Ich träume von aus 1001 Nacht.

V4 REISE
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REISE V5
F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TAG S Z E I T U NG , 1 6 . JA N UA R 2 0 1 1 , N R . 2
Augen auf!
Wie war das noch mal mit der Blende,
und wofür ist dieses Knöpfchen da?
Auf einer Fotoreise lernt man seine
Spiegelreflexkamera verstehen
und hinterher hat man auch noch
richtig gute Urlaubsbilder.
Eine Bildersuche auf Lanzarote
Am ersten Tag auf Lanzarote nimmt der
Fotograf die Kameras weg und schickt
die Schüler los, Fotos machen.
Die Schüler, allesamt schon eine ganze
Weile volljährig, gehen ergeben hinaus.
Manche erinnern sich daran, dass sie damals, beim Schwimmunterricht in der
Grundschule, auch erst Trockenübungen
gemacht hatten, bevor sie ins Wasser
durften. Fotografische Trockenübungen
gehen so: Jeder bekommt einen Rahmen
aus Plexiglas, auf dem sechs Rechtecke,
zwei Diagonalen und ein Kreis in der
Mitte eingezeichnet sind. Den Rahmen
kann man im Hoch- oder Querformat
vor sich halten und überprüfen, ob der
Bildausschnitt etwas taugt. Gibt es einen
Goldenen Schnitt? Diagonalen? Vertikalen? Und wenn eine Horizontale dabei
ist, liegt sie, was sie eben nicht soll, genau in der Mitte? Wer glaubt, ein gutes
Bild gefunden zu haben, muss es zeichnen und zurückbringen.
Der Fotograf sitzt inzwischen hinter
einem Dutzend Fotoapparaten, trinkt
café con leche und beurteilt: „Nee“, sagt
er, „nee. Das rummst noch nicht.“ Dann
muss man noch mal mit dem Rahmen
raus. Erst wenn es rummst, bekommt
man seine Kamera wieder ausgehändigt.
Trockenübung bestanden. Rein ins Wasser. Raus, Fotos machen.
Aber nicht zu viele! Ein bis zwei gute
pro Tag reichen, sagt der Fotograf. Die
meisten ballern trotzdem erst mal los wie
mit der Schrotflinte. Irgendwas wird
schon dabei sein. Seit jeder eine Digitalkamera hat, ist es fast normal, mit 5000 Fotos aus dem Urlaub zu kommen. Natürlich möchte keiner ein Klischee sein wie
die japanischen Rudelknipser, die kollektiv einem Motiv die Aura wegfotografieren. Deswegen ist man ja auch zum Fotokurs gekommen, weil man es besser machen möchte. Und weil man endlich seine
Spiegelreflex kennenlernen möchte, dieses unbekannte Wesen. „Wir haben heutzutage alle einen technischen Overkill vor
uns“, sagt der Fotograf.
Wenn man aber Automatik einstellt,
verführt eine Digitalkamera zu unkontrolliertem Draufdrücken. Vor allem im
Urlaub. Wenn man Kinder einen typi-
schen Touristen zeichnen lässt, hat er neben kurzen Hosen, einem Sonnenhut
und roter Haut hundertprozentig auch
eine Kamera vor dem Bauch.
Wie man trotz Digitalkamera gute Urlaubsfotos macht – das bringt der Fotograf Jürgen Müller aus Hamburg seinen
Schülern bei. Auf der Kanareninsel Lanzarote führt er eine Woche lang von einem Motiv-Parcours zum nächsten. Er
hat hier schon oft fotografiert, er weiß,
bei welchem Licht man welchen Strand,
welchen Berg, welche Finca, welches Vulkangestein oder welchen Weinstock vor
den Sucher nehmen muss. Der Satz „es
gibt kein schlechtes Wetter – nur die falsche Kleidung“ lässt sich eins zu eins umwandeln in: „Es gibt kein schlechtes
Licht – nur das falsche Motiv.“ Wenn im
Himmel was los sein soll, muss es Wolken geben, für Porträts ist bedeckt ideal,
Kamele sehen morgens ganz anders aus
als abends, in der Mittagssonne wirft
kein Kaktus Schatten, und erst am Nachmittag färbt sich das Braun der Berge im
Nationalpark Timanfaya in ein leuchtendes Rot.
Die Technik, sagt der Fotograf, stehe
vor allem Männern häufig im Weg.
Sehen lernen, das ist das Ziel seiner Kurse. Sehen, wie sich die Risse einer ausgetrockneten Pfütze zu einem Muster
fügen. Wie das helle Türkis einer Lagune sich vor braunem Vulkangestein abhebt. Wo man sich hinstellen muss, damit die weiß gekalkten Mauern eine
Diagonale ergeben. „Die Technik ist unser Sklave, nicht umgekehrt“, sagt der
Fotograf.
Erst mal ist es aber doch umgekehrt.
Denn all das, was sonst im Urlaub erlaubt ist – drauflosknipsen, Automatikmodus, den Sucher zugunsten des kleinen
Bildschirms ignorieren – ist verboten. Einer der Schüler, ein Rentner und Hobbyfotograf, erkennt messerscharf: „Wenn
die Kamera gut ist und die Bilder
schlecht, muss das wohl an mir liegen.“
Am Nachmittag wird die Beute begutachtet. Der Fotograf projiziert die Fotos
im Hotel an die Wand. Da hat doch tatsächlich wieder einer den Horizont genau in die Mitte genommen! Einer
Das Motiv: Strand an der Westküste Lanzarotes
Die Motivation: Robert Marx aus Hamburg gefiel, wie im Dämmerlicht die Farben verlorengingen und daher die Kontraste zwischen der langen weißen Welle und dem schwarzen
Sand heraustraten. Um die richtige Belichtung zu finden, machte er einige Probeschüsse –
ohne dabei nasse Füße zu bekommen.
Lehrerkommentar: Phantastische Landschaftsaufnahme mit reduzierter Farbgebung
Das Motiv: Strömung an der Caleta de Famara
Die Motivation: Tanja Marx wollte die Muster des schwarzen Sandes einfangen, der bizarr
um die Steine gespült wurde. Auf der Reise hat sie das erste Mal ohne Automatik fotografiert
– trotzdem gehörte sie zu jenen, die die beeindruckendsten Bilder mitbrachten.
Lehrerkommentar: Perfekt angewandter goldener Schnitt (die Aufteilung in 1/3 zu 2/3),
und die konisch zulaufenden Strömungslinien ziehen den Betrachter ins Bild.
Das Motiv: Ausgetrocknete Pfütze in Caleta de Famara
Die Motivation: Auf dieses Motiv kam Renate Petersen, weil der Fotograf Jürgen Müller sie
mit der Aufgabe losschickte, eine ausgefallene Struktur zu suchen. Beim Fotografieren hat sie
sich auf die Linien konzentriert. Ihr neuer Vorsatz: Erst gucken, dann den Ausschnitt mit
dem Auge festlegen, dann erst fotografieren.
Lehrerkommentar: Wunderbares Ergebnis. Gelungenes Foto, interessante Struktur
Das Motiv: Lavatrichter im Weinanbaugebiet La Geria
Die Motivation: Vor allem das seitliche Licht fand Gerdt Menne in der geometrischen,
bizarren Landschaft interessant. Menne fotografiert bereits seit einigen Jahren, auch in
seinem Beruf als Makler. Auf Lanzarote hat er das erste Mal das Automatik-Programm
ausgeschaltet und sich mit gezieltem Bildaufbau auseinandergesetzt.
Lehrerkommentar: Super gesehen, toller grafischer Bildaufbau
Das Motiv: Lastkamel in den Vulkanbergen des Timanfaya-Nationalparks
Die Motivation: Die Rückseite des Kamels hat Peter Weidner eher der Vollständigkeit
halber mit aufgenommen. Aber dann war der gesamte Kurs begeistert von der „anderen
Seite“ des Kamels, das im Dienste des Massentourismus sein Dasein fristet. Gelernt hat
Weidner dabei, dass der Satz „weniger ist mehr“ wirklich stimmt.
Lehrerkommentar: Sehr kreativ, Beispiel für die Kraft eines konsequenten Anschnitts
Das Motiv: Reste eines Vulkankegels im Weinbaugebiet von La Geria
Die Motivation: Das Bild machte Gelma Kurlbaum, als die Sonne schräg stand und sich der
vordere Vulkan rötlich färbte. Kurlbaum hatte bisher wenig fotografisches Wissen und hat eigentlich nur ihren Mann begleitet. Doch dann wurde sie vom Fotofieber angesteckt.
Lehrerkommentar: Guter Bildaufbau, spannender Kontrast zwischen rotem Bergzipfel vor
dunklem Umfeld, malerischer Himmel, schönes Licht
Das Motiv: Zebrastreifen am Ortseingang von Caleta de Famara
Die Motivation: Als Andreas Kirschenmann aus dem Bus stieg, fiel ihm sofort auf, dass die
blau-weißen Streifen wie eine surreale Landeplattform aussahen. Kirschenmann fotografiert schon eine Weile und hat das Bild für kräftige Kontraste minimal unterbelichtet.
Der Lehrerkommentar: Surrealistisch anmutendes Motiv, fast wie in einer verlassenen
Geisterstadt. Eindrucksvolle Leere, verstärkt durch die diagonal verlaufende Straße
Das Motiv: Stillleben an der Mole von Arietta
Die Motivation: Eigentlich fand Günter Kurlbaum das Motiv uninteressant, aber dann fiel
ihm auf, dass es von den Farben lebt. Die Unschärfe entstand, weil er mit einem
Telezoom fotografierte. Kurlbaum macht seit seinem 15. Lebensjahr Fotos, mit einigen
Unterbrechungen, weil er, wie er sagt, „zwischendurch mal gearbeitet hat“.
Lehrerkommentar: Sinn für Details! Super Bildaufbau mit diagonalem Farbverlauf
Das Motiv: Eisenkette in der Nähe der Lagune von El Golfo
Die Motivation: Die rostige Kette gefiel Werner Kamsker, weil sie auf den ersten Blick so
nutzlos aussah. Beim Fotografieren hat er auf die Tiefenschärfe und den Goldenen Schnitt geachtet. Fotografieren ist für ihn ein neues Hobby, seit seine Frau vor vier Jahren starb.
Lehrerkommentar: Wirklich gelungene Bildgestaltung. Die gegeneinanderlaufenden Diagonalen erzeugen einen spannenden Aufbau und unterstützen die harmonische Farbgebung.
Das Motiv: Tampen an der Nordküste kurz vor Orzola
Die Motivation: Dan Shomroni aus Israel gefiel der Kontrast des weißen, weichen Seils vor
der groben Windschutzmauer aus Vulkanstein. Beim Fotografieren hat er darauf geachtet,
eine möglichst lange Verschlusszeit zu wählen, ohne das Bild dabei zu verwackeln.
Lehrerkommentar: Sensibel entdecktes Kleinod, reduziert auf den wesentlichen Bildinhalt,
guter Bildaufbau
macht Bilder, die der Fotograf trocken
„Erinnerungsfotos“ nennt, und beim
nächsten ist im Himmel „nichts los“. Er
lobt aber auch viel. Vor allem die Frauen, die nur „mitgekommen“ sind und
sich anfangs bescheiden als „Knipser“
vorgestellt hatten – ihre Fotos rummsen
sogar öfter als die ihrer Männer. Die
Herren können dafür entschieden besser
über technische Feinheiten fachsimpeln.
Die größte Auszeichnung ist es, wenn
der Fotograf ein Foto so rumms findet,
dass er es für einen ausdruckt. Das ist
dann wie eine Eins plus, die man in den
Händen halten kann.
Hundeleinen, sondern Diagonalen, und
immerzu forscht man nach dem Goldenen Schnitt. Und man sehnt sich zurück
zu diesen anderen Irren, die mit suchendem Blick über die Insel gelaufen waren,
abrupt stehenblieben oder sich plötzlich
auf den Boden schmissen, prüfend ein
Auge zukniffen, Strandgut herumschleppten, die Gläser auf den Tischen verrückten und ihre Tapas erst aßen, wenn sie
schon kalt waren, weil sie vorher noch
von allen Seiten fotografiert werden mussten.
ANNE-DORE KROHN
Im Laufe der Woche ändert sich die
Haltung, innerlich und äußerlich. Man
macht sich jetzt auch die Hosen schmutzig, kniet sich hin, legt sich bäuchlings auf
den Mittelstreifen einer Straße. Betrachtet minutenlang einen Steinhaufen, ein
Palmblatt, eine Treppenkante. Stellt sich
breitbeinig an den Strand wie eine Giraffe
beim Trinken. Der Körper wird zum Stativ, das Auge zum Sucher, die Welt teilt
sich in Linien.
Es fühlt sich seltsam an, nach der Reise
keine Kamera mehr zu halten. Der Bildanalyse-Blick bleibt. Man sieht keine Passanten mehr, sondern Vertikalen, keine
Fotoreisen Der Fotograf Jürgen Müller aus Hamburg bietet 2011 in Zusammenarbeit mit Nikon und
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April) und Südafrika (1. bis 9. Oktober) an. Außerdem unterrichtet er Tagesseminare der Nikon
School (www.nikonschool.de, ab 200 Euro), zum
Beispiel zum Thema Porträt, Food oder Mode. Mehr
Informationen unter www.kreativessehen.de
Weitere Fotoreisen bei zahlreichen Veranstaltern
(zum Beispiel www.focus-tours.de, www.freiraumfotografie.de, www.fotocampus.de), bei Canon
(www.cdl-academy.de), Pentax (www.pentax.de)
oder der Leica Akademie (www.leica-camera.com)
Unterkunft Ein DZ im Hotel „Princesa Yaiza“
(www.princesayaiza.com) an der Südwestküste
Lanzarotes kostet ab 95 Euro pro Person. Schöne
Zimmer, Strand vor der Tür, sehr gutes Frühstücksbuffet, der Standard entspricht aber nicht deutschen Fünf-Sterne-Häusern.
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