technik maschinen

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TECHNIK MASCHINEN
Robust
und filigran
GROSSTEILEBEARBEITUNG – Kinkele in Ochsenfurt ist ein Auftragsfertiger der
besonderen Art. Bei Werkstücken von etwa 200 Kilogramm bis zu 50 Tonnen ist
das Unternehmen stolz auf Fertigungsqualität, Termintreue und Mehrwert für die
Kunden. Produziert wird überwiegend auf Maschinen von Schiess, die als robust
und filigran geschätzt werden.
an muss es gesehen haben, um tatsächlich zu begreifen, was in diesem
Familienbetrieb alles entsteht und
mit welcher Akribie im unterfränkischen Ochsenfurt Großteile produziert werden. Hier
werden Werkstücke für vergleichsweise profane Anwendungen gefertigt wie etwa große Wendeln für
Misch- und Rührgeräte, die Baustoffe mischen, lange
Extruderwellen für die Kunststoffindustrie und Maschinenteile für die Kautschukgewinnung.
Raketenteile und hoch präzise Komponenten für
einen Teilchenbeschleuniger stehen am anderen Ende des imposanten Teilespektrums. Daneben sieht
man in der Produktionshalle das Entstehen von Unterbauten für einen Flugsimulator, der ein Cockpit
realistisch bewegen soll, und für ein Teleskop, das für
den Einsatz auf einem Gletscher in Grönland bestimmt ist. Nach hoher Präzision verlangen auch Produktionseinheiten für Solarzellen und diverse andere
Bauteile, die in ihrer Endbestimmung dichtes Vakuum gewährleisten sollen. Die runden Deckel für Castor-Behälter repräsentieren die Sparte Energietechnik, in der Kinkele auch mit der Fertigung von Teilen
für Bohrinseln oder Offshore-Anlagen vertreten ist.
Kurt Kinkele, der die Firma in der fünften Generation zusammen mit seiner Mutter leitet, weiß, dass es
nicht einfach ist, einem neuen Kunden die vielseitige
Leistungsfähigkeit seines Unternehmens zu vermitteln. »Es ist schwierig, das alles in ein Foto zu verpacken, in einem Prospekt zu zeigen oder in einem Besprechungszimmer zu erörtern«, berichtet er aus Erfahrung. Aber er hat eine elegante Lösung für dieses
Problem gefunden: Wann immer es möglich ist,
macht er mit Kunden und potenziellen Auftraggebern
einen Rundgang durch die Fertigung. Dass dies für
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die meisten Besucher ein Aha-Erlebnis ist, nimmt
man dem jungen Firmen-Chef gerne ab.
Das Unternehmen war 1885 als mechanische
Werkstatt gegründet worden, die Reparaturen ausführte. Die Fertigung von Teilen begann mit Dezimalwaagen, Tabernakeln für Kirchen und Kassaschränken. Lange noch war die Arbeit bei Kinkele vom landwirtschaftlichen Umfeld der Region geprägt. Die Reparatur von Landmaschinen bildete einen großen Teil
des Geschäfts. Nach und nach kam dann der Übergang zum Maschinen- und Apparatebau, für den sowohl repariert als auch gefertigt wurde. Für die Entwicklung des Unternehmens in seiner heutigen Form
stellte Friedrich A. Kinkele, der Vater des heutigen
Geschäftsführers, 1980 mit dem Umzug des Unternehmens ins geräumige Gewerbegebiet von Ochsenfurt-Hohestadt die Weichen. Dem über die Jahre gewachsenen Unternehmen stehen heute rund 35 000
Quadratmeter in mehreren Hallen zur Verfügung, in
denen nicht nur zerspant, sondern auch geschweißt,
lackiert und montiert wird. Kinkele fertigt und produziert heute für alle 42 im VDMA vertretenen Branchen und macht einen Jahresumsatz von etwa 57
Millionen Euro.
Sich als Auftragsfertiger so breit aufzustellen, war
ebenfalls der Grundgedanke des vor knapp zwei Jahren verstorbenen Friedrich A. Kinkele, dessen Leitsätze heute noch im Unternehmen allgegenwärtig sind.
»Mein Vater hat damals gesagt: Auf mehreren Beinen
zu stehen ist leichter als auf einem oder zwei, da fällt
man nicht so schnell um«, erinnert sich Kurt Kinkele.
Er hat bereits erfahren, wie sehr diese Strategie bis
heute ihre Berechtigung hat: Ȇber die konjunkturellen Zyklen ergeben sich viele Schwankungen, die sich
oft auch ausgleichen. Und deswegen konnten wir ➔
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1 Bei der Bearbeitung dieser Vakuumkammern spielt die
Horimaster von Schiess ihre Stärken aus. Die Teile werden im
vollen Umfang präzise im Gegen- und Gleichlauf gefräst.
2 Die hydrostatisch gelagerte Spindel der Horimaster überzeugt
mit hoher Antriebsleistung und hervorragender Dämpfung.
3 Die Gantry-Maschine DSA 2 von Schiess wird bei Kinkele
wegen ihrer Flexibilität geschätzt. Hier werden gleich drei völlig
unterschiedliche Werkstücke für die anstehende Bearbeitung
aufgespannt.
4 Mit der Schiess bestens vertraut: Maschinenbediener bei
Kinkele in Ochsenfurt.
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5 Die Schiess Vertimaster ist Kinkeles größte Karusselldrehmaschine.
6 Die 4,00 Meter große Planscheibe der Vertimaster erlaubt die
Bearbeitung von Teilen bis zu einer Größe von 5,20 Meter.
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auch die Beständigkeit in der Firma wahren.
Gerade in letzter Zeit merken wir sehr stark,
dass die Märkte nervös geworden sind. Wir haben da etwa sehr hohe Auftragseingänge in einem Monat, im nächsten dann nur noch die
Hälfte und dann geht es wieder hoch. Da ist
Planung sehr schwer, und da fällt es leichter, je
größer die Breite ist, auf die wir zielen.«
Vakuumtechnik, Forschung und Entwicklung, Medizintechnik sowie Offshore-Anlagen
haben sich bei aller Vielfalt als gewisse Schwerpunkte herauskristallisiert. Welche Branche
gerade boomt, kann Kinkele am Auftragseingang deutlich ablesen. »Momentan zieht auch
die chemische Industrie stark an«, berichtet
Robert Krämer, Technischer Leiter und Mitglied der Geschäftsleitung.
Im Gespräch mit den beiden Geschäftsführern fällt auf, wie gut sie mit den Bauteilen und
Produkten vertraut sind, die in ihrem Unternehmen entstehen. Bei einem Auftragsfertiger
ist dieses profunde Wissen um die beabsichtigte Einsatzweise der Erzeugnisse durchaus
nicht selbstverständlich. Doch das gehört mit
zum Konzept von Kinkele und wird hier als
Mehrwert verstanden. Kurt Kinkele schildert
das Vorgehen: »Das Know-how kommt grund-
sätzlich vom Kunden, und wir versuchen den
Kunden fertigungstechnisch zu unterstützen
und dann in den Fertigungsprozess möglichst
früh einzugreifen, um Ressourcen zu heben,
die da noch drin schlummern, um möglichst
günstig fertigen zu können. Das ist der Mehrwert, den wir den Kunden bieten wollen.«
All-inclusive-Paket
Laut Robert Krämer geht das bis hin zum Kinkele All-inclusive-Paket. Dazu gehöre, das gesamte Auftragsvolumen erfassen, verstehen
und hinterfragen zu können: »Wenn wir eine
Zeichnung bekommen, steht da vielleicht die
Hälfte dessen drin, was wir machen müssen.
Wir müssen dann verstehen, was der Konstrukteur will und dabei auch berücksichtigen, in
welche Branche der betreffende Auftrag geht.
Dem Kunden zeigen wir dann Fertigungsstrategien auf.«
Kurt Kinkele möchte nach Möglichkeit
Stammkunden gewinnen. »Unsere Stoßrichtung ist es, Projekte zu akquirieren, die wir
komplett abwickeln können«, erläutert er. »Der
Kunde gibt idealer Weise vorne in der AV die
Zeichnung ab und holt hinten in der Montage
die fertige Maschine ab.« Dazwischen liegen
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7 V. l.: Kurt Kinkele (Geschäftsführer), Robert Krämer (Technischer Leiter Kinkele), Kersten John (RegionalVertriebsleiter Schiess).
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Leistungen, wie sie wohl nur wenige Auftragsfertiger bieten können. Das umfasst das Vorhalten entsprechender Kapazitäten in der AV
und Konstruktion ebenso wie die abschließende Dokumentation, die in verschiedenen Bereichen wie etwa Kerntechnik, Medizin oder Energietechnik durchaus heikel sein kann.
Mitunter beginnen die Projekte mit einem
Kunden ganz klein. Gerne zitiert hier Kurt Kinkele einen Firmenleitspruch: »Wenn heute einer kommt und einen Kasten Bier von mir will,
dann biete ich ihm den an – denn er könnte
morgen wiederkommen und die Brauerei dazu
haben wollen.« Dem Vernehmen nach kommt
es tatsächlich gelegentlich vor, dass ein neuer
Kunde das Unternehmen Kinkele zunächst mit
einem kleineren Auftrag testet. Erst wenn der
Kunde Vertrauen geschöpft hat, folgen dann
die größeren Projekte.
Was die Produktionsmittel anbelangt, fährt
Kinkele seit Langem eine zum breiten Produktspektrum passende Strategie, die Robert
Krämer auf den Punkt bringt: »Um unsere
Leistungen anbieten zu können, brauchen wir
Universalmaschinen.« Keine Maschine im großen Maschinenpark ist nur für ein Produkt ausgelegt. Wie universell Kinkele die Maschinen
nutzt, zeigt ein Blick in die Fertigung, die von
Großmaschinen des Herstellers Schiess dominiert wird. Auf der großen Gantry-Maschine
DSA 2 wird derzeit der lange Verfahrweg des
Portals nicht dazu genutzt, besonders lange
Teile zu bearbeiten. Stattdessen sind hier auf
drei Paletten ganz unterschiedliche Werkstücke aufgespannt, die nacheinander bearbeitet
werden.
Für Kinkele ist diese robuste Maschine
schon die zweite ihrer Art. Die erste kam 1996
in die Fertigung und war zugleich die erste
Schiess für Kinkele. Das Gantry-Portal mit
dem fahrenden Werkzeug und dem stehenden
Werkstück war zur damaligen Zeit ein Novum.
Besonderheiten dieser Maschine sind ferner
ein relativ schmaler Ram mit ausreichend Antriebsleistung und mehreren kräftigen Fräsköpfen. Wo diese Maschine 18 Jahre lang in drei
Schichten ein Zugpferd in der Fertigung war,
klafft nun eine große Grube in der Halle: Die
DSA1 erfährt derzeit ein Retrofit. In Anbetracht
des guten Zustands der Maschine hat man einer Generalüberholung den Vorzug gegenüber
einer Neuanschaffung gegeben.
Retrofit lohnt sich
»Als wir die Maschine zerlegt haben, war ihre
Grundgeometrie noch bei 4/100 Millimetern,
wir haben also in 18 Jahren gerade mal 2/100
an Genauigkeit verloren«, berichtet Robert
Krämer. Es habe sich auch gezeigt, dass sämtliche hydrostatischen Führungen noch in tadellosem Zustand waren. »Für die Kosten des Retrofitings bekämen wir keine neue Maschine
mit dieser Genauigkeit«, so der Technische Leiter. Auch hier bestätigt sich offensichtlich die
Philosophie von Kinkele. »Schon mein Großvater hat gesagt, im Osten, da liegt die Wiege des
deutschen Maschinenbaus, die wissen was sie
tun«, so Kurt Kinkele.
Mit den Gantry-Maschinen wird der Flexibilität Vorrang gegenüber höchster Genauigkeit
gegeben, da es nie Ziel von Kinkele war aufs µ
genau zu fertigen, obwohl dies unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich ist. Um
das Maximum an Präzision herauszuholen, wird
in der Bearbeitung auch die Größe der Teile
und der Maschinen mit einbezogen. »Wir arbeiten temperaturführend«, erläutert Krämer. »Das
heißt wir berücksichtigen die Temperaturen der
Bohremulsion und Lufttemperatur in unterschiedlichen Höhen ebenso wie die des Bauteils. Bei unseren bis zu fünf Meter hohen Maschinen herrscht oben eine andere Temperatur
als am Boden. Ein Grad Unterschied würde in
Form und Lage 1/100 Millimeter ausmachen,
wenn man das nicht beachtet.« Als in Ochsenfurt Aluminiumteile für einen Teilchenbeschleuniger an der Forschungseinrichtung CERN entstanden, wurde der Genauigkeit wegen vorzugsweise nachts an diesem Projekt gearbeitet.
Neben den Gantry-Maschinen verfügt Kinkele noch über weitere große Maschinen von
Schiess. Ein Bearbeitungszentrum vom Typ
Horimaster 3 verfügt über zwei Tische mit
Werkzeugwechsler zwischen diesen Tischen.
Die Vertimaster VM 4ist eine Karusselldrehmaschine mit einer 4,00 Meter großen Planschleibe, welche das Bearbeiten von 5,20 Meter
großen Werkstücken erlaubt.
Voll hydrostatisch
Als »unser Schmuckstück und Sorgenkind zugleich« bezeichnet Kurt Kinkele die größte und
jüngste Maschine, die Horimaster 5 von
Schiess. Die Fahrständermaschine bietet einen Verfahrweg von 21,50 Meter sowie 5,00
Meter in der Höhe. Die Maschine ist mit ihrer
offenen Bauweise gut zugänglich, verfügt über
einen 60-Tonnen-Drehtisch und eine 130-kWSpindel. Um den Koloss unterbringen zu können, wurde eigens eine Halle freigeräumt.
Mit dieser Maschine haben sowohl Schiess
als auch Kinkele Neuland betreten. Im Bereich
des Bettes und des Drehtisches hat man noch
auf bewährte Technik gesetzt. Bei allem, was
den Ständer, die Werkzeugführung und den
Antrieb der Werkzeuge anbelangt, gingen die
Konstrukteure allerdings neue Wege und bauten die Horimaster als voll hydrostatische ➔
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8 Hochpräzise gefertigt, nachgemessen und das Ergebnis dokumentiert: Der XFEL-Undulator geht in die
Forschung. 9 Für die ›Pieter Schelte‹, das größte Arbeitsschiff der Welt, wird auf der DSA 1 eine Grundplatte
gefertigt, ... 10 ... auf der Kinkele ein ›Toplifting device‹ montiert, eine Hebeeinrichtung des Schiffs für Bohrinseln.
11 Deckel für Castor-Behälter zum Transport radioaktiver Abfälle entstehen bei Kinkele in einer kleinen Serie.
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Sondermaschine. Die ebenfalls hydrostatisch
gelagerte Spindel produziert bei Kinkele bisweilen fingerdicke Späne. Auch mit dieser Maschine können verschiedene Köpfe eingesetzt
werden. Sie sind in einem weiteren Speicherturm abgelegt, den die Maschine zum Wechseln vollautomatisch anfährt. Durch die hydrostatische Lagerung und die hohe Antriebsleistung kann das Bohrwerk auch mit motorangetriebenen Werkzeugen arbeiten.
Obwohl die Hydrostatik die Drehzahl in der
Praxis auf 2 200 Umdrehungen begrenzt – darüber würde zu viel Wärme im Öl erzeugt -, ist
Krämer voll des Lobes für die Maschine, die
eine für ein Bohrwerk ungeahnte Genauigkeit
erreiche. Auf der gesamten Verfahrlänge liege
die Form- und Lagegenauigkeit reproduzierbar
unter 2/100 Millimeter. »Schiess ist bekannt
für seine robusten Maschinen, die dennoch filigran sind – das ist ein guter Mix«, so der Technische Leiter.
Zum Sorgenkind war die Maschine denn
auch nicht wegen ihres Engineerings geworden, sondern wegen ihrer verzögerten Auslieferung. Sie war 2006 bestellt worden, als der
Maschinenbau brummte und die Kapazitäten
am Limit waren. Anstatt wie erwartet 2007,
ging die Maschine erst 2009 in Betrieb. Da
aber war bereits Krise und mangels Aufträgen
stand die Maschine still. Hintergrund waren interne Probleme des zur chinesischen Shenyang
Machine Tool Group (SYMG) gehörenden Unternehmens. »Schiess hatte zu der Zeit innerhalb von drei Jahren gleich vier Geschäftsführerwechsel«, räumt Kersten John ein, RegionalVertriebsleiter bei Schiess. Inzwischen sei es
dem Unternehmen gelungen, viele alte Mitarbeiter zurückzugewinnen, die aufgrund verfehlter Firmenpolitik gehen mussten. Dass nicht
die Ingenieure, sondern das Management an
der Verzögerung schuld war, sieht auch Kurt
Kinkele so: »Der Maschinenbau aus dem Hause Schiess ist erstklassig.«
Robert Krämer geht da noch ins Detail und
hebt die jetzt wiedererlangte hohe Fertigungstiefe bei Kernkompetenzen hervor: »Die
eigene Kopfherstellung sowie eigene Prüfstände für Getriebe und Antriebseinheiten bilden
auch für Serviceleistungen eine gute Basis.
Wenn so eine Maschine steht, zählt jede Minute.« Auch in puncto Service habe Schiess sich
in die richtige Richtung entwickelt, bescheinigt
Krämer, der die Jahre 2008/2009 als Ausnahmesituation abhakt. Schiess habe sich wieder
zu einem kompetenten Ansprechpartner entwickelt. Für alle Fälle hat Kinkele auch acht Mitarbeiter in der eigenen Instandhaltung, die von
Schiess geschult wurden. Die langlebigen Maschinen machen es ihnen leicht, über die Jahre
mit ihnen immer vertrauter zu werden.
www.schiess.de

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