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Timm Thaler oder
Das verkaufte Lachen
James Krüss
in einer Fassung von Grazyna Kania
8 +
B E G L E I T M AT E R I A L Z U M S T Ü C K
Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen
Es spielen:
Lutz Dechant
Herr beim Pferderennen, Jonny
Helmut Geffke Herr beim Pferderennen, Herr Rickert
Marie Gesien
Frau beim Pferderennen, Matrose, Zimmermädchen
Stefan Kowalski Dämon Behemot
Johannes Hendrik Langer Timm Thaler
Hagen Löwe Baron Lefuet
Denis Pöpping Dämon Astaroth
Anne Rathsfeld
Frau Thaler, Matrose*
Thomas Pasieka /
Andrej von SallwitzKreschimir
Elvira Schuster Frau Bebber, Frau beim Pferderennen, Matrose
Konstantin BezErwin, Matrose
Regie: Grazyna Kania Bühne: Moritz Müller Kostüme: Constanze Zimmermann Musik:
John und Tim Blue Video: red Pomme Dramaturgie: Kristina Stang Theaterpädagogik: IrinaSimona Barca / Frank Röpke Regieassistenz: Anne-Sophie Attinost Soufflage: Jutta Rutz
Inspizienz: Anita Stenzel Technischer Direktor: Eddi Damer Bühnenmeister: Ralf Hinz Licht:
Thomas Holznagel Ton: Jörg Wartenberg Maske: Karla Steudel Requisite: Jens Blau Ankleiderei: Ute Seyer Bühnenbildassistenz: Britta Bremer Regiehospitanz: Agnes Gerstenberg
/ Susann Ebert Herstellung der Dekoration unter der Leitung von Jörg Heinemann in den
Werkstätten der Stiftung Oper in Berlin – Bühnenservice / Herstellung der Kostüme durch die
Firma Gewänder / Maren Fink-Wegner
* In der Premierenbesetzung spielte Anja Pahl (Frau Thaler, Matrose).
Premiere: 26. April 2009
Bühne 1
ca. 120 Minuten mit Pause
Die Aufführungsrechte liegen beim Verlag für Kindertheater Uwe Weitendorf, Hamburg.
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Inhalt
Einleitung
4
Der Autor James Krüss
6
Timm Thaler: Vom Roman zur Bühnenfassung
7
Hintergrund und Entstehung des Romans
7
Lesarten und Motive
9
Die Theaterfassung
10
Die Themen
11
Der Teufel als Verführer
11
Das Lachen
14
Ökonomie – die Verstrickung von Geld und Macht
18
Anhang
20
Hinweise für den Theaterbesuch
22
Impressum
23
TIMM THALER: Inhaltsangabe des Romans
3
Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen
EINLEITUNG
Auch wenn seit seiner Entstehung rund 50 Jahre vergangen sind, ist James Krüss‘ Jugendroman TIMM THALER ODER DAS VERKAUFTE LACHEN heute noch beliebter Lesestoff. Die Geschichte vom Jungen, der den Verlockungen von Reichtum, Macht und Glanz nicht widerstehen kann und dafür sein wichtigstes Gut leichtsinnig hingibt, zieht Kinder und Erwachsene
immer noch in ihren Bann. TIMM THALER handelt von den Sehnsüchten der Menschen und
der Verführung durch das Böse. Auch wenn im wirklichen Leben die Moral immer weniger eindeutig bestimmbar sein wird – weil die wahren Werte nicht immer ganz so leicht zu erkennen
sind und das Böse deutlich vielgestaltiger auftritt –, berührt die Geschichte eine ganz grundsätzliche Frage: Was braucht der Mensch, um ein gutes Leben zu führen?
Unsere Inszenierung von TIMM THALER richtet sich an Schüler der 3. – 6. Klassen. Dieses Begleitmaterial liefert Ihnen Hintergründe zum Autor und zur Entstehung des Romans sowie zur
Bühnenfassung der Regisseurin Grazyna Kania. Darüber hinaus bietet es Ihnen Anregungen,
zu den angesprochenen Themen "Der Teufel als Verführer", "Das Lachen" und "Geld und
Macht" mit Kindern zu arbeiten.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Schülern ein unterhaltsames, lustvolles Theatererlebnis. Wir
freuen uns über Rückmeldungen zur Inszenierung oder zu diesem Begleitmaterial – dazu können Sie sich direkt mit uns in Verbindung setzen oder die Kommentarfunktion auf unserer
Homepage benutzen.
Kontakt Theaterpädagogik:
Irina-Simona Barca und Frank Röpke
[email protected]
030 – 55 77 52 -60
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Szenenfoto mit Martin Winkelmann, Anja Pahl und Johannes Hendrik Langer
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DER AUTOR JAMES KRÜSS
James Jakob Hinrich Krüss wird am 31. Mai 1926 auf der Nordseeinsel
Helgoland geboren, wo er auch seine Kindheit und die ersten Jugendjahre verbringt. Seine Herkunft ist prägend für Krüss' Biografie: Der "Insulaner"
bleibt dem Meer sein Leben lang eng verbunden. Auch seine Bücher und
Geschichten spielen meist auf Inseln oder an Meeresküsten. 1941 muss die
Familie Helgoland verlassen und wird nach Sachsen umgesiedelt. Krüss besucht eine Lehrerbildungsanstalt, wird im Spätsommer 1944 aber noch zur
Luftwaffe eingezogen. Nach Kriegsende nimmt er ein Lehramtsstudium in
Lüneburg auf, das er 1948 abschließt. Allerdings wird er nie in diesem Beruf
tätig, da er sich zu dieser Zeit bereits vollständig dem Schreiben widmet: Sein
erstes Buch mit Gedichten und Legenden für Erwachsene erscheint 1946,
1948 gründet er eine Zeitschrift für vertriebene Helgoländer.
1949 zieht James Krüss nach München, wo er den 27 Jahre älteren Erich
Kästner kennenlernt, der ihm Freund, Vorbild und Mentor wird. Krüss arbeitet
für Rundfunk und Zeitschriften, interessiert sich aber zunehmend, auch von
Kästner inspiriert, für das Schreiben für Kinder und Jugendliche. Sein erstes Bilderbuch HANSELMANN
REIST UM DIE WELT erscheint 1953. 1956 schafft es sein Erzählband DER LEUCHTTURM AUF DEN
HUMMERKLIPPEN auf die Auswahlliste des Deutschen Jugendbuchpreises, 1957 erscheint sein bis heute
bekanntestes Versbilderbuch HENRIETTE BIMMELBAHN. Krüss spezialisiert sich auf Sprachspielereien,
Versbücher und ABC-Gedichte für Kinder. Er will mit diesen Büchern dazu beitragen, die Sprachkompetenz
von Kindern spielerisch zu fördern und Lust am Lernen zu wecken.
Ein nächster großer Erfolg wird das Hörspiel DER SÄNGERKRIEG DER HEIDEHASEN (1958), auch in der
späteren Buchausgabe und in der Version der Augsburger Puppenkiste. Für die Geschichtensammlung
MEIN URGROSSVATER UND ICH (1959) erhält Krüss den Deutschen Jugendbuchpreis und wird endgültig
zu einem der bekanntesten deutschen Kinderbuchautoren.
Zu dieser Zeit beginnt Krüss auch mit der Arbeit an dem Jugendroman TIMM THALER, der 1962 erscheint.
Es folgen noch einige sehr erfolgreiche Kinderbücher, darunter ADLER UND TAUBE (1963, Auswahlliste
Deutscher Jugendbuchpreis) und 3 x 3 AN EINEM TAG (1963, Deutscher Jugendbuchpreis). Ebenfalls sehr
erfolgreich wird die Fernsehserie JAMES TIERLEBEN (1966).
Im selben Jahr zieht es Krüss wieder auf die Insel. Mit seinem spanischen Lebensgefährten bezieht er ein
Haus auf Gran Canaria. Er schreibt noch weitere Bücher und unternimmt viele Reisen, hat aber immer mehr
mit Herzproblemen zu kämpfen. Am 2. August 1997 stirbt der Geschichtenerzähler und Reimkünstler auf
Gran Canaria und wird in einer Seebestattung vor Helgoland beigesetzt.
James Krüss' Gesamtwerk umfasst 160 Bücher (teils unter den Pseudonymen Markus Polder und Felix
Ritter erschienen), die in viele Sprachen übersetzt wurden.
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TIMM THALER: VOM ROMAN ZUR BÜHNENFASSUNG
Hintergrund und Entstehung des Romans
"Wer für Kinder schreibt, der schreibt für das offenste, weiteste, neugierigste und
undoktrinärste Publikum der Welt. Aber er schreibt auch – und das ist ein ganz besonderer Reiz – für die Erwachsenen von morgen. Er kann Einfluss nehmen. Er soll
Künstler sein. Aber er darf auch Didaktiker sein."
James Krüss zitiert nach: Birgit Fleischmann: "Leidenschaftlicher Schreiber. Vor zehn Jahren starb
der Kinderbuchautor James Krüss". D-Radio Kalenderblatt vom 2. August 2007. Manuskript unter
www.dradio.de/dlf/sendungen/kalenderblatt/652357/.
James Krüss war ein Moralist. Mit seinen Büchern wollte er nicht nur unterhalten, sondern moralisch-aufklärerisch wirken und der Nachkriegsgeneration Werte vermitteln. Ganz nach dem Beispiel Erich Kästners,
dessen berühmte Helden Emil Tischbein, Martin Thaler, Anton Gast oder die "doppelten Lottchen" ihren
Lesern zum Vorbild geschrieben sind, versuchte auch er, das existierende Böse in der Welt anschaulich zu
machen und ihm einen klar positiv besetzten kindlichen Helden gegenüberzustellen. Ziel sollte es sein, den
Willen der Leser zu mobilisieren, sich für eine bessere Welt einzusetzen.
In diesen Kontext ist vor allem der Jugendroman TIMM THALER ODER DAS VERKAUFTE LACHEN (und
seine späten Fortsetzungen) einzuordnen, an dem Krüss seit 1958 arbeitete. Der Titel des Buches, das
schließlich 1962 in der fünften und letzten Fassung erschien, lautete ursprünglich DIE GESCHICHTE VOM
SCHWIERIGEN JUNGEN.
Die Idee dazu lieferte Adalbert von Chamissos romantisches Kunstmärchen PETER SCHLEMIHLS WUNDERSAME GESCHICHTE aus dem Jahr 1813. Es erzählt die Geschichte eines Mannes, der dem Teufel
seinen Schatten verkauft und dafür ein Goldsäckchen erhält, dessen Geldfluss nie versiegt. Doch der fehlende Schatten macht Schlemihl seinen Mitmenschen unheimlich, er wird immer weiter in die Einsamkeit
getrieben.
An die Stelle des Schattens tritt in TIMM THALER das Lachen. Lachen gilt als universelles Symbol des
Menschlichen, das hier in den Stand einer Ware gerückt wird. Krüss ging es um die Kritik an einer Gesellschaft, in der Geld und Macht die höchsten Werte darstellen und über das Menschliche gestellt sind:
eine "kapitalistische Warenwelt, in der der Mensch sein Menschsein verliert, wenn er den materiellen Verführungen nicht widersteht." (Winfried Freund: DIE DEUTSCHE KINDER- UND JUGENDLITERATUR DER
GEGENWART. Bonn 1987, S. 44).
Dem Buch wurde zwar große Aufmerksamkeit zuteil, richtig berühmt wurde die Geschichte von TIMM THALER aber erst 17 Jahre später durch die Adaption als 13-teilige ZDF-Weihnachtsserie (1979, Buch: Justus
Pfaue) mit Thommy Ohrner und Horst Frank in den Hauptrollen. Im Jahr darauf veröffentlichte James
Krüss die späte Fortsetzung TIMM THALERS PUPPEN ODER DIE VERKAUFTE MENSCHENLIEBE und
1986 den letzten Teil der losen Trilogie: NELE ODER DAS WUNDERKIND. Alle drei Romane werden durch
die Erzähler-Figur Boy, Krüss' Alter Ego, gerahmt. In TIMM THALERS PUPPEN begegnen der erwachsene
Puppenspieler Timm Thaler und sein 12-jähriger Sohn Krescho in Venedig erneut dem Baron; und in NELE
kümmert Boy sich um die kleine Nele, die dem Baron für ihre Gesangskarriere ihr Weinen verkauft hat.
Timm Thaler wird zu ihrer Hilfe hinzugezogen.
Bereits 1964 strahlte Radio Bremen eine 80-minütige Hörspiel-Fassung von TIMM THALER aus, die 2001
neu als CD aufgelegt wurde. Die 26-teilige deutsche TV-Zeichentrickserie TIMM THALER aus dem Jahr
2002 ist eine relativ freie Adaption des Stoffes: Timm bekommt hier als Gefährten eine Freundin, das blinde
Violin-Wunderkind Akiko, der er zum Augenlicht zurückverhilft, den tollpatschigen Hamster Humphrey und
den japanischen Samurai-Käfer Shu Shu. Gemeinsam jagen sie Baron Lived hinterher, der Timm sein La-
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chen abkaufte, um sein Ziel, alle Menschen mittels einer speziellen Eissorte böse zu machen, zu erreichen.
Diese Jagd führt die Freunde u.a. ins Mittelalter, ins alte Rom, ins Weltall und ins Land der Maya, wo sie
immer neue Abenteuer bestehen und den Schergen des Barons ausweichen müssen. (Auf DVD erschienen,
regelmäßige Ausstrahlung auf KiKa.)
Eine Inhaltsübersicht des Romans finden Sie im Anhang dieses Begleitmaterials.
Szenenfoto mit Martin Winkelmann, Anja Pahl und Johannes Hendrik Langer
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Lesarten und Motive
In einem Punkt unterscheiden sich James Krüss' moralische Jugendromane ganz deutlich von denen des
Vorbilds Erich Kästner: Wo Kästner sich stets bemüht, ein ungeschöntes Abbild tatsächlicher sozialen
Realität zu zeichnen, erfindet Krüss, der sich selber als "Geschichtenerzähler" definiert, zusätzliche fantastische Elemente.
TIMM THALER beginnt zwar als Geschichte eines armen Jungen in einer engen Gasse einer deutschen
Großstadt der 1920er Jahre, wird aber im Lauf der Erzählung zu einer Art modernen Märchen.
Für die Erzählform Märchen ist vor allem die Gestaltung des Helden bezeichnend: Es handelt sich typischerweise um eine Figur, die einen bestimmten Auftrag hat und sich auf den Weg zur Erfüllung dieser
Aufgabe macht, wobei der Held unterwegs Prüfungen bestehen muss und fantastischen Figuren begegnet,
die ihm Helfer, aber auch Feinde sein können. Am Ende seines Weges steht die Bestrafung des Bösen und
die Belohnung des Guten sowie durch seinen "Sieg" die Wiederherstellung der gerechten Ordnung.
Dieser Weg ist klar in Timms Jagd nach seinem Lachen wiederzuerkennen; und die eindeutige Trennung
in Gut und Böse, die das Märchen auszeichnet, findet sich wieder in dem unschuldig-guten Kinderhelden
Timm und dem berechnenden Kapitalisten Baron Lefuet, der niemand anders ist als der Teufel selbst.
Märchenhelden sind überindividuell angelegt, sie fungieren als Vertreter einer natürlichen und gerechten
Ordnung, die aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die Figur Timm Thaler ist zwar mit einer individualisierten
Biografie ausgestattet, steht aber dennoch prototypisch für das naive (im Sinne von unverfälscht gute),
offenherzige Kindsein, das im Lachen seinen Ausdruck findet.
Doch nicht nur die Erzählstruktur und die Moral lassen TIMM THALER als Märchen für eine Leserschaft,
die dem Märchenalter gerade entwachsen ist, erscheinen: Da sind noch Krüss' Anleihen an Chamissos
SCHLEMIHL, die Einbindung des motivgleichen Märchens SCHWAN-KLEB-AN (Ludwig Bechstein) in die
Erzählung sowie die Geschichte des Teufelspaktes (mit konkreten Verweisen auf die Legende von Dr. Faustus im Text), die TIMM THALER den häufig zu hörenden Beinamen "Faust für Kinder" beigebracht hat.
Szenenfoto mit Denis Pöpping, Hagen Löwe und Stefan Kowalski
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Gleichzeitig erzählt der Roman eine Reifegeschichte – Timm Thaler wird vom naiven Jungen zum klugen
Spieler, der bereit ist, den Teufel herauszufordern – und einen spannenden Krimi rund um die abenteuerliche Jagd nach dem Lachen.
Als gesellschaftskritischer Gegenwartsroman der 1960er Jahre erzählt TIMM THALER von den Bedingungen des Lebens in der engen Gasse, der Bedrohung der Familie durch Armut und Arbeitslosigkeit. Auf
der anderen Seite wird die Welt Lefuets als eine Welt dargestellt, die von undurchschaubaren Marktstrategien durchzogen ist und von der Verflechtung von Kapital und Politik bestimmt wird. Hier ist alles käuflich,
Geld ist Macht. Lefuet ist ein Global Player, dessen Konzern auf undurchsichtige Weise in Geschäfte, Kriege, politische Strukturen und Märkte auf der ganzen Welt involviert ist. Es regiert das Kapital, das Menschliche ist in dieser Struktur nur Störfaktor.
Die Theaterfassung
Die Adaption eines Romans für die Bühne stellt Autoren immer vor große Herausforderungen. Auch für die
Regisseurin Grazyna Kania stand in der Vorbereitung ihrer eigenen Bühnenfassung am Anfang die Frage
nach der Lesart, die die Inszenierung transportieren soll.
Nach der Beschäftigung mit den drei Motivkreisen Teufel / Verführer, Lachen und Ökonomie entschieden
wir uns, die Hauptfigur Timm Thaler absolut in den Mittelpunkt zu rücken und seine Geschichte vor allem
aus der Beziehung zu seinem Gegenspieler Baron Lefuet heraus zu erzählen.
Timm erscheint in der Stückfassung als unbeschwerter, fröhlicher Junge, der gelernt hat, auf alle Rückschläge des Lebens mit Lachen zu reagieren; so lacht er zum Beispiel auch über den Tod seines Vaters,
weil er diese so unglaubliche Begebenheit einfach nicht begreifen kann. Der Verlust des Lachens bedeutet
vor allem wachsende Einsamkeit. Grazyna Kania war es wichtig zu erzählen, dass Timm alleine in der Welt
steht – alleine gegen Lefuet.
Dabei kommen die drei zentralen Helfer-Figuren Rickert, Kreschimir und Jonny natürlich auch in der Stückfassung vor; weitere wie Selek Bei oder Frau Rickert wurden aber gestrichen. Ziel war es, den "Wettkampf"
um das Lachen auf die zentralen Figuren Timm und Lefuet zu konzentrieren.
Dadurch wurde es möglich, auch in der nötigen Verknappung für die Bühne das Thema der Verführung
genau zu behandeln. Dabei geht um die genaue Untersuchung der Mittel, wie Lefuet den Jungen unter
Kontrolle zu halten versucht. Timm auf der anderen Seite ist nicht nur das Opfer des Barons, sondern lernt
auch von ihm, lässt sich auch verführen. Am Ende zieht Timm seinen Nutzen daraus: Er steht finanziell gesehen wieder am Anfang, ist aber erwachsen geworden und tatsächlich zu einem "jungen Herrn von Welt"
gereift, ohne seine Unschuld verraten zu haben.
Im Roman reist Timm an der Seite Lefuets um die ganze Welt, lernt das Gelächter, die Gesellschaft und
die Geschäfte der Welt an exotischen Orten kennen. Die Bebilderung dieser Ortswechsel lässt sich auf der
Bühne schwer realisieren – wohl aber das Jetset-Leben in eine Haltung für den Schauspieler übersetzen.
So entstand eine Szene, in der Timm und Lefuet sich als eloquente, global vernetzte Geschäftsmänner und
Weltbürger präsentieren.
Ein weiteres Problem bei der Bühnenumsetzung stellte das umfangreiche Figurenarsenal des Romans v.a.
im ersten Teil, in Timms Heimatstadt, dar: Schuljungen, Nachbarinnen, Herren auf der Rennbahn... Relativ
früh hat Grazyna Kania daher die Entscheidung gefällt, dem Baron zwei Helfer zur Seite zu stellen, die
Dämonen Astaroth und Behemot, die in diese und viele andere Rollen schlüpfen (Selek Bei, Mr. Penny, Diener, Detektive, Kellner, etc.). Dadurch ergibt sich auch eine zusätzliche Zuspitzung der Konstellation Timm
– Baron: Die Welt, die Timm als die des Barons erlebt, wird laufend von Lefuets Leuten für ihn erfunden. Mit
Hilfe seiner beiden Schergen kontrolliert Lefuet jeden Zug seines Gegners. Gleichzeit bergen diese beiden
Figuren auch ein komisches Potenzial, das in der Inszenierung ausgeschöpft wird.
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DIE THEMEN
Zur Ergänzung der Lektüre des Romans oder zur Vor- oder Nachbereitung eines Inszenierungsbesuches
von TIMM THALER in unterschiedlichen fachlichen Kontexten im Unterricht bieten sich verschiedene Themenfelder an. Je nach fachlichem Interesse, Lesestand und Alter der Schüler sind dies:
Der Teufel als Verführer
Das Lachen
Ökonomie – die Verstrickung von Geld und Macht
Der Teufel als Verführer
"Wer verführt, führt jemand vom richtigen und rechten Weg ins Abseits oder gar in
die Irre. Der Verführer [...] beeinflusst das Verhalten und die Haltung anderer durch
seine Persönlichkeit, durch Versprechungen, durch Macht, durch Täuschung. Er gibt
damit einer anderen Person für deren Ziele eine neue Richtung an, weist ihr verbotene Wege, steuert sie zu verlockenden Vorhaben."
aus: Werner Wunderlich: VERFÜHRER, SCHURKEN, MAGIER. MYTHOS, REZEPTION UND TYPOLOGIE
SOZIALER AUSSENSEITER, Konstanz 2001, S. 18.
Der aramäische Wortstamm von "Satan" lässt sich mit "Verführer" übersetzen – und als solcher tritt der
Teufel seit Jahrhunderten in Sagen, Legenden, Erzählungen des Volksglaubens und von der Kirche verbreiteten Warnerzählungen auf. In all diesen Geschichten geht es darum, dass der Teufel den Menschen zu
einem Pakt überredet, der ihm dessen Seelenheil einbringt, den Menschen also vom rechten Weg abbringt
und in die Gemeinschaft des Bösen eingliedert.
Dabei tritt der Teufel stets als äußerst seriöser Vertragspartner auf. Seine Methoden sind aber alles andere
als korrekt – die von ihm gebotenen Leistungen sind nicht von Dauer oder an unlautere Bedingungen gebunden ("Kleingedrucktes" oder Knebelparagrafen in den Verträgen). Außerdem ist der Teufel ein listiger
Betrüger: Verkauft beispielsweise ein Menschen seine Seele für ein überragendes musikalisches Talent,
so sorgt der Teufel kurz darauf für einen furchtbaren Unfall, bei dem der Musiker seine Finger verliert. In
TIMM THALER erhält Kreschimir eine große Geldsumme in Form von Aktien, deren plötzlicher Kursverfall
anschließend durch Börsenmanipulation von Lefuet herbeigeführt wird.
So verlockend die Angebote des Teufels auch klingen und so gut die Erfahrungen auch anfangs sein mögen, der Mensch kann den Handel am Ende nur verlieren. Beweggrund für einen Pakt mit dem Teufel (oft
verbunden mit der blinden Hoffnung, die Vorteile genießen und sich den Verpflichtungen doch irgendwie
entziehen zu können), ist meist Besitz- oder Machtgier: In den meisten Geschichten bietet der Teufel dem
Menschen Reichtum, Macht oder soziale Anerkennung (dazu gehören auch sexuelle Erfolge und Liebeszauber). Ein anderes Begehren, das Streben nach übermenschlichem Wissen oder Können, kann der Teufel
ebenfalls erfüllen: Sei es Fausts Suche nach dem Kern des menschlichen Seins ("was die Welt / im Innersten zusammenhält") oder Krabats Einführung in die Schwarze Magie; oder, außerhalb der Literatur, die
Verdächtigung des Ausnahmevirtuosen Niccolo Paganini als "Teufelsgeiger".
Kern des christlichen Glaubens ist der unauflösliche Bund zwischen Gott und dem Menschen. Der Teufel
als der Gegenspieler Gottes, der mit ihm um die Seelen der Menschen wetteifert, muss sich also bemühen,
Menschen aus diesem Bund herauszulösen. Seine Verführungskünste sind enorm: So kann der Teufel jede
dazu notwendige menschliche (oft weibliche), tierische oder sogar mythologische (Engels- oder Heiligengestalt) Gestalt annehmen.
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Das Verführungsmotiv prägt die Dämonologie des Alten Testamentes, von der verbotenen Frucht des
Baums der Erkenntnis bis zur Geschichte Hiobs, in der Hiobs Glauben durch den von Gott beauftragten
Teufel geprüft wird.
Es gibt aber auch Erzählungen von Menschen, die sich bewusst vom Glauben abkehren und dem Teufel
zuwenden, die sich gegen Gott auflehnen, sich selbst erhöhen: Die Hybris des Menschen findet ihren Ausdruck im Teufelspakt.
Ein dritter Weg, sich mit dem Teufel zu verbünden, ist die Vermittlung durch Irrlehrer oder falsche Propheten
(auch Sekten).
Szenenfoto mit Johannes Hendrik Langer und Hagen Löwe
Auch in TIMM THALER nimmt das Böse durchaus attraktive Gestalt an: Der "karierte Herr", in dessen Gestalt der Teufel hier auftritt, kommt Timm zwar zunächst "merkwürdig" und "unheimlich" vor, aber er bietet
Timm genau das, was er seit dem Tod seines Vaters schmerzlich vermisst: Er schenkt ihm Aufmerksamkeit,
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hört ihm zu und nimmt ihn ernst. Lefuet ist gleich in doppelter Hinsicht der Schlüssel zur Lösung von Timms
Problemen: Das Geschäft, das er vorschlägt, weist Timm nicht nur in finanzieller Hinsicht einen Ausweg aus
seiner bedrückenden Situation (raus aus der Wohnung in der engen Gasse), es erhebt Timm auch in den
Rang eines Erwachsenen und bedeutet damit den Weg in die ersehnte Selbstständigkeit, die Befreiung von
der Vormundschaft der Stiefmutter.
"Nein, tu's nicht!" Jedes Mal, wenn Johannes Hendrik Langer in der Rolle des Timm Thaler zur Unterschrift ansetzt, geht ein Aufschrei durch das Publikum. Die Zuschauer im Theater sind der Hauptfigur
wieder einmal einen Schritt voraus und ahnen die bösen Konsequenzen, die mit dem Unterzeichnen des
Teufelspaktes verbunden sind. Wenn sie sich selbst in die Rolle hineinversetzen, fällt den meisten Kindern
die Entscheidung schon nicht mehr so leicht. Lassen Sie die Schüler einmal – jede und jeder für sich und
ganz in Ruhe, am besten schriftlich – folgende Fragen beantworten:
Stell dir vor, du würdest dein Lachen verkaufen und dafür die Fähigkeit bekommen,
jede Wette zu gewinnen. Du kannst ALLES haben. Worum würdest du wetten?
Was wünschst du dir jetzt gerade am allermeisten?
Würdest du den Vertrag unterschreiben? Warum?
Wenn nicht – unter welchen Bedingungen wärest du bereit, doch zu unterschreiben?
In der anschließenden Diskussion kann jeder so viele von seinen Wünschen vorstellen, wie er möchte, und
anschließend begründen, ob er unterschreiben würde oder nicht. Es kann z.B. sein, dass für viele Kinder
eine Notlage (wie Krankheit oder Armut) ein Grund wäre, doch zu unterschreiben, oder dass sie Bedingungen formulieren würden, um den Teufel doch auszutricksen.
Interessant ist auch die Frage, ob es irgendetwas anderes gibt, was man bereit wäre, an Stelle des Lachens
dem Teufel anzubieten, und was dieser Verlust dann bedeuten würde (hier können SCHLEMIHL oder NELE
als Beispiele herangezogen werden).
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Das Lachen
"Mein Lachen wollen Sie dafür? Das ist alles? Mehr nicht?" – Timm Thalers Überraschung ist groß, als der
Baron ihm den Preis für unbegrenzte Wettgewinne nennt. Er hat mit etwas anderem gerechnet, einem Wert
oder einer Leistung, die er als Kind (und noch dazu aus ärmlichen Verhältnissen), sowieso nicht erbringen
kann. Das Lachen ist aber etwas, dem er bisher noch gar keinen Wert zugeschrieben hat. Dass es gerade
diese Selbstverständlichkeit des Lachens ist, die seinen Verlust so groß machen wird, kann er nicht ahnen.
Der Baron hingegen, als er am Ende des Stückes das Lachen wieder verliert, weiß ganz genau um dessen
Wert: "Man ist nie ganz ohne das!" (Stückzitat).
So wie Chamissos schattenloser Peter Schlemihl seiner Umwelt unheimlich wird, wird auch Timm mehr
und mehr von seinem alten Umfeld isoliert. Wer nicht lachen kann, kann mit den Freunden nicht mitlachen
und wird als Spielverderber gemieden. Viele begegnen dem ernsten Jungen sogar mit offenem Misstrauen
– irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Nicht mehr lachen zu können bedeutet auch das Ende der Unschuld.
Timm erfährt immer weiterreichende Konsequenzen seines Handels: Er kann nicht mehr staunen oder
sich an der Welt freuen; er wird traurig, bitter, ernst und gereizt. Erst nach dem Verlust wird klar, dass das
Lachen seine einzige (bislang unbewusst genutzte) Möglichkeit war, die Schwierigkeiten des Lebens zu
kompensieren. Timm verliert doppelt: seine Lebensfreude und die Möglichkeit zur sozialen Interaktion mit
seinen Mitmenschen.
Tatsächlich ist Lachen eines der Dinge, die den Menschen vom Tier unterscheiden, wie es auch im Roman
TIMM THALER heißt: "Das Lachen unterscheidet Mensch und Tier. / Und man erkennt den Menschen stets
daran, / Dass er zur rechten Stunde lachen kann!"
Krüss benutzt diese Idee, um über das Vorhandensein eines besonders schönen Lachens auf der einen und
der totalen Unfähigkeit zu lachen auf der anderen Seite die beiden Hauptfiguren zu Vertretern des Menschlichen (kindliche Unschuld und Un-Beschwertheit) bzw. des Unmenschlichen (globale Verstrickungen von
Geld und Macht) zu stilisieren.
Hintergrund: Aus der Gelotologie (Lachforschung)
Das Lachen ist angeboren und muss nicht erlernt werden. Es ist eine universelle Ausdrucksmöglichkeit und
die früheste und einfachste Kontaktgebärde des Menschen.
Lachen ist ein unwillkürliches Verhalten. Es tritt auf als reflexartige Reaktion auf komische, aber auch
auf besonders belastende Situationen – wir lachen nicht nur, weil uns jemand einen Witz erzählt oder
wir etwas Komisches beobachten, sondern auch aus Erleichterung nach überstandenen Schwierigkeiten
oder Gefahren. Lachen kann auch ein Abwehrmechanismus sein – es kann zwischenmenschliche Konflikte
entschärfen oder Ängste besiegen. Unwillkürliches Lachen sorgt in schwierigen Situationen für Mut und
Leichtigkeit.
Weil Lachen reflexartig, also ein unreflektierter Ausbruch, ist, kann es nicht künstlich hergestellt werden.
Echtes Lachen entsteht dann, wenn der Körper nicht von der Vernunft kontrolliert wird. "Falsches" oder
"künstliches" Lachen erkennen wir intuitiv, und auf der anderen Seite lässt sich ein echtes Lachen oft nur
sehr schwer unterdrücken oder regulieren.
Das Lachen ist eine Reaktion des Körpers, in der dieser sich gegen Vergeistigung,
Rationalisierung und Abstraktion behauptet. Der Lachende überlässt seinen Körper
sich selbst; er verzichtet auf Kontrolle.
D. Kamper / C. Wulf (Hg.): LACHEN – GELÄCHTER – LÄCHELN. Frankfurt a.M. 1986, S. 7.
Man beschließt nicht zu lachen, man muss lachen. Das Lachen bricht aus – und ein.
Es bringt die körperliche Ordnung durcheinander. Es unterbricht ebenso Denkvorgänge, setzt Affekte wie auch moralische Urteile außer Kraft. Solche Unterbrechungen machen auch Lust: Chaoslust. Es gibt nichts, worüber nicht gelacht werden
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kann – das Lachen berührt das Höchste und das Niederste im Menschen – und es
scheint keinen Affekt zu geben, mit dem sich das Lachen nicht verbinden könnte.
Es gibt Gelächter des Spottes, des Hohnes, das von Herzen Lachen, Lachen aus
Verzweiflung wie aus Verlegenheit; es gibt das unbekümmerte und das hysterische
Lachen, das Lachen des Triumphes oder der Verachtung, das Lachen in den Tod.
(...) Kinder, Wilde, Narren, Dämonen und Götter – all diejenigen, die nicht ganz vom
Zivilisationsprozess erfasst zu sein scheinen – stehen dem Lachen am nächsten.
Renate Jurzig: DER STOFF DES LACHENS. STUDIEN ÜBER KOMIK. Frankfurt a.M., N. Y., 1985, S. 14f.
Lachen ist der Einbruch des Chaos in das Kontrollsystem des Verstandes. Der Lachende ist "mit seinem
Latein am Ende", so der Philosoph und Soziologe Helmuth Plessner in seiner Untersuchung LACHEN UND
WEINEN.
Lachen ist aber auch eine Geste nach außen: Für Psychologen ist klar, dass einLachen bzw. Lächeln die
wichtigste unaggressive Kontaktgebärde zwischen Menschen ist. Am deutlichsten lässt sich das schon
bei Säuglingen beobachten. Aber auch unter Erwachsenen gilt Lachen als "sozialer Klebstoff" oder "Kommunikationsschmiermittel": Ein fröhliches Lachen oder ein offenes Lächeln erleichtert den Einstieg ins
Gespräch, schafft Sympathie und Einverständnis, lenkt von Fehlern oder Unsicherheiten ab, besänftigt
und beseitigt kleinere Missstimmungen. (Diese Kommunikationshilfe bzw. dieses manipulative Potenzial ist
übrigens auch genau das, was Timms Lachen für Baron Lefuets Zwecke bedeutet.)
Lachen stiftet Gemeinschaft und stärkt das Gefühl von Zusammengehörigkeit. Innerhalb einer Gruppe ist
Lachen bewusstes oder unbewusstes Kommunikationsmittel und dient neben der Stärkung des Zusammenhalts auch der Bestätigung von Hierarchien – und der Abgrenzung. Wer nicht zur Gruppe gehört und
nicht mitlachen kann oder wer sogar Gegenstand des Lachens einer Gruppe ist, erfährt eine starke Ausgrenzung. Der Verlachte erfährt das Lachen als demütigende Waffe.
Die Theorie des Lachens als Waffe beruht auf der gestischen Ähnlichkeit des Lachens und des drohenden
Zähnefletschens. Henri Bergsons Essay DAS LACHEN aus dem Jahr 1900, immer noch einer der grundlegende Texte zur sozialen Funktion des Lachens, geht von einem grundsätzlich aggressiven Potenzial des
Lachens aus: der "Lachattacke zur Verteidigung der Norm". Man lacht dann, wenn ein anderer auf eine
Situation nicht adäquat reagieren kann, also über die Fehler anderer (man denke an die Komik von Buster
Keaton oder Charlie Chaplin!). Dieses Auslachen ist aber nicht unbedingt bösartiger Spott, sondern eher
eine "Ermahnung" der Gruppe, wachsamer zu sein, also eine Solidarisierung mit dem Verlachten.
"Das Lachen ist eine soziale Geste, die eine bestimmte Art des Abweichens vom
Lauf der Lebens und der Ereignisse sichtbar macht und gleichzeitig verurteilt."
Henri Bergson: DAS LACHEN. Frankfurt a.M. 1988, S. 62.
Während Lachen also Gemeinschaft schafft und braucht, ist das Lächeln eine intime Geste, die Liebe und
Vertrauen zwischen zwei Menschen stiftet und ein persönlicher Ausdruck des Glücks ganz ohne Gegenüber sein kann.
Lachen ist die beste Medizin – beim Lachen werden Endorphine, sog. "Glückshormone", freigesetzt, über
80 Muskeln aktiviert und so der ganze Körper in Bewegung versetzt. Das Gehirn wird mit mehr Sauerstoff
versorgt, der Körper wird in einen positiven Stresszustand versetzt, der Stimmung und Leistungsfähigkeit
hebt. Weil sogar das Immunsystem durch Lachen gestärkt wird, können chronisch Kranke von einem "gesunden" Humor tatsächlich merklich profitieren.
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Szenenfoto mit Hagen Löwe, Denis Pöpping und Stefan Kowalski
"Ohne Lachen wäre es einfach Quatsch" – Projektvorschlag
Viele verbinden "Lachen" sofort assoziativ mit fröhlichem Kindergelächter. Kein Wunder: Laut einer Studie
bringen Kinder es auf rund 400 Lacher am Tag, Erwachsene nur auf 15.
Welchen Wert hat das Lachen für Kinder? Ist der Wert des Lachens tatsächlich erst mit seinem Fehlen erfahrbar, wie es in TIMM THALER beschrieben wird?
Die Premierenklassen zu TIMM THALER, zwei fünfte Klassen der Grundschule an der Marie in Berlin-Prenzlauer Berg, gründeten für einen Vormittag ein Lachforscher-Labor. Schon die Antworten auf die erste Frage
im Brainstorming "Was ist Lachen?" zeigten, dass die Kinder das Phänomen durchaus reflektieren:
Lachen ist toll und wichtig.
Man braucht's zum Leben.
Man macht's mit dem Gesicht.
Es ist super, man tut es oft.
Es gibt Lachanfälle.
Die Augen sind dabei.
Es kommt überall vor: im Theater, im Film, im echten Leben.
Also Lachen, wenn's das nicht gäbe, also die Welt würde gar nicht auskommen und
funktionieren.
Wer soll ohne Lachen leben, es ermuntert.
Wenn man traurig ist, fühlt man sich erst wieder besser, wenn man lacht.
Ohne Lachen wäre es einfach Quatsch.
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Die häufigsten Adjektive im Zusammenhang mit "Lachen" waren "witzig", "glücklich" und "verrückt"; synonym für "Lachen" wurde häufig "Glück", "Grimasse" oder "Spaß" verwendet. Im Gespräch stellte sich
dann aber heraus, dass das aggressive Auslachen ein mindestens genauso großes Thema ist. Zusammen
erarbeiteten wir schließlich aus allen spontan gesammelten Begriffen folgende drei Kategorien:
Fröhliches Lachen – über Witze lachen – vor Glück lachen – zusammen lachen
Auslachen – Spott – sich blamieren – Schadenfreude – gemein
Künstliches Lachen – gespieltes Lachen – höfliches Lachen
Anders als das wahrscheinlich Erwachsene so spontan tun würden, beschrieben die Kinder das Lachen
ganz stark als körperlichen Vorgang: Begriffe wie "Lachkrampf", "in die Hose machen", "Bauchschmerzen", "auf dem Boden liegen", "nicht aufhören können", "Tränen", aber auch "schreien", "wiehern", "grunzen", "brüllen" oder "gackern" bestätigen die oben zitierten Theorien über das Lachen als lustvollen Kontrollverlust.
Ein solches Lachlabor-Projekt kann natürlich noch erweitert werden: Zu den einzelnen Arten des Lachens
können Szenen erarbeitet oder Geschichten geschrieben werden.
Die Materialsammlung "Was ist Lachen" kann auch durch Stellen aus TIMM THALER ergänzt werden, wenn
Sie mit der Klasse das Buch lesen oder die Inszenierung schon gesehen haben: Welche unterschiedlichen
"Lachen" kommen darin vor? Wer lacht? An welcher Stelle, warum und wie?
So kann man zum Beispiel Stellen zu Beginn des Romans besprechen, die zeigen, dass Timm, das "Lachkanönchen", wie er von Lehrern und Mitschülern genannt wird, vor allem aufgrund seines besonderen
Lachens bei den Mitschülern beliebt ist und seine unglückliche Familiensituation meistert; entsprechend
den Beginn des Theaterstückes.
Schließlich enthält der Text noch Sprüche über das Lachen, die mit den eigenen Erfahrungen der Schüler
verglichen werden können:
"Lachen ist Freiheit nach innen."
"Teach me laughter, save my soul."
"Das Lachen unterscheidet Mensch und Tier. / Und man erkennt den Menschen
stets daran, / Dass er zur rechten Stunde lachen kann!"
Weitere Sprichwörter und geflügelte Worte zur Diskussion, von denen die Schüler sicher einige kennen
werden:
Lachen ist gesund.
Je mehr Narren, desto mehr Gelächter.
Oft lacht der Mund, wenn das Herz weint.
Es lacht mancher, der beißen will.
Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag. (Charlie Chaplin)
Lache, und die Welt lacht mit dir; weine, und du weinst allein. (aus Amerika)
Der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln. (aus China)
Keiner lacht für sich allein.
Dulden, Schweigen, Lachen, hilft vielen bösen Sachen.
Kinder haben Lachen und Weinen in einem Sack.
Am Lachen und Flennen ist der Narr zu erkennen.
Hüte dich vor Männern, deren Bauch beim Lachen nicht wackelt. (aus China)
Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Besser in die Faust als ins Gesicht lachen.
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Ökonomie – die Verstrickung von Geld und Macht
Das erste Kapitel aus TIMM THALER beginnt mit der Beschreibung einer gesellschaftlichen Schieflage:
"In den großen Städten mit den breiten Straßen gibt es hinten hinaus heute noch
Gassen, die so eng sind, dass man sich durch die Fenster von einer Seite zur anderen die Hand reichen kann. Wenn fremde Besucher, die viel Geld und viel Gefühl
haben, zufällig in eine solche Gasse geraten, dann rufen sie: Wie malerisch! Und die
Damen seufzen: Wie idyllisch und romantisch!
Aber das Idyllische und Romantische sind großer Humbug; denn hinten hinaus wohnen Leute, die wenig Geld haben."
Timm kommt aus einer solchen engen Gasse, wo es oft am Nötigsten fehlt. Die schlechte finanzielle Lage
lässt für den Einzelnen andere Güter umso wichtiger für die Lebensgestaltung und -bewältigung werden:
Das kann Familie oder Freundschaft sein, oder, wie in Timms Fall, die Fähigkeit zu lachen.
Baron Lefuet hingegen steht für eine Welt, in der Geld im Überfluss vorhanden und prinzipiell alles käuflich
ist. Die Arme-Leute-Margarine aus dem Holzfass, die durch Lefuets Kampagne zum attraktiven und damit
gewinnträchtigen Markenprodukt wird, steht als Symbol für den Gegensatz dieser beiden Welten.
Geld ist in TIMM THALER der Gegensatz zum Menschlichen. Mit Geld werden Menschen manipuliert,
Reichtum verschafft vor allem eines: Macht. Geld ist das Instrument, das den aufständischen Timm an
Lefuet bindet (die Erbschaft, verbunden mit der Vormundschaft), mit Geld greift Lefuet in die Politik ein und
steuert Märkte, aber auch internationale Konflikte und Krisen so, dass er daraus Profit ziehen kann. Seine Firma ist ein mysteriöses global agierendes Unternehmen, das in allen möglichen Wirtschaftszweigen
involviert ist, ohne dass man je erfährt, was ihr eigentliches Geschäft ist. Kapital dient hier nicht nur als
Produktionsgrundlage, sondern dem Schaffen und Erhalten von Herrschaftsstrukturen.
Wo Timm es in seiner Unschuld um das Wohl der Menschen geht ("Wir könnten doch den armen Leuten
ihre Margarine auch schön verpackt verkaufen."), geht es Lefuet ausschließlich um Gewinnmaximierung.
Szenenfoto mit Johannes Hendrik Langer, Denis Pöpping und Hagen Löwe
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Kapitalistische Strukturen, repräsentiert durch abstrakte internationale Finanzmärkte und für Timm kaum
durchschaubare Aktienspekulationen, werden im Roman so als eindeutig unmenschlich "verteufelt". Geld
steht als Gegensatz zu Mitgefühl, Aufrichtigkeit, Freundschaft. Lefuets Welt ist "ein Königreich des Rechenstifts. Darin regieren Zahlen, nicht Gefühle." Selbst die in der Relation zu Lefuets Geschäften bescheidenen Wettgewinne, die für Timms Familie immerhin den Ausweg aus der engen Gasse bedeuten, tun
nur vordergründig Gutes: Was folgt, ist der moralische Niedergang von Frau Thaler und Erwin, sie werden
arrogant, hochnäsig und gierig.
Geld verdirbt in Krüss' Roman eben doch den Charakter.
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ANHANG
TIMM THALER: Inhaltsangabe des Romans
In der Rahmenhandlung des Romans reist der Ich-Erzähler Boy kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Zug nach Leipzig zu einer Druckerei, wo er die Produktion seines neuesten Buches überwacht.
Hier trifft er auf einen Mann namens Timm Thaler, der ihm an sieben Abenden die Geschichte seiner Kindheit erzählt. Diese Abende geben dem Roman seine Struktur.
Timm Thalers Geschichte beginnt in einer nicht näher benannten deutschen Stadt; manche Interpreten
sehen hier München, Frankfurt oder Berlin abgebildet, der Text selber liefert aber keine Hinweise. Auch
die Zeit der Handlung wird nicht genau benannt, wahrscheinlich handelt es sich aber um die ausgehenden
zwanziger Jahre, die Zeit der Weltwirtschaftskrise.
Nach dem Tod seiner Mutter wächst Timm bei seinem Vater, der ungerechten Stiefmutter und dem von ihr
bevorzugten Sohn Erwin in ärmlichen Verhältnissen in einer engen Gasse auf. Die einzigen Lichtblicke sind
die Sonntage, an denen er allein mit seinem Vater zum Pferderennen geht. Die innige Beziehung zu seinem
Vater und seine Fähigkeit, besonders schön zu lachen, machen sein trübes Leben erträglich. Als der Vater
auf der Baustelle ums Leben kommt, ist Timm verzweifelt. In seiner Trauer und Einsamkeit treibt es ihn
immer wieder zur Rennbahn, wo er die Bekanntschaft eines merkwürdigen "karierten Herrn" macht. Dieser,
der sich als Baron Lefuet vorstellt, nähert sich Timm immer mehr an und verhilft ihn zu unverhofften Wettgewinnen. Schließlich bietet er Timm einen Handel an: sein Lachen gegen die Fähigkeit, jede nur erdenkliche
Wette zu gewinnen. Timm unterschreibt den Vertrag mitsamt dem Stillschweigeparagrafen: Wenn er irgendjemanden von dem Vertrag oder dem verlorenen Lachen erzählt, verliert er sofort die Fähigkeit, Wetten
zu gewinnen, aber auch sein Lachen bleibt für immer verloren. Sollte der Baron hingegen vertragsbrüchig
werden, Timm also irgendwann einmal eine Wette verlieren, bekäme Timm sein Lachen zurück.
Timms neues Wettglück verhilft seiner Familie zwar zu einigem Wohlstand und bedeutet endlich die Möglichkeit, die enge Gasse zu verlassen; aber Timm merkt, dass der plötzliche Geldsegen auch nicht glücklich
macht. Im Gegenteil: Als "neureiche Protze" werden die Thalers gemieden und Timm, da er nicht mehr lachen kann, verliert seine Freunde und wird zum misstrauisch beäugten Außenseiter. Das fehlende Lachen
hat ihn zum einsamen, zunehmend verbitterten Jungen werden lassen.
Timm beschließt, den geheimnisvollen Baron Lefuet zu suchen und sein Lachen zurückzugewinnen. Er reist
nach Hamburg, um auf einem Schiff anzuheuern; durch einen Zufall lernt er unterwegs den Reedereidirektor Rickert kennen, der ihn als Schiffsjunge auf einem Passagierfrachter mit Reiseziel Genua unterbringt.
Hier trifft er auch Kreschimir wieder, der Timm bereits auf der Rennbahn seine Hilfe angeboten hat – durch
den Schweigeparagrafen konnte Timm sich ihm aber nicht anvertrauen. Nun ist Kreschimir als Steward an
Bord der "Delphin" und Timm erfährt von seinem Handel mit dem Baron: Er hat ihm als Junge für viel Geld
seine Augen verkauft und wurde bitter betrogen. Nun will er alles daransetzen, Timm zu helfen und den
Baron zu besiegen. Er beobachtet den Jungen und errät schließlich den Vertrag um Timms Lachen; Timm
hat also nun einen Verbündeten, den der Baron allerdings schnell aus dem Weg zu räumen weiß. Überhaupt
scheint der Baron übermenschliche Fähigkeiten zu besitzen. Timm bemüht sich, mit dem Steuermann
Jonny eine unmögliche Wette nach der anderen abzuschließen, die der Baron jedoch alle zu erfüllen vermag – sogar Straßenbahnen fliegen zu lassen ist für ihn ein Kinderspiel. Als Timm schließlich die rettende
unmögliche Wette einfällt – dass er noch am selben Abend der reichste Mann der Welt sei – erklärt Lefuet
sich kurzerhand selbst für tot und setzt den Jungen als seinen Alleinerben unter der Vormundschaft seines
angeblichen Zwillingsbruders, also seiner selbst, ein.
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Von nun an ist Timm fest an ihn gebunden. Lefuet führt seinen "Nachfolger" in seine Geschäfte ein und
erzieht ihn als Geschäftsmann nach seinem Vorbild. Timm lernt ein Leben voller Macht, Glanz und Einfluss
kennen. In Mesopotamien, dem Hauptsitz des Barons, bekommt er beträchtliche Aktien-Anteile an Lefuets
globalem Imperium und wird selber zum einflussreichen Akteur in der Gesellschaft. Ganz nebenbei weist
er Lefuets Firma den Weg aus der Butterkrise, indem er die Arme-Leute-Margarine als attraktives und
konkurrenzfähiges Markenprodukt neu erfindet. Timm wird erwachsen und erfolgreich; aber er bleibt unfrei
und einsam und sehnt sich nach seinem Lachen zurück. Mit Hilfe Selek Beis, eines Geschäftspartners des
Barons, der dessen Machenschaften schon länger heimlich zu bekämpfen versucht, gelingt es Timm, mit
seinen Hamburger Freunden Rickert, Kreschimir und Jonny in Kontakt zu treten, die tatsächlich einen Plan
für ihn entwickeln. Als Timm am Ende einer einjährigen Weltreise, die der Baron mit ihm unternimmt, als
junger "Herr von Welt" nach Hamburg kommt, haben sie schon alles vorbereitet – in einem spannenden
Showdown kann Timm seinem Verfolger Lefuet über allerlei Hintertreppen entkommen und mit seinen
Freunden die letzte und rettende Wette abschließen: Kreschimir wettet mit Timm, dass er sein Lachen wiederbekommt. Der Baron kommt zu spät, um den Wettabschluss noch zu verhindern, Timm schlägt ein. Er
verzichtet auf das Erbe des Barons und gründet ein kleines Marionettentheater, das mit der "Geschichte
vom verkauften Lachen" mit großem Erfolg durchs Land zieht.
Szenenfoto mit Elvira Schuster, Martin Winkelmann, Andrej von Sallwitz, Anja Pahl, Valerie Oberhof,
Lutz Dechant und Helmut Geffke
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Hinweise für den Theaterbesuch
Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,
viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater oder haben wenig
Erfahrung damit. Wir bitten Sie, im Vorfeld eines Besuches sich mit Ihrer Klasse die besondere
Situation zu vergegenwärtigen und die nachfolgenden Regeln zu besprechen. Damit eine Vorstellung gelingt, müssen sich Darsteller und Zuschauer konzentrieren können. Dafür braucht
es Aufmerksamkeit. Alle Beteiligten müssen dafür Sorge tragen. Wer die Regeln nicht einhält,
beraubt sich selbst dessen, wofür er Eintritt gezahlt hat – und natürlich auch alle anderen
Besucher.
Folgende Regeln tragen zum Gelingen eines Theaterbesuchs bei:
1. Wir bitten, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so dass jeder in Ruhe den Mantel und seine
Tasche an der Garderobe abgeben und ohne Eile seinen Platz aufsuchen kann. Unsere Garderobe wird beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten.
2. Während der Vorstellung auf die Toilette zu gehen, stört sowohl die Darsteller als auch
die übrigen Zuschauer. Wir bitten darum, sich entsprechend zu organisieren. In unseren
Programmzetteln lässt sich auch nachlesen, ob es eine Pause in der Vorstellung gibt.
3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen und zu trinken, Musik zu hören und
Gespräche zu führen. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet
sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden.
4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung bezeugt den Respekt vor der Arbeit der Schauspieler und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wem es gut
gefallen hat, der gibt mehr Beifall – wem nicht, entsprechend weniger. Wichtig ist, erst nach
dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen.
Unser Einlasspersonal der ARTService GmbH steht den Zuschauern als organisatorischer
Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung.
Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für
Gespräche stehen wir zur Verfügung. Unter www.parkaue.de können unsere Zuschauer einen
Kommentar zu den Inszenierungen abgeben.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Ihr THEATER AN DER PARKAUE
Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen
Impressum
Spielzeit 2008/2009
THEATER AN DER PARKAUE
Junges Staatstheater Berlin
Parkaue 29
10367 Berlin
Tel. 030 – 55 77 52 -0
www.parkaue.de
Intendant: Kay Wuschek
Redaktion: Kristina Stang
Gestaltung: Roswitha Weber
Fotos: Christian Brachwitz
Titelfoto mit Johannes Hendrik Langer
und und Helmut Geffke
Kontakt Theaterpädagogik:
Irina-Simona Barca / Frank Röpke
Telefon: 030 – 55 77 52 -60
[email protected]
theater
an
der
parkaue
Junges Staatstheater Berlin
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