Struktur der europäischen Hypothekenmärkte

Transcrição

Struktur der europäischen Hypothekenmärkte
Allianz Dresdner Economic Research
Working Paper
No.: 97, 22.01.2008
Autoren: Andreas Hess, Dr. Arne Holzhausen
_________________________________________________________________
Struktur der europäischen Hypothekenmärkte
Einleitung
Europas Hypothekenmärkte werden 2008 aus zwei Gründen stark im Fokus bleiben. Einerseits
bewegt die Frage, inwieweit dass US-Subprime-Debakel in Europa eine Fortsetzung finden könnte.
Nach den stürmischen, fundamental kaum zu erklärenden Entwicklungen in einigen Teilmärkten
wie Irland, Spanien oder Großbritannien erscheinen angesichts steigender Risikoprämien und
Zinsen deutliche Korrekturen unvermeidbar. Auf der anderen Seite ist mit der Veröffentlichung des
Weißbuchs über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte durch die EU-Kommission kurz vor
Weihnachten wieder Bewegung in die Debatte über eine angemessene Regulierung der EUHypothekenmärkte gekommen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen dabei die
Regelungen zur vorzeitigen Rückzahlung. Legislative Maßnahmen werden dabei als die
wirksamste Option angesehen, ihr tatsächlicher Einsatz aber von weiteren Folgenabschätzungen
abhängig gemacht. Die Drohung, der deutschen Praxis in diesem Bereich auf europäischem Wege
ein Ende zu bereiten, ist also nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, noch einmal genauer die Struktur des europäischen
Hypothekenmarkts zu untersuchen. Gerade der Blick auf die jüngsten Entwicklungen in den USA
macht deutlich, dass „innovative“ Hypothekenmärkte ihren Preis haben. Der Heterogenität des EUMarkts lassen sich unter dem Aspekt der Finanzstabilität durchaus auch positive Aspekte
abgewinnen. Eine weitere, forcierte Harmonisierung, jenseits der durch Wettbewerb und
Konsolidierung angestoßenen Marktprozesse, erscheint daher nur gerechtfertigt, wenn sie durch
die Einebnung großer Zinsunterschiede zwischen den Teilmärkten signifikante Vorteile für
Wohlstand und Wachstum in Europa verspräche.
1
Marktvolumen und -wachstum
Mit einem Gesamtvolumen an ausstehenden Krediten von 3.214 Mrd. EUR Ende 2006 ist der
Markt für Hypothekarkredite im Euroraum ein bedeutendes Segment im Retailbanking. Rund 70 %
der Kredite an private Haushalte entfallen auf Kredite für den Hauskauf. Seit Einführung des Euro
1999 ist der Markt mit durchschnittlich 10,1 % pro Jahr gewachsen und hat sich damit in den
letzten acht Jahren mehr als verdoppelt. Die Unternehmenskredite, die Ende 2006 ein Volumen
von 3.845 Mrd. EUR erreichten, legten im selben Zeitraum durchschnittlich nur um 6,9 % pro Jahr
zu. Verantwortlich für diese positive Entwicklung waren im Wesentlichen sinkende Kreditkosten
(aufgrund der Zinskonvergenz im Euroraum und des zunehmenden Wettbewerbs unter den europäischen Kreditgebern) und die außergewöhnlich hohe Dynamik der nationalen Immobilienmärkte. Seit Anfang 2006 hat sich das Wachstum aufgrund steigender Zinsen zwar etwas
verlangsamt, blieb mit 8,3 % im ersten Halbjahr 2007 aber auf einem weiterhin hohen Niveau.
Hypothekarkredite im Euroraum
– Kreditvolumen in Mrd. EUR –
3.500
3.000
Durchschnittl. Wachstum p.a.: 10,1 %
2.500
2.000
1.500
1.000
500
0
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
Quellen: EZB, eigene Berechnungen.
Deutschland ist mit einem Kreditvolumen von 976 Mrd. EUR (Ende 2006) der zweitgrößte Markt in
der Eurozone. Im EU-Vergleich weist lediglich das Vereinigte Königreich mit ausstehenden
Krediten in Höhe von 1.146 Mrd. EUR einen höheren Bestand auf.
2
Europas Hypothekarkreditmarkt nach Ländern*
– Gesamtvolumen: 4.600 Mrd. EUR (Ende 2006) –
Sonstige
11%
DE
21%
DK
5%
FR
12%
UK
26%
IT
NL 5%
8%
ES
12%
* Euroländer, UK und Dänemark.
Quellen: EZB, eigene Berechnungen.
Hinsichtlich der Entwicklung in den letzten Jahren blieb der deutsche Hypothekenmarkt jedoch weit
hinter den anderen Euroländern zurück. Während Deutschland für den Zeitraum zwischen Anfang
2003 und Ende 2006 magere 5,9 % Wachstum aufweist, nahm der restliche Euroraum um 77 %
zu. Den stärksten Zuwachs verzeichneten dabei Irland (153 %), Griechenland (148 %) und Spanien (132 %).
Hypothekarkreditwachstum 2003 bis 2006
– Veränderung in % –
180
160
140
120
100
80
60
40
20
0
DE
UK
NL
PT Euro DK
FR
AT
BE
LU
FI
IT
ES
GR
IE
Quellen: EZB, eigene Berechnungen.
Am hohen Wachstum der europäischen Immobilienpreise in den letzten Jahren hat Deutschland
nicht partizipieren können. Die Preise für deutsche Wohnimmobilien stagnieren bereits seit Jahren.
Die relativ schlechte Performance des deutschen Hypothekenmarktes nach erfolgreicheren Jahren
in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begründet sich neben der bescheidenen
Wohnungsmarktdynamik vor allem auf der schwachen konjunkturellen Entwicklung. Im Jahr 2006
3
zeigte der deutsche Markt wieder eine etwas höhere Dynamik, welche sich jedoch vor allem durch
Effekte aus dem Wegfall der Eigenheimzulage und durch die antizipierte Mehrwertsteuererhöhung
erklären lässt.
Verschuldungsgrad
Beim Vergleich des Verschuldungsgrades einzelner europäischer Länder lassen sich sowohl hinsichtlich der absoluten Höhe als auch der Entwicklung in den letzten Jahren beträchtliche Unterschiede erkennen.
Verschuldungsgrad (Ende 2006)
– Hypothekarkredite in % des BIP –
100
80
60
40
20
0
IT
AT
GR
FR
FI
BE
LU Euro DE
ES
PT
UK
IE
NL
DK
GR
DK
ES
IE
Quellen: EZB, eigene Berechnungen.
Entwicklung Verschuldungsgrad (2003 - 2006)
– Veränderung in Prozentpunkten –
35
30
25
20
15
10
5
0
-5
DE
UK
IT
LU
AT
Euro
FR
BE
PT
FI
NL
Quellen: EZB, eigene Berechnungen.
4
Einen auffallend geringen Anteil am BIP weist die Hypothekenschuld in Italien auf. Mit Ausnahme
des deutschen Marktes hat der Verschuldungsgrad zwischen 2003 und 2006 in allen Staaten zugenommen. Neben den beachtlichen Entwicklungen in Spanien und Irland ist insbesondere die
starke Expansion des dänischen Marktes hervorzuheben. Mit einem Anteil von über 80% bereits
im Jahr 2003 weit über dem europäischen Durchschnitt, erreicht die Hypothekenschuld in Dänemark zum Jahresende 2006 ein Volumen in Höhe von fast 100 % des Bruttoinlandsprodukts.
Zwischen dem Hypothekarkreditvolumen und der Hausbesitzquote eines Landes ist keine positive
Korrelation festzustellen. Während Italien die niedrigste Hypothekenschuld relativ zum BIP verzeichnet, rangiert es beim Hausbesitz hinter Spanien auf Platz zwei in Europa. Auf der anderen
Seite besitzen in Dänemark nur gut die Hälfte der Haushalte ein Eigenheim. Lediglich Deutschland
weist mit 43 % eine geringere Quote auf.
Hausbesitzquoten in Europa
– in % –
Spanien
Italien
Irland
Portugal
Griechenlan
UK
Belgien
Luxemburg
Finnland
Österreich
Frankreich
Niederlande
Dänemark
Deutschland
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Quelle: Reuters.
Auch zwischen Wachstum und Entwicklungsstand der nationalen Teilmärkte (gemessen am Verschuldungsgrad) besteht offensichtlich kein Zusammenhang. Bei der Annahme eines „Nachholeffekts“ sollten diejenigen Länder, deren Hypothekenmärkte relativ zum BIP noch sehr klein sind, die
höchsten Wachstumsraten verzeichnen. Die Daten für den Zeitraum zwischen 2003 und 2006 bestätigen diese Erwartung jedoch nicht.
5
Entwicklung Verschuldungsgrad 2003 bis 2006
(Veränderung in Prozentpunkten)
Marktentwicklung (2003-2006)
35
30
IR
25
ES
DK
20
15
GR FI
BE
FR
LUX
IT AT
10
5
0
-5 0
5
NL
PT
UK
DE
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
Verschuldungsgrad (in % des BIPs, 2002)
Quelle: Europäische Kommission (2005a).
Produktverfügbarkeit
Ein weiterer zentraler Erklärungsfaktor für die nationalen Unterschiede sind neben der Immobilienmarktentwicklung Differenzen in der Produktverfügbarkeit. Die Marktdynamik ist um so höher,
je umfangreicher die angebotene Produktpalette ist und je mehr Kreditnehmertypen bedient werden.
Eine gesetzliche Beschränkung der Beleihungsquote (loan-to-value ratio, LTV) als Verhältnis zwischen Kreditbetrag und Wert des Sicherungsgegenstandes erschwert Verbrauchern mit niedrig
bewertetem Wohneigentum den Marktzugang. In einigen Ländern existieren trotz formal möglicher
höherer LTVs Mechanismen, die höhere Kreditbeträge verhindern. So dürfen beispielsweise in
Deutschland Hypothekenkredite nur zu maximal 60 % des Wertes der Sicherheit über Pfandbriefe
finanziert werden. In Europa liegt die typische Beleihungsquote im Durchschnitt bei 75 %.
Besonders niedrige LTVs sind mit durchschnittlich 55 % in Italien die Regel. Das geringe Verhältnis
begründet sich vor allem damit, dass in Italien die Verwertung des Grundstücks im Insolvenzfall ein
sehr langsamer und kostspieliger Prozess ist. Angesichts des schnelleren Wachstums des
italienischen Hypothekenmarktes im Vergleich zu den Immobilienpreisen ist jedoch ein Trend zu
höheren LTVs auszumachen. Hohe Beleihungsquoten von fast 100 % sind in den Niederlanden
üblich.
6
Beleihungsquoten (loan-to-value ratios)
Land
Durchschnitt (in %)
Maximum (in %)
Belgien
83
125
Dänemark
80
80
Deutschland
67
80
Spanien
80
100
Frankreich
67
100
Irland
66
95
Italien
55
80
Niederlande
95
125
Österreich
60
-
Portugal
83
90
Finnland
75
75
Vereinigtes Königreich
69
110
Quelle: Finpolconsult, Bank of Lithuania.
Große Unterschiede zeigen die nationalen Teilmärkte auch bei der Kreditvergabe an verschiedene
Schuldnergruppen. Für ältere Kreditnehmer, Selbständige und Immigranten ist der Kreditzugang
häufig eingeschränkt. Personen, die vorher insolvent waren oder eine schlechte Kredithistorie
aufweisen (credit impaired), haben in den meisten europäischen Ländern Schwierigkeiten, einen
Hypothekenkredit zu erhalten.
7
Produktverfügbarkeit für verschiedene Schuldnergruppen
Selbst-
Junge Haus-
Ältere Haus-
Niedriges
Selbst-
Staatlich
halte ( < 30)
halte ( > 50)
Vermögen
ständig
protegiert
DE
+
0
0
-
-
-
+
0
DK
+
+
-
-
0
0
+
0
ES
+
0
0
0
-
0
+
0
FR
0
0
+
-
-
0
0
+
IT
0
0
-
-
-
0
+
0
NL
0
+
0
0
-
0
0
0
PT
+
0
0
-
-
-
+
+
UK
+
+
+
0
0
+
+
0
Land
deklarierung des
Einkommens
Vorher
schlechte
insolvent Kredithistorie
+ : jederzeit verfügbar; 0 : begrenzt verfügbar; - : nicht verfügbar
Quelle: Finpolconsult.
Einen Subprime-Markt besitzt dagegen UK. Die in diesem Segment vergebenen Kredite legten im
Jahr 2006 laut Datamonitor um 28 % zu. Generell gilt der britische Markt als einer der wettbewerbsfähigsten und innovativsten Hypothekenmärkte. Dies offenbart sich u.a. durch den Marktzutritt neuer Anbieter, die Entwicklung von Nischenmärkten sowie einer flexibleren Produktgestaltung.
Ein besonders hohes Wachstum unter den Nischenprodukten verzeichneten in den letzten Jahren
die buy-to-let-Kredite zur Finanzierung von Hauskäufen zum Zweck der Fremdvermietung. Des
Weiteren spielen hypothekarisch gesicherte Verbraucherkredite (equity release) in UK eine bedeutende Rolle. Insbesondere ältere Menschen nutzen diese Option, bei der das mit dem Eigenheim
akkumulierte Vermögen als Differenz zwischen dem Wert des Hauses und der Hypothekenrestschuld in Einkommenszahlungen umgewandelt wird. Diese Form der Pensionsfinanzierung ist
auch in Dänemark, den Niederlanden und Irland weit verbreitet. In Deutschland sind equityrelease-Produkte, die oftmals mit der Rückzahlung einer bestehenden Hypothek verbunden sind,
aufgrund der relativ hohen Vorfälligkeitsentschädigung und der zuletzt schwachen Hausmarktdynamik weniger beliebt. In anderen Ländern verhindern neben regulatorischen Hindernissen teilweise auch erhebliche Transaktionskosten die Verwendung solcher Kredite.
In Bezug auf die Zinsdimension sind die europäischen Hypothekenmärkte ebenfalls nicht homogen. Produkte mit unterschiedlichen Zinsfestschreibungsdauern sind zwar in den meisten Ländern
verfügbar. In der Regel ist jedoch eine stärkere Präferenz entweder für fixe oder variable
Hypotheken zu beobachten (siehe Tabelle). Typische Festzinssysteme mit einer Zinsfixierung von
über fünf Jahren haben sich in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Belgien
und Österreich etabliert. In diesen Ländern stellen hypothekarisch besicherte Wertpapiere
(Pfandbriefe, covered bonds oder mortgage backed securities) die Hauptfinanzierungsquelle dar.
Hypothekenmärkte, deren Refinanzierung hauptsächlich auf kurzfristigen Verbindlichkeiten wie
8
Depositen basiert, sind entsprechend stärker durch variable Hypotheken mit kürzeren Zinsfixierungsperioden geprägt. Dies trifft vor allem für UK, Spanien, Irland, Portugal, Finnland, Griechenland und Luxemburg zu. In Italien sind hybride Instrumente mit einer Zinsfestschreibung von eins
bis fünf Jahren vorherrschend.
Festzins- vs. Gleitzinssysteme
Land
Zinsanpassung (Anteil am Neugeschäft in %) *
Belgien
F (75%), H (19%), V (6%)
Dänemark
F (75%), H (10%), V (15%)
Deutschland
Hauptsächlich F und H
Griechenland
F (5%), H (15%), V (80%)
Spanien
Frankreich
V (mehr als 75%)
F/H/S (86%), V (14%)
Irland
V (70%), sonst hauptsächlich H
Italien
F (28%)
Luxemburg
V (90%)
Niederlande
F (74%), H (19%), V (7%)
Österreich
F (75%), V (25%)
Portugal
Hauptsächlich V
Finnland
F (2%), V 97%), S (1%)
Vereinigtes Königreich
V (72%), H (28%)
* Fix (F): Zinsfestschreibung für mehr als fünf Jahre oder bis zum Ende der Laufzeit;
Hybride (H): Zinsfestschreibung für ein bis fünf Jahre;
Variabel (V): nach einem Jahr Zins neu verhandelbar oder an Marktsätze gekoppelt
oder Anpassung im Ermessen des Kreditgebers
Sonstige (S)
Quelle: EZB (2003)
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die nationalen Hypothekenmärkte im Hinblick auf die
Produktverfügbarkeit sehr heterogen sind. Diese Tatsache erklärt zu einem gewissen Teil auch die
unterschiedliche Größe der Marktvolumina. Länder mit höheren Beleihungsquoten weisen in der
Regel auch eine höhere Hypothekenschuld relativ zum BIP auf. Lediglich für Belgien, dessen
Hypothekenmarkt trotz hoher durchschnittlicher LTVs relativ klein ist, und Irland, das mit niedrigen
LTVs dennoch einen sehr entwickelten Markt besitzt, trifft diese Aussage nicht zu. Außerdem ist
die Hypothekenschuld in denjenigen Staaten größer, in denen die Kreditgeber nicht nur
Standardmärkte bedienen, sondern bereits Produktinnovationen wie equity-release-Kredite
offerieren und auch „zweitklassigen“ Kreditnehmern eine Hausfinanzierung ermöglichen. Tendenziell ist also eine positive Korrelation zwischen dem Produktangebot in der Kreditrisikodimension
9
und der Größe des Hypothekenmarktes zu identifizieren. Eine Präferenz für fixe oder variable
Hypotheken hat offensichtlich keinen Einfluss auf das Marktvolumen.
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Eng verknüpft mit der Produktverfügbarkeit ist das nationale institutionelle Umfeld, in dem sich die
Marktteilnehmer bewegen. Fiskalische und regulatorische Rahmenbedingungen, die größtenteils
auf nationaler Ebene bestimmt und implementiert werden, haben einen signifikanten Einfluss auf
die Höhe der Zinsen und damit auf die Höhe der Hypothekenschuld eines Landes.1 Da dem Hausbesitz ein besonderes öffentliches Interesse zukommt, haben gesetzliche Vorgaben im Markt für
Hypothekarkredite eine höhere Relevanz als bei anderen Bankprodukten.
Ungleiche Produktpaletten sind zu einem großen Teil durch Differenzen im Verbraucherschutz zu
erklären. So existiert in einigen Staaten im Rahmen von Wuchergesetzen eine Zinsobergrenze.
Ohne Zweifel ist eine solche Restriktion unter dem Protektionsaspekt sinnvoll. Gleichzeitig jedoch
hemmt sie die Kreditvergabe an Schuldner mit höherem Ausfallrisiko. In den drei relativ zum
Bruttoinlandsprodukt größten Hypothekenmärkten in Dänemark, den Niederlanden und Irland
existiert keine Beschränkung bezüglich der Höhe des Zinssatzes. Ein zentraler Diskussionspunkt
beim Thema Verbraucherschutz ist die Vorfälligkeitsentschädigung. Vereinbarungen über die
vorzeitige Rückzahlung spielen bei der Vertragsgestaltung eine wichtige Rolle. Denn die lange
Laufzeit von Hypothekenkrediten und eine Änderung des allgemeinen Zinsniveaus während dieser
Zeit könnte den Kreditnehmer dazu veranlassen, den Kredit vor Laufzeitende zurückzahlen zu
wollen. In den europäischen Teilmärkten sind die Regelungen über die vorzeitige Rückzahlung
sehr differenziert. Deutschen Kreditgebern ist es gestattet, eine vorzeitige Tilgung durch den Kreditnehmer für eine gewisse Anfangsperiode (bis zu 10 Jahren) vertraglich auszuschließen. Bei
festverzinslichen Hypotheken wird der Kreditgeber in den meisten Ländern in Höhe seiner Verluste
kompensiert. Obergrenzen für Vorfälligkeitsentschädigungen bestehen dabei allerdings in Belgien,
Frankreich und Italien, also tendenziell in Ländern mit einem relativ kleinen Hypothekenmarkt.
Banken sind selbstverständlich um so eher geneigt, (günstige) Kredite zu vergeben, je einfacher
und kostengünstiger sie die Sicherheit im Insolvenzfall verwerten können. In diesem Zusammenhang ist vor allem die stark variierende Dauer des Verpfändungsprozesses zu erwähnen. Während
der Kreditgeber in Finnland in der Regel bereits nach zwei bis drei Monaten Erlöse aus einem
gepfändeten Haus erzielt, kann sich das Verfahren in Italien bis zu sieben Jahren hinziehen.
1
Vgl. EZB (2006).
10
Einen gewissen Einfluss auf das Hypothekarkreditvolumen haben außerdem fiskalische Faktoren
wie die steuerliche Absetzbarkeit von Kreditzinsen oder direkte Subventionen. Besonders positiv
wirkt sich die staatliche Unterstützung in den Niederlanden aus, wo Hypothekenzinsen unbegrenzt
absetzbar sind.
Clusterbildung der nationalen Teilmärkte
Angesichts der verschiedenen Dimensionen, in denen sich Hypthekenmärkte unterscheiden, und
der damit einher gehenden zunehmenen Unübersichtlichkeit drängt sich die Frage auf, inwieweit
die europäischen Teilmärkte in Gruppen eingeteilt werden können.
Grob lassen sich auf Basis der beschriebenen Aspekte zwei Klassen unterscheiden. Auf der einen
Seite solche Länder, die einen „entwickelteren“ Hypothekenmarkt mit günstigen regulatorischen
Rahmenbedingungen besitzen. Dazu zählen insbesondere UK, Irland, die Niederlande und
Dänemark. Die zweite Gruppe umfasst Staaten, deren Hypothekenmärkte „weniger entwickelt“ sind
und durch ein wenig förderliches institutionelles Umfeld gekennzeichnet sind. Dies trifft tendenziell
für Italien, Frankreich, Griechenland, Belgien und Österreich zu. Eine klare Zuordnung einzelner
Staaten zu einer bestimmten Gruppe ist jedoch schwierig und sollte weitere den Hypothekenmarkt
beeinflussende Faktoren mit einschließen. Der deutsche Markt hat sich in den letzten vier Jahren
zwar unterdurchschnittlich entwickelt, befindet sich mit einem Verschuldungsgrad von 42 % (Ende
2006) aber im europäischen Durchschnitt. Wachstumshemmend wirken sich hier vor allem die
relativ niedrige Beleihungsquote und der Ausschluss riskanterer Kreditnehmer aus. Spanien ließe
sich angesichts des Fortschritts in den vergangenen Jahren im Grunde der ersten Gruppe
zuweisen. Gegen diese Zuordnung spricht jedoch weiterhin der vergleichsweise strenge
Verbraucherschutz.
Des Weiteren sollte die Klassifizierung auch zukünftige Trends berücksichtigen. Beispielsweise hat
der noch unterentwickelte Hypothekenmarkt in Italien in den letzten zehn Jahren eine bedeutende
Dynamik gezeigt. Dafür sorgten vor allem die Restrukturierung des italienischen Bankensystems,
Marktzutritte neuer Wettbewerber und das – nach den stagnierenden Jahren Mitte der
vergangenen neunziger Jahre – kräftigere Wachstum der Immobilienpreise. Die Tendenz zu
höheren Beleihungsquoten und die zunehmende Kreditvergabe im Subprime-Segment deuten auf
weiteres Wachstumspotenzial hin.
11
Regulatorische und fiskalische Rahmenbedingungen
VorfälligkeitsLand
Wuchergesetz
entschädigung
(für Festzinskredite)
Österreich
Statut
Belgien
Statut
Deutschland
Dänemark
Rechtsprechung
kein
Spanien
Statut
Finnland
kein
Kostendeckend
Begrenzt auf Zinszahlung
für 3 Monate
Kostendeckend
Bestimmt sich durch Marktpreise der Bonds
Begrenzt auf 2,5% des
Kreditbetrages (informell)
Kostendeckend
Gewöhnliche Dauer
Steuerliche
Subventionen
Absetzbarkeit
für Hypothekar-
von Kreditzinsen
kredite
6
gedeckelt
Nein
18
gedeckelt
Ja
3-6
Nein
Ja
der Sicherheitsverwertung
(in Monaten)
6
gedeckelt
(32%)
Ja
7-9
gedeckelt
Ja
2-3
gedeckelt
Nein
15-25
Nein
Ja
> 24
gedeckelt
Ja
11-14
gedeckelt
Nein
60-84
gedeckelt
Nein
Begrenzt auf das Minimum
Frankreich
Statut
aus Zinszahlung für 6 Monate
und 3% der Restschuld
Griechenland
n.a.
Irland
kein
Italien
Statut
i.d.R. 3 monatliche
Zinszahlungen
Kostendeckend
Begrenzt auf 5% des Kreditbetrages
Luxemburg
n.a.
n.a.
n.a.
gedeckelt
Ja
Niederlande
kein
Kostendeckend
6
100%
Ja
Portugal
kein
Unbegrenzt
18-30
gedeckelt
Nein
8-12
Nein
n.a.
Vereinigtes
Königreich
Rechtsprechung
Keine gesetzliche
Beschränkung
Quellen: EZB (2006), London Economics (2005), MercerOliverWyman (2003), International Union for
Housing Finance, European Mortgage Federation, Realkredit Danmark
12
Charakteristika der europäischen Hypothekenmärkte im Vergleich
Relative Marktgröße
Land
(in % des BIP,
Ende 2006)
Marktwachstum
Typische
Zinsbindungs- Produktverfüg- Verbraucher-
(2003-2006)
Beleihungsquote
kultur
barkeitsgrad
schutz*
Dauer der Sicherheitsverwertung
staatliche
Förderung**
AT
gering
durchschnittlich
gering
Fix
niedrig
mittel
schnell
gering
BE
gering
durchschnittlich
hoch
Fix
mittel
hoch
langsam
mittel
DE
durchschnittlich
unterdurchschnittlich
gering
Fix
mittel
mittel
schnell
mittel
DK
sehr hoch
durchschnittlich
mittel
Fix
mittel
niedrig
schnell
mittel
ES
hoch
überdurchschnittlich
mittel
Variabel
hoch
hoch
schnell
mittel
FI
gering
durchschnittlich
mittel
Variabel
hoch
niedrig
sehr schnell
gering
FR
gering
durchschnittlich
gering
Fix
niedrig
hoch
langsam
mittel
GR
gering
überdurchschnittlich
mittel
Variabel
niedrig
mittel
langsam
mittel
IE
hoch
überdurchschnittlich
gering
Variabel
hoch
niedrig
durchschnittlich
gering
IT
sehr gering
durchschnittlich
sehr gering
Hybride
mittel
hoch
sehr langsam
gering
LU
durchschnittlich
durchschnittlich
mittel
Variabel
mittel
n.a.
n.a.
mittel
NL
hoch
unterdurchschnittlich
sehr hoch
Fix
hoch
niedrig
schnell
sehr hoch
PT
hoch
unterdurchschnittlich
hoch
Variabel
mittel
niedrig
langsam
gering
UK
hoch
unterdurchschnittlich
mittel
Variabel
sehr hoch
mittel
durchschnittlich
gering
* Kriterien: Zinsobergrenze, Vorfälligkeitsentschädigung, ** Kriterien: Steuerliche Absetzbarkeit von Kreditzinsen, direkte Subventionen
Quelle: EZB, Finpolconsult, Bank of Lithuania, London Economics (2005), European Mortgage Federation, Low et al. (2003), International Union for
Housing Finance, Eigene Berechnungen
13
Zinskonvergenz
Die Heterogenität der europäischen Hypothekenmärkte steht außer Frage. Entscheidend für die
Frage der Effizienz der Märkte ist aber das Wirken des Wettbewerbs in Richtung Preiskonvergenz.
Denn Harmonisierung und Integration sind kein Selbstzweck, sondern sollen letztlich zu
niedrigeren Preisen und so zu mehr Wohlstand und Wachstum führen.
Zur Untersuchung der Streuung von Kreditzinsen muss der Zeitraum vor und nach Januar 2003
separat betrachtet werden, da erst seitdem harmonisierte Daten vorliegen. Bei Betrachtung der
Standardabweichung ist zu erkennen, wie sich im Zeitraum zwischen 1990 und 1999 ein starker
Konvergenzprozess der Hypothekarkreditzinsen vollzogen hat. In den Jahren von 1995 bis 1998
führten – in Erwartung der Europäischen Währungsunion – insbesondere so genannte „convergence trades“ zu einem Rückgang der Streuung. Trotz des weggefallenen Währungsrisikos ist
diese Entwicklung ab 1999 mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Dabei gilt es allerdings
zu berücksichtigen, dass die Unterschiede im Gegensatz zu den Zinsen für Konsumentenkredite
bereits niedrig sind.
Zinskonvergenz in der Eurozone (vor 2003)
– Querschnittsstandardabweichung der Kreditzinsen –
4,0
3,0
Konsumentenkredite
2,0
Hypothekarkredite
1,0
0,0
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002
Quelle: EZB.
Unter Verwendung der harmonisierten Daten nach 2003 ist zu erkennen, dass sich die Konvergenz
– gemessen am Variationskoeffizienten der Länderzinsen im Neugeschäft – in den letzten Jahren
unterschiedlich verlaufen ist: Der Variationskoeffizient für Kredite mit einer Zinsfestschreibung bis
zu einem Jahr ist kontinuierlich zurückgegangen. Bei Krediten mit einer längerfristigen
Zinsfixierung, insbesondere über mehr als zehn Jahre, sind die Zinsdifferenzen dagegen
tendenziell wieder größer geworden.
14
Zinskonvergenz bei Hypothekarkrediten in der Eurozone (nach
2003)
– Variationskoeffizienten der Länderzinsen
(nach Zinsfestschreibungsdauer) –
0,16
0,14
0,12
0,10
0,08
0,06
0,04
0,02
0,00
2003
2004
2005
bis zu einem Jahr
mehr als fünf und bis zu zehn Jahren
2006
2007
mehr als einem und bis zu fünf Jahren
mehr als 10 Jahre
Quelle: EZB.
Alles in allem bleibt als Fazit jedoch festzuhalten, dass im Bereich der Hypothekenkredite in den
vergangenen Jahren ein starker Konvergenzprozess stattgefunden hat. Die Zinsunterschiede
zwischen den einzelnen Ländern sind bereits niedrig, vor allem auch mit Blick auf andere Kredite
an private Haushalte.
Zinskonvergenz in der Eurozone (nach 2003)
- Variationskoeffizienten der Länderzinsen (nach Kreditarten) 0.20
0.18
0.16
0.14
0.12
0.10
0.08
0.06
0.04
0.02
0.00
2003
2004
Unternehmenskredite
Hypothekarkredite
2005
2006
2007
Konsumentenkredite
Sonstige Kredite
Quelle: EZB
Angesichts der großen Marktheterogenität und des damit einher gehenden nach wie vor relativ
geringen Volumens an grenzüberschreitendem Geschäft ist dieses positive Ergebnis umso
erfreulicher. Um das bisher Erreichte zu sichern und weitere Fortschritte zu erzielen –
insbesondere bei der direkten grenzüberschreitenden Kreditvergabe –, ist es erforderlich, den
15
Wettbewerb auch zwischen den strukturell unterschiedlichen Teilmärkten noch stärker zu fördern.
Ein diskriminierungsfreier Marktzugang für alle Anbieter ist dafür essenziell.
Das Ziel der Marktintegration würde so für die Anstrengungen stehen, die Vielfalt der europäischen
Hypothekenmärkte für alle Nachfrager und Anbieter nutzbar zu machen. Eine künstliche
Homogenisierung, die letztlich auch zu einer Nivelllierung des Produktangebots führen würde, gilt
es dagegen zu vermeiden. Eine größere Ähnlichkeit der Märkte und Produkte könnte zwar
langfristig der Endpunkt des fortschreitenden Integrationsprozesses sein, ist aber keineswegs sein
Ausgangspunkt. Über die sukzessive Angleichung von Märkten und Produkten kann letztlich nur
der freie Wettbewerb entscheiden. Dabei wäre – angesichts unterschiedlicher Traditionen und
Präferenzen – ein weiterhin hohes Maß an Heteregonität im europäischen Hypothekenmarkt weder
verwunderlich – noch schädlich: Berechnungen von Variationskoeffizienten für die einzelnen
Cluster änhlicher Märkte führen zu keinen signifikant niedrigeren Variationskoeffizienten.
Politisches Ziel sollte es also sein, durch den konsequenten Abbau von Marktzugangsbarrieren
den – vor allem auch grenzüberschreitenden – Wettbewerb im europäischen Hypothekenmarkt zu
stärken. Die EU-Kommission hat dazu in ihrem Weißbuch viele wichtige Themenfelder und
Aufgaben benannt:
Effiziente
Verfahren
für
Grundbucheintragung,
Zwangsversteigerungen
und
Immobilienbewertung
Zugang zu Kreditregistern
Vorvertragliche Informationen, einschließllich effektiver Jahreszins
Untersuchung der Praxis der Produktkopplung
Überprüfung des teilweise bestehenden Verbots, Hypothekarkredite aus anderen EUMitgliedsstaaten in die Deckungsstöcke für Schuldverschreibungen aufzunehmen.
Direkte Eingriffe in die Produktgestaltung erscheinen dagegen wenig zielführend. Die EUKommission sollte von entsprechenden Vorhaben endgültig Abschied nehmen.
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Nationale Zentralbanken und Hypothekenverbände
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