Exkursion nach Barcelona - Architektenkammer Sachsen

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Exkursion nach Barcelona - Architektenkammer Sachsen
sachsen-anhalt
Exkursion nach Barcelona
Die diesjährige Exkursion der Architektenkammer führte
vom 29. September bis 3. Oktober nach Barcelona. Mit
1,6 Mio. Einwohnern ist sie zweitgrößte Stadt Spaniens.
Auf einem relativ kleinen Stadtgebiet (100,4 km²) ist die
Bevölkerungsdichte mit 15 722 Einwohner/km² sehr
hoch. Insgesamt leben in ihrem Einzugsgebiet rund drei
Millionen Menschen. Barcelona – eine Sonnenstadt am
Mittelmeer – die von Schrumpfung anscheinend schon
lange nichts gehört hat.
Obwohl Barcelona eine Küstenstadt ist, hatte sie
sich eher dem Landesinneren zugewandt. Entlang der
Küste waren praktisch nur Industrie, Arbeiterwohnungen
und Hafen angesiedelt.
Städtebauliche Entwicklungen sorgten für eine Verschiebung des Hafens und der damit verbundenen Industrie in den Süden der Stadt. Container, Öl und Gas werden jetzt außerhalb umgeschlagen. Die alten Lagerschuppen wurden abgerissen, die verrosteten Kräne demontiert. Auf ehemals halbverfallenen Molen laden heute
Bäume zum Flanieren ein, vorbei an Masten von unzähligen Yachten und Ausflugsschiffen, die anstelle von Frachtern den Hafen füllen. Die bislang unattraktive Küste
wurde mit einigen Tonnen Sand kurzer Hand zum sechs
Kilometer langen Strand umfunktioniert.
Seit mehr als einem Jahrhundert schafft sich die
Stadt Ereignisse, mit denen sie Wachstum und Entwicklung steuert und bleibende Potenziale für die Stadt erzeugt. Das 19. Jahrhundert brachte schnelle industrielle
Entwicklung, so dass das Ansteigen der Einwohnerzahl
dazu führte, 1859 die alten Umfassungsmauern niederzureißen und den Stadterweiterungsplan von Ildefons
Cerdà in die Tat umzusetzen. Die rasterförmige Erweiterung der Stadt in Richtung der Berge, sah quadratische
Blockstrukturen mit abgeschrägten Ecken, Magistralen
und der Avinguda Diagonal, die eine diagonale Verbindung von den Bergen bis zum Meer schafft, vor. Cerdàs
Idee einer großzügigen, lichtdurchlässigen, grünen Stadt
wird allerdings von Anfang an nicht konsequent umgesetzt, Bodenspekulation führte zu viel höheren Bebauungsdichten als vorgesehen, die grünen Innenhöfe blieben Visionen.
Ab 1860 waren der Baufreude des zu Geld gekommenen Bürgertums keine Grenzen mehr gesetzt. Lluís
Domènech i Montaner, Josep Puig i Cadafalch und Antoni
Gaudí hießen die Baumeister der Stunde, und der europäische Jugendstil entwickelte in Barcelona mit dem Modernisme eine eigene Variante. An zahlreichen Bauwerken lässt sich dieser Stil heute noch studieren. 1888 richtete Barcelona die Weltausstellung aus, wodurch Schaf-
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Pavillon von Mies van der Rohe
Foto: Nadine Nocken
fenskraft und internationale Bedeutung der Stadt Bestätigung fanden.
Das Großereignis wiederholte sich 1929. Der deutsche Pavillon von Mies van der Rohe bildete den Schauplatz der offiziellen Eröffnung der Weltausstellung.
Durch die lichte, großzügige Eleganz schuf Rohe weit
mehr als einen Repräsentationsbau. Durch den Wiederaufbau des Barcelona-Pavillons sind die unterschiedlichen Entwicklungen der Architektursprachen in der Zeit
nachzuvollziehen. Während in Barcelona der Modernismus noch nicht abgeschlossen ist, ist die klassische Moderne in anderen europäischen Ländern bereits auf ihrem Höhepunkt.
Vis-à-vis des Pavillons steht das Kultur- und Ausstellungszentrum Caixa Forum, das aus der Zeit Barcelonas als führende Industriestadt stammt. Die ehemalige
Textilfabrik mit Türmen und Zinnen an der Fassade verleiht den Charakter einer mittelalterlichen Festung. Die
originalgetreuen Restaurierungen, sorgfältige Umbauten,
Erweiterungen in moderner Architektursprache von
1994−2001 u. a. von Roberto Luna und Arata Isozaki
wandeln das Gebäude in ein ausgezeichnetes Werk für
Bauen im Bestand.
Den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen
Sommerspiele 1992 bekam Barcelona 1986, fortan wurde
ein großer Bauboom ausgelöst und zahlreiche Veränderungen vorgenommen. Die Ramblas, die vielleicht berühmteste Flaniermeile der Welt, wird über einen Steg
ins Meer verlängert (Rambla del Mar) und der alte Hafen
wurde zum Yachthafen. Der Hügel Montjuïc gilt mit all
seinen Anlagen wohl als das Herz von Olympia. Das
olympische Dorf wurde entlang der Küste der Stadt gebaut. Berühmtestes Beispiel der Stadtentwicklung ist die
so genannte Öffnung Barcelonas zum Meer.
Im Osten Barcelonas versperrte bis vor kurzem
noch ein Industrieareal den Zugang zum Meer. Im Zusammenhang mit dem Kongress der UNESCO „Forum
Universal de les Cultures“ gelang mit einem Großprojekt
der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und
Tourismusstadt. Zwei planerische Ziele wurden verfolgt:
das letzte Stück industriell genutzten Ufers als Erholungsraum für die Stadt zurückzugewinnen und eines
von drei Attraktivitätszentren im nordöstlichen Teil der
Stadt zu schaffen. Investitionen in Immobilien, AnsiedeDeutsches Architektenblatt
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sachsen-anhalt
Innenräume des Kongresszentrums auf dem Gelände Forum
2004. Foto: Fabian Schulz
lung von Hightech Unternehmen zur Verbesserung der
ökonomischen Basis des Viertels.
Das Forum 2004 liegt am nordöstlichen Rand eines neuen Entwicklungsgebietes, das als 22@BCN bekannt wurde
und die Fläche von 120 Häuserblocks einnimmt. Es bildet den Endpunkt der verlängerten Hauptader Avinguda
Diagonal und besetzt die Schwerpunkte Büro, Kongress
und Tourismus. Besichtigungen im großen Kongresszentrum und im entworfenen Forum Gebäude von Herzog &
de Meuron gaben die Möglichkeit die Ausmaße zu fassen. Die Entwicklung des für unsere Verhältnisse überdimensionierten Forums wird in den kommenden Jahren
zeigen, ob sich Barcelona als eine internationale Kongressstadt etablieren kann.
Mitten in diesem großen Entwicklungsgebiet
22@BCN steht der Torre Agbar von Jean Nouvel, der als
Landmarke das Projekt im öffentlichen Bewusstsein verankern soll. Architekt Fermín Vásquez von dem betreuenden Büro b720 aus Barcelona erläuterte Nouvels Intentionen, „das Gebäude als Symbol einer globalisierten Metropole zu bauen“. Weitere Projekte dieser Art sind im
Bau. Hotels mit spektakulärem Design der Größen der
Architekturszene werden die noch vereinzelt stehenden
kleinen Häuser verdrängen.
Dominique Perraults Hotel kann man schon in seiner späteren Kontur erahnen. Im bereits vor zwei Jahren
eröffneten Hotel Silken Diagonal zeigte das Büro Juli
Hotel Silken Diagonal
Foto: Petra Heise
Deutsches Architektenblatt
12 2006
Blick vom Hügel Montjuïc auf die Stadt
Foto: Petra Heise
Capella Räume, die gekonnt durch innenarchitektonische
Highlights mit ausgefallenen Materialien in Szene gesetzt wurden. Südwestlich des Stadtzentrums wird David
Chipperfield in Kooperation mit dem spanischen Büro
b720 eine gigantische Justizstadt wachsen lassen. Einen
kleinen Einblick in die Großprojekte gab die Präsentation
des Büros b720 beim Besuch in ihren Arbeitsräumen.
Neben den städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen
werden auch umfangreiche Verkehrsprojekte wie beispielsweise der Ausbau des Flughafens, Brücken und
Straßen entwickelt.
Da eine weitere Expansion der Stadt vorerst nicht
vorgesehen ist, hat man eine Reihe von Masterplänen für
bestimmte Viertel entwickelt, bei denen die Architektur
keine Nebenrolle spielen, sondern vielmehr den Weg
weisen soll.
Ein Beispiel ist das Altstadtviertel Raval, das als
heruntergekommene und gefährliche Gegend galt. 1985
wurde der Masterplan für die Sanierung des Gebietes
genehmigt. Touristenattraktion für ein vergessenes Quartier ist das Museum für zeitgenössische Kunst von Richard
Meier geworden, das gegenüber den umliegenden Häusern wie ein gelandetes UFO wirkt. Weitere Veränderungen der Strukturen und Aufwertungen sind geplant, beispielsweise der Bau eines 5-Sterne Hotels.
Besonders erwähnenswert unter den vielen neu
gebauten Gebäuden ist der Standort der juristischen Fakultät der Universität Pompeu Fabra. Ein 30.000 Quadratmeter umfassender Umbau einer ehemaligen Kaserne
in unmittelbarer Nähe zum olympischen Dorf. Ebenso
die angrenzende Bibliothek im einstigen Wasserspeicher.
Ziegelsteingewölbe schaffen einen hervorragenden
Raumeindruck mit sakraler Atmosphäre.
Mit spannenden Besuchen und interessanten Führungen, durch Katharina Gebhardt ausgewählt und vorbereitet, versuchten wir in fünf Tagen eine pulsierende
Stadt zu erspüren.
Mit Anregungen und Ideen, hoffentlich auch für
die eigene Arbeit zurückgekehrt, bleibt es spannend, die
Entwicklung der katalanischen Metropole weiterzuverfolgen.
Nadine Nocken
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