefallenen Soldaten,
drehen uns um – und
sehen den Sonnenuntergang. Es wird dunkel im
Camp. Und wenn man
dann als Neuling seine
Taschenlampe vergessen hat, wird‘s eng.
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Reise nach Afghansistan Einsatz
­ nsere Schutzwesten und Helme un­
u
verrichteter Dinge wieder aus. „MaybeAirlines“, sagen die Soldaten und grinsen, die „Vielleicht-Fluggesellschaft“.
Aber gegen Wetter kann auch eine Armee nichts machen.
Donnerstag, 3. Februar,
zurück im Camp Marmal
„Ordentliche Pfarrerinnen und Pfarrer besuchen ihre Leute“,
sagt Nikolaus Schneider im Gottesdienst.
Danach gehen wir in
die Oase, an der Bar
reden wir noch stundenlang – über den
Krieg. Und über tausend andere Sachen.
Martin Dutzmann, Renke Brahms und
der Evangelische Militärpfarrer hier in
Mazar, Michael Rohde, feiern zusammen mit rund 60 Soldaten einen Gottesdienst. Nikolaus Schneider sagt in
seiner Predigt: „Ich habe von Ihnen gehört, was es für Sie bedeutet, dass die
politische Debatte im Bundestag über
den Einsatz genutzt wird, um andere
politische Spiele zu spielen. Und Sie sozusagen im parteipolitischen Streit instrumentalisiert werden. Dafür sind Sie
nicht hier. Dafür hält man seine Knochen nicht hin. Sie können sich darauf
verlassen: Dazu werden wir etwas sagen.“ Doch der Gottesdienst ist nicht
nur ernst – Militärpfarrer Rohde steht
mit der Gitarre in der Mitte des kleinen
Gebäudes und rockt das Haus, „Laudato si“ im Kanon, alle singen mit. Eine
Soldatin kommt später zu mir und sagt:
„Hätten Sie nicht gedacht, dass wir hier
so fröhlich das Leben feiern, was?“
Danach, gegenüber in der Betreuungseinrichtung Oase an der Bar noch
lange Gespräche mit Soldaten. Der kleine Raum summt vor Stimmen und Lachen. Ein Soldat erzählt mir von dem
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Gefühl, hier im riesigen Camp Marmal
mit 2500 deutschen Soldaten wie in einer Kleinstadt zu leben – einer deutschen Kleinstadt in der afghanischen
Wüste. Viele der Soldaten verlassen das
Camp nie, haben so gut wie keinen
Kontakt zu den Menschen, wegen denen sie eigentlich hier sind.
Aber man hört nicht nur Kritisches,
sondern auch aufkeimende Hoffnung
unter den Soldaten: Die neue Strategie
der Bundeswehr, bringt sie vielleicht
doch noch die Wende in Afghanistan?
Seit 2010 soll die Bundeswehr gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften Aufständische aus einem Distrikt
wie beispielsweise Baghlan verdrängen,
dann zügig zivile Projekte anschieben
und am Ende den befriedeten Distrikt
an die Afghanen übergeben. Momentan ist die Lage ruhiger, so hören wir.
Aber ich habe vor meinem Abflug auch
gelesen, Spezialkräfte der ISAF-Nationen hätten in einer 90-Tage-Periode bis
Anfang Dezember 2469 Aufständische
verhaftet und 952 getötet! Ist das dann
der eigentliche Einsatz, von dem wir
nichts wissen?
Donnerstag, 3. Februar, 12
Uhr, in der Transall über
Kunduz
Die Transall ist voll, laut und kalt, und
nach mehrmals verschobenem Abflug
am Vormittag kreisen wir nun endlich
über Kunduz. Was alle Soldaten kennen, haben auch wir erlebt: Nichts ist so
beständig wie die Veränderung. Ein Teil
unserer kleinen Delegation will – anders als geplant – heute schon zu dem
südlich gelegeneren PRT Kunduz fliegen. Eigentlich war der Flug für uns alle
erst für morgen, Freitag, angesetzt. Aber
die Wettervorhersage für Freitag ist so
miserabel, dass die Gefahr besteht, dass
wir an diesem Tag nicht werden fliegen
können. Also probieren es der Evangelische Militärbischof, sein Referent und
ich lieber heute schon, dann ist zumindest ein Teil der Delegation zu den vereinbarten Terminen im PRT. Doch die
Hoffnung trügt. Wir kreisen und kreisen… und kehren schließlich um, keine
Sicht, um zu landen. Am nächsten Morgen wird der Black Hawk-Hubschrauber, der uns nach Kunduz bringen soll,
gar nicht erst abheben – wir ziehen
Nach dem vergeblichen Kunduz-Flug
eine der seltenen kurzen Atempausen
dieser Reise. Bei den zufälligen Gesprächen, die sich beim Kaffee oder einer Zigarette ergeben, kommt man
schneller auf die Frage nach dem Tod
als Zuhause. Ein Hauptfeldwebel erzählt, dass sein Bruder vor ein paar Jahren ganz plötzlich an Herzversagen gestorben ist. Und wie sehr seine Mutter
nun um ihn, den verbliebenen Sohn,
bangt und unter seinem Einsatz leidet.
Ein anderer Soldat berichtet, wie er vor
dem Abflug noch einen Abschiedsbrief
an seine Frau geschrieben hat, den sie
bekommen soll, falls er stirbt. Und wie
hart es war, den zu schreiben.
Der EKD-Ratsvorsitzende Schneider
und der Friedensbeauftragte Brahms
kehren zurück ins Lager. Sie haben zivile Hilfsorganisationen in der Innenstadt von Mazar besucht. Sie sind
­beeindruckt von der Arbeit, die die
staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen leisten. Die denken und planen langfristig und werden wohl auch
noch in Afghanistan sein, wenn der
Bundestag die Bundeswehr längst abgezogen hat. Renke Brahms wünscht sich,
dass die Politik diese Projekte mehr in
die öffentliche Aufmerksamkeit rückt.
Und er kritisiert: „Wir begleiten Soldatinnen und Soldaten mit der Seelsorge
in der Bundeswehr. Aber wo gibt es eigentlich eine Begleitung der zivilen
Helfer?“ Oder eine Diskussion über einen Gedenkort? 2010 wurden 28 Mit­
arbeiter von zivilen Organisationen
(„Nichtregierungsorganisationen“,
NGOs) getötet, 33 verletzt, die meisten
von ihnen Afghanen. Und die Toten der
Regierungsorgsanisationen (GOs) sind
da noch nicht mal mitgerechnet. Wer
hat in Deutschland je von diesen Opfern gehört?
Freitag, 4. Februar, 14 Uhr,
besuch aus dem op north
Und dann ist der Krieg im Camp ganz
nah, in Form von zwei geradlinigen
Männern: Ein Major und ein Oberfeldwebel vom Ausbildungs- und Schutz­
bataillon, das im OP North stationiert
ist, sind gerade im Lager und nehmen
sich Zeit für ein Gespräch. Sie schildern,
wie es sich anfühlt, wenn die erste Kugel in ein Patrouillenfahrzeug einschlägt. Wie man funktioniert und zu-
siegt Bayern München mit 3:2, Jubel
und Unglauben, die amerikanischen
Soldaten im Flieger verstehen die Aufregung nicht.
Nach all den Eindrücken türmen
sich in meinem Kopf die Fragen: Was
kann dieser Einsatz erreichen? Wenn
die Afghanen selbst sich gar nicht mit
einem Staat identifizieren, sondern mit
ihrer Familie, ihrem Clan, ihrer Ethnie?
Wenn wir Polizisten und Soldaten ausbilden, von denen wir nicht wissen
können, wem gegenüber sie loyal sind?
Wenn wir nicht wissen und es nie erfahren werden, welchen Anteil die Spe-
„Die neue offen­si- „Ich war vom Aufve Strategie der treten der Sol­da­ten
Bundeswehr beursehr angetan. Das
teile ich kritisch.“
sind echte Bürger
in Uniform.“
Renke Brahms,
­Friedensbeauftragter
der EKD
„Die Kritik am
Einsatz darf nicht
auf die übertragen
werden, die dort
Dienst tun.“
Nikolaus Schneider,
Militärbischof
ekd-ratsvorsitzender
Martin Dutzmann
rückschießt. Und wie es ist, wenn Kameraden verwundet werden. Später
frage ich Militärpfarrer Rohde: „Wenn
die Soldaten sagen, so ein Gefecht, das
kann nur verstehen, wer dabei war – was
ist es, das ich nicht verstehen kann?“
Und er sagt: „Ich glaube, es ist die Angst.
Man reagiert automatisch. Aber darunter liegt die Angst, die unbeschreiblich
ist.“
Samstag, 5. Februar, 14 Uhr,
Rückflug
Im Airbus, Rückflug in die heile Welt.
Über den Bordfunk werden die Bundesliga-Ergebnisse durchgesagt, Köln be-
zialkräfte an diesem Einsatz haben?
Und wenn eine Theorie besagt: Für einen gefangenen oder getöteten Aufständischen machen sich die ISAF-Nationen gleich mehrere neue Gegner
und helfen ihnen, neue Kämpfer zu rekrutieren?
Am Abend zuvor habe ich Nikolaus
Schneider gefragt, welchen Wunsch er
denn nun von dieser Reise mit nach
Deutschland nimmt. Und er hat gesagt:
„Ich wünsche mir, dass all der Einsatz
hier nicht umsonst war, dass die Afghanen nach 30 Jahren Krieg und Bür­
gerkrieg einmal in Frieden leben können.“
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