Eltern ohne Kinder Eine empirische Studie zu Bewältigungsformen
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Eltern ohne Kinder Eine empirische Studie zu Bewältigungsformen
Eltern ohne Kinder Eine empirische Studie zu Bewältigungsformen bei der Unterbringung in einer Pflegefamilie Eltern ohne Kinder Eine empirische Studie zu Bewältigungsformen bei der Unterbringung in einer Pflegefamilie Diplomarbeit Universität Siegen Integrierter Studiengang Sozialpädagogik und Sozialarbeit Christina Herr Wetzlar, im März 2005 Erstgutachter: Zweitgutachter: Herr Dr. Klaus Wolf Herr Dr. Ludwig Stecher Universität Siegen Universität Siegen 2 Danksagung: Diese Diplomarbeit entstand aufgrund der großen Offenheit und Erzählbereitschaft einer Mutter, deren Kinder fremdbetreut sind. Mein Dank gilt deshalb zunächst ihr, die mich an ihrer Geschichte teilhaben ließ und dadurch Grundlage dieser Arbeit wurde. Mein besonderer Dank gilt ebenfalls meiner Familie, die mir während des gesamten Studiums und besonders der Zeit der Diplomarbeit sehr wohlwollend und verständnisvoll beiseite stand; meinen Kindern Elisa, Michel und Nele, die mir auf vielfältige Weise und durch sehr unterschiedliche positive Verstärker vermittelt haben: „Mama, du schaffst das!“; meinem Mann, der trotz meines hohen Anspruchs im Hintergrund unser Familienleben auch in arbeitsintensiven Studienzeiten so gestaltet hat, dass ich mich ruhigen Gewissens herausnehmen konnte, und durch den dieses Studium deshalb möglich war. Mein Dank gilt auch der intensiven und sehr guten Begleitung meiner beruflichen Tätigkeit im Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Wetzlar, das meine Haltung gegenüber abgebenden Eltern in der Jugendhilfe nachhaltig beeinflusst und geprägt hat. Dank auch an Liane, meine Wegbegleiterin während des gesamten Studiums, die alle Höhen und Tiefen mit mir gemeinsam bewältigt hat. Das hat sehr gut getan. Ebenso gilt mein Dank dem Jugendamt des Lahn-Dill-Kreises, insbesondere Frau Feuerbach vom Pflegekinderdienst, die trotz eines oft ausgelasteten Arbeitsalltags noch Lücken für die Unterstützung meines Anliegens fand. Zu guter Letzt und doch sehr bedeutsam ist mir der Dank an Herrn Dr. Klaus Wolf, der diese Diplomarbeit begleitet hat. Durch seine verständnisvolle, unkomplizierte und empathische Art habe ich mich hervorragend unterstützt gefühlt. Vielen Dank. 3 „(...) und ich möchte Sie, so gut ich es vermag, bitten Geduld zu haben gegen alles ungelöste in ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben können. Leben Sie jetzt die Fragen! Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antworten hinein.“ Rainer Maria Rilke 4 Inhaltsverzeichnis________________________________________________ 5 1 Einleitung ___________________________________________________ 7 2 Das Konzept Pflegefamilie ____________________________________ 10 2.1 Pflegefamilien als Jugendhilfemaßnahmen _______________________________ 10 2.2 Entstehungsgeschichte der öffentlichen Erziehung _______________________ 11 2.3 Pflegefamilien aus der Perspektive des Kindes – ein Erklärungsversuch ___ 14 2.4 Pflegefamilien aus der Perspektive der Pflegeeltern – ein Erklärungsversuch __________________________________________________ 16 2.5 Pflegefamilien aus der Perspektive der Herkunftseltern – ein Erklärungsversuch __________________________________________________ 18 3. Methodisches Vorgehen ______________________________________ 20 3.1 Forschungsinteresse ___________________________________________________ 20 3.2 Qualitative Sozialforschung _____________________________________________ 21 3.3 Das narrative Interview __________________________________________________ 22 3.4 Begründung der gewählten Forschungsmethode__________________________ 24 4 Arbeitsbericht ______________________________________________ 26 4.1 Feldzugang und Entstehungsgeschichte einer Einzelfallstudie _____________ 26 4.2 Intervieweröffnung______________________________________________________ 27 4.3 Haupterzählung_________________________________________________________ 28 4.4 Nachfrageteil ___________________________________________________________ 29 5 Geschichte einer Fremdunterbringung __________________________ 31 5.1 Portrait „Frau Schulze“__________________________________________________ 31 5.2 Die Fallgeschichte als zusammenfassende Nacherzählung ________________ 35 5 6 Methode der Textanalyse ________________________________________________ 40 6.1 Auswertungsschritte der qualitativen Inhaltsanalyse ______________________ 41 6.1.1 Bestimmung des Ausgangsmaterials ______________________________________________ 41 6.1.2 Fragestellung der Analyse _______________________________________________________ 42 6.1.3 Bildung eines Kategoriensystems _________________________________________________ 42 7 Interpretation _______________________________________________ 45 7.1 Die Kategorien und ihre Aussagen _______________________________________ 46 7.1.1 Kategorie „Gründe für die Fremdunterbringung“ _____________________________________ 46 7.1.2 Kategorie „Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung“ ____________________________ 47 7.1.3 Kategorie „Verhältnis zum Kind“ __________________________________________________ 50 7.1.4 Kategorie „Verhältnis zu den Pflegeeltern“__________________________________________ 54 7.1.5 Kategorie „Enttäuschungen, Versagen von sozialstaatlichen Einrichtungen“ ____________ 57 7.1.6 Kategorie „Positive Erfahrungen mit sozialstaatlichen Einrichtungen“ __________________ 59 7.2 Die Forschungsfragen – eine Suche nach Antworten ______________________ 61 7.2.1 „Was bedeutet eine Fremdunterbringung für die eigene Lebensgeschichte von Herkunftseltern?“ _______________________________________________________________ 61 7.2.2 „Was hilft dabei, die Fremdunterbringung als abgebende Eltern annehmen zu können?“ __ 65 7.3 Erstellung von Thesen __________________________________________________ 69 8 Schlussbemerkung __________________________________________ 74 9 Literaturverzeichnis _________________________________________ 75 Anhang: Transkriptionsregeln Vollständiges Interview Interview in kategorisierter Form Sozialdatenblatt Elternbrief 6 1 Einleitung Die vorliegende Diplomarbeit „Eltern ohne Kinder – eine empirische Studie zu Bewältigungsformen bei der Unterbringung in einer Pflegefamilie“ beschäftigt sich mit der Perspektive von Herkunftseltern innerhalb einer Jugendhilfemaßnahme nach SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, §33 Vollzeitpflege: „Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen.“ Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Untersuchung der Bewältigungsstrategien von Herkunftseltern bei der Fremdunterbringung ihrer Kinder in einer Pflegefamilie. Sie soll aufzeigen und erklären, wie sich Herkunftseltern in einem Pflegeverhältnis ihrer Kinder fühlen und welche Verhaltenskonsequenzen sich daraus im Einzelnen ergeben können. Sie soll auf soziale Wirklichkeit aufmerksam machen, Sinnhaftigkeiten dechiffrieren und somit dem Verstehen anbieten. Verhalten erklärbar zu machen, stellt an die fachliche Diskussion der Sozialpädagogik und Sozialarbeit die Herausforderung, Strukturen und Konzeptionen zu entwickeln, die konstruktives Verhalten fördern und destruktives Verhalten bei allen Beteiligten minimieren. Was aber ist konstruktives beziehungsweise destruktives Verhalten in einem Hilfeprozess, der hier als Jugendhilfemaßnahme benannt ist? Wie können so unterschiedliche Positionen, Rollen und Perspektiven, wie sie in einem „Pflegefamilienarrangement" vorhanden sind, positiv zusammenwirken? Um deutlich zu machen, wie diskrepant die jeweilige persönliche Betroffenheit aller am Pflegeprozess Beteiligten sein kann, biete ich im ersten Teil meiner Diplomarbeit einen kurzen Einblick in die jeweiligen Perspektiven der Betroffenen. 7 Die Perspektive des Jugendamtes kommt an dieser Stelle bewusst nicht zur Sprache, da keine persönliche, über den professionellen Rahmen hinausgehende Betroffenheit vorliegt. Im Anschluss daran werde ich meinen Blick ausschließlich der Perspektive von Herkunftseltern widmen, da deren Sinnzusammenhänge und Bewältigungsstrategien bisher zu wenig Beachtung finden. Die Motivation, am Ende eines Studiums an dieser Stelle zu forschen, liegt zum einen an meinem bisherigen beruflichen Hintergrund und Erfahrungsschatz, zum anderen an den konstruktiven fachlichen Anregungen und Auseinandersetzungen innerhalb des Studiums und entsprechender Veranstaltungen. Im Rahmen meiner bisher zwölfjährigen Tätigkeit im Albert-Schweitzer-Kinderdorf innerhalb der Familiengruppenarbeit konnte ich sehr positive Erfahrungen mit einer von grundsätzlicher Achtung und Annahme geprägten Elternarbeit machen, die meine fachlichen Vorstellungen nachhaltig beeinflusst haben. Zu erleben, dass Elternarbeit zwischen biologischen und sozialen Eltern funktionieren kann, und Kinder beziehungsweise Jugendliche dadurch stark entlastet werden, war eine bereichernde Erfahrung in meinem beruflichen Horizont. Darüber hinaus während des Studiums in einen fachlichen Diskurs einzutauchen, der diese Praxiserfahrungen „untermauert“ und bestätigt, gaben zu Genüge Anlass, das Thema in einer Diplomarbeit zu vertiefen. Die vorliegende Forschungsarbeit, die anhand einer retrospektiven Betrachtung eines Fremdunterbringungsprozesses vom besonderen Einzelfall auf allgemeine Problemstellungen im Untersuchungskontext schließen möchte, setzt ihren Schwerpunkt auf das empirische Material und dessen Interpretation und Analyse. Sie behandelt deshalb entsprechende Literatur zum Thema nur marginal und als Affirmation im Bereich der Interpretation und Thesenbildung. Den Aussagen und somit subjektiven Erklärungsmustern und Sinnzusammenhängen einer betroffenen Mutter und entsprechenden Expertin soll in besonderer Weise Raum und Bedeutung zukommen. Vielleicht kann diese Arbeit einen Teil dazu beitragen, den eklatanten Mangel an empirischer Forschung im Hinblick auf Herkunftseltern in der Kinder- und Jugend- 8 hilfe ein wenig zu verringern und die fachliche und öffentliche Diskussion auf Wünsche und Bedürfnisse von Herkunftseltern aufmerksam zu machen, um die Praxis zum Wohle aller Beteiligten zu gestalten. 9 2 Das Konzept Pflegefamilie 2.1 Pflegefamilien als Jugendhilfemaßnahmen Die Formenvielfalt im Pflegekinderwesen, die von zeitlich befristeten Maßnahmen über auf Kontinuität angelegte Tagespflegemodelle bis hin zur Dauerpflege reichen, stellen ein umfangreiches Repertoire an Betreuungsformen dar. In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit Hilfen zur Erziehung, die in Vollzeit und auf Dauer angelegt sind. Rechtliche Grundlage bildet, wie schon unter Punkt 1 zitiert, das Sozialgesetzbuch VIII, Kinder- und Jugendhilfegesetz, §33 Vollzeitpflege. Der Gesetzgeber bietet darin die gesetzliche Grundlage für einen Sozialisationsort, an dem ein Pflegekind einen festen Betreuungsplatz erhält, der je nach Bedarf und Konzeption sein Herkunftssystem ergänzt oder ersetzt. Diese Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege wird nötig, wenn das Herkunftssystem keine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen angemessene Erziehung gewährleisten kann. Die Gründe hierfür sind sehr vielschichtig und individuell. Die auf Dauer angelegte Vollzeitpflege verlagert den Lebensmittelpunkt und Sozialisationsort eines Kindes in eine der Gesellschaft angepasste Form des Zusammenlebens. Der psychologische Familienbegriff umschreibt, welche Formen des Zusammenlebens hier gemeint sind. „Eine Gruppe von Menschen, die durch nahe und dauerhafte Beziehungen miteinander verbunden sind, die sich auf eine nachfolgende Generation hin orientiert und die einen erzieherischen und sozialisatorischen Kontext für die Entwicklung der Mitglieder bereitstellt.“ (Hofer, 2002, S. 6) Diese Definition von Familie ist auch auf das Modell „Pflegefamilie“ zutreffend und übertragbar. Die Verlagerung des Lebensmittelpunktes eines Pflegekindes kann bis zur Verselbständigung angedacht sein. Eine vorzeitige Rückführung in sein Herkunftssystem bei Verbesserung der Erziehungsbedingungen ist auch in der Gesetzesgrundlage berücksichtigt. Die mit der Erziehung des Kindes in einer Pflegefamilie beauftragten Erwachsenen gelten als „Pflegepersonen“ oder so genannte soziale Eltern. 10 §36 Mitwirkung, Hilfeplan im SGB VIII bildet die Grundlage für eine Einbeziehung aller am Hilfeprozess Beteiligten und der Mitbestimmung der Hilfebedürftigen. Die Erstellung des Hilfeplanes soll mit allen Beteiligten beziehungsweise Betroffenen abgestimmt und erarbeitet werden. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz hat 1990/91 das damalige Jugendwohlfahrtsgesetz abgelöst und damit einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Die Träger der Jugendhilfe verstanden sich unter den Gesetzen des Jugendwohlfahrtsgesetzes primär als Eingriffsbehörde mit Kontroll- und Ordnungsfunktionen. Die so genannten Maßnahmegesetze wurden dann 1990/91 durch Hilfsangebote und Unterstützungsleistungen verändert und erweitert und somit einer neuen Fachlichkeit angepasst, die den Eltern einen Rechtsanspruch einräumten, Leistungen freiwillig in Anspruch zu nehmen. Das Hilfsangebot wurde vor allem durch familienunterstützende Hilfen erweitert. So fügt sich auch das Angebot einer dauerhaften Pflege in familialen Strukturen in dieses neue Konzept mit ein. Dennoch erleben Herkunftseltern die Einleitung einer Fremdunterbringung durch das Jugendamt überwiegend als ein gegen sie gerichtetes Handeln, das sie kaum beeinflussen können. Diese Ausgangslage zu verändern und in ein konstruktives Miteinander umzugestalten, ist wohl eine der größten Herausforderungen in der Kinder- und Jugendhilfe aus sozialpädagogischer Perspektive. 2.2 Entstehungsgeschichte der öffentlichen Erziehung Die Unterbringungspraxis heimatloser Kinder beinhaltete von jeher ein breites Spektrum von erschreckenden Maßnahmen bis zu durchaus tolerierbaren Formen der Betreuung. Während es beispielsweise in der Antike legitim war, Kinder umzubringen oder auch in späterer Zeit die Prostitution und andere Arbeitsdienste für sie in Betracht zu ziehen, löst diese Tatsache heute Entsetzen bei uns aus. Die Ausnutzung der kindlichen Arbeitskraft geschah jedoch nicht nur in privaten Konstellationen, wie in Adelsfamilien oder bäuerlichen Strukturen, sondern auch innerhalb späterer Heimkonstellationen. 11 Wenn ich an dieser Stelle die Entwicklung der Erziehungshilfen in Deutschland kurz skizziere, dann beginnt meine Retrospektive bei den ersten organisierten und systematischen Netzwerken für Waisenkinder. Aufgrund der teilweise katastrophalen und desolaten Umstände für Waisenkinder nahmen sich Kirchen dieser Situation an. Klöster boten Kindern Aufnahme und es entstanden erste Institutionen wie so genannte Findelhäuser. Die Ausstattung dieser Einrichtungen war sehr schlecht, was eine hohe Sterberate der Kinder zur Folge hatte. Die ersten Einrichtungen öffentlicher Erziehung stellten kommunale Waisenhäuser dar, die den Stadtbürgern eine Versorgung ihrer Kinder bei frühzeitigem Ableben der Eltern gewährleisteten. Versorgung und Aufsicht waren Hauptaufgaben solcher Einrichtungen, ein Erziehungsauftrag bestand damals nicht. Die teilweise sehr undurchsichtigen und unbefriedigenden Umstände, in denen Kinder fremdbetreut wurden und die oft in Verbindung mit der Ausnutzung kindlicher Arbeitskraft standen, förderten den Wunsch nach Modifikation und öffentlicher Kontrolle. Die Motivation zur Veränderung war jedoch auch von eigennützigen Motiven geprägt. Der Preußische Staat beispielsweise machte sich Sorgen um die Ausbeutung kindlicher Arbeitskräfte in familialen sowie industriellen Strukturen, da die spätere Verwendung und Verfügbarkeit in der Armee dadurch beeinträchtigt wurde. Kinder und Jugendliche waren nach einer Unterbringung mit gekoppeltem Arbeitseinsatz häufig „verbraucht“ und somit militärisch „unbrauchbar“. Ein Verbot der Kinderarbeit wurde ausgesprochen. Die Waisenhäuser mussten sich demzufolge oft dem Vorwurf stellen, Kinder auszubeuten. Im Rahmen des so genannten „Waisenhausstreites“ Ende des 18. Jahrhunderts wurden vor allem mangelnde pädagogische und medizinische Betreuung sowie harte Strafen und Ausbeutung der kindlichen Arbeitskraft kritisiert. Eine Schließung der Waisenhäuser und die entsprechende Umstellung auf Familienpflege, besonders in bäuerlichen Strukturen, war die Folge der öffentlichen Auseinandersetzung. Allerdings zeigte die Erfahrung, dass auch Kinder in familialen Pflegestellen nicht vor Ausbeutung und Misshandlung geschützt waren. Kontrollmöglichkeiten in Waisenhäusern schienen besser umsetzbar als in Familiensystemen. Neben neu 12 entstandenen Waisenhäusern gründeten katholische und evangelische Vereine im 19. Jahrhundert so genannte „Rettungs- und Erziehungsanstalten“. Auch verwahrloste und kriminell gewordene Kinder und Jugendliche fanden hier Aufnahme. Rechtliche Basis für solche unter Umständen zwangsweisen Unterbringungen in diesen Besserungsanstalten war das „Zwangserziehungsgesetz“ von 1878. Eine Straftat des Kindes musste dieser Maßnahme vorausgehen. Mit Inkrafttreten des „Fürsorgeerziehungsgesetzes“ von 1900 wurde die Möglichkeit geschaffen, auch bei Kindesvernachlässigung oder -misshandlung einzugreifen und Schutz zu gewähren. Erstmals wurden Kinderschutz und -kontrolle zusammengefasst. Die rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichten eine Unterbringung in Waisenhäusern, Erziehungsanstalten und geeigneten Familien. Das erste Jugendamt zur Kontrolle der fremduntergebrachten Kinder entstand 1910 in Hamburg. Auch die „Zieh- und Kostkinder“ in Pflegefamilien wurden von diesen Institutionen überwacht. Die Verbreitung dieser Kontrollfunktion durch die Jugendämter sowie deren genaue Aufgaben regelte das „Reichsjugendwohlfahrtsgesetz“ von 1922/24. Die Qualität der Unterbringungsformen bot jedoch immer wieder neuen Anlass zur Diskussion und auch Modifikation. Die Hospitalismusforschung von Renée Spitz beispielsweise machte deutlich, dass ein direkter Zusammenhang zwischen gesunder Entwicklung und Emotionalität bestand. Er wies aufgrund seiner Beobachtungen darauf hin, dass Kleinkinder, die ihr erstes Lebensjahr in Heimen verbringen und dort nicht angemessen betreut werden, Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die im direkten Zusammenhang mit fehlender emotionaler Zuwendung und Interaktion mit einer konstanten Bezugsperson stehen. Die Frage nach angemessener Kompensation sowie der Abwägung zwischen Heimerziehung und Familienpflege beschäftigte immer wieder den fachlichen Diskurs. Die Studentenbewegung der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hatte zudem zur Folge, dass autoritäre und repressive Erziehungsstile sowohl im familialen als auch institutionellen Rahmen kritisch hinterfragt wurden. Alternative Betreuungsformen wie Kleinstheime und Wohngruppen entstanden, Erziehungsberatung und sozialpädagogische Familienhilfe wurden ausgebaut. Diese Reformen fanden dann im Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1991 ihre rechtliche 13 Grundlage. Der Begriff der „Lebensweltorientierung“ und somit größerer Nähe zum Klienten der sozialen Arbeit entstand. Eine Orientierung an den Ressourcen und entsprechender Einbeziehung der Betroffenen fand Einzug in die konzeptionellen Ansätze der Jugendhilfe. In diesem Zusammenhang veränderte sich auch die Rolle der Herkunftseltern in einem Hilfeprozess zugunsten von Einbeziehung, Beratung und Beteiligung. Ein stärkerer Ausbau ambulanter Maßnahmen zur Verhinderung einer Fremdunterbringung begann, und die Bedeutung familialer Bindungen rückte mehr und mehr in den Mittelpunkt der Hilfeplanung. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) versteht sich als Leistungsangebot der öffentlichen Jugendhilfe, über das Eltern als Leistungsempfänger freiwillig entscheiden können. Eingeschränkt werden diese elterlichen Rechte nur bei Gefahr des Kindeswohles. Der Spagat zwischen Dienstleistung und Kontrolle reicht dabei von familienunterstützenden Hilfen und Beratungsangeboten bis zum Entzug der elterlichen Sorge. Doch auch bei staatlichem Eingreifen in die elterlichen Rechte regelt das KJHG die Beratung und Mitbestimmung von Eltern und Kindern bei der Auswahl von Hilfeleistungen und entsprechender Einrichtungen. Dieser oft als „Neue Fachlichkeit“ bezeichnete Ansatz in der Kinder- und Jugendhilfe, der eine aktive Beteiligung der Betroffenen fordert, setzt das Verstehen der Sinnzusammenhänge von Klienten voraus. So auch der abgebenden Eltern und deren Biografiezusammenhängen. Inwieweit Herkunftseltern im historischen Rückblick des Themas „Fremdunterbringung“ Rollenzuschreibungen erfuhren, ist wenig bekannt und dokumentiert. Seit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist ihre Elternrolle jedoch auch während einer Fremdunterbringung rechtlich anerkannt. 2.3 Pflegefamilien aus der Perspektive des Kindes – ein Erklärungsversuch Am Anfang einer Fremdunterbringung steht für alle Beteiligten eine Krise. Aus der Sicht des Kindes bedeutet dies den Verlust aller Sicherheiten seines bisherigen Lebenskontextes. Sie offenbart, dass seine Lebens- und Entwicklungsbedürfnisse in der Herkunftsfamilie nicht gewahrt werden konnten und demzufolge eine 14 Fremdunterbringung den Sozialisationskontext völlig verändert. Das grundsätzliche Bedürfnis eines Kindes, bei seinen leiblichen Eltern aufzuwachsen, ist damit verletzt. Die Verletzungen körperlicher und/oder seelischer Art, die einer Fremdunterbringung oft voraus gehen, kommen in individuellem Umfang dazu. Die Kinder oder Jugendlichen kommen als Fremde in ein bestehendes soziales System, das der Pflegefamilie, welches sich in der Regel sehr stark von ihrem bisherigen sozialen Umfeld unterscheidet. Sie sind belastet mit Gefühlen über die Fremdplatzierung und deren Gründe, und unsicher über ihre Zukunft und den anstehenden und nötigen Integrationsprozess. Sie brauchen Zeit und Raum zur Realisierung der neuen Situation, Möglichkeiten der Aufarbeitung traumatischer Ereignisse und dementsprechend Beziehungsangebote, die sich ihnen nicht aufdrängen aber als verlässliche und wohlwollende Option zur Verfügung stehen. Ihre widersprüchlichen Gefühle bezüglich der Fremdunterbringung benötigen Akzeptanz. Unter Umständen sind eigene Schuldgefühle vorhanden. Einerseits sollen und wollen sie vielleicht auch positive Zugehörigkeitsgefühle entwickeln, andererseits können auch bedeutsame und starke Gefühle zur Herkunftsfamilie bestehen, die Raum und Anerkennung benötigen, damit keine Loyalitätskonflikte vorprogrammiert werden. Die Kinder und Jugendlichen sind entwurzelt und meist mit großen Unsicherheiten über ihre weiteren Zukunftsperspektiven konfrontiert. Sie sind nun Kinder mit biologischen und sozialen Eltern, vielleicht auch leiblichen Geschwistern und Pflegegeschwistern innerhalb der Pflegefamilie. Die Welt ist „aus den Fugen geraten“. Diese sozialen Realitäten sind auch innerhalb der Gesellschaft nicht immer akzeptiert und oft mit sozialen Sanktionen belegt. Der mit der Fremdunterbringung häufig einhergehende Ortswechsel und die damit verbundene Neuorientierung auch im Schul- und Freundschaftssystem eines Kindes erfordern Bereitschaft zur Flexibilität und Anpassungsleistungen. Trauer und Wut sowie Versuche von Schuldzuweisungen und Erklärungsfantasien im Hinblick auf die Fremdunterbringung gehören zur Aufarbeitung der Situation von Pflegekindern. Wenn sie in dieser „Multiproblemlage“ imstande sind, sich positiv und konstruktiv mit ihrer neuen Lebenssituation zu arrangieren, was in der Regel von ihnen erwartet wird, haben sie eine enorme Leistung für sich erbracht. Oft fordert diese 15 Lebensaufgabe so viel Energie und Anstrengung, dass weitere gesellschaftliche Anforderungen, wie beispielsweise der Schulbesuch, nur mit einem minimalen Standard aufrechterhalten werden können. Pflegefamilien müssen demzufolge aus der Perspektive des Kindes Orte sein, an denen Heilung möglich ist. Orte, die es dem Kind oder Jugendlichen im Rahmen seiner derzeitigen Möglichkeiten erlauben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie müssen jedoch auch Orte des Rückzuges sein, die ein Innehalten ermöglichen, wenn dies die Aufarbeitung der Situation erfordert. Sie sollen Perspektiven für Beziehungen eröffnen, jedoch auch achtsam mit der Vergangenheit und dementsprechenden Bezügen umgehen. Pflegefamilien sollen Kinder und Jugendliche mit all ihrer Verletzbarkeit, ihren ganz eigenen Sinnhaftigkeiten und Überlebensstrategien annehmen und beim dechiffrieren von „veralteten“ Handlungsmustern behilflich sein. 2.4 Pflegefamilien aus der Perspektive der Pflegeeltern – ein Erklärungsversuch Wenn durch das Zustandekommen eines Pflegeverhältnisses zwei Familien miteinander in Beziehung treten, tragen sicher die Pflegeeltern den „Löwenanteil“ an Verarbeitungs- und Bewältigungsaufgaben in der für alle Beteiligten krisenhaften Situation. Sie müssen sich sorgend und einfühlsam dem Kind und seinen traumatischen Erfahrungen widmen und den nötigen Integrationsprozess einleiten. Auch die Umstrukturierung ihres bisherigen sozialen Systems, also der herkömmlichen Familiensituation, gilt es zu bewältigen. Neue Rollen und Aufgaben stehen zur Übernahme an, und das ursprüngliche Familiensystem, das in privater und spontaner Form agierte, ist jetzt öffentlich geworden. Jürgen Blandow (1972) spricht hier von Rollendiskrepanzen, die in Pflegefamilien zu bewältigen sind. Der Verlust von Natürlichkeit hin zu einer öffentlich kontrollierten Institution ist für alle Familienmitglieder spürbar. Die Pflegeeltern übernehmen eine öffentliche Aufgabe und werden soziale Eltern – neben ihrer eventuellen biologischen Elternschaft zu eigenen Kindern eine bedeutsame Rollenerweiterung. 16 Diese soziale Elternschaft verlangt von ihnen ein hohes Maß an Verantwortung, eigene emotionale Beteiligung und in der Regel eine Unberechenbarkeit des zeitlichen und inhaltlichen Verlaufes der Hilfemaßnahme. Diese Anforderungen finden in ihrem privaten sozialen System statt und ermöglichen in der Regel wenig „Auszeiten“. Die Pflegeeltern sollen als warme und offene Persönlichkeiten dem Pflegekind gegenübertreten und ihr Familienleben für dieses Kind öffnen. Pflegeeltern bieten demnach einem in der Regel sehr stark problembeladenen und unter Umständen traumatisierten Kind einen Sozialisationsort, der Raum, Zeit und die nötige Emotionalität bereithält, um neue Entwicklungschancen freizusetzen. Sie bieten einem Kind Wertschätzung und Empathie und ermöglichen ihm somit eine Aufarbeitung seiner bisherigen Geschichte. Pflegeeltern öffnen damit aber auch ihr soziales System für die Herkunftseltern eines Kindes. Sie gehören zur Geschichte eines Pflegekindes und fordern Auseinandersetzung. Unabhängig vom konzeptionellen Ansatz einer Pflegefamilie und deren Rollenverständnis sind die Herkunftseltern eines Kindes vorhanden. Das strukturelle Merkmal „doppelte Elternschaft“ ist nicht aufzulösen. Es muss also ein Rollenverständnis entwickelt werden, das sich im Alltag bewähren kann. Das Kind wird diese Auseinandersetzung einfordern, aber auch die Herkunftseltern streben in der Regel eine Beteiligung am Pflegeverhältnis an. Es ist also Brückenbau und Verständigung notwendig, um der Gefahr eines pathogenen Beziehungsdreiecks weitgehend vorzubeugen. Pflegeeltern sind also an vielen Stellen gefordert, das Pflegeverhältnis zu gestalten, und sie benötigen eine große Toleranz gegenüber Widersprüchen, um diese Schwierigkeiten zu bewältigen. Oft sind sie mit diesen vielfältigen und schwierigen Aufgaben auf sich selbst gestellt und können nur auf wenige Unterstützungsangebote zurückgreifen. Auch gesellschaftliche Ansprüche fordern ihren Tribut, wenn soziale Unangepasstheit oder Schulschwierigkeiten der Pflegekinder bearbeitet werden müssen. Sind im System „Pflegefamilie“ auch eigene Kinder vorhanden, was in der Regel häufig der Fall ist, müssen auch damit einhergehende Anforderungen und Probleme gelöst werden. 17 Ein hohes Maß an Achtung und Anerkennung sowie ein umfassendes Beratungsund Unterstützungsangebot ist deshalb für Pflegeeltern notwendig, um ihren komplexen gesellschaftlichen Auftrag auch befriedigend ausführen zu können. 2.5 Pflegefamilien aus der Perspektive der Herkunftseltern – ein Erklärungsversuch Die Herausnahme eines Kindes aus seiner Herkunftsfamilie ist nicht nur für das betroffene Kind ein traumatisches Ereignis, sondern auch für dessen Herkunftseltern. Die Trennung vom Kind stellt in der Regel einen emotionalen Ausnahmezustand für die Herkunftseltern dar, der eine ganze Bandbreite an Emotionen auslöst. Der Schmerz über die Trennung von ihrem Kind und das damit einstürzende Lebensmodell lösen Gefühle von Ohnmacht und Entmündigung aus. Die Gefühlsbewältigung hat oft zur Folge, dass Herkunftseltern mit Wut und Aggression reagieren und ihre emotionale Befindlichkeit außer Kontrolle gerät. Häufig werden Kinder und Jugendliche zwangsweise aus ihren bisherigen Familiensystemen herausgenommen, eine Einwilligung zur Fremdunterbringung von Seiten der Herkunftseltern findet selten statt. Eine so genannte Inobhutnahme oder Herausnahme bildet die rechtliche Grundlage, wenn das Wohl des Kindes in seinen familialen Bezügen gefährdet ist. Diese Maßnahme wird leider oft ohne vorherige Vorbereitung durchgeführt, eine Nachbetreuung für Herkunftseltern findet so gut wie nie statt. Die betroffenen Eltern sind also bei der Verarbeitung dieses einschneidenden Ereignisses und der entsprechenden Trauerarbeit auf sich selbst gestellt. Gefühle des Versagens und damit einhergehende Resignation überwältigen die Herkunftseltern. Häufig wird durch die Herausnahme eines oder mehrerer Kinder die „Restfamilie“ zusätzlich destabilisiert. Bereits vorhandene destruktive Faktoren wie beispielsweise Drogenabhängigkeit oder psychische Erkrankungen werden potenziert. Herkunftseltern konnten ihren „Elternauftrag“ nicht erfüllen und fühlen sich deshalb bei dieser zentralen gesellschaftlichen Aufgabe als „Versager“. Sie werden häufig durch soziale Sanktionen belegt und als „Eltern ohne Kinder“ diskriminiert. Bei einer Unterbringung in einer Pflegefamilie kann der Schmerz über die Trennung vom Kind zu Eifersuchtsgefühlen bei den Herkunftseltern führen. Sie 18 erleben die Pflegefamilie als starke Konkurrenz zu ihrer bisherigen Elternrolle und fürchten einen völligen Bindungsverlust. Manche Herkunftseltern können deshalb einer Heimunterbringung eher zustimmen, weil kein neues Familiensystem an ihre Stelle tritt. Herkunftseltern erleben in diesem Zusammenhang Pflegefamilien oft als den „verlängerten Arm des Gesetzes“. Sie reagieren dann entweder mit destruktivem Verhalten oder mit völligem Rückzug. Sie benötigen in dieser schwierigen Situation dringend Unterstützung und Hilfe. Eine konstruktive Umstrukturierung ihrer Elternrolle auch innerhalb eines Pflegeverhältnisses kann ihnen helfen, das Scheitern anzunehmen und eine neue Rolle in der Eltern-Kind-Beziehung zu finden. Viele Herkunftseltern können auch positive Aspekte bei der Unterbringung ihrer Kinder in Pflegefamilien sehen, werden aber oft von ihren Eifersuchtsgefühlen überwältigt. Sie empfinden nach wie vor Verantwortung, Liebe und Zuneigung für ihre Kinder, bemühen sich um Umstrukturierung ihrer bisherigen Lebensverhältnisse, stoßen aber sehr schnell an die Grenzen ihrer oft eingeschränkten Möglichkeiten. Diese von vielen als „Teufelskreis“ empfundene Situation führt dann oft zu destruktiven Handlungsmustern bezüglich der Fremdunterbringung ihrer Kinder. Sie fühlen sich als „Verlierer“ und müssen häufig auch in ihrem sozial-räumlichen Milieu mit deprivierten Bedingungen auskommen. Ihr sozialer Status innerhalb der Gesellschaft unterscheidet sie im Vergleich zu Pflegefamilien durch unzureichende soziale und wirtschaftliche Voraussetzungen. Auch hier kann eine Konkurrenzsituation im Vergleich zur Pflegefamilie auftreten. Ihre eigene Lebensgeschichte ist in der Regel mit Entbehrungen und eigenen schwierigen Kindheitsbedingungen verknüpft. Sie wünschen sich Wertschätzung und Anerkennung ihrer Elternrolle trotz Fremdunterbringung sowie häufigen Kontakt zu ihren Kindern. Der Wunsch einer Rückführung wird zwar auch immer wieder benannt, aber häufig an den tatsächlichen Bedingungen korrigiert. Eine gesellschaftliche Anerkennung und Ambiguitätstoleranz bezüglich der sozialen Realitäten und ein erweiterter Fokus auf soziale Zusammenhänge und Ursachen würde dem Lebensgefühl von Herkunftseltern zugute kommen und letztlich allen Beteiligten eines Pflegeverhältnisses entgegenkommen. 19 3. Methodisches Vorgehen 3.1 Forschungsinteresse Wie bereits in meiner Einleitung zu dieser Arbeit dokumentiert, ist mein beruflicher Hintergrund in der Arbeit mit fremduntergebrachten Kindern und der entsprechenden Elternarbeit verwurzelt. Meine Perspektive darin war bisher die der sozialen Eltern in einem Pflegeprozess – also sehr stark angelehnt an die Rolle der „Pflegeeltern-Position“ in Pflegeverhältnissen nach SGB VIII, §33. Im Rahmen meines Forschungsvorhabens eine Außenperspektive einzunehmen, in der Untersuchungseinheit also Unbeteiligter zu sein und bewusst die Perspektive der abgebenden Eltern in den Vordergrund zu stellen, erschien mir eine trotz des Erfahrungshintergrundes spannende Aufgabe. Ich wollte einerseits meine Sensibilität und mein Erfahrungswissen einbringen, andererseits meine Sichtweise so weit als möglich zurückstellen und mich auf die Perspektive der biologischen Eltern einlassen. Da eine intersubjektive Nachprüfbarkeit bei mündlich-persönlichen Interviews nicht wirklich gegeben und der Einfluss des Interviewers letztlich nicht zu kontrollieren ist, nehme ich meine bisherige Überschneidung zum Untersuchungsgegenstand als Möglichkeit, im Rahmen des narrativen Interviews, welches meine Untersuchungsmethode darstellt, ein entsprechendes Vorwissen in die offene und nicht standardisierte Interviewsituation einzubringen. Mein Forschungsinteresse gilt demnach der Kompetenz und dem Erfahrungswissen von Herkunftseltern. Ihre retrospektive Interpretation soll das soziale System mit seinen Sinnzusammenhängen und entsprechenden Handlungsschemata erläutern und die Dynamik für das soziale Feld offenbaren. Anhand der Bewältigungsstrategien von Herkunftseltern, der Art und Weise mit diesem Umstand zu leben, sollen Zusammenhänge deutlich werden, die uns entweder veranlassen, konzeptionelle Strukturen beizubehalten oder bei Bedarf auch entsprechend an das soziale System anzupassen. Im Einzelnen möchte ich herausfinden, welche Bedürfnisse und Wünsche vorhanden sind, und mit den tatsächlichen Erfahrungen und Bedingungen vergleichen. Zu diesem Zweck habe ich abgebende Eltern in Form eines narrativen Interviews befragt, deren Kinder dauerhaft in einer Pflegefamilie leben. Wie im Laufe meines 20 Arbeitsberichtes deutlich wird, hat ein geführtes Interview meine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht. Anhand dieses Interviews und der entsprechenden Analyse möchte ich in explorierender und induktiver Weise verdeutlichen, welche Bedürfnislage und damit einhergehende soziale Dynamik in Pflegeverhältnissen bedeutsam sein kann. Ich möchte die gesammelten Informationen mit der momentanen fachlichen Diskussion vergleichen und darüber hinaus zu konzeptionellen Konsequenzen anregen. 3.2 Qualitative Sozialforschung „Qualitative Forschung widmet sich der Untersuchung der sinnhaften Strukturierung von Ausdrucksformen sozialer Prozesse. Es geht also darum zu verstehen, was Menschen in einem sozialen Kontext dazu bringt, in einer bestimmten Weise zu handeln, welche Dynamik dieses Handeln im sozialen Umfeld auslöst und wie diese auf die Handlungsweisen zurückwirkt.“ (Froschauer und Lueger 2003, S. 17) Diese Beschreibung qualitativer Forschungsinteressen macht in wenigen Sätzen deutlich, um was es geht. Es geht um die Erfassung sozialer Wirklichkeit, deren Sinnhaftigkeit und Wechselwirkung auf das soziale System. Diese im sozialen Kontext produzierte Sinnhaftigkeit hervorzubringen und sie durch Analyse dem Verstehen zugänglich zu machen, ist Aufgabe der Qualitativen Sozialforschung. Die Sozialwissenschaften öffnen sich in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend qualitativ orientierten Ansätzen. Neben dem Hauptinteresse der Soziologie und Erziehungswissenschaften entdeckt auch die Psychologie die qualitative Forschung für ihr Fachgebiet und räumt gegenüber der quantitativen Forschung durchaus Vorteile und Einsatzmöglichkeiten ein. Vorbehalte gegenüber der qualitativen Forschung sind vor allem in den klassischen Gütekriterien wie Objektivität und Reliabilität zu suchen. Eine unzureichende Generalisierung der Ergebnisse oder die mangelnde intersubjektive Nachvollziehbarkeit gehören ebenso zu den Kritikpunkten. Als Ansatzpunkt der Qualitativen Sozialforschung gilt an dieser Stelle beispielsweise Subjektivität mit zum Forschungsgegenstand zu erheben. Eine Analyse der eigenen Vorannahmen kann also auch Teil der Untersuchung sein. 21 Innerhalb der Methodendiskussion findet derzeit konstruktive Annäherung der quantitativen und qualitativen Forschung statt, die sich durchaus ergänzen und bereichern kann. Eine strikte Abgrenzung voneinander wird mittlerweile als unsinnig erachtet. Die Qualitative Sozialforschung zeichnet sich durch eine umfassende Methodenvielfalt aus, deren Königsweg das Interview darstellt. Es nimmt sowohl in der quantitativen als auch in der qualitativen Forschung eine herausragende Position ein. In der qualitativen Forschung möchte man über mündlich-persönliche Interviews Zugang zur sozialen Welt der Befragten erhalten. Es geht hierbei um die Exploration von Sachverhalten und Sinnzusammenhängen in sozialen Systemen. Die Befragten werden an dieser Stelle zu Experten des Forschungsgegenstandes. In der Regel werden Einzelbefragungen durchgeführt, aber auch Gruppeninterviews sind möglich. Es sind nicht-standardisierte Interviews mit offenen Fragen und einer non-direktiven Gesprächsführung. Ein entsprechendes Vertrauensverhältnis bildet die Basis für ein positives Forschungsklima. Eine Vielzahl von Techniken der Interviewdurchführung steht zur Verfügung, von denen das narrative Interview einen Teil dieses Angebotes darstellt. 3.3 Das narrative Interview Um mein Forschungsinteresse umzusetzen, wählte ich das narrative Interview als Erhebungsform aus. Es ist, wie bereits erwähnt, innerhalb der qualitativen Sozialforschung als eine Form des qualitativen Interviews zu betrachten und wurde in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts von F. Schütze entwickelt. Seine Entstehungsgeschichte kann nicht als Erweiterung der Methoden der Qualitativen Sozialforschung verstanden werden, sondern vielmehr als eine Verknüpfung von dem Interesse an Erzählung und den formalen Merkmalen dieser Art von Kommunikation, „ ... also darauf wie sie ihre Geschichte erzählten .“ (Schütze 1976) Schütze sah einen direkten Zusammenhang zwischen der systematischen Fokussierung des „Wie“ einer Erzählung und des daraus resultierenden Verständnisses des „Was“. 1982 machte Schütze in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass der Erzähler so genannten Zugzwängen des Erzählens unterliegt und nicht als autonomer Selbst22 darsteller verstanden werden darf. Es kommt also zu einer realitätsgerechteren Nachbildung früheren Handelns. Man spricht hier auch vom Zugzwang zur Detaillierung. Über die Fokussierung auf den Einzelfall im narrativen Interview erhofft man sich wiederum auch gesellschaftliche Bedeutung. Dieser induktive Forschungsansatz liegt auch meinem Forschungsinteresse zugrunde. Das narrative Interview möchte über sein geschlossenes, rundes und ganzheitliches Bild auf einen Forschungsgegenstand und dessen Bedürfnisse, Zusammenhänge und Wechselwirkungen aufmerksam machen. Es will über die autobiografische Komponente Einblick in soziale Systeme geben. Der Befragte wird an dieser Stelle zum Experten und wird aufgefordert zum Gegenstand zu erzählen. Voraussetzung hierfür ist natürlich eine Erfahrungskompetenz. Wie generell in der Qualitativen Sozialforschung soll die Erhebungssituation möglichst alltagsnah, entspannt und vertraulich sein. Der Interviewstil ist neutral bis weich und non-direktiv. Eine ausreichende Vertrauensgrundlage, die eine Offenlegung von Forschungsmotivation und späterer Verwendung ebenso einschließt wie die Zusicherung von absoluter Vertraulichkeit, ist Standard. Eine weitere Voraussetzung für verlässliche Befunde ist die Empathie des Forschers. Der Forscher nimmt eine zurückhaltende und interessierte Rolle ein, ohne die Interviewsituation deutlich zu beeinflussen. Da im narrativen Interview kein Fragebogen vorliegt, muss der Forscher mit dem Gegenstand der Befragung vertraut sein. Die Interviewsituation ist weder zeitlich noch inhaltlich planbar oder vorhersehbar. Eine flexible Durchführung ohne Zeitdruck ist deshalb notwendig. Die Dauer des Gesprächs kann im Durchschnitt zwei bis sechs Stunden betragen. Die Gestaltung des Interviews hängt im Wesentlichen vom Befragten ab. Seine Erzählungen und Einlassungen prägen die Situation und das Gespräch. Es sind deshalb besondere Anforderungen an die befragte Person gestellt. Die Eigenleistungen sind in den Bereichen Sprachvermögen, Strukturierung und Erinnerungsleistung manifestiert; außerdem natürlich Bereitschaft zur Offenheit und biografischer Selbstdarstellung. 23 Aufgrund der Vielzahl von Informationen ist eine Aufzeichnung des Gesprächs und spätere Transkription erforderlich. Die Struktur eines narrativen Interviews gliedert sich wie folgt: Ist eine ausreichende Vertrauensgrundlage zwischen Forscher und Informant geschaffen, lässt sich der Befragte also auf die Gesprächssituation ein, eröffnet die Erklärungsphase das Interview. Darin wird der Befragte auf die Besonderheiten eines narrativen Interviews hingewiesen und allgemeine und technische Modalitäten werden geklärt. Diese Phase dient auch der Schaffung einer offenen Gesprächssituation. Die erzählgenerierende Eingangsfrage eröffnet dann die narrative Erzählphase. Aufgabe des Forschers ist es dann lediglich, Interaktionsarbeit in Form von Rezeptionssignalen („mmh“, „ja“, lachen, nicken usw.) zu leisten um damit seine Aufmerksamkeit und Beteiligung zu demonstrieren. Nach einem erkennbaren und vom Befragten signalisierten Erzählkoda setzt der narrative Nachfrageteil ein. Der Forscher versucht hierbei mit dem Inhalt und Vokabular des Erzählers einen erneuten Erzählstimulus zu formulieren. Es geht also darum, das Erzählpotential weiter auszuschöpfen, ohne inhaltlichen Einfluss zu nehmen. In der so genannten Bilanzierungsphase können dann Fragen aufgrund der Eigentheorien des Erzählers gestellt werden. Auch unbeantwortete Fragen des Forschers zum Gegenstand können an dieser Stelle benannt werden. Im Anschluss daran endet das narrative Interview. Da das Erzählen immer eine retrospektive Interpretation beinhaltet, ist das narrative Interview besonders gut für die Biografieforschung geeignet. 3.4 Begründung der gewählten Forschungsmethode Qualitative Sozialforschung und speziell die Form des narrativen Interviews scheint mir eine geeignete Art der Forschung in einem sozialen Kontext zu sein, dessen Erkundung zum Ziel hat, individuelles Erleben und Handeln zu dechiffrieren. 24 Ferner empfinde ich einen Forschungsansatz sehr konstruktiv, der Experten von sozialer Wirklichkeit eine Plattform bietet, ihr Wissen verfügbar zu machen. Außenstehenden eröffnet sich am Beispiel abgebender Eltern somit ein Teil von Gesellschaft, deren Blickwinkel bisher nur selten beachtet wurde. Uns als professionellen Helfern in dieser Gesellschaft wird dadurch ermöglicht, die vom gesellschaftlichen System geforderte „Neue Fachlichkeit“ auch umzusetzen. Durch biografisches Fallverstehen innerhalb der sozialen Arbeit kann ein völlig neues Verständnis von sozialen Welten und entsprechender Hilfsperspektiven eröffnet werden. „Schütze und andere haben bereits in früheren Veröffentlichungen für eine Übernahme biografieanalytischer Verfahren durch die sozialpädagogische Praxis plädiert und dies damit begründet, dass es die Praxis permanent mit Biografien und Erleidenskarrieren von Menschen zu tun hat, die es gelte, vor dem Hintergrund der lebensgeschichtlichen Logik des Einzelfalls zu verstehen und zu interpretieren. Mit der biografischen Fallarbeit soll ein Instrumentarium angewendet werden, das Fehlertendenzen im professionellen Handeln auf ein vertretbares Maß reduziert.“ ( Faltermeier 2001, S. 298) Erst durch diese Perspektivenübernahme im Rahmen der qualitativen Sozialforschung wird eine biografische Begleitung von Menschen im Sinne der neuen Fachlichkeit möglich, die von den sozialhelfenden Instanzen fordert, den Sinn- und Relevanzrahmen von Menschen einzubeziehen. Somit erhoffe ich mir über die gewählte Forschungsmethode entsprechende Eindrücke und Erkenntnisse. 25 4 Arbeitsbericht 4.1 Feldzugang und Entstehungsgeschichte einer Einzelfallstudie Mein Forschungsvorhaben in Form von mehreren narrativen Interviews durchzuführen und die Studie somit explorativ und komparativ zu gestalten, erwies sich in der Phase des Feldzuganges schwieriger als angenommen. Meine Vorstellungen bezüglich der Kontaktaufnahme mit möglichen Interviewpartnern sah so aus, dass ein von mir formuliertes Anschreiben (siehe Anhang) mit der Darstellung meines Forschungsinteresses, der Bitte um Telefonkontakt und entsprechender Teilnahme, über ein mit mir kooperierendes Jugendamt an die betroffenen Herkunftseltern weitergeleitet werden sollte. Eine erste Hürde stellten die Amtsstrukturen der Jugendämter, beziehungsweise die Überlastungslage der entsprechenden Fachkräfte des Pflegekinderwesens dar. So erwies sich mein eingeschlagener Weg als äußerst zeitaufwendig und kompliziert. Nach mehreren Telefonkontakten und persönlichen Gesprächen mit zwei in Frage kommenden Jugendämtern etablierte sich eine Kooperation mit dem Jugendamt des Lahn-Dill-Kreises. Die zuständigen Mitarbeiter gaben mein Anschreiben an entsprechende Herkunftseltern weiter, die aus ihrer Sicht für ein solches Interview geeignet wären. Eine Rückmeldung der Herkunftseltern an mich bezüglich der Interviewbereitschaft blieb allerdings aus. Offensichtlich war die Hürde zu groß, mit einer fremden Person in Kontakt zu treten und eine entsprechende Motivation zu entwickeln. Retrospektiv betrachtet ist diese Haltung für mich verständlich und nachvollziehbar. Ein weiterer Kontakt mit den Mitarbeitern des Jugendamtes zur Problematik ergab, dass eine erneute Werbung für mein Anliegen nur über den persönlichen Kontakt zwischen Jugendamtsmitarbeitern und Herkunftseltern stattfinden kann. Aus Datenschutzgründen blieb mir der direkte Kontakt zu diesem Zeitpunkt noch verschlossen. Doch auch diese Vorgehensweise erforderte Geduld, da entsprechende Kapazitäten im Ablauf des Pflegekinderwesens nur in sehr geringem Umfang vorhanden waren. Trotzdem ergaben sich insgesamt vier potentielle Gesprächsangebote. Das erste Interview führte ich mit einer Frau in Rheinland-Pfalz, das zweite mit einer Frau 26 aus Südhessen. Beide Interviews lagen nach erfolgter Transkription zur Analyse bereit und weitere Interviewtermine konnten meinerseits auf den Weg gebracht werden. Mitten in dieser Datenerhebungsphase fiel aber dann die Entscheidung in Richtung Einzelfallstudie. Das Interview aus Südhessen mit Frau Schulze (Name geändert!) ging mir sehr nahe und beschäftigte mich in großem Umfang. Ihre Geschichte und die persönlichen Eindrücke in der Interviewsituation bewegten mich nachhaltig und veranlassten mich, meine ganze Aufmerksamkeit ihrer Erzählung zukommen zu lassen. Das Interview mit Frau Schulze zeichnete sich durch eine besonders offene und sehr differenzierte Haltung ihrerseits aus, die mir einen weiten Blick auf den sozialen Kontext und die damit verbundene Multiproblemlage eines Pflegeverhältnisses verschaffte. Ihre überaus reflektierte Betrachtung, ihre Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und ihre selbstkritische Haltung sowie Kritikfähigkeit am gesamten Hilfearrangement macht das Datenmaterial in seiner Fülle an Aussagen, Wünschen, Emotionen und Visionen aus meiner Sicht zu einer guten Grundlage für eine Einzelfallstudie. 4.2 Intervieweröffnung Nach zwei vorangegangenen Telefonaten über mein Interviewanliegen, organisatorische Fragen und eine sehr unkomplizierte Terminabsprache besuchte ich Frau Schulze in einer Kleinstadt in Südhessen in ihrer Wohngemeinschaft. Frau Schulze öffnete mir die Tür und begrüßte mich freundlich und offen in ihrer Wohnsituation, die sie mit ihrem Lebensgefährten und einem weiteren Mitbewohner und Freund teilt. Beide waren bei meinem Eintreffen noch anwesend, jedoch bereits im Aufbruch, so dass nur eine kurze Überschneidung mit den Mitbewohnern stattfand. Der Hund von Frau Schulze, der mich recht ungestüm begrüßte, schien an einem intensiven Kontakt interessiert zu sein, der jedoch meinerseits nur sehr ungern erwidert wurde. Nach meinem offensichtlichen Unbehagen über die Kontaktaufnahme des Hundes mit mir wurde er in ein benachbartes Zimmer „verbannt“, was mich sehr erleichterte. Glücklicherweise schien dieser Vorfall die Interviewsituation nicht nachhaltig zu belasten. Frau Schulze hatte im gemeinsa27 men Wohnzimmer Kaffee und Kuchen bereitgestellt und sich auf ein längeres Gespräch mit mir eingestellt. Frau Schulze wirkte zu Beginn unseres Gespräches angespannt und etwas unsicher, ließ sich jedoch sehr schnell auf eine offene und mir zugewandte Gesprächssituation ein. Wir unterhielten uns über meine Anreise, und ich begann mit dem Installieren der technischen Voraussetzungen für das Aufzeichnen des Interviews. An dieser Stelle versicherte ich Frau Schulze nochmals die Vertraulichkeit bezüglich ihrer Erzählung und erklärte ihr abermals die Notwendigkeit der Aufzeichnung des Gesprächs. Frau Schulze schien jedoch damit weit weniger Probleme zu haben als ich vermutete. Nach dem Ausfüllen eines Sozialdatenblattes (siehe Anhang) formulierte ich meine erzählgenerierende Frage zur Eröffnung des narrativen Interviews: „Frau Schultze, Ihre drei Kinder leben in einer Pflegefamilie bzw. so, wie ich es jetzt verstanden habe, zwei in der Pflegefamilie, die andere, älteste Tochter ist ja in anderen Jugendhilfemaßnahmen untergebracht. Können Sie mir erzählen, wie es zu der Fremdunterbringung kam und vor allem auch wie Sie mit der Situation leben können?“ (1, 1–4) Die Tatsache, dass die älteste Tochter nicht in einer Pflegefamilie lebt, erfuhr ich erst unmittelbar vor der Intervieweröffnung über das Ausfüllen des Sozialdatenblattes. Frau Schulze begann direkt mit einer sehr flüssigen, gut verständlichen und eigenständigen Erzählung ihrer Lebensgeschichte bezüglich der Fremdunterbringung ihrer Kinder. 4.3 Haupterzählung Frau Schulze stellte in der Haupterzählung und während eines insgesamt gut zweistündigen Interviews in chronologisch sinnvoller Reihenfolge ihre Situation als Mutter von fremdbetreuten Kindern dar und ließ mich in detaillierter Weise an ihrer Lebensgeschichte teilhaben. Die anfängliche Anspannung verschwand relativ schnell zugunsten einer sehr offenen und teilweise intimen Erzählsituation. Eine kurze Unterbrechung im narrativen Hauptteil des Interviews wurde durch ein ankommendes Telefonat herbeigeführt. Eine weitere Unterbrechung forderte der weg gesperrte Hund ein, indem er lautstark auf sich aufmerksam machte. Beide 28 Situationen hatten keineswegs zur Folge, sich der Gesprächssituation zu entziehen und schmälerten auch nicht die Konzentration von Frau Schulze. Nach etwa eineinhalb Stunden narrativer Erzählung bat sie um eine Pause und ein Abschalten des Aufnahmegerätes. „Ja, jetzt hab’ ich wieder so’n, keine Ahnung wie’s ... machen wir mal Pause.“ (14, 3-4) Sie bat mir Kuchen und erneut Kaffee an und schien eine Rückmeldung bezüglich ihrer Erzählung zu erwarten. Insgesamt schien sie etwas erschöpft zu sein, und ihre emotionale Beteiligung an ihrer retrospektiven biografischen Erzählung war ihr während ihrer Ausführungen wie auch in der gewünschten Pause abzuspüren. Ich versuchte an dieser Stelle an bereits getroffene Aussagen anzuknüpfen und Frau Schulze zum Vertiefen ihrer Erzählung zu motivieren, indem ich ihre Haltung bezüglich des Verbleibens der Kinder in den jeweiligen Pflegefamilien ansprach. I: „Sie haben erzählt, dass die Unterbringung von Sonja in der Pflegefamilie mittlerweile für Sie so in Ordnung ist und dass Sie sich auch vorstellen können, dass Sonja dort auf Dauer ihren Lebensmittelpunkt hat. Hab ich das richtig verstanden?“ B: „Ja, ja.“ I: Können Sie mir erzählen, weshalb Sie in dieser Frage für sich diese Position finden konnten, weshalb Sie darüber Ruhe bekommen haben, dass Sonja in dieser Pflegefamilie auf Dauer bleibt? Und was ist der Unterschied zu Anette im Bezug auf eine dauerhafte Perspektive? (14, 10–18) Frau Schulze ging auf mein Nachfragen ein und begann erneut mit einem ausführlichen narrativen Erzählteil. 4.4 Nachfrageteil Nachdem Frau Schulze über einen langen Zeitraum in der Rolle der Erzählenden war und somit auch die Gestaltung des Interviews im Wesentlichen von ihr beeinflusst wurde, schien jedoch jetzt ihr Interesse für mein Nachfragen geweckt zu sein. So kam es im letzten Teil des Interviews immer wieder zu Fragestellungen meinerseits, die sie bereitwillig und nach wie vor engagiert beantwortete. 29 In dieser Bilanzierungsphase appellierte ich an ihr Expertenwissen und bat sie, mir Anregungen und Hilfestellungen für die Praxis des Pflegekinderwesens zu geben. I: „Wie könnte denn aus Ihrer Sicht eine Fremdunterbringung für alle Beteiligten gut funktionieren? Also jetzt am besten aus der Erfahrung der eigenen Geschichte? Was würden Sie als Rat auch mir mit auf den Weg geben?“ (18, 11–13) B: „Praktisch?“ (18, 20) I: „Ja, ganz praktisch!“ (18, 22) In diesem letzten und dennoch umfangreichen Teil des Interviews äußerte sie sich detailliert zum Verhältnis zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern, formulierte Wünsche und Visionen und ließ dabei auch den Blickwinkel aller Beteiligten am Hilfeprozess nicht außer Acht. Sichtlich erschöpft von ihren Ausführungen und der entsprechenden Auseinandersetzung mit dem Erzählten und der damit verbundenen eigenen retrospektiven Interpretation, bot sie mir nochmals Kuchen an und bat um die offizielle Beendigung des Interviews durch Abschalten des Aufnahmegerätes. Sie wirkte erleichtert und angespannt zugleich und nutzte die Gesprächssituation ohne Aufnahmegerät zur Reflexion ihrer Ausführungen. Sie empfand den Anteil ihrer Drogengeschichte am Inhalt des Interviews als recht groß. Dies äußerste sie mehrmals: B: „Weiß net, es war jetzt ’ne Menge Drogentherapie Thema ...“ (22, 23) An dieser Stelle ließ sie mich nochmals teilhaben an ihren persönlichen Zukunftsvisionen und -wünschen. Nachdem sich der Hund erneut bemerkbar machte, beschlossen wir gemeinsam eine Beendigung des Zusammentreffens und verabschiedeten uns mit guten Wünschen und gegenseitigem Dank für die gemeinsame Zeit. 30 5 Geschichte einer Fremdunterbringung 5.1 Portrait „Frau Schulze“ Frau Schulze ist eine 40-jährige Frau in gepflegter und freundlicher Erscheinung. Sie ist ca. 1,65 m groß, schlank und bei meinem Besuch dunkel gekleidet mit langen rötlich gefärbten Haaren. Sie hat eine warme Stimme, eine mir zugewandte und offene Körperhaltung und löste spontan einen positiven ersten Eindruck bei mir aus. Sie ist Mutter von drei Kindern. Regina ist bereits 18 Jahre alt, Anette 14 Jahre und Sonja 10 Jahre alt. Vom Vater der Kinder ist sie geschieden. Sie beschreibt die vergangene Ehe als zerrüttet und von Gewalt geprägt. B: „Ja, es kam zu der Unterbringung bei Pflegeeltern durch den Umstand, dass ich in einer sehr zerrütteten Ehe gelebt hab mit den Kindern, dass ich jahrelang versucht hab, aus dieser Ehe raus zu kommen, zu flüchten, teils mit und teils ohne Kinder und letztlich aber im extremen Hörigkeitsverhältnis aufgrund von Gewalt und Todesangst war, ...“ (1, 6 – 9 ) Sie erzählt von etlichen Trennungsversuchen, Aufenthalten in Frauenhäusern und letztlich einer Loslösung und Scheidung, die sie als befreiend erlebt. Ihre beiden jüngeren Töchter leben in Pflegefamilien. Die älteste Tochter hat ihr bisheriges Leben in unterschiedlichen Hilfeeinrichtungen verbracht und befindet sich derzeit in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung. Zur Geschichte von Frau Schulze gehört eine langfristige Drogenproblematik, die sich bis in ihre Jugendzeit zurückverfolgen lässt. „Aber ich habe früher auch mal, na ja, bis ich 18 war, mal kurzzeitig mit Heroin, mit Fixen zu tun gehabt.“ (1, 25–26) Sie erzählt von Erfahrungen mit Psychopharmaka, Heroin und Kokain. „Und das is mit Kokain noch viel, viel härter wie mit Heroin. Man kann zwar eins zwei Tage locker aussitzen und bekommt ja keine Entzugserscheinungen körperlich, aber der psychische Suchtdruck, der is mit Heroin überhaupt net zu vergleichen.“ (3, 15 – 15) 31 Die Drogenproblematik zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Lebensgeschichte und ist aus ihrer Sicht ein Hauptgrund für die Fremdunterbringung ihrer Kinder. „In meinem Fall ist es eigentlich letztlich die Sucht gewesen, die das verursacht hat.“ (6, 9 – 10) Der Vater der Kinder ist drogenabhängig, und auch ihre nachfolgende Beziehung zu Daniel, einem langjährigen Freund und heutigen Ehepartner, ist durch eine beiderseitige Drogenproblematik gekennzeichnet. Das gemeinsame Kämpfen gegen die Sucht mit allen Höhen und Tiefen, gemeinsamen Entgiftungen und Therapien prägen den Beziehungsalltag von Frau Schulze und dem neuen Lebenspartner. „Und dann haben wir gesagt: Mensch, wir waren so glücklich ohne Drogen, wir verstehen uns so supergut. Das ist ne Schande, wie wir unsere Beziehung hier kaputt machen.“ ( 3, 8-10 ) Frau Schulze erzählt von Situationen, in denen sie „total abgerutscht“ (3, 3) ist, von großer Verzweiflung aber auch immer wieder neuer Kraft und neuem Mut, sich dem Problem zu stellen. „Wir sind zu allem bereit, aber wir wollen da raus.“ (3, 24) In diesem Zusammenhang erzählt sie auch von ihrer christlichen Einstellung und dem Wunsch, in einer entsprechenden Hilfeeinrichtung Aufnahme zu finden. „Dann haben wir uns um Therapie gemüht, sind aber auch, sagen wir mal, beide mit christlicher Einstellung, trotz unserer ganzen Sucht und unserem ganzen Mist, den wir gemacht haben, im Prinzip gläubige Menschen. Wir wollten gerne in eine christliche Einrichtung.“ (3, 18–21) Auch als es um die Scheidungssituation mit ihrem ersten Ehemann geht, gibt sie mir Einblick in ihre Wertvorstellungen. „Na ja, auf jeden Fall, ich hätte mich ja nicht scheiden lassen dürfen, egal wie der Mann so is. Ich muss das als Frau ja aushalten und ihn lieben und ehren, und das wird mir dann .. eh .. scheiße, ja? Nein! Muss ich net, will ich net und seh ich gar net ein. Ich denk, aus christlicher Sicht, wer mich nicht liebt und ehrt, der ist auch von meinem Glaubensdings her, der hat auch kein Recht, mich als seine Frau zu bezeichnen.“ (11, 8–12) 32 An anderer Stelle berichtet sie von einer Situation, in der sie sich gegen eine eventuelle Betreuungssituation für ihre Tochter wehrt und anhand derer ihre Einstellung zum Thema „Abtreibung“ deutlich macht. Und es gibt für mich, wenn überhaupt, für mich persönlich, nur einen Grund zu sagen, o.k, aus strengster medizinischer Indikation. Vielleicht, gut, das kann ich, ja, hätte ich akzeptiert, aber net für ne, für ne scheiß Mahagonidecke. Da (Stimme stockt), ja! Und die wollte meine Tochter nehmen! (...) Und da hab ich auf’m Jugendamt gesagt: Eine Kindermörderin kriegt mein Kind nur über meine Leiche!“ (7, 35–38, 40–41) Ihre Muttergefühle und die Bindung zu ihren Töchtern beschreibt sie als intensiv und emotional gehaltvoll. Besonders zur jüngsten Tochter Sonja hat sie trotz Fremdunterbringung ein positives Verhältnis. „Bei der war, wir haben uns gesehen, nach zwei, drei Minuten war sofort jeder Bann gebrochen. Alles war eigentlich wie immer, ein sehr entspanntes Verhältnis.“ (5, 8–10) Trotzdem hat sie einen für sich realistischen Blick auf das Verhältnis zu ihren Kindern und ihre Mutterrolle. „Es sind jetzt fast sechs Jahr, dass die Kinder weg sind und – mit kurzer Unterbrechung mit Sonja, und ich hab, mir ist auch klar, dass ich raus bin, raus aus dem Alltag mit Kindern, ich müsste mein ganzes Leben komplett umstellen, (...) Und was ich meinen Kindern auf keinen Fall zumuten will, ist ne Mutter, die wieder rückfällig ist und die leben bei ihr, müssen vielleicht wieder weg oder wer weiß, was dann alles (...)... Also von daher gesehen ist es für die Kinder auf jeden Fall das Beste, und ich bin dann damit auch net überfordert. Ja? Letztlich wär’s für alle nur schädlich, wenn’s schlecht laufen würde.“ (15, 3–5, 20–25) Auch der Schmerz über die Fremdunterbringung und die eingestürzten Lebensträume ist immer wieder Thema in ihren Erzählungen. „Und ich hab die ersten Monate literweise mir den Pulli voll geheult, weil meine Kinder weg sind. Ich hab mir immer drei Töchter gewünscht. Alle drei waren absolut gewollt, gewünscht, zumindest von mir. Und, ja, so hab ich mir mein 33 Leben net vorgestellt, dass ich mit 40 irgendwo sitze und keins mehr hab, beziehungsweise eins in – na ja – und zwei bei Pflegefamilien.“ (7, 1–5) Sie lässt mich teilhaben an ihren Emotionen und wird dadurch für mich zu einem sehr feinfühligen Menschen, dessen Vielgestaltigkeit und Spektrum, einen biografischen Lebensabschnitt zu beschreiben, sehr beeindruckend wirkte. Besonders ihre Fähigkeit zur Perspektivenübernahme trotz persönlicher Betroffenheit erscheint mir außergewöhnlich. „Und wenn’s den Kindern gut geht – soweit – dann ist das für mich noch alles irgendwie erträglich.“ (kämpft mit den Tränen) (20, 20–21) „Dann immer wieder der Gedanke, es geht ja hier nicht um mich, es geht um das Wohl meines Kindes. (...) Wenn die Pflegefamilien finden, noch dazu gute. Da ist dann schon so was wie Dankbarkeit gegenüber den Pflegeeltern – auf jeden Fall!“ (19, 38–39, 33–34)) „Ich will da jetzt net mal dem Jugendamt irgendwie Schuld oder so was zuweisen, weil mein Leben war ja in der Zeit auch net geradeaus und gleichmäßig, sondern ich war ja sehr sprunghaft. Ich war hier und da, wieder mal rückfällig, wieder mal clean. Von daher gesehen (...)“ (17, 4–7) Zu ihren biografischen Besonderheiten gehört für Frau Schulze auch ein rastloser Lebenswandel, der durch die Drogenproblematik viele Ortswechsel nötig machte. „Aber Meldeadressen haben wir mindesten 15 gehabt, jetzt in sechs Jahren.“ (6, 7) „(...) wir sind immer mal umgezogen (...)“ (14, 27) „Entweder, weil wir als Eltern schon diskriminiert wurden im Heimatort oder später, weil wir aus irgendwelchen Gründen Außenseiter waren (...)“ (14, 28–29) Ihre eigene Kindheit ist auch mit dem Entbehren der leiblichen Mutter belastet. Sie erzählt wenig über ihre Kindheit, lässt mich aber wissen, dass sie selbst fremduntergebracht war und bis vor kurzem keinen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter hatte. „(...) ich weiß selber ein Stück weit, wie es ist! Ich kenne meine leibliche Mutter persönlich überhaupt nicht, hab aber zwei Briefe von ihr bekommen im Laufe des letzten halben Jahres, weil ich es endlich nach 40 Jahren geschafft hab, 34 sie ausfindig zu machen (...) Und, ja! Hat mir therapeutisch sehr gut getan. War auch sehr nötig! Ich hoffe auch, dass es noch irgendwann weiteren Kontakt gibt. Aber, die Alte hat mir geschrieben: Ich hatte gehofft, nie etwas von dir zu hören, weil ich gehofft hatte, dass du in deiner Adoptivfamilie so verwurzelt bist. (...) Ehm – alle Achtung, dass sie net nach Holland gefahren ist und mich abtreiben hat lassen mit irgendwelchen, keine Ahnung, diffizilen Geschichten (...)“. (19, 40–42, 44–47; 20, 9–10) Über ihre Schul- und Berufsausbildung berichtet sie wenig. Zu welchem Zeitpunkt sie die Schule verlassen hat, geht aus ihren Erzählungen nicht hervor. Eine Ausbildungsmöglichkeit konnte sie bisher nicht ergreifen und hat auch wenig Hoffnung, dafür noch einmal Gelegenheit zu bekommen. Momentan arbeitet sie als „Händlerin“ innerhalb der Computerbranche. „Und ich hab selbst jeden Tag ... ehm auch zu kämpfen! Zu kämpfen mit meinem Alltag, zu kämpfen mit meiner Zukunft, zu kämpfen gegen finanzielle Armut, für meinen Job, für mein Geschäft und vor allen Dingen gegen die Sucht immer wieder.“ (15, 6–9) Ihre Zukunftsaussichten beschreibt sie wie folgt: „Jetzt bin ich mal acht Monate am Stück clean gewesen. ... Ich hoffe, dass ich es weiter schaffe, eh ... aber ich werde die Hand nicht mehr für mich ins Feuer legen.“ (15, 11–13) Bezug nehmend auf ihre Kinder sagt sie: „Wenn da jetzt während der Pubertät nicht noch irgendwas ganz anderes dazwischenkommt, ehm vielleicht ... denk ich mal, wenn man zu nix anderem gut ist, kann man immer noch als abschreckendes Beispiel dienen.“ (20, 37–39) 5.2 Die Fallgeschichte als zusammenfassende Nacherzählung Ich möchte an dieser Stelle die umfangreiche narrative Erzählung von Frau Schulze in komprimierter Form darstellen und damit einen Überblick über die Fallgeschichte bieten. 35 Frau Schulze wird mit der erzählgenerierenden Frage dazu aufgefordert, in retrospektiver Betrachtung ihre Lebensgeschichte bezüglich der Fremdunterbringung ihrer Kinder zu erzählen. Sie beschreibt dabei einleitend die Beziehungsproblematik zum Vater der Kinder und zum damaligen Zeitpunkt Ehemann an ihrer Seite. Sie erzählt von Gewaltausbrüchen ihres Exehemannes, von einem Hörigkeitsverhältnis und Todesängsten ihm gegenüber sowie Gewaltanwendungen gegen die Kinder, insbesondere gegen die älteste Tochter. Sie erläutert auch eine Drogenproblematik, von der beide Elternteile betroffen sind. Nach mehreren Trennungsversuchen ihrerseits und Aufenthalten in Frauenhäusern entschließt sie sich, die beiden jüngeren Töchter in einer Patenfamilie in Obhut zu geben. Die älteste Tochter befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Jugendhilfemaßnahmen. Nun will sie sich einer Entgiftung unterziehen. Eine Information über den Sachverhalt richtet sie ans Jugendamt. Im Anschluss an diese Entgiftungsmaßnahme mietet sie eine Wohnung an, die genügend Platz für sie selbst und ihre Töchter bietet. Die beiden Töchter sind zu diesem Zeitpunkt bereits in einer Pflegefamilie. Eine gemeinsame Wohnsituation mit ihren Kindern wird vom Jugendamt abgelehnt und ein Besuchskontakt unterbunden. In dieser Zeit trifft sie Daniel, einen früheren Freund, und geht eine erneute Beziehung mit ihm ein. Daniel wohnt in Heidelberg, und Frau Schulze entschließt sich, da sie die momentane Chance auf Rückführung ihrer Kinder für aussichtslos hält, zu einem Umzug nach Heidelberg. Dort kommt es zu einem Rückfall mit Kokain, von dem beide betroffen sind. Sie erzählt von geringem Kontakt zu den beiden jüngeren Töchtern, die älteste befindet sich in der Psychiatrie. Nach ihrem Bemühen um Rückführung darf sie ihre jüngste Tochter Sonja im Frühjahr wieder zu sich nehmen. Eine Rückführung der mittleren Tochter wird ihr für Sommer in Aussicht gestellt. Sie erzählt von Optimismus sowie Resignation bezüglich der Drogenproblematik und den Zukunftsplänen mit Daniel. Nach kurzzeitiger Trennung, mehreren Ortswechseln und, bedingt durch die Drogenabhängigkeit, nicht leistbarer Verantwortungsübernahme für Sonja wird ihr die 36 jüngste Tochter erneut entzogen. Sie beschreibt diesen Tag als den schlimmsten in ihrem Leben. „Vorher hatte ich Hoffnungen, dass es doch alles klappt. An dem Tag hab ich gewusst, ich hab verloren.“ (3, 2–3) Sie rutscht, nach eigenen Angaben, völlig ab, entschließt sich dann doch gemeinsam mit Daniel zur Drogentherapie. Beide finden Aufnahme in einer bewusst christlich gewählten Einrichtung, können dort aber keine längerfristige Perspektive für sich aufbauen. Es kommt zum Abbruch der Therapie, eines erneuten Rückfalls und der Aufnahme in eine katholische Entzugseinrichtung in Bayern. Diese endete auch ohne Erfolg. Sie hält Briefkontakt zu ihren Kindern, ist bei Hilfeplangesprächen anwesend und weiterhin mit Daniel in Beziehung. Sie erzählt von ihren pflegebedürftigen Eltern, einem damit begründeten Ortswechsel wieder zurück nach Hessen und der Verantwortungsübernahme in Form einer Betreuung für ihre Eltern. Auch diese scheitert an der Drogenproblematik. Sie empfindet ihre Situation als Teufelskreis. „(...) ich bin sowieso süchtig, deswegen ist mein Kind weg, und weil mein Kind weg ist und ich deswegen traurig bin und Schuldgefühle hab und alles Mögliche hab, bin ich noch mehr süchtig, damit ich das bloß net alles fühlen muss ...“ (6, 11–14) Sie bemüht sich wiederum beim Jugendamt um Rückführung, indem sie Drogenscreenings einreicht und Haarproben anbietet, um ihre momentane Abstinenz zu dokumentieren, jedoch ohne Aussicht auf Erfolg. Sie erleidet einen erneuten Rückfall. An dieser Stelle verlässt sie in ihrer Erzählung die eigene Drogengeschichte und geht inhaltlich auf die Fremdunterbringung der Kinder ein. Sie redet von Verzweiflung über das Zusammenbrechen eines Lebenskonzeptes und Versuchen, die Situation anzunehmen. Sie berichtet über Probleme der mittleren Tochter Anette bei den Pflegeeltern und ihrem Bemühen, die Situation vor Ort zu unterstützen. Sie beschreibt auch für sie dramatische Erlebnisse mit sozialhelfenden Institutionen. Eine Mitarbeiterin eines Jugendamtes sagt ihr: „Es wäre doch besser für ihre Kinder gewesen, sie hätten sie abgetrieben.“ Sie fühlt sich immer wieder im Kontakt mit Jugendämtern missachtend behandelt und als emotionslos deklariert. 37 Auch positive Erlebnisse mit Jugendamtsmitarbeiterinnen benennt sie. Dabei empfindet sie es als besonders wohltuend, wenn ihr trotz allen Versagens Achtung entgegengebracht wird. Sie versetzt sich in die Lage ihrer jüngsten Tochter und äußert Verständnis dafür, dass Sonja Zeit und Ruhe brauchte, um sich in der Pflegefamilie einzuleben, hat jedoch kein Verständnis für den langen Zeitraum von drei Jahren, in denen sie Sonja nicht sehen durfte. Den jetzigen Kontakt zu Sonja beschreibt sie als für beide Seiten positiv. In einem Gespräch mit allen Beteiligten des Hilfeprozesses sichert sie Sonja eine dauerhafte Lebensperspektive in der Pflegefamilie zu und wünscht sich parallel dazu einen weiteren Ausbau des Besuchskontaktes. Sie empfindet die derzeitige Kooperation mit den Pflegeeltern von Sonja als äußerst angenehm und für ihre Tochter als entlastend. Sie äußert Sympathien für Sonjas Pflegeeltern und genießt den offenen Umgang mit ihrer Person. Auch organisatorische Absprachen empfindet sie als unkompliziert. Sie scheint sehr glücklich über diesen Zustand zu sein und konnte ein Vertrauensverhältnis für sich aufbauen, das ihr viele Sorgen nimmt. Im Vergleich dazu empfindet sie bei den Pflegeeltern von Anette eher Ablehnung bezüglich ihrer Person und Rolle. Auch die Beziehung zu Anette ist von Distanz und Unsicherheit geprägt. Dann nimmt sie sich in größerem Umfang Zeit, um über die besonders dramatischen Ereignisse zu berichten, die seit der Fremdunterbringung der ältesten Tochter Regina stattfanden. Sie berichtet von mehreren Psychiatrieaufenthalten, starken psychischen Erkrankungen ihrer Tochter, u. a. einer stark ausgeprägten Borderline-Störung und damit einhergehender Probleme. Momentan ist Regina in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht, wo sie auf eine Verhandlung wegen eines verübten Gewaltverbrechens wartet. Auch davon berichtet Frau Schulze ausführlich. Ihre Verzweiflung bezüglich der ältesten Tochter stellt sie der Situation der beiden jüngeren Töchter gegenüber und äußert diesbezüglich Dankbarkeit und Optimismus. „Dann, scheiß auf meinen ganzen Schmerz, dass die Kinder von mir getrennt sind. Irgendwann sind sie vielleicht psychisch gesund und wir haben Kontakt, und es ist alles besser, wie noch so ne psychisch behinderte Tochter, (...)“ (13, 27–29) 38 Frau Schulze spricht von Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme im Rahmen ihrer Möglichkeiten und der gleichzeitigen Annahme der „Fremdunterbringungsarrangements“ der jüngeren Töchter und beendet damit den ersten narrativen Erzählteil. Auf meine Frage bezüglich der Annahme der Situation beschreibt sie nochmals viele positive Aspekte bezüglich der Pflegefamilienunterbringung, besonders von Sonja aber auch von Anette, äußert Wünsche und Zukunftsperspektiven für die Beziehung zu den Kindern und stellt danach erneut Aspekte der Drogenproblematik in den Mittelpunkt ihrer Erzählung. Retrospektiv empfindet sie den Beziehungsabbruch zur mittleren Tochter als sehr unvorteilhaft für alle Beteiligten und wünscht sich mehr Kooperation und Beziehungspflege für sich und Anette. Die Hauptverantwortung hierfür liegt aus ihrer Perspektive bei den Pflegeeltern. Das Jugendamt hat an dieser Stelle aus ihrer Sicht nur wenig Einflussnahme, wenn die Pflegeeltern zur Kooperation nicht bereit sind. Sie wirbt an dieser Stelle aber generell für eine Zusammenarbeit aller Beteiligten, weist den Pflegeeltern und Herkunftseltern jedoch die wichtigste Rolle im Hilfeprozess zu. „Also, ich glaube fast, dass das sogar noch wichtiger is, die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und abgebenden Eltern, wobei das Jugendamt natürlich sehr, sehr hilfreich sein kann, das oder jenes zu unterstützen oder auch abzuwenden.“ (17, 40–43) Gegen Ende des Interviews erzählt Frau Schulze von eigenen Entbehrungen der leiblichen Mutter und der mühsamen Suche nach ihr und der Kontaktaufnahme. Ihre Drogenproblematik taucht in Verbindung mit ihren Zukunftsplänen wiederholt auf. Dies macht deutlich, wie langwierig und schwierig Wege aus der Sucht sein können. Sie empfindet den Anteil an der Drogenproblematik im Interview groß, versöhnt sich aber damit, dass dies zu ihrer Geschichte dazugehört. 39 6 Methode der Textanalyse Bei der Auswertung meines Datenmaterials orientierte ich mich an der „Qualitativen Inhaltsanalyse“, deren Grundlagen und Techniken von Philipp Mayring in bereits 8. Auflage 2003 erschienen sind. Ein Auswertungsverfahren innerhalb der Qualitativen Sozialforschung zu finden, das meinem Datenmaterial gerecht wird und meinen Forschungsinteressen entspricht, stellte sich als eine schwierige Aufgabe dar. Einerseits sozialwissenschaftlichen Methodenstandards zu genügen und andererseits einen sehr individuellen Lebensabschnitt eines Menschen zu analysieren und zu interpretieren, schien in der Vielfalt und dem Variantenreichtum an Interpretationsverfahren verwirrend. „Vorgefertigte Theorien und Methoden sind demzufolge keine tauglichen Mittel, die soziale Welt angemessen verstehen zu lernen. Hingegen lautet die zentrale Forderung, daß sich empirische Untersuchungen an die Eigenschaften ihres Untersuchungsgegenstandes anpassen müssen.“ (Froschauer und Lueger 2003, S.11 ) Ermutigt von dieser These gestaltete sich meine Herangehensweise offener und freier bezüglich der Auswahl des Analyseverfahrens und deren individueller Umsetzung. Im Rahmen meines Forschungsvorhabens galt es zu verstehen, was Menschen in einem sozialen Kontext veranlasst, bestimmte Verhaltensweisen zu praktizieren, um Situationen zu kompensieren, und welche Dynamik dieses Verhalten im sozialen Umfeld auslöst – hier insbesondere die Verarbeitung einer Fremdunterbringung von Kindern seitens der Herkunftseltern. Die „soziale Logik“ von Handlungsstrategien ist deshalb Teil der Analyse. Die Sinnhaftigkeit von individuellen Handlungsstrategien zu verstehen, ist eine Herausforderung, der sich die geforderte „Neue Fachlichkeit“ innerhalb des Kinder- und Jugendhilfegesetzes stellen muss. Erst ein Verstehen von Sinnzusammenhängen der betroffenen Klienten macht es möglich, auch Ressourcen und Fähigkeiten eines Menschen wahrzunehmen. Es geht also um ein Eintauchen in Lebensgeschichten aus der Perspektive der Betroffenen. Um dieses Eintauchen nachvollziehbar zu machen und demzufolge wissenschaftlichen Standards zu entsprechen, scheint mir die Qualitative Inhaltsanalyse ein geeignetes Instrumentarium, um diesen Versuch zu wagen. 40 „Ein verändertes Gegenstandsverständnis in den Sozialwissenschaften, welches das Subjekt mehr ’zur Sprache’ kommen lässt und dabei eher mit offenen ’weichen’ Methoden vorgeht, erfordert die verstärkte Entwicklung darauf bezogener Auswertungstechniken. Ein Überblick über bisherige inhaltsanalytische Techniken und deren Einsatzmöglichkeiten zeigt, dass die Inhaltsanalyse ein hierfür ausbaufähiges Instrument darstellt und gleichzeitig Standards methodisch kontrollierten Vorgehens genügen kann.“ (Mayring 2003, S. 116 ) 6.1 Auswertungsschritte der qualitativen Inhaltsanalyse Zunächst möchte ich die von mir gewählten Analyseschritte der Qualitativen Inhaltsanalyse kurz darstellen und anhand meines Datenmaterials erläutern. 6.1.1 Bestimmung des Ausgangsmaterials Um das Material einer Untersuchung transparent und nachvollziehbar anzubieten, ist eine Analyse des Materials sowie der Entstehungssituation notwendig. Außerdem werden an dieser Stelle formale Charakteristika des Materials benannt. Für mein Forschungsvorhaben wählte ich aus der Grundgesamtheit „Herkunftseltern von fremdbetreuten Kindern in Pflegefamilien“ eine Mutter aus, die über den Forschungsgegenstand erzählte. Der Stichprobenumfang „Einzelfallstudie“ erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, möchte jedoch durch den besonderen Einzelfall auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten schließen. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, konstruierte sich die Interviewsituation durch den Feldzugang „Jugendamt“ und dem entsprechenden Engagement einer Mitarbeiterin des Pflegekinderwesens. Sie stellte den Kontakt zur Interviewpartnerin her und ermöglichte somit den Zugang und entsprechende Absprachemöglichkeiten. Die Interviewpartnerin beteiligte sich feiwillig und ohne objektive Gegenleistung an der Untersuchung. Das Datenmaterial steht in vollständig transkribierter Form zur Verfügung und wurde als geschriebener Text mit im Anhang befindlichen Protokollierungsregeln aus dem sprachlichen Tonbandmaterial transkribiert. 41 6.1.2 Fragestellung der Analyse Nach der Veranschaulichung des Ausgangsmaterials stellt sich die Frage nach dem spezifischen Forschungsinteresse. Dabei unterscheidet man zwei Kriterien der Fragestellung, die zum einen nach der Richtung der Analyse fragen, zum anderen nach der theoriegeleiteten Differenzierung der Fragestellung. Durch die Form des narrativen Interviews wurde die Interviewpartnerin dazu aufgefordert, über biografische Erfahrungen mit der Fremdunterbringung ihrer Kinder zu berichten. Die erzählgenerierende Eingangsfrage sollte ermöglichen, dass sie zu Fragestellungen wie „Was bedeutet eine Fremdunterbringung für die eigene Lebensgeschichte von Eltern?“ oder der Frage „Wie bewältigt man Emotionen, die damit einhergehen?“ beziehungsweise „Was hilft in dieser Situation, den Prozess der Fremdunterbringung annehmen zu können?“ erzählen konnte. Die Bewältigung der Situation aus ihrer Perspektive steht darin im Vordergrund und soll biografisches Fallverstehen ermöglichen. Die bisherige Literatur und Forschung bezüglich der Fremdunterbringung von Kindern in Pflegefamilien beschreibt immer wieder die Rolle der Herkunftseltern als einerseits bedeutsam aber auch problematisch in einem Pflegeverhältnis. Sie berichtet davon, dass dieses Ereignis auch für die abgebenden Eltern mit traumatischen Erfahrungen verbunden ist. Dies geht wiederum einher mit Handlungsmustern und Bewältigungsstrategien, die das Pflegeverhältnis belasten können. Besonders aus der Perspektive der Pflegeeltern ist diese Wahrnehmung zu beobachten. In diesem Zusammenhang ist eine Erforschung der Sinnstrukturen von Bedeutung, ebenso Anregungen und Wünsche zur Gestaltung des Pflegeverhältnisses aus der Sicht der Betroffenen – hier speziell der abgebenden Eltern. 6.1.3 Bildung eines Kategoriensystems Eine konkrete Analysetechnik, in der die einzelnen Interpretationsvorgänge für andere nachvollziehbar werden, ist als nächster Schritt vorgesehen. Das Ablaufmodell der Analyse muss am Material und der Fragestellung angepasst werden. Um anhand des vorliegenden Textmaterials systematisch den Fragen nachzugehen, wie Herkunftseltern eine Fremdunterbringung ihrer Kinder verarbeiten, und was ihnen helfen könnte, für sich und ihre Kinder eine angemessene und realistische Perspektive aufzubauen, ist die Bildung eines Kategoriensystems notwendig. 42 Dieses steht im Zentrum der Analyse und muss im Wechselverhältnis zwischen der Theorie, also der entsprechenden Fragestellung, und dem konkreten Material entstehen. Ich habe mich für folgende Kategorien entschieden, um eine Strukturierung vorzunehmen: 1. Gründe für die Fremdunterbringung Hier werden alle Aussagen zusammengetragen, die aus der Sicht der Betroffenen zur Fremdunterbringung geführt haben. „In meinem Fall ist es eigentlich letztendlich die Sucht gewesen, die das verursacht hat.“ (6, 9–10) 2. Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung Alle Aussagen über Gefühle, die im Zusammenhang mit dem Verlust der Kinder stehen, werden hier extrahiert. Sie können sich für oder gegen Personen wenden oder auch auf der Sachebene benannt werden. „Jetzt kommt’s Jugendamt und holt mein Kind wieder ab ... Das ... war einer der schlimmsten Tage (Stimme wird schwächer, weint) in meinem Leben.“ (2, 44–46) 3. Verhältnis zum Kind An dieser Stelle finden sich alle Aussagen, die etwas über die Gestaltung des Beziehungsverhältnisses zwischen der betroffenen Mutter und ihren Kindern aussagen, sowie auch Wünsche und Hoffnungen bezüglich der Lebensgestaltung und Zukunftsplanung der Kinder, auch im Hinblick auf die eigenen Bedürfnisse. „Bis dahin hatte ich wenig Kontakt, schon Kontakt, aber wenig zu meinen Kindern.“ (2, 20) 4. Verhältnis zu den Pflegeeltern Hier finden sich Äußerungen, die ein vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges Verhältnis zu den Pflegeeltern beschreiben. Sie sind auf das Verhältnis Kind – Pflegeeltern sowie auch auf die Erwachsenenebene bezogen. „Ich hab gedacht: Oh, da hat se ja richtig nette Leute gefunden – klasse!“ (9, 36–37) 5. Enttäuschungen, Versagen von sozialstaatlichen Einrichtungen 43 Alle Erfahrungen, die im Kontext mit Jugendamtsmitarbeitern sowie weiteren Helfern oder Ansprechpartnern der sozialhelfenden Institutionen stehen, und aus der Perspektive der Betroffenen als negativ empfunden werden, sind hier dokumentiert. „Natürlich müssen so Ämter vorsichtig sein, was jeder erzählt. Es kann jeder viel erzählen. Aber in dem Fall konnte ich das dann doch net mehr nachvollziehen ... Es ging soweit, dass meiner ältesten Tochter eingeredet wurde, ich hätte sie misshandelt!“ (8, 31–34) 6. Positive Erfahrungen mit sozialstaatlichen Einrichtungen In dieser letzten Kategorie sammeln sich alle Äußerungen der Betroffenen, die aus ihrer Erfahrung hilfreich für die eigene biografische Geschichte waren. Auch positive Elemente im Hinblick auf die Lebensgeschichte der Kinder sind hier zu finden. „Ja und, wirklich, die Frau vom Jugendamt hat sich super Mühe gemacht, dann auch lange gesucht nach der geeigneten Pflegefamilie, und die hat sie effektiv gefunden, bin ich sicher.“ (9, 37–39) Eine Rücküberprüfung des Kategoriensystems anhand der Fragestellung und des vorliegenden Materials ist danach nötig, um eventuelle Korrekturen vornehmen zu können. Es geht hier um eine Überprüfung dessen, ob die Kategorien dem Ziel der Analyse nahe kommen und der Interviewtext mit seinen Aussagen entsprechende Berücksichtigung findet. In meinem Fall habe ich nach erneutem Lesen des Interviews im Hinblick auf mein Kategoriensystem entschieden, die spezifischen Aspekte der Drogenproblematik sowie die Zusammenhänge von Trennung, Scheidung und der erneuten Eheschließung nicht explizit zu berücksichtigen, da sie den Rahmen meiner Untersuchung zu stark ausweiten würden. Das vorhandene Kategoriensystem hat sich also nicht verändert. Doppelbelegungen von Zitaten im Kategoriensystem waren teilweise erforderlich. 44 7 Interpretation Anhand der Hauptfragestellung des Forschungsvorhabens kann nun eine Interpretation der zusammengetragenen Kategorien stattfinden. Die zentralen Prinzipien qualitativer Interpretation sind folgende: • Im Zentrum steht der zu interpretierende Text. • Der unterteilte Text wird schrittweise interpretiert. • Im Zuge der Textauslegung werden Thesen erstellt. Die Logik eines Falles aufzurollen und sie von der subjektiven zur objektiven Deutung zu transportieren, scheint in diesem Zusammenhang eine besondere Herausforderung zu sein. Da keine Interpretation absolut zutreffend und allgemeingültig sein kann, müssen hier die Grenzen der Objektivität gewahrt werden. Über Textinterpretation kann sich demnach Handlungs- und Systemlogik herauskristallisieren und dazu führen, dass im Zuge der Textauslegung Thesen erstellt werden, die sozialpädagogisch relevant sind und somit übertragbar werden können. „Textinterpretationsverfahren basieren auf der verstehenden Erschließung des Sinnes von Textmaterialien, die als fixierte sinnhaltige Strukturzusammenhänge begriffen werden.“ (Froschauer + Lueger 2003, S. 100) Die Einbeziehung von Vorwissen ist in der Qualitativen Sozialforschung notwendig und ermöglicht, Sinnzusammenhänge zu erkennen und Auffälligkeiten zu identifizieren. Vorurteile sind in diesem Zusammenhang also Bedingungen für Verstehen, sie ermöglichen Daten mit Sinn zu unterlegen. „Deutung kann niemals auf der Basis einer Tabula rasa erfolgen, sondern setzt ein Wissen voraus, das es ermöglicht, irgendeinen Sinnzusammenhang erkennen zu können.“ (Froschauer + Lueger 2003, S. 84 f.) In diesem Sinne gehe ich den Weg der Textinterpretation in folgenden Schritten, denen ja bereits eine erste Interpretationsphase über das Erstellen des Portraits von Frau Schulze und der Nacherzählung des Interviews vorausging. In einem ersten Schritt werde ich die einzelnen Kategorien durch Paraphrasieren und wörtliches Zitieren entsprechender Textstellen erläutern und veranschauli45 chen. Das wörtliche Zitieren erscheint mir hier unverzichtbar, da ein ausschließliches Paraphrasieren den Aussagen nicht gerecht werden könnte. Wo mir die entsprechende Wortwahl von Frau Schulze bedeutsam erscheint, habe ich sie entsprechend eingefügt. In einem zweiten Schritt möchte ich anhand der Forschungsfragen versuchen, Antworten in den entsprechenden Kategorien zu finden. Ein dritter und letzter Schritt soll dazu dienen, dem Material und seiner Interpretationen Thesen zu entnehmen, die für die sozialpädagogische Praxis im sozialen Kontext gewichtig erscheinen. 7.1 Die Kategorien und ihre Aussagen An dieser Stelle möchte ich die extrahierten Textpassagen in den jeweiligen Kategorien paraphrasieren, aber neben der freien und sinngemäßen Übertragung des Materials auch immer wieder wörtlich zitieren, wenn eine Paraphrase den eigentlichen sprachlichen Ausdruck zu stark einschränken würde. Die jeweils vollständig zusammengetragenen Kategorien sind im Anhang nachzulesen. 7.1.1 Kategorie „Gründe für die Fremdunterbringung“ Frau Schulze benennt folgende Gründe, die aus ihrer Sicht zur Fremdunterbringung führten: 1, 6–38: Sie lebt gemeinsam mit den Kindern in einer zerrütteten Ehe. Gewaltausbrüche des Ehemannes und Vaters richten sich gegen sie und die Kinder. Sie unternimmt etliche vergebliche Fluchtversuche. Frau Schulze spricht von einem „extremen Hörigkeitsverhältnis aufgrund von Gewalt und Todesangst“. Die älteste Tochter nimmt über die Schule Kontakt zum Jugendamt auf und wird daraufhin im Heim untergebracht. Eine Drogenproblematik beider Elternteile liegt vor. Verzweiflung und Ausweglosigkeit veranlassen sie, die beiden jüngeren Töchter bei einer Patenfamilie unterzubringen und das Jugendamt über die Situation zu informieren. Sie selbst geht dann zur Entgiftung. 6, 9–15: Frau Schulze sieht die Sucht als Verursacher der Situation und beschreibt einen Teufelskreis: „Ich bin sowieso süchtig, deswegen ist mein Kind weg, und weil mein Kind weg ist und ich deswegen traurig bin und Schuldgefühle 46 hab und alles Mögliche hab, bin ich noch mehr süchtig ... damit ich das bloß net alles fühlen muss.“ 8, 41–43: An dieser Stelle erzählt sie von entstandenem Misstrauen und dementsprechender Vorsicht auf Jugendamtsseite und ihrem Verständnis dafür. 7.1.2 Kategorie „Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung“ Diese Kategorie stellt gemeinsam mit der ebenso umfangreichen Kategorie „Verhältnis zum Kind“ den quantitativ größten und umfangreichsten Kategorienteil dar. 2, 11–15: Frau Schulze sieht die Rückkehroption ihrer Kinder derzeit als aussichtslos an: „Ich sitze hier in meiner 90 m2 - Wohnung ohne Kinder und hab auch keine Chance, die wiederzukriegen (...)“ Sie möchte weg aus ihrer „Heimat“ und weg von ihrem „schlechten Ruf“ und die Schwiegereltern und den Exehemann hinter sich lassen. 2, 29–31: Sie spricht von Illusionen „wir kriegen das wieder unter die Füße“ und der Ernüchterung im Hinblick auf die Drogenproblematik „und das war einfach alles zuviel“. 2, 44–46: An dieser Stelle beschreibt sie eine erneute Herausnahme ihrer jüngsten Tochter und ihre Verzweiflung darüber. „Jetzt kommt’s Jugendamt und holt mein Kind wieder ab ... Das ... war einer der schlimmsten Tage (Stimme wird schwächer, weint) in meinem Leben.“ 3, 2–4: „(...) vorher hatte ich Hoffnungen, dass es doch alles klappt. An dem Tag hab ich gewusst, ich hab verloren.“ Aufgrund dieser zweiten Herausnahme ist sie „total abgerutscht“, steigert ihren Drogenkonsum, „mir war dann auch alles egal“. 5, 15–19: Sie spricht von überwundener Angst vor ihrem Exmann und davon, dass das Bedürfnis, ihre Tochter zu sehen, größer ist, als die Angst, ihm zu begegnen. Dies erzählt sie im Zusammenhang mit einem Hilfeplantermin. 6, 9–16: Frau Schulze bringt die Drogenproblematik mit der Fremdunterbringung ihrer Kinder in Verbindung und beschreibt den Teufelskreis ihrer Situation: „Ich bin sowieso süchtig, deswegen ist mein Kind weg, und weil mein Kind weg ist und ich deswegen traurig bin und Schuldgefühle hab und alles Mögliche hab, bin ich noch mehr süchtig, nehme ich noch mehr Drogen, Tabletten, Alkohol oder irgendwas, 47 damit ich das bloß net alles fühlen muss – und schon hat sich der Kreis geschlossen.“ 6, 30–34: Ihr wird klar, dass das Zusammenleben mit ihren Kindern derzeit für sie unerreichbar ist und sie kämpft gegen die Sucht und für einen erneuten Vertrauensvorschuss. „Ich hab ein halbes Jahr lang oder, ja, diese Zeit knüppelhart gekämpft gegen meine Sucht ... und hab, ja, ich hab alles angeboten. Ich geb ‘ne Haarprobe ab, dass die ganze Zeit gar nix gewesen ist und alles, ne?“ 6, 43–45: Resignation über den Teufelskreis mach sich „breit“. 7, 1–5: „(...) zieht’s einen so runter. Und ich hab die ersten Monate literweise mir den Pulli voll geheult, weil meine Kinder weg sind (...)“ Sie spricht davon, dass es ihr großer Wunsch war, drei Töchter zu haben. „(...) so hab ich mir mein Leben net vorgestellt, dass ich mit 40 irgendwo sitze und keins mehr hab (...)“ 7, 9–17: Frau Schulze spricht von Hoffen und Bangen im Hinblick auf ihre Kinder und der Erkenntnis und dem Schmerz, mit ihnen keine Familienperspektive zu haben. „(...) das tut immer noch weh (kurz vor’m Weinen). Aber, ehm, das ist jetzt irgendwie auch o.k.“ 7, 40–42: Wie schon an anderer Stelle erwähnt, geht es hier um ihre Einstellung zur Abtreibung, ein sensibles Thema, das an mehreren Stellen auftaucht, und einer Grenzüberschreitung ihrer Muttergefühle bezüglich einer Unterbringungsmöglichkeit. „Würde ich alles für tun, dass die mein Kind nicht kriegt, (...) 8, 28–30: Hier beschreibt sie Ohnmachtsgefühle, als es um ihre Glaubwürdigkeit geht. 9, 17–22: Ambivalente Gefühle bezüglich der Fremdunterbringung kommen hier zur Sprache. Auch die inhaltliche Gestaltung, wie beispielsweise der Besuchskontakt, wird von ihr aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. „Ich will das Beste für meine Kinder. Und wenn das jetzt eben das Beste ist, dann muss ich eben durch. Ich hab ja auch den Scheiß gebaut. Hauptsache denen geht’s gut.“ 10, 34–42: Sorgen und Ängste vor Missbrauch oder sexueller Gewalt, die sie in Bezug auf ihre Töchter hat, werden durch Besuche und positive Erfahrungen mit der Pflegefamilie für sie relativiert. „Und das ist auch ganz wichtig, auch zu wissen, die Pflegeeltern, wie sind die so drauf.“ 48 13, 6–7: Schuldgefühle und Vorwürfe durchziehen ihre Gedanken. 13, 25–32: Im Vergleich zur Problematik mit der ältesten Tochter empfindet sie die Unterbringung in Pflegefamilien bedeutend positiver und versucht sich damit zu trösten. „Und damit hab ich mich so ein bisschen über die Jahre hinweg versucht zu trösten – mit schlechtem Erfolg, aber immerhin sehe ich jetzt ja auch, dass es den anderen beiden ganz gut geht.“ 15, 5–9: Sie spricht von ihrem „Kampf“ im Alltag und gegen die Sucht. 15, 26–33: Schuldgefühle verbunden mit einer kritischen Selbstwahrnehmung und der Sorge erneut zu enttäuschen sind aus ihrer Sicht „Hauptgründe, warum ich eigentlich möchte, dass die Kinder auch da bleiben, wo sie sind (...).“ Sie wünscht sich „zunehmenden Kontakt“ zu ihnen und eine langfristige Beziehungsperspektive. 17, 4–7: Sie empfindet ihre Lebensgestaltung als wenig verlässlich und äußert Verständnis für die Haltung des Jugendamtes. 18, 2–4: Entscheidungen beinhalten auch Fehler. Dafür hat sie ebenfalls Verständnis. 18, 31–48: Sie geht an dieser Stelle auf ihre Gefühle gegenüber der Pflegefamilie ein. „Ich traue mich kaum, mal bei den Pflegeeltern meiner mittleren Tochter Anette anzurufen.“ Sie möchte Telefonkontakt zu Anette haben, ist sich aber über dessen Gestaltung unsicher, möchte Anette nicht in schwierige Situationen bringen. „(...) ich will das ja gar net heimlich machen eigentlich, das is mir ja alles viel zu blöd, da gibt’s ja gar kein Grund für!“ 19, 4–11: Sie geht nochmals auf ihre Unsicherheit ein, die sie im Kontakt mit den Pflegeeltern von Anette empfindet. Einen Informationsaustausch gestaltet sie für sich momentan ausschließlich über die Jugendamtsmitarbeiterin. „(...) ich trau mich da kaum anzurufen. Weil ich das Gefühl hab, das ist gar nicht erwünscht. Und das find ich ziemlich doof. Da ist das Gefühl so, man wird so abgeschoben, ja? Am besten meldest de dich erst gar net.“ 19, 32–37: Im Vergleich zu einer Heimunterbringung empfindet sie grundsätzlich „Dankbarkeit gegenüber den Pflegeeltern“, dieses positive Gefühl kann jedoch auch gestört werden. „Aber wenn man’s dann nicht leicht gemacht bekommt, dann 49 schwindet die auch so leicht dahin. O.k., die haben zwar mein Kind aufgenommen, aber die haben mich so auflaufen lassen die letzten Jahre, also, na ja.“ 19, 38–48: Sie benennt das Vorhandensein eigener Gefühle, stellt das Wohl ihres Kindes aber an erste Stelle. Sie erzählt hier auch von ihrer eigenen für sie nicht existenten Mutter und den entsprechenden Gefühlen damit. Bezüglich des ersten Kontaktes zu ihrer eigenen Mutter nach 40 Jahren sagt sie Folgendes: „(...) hat mir therapeutisch sehr gut getan. War auch sehr nötig! Ich hoffe auch, dass es noch irgendwann weiteren Kontakt gibt. (...) Aber sie hat mich einfach auch verdrängt.“ 20, 9–10: Sie äußert „Achtung“ ihrer Mutter gegenüber „(...) dass sie net nach Holland gefahren is und mich abtreiben hat lassen.“ 20, 11–15: Im Vergleich zu ihrer eigenen nicht vorhandenen Mutter-Kind-Beziehung empfindet sie es als „einen richtigen Schritt!“ nach bereits gelebten gemeinsamen Familienzeiten „dann sein Leben noch mal neu zu sortieren.“ 20, 16–21: Frau Schulze erzählt von dem enormen Energieaufwand, den sie benötigt, um ihren Alltag zu gestalten und darin auch die Fremdunterbringung ihrer Kinder anzunehmen. „Das, ehm, kostet alles einen Haufen Kraft (...) Und wenn’s den Kindern gut geht – soweit – dann ist das für mich noch alles irgendwie erträglich (kämpft mit den Tränen).“ 21, 3–11: An dieser Stelle erzählt sie rückblickend von dem Kampf, die Kinder zurückbekommen zu wollen, nicht einzusehen, „warum das net geht“, und Befürchtungen von Ämtern nur bestätigt zu haben, dass eine Drogenproblematik ein dauerhaftes und komplexes Problem darstellt. 21, 44–46: Sie hofft, zu den wenigen Menschen zu gehören, die ihre Sucht bewältigen. 7.1.3 Kategorie „Verhältnis zum Kind“ Die Kategorie „Verhältnis zum Kind“ hat den größten Umfang an extrahierten Textpassagen und gibt einen Einblick über den Verlauf der Mutter-Kind-Beziehungen sowie Wünsche und Vorstellungen zur Gestaltung der Beziehungsebene und der Lebensplanung der Kinder. Überschneidungen zur Kategorie „Emotionen ...“ schwingen teilweise mit. 50 1, 40–42: Nachdem sie ihre beiden jüngeren Töchter für die Zeit der Entgiftung abgegeben hat, möchte Frau Schulze nun durch eine neu geschaffene Wohnsituation wieder gemeinsam mit ihren Kindern leben „(...) weil ich meine Töchter so schnell als möglich wieder zu mir holen wollte.“ 1, 43–48: Die Wohnung befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den Pflegeeltern. Zu der Zeit hat sie aber bereits eine Kontaktsperre zu den Kindern. „Einmal war meine ältere Tochter mal mit deren Tochter für wenige Minuten bei mir. Die standen vor der Tür, und ich würde keine von meinen Töchtern vor der Tür stehen lassen, wenn sie rein will. Und dann gab’s einen Riesen-Ärger hinterher. Also, die durften dann überhaupt net mehr kommen.“ 2, 20–27: Frau Schulze hat im ersten Jahr der Fremdunterbringung nur wenig Kontakt zu ihren Töchtern, ist aber ständig bemüht darum. „(...) und ein Jahr später durfte ich dann die jüngste Tochter aus der Pflegefamilie, wo beide zusammen waren, abholen.“ Die mittlere Tochter sollte nach Ablauf des Schuljahres ebenfalls zu ihr zurückkehren. 2, 33–46: Dieser Abschnitt beschreibt den kurzen Versuch, Verantwortung für die jüngste Tochter Sonja zu übernehmen, der jedoch aufgrund der Drogenproblematik scheitert. „Das ... war einer der schlimmsten Tage (Stimme wird schwächer, weint) in meinem Leben!“ 3, 38–39: Eine gemeinsame Therapie mit ihrem Lebenspartner Daniel ist nicht möglich. Ein Therapieangebot gemeinsam mit Sonja wird ihr angeboten. 4, 17–23 Sie hätte sich eine gemeinsame Therapie mit Daniel und den Kindern gewünscht. „Und dass es halt auch, ja, wichtig war für die gemeinsame Zukunft mit meinen Kindern auch gemeinsam in der Therapie, das zu üben.“ 4, 25: „(...) ich hab kein Problem, mit meinen Kindern umzugehen“, doch für Daniel wünscht sie sich Hilfestellung bei der Erziehungsaufgabe. 5, 1–12: Frau Schulze erkennt, dass der Kampf gegen die Sucht „ja und die Kinder zwischendrin“ nur schwer vereinbar sind. Sie erzählt einerseits von Briefkontakt, andererseits Zurückhaltung ihrerseits bezüglich des Kontaktes zu den Kindern. Anette hat dadurch „eine größere Hemmschwelle mir gegenüber wie die Kleine. Bei der war, wir haben uns gesehen, nach zwei, drei Minuten war sofort jeder Bann gebrochen.“ 51 7, 18–24: Sie erzählt von Problemen der mittleren Tochter mit der Pflegemutter. „Und da hab ich ihr zugeredet – ich weiß, sie is in ‘ner guten Pflegefamilie, wirklich – alles bestens, voll integriert (...)“ 8, 35–41: Im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen ihre Person sagt sie „Wobei ich niemals eines meiner Kinder misshandelt habe, ne!“ Sie erzählt von Gewalt gegen Sachen und Missverständnissen, die sie nicht entkräften konnte. 8,44–48: Sie vollbringt einen Perspektivenwechsel und äußert Verständnis dafür, dass Sonja in der Pflegefamilie „erstmal zur Ruhe kommen musste, sich einleben musste (...)“ 9, 1–16: Hier versetzt sie sich wieder in die Lage von Sonja, und deren unstetem Lebenswandel und Bedürfnis nach Sicherheit, empfindet die lange Kontaktsperre zwischen ihnen aber als unangemessen. „Drei Jahre hab ich die nicht gesehen, ja? Und das, wie gesagt, dass das für ’ne gewisse Zeit notwendig war, nur in bestimmten Abständen Briefkontakt zu haben. Einfach, damit das Kind sieht, ich kann mich bei dem bisschen aber auf meine Mama verlassen. Das hab ich alles eingesehen, aber drei Jahre waren mir reichlich zu viel.“ Sie stellt sich vor, dass bei ausreichender Beziehungspflege eine intensive Bindung trotz Fremdunterbringung möglich ist. Sie bedauert, dass ihr diese Möglichkeit lange verschlossen blieb. Die Beziehung zu Sonja empfindet sie als „super gut“. 9, 17–22: Ihre Gefühle einerseits und die Notwendigkeiten aufgrund der schwierigen Situation andererseits versucht sie zugunsten des Kinderwohles abzuwägen. „Ich will das Beste für meine Kinder. Und wenn das jetzt eben das Beste ist, dann muss ich eben durch. Ich hab ja auch den Scheiß gebaut. Hauptsache denen geht’s gut. Und Sonja geht’s jetzt gut. Ja. Und .. (holt tief Luft).“ 9, 23–31: Die persönlichen Treffen sind aus ihrer Sicht für Sonja hilfreich. „Und seit nach dem ersten Treffen geht’s ihr besser, ja.“ Im Beisein von Pflegeeltern und Jugendamt hat sie Sonja die Legitimation gegeben, eine dauerhafte Perspektive in der Pflegefamilie zu haben. „(...) dass es für mich in Ordnung ist, dass sie da lebt, dass ich froh bin, dass sie so ne nette Pflegefamilie hat und dass sie da bleiben darf, so lange wie sie möchte.“ Den Kontakt zu Sonja wünscht sie sich parallel dazu intensiver. 52 10, 5–9: Auch der Kontakt zu den Großeltern ist legitimiert, allerdings wünscht sie sich im Interesse des Kindes, dass nicht schlecht über sie geredet wird. 10, 15–17: Der Besuchskontakt soll den Bedürfnissen des Kindes angepasst sein. „Und erstmal muss man von einem zum anderen Mal gucken, wie geht’s dem Kind damit?“ 10, 26–34: Sie erzählt euphorisch, dass Sonja über eine gemeinsame Wohnsituation glücklich wäre, die all’ ihre sozialen Bezüge vereint. Sie erklärt Sonja, dass dieser Wunsch nicht umsetzbar ist, aber ihre Besuchskontakte ausbaufähig sind. 11, 19–24: Frau Schulze äußert Unverständnis darüber, dass im Beisein der Töchter schlecht über sie geredet wird. 11, 28–34: Den daraus resultierenden Loyalitätskonflikt für ein Kind empfindet sie als unverantwortlich. „Ich weiß, dass ein Kind immer die Eltern lieb hat und sowieso schon zerrissen ist durch diese ganze Situation. Da muss man net von außen noch drauf treten und das Leben noch schwerer machen.“ 13, 33–42: Sie nimmt die Grenzen ihrer Verantwortung wahr, bietet im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Mutterrolle an, und ermutigt ihre Tochter Anette, sich mit der Situation in der Pflegefamilie zu arrangieren. „Anette, ich muss dir eins sagen, du kannst nicht bei mir leben. (...) bleib wo du bist, reiß dich zusammen mit deiner Pflegemutter, seh zu, dass ihr irgendeine Ebene findet.“ 13, 46–48: Im Hinblick auf Anettes spätere Selbständigkeit ermutigt sie ihre Tochter, Beziehungspflege nach eigenem Bedarf zu gestalten. „kannst mich mal besuchen oder kannst einfach bleiben wo de bist, wo de Bock hast.“ 14, 33–37: Einen dauerhaften und verlässlichen Lebensmittelpunkt mit entsprechenden Sozialkontakten hält sie für die Kinder als sehr wichtig. „Und allein deshalb ... find ich das o . k ., dass Sonja da bleibt, wo sie ist und dort ihren Lebensmittelpunkt mit ihren ganzen Freunden findet.“ 15, 3–5: Nach sechs Jahren Fremdunterbringung ist sie aus ihrer Sicht „raus aus dem Alltag mit Kindern“. 15, 20–25: Die Vorstellung von einer erneuten Überforderung, von einem Rückfall in ihre Suchtproblematik und den Folgen für die Kinder veranlasst sie, die Fremdunterbringung als „für die Kinder auf jeden Fall das Beste“ anzusehen. 53 15, 40–46: Sie nimmt Bezug auf die Beziehung zu Anette. Sie weiß um eigene Fehler in der Beziehungsgestaltung, sieht aber die dreijährige Kontaktsperre zu Anette im Nachhinein als sehr ungünstig für die Beziehung an. „Ich glaube, es wäre besser gewesen, zu sagen, net nach drei Jahren, sondern vielleicht nach einem Jahr, (...)“ 16, 4–11: Sie hadert nochmals mit der nicht gepflegten Beziehung zu Anette, hätte sich Unterstützung diesbezüglich erhofft. „(...) aber diese blöde Hemmschwelle, wo dann Beziehungen vielleicht besser hätten unterstützt werden können, das hätt ich schon ganz gut gefunden – o. k., es hieß immer, sie will dich nicht sehen. Aber warum? Weiß ich net, ob sie jemals gefragt wurde, warum eigentlich, ja?“ 16, 12–19: Der ausschließliche Briefkontakt zu Anette und die negativen Äußerungen über ihre Person sind aus ihrer Sicht für das Kind sehr schwierig. „Das hat sie mit Sicherheit ängstlich gemacht, was stimmt da überhaupt: Ist die Mama so schlecht, wie die alle erzählen? Ist das wahr?“ 16, 20–32: In diesem Abschnitt beschreibt sie eine erste erneute Begegnung mit Anette beim gemeinsamen Hilfeplangespräch. Es schien für Anette schwer zu sein, ihr zu begegnen, aber der persönliche Kontakt hat die Hemmschwelle geschmälert. Sogar eine kurze Umarmung konnten beide zulassen. 16, 33–39: Aufgrund dieser Begegnung kann wieder eine Beziehung aufgebaut werden, die in Form eines persönlichen und beiderseitigen Briefkontaktes beginnt. „Und auch was sie schreibt ... ehm ... ja. Da ist dann ein Stück weit schon ’ne Hemmschwelle gefallen. Ich glaube, die hätte so groß gar net werden müssen (...)“ 20, 33–40: Ihre Zukunftsprognosen im Hinblick auf Sonja und Anette sind recht optimistisch. „(...) die kommen schon klar.“ Von ihrer Rolle als „abschreckendes Beispiel“ erhofft sie sich, dass ihre Töchter „die Finger von den Drogen lassen“. 20, 47: „Und dann wäre das ganze Elend wenigsten zu etwas gut.“ 7.1.4 Kategorie „Verhältnis zu den Pflegeeltern“ Diese Kategorie beschreibt positive wie negative Erfahrungen im Beziehungsdreieck Herkunftseltern – Pflegeeltern – Pflegekind sowie aufgrund der Praxis entstandene Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der Beziehungs54 gestaltung auf allen drei Ebenen. Frau Schulze bezieht sich dabei auf Erfahrungen mit der Pflegefamilie von Sonja sowie auf Erfahrungen mit Anettes Pflegefamilie. Beide Konstellationen bestehen seit mehreren Jahren. 9, 31–35: Frau Schulze plädiert für ein konstruktives Miteinander zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern. „Und was halt auch, was ich jetzt erst so erfahren hab, was mir bewusst geworden ist, wie wichtig das ist für ein Pflegekind, dass sich die Pflegeeltern und die leiblichen Eltern oder in dem Fall ich als Mutter, dass man sich da versteht und an einem Strang zieht.“ 9, 35–39: Sie beschreibt ein grundsätzliches Vertrauen den Pflegeeltern von Sonja gegenüber. „also, mir waren die Pflegeeltern von ihr sofort super sympathisch. Ich hab gedacht: Oh, da hat se ja richtig nette Leute gefunden – klasse!“ 9, 39–44: Frau Schulze führt die auch für Sonja positive Begegnung zwischen den Erwachsenen auf eine Offenheit der Pflegeeltern ihr gegenüber zurück. „Da merk ich auch dieses Entgegenkommen der Pflegeeltern, wie wichtig das dann wieder ist, das Kind net vor den leiblichen Eltern abzuschotten, sondern mit dieser Vergangenheit und den Personen, die vielleicht auch später noch dazugehören, einfach auch umzugehen sich lohnt (...)“ 10, 1–3: Sie bemerkt auch positiv, dass die Pflegeeltern einen Kontakt zu den Großeltern für Sonja ermöglichen. 10, 11–14: Frau Schulze durfte Sonja bei den Pflegeeltern besuchen, und regelmäßige monatliche Treffen sind angedacht. „(...) jetzt treffen wir uns jeden Monat mal.“ Flexible Terminabsprachen zwischen ihnen sind möglich. 10, 18–25: Hier geht sie nochmals auf die Vorteile einer entgegenkommenden und flexiblen Terminabsprache ein. Im Hinblick auf Sonja bemerkt sie: „Und da merkt das Kind, da ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander.“ 10, 43–48: Hier wechselt sie zu Erfahrungen mit Anettes Pflegeeltern: „Und das vermiss ich bei Anette sehr, dass dort halt die Initiative der Pflegeeltern null war (...)“ Sie beschreibt die Pflegefamilie von Anette als „christliche Familie, und ich weiß, die Anette hat’s dort gut, da passiert nix, da is alles wunderbar und so.“ Die Verurteilungen ihrer Person und ihres Lebensstils seitens der Pflegefamilie stören sie hingegen sehr. 55 14, 38–48: Das positive Verhältnis zu Sonjas Pflegeeltern hilft ihr, die Situation der Fremdunterbringung besser anzunehmen. „Es fällt mir leichter, das so auch für mich mit meinen Gefühlen hin zu nehmen, seit ich die Pflegeeltern kenne, die mir sehr sympathisch sind.“ Die Offenheit ihr gegenüber tut ihr gut und entspannt das Verhältnis offensichtlich sehr. Im Hinblick auf Sonja sieht sie große Vorteile aufgrund der Kooperation. „Dass sie damit leben lernt, sie hat ‘ne Pflegefamilie, wo sie Mama, Papa sagt, wo sie, aber da gibt’s eben noch mehr Bezugspersonen, ohne dass man sich gegenseitig im Weg ist und bekämpft. Dass sie da wirklich ganz locker merkt, alle gehen hiermit gut um, (...)“ 16, 43–47: Aufgrund der konstanten und langjährigen Betreuung von Anette durch deren Pflegeeltern hätte aus der Perspektive von Frau Schulze „alles sehr viel einfacher laufen können“. Sie spricht von Enttäuschungen und mangelnder Unterstützung. „Von Anfang an wurde da abgeblockt. Und das fand ich richtig, also das finde ich heute noch richtig schlecht.“ 17, 30–48: Hier wirbt sie erneut für eine gute Zusammenarbeit unter allen Beteiligten des Pflegeverhältnisses, hebt jedoch die Bedeutung von Pflegefamilie und Herkunftseltern bezüglich der Zusammenarbeit besonders hervor. „Also, ich glaube fast, dass das sogar noch wichtiger ist, die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und abgebenden Eltern, (...)“ Anhand der Planungen von Besuchskontakten macht sie deutlich, wenn „(...) es im Sinne des Kindes gut läuft“, ist die Vorgabe des Jugendamtes weit weniger relevant, als die Absprachen von Pflegeeltern und Herkunftseltern untereinander. 18, 24–30 Angesprochen auf Wünsche ihrerseits an die Pflegeeltern benennt sie den Wunsch nach regelmäßigem Austausch auf der Erwachsenenebene. „Einfach mal anrufen, abends um neun, wenn die Kinder im Bett sind, mal sagen: Hallo, ich wollt mal Bescheid sagen, bei uns ist soweit alles klar, oder da ist das und das vorgefallen (...) 19, 14–23: Im Hinblick auf Anette wird ihr nochmals deutlich, wie hilfreich solch ein Austausch auf der Erwachsenenebene wäre. „Hier, wir wollten uns mal melden, haben gedacht, wir sagen dir mal Bescheid, was gerade bei uns so abgeht und dass de dir keine Sorgen machen musst.“ Sie wünscht sich für beide Pflegeverhältnisse „dass das net alles übers Jugendamt oder über 125 Ecken laufen muss, bis man mal irgendwas erfährt“. 56 19, 32–37: Grundsätzlich empfindet sie eine Unterbringung in einer Pflegefamilie im Vergleich zur Heimunterbringung als weitaus bessere Alternative. „Wenn die Pflegefamilien finden, noch dazu gute, da ist dann schon so was wie Dankbarkeit gegenüber der Pflegeeltern – auf jeden Fall!“ Allerdings ist diese Dankbarkeit aus ihrer Sicht nicht unantastbar. „Aber wenn man’s dann nicht leicht gemacht bekommt, dann schwindet die auch so leicht dahin.“ 7.1.5 Kategorie „Enttäuschungen, Versagen von sozialstaatlichen Einrichtungen“ In dieser Kategorie finden sich Erfahrungen mit Jugendämtern, die den Prozess der Fremdunterbringung begleitet haben. Erfahrungen mit weiteren sozialstaatlichen Einrichtungen, insbesondere bezüglich der Suchtproblematik, werden hier ebenso dokumentiert. 1, 42–48: Hier schildert Frau Schulze ihre ersten Erfahrungen mit dem Jugendamt als Behörde, die in ihr Familiensystem eingreift. Die Kinder sind von ihr in die Verantwortung des Jugendamtes übergeben worden, nach der Entgiftung möchte sie wieder für die Kinder Sorge tragen, dies wird ihr aber verwehrt. „Die durften mich nicht mal besuchen.“ 3, 45–47: In der Drogentherapie, die Frau Schulze gemeinsam mit ihrem Freund Daniel angeht, wurden ihr Paargespräche zugesagt, die dann aber nicht umgesetzt wurden. 4, 13–42: Auch hier wird deutlich, dass eine gemeinsame Lebensperspektive in der Therapie nicht bearbeitet werden konnte, die insbesondere im Hinblick auf eine gemeinsame Erziehungsverantwortung für die Kinder aus ihrer Sicht dringend erforderlich war. „Und dann hieß es, nee, is net. Und dann war klar, das Ganze hat für uns gar keinen Sinn.“ 5, 29–32: Frau Schulze äußert Unverständnis darüber, dass sie einerseits trotz ihrer Drogenproblematik eine gesetzliche Betreuung für ihre Mutter zugesprochen bekommt, andererseits ihre Kinder nicht sehen darf. „Das Jugendamt lässt mich net meine Kinder sehen oder bei mir haben. Ist auch gerechtfertigt mit ’ner drogenabhängigen Mutter – das schmäler ich jetzt net! Aber das gleiche Gericht peilt das überhaupt net und gibt mir die Betreuung für meine Mutter, samt ihrer Konten (...)“ 57 6, 22–30: Hier beschreibt sie einen verzweifelten Versuch, beim Jugendamt um Vertrauen zu werben. „Und da hatte ich Drogenscreenings beim Arzt, hab die selbst bezahlt, hab die Kopien von diesen Clean-Scheinen immer schön dem Jugendamt in W. hingeschickt.“ Diese Maßnahme stellt sich als aussichtslos heraus. „Und da hab ich beim Gericht angerufen und hab gesagt: Bitte, bitte, bitte bestellt mich doch zu Screenings, wann ihr das wollt. Nö, wollen wir nicht, wir wollen jetzt sehen, dass Sie stabil sind und auch dann bla – über Jahre!“ 6, 35–43: Sie erzählt von der Perspektivlosigkeit im Hinblick auf ihre Elternverantwortung, die ihr das Jugendamt offeriert und des aus ihrer Sicht dadurch „extrem begünstigten“ Rückfalls in die Sucht. „Wenn ich da gewusst hätte, in drei Monaten oder vielleicht auch nur in sechs Monaten kann ich meine Kinder wieder haben, wenn ich weiter clean bin, wenn ich das weiter so nachweise. Oder sie sagen: Ein Jahr ziehen Sie jetzt durch. Dann machen Se ‘ne Haarprobe – wenn die wirklich total sauber ist, dann kriegen Sie Ihre Kinder zurück. Dann – nichts. So nach hinten offen Larifari – seh Du mal zu, reiß Dir mal den Arsch auf bis Deine Kinder groß sind.“ 7, 24–38: Sie erzählt von vielen Überschneidungen mit Jugendamtsmitarbeitern und teilweise sehr belastenden Äußerungen. „Eine hat mal gesagt: Es wäre doch besser für ihre Kinder gewesen, Sie hätten sie abgetrieben!“ 7, 42–48: Sie fühlt sich in vielen Begegnungen als Person abgelehnt und missachtend behandelt. „Da war eine, ehm, oder zwei ... die sind sooo, die haben mich sooo von oben herab, so missachtend behandelt – ah – egal, was ich da gesagt habe – was bist’n Du, der letzte Dreck!“ 8, 1–7: Bei einem erneuten Kooperationsversuch ihrerseits wird sie als emotionslos bezeichnet. „Dass ich bei ‘ner Frau vom Jugendamt, die ich schon vorher kannte, und wir waren uns gewiss nie sympathisch, dass ich mich da hinsetz’ und ... was soll ich ‘n da für Emotionen zeigen, wenn ich mich da melde und sage so und so, ich bin wieder hier, ich stell mich hier der Situation, (...)“ 8, 10: „Dann muss ich mir so ’ne Abfuhr erteilen lassen!“ 8, 23–27: Erfahrene Misshandlungen durch ihren Exehemann werden ihr nicht geglaubt. 58 8, 31–34: Ihre eigene Glaubwürdigkeit verliert immer zu Gunsten der Aussagen von anderen Menschen. 15, 43–48: Sie empfindet die angeordnete Kontaktsperre und Verselbständigung dieser Situation für ihre Kinder als sehr negativ, besonders im Hinblick auf die Beziehung zueinander. Sie hätte sich vom Jugendamt eine „Brückenfunktion“ gewünscht. 16, 1: Die Distanz ist mit den Jahren immer größer geworden. 16, 8–16: Eine Unterstützung bei der Beziehungspflege zwischen ihr und den Töchtern hätte sie sich von Jugendamtsseite erhofft. „ehm, aber diese blöde Hemmschwelle, wo dann Beziehungen vielleicht besser hätten unterstützt werden können, das hätt ich schon ganz gut gefunden –,“ 16, 38–41: Besonders im Hinblick auf Anette und deren Fremdunterbringung hätte aufgrund der Kontinuität aus ihrer Sicht keine Hemmschwelle entstehen müssen. 17, 7–19: Hier schildert Frau Schulze unter anderem Erfahrungen mit einem Jugendamt vor der Fremdunterbringung der Kinder. Sie bittet um Hilfe bezüglich der ältesten Tochter Regina. „Und wir haben das Jugendamt um Hilfe gebeten, und da hat sich dann nix bewegt. Und als die Kinder dann weg waren und alles offen dalag, da hat’s Jugendamt auf uns rumgehackt. Na klasse! Das fand ich sooo – damals auch im Vorfeld, da hätte vielleicht was passieren können an Hilfe.“ Aus ihrer Sicht sind es die Eltern, „die es vermasselt haben, ganz klar, is kein Thema. Aber dann am Ende nur drauf rum zu hacken, macht die Situation ja auch net mehr besser.“ 17, 22–27: Pflegeeltern haben aus ihrer Sicht „zu Recht eine ganz andere Glaubwürdigkeit“ bei Jugendämtern. Herkunftseltern, so ihre Erfahrung, „wird erst mal grundsätzlich Unglaubwürdigkeit und Lügen zugetraut, Unfähigkeit und, na ja, Wahrheitsverdrehung und alles Mögliche (...)“. 7.1.6 Kategorie „Positive Erfahrungen mit sozialstaatlichen Einrichtungen“ Diese Kategorie fällt im Vergleich zur vorangehenden durch ein deutlich kleineres Volumen auf. Hier finden sich positive Erfahrungen mit beteiligten Jugendämtern 59 aber auch weiteren sozialhelfenden Personen, wie beispielsweise Suchthelfern, Therapeuten und einem gesetzlichen Betreuer. 5, 37–48 und 6, 1: Hier erzählt Frau Schulze von einer für sie positiven Begleitung durch einen gesetzlichen Betreuer, der für sie zuständig ist. Sie spricht von ihm als „vertrauensvollen Ansprechpartner in sonst wie jeder Situation.“ Er unterstützt sie bei behördlichen Angelegenheiten, der Drogenproblematik und finanziellen Fragen. „Und wenn ich Probleme hab, kann ich mich auch an ihn wenden.“ 8, 10–23: Sie berichtet an dieser Stelle von wohlwollenden Begegnungen mit Jugendamtsmitarbeitern. „Gott sei Dank, endlich mal ein herzlicher, ein netter Mensch, mit dem man umgehen kann – natürlich fürs Kind, net für mich, is ja es Jugendamt! Aber, ehm, wo einfach net diese Ablehnung zu spüren war (...).“ Eine weitere Mitarbeiterin beschreibt sie als „auch super nett, super sympathisch, unkompliziert. Wo man so das Gefühl hat, o. k., man ist süchtig, man bleibt ja immer süchtig, auch wenn man gerade mal clean is, man is süchtig und wird deshalb net in die Kategorie Assi, Abschaum, unwert – da kann man drauf rumtrampeln, wie man gerade will, gesteckt oder, egal was man sagt, das wird ja sowieso net geglaubt.“ 9, 37–39: Die Unterbringung von Sonja in der jetzigen Pflegefamilie erlebt Frau Schulze als gute und geeignete Form der Unterbringung für ihre Tochter. „Ja und, wirklich, die Frau vom Jugendamt hat sich super Mühe gemacht, dann auch lange gesucht nach der geeigneten Pflegefamilie, und die hat sie effektiv gefunden, bin ich sicher.“ 12, 1–8: Sie beschreibt hier eine Begegnung mit einem Therapeuten ihrer ältesten Tochter, der ihr in einem Gespräch einen für sie wertvollen Hinweis gibt. „(...) also der Mann war die Wucht! Die Wucht. Also selten so einen guten Therapeuten erlebt, wo ich wirklich in der Lage war, das als Außenstehende mal für eine gewisse Zeit zu sehen (...).“ 12, 15–16: Als Auswirkung dieses Gespräches erlebt sie einen veränderten Umgang mit ihrer Tochter. „Aber danach ist es mir sehr viel leichter geglückt, mich da einfach komplett raus zu nehmen (...).“ 22, 12–20: Frau Schulze berichtet an dieser Stelle von einer für sie hilfreichen Suchtprophylaxe, die ihr auch außerhalb der stationären Therapie im Alltag Unter60 stützung bietet. „Um dann zu gucken, wie fängt das an und wo kann ich Anker werfen, wo kann ich rechtzeitig mir Hilfe holen, bevor es wieder zu spät is.“ 7.2 Die Forschungsfragen – eine Suche nach Antworten Mein Forschungsinteresse in dieser Arbeit gilt der Kompetenz und dem Erfahrungswissen von Herkunftseltern. Anhand des besonderen Einzelfalles, hier der Geschichte einer Mutter, die stellvertretend für abgebende Eltern einen Einblick in ihr Expertenwissen gibt, sollen Bewältigungsstrategien in möglichst gegenstandsnaher Abbildung des Materials exploriert werden. Aufgrund ihrer sehr differenzierten Betrachtungsweise und Fähigkeit zur Perspektivenübernahme erscheint mir Frau Schulze für dieses induktive Anliegen geeignet. Aufgrund des biografischen Fallverstehens können sozialhelfende Instanzen Sinnzusammenhänge und entsprechende Handlungsmuster erkennen und gegebenenfalls dechiffrieren, um gemeinsame Ziele und Arbeitsgrundlagen zu schaffen. Ein Eintauchen in die Lebensgeschichte von Betroffenen scheint also ein sinnvoller Schritt bei der Begleitung von Fallgeschichten zu sein. Dies soll hier anhand der Forschungsfragen praktiziert werden. Die Frage: „Wie lebt man mit dieser Situation?“ beziehungsweise „Was bedeutet eine Fremdunterbringung für die eigene Lebensgeschichte?“ soll die Suche eröffnen. In einem zweiten Exkurs steht die Frage „Was hilft in dieser Situation, den Prozess der Fremdunterbringung annehmen zu können?“, also der Frage nach Bedürfnissen und Wünschen im Mittelpunkt des Erkenntnisgewinns. 7.2.1 „Was bedeutet eine Fremdunterbringung für die eigene Lebensgeschichte von Herkunftseltern?“ Die Kategorien „Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung“ sowie „Verhältnis zum Kind“ sind für diesen ersten Teil der Suche besonders relevant. Hier finden sich viele Aussagen und Hinweise, die Einblicke in die sehr einschneidenden Lebensveränderungen geben. Frau Schulze erzählt davon, welchen Schnitt sie für ihr Leben empfindet, seit ihre Kinder nicht mehr mit ihr gemeinsam leben. Plötzlich das eigene Leben völlig neu 61 auszurichten, ohne dass andere Perspektiven erkennbar sind, wird in vielerlei Hinsicht zur Überforderung. „(...) von heut auf morgen ... hat man keine Kinder mehr in dem Sinn, im Alltag vorhanden, mit allen Freuden und Leiden und allem Stress und allem, was dazu gehört. ... Das ist ein richtiger Schnitt! Dann sein Leben noch mal neu zu sortieren mit, was weiß ich, wie alt war ich denn? Anfang dreißig. Und net so genau zu wissen wohin, womit (...)“ (20, 12–16) Das bisherige Lebenskonzept ist hinfällig geworden und muss neu konstruiert werden. Die damit einhergehenden Gefühle pendeln zwischen den beiden sehr gegensätzlichen und doch sehr nah beieinander liegenden Gefühlen von Hoffnung und Resignation. Resignation ist dabei verbunden mit Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen, die zusätzlich die emotionale Verfassung belasten. „Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Also, ich hab schwer gelitten all die Jahre, ehm, und immer wieder gekämpft auch, die Kinder wieder zurückzubekommen ..., am Anfang überhaupt net eingesehen, warum das net geht.“ (21, 3–5) Der seelische Schock und die damit verbundene tiefgehende Erschütterung der eigenen Person und des eigenen Lebensmodells führen häufig zu einem Teufelskreis von Verzweiflung, den Frau Schulze ebenfalls in ihrer Erzählung beschreibt. Sie erklärt darin, warum destruktives Verhalten, das bereits die Fremdunterbringung mit ausgelöst hat, weiter aufrechterhalten bleibt oder sogar verstärkt wird, obwohl der Wunsch nach Beendigung der Krise sehr stark besteht. Anhand dieser Aussagen wird deutlich, wie traumatisch die Fremdunterbringung für abgebende Eltern unter Umständen sein kann, und das Leben außer Kontrolle gerät, vergleichbar mit Reaktionen, die der Verlust eines bedeutsamen Menschen durch Tod auslösen kann. Der Verlust eines Kindes gilt hierbei als kritischstes Lebensereignis und problematischer Trauerprozess. Die Fremdunterbringung eines Kindes, je nach Gestaltung und Ausgangslage, kann durchaus ähnlich schwerwiegend verlaufen. Dass diese Trauerarbeit Handlung bestimmt und entsprechende Höhen und Tiefen erlebt, ist nachzuvollziehen. Der Verlust von Elternverantwortung und Beziehungsintensität, der in der Regel mit einer Fremdunterbringung einhergeht, verändert auch die gesellschaftliche Rolle eines Menschen. Die Elternrolle ist ohne das Vorhandensein von Kindern im 62 täglichen Miteinander als „Vakuum-Zustand“ zu verstehen. Die Tatsache der Elternschaft bleibt bestehen, ist aber in ihrer Handlung und in ihrem kulturellen Verständnis nicht mehr wie gewohnt und gesellschaftlich erwartet durchführbar. Andere gesellschaftliche Rollen können durch legitimierte und anerkannte Beendigungs- oder Auflösungsprozesse verlassen werden, beispielsweise die Rolle als Ehepartner oder Berufstätiger. Die Rolle als Mutter oder Vater ist nicht auflösbar. Sich im gesellschaftlichen Zustand als „Eltern ohne Kinder“ zu befinden, erfordert demnach ein alternatives Rollenverständnis bezüglich der Elternverantwortung und Beziehungspflege, um ein notwendiges emotionales Gleichgewicht wiederherzustellen. Frau Schulze beschreibt diesen Weg als langwierigen und schmerzhaften Prozess. „Und mich wirklich damit abzufinden, die Kinder nicht mehr als Kinder in die Familie zu bekommen, nie wieder, das tut immer noch weh (kurz vor’m Weinen). Aber, ehm, dass ist jetzt irgendwie auch o. k. Aber das hat lang gedauert. Aber jetzt weiß ich, das is um. Wobei, ja, ich denke, so is es um.“ (7, 14–17) Da eine Fremdunterbringung in der Regel keine Zustimmung der Eltern findet und als Sanktion und Eingriff von außen an das Familiensystem herangetragen wird, ist die Kooperation mit allen am Unterbringungsprozess Beteiligten grundsätzlich erschwert. Ohnmachtsgefühle schwächen dabei die eigene Position im sozialen System und führen häufig zur Resignation und entsprechend destruktiver Verhaltensweisen. „Jetzt kommt’s Jugendamt und holt mein Kind wieder ab (...).“ (2, 44–45) „Und da hab ich mir irgendwann gedacht: Für was brauch ich ’n clean sein, wenn ich meine Kinder net hab, ne? Dafür is ja Koksen viel zu schön. Also, ne, is natürlich Quatsch! Aber irgendwie (...)“ (6, 43–45) Wie schon eingangs erwähnt, sind auch Gefühle von Hoffnung für die eigene Rolle, die Situation an sich oder die Zukunft der Kinder Bewältigungsstrategien, um mit der Fremdunterbringung zu leben. Neben aller Verzweiflung gibt es auch Momente der Zustimmung und Annahme der Situation. Besonders in Zeiten der kritischen Selbstbetrachtung sowie der Perspektivenübernahme wird diese Haltung möglich. Frau Schulze kann trotz per63 sönlicher Betroffenheit Maßnahmen im Zuge der Fremdunterbringung als notwendig und nachvollziehbar ansehen. Selbst die Fremdunterbringung an sich ist retrospektiv betrachtet für sie verständlich. Insbesondere das Wohl des Kindes veranlasst sie, Absprachen mit zu tragen und Kooperation anzustreben. Offensichtlich verhilft ihr diese Perspektive in großem Maße, die Situation trotz aller Trauer zu bewältigen. „Ich hab auch versucht, gegen alle meine Gefühle in den Jahren zu denken, hoffentlich haben die vom Jugendamt mit der oder der Maßnahme oder nicht sehen, nicht treffen, kein Kontakt – wenn’s dem Kind ja wirklich nützt, wenn’s ja wirklich gut ist, dann halt ich das auch aus. Ich will das Beste für meine Kinder. Und wenn das jetzt eben das Beste ist, dann muss ich eben durch. Ich hab ja auch den Scheiß gebaut. Hauptsache denen geht’s gut. Und Sonja geht’s jetzt gut. Ja. Und .. (holt tief Luft).“ (9, 17–22) Frau Schulze lebt mit der Fremdunterbringung ihrer Kinder. Sie erlebt dabei sehr intensiv Gefühle, die ihr das Leben erschweren, die sie verzweifeln lassen und die einem positiven Lebenskonzept erschwerend im Weg stehen. Sie erlebt aber auch Gefühle, die die Beziehung zu ihren Töchtern konstruktiv begleiten, die ihr dabei helfen, die Situation anzunehmen und als Neuanfang zu betrachten. Besonders im Hinblick auf Sonja findet sie zunehmend einen Platz im sozialen System der Tochter und kann für sich eine neue Rollenzuschreibung konstruieren. „Es fällt mir leichter, das so auch für mich mit meinen Gefühlen hinzunehmen, seit ich die Pflegeeltern kenne, die mir sehr sympathisch sind. Ich hab da vorher schon vertraut, dass das gute Leute sind, auch wenn man sich persönlich net kennt. Und ich find das einfach so klasse, und dass sie auch als Pflegeeltern offen sind und sagen: Ja, wenn es der Sonja damit gut geht, dann kann sie öfter mal am Wochenende kommen, dann kann sie in den Ferien kommen.“ (14, 37–43) Frau Schulze möchte im Rahmen ihrer Möglichkeiten für ihre Kinder da sein, nimmt aber auch Grenzen wahr, die diesen Wunsch einschränken. So befindet sie sich auf einem Weg, ihre Rolle als Mutter zu überarbeiten, emotional und pragmatisch neu zu sortieren und an die Bedürfnisse des sozialen Systems mit allen Beteiligten anzupassen. 64 7.2.2 „Was hilft dabei, die Fremdunterbringung als abgebende Eltern annehmen zu können?“ In diesem weiteren Teil der Suche nach Antworten kommen die einzelnen Akteure der Hilfeleistung stärker in Betracht. Das Forschen nach Wünschen und Bedürfnissen steht häufig im direkten Zusammenhang mit einzelnen Personengruppen, die für Frau Schulze und ihre Kinder Bedeutung haben. Ein besonderes Gewicht legt die betroffene Mutter auf die Pflegeeltern und deren Haltung und Einstellungen. Somit sind in der Kategorie „Verhältnis zu Pflegeeltern“ auch entsprechend viele Antworten zur Forschungsfrage aus Sicht der Betroffenen zu finden. Weitere Hinweise auf Unterstützungsmöglichkeiten finden sich in den Kategorien, die Aussagen über die Bedeutung der zuständigen Jugendämter machen. Frau Schulze empfindet die Rolle der Pflegeeltern im Hilfeprozess als eminent, wenn es um die konstruktive Gestaltung des Pflegeverhältnisses geht. Dabei hat sie zum einen ihre eigenen Interessen als Mutter im Blick, legt aber auch größten Wert auf die Bedürfnisse ihrer Kinder. Die Vermeidung eines Loyalitätskonfliktes für das betroffene Kind ist für sie aus der Perspektive des Kindes überaus wichtig. „(...) was mir bewusst geworden ist, wie wichtig das ist, für ein Pflegekind, dass sich die Pflegeeltern und die leiblichen Eltern oder in dem Fall ich als Mutter, dass man sich da versteht und an einem Strang zieht. Und ich sage nicht mehr kompliziert, wie es sowieso schon ist, dass da für so ein Kind ne riesen Last weg ist, das Gefühl hab ich jetzt bei Sonja (...) Da merk ich auch dieses Entgegenkommen der Pflegeltern, wie wichtig das dann wieder ist, das Kind net vor den leiblichen Eltern abzuschotten, sondern mit dieser Vergangenheit und den Personen, die vielleicht auch später noch dazugehören, einfach auch umzugehen sich lohnt (...)“ (9, 31–35; 41–44) An anderer Stelle formuliert sie den aussagekräftigen Satz: „Ich weiß, dass ein Kind immer die Eltern lieb hat und sowieso schon zerrissen ist durch diese ganze Situation. Da muss man net von außen noch drauf treten und das Leben noch schwerer machen!“ (11, 32–34) Diese Erkenntnis und ihre eigene Interessenlage als abgebende Mutter mit entsprechenden Emotionen veranlassen sie, ein Plädoyer für die Zusammenarbeit von Pflegeeltern und Herkunftseltern zu halten und dieses als signifikanten Faktor 65 beim Gelingen eines Pflegeverhältnisses zu benennen. Die Bedeutung des Jugendamtes liegt hierbei in der Unterstützung der Zusammenarbeit. Ihre Erfahrungen mit Sonjas Pflegeeltern bestätigen sie in dieser Annahme. „Und die Zusammenarbeit ist glaube ich unter allen drei Beteiligten ganz wichtig. Wobei ich fast meine (...). Also, ich glaube fast, dass das sogar noch wichtiger is, die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und abgebenden Eltern, wobei das Jugendamt natürlich sehr, sehr hilfreich sein kann, dass oder jenes zu unterstützen oder auch abzuwenden.“ (17, 30–31; 40–43) Der Rolle der Pflegeeltern scheint also eine beachtliche Verantwortung zuzukommen, wenn es um die positive Gestaltung des Hilfeprozesses geht, insbesondere bei der Einbeziehung der Herkunftseltern. Frau Schulze beschreibt sehr eindrücklich, wie wohltuend und hilfreich die Zusammenarbeit mit Sonjas Pflegeeltern ist, und welche Möglichkeiten sich daraus für ihre Mutterrolle und die Beziehungsarbeit zu Sonja ergeben. Auch Sonjas Alltag wird durch die Kooperation der Erwachsenen günstig beeinflusst, wie am Beispiel der Schulschwierigkeiten zu sehen ist. Die unkomplizierten und auf entsprechende Bedürfnisse und Möglichkeiten abgestimmten Besuchsregelungen empfindet Frau Schulze ebenfalls als hilfreich und wünschenswert. Im Vergleich zur Pflegesituation von Anette wird deutlich, welchen Einfluss das Verhältnis der Erwachsenen untereinander auf die Mutter-KindBeziehung nimmt. „Und das vermiss ich bei Anette sehr, dass dort halt die Initiative der Pflegeeltern null war.“ (10, 43) „Von Anfang an wurde da abgeblockt. Und das fand ich richtig, also das finde ich heute noch richtig schlecht.“ (16, 46–47) Neben der konstruktiven Zusammenarbeit in Verbindung mit den Interessen und Wünschen des Pflegekindes und der diesbezüglichen Beziehungspflege, wirbt Frau Schulze für eine eigenständige Beziehung auf der Erwachsenenebene zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern. Ziel dieser eigenständigen Beziehung ist die Optimierung der Kooperation durch die kontinuierliche Kommunikation. Sie wünscht sich im Einzelnen beispielsweise abendliche Telefonate in regelmäßigen 66 Abständen, um am Alltag und der Entwicklung des Kindes beteiligt zu sein und gegebenenfalls Unterstützung anzubieten. „(...) mmmh ... Wüsche: Ich würde mir wünschen, dass sich die Pflegeeltern, vielleicht auch ohne das Wissen der Kinder, überhaupt ab und zu mal gemeldet hätten oder melden würden. Einfach mal anrufen, abends um neun, wenn die Kinder im Bett sind, mal sagen: Hallo, ich wollt mal Bescheid sagen, bei uns ist soweit alles klar, oder da ist das und das vorgefallen (...) das fände ich z. B. mal ganz toll.“ (18, 24–29) Sie glaubt, dass viele Herkunftseltern über eine Möglichkeit der Information und Zusammenarbeit dankbar wären. „Ja, und ich glaube auch, dass das für viele abgebenden Eltern zutreffen würde.“ (19, 27) Auch Ängste und Sorgen im Hinblick auf die Fremdunterbringung können durch persönlichen Kontakt und dementsprechende Transparenz des Pflegeverhältnisses entkräftet werden und tragen dadurch zum Bewältigungsprozess bei. „(...) und damit geht’s mir dann auch gut, wenn ich dann nach Hause fahre, dann bin ich net tot traurig, ehm, sondern denk mir Mensch schön, es geht ihr gut, sie ist glücklich ich muss mir keinen Kopf machen, passiert da jetzt was Schlimmes. Hat man doch als abgebende Eltern, gerade bei Töchtern, aber überhaupt, was man so alles hört, so viel Angst vor Missbrauch, oder sexuellem Missbrauch oder doch Gewalt. Und da ist es ganz wichtig, auch zu wissen, die Pflegeeltern, wie sind die so drauf.“ (10, 34–39) Das entstandene Vertrauensverhältnis ermöglicht dann wiederum, dem Pflegeverhältnis Legalität und Kontinuität zuzusprechen. Realitäten anzunehmen und entsprechend neue Rollen zu finden, sind Faktoren, die das Pflegeverhältnis stabilisieren und Krisen minimieren, also zu einem Gelingen der Jugendhilfemaßnahme beitragen. „Wobei ich ihr auch gesagt hab (...), dass es für mich in Ordnung ist, dass sie da lebt, dass ich froh bin, dass sie so ne nette Pflegefamilie hat und dass sie da bleiben darf, so lange wie sie möchte. Dass ich schon gerne mehr Kontakt zu ihr haben möchte, aber das ihr überlasse und alle diese Freiräume gebe.“ (9, 26–30) 67 Hier wird deutlich, dass die positive Begleitung des Pflegeverhältnisses in direktem Zusammenhang mit der eigenen Zufriedenheit von abgebenden Eltern steht. Frau Schulze kann das Pflegeverhältnis ihrer Tochter Sonja legalisieren und Kontinuität zusprechen, weil sie es grundsätzlich annehmen kann. Diese grundsätzliche Annahme der Fremdunterbringung ist ihr möglich, weil sie selbst Teil des Hilfesystems sein kann, dadurch den Pflegeeltern ihr Vertrauen entgegenbringt und eine neue, für sie tragbare Rolle einnimmt. Von diesem neuen und erweiterten Elternsystem, konzeptionell in der Jugendhilfe als Ergänzungsfamilienmodell angedacht, erhofft sie sich auch für Sonja eine positive Wirkung. „Dass sie damit leben lernt, sie hat ‘ne Pflegefamilie, wo sie Mama, Papa sagt, wo sie, aber da gibt’s eben noch mehr Bezugspersonen, ohne dass man sich gegenseitig im Weg ist und bekämpft. Dass sie da wirklich ganz locker merkt, alle gehen hiermit gut um, (...).“ (14, 46–48) Diese erweiterte Elternschaft wünscht sie sich auch für das Pflegeverhältnis ihrer Tochter Anette. Derzeit empfindet sie noch eine große Hemmschwelle zwischen sich und Anette und führt diese auf den mangelnden Kontakt und die nicht vorhandene Kooperation mit den Pflegeeltern zurück. Die Unterstützung der Beziehungspflege zwischen Kindern und Herkunftseltern hält sie für überaus wichtig, betont dabei den Bedarf bei allen Beteiligten und wirbt für notwendige Hilfestellung. Hauptadressat für dieses Anliegen sind die Pflegeeltern, die Aufgabe des Jugendamtes kann gleichsam die entsprechende Beratungstätigkeit sein. Neben der konzeptionellen und unter Umständen mediativen Beratungsarbeit des Jugendamtes ist eine von Achtung und Annahme geprägte Haltung den Herkunftseltern gegenüber äußerst hilfreich. Ihre Erlebnisse mit Fachkräften der Jugendhilfe reichen von Verachtung und Ablehnung „Es wäre doch besser für ihre Kinder gewesen, sie hätten sie abgetrieben!“ (7, 27–28) bis zu wohlwollender Beratung und Partizipation „Gott sei Dank, endlich mal ein herzlicher, ein netter Mensch, mit dem man umgehen kann – natürlich fürs Kind, net für mich, is ja es Jugendamt! Aber, ehm, wo einfach net diese Ablehnung zu spüren war (...)“ (8, 12–14). 68 Eine Ablehnung ihrer Person und Elternrolle führte zu Rückzug und Resignation, die konstruktive Zusammenarbeit und Achtung ihrer Elternrolle ermöglichte die Akzeptanz der neuen Situation. Zusammenfassend können folgende Faktoren als hilfreich und zur Bewältigung der Situation für Herkunftseltern als geeignet angesehen werden: Das Maß aller Dinge sollte das Wohl des Kindes sein. Zu dessen Wohl gehört eine kontinuierliche und legalisierte Lebensform. Diese kann nur gewährleistet sein, wenn sich alle Beteiligten um Zusammenarbeit bemühen. Herkunftseltern wünschen sich in diesem Zusammenhang die Achtung ihrer Elternrolle und bedeutsame Bindung zum Kind sowie entsprechende Beziehungspflege. Diese beinhaltet verlässliche und an die Bedürfnisse angepasste Besuchskontakte sowie eine wertschätzende Haltung ihnen gegenüber. Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses scheint notwendig und hilfreich zu sein. Dazu ist Transparenz und Offenheit wichtig, ebenso eine eigenständige Beziehung auf der Erwachsenenebene, um Loyalitätskonflikte zu vermeiden. Der Großteil dieser Aufgaben kommt den Pflegeeltern zu, die den Alltag des Kindes gestalten. Eine entsprechende Beratungstätigkeit der zuständigen Fachkräfte ist wünschenswert und notwendig. Die Erarbeitung neuer Rollen und Verantwortungen sind Voraussetzung für ein Gelingen der Jugendhilfemaßnahme. 7.3 Erstellung von Thesen Die intensive Auseinandersetzung mit der Fallgeschichte von Frau Schulze veranlasste mich, unter Einbeziehung bereits vorhandener Erkenntnisse in Literatur und Praxis, Thesen aufzustellen, die zum Gelingen einer Jugendhilfemaßnahme beitragen können. Diese in Theorie und Fallgeschichte manifestierten Forderungen sollen die konzeptionelle Praxis im Pflegekinderwesen anregen, ihre professionelle Begleitung an den Bedürfnissen der entsprechenden Adressaten zu optimieren. Die biografische Fallarbeit ermöglichte mir, eine Perspektivenübernahme im Rahmen meiner Möglichkeiten zu vollziehen und daraus folgende Thesen zu vertreten: 69 1. Pflegeeltern sind Hauptakteure bei der Gestaltung eines Pflegeverhältnisses. Aus der Sicht der betroffenen Mutter wird immer wieder deutlich, wie eminent wichtig die Rolle der Pflegeeltern in einem Hilfeprozess ist. Deren Haltung und Auftrag prägt die alltägliche Ausgestaltung der Jugendhilfemaßnahme und im Besonderen die Beziehungspflege zwischen Pflegekind und Herkunftseltern. Die positiven Auswirkungen für Frau Schulze und deren Tochter Sonja sind im Interview vielfach deutlich geworden. Durch die strukturelle Überlegenheit der Pflegeeltern im Hilfeprozess ist deren Initiative häufig notwendig, um Kommunikation und Kooperation überhaupt zu aktivieren. Jürgen Blandow hat im Hinblick auf Pflegeeltern und deren bedeutsame Rolle im Hilfeprozess Kriterien aufgestellt, die erfolgreiches Handeln von Pflegepersonen ermöglichen. Unter anderem nennt er neben grundsätzlicher „Empathie“ und der „Wertschätzung des Kindes“ auch den „Respekt gegenüber bedeutsamen Bezugspersonen des Kindes“ sowie „Teilungs- und Zusammenarbeitsbereitschaft“. (siehe Blandow 1999) Frau Schulze fordert in ihren Aussagen genau diese Kriterien innerhalb des Pflegeverhältnisses und erläutert, wie positiv diese Haltung von Sonjas Pflegeeltern dem Hilfeprozess zugute kommen. Ist die Betreuung offen und durchschaubar und sind Absprachen und das Aushandeln von Regeln für den Umgang miteinander möglich, können auch konstruktive Umstrukturierungen bezüglich der Rollen und Verantwortungen ausgehandelt werden. Ihr Plädoyer für eine konstruktive Zusammenarbeit macht den großen Bedarf und die unterschiedlichen Aufgaben in beeindruckender Weise deutlich. Gemeinsame Arbeitsgrundlage ist in jedem Fall das Wohl des Kindes. Um diesen komplexen und anspruchsvollen Auftrag zu erfüllen, sind Beratungsleistungen in Form von Gruppen- und Einzelangeboten notwendig, damit den Hauptakteuren in einem Pflegeverhältnis angemessene Unterstützung zuteil wird. Auch die Anerkennung ihres gesellschaftlichen Auftrages ist nötig, um ein hohes fachliches Niveau für Pflegeverhältnisse anzubieten. Der Bedarf an flankierenden Maßnahmen ist hoch und vielerorts nur sehr unbefriedigend gedeckt. 70 2. Herkunftseltern benötigen einen angemessenen Platz innerhalb einer Jugendhilfemaßnahme. Nicht nur für das betroffene Kind, sondern auch für dessen Eltern und dem daraus resultierenden Wechselspiel sind Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie zu berücksichtigen, die sich mit bedeutsamen Bindungen zwischen Menschen beschäftigen. Häufige Beziehungs- und Bindungsabbrüche sind der schädlichste Indikator für die psychische Entwicklung eines Menschen. Aus der Bindungsforschung (u. a. Bowlby 1973) weiß man, dass der Mensch als soziales Wesen in starker Abhängigkeit zu seinen bedeutsamen Bindungen steht. Diese bedeutsamen Bindungen zu achten und sie in wertschätzender Weise im Pflegeverhältnis zu berücksichtigen, ist eine Forderung, die klar aus dem vorliegenden Material zu entnehmen ist. Dass sich aus bedeutsamen Bindungen Rollenzuschreibungen ergeben, ist nahe liegend. Frau Schulze wünscht sich Beziehungspflege und Verantwortungsübernahme im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Anhand des Hilfeverlaufes der jüngsten Tochter Sonja wird deutlich, dass die Beachtung und Anerkennung der Mutter-Kind-Beziehung eine grundsätzliche Annahme der Situation ermöglicht. Über neue Verantwortlichkeit und Rollenzuschreibung ist eine Gefühlsbewältigung möglich, die dem gesamten Pflegeverhältnis zugute kommt. Die Annahme und Legalisierung des Pflegeverhältnisses wird durch vertrauensbildende Maßnahmen wie Transparenz und Offenheit gefördert und minimiert durch Beteiligung und Angstabbau destruktives Verhalten. Durch neue Rollen und Aufgaben entsteht neue Lebensqualität, und die Gefahr von Loyalitätskonflikten für das betroffene Kind ist deutlich geringer. Marianne Schumann (DJI, 1987) spricht von einer nötigen „Ambiguitäts-Toleranz“ bezüglich sozialer Realitäten. Eine Toleranz für Widersprüche ist notwendig, wenn Herkunftseltern ihre Elternrolle als nach wie vor bedeutsam ansehen, das Kind jedoch gleichzeitig über die Verlagerung seines Lebensmittelpunktes neue bedeutsame Bindungen eingeht. Das eigene Scheitern anzunehmen und sich neuen, veränderten Aufgaben zu stellen, ist eine Herausforderung für abgebende Eltern, die nur unter entsprechenden strukturellen Bedingungen möglich ist. Einen bedeutsamen Platz innerhalb der Jugendhilfemaßnahme einzunehmen, erfordert auch hier Beratung und Unterstützung. Dass diese nur über einen respektvollen und wohlwollenden 71 Umgang seitens der Fachkräfte möglich ist, dokumentiert das vorliegende Interview evident. Das durch das traumatische Ereignis einer Fremdunterbringung entstandene Gefühl von Versagen führt häufig zu Rückzug und Resignation. Die von der aufsuchenden Familientherapie geforderte Haltung „Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden“ (Marie Luise Conen, 2002) stellt aus meiner Sicht einen geeigneten Ansatz dar, Ressourcen zu finden und destruktives Verhalten in Kompetenzen umzukehren. Diese Haltung ist auch im Pflegekinderwesen umsetzbar. Ein umfangreiches Beratungsangebot für abgebende Eltern ist deshalb auch nach erfolgter Fremdunterbringung notwendig. Es erfordert niedrigschwellige Einzelangebote, kann sich aber auch der Methodik der Gruppenarbeit als zusätzliche Möglichkeit der Gefühlsbewältigung bedienen. In jedem Fall ist das überaus große Defizit an Beratungsangeboten für Herkunftseltern zu modifizieren. 3. Das „Ergänzungsfamilien- Konzept“ dient als konstruktive Grundlage eines Pflegeverhältnisses Als logische Schlussfolgerung aus den beiden vorangegangenen Thesen ergibt sich aus meiner Sicht die Forderung nach einem „inklusiven Verständnis“ von Pflegeverhältnissen innerhalb der Jugendhilfe. Der Aufbau eines erweiterten Elternsystems und somit die Akzeptanz unterschiedlicher Rollen und Verantwortungen findet im „Ergänzungsfamilienkonzept“ seine Berücksichtigung. Ulrich Gudat (DJI, 1987) schlägt dabei eine Neuorientierung in Richtung einer systemischen Sichtweise vor und wirbt für eine geteilte Verantwortung. Das Kind ist aus dieser Perspektive Bestandteil von zwei Systemen, die sich entsprechend integrieren. Bisherige Bindungen werden geachtet und fehlende Funktionalität ergänzt. Das strukturelle Merkmal der „doppelten Elternschaft“ findet hier seine angemessene Bearbeitung und Umsetzung. Wenn zwei Familien über das Eintreten eines Pflegeverhältnisses in Beziehung treten, sind Einstellungen und Haltungen vorhanden, die den Verlauf der Jugendhilfemaßnahme beeinflussen. Eine entsprechende konzeptionelle Vorgabe der Fachkräfte ist deshalb bereits bei der Auswahl und Vorbereitung von Pflegeeltern nötig. 72 Die tragende Rolle der Pflegeeltern bei der Gestaltung eines Hilfeprozesses und deren dementsprechend große Einflussnahme auf die Position der Herkunftseltern macht deutlich, wie wichtig deren konzeptionelles Verständnis für den Verlauf ist. Das Bedürfnis abgebender Eltern, einen angemessenen Platz im sozialen System ihres Kindes einzunehmen, kann bei entsprechender Ignoranz zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Beratungsziele in der Arbeit mit Pflegeeltern beinhalten demnach, Aufgaben und Verantwortungen festzulegen, die einer erweiterten Elternschaft gerecht werden. Eine tragfähige Beziehung auf der Erwachsenenebene zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern scheint unerlässlich, wenn Kooperation zum Wohl des Kindes angestrebt wird. Die Gefahr eines pathogenen Beziehungsdreiecks und entsprechend negativer Auswirkungen auf das Pflegeverhältnis ist dadurch minimiert. Frau Schulzes Wunsch nach abendlichen Telefonaten zwischen ihr und den Pflegeeltern verdeutlichen den Bedarf nach eigenständiger Beziehung. Dieses Bedürfnis kann nur innerhalb eines Rollenverständnisses befriedigt werden, das durch eine grundsätzlich akzeptierende und einfühlende Haltung gegenüber den Herkunftseltern geprägt ist. Dieser außerordentlich hohe Anspruch erfordert ein Beratungsangebot, das sich den individuellen Bedürfnissen und Problemlagen anpasst und flexibel auf das spannungsreiche Feld des Pflegeverhältnisses eingeht. Das „Ergänzungsfamilien-Konzept“ ist aus meiner Perspektive für alle Beteiligten entlastend, wenn es um die Gestaltung des von Grund auf komplizierten und widersprüchlichen Beziehungsarrangements geht, welches Pflegeverhältnisse auszeichnet. Es erkennt soziale Realitäten an, ohne sie zu verzerren, und ermöglicht allen Beteiligten einen authentischen und somit auf Dauer tragfähigen Umgang miteinander. Somit grenzt sich mein konzeptionelles Verständnis von Pflegeverhältnissen stark von Vorstellungen wie beispielsweise der des „Ersatzfamilienkonzeptes“ von Nienstedt/Westermann ab. Die darin geforderte emotionale Ablösung des Kindes von seinen leiblichen Eltern und damit einhergehende Ausgrenzung der bedeutsamen Bindungspersonen wird nicht nur durch das vorliegende empirische Material kritisch in Frage gestellt, sondern auch durch vielfältige und langjährige Erfahrungen meinerseits mit abgebenden Eltern und deren Kindern. 73 8 Schlussbemerkung Das Ziel dieser Arbeit lag darin, die soziale Wirklichkeit von abgebenden Eltern zu explorieren und damit dem Verstehen anzubieten. Gegenstand der Untersuchung war die retrospektive Betrachtung einer Mutter, deren Kinder fremdbetreut sind. Ob die Perspektivenübernahme und entsprechende Einsicht gelungen ist und die daraus entstandenen Forderungen den Bedarf realistisch ermittelt haben, lässt sich wohl nur von Herkunftseltern selbst beantworten. In der Hoffnung, die sehr persönlichen und bewegenden Erzählungen von Frau Schulze in ihrem Sinne dargestellt zu haben, beende ich die Dokumentation meiner Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Mein Respekt gilt ihrer beharrlichen Auseinandersetzung mit den sozialen Realitäten, die ihre Biografie begleiten, und ihrer Mutterrolle, die sie trotz aller Widerstände nicht verlassen hat. Ich wünsche abgebenden Eltern den Mut, ihre Bedürfnisse und Wünsche trotz widriger Lebensumstände für sich und ihre Kinder nicht aus dem Blick zu verlieren und dafür einzutreten, dass ihre Rolle einzigartig ist und bleibt. Die konzeptionellen Rahmenbedingungen in diesem Sinne zu gestalten, bleibt Aufgabe der entsprechenden Fachkräfte im Pflegekinderwesen und lohnenswerte Arbeit für die betroffenen Kinder, deren Eltern und Pflegeeltern. 74 9 Ø Literaturverzeichnis BLANDOW, Jürgen; FALTERMEYER, Josef u. a. ( 2004): Herkunftsfamilien in der Jugendhilfe; in: Dokumentation 3 des Sozialpädagogischen Instituts im SOSKinderdorf e. V., München Ø BLÜML, Herbert; GUDAT, Ulrich u. a. (1987 ): Handbuch Beratung im Pflegekinderbereich; Verlag Deutsches Jugendinstitut e.V. , München Ø BOHNSACK, MAROTZKI, MEUSER ( 2003 ): Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung; Leske und Buderich , Opladen Ø BLANDOW, Jürgen ( 1999 ): Versorgungseffizienz im Pflegekinderwesen; in: Handbuch Heimerziehung und Pflegekinderwesen in Europa ; Luchterhand Verlag , München Ø CONEN, Marie-Luise ( 2002 ): Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden ; Carl-Auer-Systeme Verlag , Heidelberg Ø CONEN, Marie-Luise ( 1996 ): „Wie können wir ihnen helfen, uns wieder loszuwerden?“ ; Aufsuchende Familientherapie mit Multiproblemfamilien; in: Zeitschrift für systemische Therapie Ø GLINKA, Hans-Jürgen ( 2003 ): Das narrative Interview, 2.überarbeitete Auflage; Juventus Verlag , Weinheim, München Ø FALTERMEIER, Josef ( 2001 ): Verwirkte Elternschaft ? Fremdunterbringung, Herkunftseltern, Neue Handlungsansätze ; Votum Verlag , Münster Ø FROSCHAUER, Ulrike; Lueger, Manfred ( 2003 ): Das qualitative Interview; WUV-Universitätsverlag Facultas , Wien Ø KUHLMANN, Carola ( 1998 ): Erziehungshilfen in Deutschland im Spannungsfeld von Schutz, Kontrolle und Hilfe; In: Hilfe-, Schutz- und Kontrollorientierung in der Erziehungshilfe Ø LAMNEK, Siegfried ( 1993 ): Qualitative Sozialforschung, Band II, Methoden und Techniken ; Beltz Verlag , Weinheim Ø MAYRING, Philipp ( 2003 ): Qualitative Inhaltsanalyse, Grundlagen und Techniken ; Beltz Verlag , Weinheim und Basel 75 Ø NIEDERBERGER, Josef Martin ( 1997 ): Kinder in Heimen und Pflegefamilien, Fremdplatzierung in Geschichte und Gesellschaft ; Kleine Verlag GmbH ; Bielefeld Ø RYAN, Tony; Walker, Rodger ( 2004 ): Wo gehöre ich hin ? , Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen ; Juventa Verlag , Weinheim und München Ø TEXTOR, Martin R.; Warndorf, P. K. ( 1995 ): Familienpflege – Forschung, Vermittlung, Beratung ; Lambertus Verlag, Freiburg im Breisgau Ø WIEMANN, Irmela ( 1991 ): Pflege- und Adoptivkinder ; Rowohlt Taschenbuch Verlag , Reinbek bei Hamburg 76 Anhang Transkriptionsregel: Nach Hans-Jürgen Glinka: Das narrative Interview, 2. überarbeitet Auflage 2003, Weinheim, München: Juventus, S. 64 sowie Ulrike Froschauer, Manfred Lueger: Das qualitative Interview. Wien: WUV/UTB, S. 223 f. Blattvoraussetzungen: - Längsformat - Zeilennummern Transkriptionsregeln: - Kodierung der Person - Pausen (pro Sekunde 1 Punkt) 0 ... - nichtverbale Äußerungen wie Lachen oder Husten in runden Klammern = (H. G. lacht) - situationsspezifische Geräusche in spitzer Klammer angeben = >Telefon läutet< - Hörersignal bzw. gesprächsgenerierende Beiträge als normalen Text anführen = mhn, äh - auffällige Betonung unterstreichen = etwa so - Unverständliches (Komma in Klammer, wobei jedes Komma eine Sekunde markiert) = (,,,) - vermuteter Wortlaut bei schlecht verständlichen Stellen in Klammern schreiben = (etwa so) - sehr gedehnte Sprechweise mit Leerzeichen zwischen den Buchstaben =etwa so 77 Liebe Eltern, deren Kinder in einer Pflegefamilie leben! Ich bin Studentin an der Universität Siegen, Studiengang Sozialpädagogik, und interessiere mich für die sicher schwierige Situation von Eltern, ein eigenes Kind in eine Pflegefamilie abgegeben zu müssen! Im Rahmen eines Interviews möchte ich Sie gerne zu Ihren Wünschen und Bedürfnissen im Hinblick auf die neue Situation befragen. Über Ihr Interesse an meinem Anliegen würde ich mich sehr freuen. Bitte melden Sie sich telefonisch bei mir, um einen Termin zu vereinbaren. Mit freundlichen Grüßen Christina Herr Tel.: 06441/382438 78 Sozialdatenblatt: Name: Christine Schulze Alter: 40 Jahre Beruf: Händlerin Familienstand: verheiratet Kinder: Regina 18 Jahre Anette 14 Jahre Sonja 10 Jahre Regina z. Zt. JVA Anette Pflegefamilie Sonja Pflegefamilie Unterbringungsform: Unterbringungsdauer: ca. 6 Jahre Datum des Interviews: November 2004 79 Ich versichere, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Wetzlar im März 2005 80 Gründe für die Fremdunterbringung B: Ja, es kam zu der Unterbringung bei Pflegeeltern durch den Umstand, dass ich in einer sehr zerrütteten Ehe gelebt hab mit den Kindern, dass ich jahrelang versucht hab, aus dieser Ehe raus zu kommen, zu flüchten, teils mit und teils ohne Kinder und letztlich aber im extremen Hörigkeitsverhältnis aufgrund von Gewalt und Todesangst war, dass ich immer wieder auch zurück bin zu meinem Exmann. Je älter die Kinder wurden, besonders bei der Ältesten, hat er dann seine Gewaltausbrüche nicht nur gegen mich, sondern auch gegen sie gerichtet – eigentlich fast ausschließlich gegen die Älteste und gegen mich. Und das Mädchen war dann irgendwann so fertig mit den Nerven, dass sie sagte. Ich will raus aus der Familie. Und ich hab ihr gut zugeredet, dass sie sich in der Schule ihrer Vertrauenslehrerin anvertraut. Und darauf hin wurde sie auch vom Jugendamt abgeholt und erst mal ins Heim gebracht. Es gibt aber noch einen anderen Hintergrund in dieser zerrütteten Ehe. Und zwar waren wir beide, mein Exmann und ich, jahrelang drogenfrei und clean. Irgendwann hielt ich diese ganze psychische Situation mit Gewalt und Anschreien und Angst machen net mehr aus, hab mir vom Arzt Psychopharmaka verordnen lassen und war letztlich tablettenabhängig mit jeden Mengen auch an Blackouts. Er hat wieder angefangen mit Heroin, wo er früher schon mal lange Jahre auch für im Gefängnis war, na ja, auf jeden Fall abhängig war. Das hat mir wiederum nicht gepasst. Und irgendwann kam es dann dazu, dass er mir Kokain, dass ich das dann auch konsumiert hab. Ich hatte das vorher nicht wirklich probiert. Ich wollt schon auch mal – na ja – probier ich das halt mal. Aber ich habe früher auch mal, na ja, bis ich 18 war mal kurzzeitig mit Heroin, mit Fixen zu tun gehabt. Und nach drei Tagen Kokainschnupfen war ich wieder an der Nadel – päng! Also war ich März ’99 effektiv auf Kokain, und zwar permanent, seit ungefähr drei Monaten, also länger war die Spanne dann auch nicht. Ich war völlig fertig, völlig abgemagert auf 43 Kilo. Meine älteste Tochter war Mitte März schon vom Jugendamt ins Heim gebracht worden. Die wussten aber nix über Drogengeschichten. Und ... dann hab ich den nächsten Trennungsversuch gestartet von meinem Mann. Wusste aber, mit Kindern, Frauenhäuser hatte ich alle schon durch in Hessen, und es funktioniert net. Er stellt mir nach, er lässt mich net in Ruhe. Ich wollte erst mal drogenfrei selber werden, wieder stabil werden und hab meine beiden jüngeren Töchter dann zu ner Patenfamilie gebracht, bin selbst nach Hadamar gegangen zur Entgiftung und hab das Jugendamt selbst informiert über die Tatsachen von Drogenabhängigkeit, von der Gewalt des Vaters und diese ganze Geschichte. (,,,) So! Also, so kam das dazu. 1,6-38 Also, so Geschichten sind dann natürlich bei Jugendämtern angekommen. Und dass das dann ein schlechtes Licht wirft, dass die dann hellhörig werden, vorsichtig werden, kann ich auch verstehen. 8,41-43 In meinem Fall ist es eigentlich letztlich die Sucht gewesen, die das verursacht hat. 6,9-10 Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung I ich sitz hier in meiner 90-m2-Wohnung ohne Kinder und hab auch keine Chance, die wiederzukriegen, und eigentlich will ich auch hier weg, wo meine Heimatgegend ist, wo mein schlechter Ruf mir vorauseilt, wo meine Ex-Schwiegereltern leben, wo mein Exmann nachts mit laufendem Motor und lauter Musik vor der Tür steht, unten an die Tür klopft und klingelt, mich tyrannisiert. Ich zieh jetzt weg. 2,11-15 Wir haben auch gedacht, damals, wir schaffen das, wir kriegen das wieder unter die Füße, und wenn erst mal die Kinder da sind – man hat sich selbst was vorgemacht. Und es hat net funktioniert. .. Dann gab es zwischen uns Stress, auch wegen Drogen, und das war einfach alles zu viel. 2,28-31 Jetzt kommt’s Jugendamt und holt mein Kind wieder ab... Das ... war einer der schlimmsten Tage (Stimme wird schwächer, weint) in meinem Leben. 2,44-46 B: .... Vorher hatte ich Hoffnungen, dass es doch alles klappt. An dem Tag hab ich gewusst, ich hab verloren. Na ja. Gut. Wie auch immer. Die Wochen danach bin ich total abgerutscht. Ich hab nur noch gekokst und, mir war dann auch alles egal. 3,1-4 Und dann stand ne schwere Entscheidung an, 3,40 So, und jetzt bin ich soweit über diese Ex-Ehe hinweg, dass ich jetzt sagen kann, net nur, mir ist meine Tochter wichtiger, ich hab weniger Angst vor ihm oder das Bedürfnis, meine Tochter jetzt die Gelegenheit zu nutzen, sehen zu können, das ist jetzt größer wie die Angst vor ihm, ihm zu begegnen. 5,15-19 In meinem Fall ist es eigentlich letztlich die Sucht gewesen, die das verursacht hat. Da weiß ich auch, wie sehr viele darunter leiden, dass es so ist, und aus diesem Teufelskreis: ich bin sowieso süchtig, deswegen ist mein Kind weg, und weil mein Kind weg ist und ich deswegen traurig bin und Schuldgefühle hab und alles Mögliche hab, bin ich noch mehr süchtig, nehme ich noch mehr Drogen, Tabletten, Alkohol oder irgendwas, damit ich das bloß net alles fühlen muss – und schon hat sich der Kreis geschlossen. Der ist sehr eng. Und das war eigentlich auch das bei mir, ohne dass Sie mich falsch verstehen. 6,9-16 ich hab mich total selbst überschätzt 6,17 Und irgendwann war mir klar – ich seh meine Kinder die nächsten drei Jahre, zumindest nicht, dass ich sie wieder zu mir bekomme ... und dann war’s halt auch ganz schnell um. Kein .. gekämpft – ich hab ein halbes Jahr lang oder, ja, diese Zeit knüppelhart gekämpft gegen mein Sucht ... und hab, ja, ich hab alles angeboten. Ich geb ‘ne Haarprobe ab, dass die ganze Zeit gar nix gewesen ist und alles, ne? 6,30-34 Und da hab ich mir irgendwann gedacht: Für was brauch ich ’n clean sein, wenn ich meine Kinder net hab, ne? Dafür is ja Koksen viel zu schön. Also, ne, is natürlich Quatsch! Aber irgendwie ... 6,43-45 B: ... zieht’s einen so runter. Und ich hab die ersten Monate literweise mir den Pulli voll geheult, weil meine Kinder weg sind. Ich hab mir immer drei Töchter gewünscht. Alle drei waren absolut gewollt, gewünscht, zumindest von mir. Und, ja, so hab ich mir mein Leben net vorgestellt, dass ich mit 40 irgendwo sitze und keins mehr hab, beziehungsweise eins in – na ja – und zwei bei Pflegefamilien. 7,1-5 Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung II B: Nach diesem Rückfall, nach diesem ersten, war mir schon .. danach war mir klar: Wenn ich jetzt meine Kinder haben will, kann ich net sagen, mit ‘nem halben Jahr oder mit ‘nem Jahr, das reicht jetzt aus – ich hatte eben mein Feuerzeug (holt ihr Feuerzeug) – dass das dann länger dauern würde. Aber nichts desto trotz hab ich mich da sehr lang dran geklammert und bis zum Abbruch der Therapie, diese christliche, eigentlich auch immer gehofft. Und mich wirklich damit abzufinden, die Kinder nicht mehr als Kinder in die Familie zu bekommen, nie wieder, das tut immer noch weh (kurz vor’m Weinen). Aber, ehm, dass ist jetzt irgendwie auch o.k. Aber das hat lang gedauert. Aber jetzt weiß ich, das is um. Wobei, ja, ich denke, so is es um. 7,9-17 Und da hab ich auf’m Jugendamt gesagt: Eine Kindermörderin kriegt mein Kind nur über meine Leiche! Würde ich alles für tun, dass die mein Kind nicht kriegt, die hat ihr eigenes .. 7,40-42 Dann ... das ist eine ganz große Hilflosigkeit, die dann am Gefühl (,,,) Das ist die Wahrheit, was soll ich jetzt noch sagen! Was soll ich noch sagen? Warum glaubt mir keiner? Ich hab die Beweise. 8,28-30 Ich hab auch versucht, gegen alle meine Gefühle in den Jahren zu denken, hoffentlich haben die vom Jugendamt mit der oder der Maßnahme oder nicht sehen, nicht treffen, kein Kontakt – wenn’s dem Kind ja wirklich nützt, wenn’s ja wirklich gut is, dann halt ich das auch aus. Ich will das Beste für meine Kinder. Und wenn das jetzt eben das Beste ist, dann muss ich eben durch. Ich hab ja auch den Scheiß gebaut. Hauptsache denen geht’s gut. Und Sonja geht’s jetzt gut. Ja. Und .. (holt tief Luft) 9,17-22 So in der Art und, ja, und damit geht’s mir dann auch gut, wenn ich dann nach Hause fahre, dann bin ich net tot traurig, ehm, sondern denk mir Mensch schön, es geht ihr gut, sie ist glücklich ich muss mir keinen Kopf machen, passiert da jetzt was Schlimmes. Hat man doch als abgebende Eltern, gerade bei Töchtern, aber überhaupt, was man so alles hört, so viel Angst vor Missbrauch, oder sexuellem Missbrauch oder doch Gewalt. Und da ist es ganz wichtig, auch zu wissen, die Pflegeeltern, wie sind die so drauf. Ich meine, man kuckt jedem nur vor’n Kopf, is klar! Aber irgendwo so ein Stück weit Menschenkenntnis hat man dann ja auch, zu sagen: Nee, das is wirklich in Ordnung. Also man hat zumindest ‘n Frieden und macht sich dann keinen Kopf, ne? 10,34-42 Ja. Und danach fragt man sich schon von alleine ... (holt tief Luft): Hat man was falsch gemacht wieder mal, hätte man irgendwie im Vorfeld verhindern können. 13,6-7 zum anderen hab ich immer gedacht, alles ist besser , was bei den beiden Jüngeren jetzt dazu beiträgt zu gesunden, psychisch gesunden Erwachsenen heranzuwachsen. Dann, scheiß auf meinen ganzen Schmerz, dass die Kinder von mir getrennt sind. Irgendwann sind sie vielleicht psychisch gesund und wir haben Kontakt, und es ist alles besser, wie noch so ne psychisch behinderte Tochter, bloß weil ich se jetzt bei mir hab, die wieder Leid und elend mitkriegt, in welcher Form auch immer. Und damit hab ich mich so ein bisschen über die Jahre hinweg versucht zu trösten – mit schlechtem Erfolg, aber immerhin sehe ich jetzt ja auch, dass es den anderen beiden ganz gut geht. 13,24-32 Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung III und ich bin selber gerade mal froh, dass ich seit .. ehm, ja nach der Therapie, halbwegs Fuß gefasst hab. Und ich hab selbst jeden Tag .. ehm auch zu kämpfen! Zu kämpfen mit meinem Alltag, zu kämpfen mit meiner Zukunft, zu kämpfen gegen finanzielle Armut, für meinen Job, für mein Geschäft und vor allen Dingen gegen die Sucht immer wieder. Das is ja net so, dass das weg ist nach der Therapie. 15,5-9 diesem Wunschtraum: Das wird schon und das muss schon, Augen zu und los – die Gefahr net sehen und einfach mal ins Rosarote hineinzulaufen bis man wieder auf der Schnauze liegt – ne! Ich hab schon genug Schuldgefühle, weil ich mich überschätzt oder sonst wie falsch eingeschätzt hab .. und F .. Fehler gemacht hab – also das ... das sind so die Hauptgründe, warum ich eigentlich möchte, dass die Kinder auch da bleiben, wo sie sind, mit zunehmendem Kontakt zu mir und in der Hoffnung, dass sie auch als Erwachsene gerne kommen und so – dass der Kontakt einfach wirklich bestehen bleibt und sich zu was Gutem auswirkt und net ne Mutter, die wieder enttäuscht hat. ... 15,26-33 B: Schwierig. Ich will da jetzt net mal dem Jugendamt irgendwie Schuld oder so was zuweisen, weil mein Leben war ja in der Zeit auch net geradeaus und gleichmäßig, sondern ich war ja sehr sprunghaft. Ich war hier und da, wieder mal rückfällig, wieder mal clean. Von daher gesehen ..., 17,4-7 Kann ich auch verstehen, dass es nicht leicht ist, immer die richtige Entscheidung zu treffen, dass da auch Fehler gemacht werden. Und hinterher kann man immer sagen: Ich glaube, das wäre besser gewesen, so und so – ob’s das wirklich gewesen wäre? ... 18,2-4 Ich traue mich kaum, mal bei den Pflegeeltern meiner mittleren Tochter Anette anzurufen. Die haben ein Geschäft, die haben nie Zeit, irgendjemand ist immer krank. Und wenn ich anrufe, werde ich immer ganz kurz abgewürgt. Vom Pflegevater, und wenn die Pflegemutter Zeit hat, labert sie mich ne Stunde zu. Deswegen kann ich die Anette gar net verstehen. Bei mir wär’s umgekehrt, ich könnt mit dem Typ keine 24 Stunden im Raum aushalten, aber egal. Anette kommt bestens mit dem klar, soll mir Recht sein. Aber das, ich hab halt ganz oft das Gefühl, oder ich trau mich gar net anzurufen. Anette hat mir jetzt geschrieben: Du kannst mir ja mal eine SMS schreiben, mit ihrer Handynummer ... wobei ich eigentlich nicht denke, dass sie was dagegen hätte, wenn ich sie mal anrufe und sag: Hallo Anette, wie geht’s dir denn – das ist bestimmt mehr als ein versteckter Hinweis, hier has´te meine Telefonnummer. Ich hab ihr einmal eine SMS geschrieben aufgrund dieser Telefonangabe, ehm, aber ich hab das Gefühl, ich glaube nicht, dass sie möchte, dass ihre Pflegeeltern mitkriegen, dass sie mit mir, ich sach mal heimlich, telefoniert, jetzt auf einmal, ne? Ehm ... und dann überleg ich mir so ungefähr zich mal die Woche: Wann könnte ich anrufen, so dass Anette nicht aus lauter Angst, Angst in Anführungsstrichen, um Diskussionen zu vermeiden mit ihren Pflegeeltern, dass ich sie mal erwische. Morgens geht sie in die Schule, Mittag ist sie zu Hause – ich will das ja gar net heimlich machen eigentlich, das is mir ja alles viel zu blöd, da gibt’s ja gar kein Grund für! Ich kann der ja auch schreiben! Aber wenn sie mir das schon schickt, da 18,31-48 Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung IV Das ist nur ’ne Vermutung von mir! Aber das is so ’ne große Unsicherheit von mir, nicht zu wissen, ist das überhaupt recht, wenn ich mich da jetzt melde. Da ruf ich bei der Frau Feldmann an und frag die Frau Feldmann, wie geht’s denn jetzt in der Familie, hat sich das ein bisschen gebessert. Die haben da jetzt Hilfe, Personen auch eingesetzt ... ehm ... da red ich mit der Frau Feldmann und hab ihr ja auch gesagt, ich trau mich da kaum anzurufen. Weil ich das Gefühl hab, das ist gar nicht erwünscht. Und das find ich ziemlich doof. Das ist das Gefühl so, man wird so abgeschoben, ja? Am besten meldest de dich erst gar net. 19,4-11 Dann kann man ja froh sein, wenn die nicht ins Heim kommen. Wenn die Pflegefamilien finden, noch dazu gute. Da ist dann schon so was wie Dankbarkeit gegenüber den Pflegeeltern – auf jeden Fall! Aber wenn man’s dann nicht leicht gemacht bekommt, dann schwindet die auch so leicht dahin. O. k., die haben zwar mein Kind aufgenommen, aber die haben mich so auflaufen lassen die letzten Jahre, also, na ja. Dann immer wieder der Gedanke, es geht ja hier nicht um mich, es geht um das Wohl meines Kindes. Aber die eigenen Gefühle sind ja auch da! Eigene Wünsche und Bedürfnisse ... ich weiß selber ein Stück weit, wie es ist! Ich kenne meine leibliche Mutter persönlich überhaupt nicht, hab aber zwei Briefe von ihr bekommen im Laufe des letzten halben Jahres, weil ich es endlich nach 40 Jahren geschafft hab, sie ausfindig zu machen – mit Hilfe eines Jugendamtmitarbeiters aus Dollenberg. Der hat sich zwei Jahre richtig angestrengt, die Frau zu finden. Und, ja! Hat mir therapeutisch sehr gut getan. War auch sehr nötig! Ich hoffe auch, dass es noch irgendwann weiteren Kontakt gibt. Aber, die Alte hat mir geschrieben: Ich hatte gehofft, nie etwas von dir zu hören, weil ich gehofft hatte, dass du in deiner Adoptivfamilie verwurzelt bist . Gut, mit gutem Hintergrund. Aber sie hat mich einfach auch verdrängt. 19,32-48 Ehm – alle Achtung, dass sie net nach Holland gefahren is und mich abtreiben hat lassen mit irgendwelchen, keine Ahnung, diffizilen Geschichten ... eh ... is wieder was anderes. Wenn man die Kinder erst mal eine Zeit lang, ein paar Jahre, zehn Jahre, zwölf war die Älteste, bei sich gehabt hat und, von heut auf morgen ... hat man keine Kinder mehr in dem Sinn, im Alltag vorhanden, mit allen Freuden und Leiden und allem Stress und allem, was dazu gehört. .. Das ist ein richtiger Schnitt! Dann sein Leben noch mal neu zu sortieren mit, was weiß ich, wie alt war ich denn? Anfang dreißig. Und net so genau zu wissen wohin, womit, ohne Schu... – nee, net ohne Schule, aber ohne Ausbildungsabschluss ... Ehm, und die Kraft für clean Leben und noch Ausbildung machen, die reicht ja mal gar net. Man kann ja froh sein, wenn es fürs Erste überhaupt reicht. Selbst das ist immer fragwürdig bis zu Letzt. Das, ehm, kostet alles einen Haufen Kraft, einen Haufen Energie. Und dann nix tun können. Und wenn’s den Kindern gut geht – soweit – dann ist das für mich noch alles irgendwie erträglich. (kämpft mit den Tränen) 20,9-21 Emotionen bezüglich der Fremdunterbringung V Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Also, ich hab schwer gelitten all die Jahre, ehm, und immer wieder gekämpft auch, die Kinder wieder zurückzubekommen .. , am Anfang überhaupt net eingesehen, warum das net geht. Letztlich hab ich durch meine Rückfälle die Befürchtung von Ämtern allgemein auch nur wieder bestätigt, hab ich also auch nix dafür beigetragen, da mal ein anderes Bild zu schaffen. Es gibt auch kein anderes Bild. Ne Tatsache is es einfach, dass, weiß ich net, über 90, 95 % aller Süchtigen immer wieder Rückfälle bauen, auch wenn sie noch so oft Therapie machen. Und wenn man das irgendwann schafft, auf lange Sicht oder gar für immer, ohne diese Suchtmittel zu leben, dann ist man eine der wenigen Ausnahmen. ...... 21,3-11 Da kann man nur (lacht kurz auf) an dem dünnen Hoffnungsfaden sich festhalten, zu sagen, vielleicht bin ich bei den, weiß ich net, vier, fünf Prozent, vielleicht kann ich, ich kann es schaffen, das ist nicht unmöglich, ja! Es ist nicht unmöglich, und ich versuch das weiter und 21,44-46 Verhältnis zum Kind I und hab von da aus mir dann ne eigene Wohnung gesucht, ne große Wohnung gesucht, mit drei Kinderzimmern, weil ich meine Töchter so schnell als möglich wieder zu mir holen wollte. Und dann hat das Jugendamt aber überhaupt nicht mitgespielt, kein Stück. Ich hab ne Wohnung gesucht, zwei Fußminuten von meinen, von den Pflegeeltern, wo meine Kinder lebten, die beiden Jüngeren. Die durften mich nicht mal besuchen. Einmal war meine ältere Tochter mal mit deren Tochter für wenige Minuten bei mir. Die standen vor der Tür, und ich würde keine von meinen Töchtern vor der Tür stehen lassen, wenn sie rein will. Und dann gab’s einen Riesen-Ärger hinterher. Also, die durften dann überhaupt net mehr kommen. 1,41-48 Bis dahin hatte ich wenig Kontakt, schon Kontakt, aber wenig zu meinen Töchtern. 2,20 ... Ich hab mich immer da drum bemüht, wieder mehr Kontakt zu meinen Töchtern zu haben, und ein Jahr später durfte ich dann die jüngste Tochter aus der Pflegefamilie, wo beide zusammen waren, abholen. Das war an meinem Geburtstag. Und die mittlere, die noch da war, die sollte dann am Schluss des Schuljahres, in den Sommerferien, wechseln. 2,24-27 Ich bin ausgezogen mit Sack und Pack mit meinen ganzen Möbeln und meiner jüngsten Tochter zu meinen Eltern, was ich eigentlich hätte dem Jugendamt melden müssen. Die war im Ganztagskindergarten, und ich hab die sofort dort auch angemeldet, aber es ging alles Knall auf Fall. Und dann hab ich nur zwei, drei Wochen bei meinen Eltern wieder gelebt mit meiner Tochter, hab das aber auch da net gebacken gekriegt, aufzuhören zu koksen, bin also zwischenzeitlich dann immer wieder nach Heidelberg, nach Mannheim gefahren, stundenlang weg, das Kind meinen Eltern aufs Auge gedrückt. Die haben das dann spitz gekriegt. Dann, als ich wusste, als sie mir gesacht haben, dass sie wussten, was da schon wieder los war, bin ich geflüchtet, hab mein Kind genommen, und bin wieder zu ihm gefahren, in unsere ehemalige, gemeinsame Wohnung. Da waren nur noch wenig Möbel drin, nur noch die Hälfte. Und dann hab ich mit meinem Kind da campiert. Das hat drei Tage gedauert, und dann wusste ich morgens, es klingelte sehr früh an der Tür, wusste ich: 2,33-44 Den wollten se grad in die Nachsorge stecken und mich noch eineinhalb Jahre da behalten mit der Aussicht aber, meine kleinste Tochter zu mir zu holen. 3,38-39 Also, ganz wichtig ist es auch für uns, gemeinsam mit dem Kind auch Therapie zu machen, weil das bei ihm auch teilweise auch die Sucht begünstigt hat, wenn er dann hilflos war und gar net wusste, wie geht ich jetzt mit dem Kind um. Die Kinder haben ja auch einiges mitgemacht im Vorfeld. Damals, grad die Jüngste war recht schwierig auch als Kleinkind. Und dann hab ich das gemerkt, dass ihm das längst eigentlich schon an der Hutschnur stand. Und dass es halt auch, ja, wichtig war für die gemeinsame Zukunft mit meinen Kindern auch gemeinsam in der Therapie, das zu üben. 4,17-23 ich hab kein Problem, mit meinen Kindern umzugehen. 4,25 Verhältnis zum Kind II Und da war’s wieder um. Und so geht das jetzt eigentlich schon die ganzen Jahre bis jetzt dieses Jahr bzw. letztes Jahr, wo, wo, ja, wo’s halt auch ganz knallhart war zu sagen: Ja und die Kinder zwischendrin! Ich hab die Kontakte bis auf eins, zwei vielleicht Ausnahmen, zu der Zeit, wo ich so ganz völlig fertig war, regelmäßig, wie vereinbart mit dem Jugendamt immer eingehalten. Ich hab regelmäßig Briefe geschrieben. Ich hab mich zurückgehalten. Ich hab bis vor einem halben Jahr nicht gewusst, wo meine jüngste Tochter überhaupt lebt. Alles übers Jugendamt die Briefe, alle zwei Monate einen. Meine mittlere Tochter hat ne viel größere Hemmschwelle mir gegenüber wie die Kleine. Bei der war, wir haben uns gesehen, nach zwei drei Minuten war sofort jeder Bann gebrochen. Alles war eigentlich wie immer, ein sehr entspanntes Verhältnis. Und die Mittlere, die hab ich jetzt .. seit .. na ja, einmal gesehen, seit zweieinhalb, ne, seit ich die Sonja abgeholt hab 2000, seit drei Jahren. 5,1-12 Aber Regina hat ne große Hemmschwelle, und ich hab jetzt zweimal in drei Jahren von ihr Post gekriegt. Obwohl sie in Hessen wohnt und ich zich mal, ich hab in Hessen gewohnt 5,22-23 Jetzt macht die Mittlere Probleme und hat Stress mit der Pflegemutter. Kann ich persönlich gar net ... na ja gut. Sie muss mit ihr leben, und es gibt immer wieder heftigste Reibereien. Und da kam vor kurzem das Jugendamt, ja, die will ins Heim, die will da raus. Und da hab ich ihr zugeredet – ich weiß, sie is in ‘ner guten Pflegefamilie, wirklich – alles bestens, voll integriert mit Freunden, mit Pflegegeschwistern, die verstehen sich gut die Kids – natürlich gibt’s da mal was. Dann hab ich der so zugeredet und hab gesagt: Anette, bleib da. Du hast nicht die Ahnung, was dich im Heim erwartet. 7,18-24 Wobei ich niemals eins meiner Kinder misshandelt habe, ne! Ich bin wohl ausgerastet und hab mal einen Stuhl zerdeppert in der Wohnung, da steh ich auch zu! Ich hab auch mal ein Spielzeugauto zertreten oder ich hab auch mal irgendwas an die Wand geworfen. Aber ich habe nie meine Kinder misshandeln. Aber solche Sachen – ich wäre mit dem Messer auf die Kinder losgegangen! Dass ich mit ’nem Messer ins Kinderzimmer gelaufen bin, weil ich vor meinem Mann weggelaufen bin und mich da einschließen wollte, das glaubte mir ja keiner. Ich geh auf meine Kinder los – also (lacht kurz auf), das ist absolut das Letzte. 8,34-41 Eh, ja ... und dadurch, dass die Kleine so lange, die war bei mir, also ursprünglich, dann bei der Pflegefamilie, dann kurz ein paar Monate bei mir, dann hat’s Jugendamt die geholt, dann is sie in die Übergangspflegefamilie, wo sie fast ein Jahr und neun Monate war. Und von da kam sie dann in die Pflegefamilie, wo sie jetzt ist. Dass das Mädchen dort erst mal zur Ruhe kommen musste, sich einleben musste – das hab ich eingesehen. Dass da net ständig wieder 8,44-48 Verhältnis zum Kind III das Gefühl, die Mama will mich wieder abholen, und wie wird es dann werden? Oder darf ich jetzt hier bleiben? Will ich überhaupt hier bleiben? – was in so ’nem Kind mit, wie alt is se jetzt, jetzt is se zehn, da war se so acht, noch keine neun, als sie dahin kam. Dann hieß es, ich soll sie erst mal ein halbes Jahr ganz in Ruhe lassen und nur, weiß gar net mehr, erst mal gar net und dann nachher schreiben. Und nach ’nem halben Jahr könnten wir dann Kontakte anknüpfen. Aus dem halben Jahr sind drei Jahre geworden. Ja. So. Drei Jahre hab ich die nicht gesehen, ja? Und das, wie gesagt, dass das für ne gewisse Zeit notwendig war, nur in bestimmten Abständen Briefkontakt zu haben. Einfach, damit das Kind sieht, ich kann mich bei dem bisschen aber auf meine Mama verlassen. Das hab ich alles eingesehen, aber drei Jahre waren mir reichlich zu viel. Eigentlich schon! Und das, meine Beziehung jetzt zur Sonja, so, ich denke mal, die ne..., Beziehung .. werden jetzt häufiger, aber wenn sie erst mal vielleicht irgendwann mal in den Ferien für ne Woche oder für zwei am Stück da sein darf – ich glaub, dann wird es so sein, als wäre sie gar net weg gewesen, obwohl sie erst fünf war, wo sie weggekommen ist, und jetzt schon zehn is. Das is einfach, wir verstehen uns einfach super gut. Man merkt, da ist keine Hemmung zueinander. Und vielleicht wäre das auch etwas früher gegangen. Aber ..... das Gefühl, die Mama will mich wieder abholen, und wie wird es dann werden? Oder darf ich jetzt hier bleiben? Will ich überhaupt hier bleiben? – was in so ’nem Kind mit, wie alt is se jetzt, jetzt is se zehn, da war se so acht, noch keine neun, als sie dahin kam. Dann hieß es, ich soll sie erst mal ein halbes Jahr ganz in Ruhe lassen und nur, weiß gar net mehr, erst mal gar net und dann nachher schreiben. Und nach ’nem halben Jahr könnten wir dann Kontakte anknüpfen. Aus dem halben Jahr sind drei Jahre geworden. Ja. So. Drei Jahre hab ich die nicht gesehen, ja? Und das, wie gesagt, dass das für ne gewisse Zeit notwendig war, nur in bestimmten Abständen Briefkontakt zu haben. Einfach, damit das Kind sieht, ich kann mich bei dem bisschen aber auf meine Mama verlassen. Das hab ich alles eingesehen, aber drei Jahre waren mir reichlich zu viel. Eigentlich schon! Und das, meine Beziehung jetzt zur Sonja, so, ich denke mal, die ne..., Beziehung .. werden jetzt häufiger, aber wenn sie erst mal vielleicht irgendwann mal in den Ferien für ne Woche oder für zwei am Stück da sein darf – ich glaub, dann wird es so sein, als wäre sie gar net weg gewesen, obwohl sie erst fünf war, wo sie weggekommen ist, und jetzt schon zehn is. Das is einfach, wir verstehen uns einfach super gut. Man merkt, da ist keine Hemmung zueinander. Und vielleicht wäre das auch etwas früher gegangen. Aber ..... Ich hab auch versucht, gegen alle meine Gefühle in den Jahren zu denken, hoffentlich haben die vom Jugendamt mit der oder der Maßnahme oder nicht sehen, nicht treffen, kein Kontakt – wenn’s dem Kind ja wirklich nützt, wenn’s ja wirklich gut is, dann halt ich das auch aus. Ich will das Beste für meine Kinder. Und wenn das jetzt eben das Beste ist, dann muss ich eben durch. Ich hab ja auch den Scheiß gebaut. Hauptsache denen geht’s gut. Und Sonja geht’s jetzt gut. Ja. Und .. (holt tief Luft) Sie hat z. B. bis zu unserem ersten persönlichen Treffen ziemlich in der Schule Schulschwierigkeiten gehabt, soziale Schwierigkeiten in der Schule gehabt mit anderen Kindern und zu Hause bei den Pflegeeltern. Und seit nach dem ersten Treffen geht’s ihr besser, ja. Wobei ich ihr auch gesagt hab vor Augen und Ohren des Jugendamts und der Pflegefamilie, dass es für mich in Ordnung ist, dass sie da lebt, dass ich froh bin, dass sie so ne nette Pflegefamilie hat und dass sie da bleiben darf, so lange wie sie möchte. Dass ich schon gerne mehr Kontakt zu ihr haben möchte, aber das ihr überlasse und alle diese Freiräume gebe. Ehm, zum einen denke ich, dass es für sie ganz wichtig ist zu wissen: Ich kann jetzt hier bleiben. 9,1-31 Verhältnis zum Kind IV Wenn die Sonja den Wunsch hat, ihre Großeltern ab und zu zu sehen und da Kontakt zu haben, dann soll sie ihn doch haben. Ich möchte nur net, dass schlecht über mich geredet wird, aber das, weil’s dem Kind wieder schadet. Ansonsten reden die das ganze Jahr über mich schlecht, das ist mir egal, wenn’s meine Kinder net belangt. (Hustet) 10,5-9 Und erst mal muss man von einem zum anderen Mal kucken, wie geht’s dem Kind damit? Wünscht es sich vielleicht ne Stunde länger oder ist es ihm vielleicht schon zu viel? 10,16-17 Beim Abschied sagte sie: Oh, mir wär am liebsten,... weil ich ihr erzählt hab, dass wir jetzt eine eigene Wohnung auch suchen und so. Mir wär am liebsten, das wär doch schön, wenn wir alle zusammen in einem Haus wohnen könnten- (redet voller Euphorie weiter) du und der Daniel und die Pflegeeltern und meine Pflegebrüder und ich und all die Hunde, die haben auch zwei so Hunde wie die Chipsy so was in der Art! Und (,,,) ja aber wenigstens in einem Ort. Da sag ich: Nee das geht nicht, aber wir können uns jetzt erst mal regelmäßig sehen, und wenn das alles gut klappt, und wenn es dir dabei gut geht, dann darfst du nächstes Jahr auch irgendwann mal ein Wochenende bleiben. Und so, dann wird das schon mehr, wenn du das möchtest. 10,26-34 Das sind Glaubensansichten, aber wenn man die da so sehr auf die Kinder projiziert und dann uäh, der böse Daniel und Ehebrecher und Sünde und Tod und Teufel und so ein übertriebener Kram, dann ist das für das Kind net so erträglich. Wenn die Großeltern väterlicherseits und die Schwestern vom Vater alle in einem Ort wohnen und alle auf meine Tochter einreden, die Mutter sei eine Hexe und weiß der Geier was net alles. Und dann wurde erzählt, wir hätten einen Raubüberfall gemacht und, 11,19-24 Und damit muss dann ein Kind leben vor den anderen Schulkindern. Wie steht es denn da, wenn man ... ah ... so’n – also, ich kann es net verstehen, wie man seinem Kind oder irgend ’nem Kind so was antun kann. So schlecht zu reden über die Eltern z. B., egal, was auch der Vater oder die Mutter, was die getan haben. Ich weiß, dass ein Kind immer die Eltern lieb hat und sowieso schon zerrissen ist durch diese ganze Situation. Da muss man net von außen rum noch drauf treten und das Leben noch schwerer machen. 11,28-34 Natürlich gibt’s mal Problem hier, Probleme gibt’s ja immer, ne? Und damit müssen se auch lernen im Leben umzugehen. Sie sollen wissen und das auch immer stärker, auch glauben können, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten für sie da sein werde und will. Dass das aber auch begrenzt ist, was ich auch zur Anette gesagt habe, wo sie sagte, ich will da weg aus der Pflegefamilie, dann geh ich lieber ins Heim. Sage ich: Anette, ich muss dir eins sagen, du kannst nicht bei mir leben. Ich würde ja gerne, am liebsten dich gerade mitnehmen, aber das wäre für dich nicht gut, für mich vielleicht auch nicht. Und noch mal die Sache mit ´nem Rückfall, vielleicht aus Überforderung oder vielleicht das, das willst du nicht, das will ich nich, und bleib wo du bist, reiß dich zusammen mit deiner Pflegemutter, seh zu, dass ihr irgendeine Ebene findet. 13,33-42 wenn du frei hast und Lust hast, dann kannst du zur Pflegefamilie fahren, kannst mich mal besuchen oder kannst einfach bleiben wo de bist, wo de Bock hast. Aber bis dahin bleibst du da. 13,46-48 Verhältnis zum Kind V Und dass so was für Kinder sehr wichtig ist, das hab ich da dran einfach gemerkt, wie sehr es ihr ermangelt. Und die Kinder immer wieder neu rausreißen und neu auch unter Freunde bringen. Je älter sie werden, desto schwerer wird das. Je jünger die Kinder sind, desto mehr ergibt sich das im Laufe der Zeit. Und allein deshalb .. find ich das o. k., dass Sonja da bleibt, wo sie ist und dort ihren Lebensmittelpunkt mit ihren ganzen Freunden findet. 14,33-37 Es sind jetzt fast sechs Jahr, dass die Kinder weg sind und – mit kurzer Unterbrechung mit Sonja, und ich hab, mir ist auch klar, dass ich raus bin, raus aus dem Alltag mit Kindern, ich müsste mein ganzes Leben komplett umstellen, 15,3-5 Und was ich meinen Kindern auf keinen Fall zumuten will, ist ne Mutter, die wieder rückfällig ist und die leben bei ihr, müssen vielleicht wieder weg oder wer weiß, was dann alles .. ja? Ne rückfällige Mutter, die morgens tot mit ’ner Überdosis irgendwo liegt – nein! Will ich net! ... Also von daher gesehen ist es für die Kinder auf jeden Fall das Beste, und ich bin dann damit auch net überfordert. Ja? Letztlich wär’s für alle nur schädlich, wenn’s schlecht laufen würde. 15,20-25 B: Ja. Auf jeden Fall. Also dass ... ich denke z. B. dass in Bezug auf Anette, wo der Kontakt sehr sporadisch ist... Ich hab sie sehr enttäuscht mit dem Rückfall, wo schon alles geplant war mit der Schulanmeldung und alles. Und da wollte sie erst mal nicht. Da hab ich sie sehr enttäuscht, und letztlich denke ich aber nicht, dass es gut war für sie und schon gar nicht für unsere Beziehung zueinander, dass da nach ’ner gewissen Zeit kein Kontakt hergestellt wurde. Ich glaube, es wäre besser gewesen, zu sagen, net nach drei Jahren, sondern vielleicht nach einem Jahr, ... 15,40-46 Letztes Jahr zu Weihnachten kam der erste Brief seit drei Jahren. Da war ich in Therapie und vielleicht auch deshalb, aber auch, weil sie damals auch schon Stress hatte mit der Pflegemutter. Da schreibt sie mir dann plötzlich Briefe. Ist ja auch o. k. soweit. Und ich möchte auch net, dass die Kinder ’n ganzen Tag nur beschäftigt sind mit meine leibliche Mama, was macht ’n die jetzt – die sollen ihr Leben leben – ehm, aber diese blöde Hemmschwelle, wo dann Beziehungen vielleicht besser hätten unterstützt werden können, das hätt ich schon ganz gut gefunden – o. k., es hieß immer, sie will dich nicht sehen. Aber warum? Weiß ich net, ob sie jemals gefragt wurde, warum eigentlich, ja? Klar, die Enttäuschung – klar. Und dann nach ’ner Zeit – da war aber schon die Hemmschwelle aufgebaut ... Und ich glaub, dass es gut gewesen wäre für sie, das Ganze zu durchbrechen und nicht immer nur von meinen zweimonatigen Briefen, da kann ich viel drin schreiben erzählen und ansonsten nur Negatives über mich zu hören aus dem Ort, wo sie wohnt, weil da die ganze Ex-Verwandtschaft so, ja? Das hat sie mit Sicherheit ängstlich gemacht, was stimmt da überhaupt: Ist die Mama so schlecht, wie die alle erzählen? Ist das wahr, ist das wahr, ist das wahr? Am liebsten will ich gar net an die denken. Am liebsten will ich gar nix von der wissen. Ich will die aus meinem Leben streichen. ... Und als ich sie jetzt das erste Mal beim Hilfeplangespräch auf’m Jugendamt getroffen hab, ehm, sie hat erst mal nur unter sich gekuckt und in ihrer Tasche irgendwas rumgenestelt. Sie hat überhaupt net geschafft, mich anzuschauen, später dann nachher ja, vor der Tür, vor dem Gespräch, sie war völlig aus dem Häuschen. Und hinterher hatten wir Gelegenheit, zwei, drei Minuten alleine miteinander zu reden. Da hab ich ihr noch mal gut zugeredet, dass sie doch da bleiben soll in der Pflegefamilie und sich dort arrangieren soll. Durch den persönlichen Kontakt, der da stattgefunden hat bei dem Hilfeplangespräch, dass da ’ne ganze Menge von dieser Hemmschwelle gefallen ist. Dass es für Anette richtig schwer war, hab ich auch gemerkt. Und ... ehm ... während dem Gespräch beim Jugendamt fing sie dann sogar auch an zu weinen, 16,4-29 Verhältnis zum Kind VI wo hinterher die Frau Feldmann dann auch zu mir gesagt hat, das hätte sie noch nie erlebt bei Anette. Sie war immer so ganz kalt, abgeklärt (,,,) und bloß keine Gefühle! Und .. ehm ... hinterher wo wir kurz alleine waren, da hab ich dann gefragt, ob ich sie zum Abschied mal umarmen darf. Ja , klar und ich hab ihr gut zugeredet. Und jetzt krieg ich, gut ich hab ihr geschrieben, und sie soll mir mal ihre Weihnachtswünsche mitteilen. Das hab ich jedes Jahr gemacht und nie Antwort gekriegt. Und dieses Jahr kam dann diese Postkarte, wo drauf steht, wenn wir uns wieder sehen, als Gutschein, dann werden wir uns erst mal richtig drücken und solche Sachen, tausend Neuigkeiten und Spaß und so was. Und auch was sie schreibt ..ehm .. ja. Da ist dann ein Stück weit schon ’ne Hemmschwelle gefallen. Ich glaube, die hätte so groß gar net werden müssen. ... Denk ich mal, weil da gab es gar net so diese Gründe wie jetzt bei Sonja 16,29-39 Da kann ich sagen: Sonja und Anette, ach na ja! Das wird schon werden. Die sind einigermaßen .. 20,33-34 Wenn da jetzt während der Pubertät nicht noch irgendwas ganz anderes dazwischen kommt (hustet) ehm vielleicht .... denk ich mal, wenn man zu nix anderem gut ist, kann man immer noch als abschreckendes Beispiel dienen. Und da hoffe ich doch für meine Kinder, dass die die Finger von den Drogen lassen. Ja! 20,37-40 Vielleicht hat das so abschreckend gewirkt, dass sie wirklich die Finger von lassen. Und dann wäre das ganze Elend wenigstens zu etwas gut. 20,46-47 Verhältnis zu Pflegeeltern I Und was halt auch, was ich jetzt erst so erfahren hab, was mir bewusst geworden ist, wie wichtig das ist, für ein Pflegekind, dass sich die Pflegeeltern und die leiblichen Eltern oder in dem Fall ich als Mutter, dass man sich da versteht und an einem Strang zieht. Und ich sage nicht mehr komplizierter, wie es sowieso schon ist, dass da für so ein Kind ne riesen Last weg ist, das Gefühl hab ich jetzt bei Sonja – also, mir waren die Pflegeeltern von ihr sofort super sympathisch. Ich hab gedacht: Oh, da hat se ja richtig nette Leute gefunden – klasse! Ja und, wirklich, die Frau vom Jugendamt hat sich super Mühe gemacht, dann auch lange gesucht nach der geeigneten Pflegefamilie, und die hat sie effektiv gefunden, bin ich sicher. Und hinterher hat sie wohl zu ihrer Pflegemutter gesagt, dass sie das ganz toll findet. Sie hätte ja den Eindruck gehabt, wir wären fast wie Freundinnen, wobei wir uns ja fast das erste Mal gesehen haben, nur wenig miteinander .. aber ... Da merk ich auch dieses Entgegenkommen der Pflegeltern, wie wichtig das dann wieder ist, das Kind net vor den leiblichen Eltern abzuschotten, sondern mit dieser Vergangenheit und den Personen, die vielleicht auch später noch dazugehören, einfach auch umzugehen sich lohnt oder (...) 9,31-44 B: (...) oder sich die Mühe machen mit umzugehen. Sie waren jetzt mit der Sonja bei den Großeltern väterlicherseits. Und es hat erst ein bisschen gedauert, bis das bei mir dann so, bis sie sich getraut haben, mir das zu sagen. Aber ich find das o. k.! 10,1-3 Und, ehm, da macht sich diese Pflegefamilie super viel Mühe, fährt bis nach Hessen, um die Großeltern zu besuchen. Sie haben mich jetzt das erste Mal zu sich letzte Woche eingeladen gehabt, und jetzt treffen wir uns jeden Monat mal. Dann haben wir gesagt, wir versuchen das einmal im Monat das hinzukriegen. Wenn’s mal nach drei Wochen ist und einmal in fünf Wochen, wir kucken halt, wie wir das organisiert kriegen. 10,10-14 ? Dass man da individuell immer wieder neu kucken muss. Und zum andern auch, wie kann man das auch praktisch organisieren – jeder hat sein eigenes Leben. Da ne Familie und da was. Das muss ja auch zeitlich, da kann man sich schwer so festlegen: Ich will aber das Kind jede zweite Woche von Freitagabend sechs bis Sonntagabend sechs haben – egal, was da kommt! Und jetzt: Oh, wir kriegen das schon hin, wir sprechen uns dann ab, und dann treffen wir uns dann hier und mal da, wir können ja mal auf’n Weihnachtsmarkt gehen oder wir können mal hier zu Besuch gehen. Ach, das kriegen wir schon. Und da merkt das Kind, da ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. (,,,) 10,17-25 Und das vermiss ich bei Anette sehr, dass dort halt die Initiative der Pflegeeltern null war, die Anette mal dazu aufzufordern, oder mal anzuhalten, ich will net sagen zureden oder irgendwie belabern, das mein ich net, aber das ist auch eine christliche Familie, und ich weiß, die Anette hat’s dort gut, da passiert nix, da is alles wunderbar und so. Aber, wenn dann vor Ohren so eines damals zehnjährigen Kindes ständig darüber geredet wird, in welcher Sünde ich denn lebe, weil ich noch verheiratet mit nem anderen Mann was hab. 10,43-48 . Es fällt mir leichter, das so auch für mich mit meinen Gefühlen hin zu nehmen, seit ich die Pflegeeltern kenne, die mir sehr sympathisch sind. Ich hab da vorher schon vertraut, dass das gute Leute sind, auch wenn man sich persönlich net kennt. Und ich find das einfach so klasse, und dass sie auch als Pflegeeltern offen sind und sagen: Ja, wenn es der Sonja damit gut geht, dann kann sie öfter mal am Wochenende kommen, dann kann sie in den Ferien kommen. Dann wird sie immer älter, und irgendwann kann sie vielleicht sagen, weiß ich net, in zwei, drei Jahren, wenn sie möchte: Ich fahr jedes zweite Wochenende zu meiner Mama nach Speyer, und ich fahr in den Sommerferien vier Wochen mit der in Urlaub oder so irgend was. Dass sie damit leben lernt, sie hat ‘ne Pflegefamilie, wo sie Mama, Papa sagt, wo sie, aber da gibt’s eben noch mehr Bezugspersonen, ohne dass man sich gegenseitig im Weg ist und bekämpft. Dass sie da wirklich ganz locker merkt, alle gehen hiermit gut um, 14,37-48 Verhältnis zu Pflegeeltern II Und Anette ist seit der Trennung von meinem Mann bei der Pflegefamilie, wo sie heute immer noch ist, und es hätte alles sehr viel einfacher laufen können. ... Ja. Und ich denke auch die Pflegefamilie – da bin ich ein bisschen echt enttäuscht. Das waren gute, gute Freunde. Die Pflegemutter von Anette ist die Patentante von der Sonja, und da hab ich mir eigentlich mehr Unterstützung erhofft, in der Richtung von Kontakten zu den Kindern. Von Anfang an wurde da abgeblockt. Und das fand ich richtig, also das finde ich heute noch richtig schlecht... 16,41-47 Und die Zusammenarbeit ist glaube ich unter allen drei Beteiligten ganz wichtig. Wobei ich fast meine (holt tief Luft), wenn ich jetzt das Verhältnis seh zu den Pflegeeltern von Sonja und zu mir und dann das Jugendamt, ob das jetzt, die Frau war, sehr sympathisch, sehr locker – man hat auch gemerkt, wie locker das jetzt zwischen uns geht. Aber selbst wenn das jetzt ein ganz anderer Typus Mensch wär, vielleicht noch eine vom alten Schlag, so ganz strait oder irgendwas. Die sagt: Wir müssen aber das festlegen, an welchem Wochenende, an welchem Samstag, Sonntag und von wann bis wann. Dann hätten wir bestimmt alle gesagt: Ja, ja is gut. Und hätten uns da trotzdem abgesprochen, wie es uns dann passt. Und hätten dann zum Jugendamt gesagt, es läuft alles prima, wie abgesprochen. Und wenn man dann ein bisschen variiert, das interessiert das Jugendamt doch gar net. Das müsste es ja gar net interessieren, wenn es im Sinne des Kindes ja gut läuft. Also, ich glaube fast, dass das sogar noch wichtiger is, die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und abgebenden Eltern, wobei das Jugendamt natürlich sehr, sehr hilfreich sein kann, dass oder jenes zu unterstützen oder auch abzuwenden. Und das Jugendamt hat auch keine leichte Position. Sie müssen abwägen, im Sinne des Kindes, was ist das Beste? ... Und dann steht da ein Kind, was net richtig weiß, was es will, wie sich’s fühlt, was es sagen soll. Wenn dann auch noch Eltern gegen Pflegeeltern an verschiedenen Strängen ziehen oder Vater und Mutter ziehen an verschiedenen Strängen, die Pflegeeltern noch mal an ’nem anderen, dann steht’s Jugendamt dazwischen und muss auch überlegen: Was mach ich ’n jetzt, da lebt aber das Kind, 17,30-48 B: ... mmmh .. Wünsche: Ich würde mir wünschen, dass sich die Pflegeeltern, vielleicht auch ohne das Wissen der Kinder, des Kindes überhaupt ab und zu mal gemeldet hätten oder melden würden. Einfach mal anrufen, abends um neun, wenn die Kinder im Bett sind, mal sagen: Hallo, ich wollt mal Bescheid sagen, bei uns ist soweit alles klar, oder da ist das und das vorgefallen und das und das vorgefallen. Ohne jetzt da einen riesen Problemhaufen, die Alltagsprobleme aufzutischen, so, das fände ich z. B. mal ganz toll. Ne? Da weiß ich, wie’s bei mir ist. 18,24-30 Auf der anderen Seite dann aber sagen: Wenn das so weiter geht, können wir die Anette net länger behalten, das ist zu viel Stress. Dann steht die Anette da und dann sagt die Mama: Du kannst aber auch net bei mir leben, seh zu, dass de das da durchziehst jetzt. (Holt tief Luft) Das ist dann auch ein total doofes Gefühl. Es wär viel einfacher, wenn da auch mal von Pflegeelternseite mal ganz sporadisch, aber irgendwann mal ein Anruf käme, um zu sagen: Hier, wir wollten uns mal melden, haben gedacht, wir sagen dir mal Bescheid, was gerade bei uns so abgeht und dass de dir keine Sorgen machen musst. Da kommt ja rein gar nichts, ne! Ich erwarte dann auch keine permanenten Geschichten, ne! Aber das könnt ich mir z. B. vorstellen, dass das vielleicht mal mit den Pflegeeltern von Sonja, vielleicht mal so sein könnte. Dass die irgendwann mal anrufen und sagen: Hier, pass mal auf, da is das und das gewesen. Und falls Sonja sich meldet z. B. und das und das sagt oder mal anruft und hinterher ging’s ihr net so gut. Dass das net alles übers Jugendamt oder über 125 Ecken laufen muss, bis man mal irgendwas erfährt ... 19,12-23 Verhältnis zu Pflegeeltern III B: Ja, und ich glaube auch, dass das für viele abgebenden Eltern zutreffen würde. Es gibt mal vielleicht auch welche, die sagen: Aus den Augen, aus dem Sinn, die Kinder, ich versuch das zu verdrängen und gar net dran zu denken! Und ich will gar keinen Anruf von irgendwelchen Pflegeeltern haben. Wobei ich net verstehen kann, dass man was gegen die Pflegeeltern , was dagegen hat. Man hat ja selbst, irgendwie hat man’s ja verbockt 19,27-31 Enttäuschungen ,Versagen von sozialstaatlichen Einrichtungen I Und dann hat das Jugendamt aber überhaupt nicht mitgespielt, kein Stück. Ich hab ne Wohnung gesucht, zwei Fußminuten von meinen, von den Pflegeeltern, wo meine Kinder lebten, die beiden Jüngeren. Die durften mich nicht mal besuchen. Einmal war meine ältere Tochter mal mit deren Tochter für wenige Minuten bei mir. Die standen vor der Tür, und ich würde keine von meinen Töchtern vor der Tür stehen lassen, wenn sie rein will. Und dann gab’s einen Riesen-Ärger hinterher. Also, die durften dann überhaupt net mehr kommen. 1,42-48 Aber es war besprochen, dass wir gesteigert auch Paargespräche haben sollten. Ist meiner Meinung nach super wichtig! Hatten wir in der Therapie, hat uns so gut getan. Alles nichts! Ja. Und dann kam das ... er hat dann zugegeben, dass er mehrmals nachts auch bei mir war, dass wir schon lange überhaupt 3,45-48 Und dann stand nachher drin, ich hätte Daniel meiner Tochter vorgezogen. 4,13 Und dann hieß es, nee, is net. Und dann war klar, das Ganze hat für uns gar keinen Sinn, 4,24-25 Aber therapeutisch ist da nichts passiert. Nichts! 4,41-42 das ist lächerlich. Das Jugendamt lässt mich net meine Kinder sehen oder bei mir haben. Ist auch gerechtfertigt mit ’ner drogenabhängigen Mutter – das schmäler ich jetzt net! Aber das gleiche Gericht peilt das überhaupt net und gibt mir die Betreuung für meine Mutter, samt ihrer Konten, und ich bin schon wieder, na ja, es war ja alles überhaupt net lustig. 5,29-32 Em, aber bei mir hat damals zu dieser Zeit, da hat’s Jugendamt gesagt: Ja, jetzt werden Sie erst mal ein paar Monate stabil, beweisen Se mal, dass Se clean sind. Und da hatte ich Drogenscreenings beim Arzt, hab die selbst bezahlt, hab die Kopien von diesen CleanScheinen immer schön dem Jugendamt in Waldheim hingeschickt. Und nach sechs Monaten kriegst du gesagt: Das nützt uns gar nix, Sie können ja, wenn .. ja müssten Sie ja, müssten wir Sie ja bestellen – Sie können ja hingehen, wann Sie wollen. Und da hab ich beim Gericht angerufen und hab gesagt: Bitte, bitte, bitte bestellt mich doch zu Screanings, wann ihr das wollt. Nö, wollen wir nicht, wir wollen jetzt sehen, dass Sie stabil sind und auch dann bla – über Jahre! 6,22-30 Nein, nein, nein. Und Sie kriegen die jetzt trotzdem net wieder. Sie müssen jetzt mal mindesten zwei, drei Jahre, und dann war’s um. Dann war ich wieder drauf. ... Ne? Also, das fand ich damals am meisten scheiße und muss auch heute noch sagen: Das hat meinen Rückfall, meinen ersten Rückfall nach dieser Trennung extrem begünstigt. Wenn ich da gewusst hätte, in drei Monaten, oder vielleicht auch nur in sechs Monaten kann ich meine Kinder wieder haben, wenn ich weiter clean bin, wenn ich das weiter so nachweise. Oder sie sagen: Ein Jahr ziehen Sie jetzt durch. Dann machen Se ‘ne Haarprobe – wenn die wirklich total sauber ist, dann kriegen Sie Ihre Kinder zurück. Dann – nichts. So nach hinten offen Larifari – seh Du mal zu, reiß Dir mal den Arsch auf bis Deine Kinder groß sind. 6,34-43 Enttäuschungen ,Versagen von sozialstaatlichen Einrichtungen II Und da muss ich sagen, was ich im Jugendamt – ich hab sehr viel Jugendamt-Mitarbeiter kennen gelernt (zündet sich eine Zigarette an), sehr krasse Unterschiede. Manche sind, ja, eigentlich alles in der Vergangenheit, manche sind mir so schräg gekommen. Eine hat mal gesagt: Es wär doch besser für ihre Kinder gewesen, Sie hätten sie abgetrieben! Da ging es da drum, dass irgendeine ... Schwester 7,24-28 und da ist diese andere Frau vom Jugendamt, die ist total ausgerastet und brüllt mich an: Und ihre Kinder, es wäre besser, Sie hätten se abtreiben lassen – als hätt die mir das zu sagen! Zum Beispiel – das war so einer der Sprüche. Oder andere teilweise, die Namen weiß ich teils net, is auch egal, hier vom Jugendamt Hesselstadt. Da war eine, ehm, oder zwei ... die sooo, die haben mich sooo von oben herab, so missachtend behandelt – ah – egal, was ich da gesagt habe – was bist’n Du, der letzte Dreck! Und dann kam da mal so – da hab ich gesessen, nach dem Therapieabbruch bin ich zum Jugendamt hin, hab gesagt, so 7,42-48 und so, hier bin ich, und ich hab die Therapie abgebrochen, und ich will jetzt das und das und das versuchen ... Und da hat sie gesagt – ich wäre völlig emotionslos, ich wäre ein eiskalter Mensch, ich hätte völlig emotionslos da gesessen. Dass ich bei ‘ner Frau vom Jugendamt, die ich schon vorher kannte, und wir waren uns gewiss nie sympathisch, dass ich mich da hin setze und .. was soll ich ‘n da für Emotionen zeigen, wenn ich mich da melde und sage so und so, ich bin wieder hier, ich stell mich hier der Situation, (...) 8,1-7 B: (...) dann muss ich mir noch so ‘ne Abfuhr erteilen lassen! 8,10 Ich hab gesagt: Mein Mann hat mich geschlagen – ich hab was weiß ich wie viele ärztliche Atteste gehabt. Meine Eltern haben dafür, wie heißt das? – eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass die das gesehen, gehört, miterlebt haben, wie mein Mann mich auf schwerste Art misshandelt hat. Und man wird immer noch hingestellt als Lügnerin – das kann doch eigentlich alles gar net so schlimm gewesen sein! ... 8,23-27 Natürlich müssen so Ämter vorsichtig sein, was jeder erzählt. Es kann jeder viel erzählen. Aber in dem Fall konnte ich das dann doch net mehr nachvollziehen ... Es ging soweit, dass meiner ältesten Tochter eingeredet wurde, ich hätte sie misshandelt! 8,31-34 und letztlich denke ich aber nicht, dass es gut war für sie und schon gar nicht für unsere Beziehung zueinander, dass da nach ’ner gewissen Zeit kein Kontakt hergestellt wurde. Ich glaube, es wäre besser gewesen, zu sagen, net nach drei Jahren, sondern vielleicht nach einem Jahr, ... vom Jugendamt vielleicht zu sagen: Wir sind der Meinung, es wäre jetzt gut, du würdest mal bei uns hier in geschütztem Rahmen deine Mutter mal treffen, dich mal mit ihr besprechen, vielleicht auch aussprechen. Weil diese Distanz, diese Hemmschwelle, die da mit den Jahren immer größer geworden ist von ihr, die fängt jetzt an zu bröckeln, nachdem wir uns das erste Mal gesehen haben. Jetzt auf einmal kommt eine sehr persönliche Postkarte. 15,43-48 u. 16,1-3 Enttäuschungen ,Versagen von sozialstaatlichen Einrichtungen III ehm, aber diese blöde Hemmschwelle, wo dann Beziehungen vielleicht besser hätten unterstützt werden können, das hätt ich schon ganz gut gefunden – o. k., es hieß immer, sie will dich nicht sehen. Aber warum? Weiß ich net, ob sie jemals gefragt wurde, warum eigentlich, ja? Klar, die Enttäuschung – klar. Und dann nach ’ner Zeit – da war aber schon die Hemmschwelle aufgebaut ... Und ich glaub, dass es gut gewesen wäre für sie, das Ganze zu durchbrechen und nicht immer nur von meinen zweimonatigen Briefen, da kann ich viel drin schreiben erzählen und ansonsten nur Negatives über mich zu hören aus dem Ort, wo sie wohnt, weil da die ganze Ex-Verwandtschaft so, ja? Das hat sie mit Sicherheit ängstlich gemacht 16,8-16 Ich glaube, die hätte so groß gar net werden müssen. ... Denk ich mal, weil da gab es gar net so diese Gründe wie jetzt bei Sonja – zur Mutter, in die Übergangspflegefamilie, wieder ’ne neue – jo, und das Mädchen war erst sechs oder sieben und schon (,,,) 16,38-41 ..., anfangs war das noch in der Hand vom Jugendamt Waldheim. Und die haben auch immer noch irgendwie mit meiner ältesten Tochter mit Jugendhilfe, obwohl die 18 ist zu tun. Und Gott sei Dank meldet sich keiner da bei mir, Gott sei Dank. Also, dieses – da hab ich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Schon vor Abgabe der Kinder bin ich zusammen mit meinem Ex-Mann zum Jugendamt, und wir haben von Reginas Problemen auch erzählt, wir haben nix erzählt von unserer Drogengeschichte, klar. Solange das alles noch son ’schönes Mäntelchen drüber is ... ehm ... also nur über Reginas Probleme. Und wir haben das Jugendamt um Hilfe gebeten, und da hat sich dann nix bewegt. Und als die Kinder dann weg waren und alles offen da lag, da hat’s Jugendamt auf uns rum gehackt. Na klasse! Das fand ich sooo – damals auch im Vorfeld, da hätte vielleicht was passieren könne an Hilfe, net warten bis ’s Kind in den Brunnen gefallen is und, o. k., die Eltern sind in dem Fall die, die es vermasselt haben, ganz klar, is kein Thema. Aber dann am Ende nur drauf rum zu hacken macht die Situation ja auch net mehr besser. Und vom Jugendamt Wetzlar, da kann ich, nee, es is für die Zuständigen dort auch schwierig! Was will es Jugendamt machen, wenn die Pflegeeltern sagen: Das Kind will nicht! Da kann’s Jugendamt auch net mit’m Brecheisen hingehen und sagen, es muss jetzt aber! Und dann ist so ne Pflegefamilie, eh Pflegeeltern, die haben bestimmt auch zu Recht eine ganz andere Glaubwürdigkeit. Da kann so ne abgestürzte Mutter oder Vater, die die Kinder abgegeben oder weggenommen haben kriegt, die haben ja lang net diese Glaubwürdigkeit. Denen wird erst mal grundsätzlich Unglaubwürdigkeit und Lügen zugetraut, Unfähigkeit und, na ja, Wahrheitsverdrehung und alles Mögliche ... Und, ja, ... is aber net gut, und da gibt’s nur noch mehr Probleme hier in der Familie. Das können wir auch net gebrauchen. Da kann’s Jugendamt dann auch net viel machen. 17,7-29 Positive Erfahrungen mit sozialstaatlichen Einrichtungen I Und der ist heut mein Betreuer, den hab ich mir freiwillig dann zum Betreuer machen lassen, um mich ein bisschen vor mir selbst zu schützen, um meine Finanzen mit dem geerbten Haus meinen Kindern zu regeln und auch als vertrauensvoller Ansprechpartner in sonst wie jeder Situation. Also, da ist ein Vertrauensverhältnis da. Dadurch, dass der für meine Mutter zwangsweise zuständig geworden ist, und er hat uns in der ersten Zeit – ich weiß net, ohne ihn hätten wir das so leicht net gebacken kriegt. Der hat mich nach Hasselborn gefahren – in die Übergangseinrichtung, der hat uns in der Therapie in (,,) abgeholt und hier nach Speyer gefahren und uns hier jetzt schon zweimal danach besucht. Er is weit weg, in Hessen, aber ich brauche niemand, der jeden Tag kuckt, ob ich auch meine Zähne geputzt hab oder so, ja! Er hat die ganzen Finanzgeschichten mit dem Haus in Hessen, mit den Jugendämtern, dann die ganzen unangenehmen Finanzsachen, die mich nur runterziehen, die hält er mir schön vom Hals. 5,37-48 Und wenn ich Probleme hab, kann ich mich auch an ihn wenden. 6,1 Wetzlar z. B. jetzt mit der Frau Feldmann, die hab ich gesehen, zwei drei Sätze gewechselt hab und hab gedacht: Gott sei Dank, endlich mal ein herzlicher, ein netter Mensch, mit dem man umgehen kann – natürlich für’s Kind, net für mich, is ja es Jugendamt! Aber, ehm, wo einfach net diese Ablehnung zu spüren war, und die ist wahrscheinlich auch net da bei der Frau Feldmann, denke ich. Und so hab ich dann jetzt hier im Jugendamt Heidelberg auch ne sehr nette Frau jetzt gehabt, und das ist jetzt halb rum am Jugendamt mit der kleinsten Tochter, weil die dort in der Gegend wohnt. Und die zuständige Frau hab ich jetzt einmal kennen gelernt beim Gespräch vor zwei Wochen, heute vor ’ner Woche war ich da das erste Mal. Und die is auch super nett, super sympathisch, unkompliziert. Wo man so das Gefühl hat, o.k., man ist süchtig, man bleibt ja immer süchtig, auch wenn man gerade mal clean is, man is süchtig und wird deshalb net in die Kategorie Assi, Abschaum, unwert – da kann man drauf rumtrampeln, wie man gerade will gesteckt oder, egal was man sagt, das wird ja sowieso net geglaubt. 8,10-23 Die Große hat alles mitgekriegt .. und, ehm, da is einer ihrer Therapeuten, den sie in der Jugendeinrichtung hatte, der hat es mal geschafft, im Einzelgespräch mit mir, beim Besuch, mich wirklich zu nehmen und neben mich zu stellen, dass ich die Situation, in der ich bin und in der Regina is und was dann ihren Vater auch betrifft auch in Bezug auf ihren Vater sich belangt – da konnt ich wirklich mal aus Sicht von einem Außenstehenden, also der Mann war die Wucht! Die Wucht. Also selten so einen guten Therapeuten erlebt, wo ich wirklich in der Lage war, das als Außenstehende mal für eine gewisse Zeit zu sehen und dadurch begriffen hab, ganz egal, was zwischen mir und meinem Exmann gelaufen is oder was zwischen Regina und ihrem Vater gelaufen is! Nicht das als Tabuthema zu erklären, sondern mich aber aus diesem, aus diesem .... Kampf, ich zieh dich auf meine Seite oder red schlecht über deinen Vater und er versucht, dich auf seine Seite zu ziehen, indem er schlecht über mich redet – ich hab’s immer versucht, aber manchmal ist mir einfach auch – die Regina ist dann auch ... sie hat schwerste Borderline-Störungen mit – in Richtung Schizophrenie mit ..... alles Mögliche – schwerste Borderline-Diagnose. Mit Wahnvorstellungen teilweise, mit Gewaltausbrüchen ... Aber danach ist es mir sehr viel leichter geglückt, mich da einfach komplett raus zu nehmen, zu sagen. Ich ... manchmal habe ich zu ihr einfach gesagt: Du, ich möchte net über das Thema reden, weil, wenn ich daran denke, geht es mir gar net gut. Und da hab ich halt auch viel dazu gelernt und ihr einfach auch zu sagen: Nein! Will ich nix von hören. Will ich net drüber reden. Aber net, weil du mir auf’n Wecker gehst, sondern weil es mir damit net gut geht. Und deswegen is es net tabu, sie hat mal das und das erzählt, und sobald ich aber gemerkt hab, bei mir gehen innen alle Gefühle kochen dann wieder hoch, dann kann ich das auch abbrechen, um es ihr net noch schwerer zu machen. 12,1-23 Positive Erfahrungen mit sozialstaatlichen Einrichtungen II Dann is es ganz wichtig zu wissen, was kann ich denn dagegen tun? Auch praktisch, ne? Das haben wir in dem letzten Jahr Therapie dann gehabt, ehm, Suchtprophylaxe – zu kucken, wo dran, wie merke ich, dass sich das vielleicht langsam wieder anbahnt, tief im Inneren, gefühlsmäßig, ja! Wenn ich stabil bin, kann einer kommen, mir auf der Straße oder sonst wie was anbieten. Dann sag ich: Du, will ich net, un tschüss! Aber wenn ich schwach bin, dann fahr ich auch nach Düsseldorf, nach Bayern, ja? Das is aber mal gar kein Problem! Um dann zu kucken, wie fängt das an und wo kann ich Anker werfen, wo kann ich rechtzeitig mir Hilfe holen, bevor es wieder zu spät is. 22,12-20 siehe auch Verhältnis zu Pflegeeltern 1 / 9,37-39 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 I: Frau Schultze, Ihre drei Kinder leben in einer Pflegefamilie bzw. so, wie ich es jetzt verstanden habe, zwei in der Pflegefamilie, die andere, älteste Tochter ist ja in anderen Jugendhilfemaßnahmen untergebracht. Können Sie mir erzählen, wie es zu der Fremdunterbringung kam und vor allem auch wie Sie mit der Situation leben können? B: Ja, es kam zu der Unterbringung bei Pflegeeltern durch den Umstand, dass ich in einer sehr zerrütteten Ehe gelebt hab mit den Kindern, dass ich jahrelang versucht hab, aus dieser Ehe raus zu kommen, zu flüchten, teils mit und teils ohne Kinder und letztlich aber im extremen Hörigkeitsverhältnis aufgrund von Gewalt und Todesangst war, dass ich immer wieder auch zurück bin zu meinem Exmann. Je älter die Kinder wurden, besonders bei der Ältesten, hat er dann seine Gewaltausbrüche nicht nur gegen mich, sondern auch gegen sie gerichtet – eigentlich fast ausschließlich gegen die Älteste und gegen mich. Und das Mädchen war dann irgendwann so fertig mit den Nerven, dass sie sagte. Ich will raus aus der Familie. Und ich hab ihr gut zugeredet, dass sie sich in der Schule ihrer Vertrauenslehrerin anvertraut. Und darauf hin wurde sie auch vom Jugendamt abgeholt und erst mal ins Heim gebracht. Es gibt aber noch einen anderen Hintergrund in dieser zerrütteten Ehe. Und zwar waren wir beide, mein Exmann und ich, jahrelang drogenfrei und clean. Irgendwann hielt ich diese ganze psychische Situation mit Gewalt und Anschreien und Angst machen net mehr aus, hab mir vom Arzt Psychopharmaka verordnen lassen und war letztlich tablettenabhängig mit jeder Menge auch an Blackouts. Er hat wieder angefangen mit Heroin, wo er früher schon mal lange Jahre auch für im Gefängnis war, na ja, auf jeden Fall abhängig war. Das hat mir wiederum nicht gepasst. Und irgendwann kam es dann dazu, dass er mir Kokain, dass ich das dann auch konsumiert hab. Ich hatte das vorher nicht wirklich probiert. Ich wollt schon auch mal – na ja – probier ich das halt mal. Aber ich habe früher auch mal, na ja, bis ich 18 war mal kurzzeitig mit Heroin, mit Fixen zu tun gehabt. Und nach drei Tagen Kokainschnupfen war ich wieder an der Nadel – päng! Also war ich März ’99 effektiv auf Kokain, und zwar permanent, seit ungefähr drei Monaten, also länger war die Spanne dann auch nicht. Ich war völlig fertig, völlig abgemagert auf 43 Kilo. Meine älteste Tochter war Mitte März schon vom Jugendamt ins Heim gebracht worden. Die wussten aber nix über Drogengeschichten. Und ... dann hab ich den nächsten Trennungsversuch gestartet von meinem Mann. Wusste aber, mit Kindern, Frauenhäuser hatte ich alle schon durch in Hessen, und es funktioniert net. Er stellt mir nach, er lässt mich net in Ruhe. Ich wollte erst mal drogenfrei selber werden, wieder stabil werden und hab meine beiden jüngeren Töchter dann zu ner Patenfamilie gebracht, bin selbst nach Hadamar gegangen zur Entgiftung und hab das Jugendamt selbst informiert über die Tatsachen von Drogenabhängigkeit, von der Gewalt des Vaters und diese ganze Geschichte. (,,,) So! Also, so kam das dazu. Dann hab ich ‘ne kurzzeitige Entgiftung gemacht, hab anschließend, bin dann anschließend von der Entgiftung direkt zu meinen Eltern und hab von da aus mir dann ne eigene Wohnung gesucht, ne große Wohnung gesucht, mit drei Kinderzimmern, weil ich meine Töchter so schnell als möglich wieder zu mir holen wollte. Und dann hat das Jugendamt aber überhaupt nicht mitgespielt, kein Stück. Ich hab ne Wohnung gesucht, zwei Fußminuten von meinen, von den Pflegeeltern, wo meine Kinder lebten, die beiden Jüngeren. Die durften mich nicht mal besuchen. Einmal war meine ältere Tochter mal mit deren Tochter für wenige Minuten bei mir. Die standen vor der Tür, und ich würde keine von meinen Töchtern vor der Tür stehen lassen, wenn sie rein will. Und dann gab’s einen Riesen-Ärger hinterher. Also, die durften dann überhaupt net mehr kommen. 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 Dann hab ich meinen .., Daniel, wieder getroffen, wir hatten uns jahrelang nicht gesehen. Wir hatten während meiner Ehezeit für drei Wochen mal ein kurzes Verhältnis, haben uns aber dann wieder getrennt, auch weil er damals wieder rückfällig war und hatten uns jahrelang nicht gesehen, sind uns dann unerwartet und ungeplant wieder begegnet. Und da war sofort klar, wir bleiben jetzt zusammen. Das wäre mir damals schon am liebsten gewesen. Gut, damals ging das nicht. Dann wussten wir, jetzt bleiben wir zusammen. Dann hatten wir, er hat in Heidelberg gewohnt, so ein paar Monate so ne Hin-und-HerWochenend-Beziehung geführt, und haben gesagt, wir gehen das jetzt langsam an. Ich komme frisch aus der Trennung, und ich hab wirklich ein Päckchen auch mitgebracht und dann die Kinder. Und nachdem ich dann aber auch gemerkt hab: ich sitz hier in meiner 90m2-Wohnung ohne Kinder und hab auch keine Chance, die wiederzukriegen, und eigentlich will ich auch hier weg, wo meine Heimatgegend ist, wo mein schlechter Ruf mir vorauseilt, wo meine Ex-Schwiegereltern leben, wo mein Exmann nachts mit laufendem Motor und lauter Musik vor der Tür steht, unten an die Tür klopft und klingelt, mich tyrannisiert. Ich zieh jetzt weg. Dann hab ich die Wohnung aufgegeben und bin kurzerhand nach Heidelberg gezogen, zu Daniel. Erst noch in eine WG für drei Wochen, dann zu Daniel, und dann haben wir uns ne gemeinsame Wohnung gesucht. Und er war damals auch schon drei Jahre clean, und ich war ja dann auch schon, na ja, ein paar Wochen. Und das ganze ging neun Monate gut, und da haben wir gemeinsam en Rückfall gebaut mit Kokain. Bis dahin hatte ich wenig Kontakt, schon Kontakt, aber wenig zu meinen Töchtern. Die Älteste war zu der Zeit schon in der Psychiatrie eingeliefert worden, das war im Spätherbst ’99, so oder noch später, ist ja auch egal, neun Monate, das muss noch später, nee, dann war’s Frühjahr 2000, so war’s. Und, jetzt hab ich den Faden verloren, auch gut. ... Ich hab mich immer da drum bemüht, wieder mehr Kontakt zu meinen Töchtern zu haben, und ein Jahr später durfte ich dann die jüngste Tochter aus der Pflegefamilie, wo beide zusammen waren, abholen. Das war an meinem Geburtstag. Und die mittlere, die noch da war, die sollte dann am Schluss des Schuljahres, in den Sommerferien, wechseln. Was aber keiner wusste war, dass wir schon wieder rückfällig waren. Wir haben auch gedacht, damals, wir schaffen das, wir kriegen das wieder unter die Füße, und wenn erst mal die Kinder da sind – man hat sich selbst was vorgemacht. Und es hat net funktioniert. .. Dann gab es zwischen uns Stress, auch wegen Drogen, und das war einfach alles zu viel. Dann hab ich mich von Daniel wieder getrennt, das hat aber nur sehr kurz gehalten. Ich bin ausgezogen mit Sack und Pack mit meinen ganzen Möbeln und meiner jüngsten Tochter zu meinen Eltern, was ich eigentlich hätte dem Jugendamt melden müssen. Die war im Ganztagskindergarten, und ich hab die sofort dort auch angemeldet, aber es ging alles Knall auf Fall. Und dann hab ich nur zwei, drei Wochen bei meinen Eltern wieder gelebt mit meiner Tochter, hab das aber auch da net gebacken gekriegt, aufzuhören zu koksen, bin also zwischenzeitlich dann immer wieder nach Heidelberg, nach Mannheim gefahren, stundenlang weg, das Kind meinen Eltern aufs Auge gedrückt. Die haben das dann spitz gekriegt. Dann, als ich wusste, als sie mir gesacht haben, dass sie wussten, was da schon wieder los war, bin ich geflüchtet, hab mein Kind genommen, und bin wieder zu ihm gefahren, in unsere ehemalige, gemeinsame Wohnung. Da waren nur noch wenig Möbel drin, nur noch die Hälfte. Und dann hab ich mit meinem Kind da campiert. Das hat drei Tage gedauert, und dann wusste ich morgens, es klingelte sehr früh an der Tür, wusste ich: Jetzt kommt’s Jugendamt und holt mein Kind wieder ab... Das ... war einer der schlimmsten Tage (Stimme wird schwächer, weint) in meinem Leben. I: Das kann ich mir vorstellen. 2 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 B: .... Vorher hatte ich Hoffnungen, dass es doch alles klappt. An dem Tag hab ich gewusst, ich hab verloren. Na ja. Gut. Wie auch immer. Die Wochen danach bin ich total abgerutscht. Ich hab nur noch gekokst und, mir war dann auch alles egal. Ob ich erwischt werde, ob ich verhaftet werde, ob ich ins Gefängnis komm oder – der Daniel hat mich dann mal von der Straßenbahn weggezogen. Oder auf der Drogenszene war Razzia, alle sind weggelaufen, ich bin sitzen geblieben. Es war mir wirklich egal. Na ja gut. Das ging aber dann auch nur wieder, ich weiß net, zwei Monate .... Und dann haben wir gesagt: Mensch, wir waren so glücklich ohne Drogen, wir verstehen uns so super gut. Das ist ne Schande, wie wir unsere Beziehung hier kaputt machen. Da is ja dann auch, da kommt ja auch viel dazu, was zusätzlich ne Beziehung belastet, wenn net kaputt macht. So Geldbeschaffungsgeschichten, von kriminellen Sachen und was da eben noch so alles auf dem Geldbeschaffungsplan von Drogenabhängigen is, ne? Und das is mit Kokain noch viel, viel härter wie mit Heroin. Man kann zwar eins zwei Tage locker aussitzen und bekommt ja keine Entzugserscheinungen körperlich, aber der psychische Suchtdruck, der is mit Heroin überhaupt net zu vergleichen. Auf jeden Fall habe ich auch alles dafür getan. Ich hätte meine tote Großmutter dreimal gleichzeitig verkauft, das war mir egal, um nur wieder an Geld zu kommen. Und nach drei Monaten war Schluss. Dann haben wir uns um Therapie gemüht, sind aber auch, sagen wir mal, beide mit christlicher Einstellung, trotz unserer ganzen Sucht und unserem ganzen Mist, den wir gemacht haben, im Prinzip gläubige Menschen. Wir wollten gerne in eine christliche Einrichtung. Es war uns klar, ich war noch nicht geschieden, geschweige denn, dass wir verheiratet waren. Es war uns klar, dass keine christliche Einrichtung uns zusammen ein Zimmer geben würde. Dann haben wir gesagt: Okay, das ist jetzt alles net so wichtig. Wir sind zu allem bereit, aber wir wollen da raus. Dann sind wir in eine christliche Therapie, nachdem wir sechs Wochen in der Entgiftung in Wiesloch gesessen haben, die war sehr gut. Sind wir hin. Er ins Haus der Männer, ich ins Haus der Frauen, zehn, zwölf Kilometer voneinander entfernt. Erst mal sechs Wochen lang gar keinen Kontakt, und dann woll’n wir mal sehen, dann könnt ihr euch mal schreiben. Und dann, nach ner Zeit, könnt ihr mal telefonieren. Aus den sechs Wochen wurden zwölf Wochen ohne, offiziell, ohne Kontakt. Nach sechs Wochen hatten wir schon die Schnauze voll, haben Mittel und Wege gefunden, uns Briefchen heimlich zuzuschreiben. Und was am Ende dann war, dass Daniel dann nachts 12 km mit dem Fahrrad gekommen is und einfach zu mir rein, bei mir ins Zimmer. Na ja gut, das kam dann hinterher alles raus, dass dann irgendwann auch das durch war. Auf jeden Fall nach 13 Wochen haben die uns endgültig eröffnet, sie könnten das für uns überhaupt nicht so sehen, jeder müsste für sich Therapie machen. Und bei Daniel wüssten sie eigentlich gar nicht, warum der überhaupt Therapie machen sollte, da gäbs doch gar nix zu therapieren – er war hochgradig süchtig – klasse! Also, ja! Und ich bräuchte mindestens eineinhalb Jahre. Den wollten se grad in die Nachsorge stecken und mich noch eineinhalb Jahre da behalten mit der Aussicht aber, meine kleinste Tochter zu mir zu holen. Und dann stand ne schwere Entscheidung an, wo das Jugendamt dann auch sich mit Sicherheit bei jedem die Nackenhaare gesträubt haben oder was die Therapeutin, die hat doch einen Abschlussbericht über mich geschrieben – unter aller Sau. An dem Tag, wo die uns das offenbart haben, Daniel dort, mir da, hat Daniel gesagt: Hier, ich hab die Schnauze voll. Wir lieben uns, wir verstehen uns gut, wir haben keine Paarprobleme, überhaupt nix, und wir verzichten auf Sex, ich bleib hier und sie bleibt da ... Aber es war besprochen, dass wir gesteigert auch Paargespräche haben sollten. Ist meiner Meinung nach super wichtig! Hatten wir in der Therapie, hat uns so gut getan. Alles nichts! Ja. Und dann kam das ... er hat dann zugegeben, dass er mehrmals nachts auch bei mir war, dass wir schon lange überhaupt 3 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 Kontakt haben. Und dann haben sie mir das gesagt und das hab ich auch .. nö, nö! Ich hab gedacht, die ziehen sich das aus’m Ärmel und wollen uns nur ... die wissen’s nicht wirklich, sie vermuten es nur. Dass er also wirklich gesagt hat, also ich hab dann bis zuletzt gelogen, Stein und Bein, das ist nicht wahr. Aber er hatte das wirklich längst zugegeben. Und dann haben sie mir gesagt, ich hab jetzt eine Stunde Zeit, mir das zu überlegen: entweder ganz kleine Brötchen backen und da bleiben und Daniel kommt ganz in eine andere – ach, und dann haben sie mir erzählt, er wollte Therapie für sich alleine machen, in ne ganz andere Einrichtung, er wolle gar net, dass ich wüsste wohin. Dann hab ich gesagt: Bitte, lasst mich jetzt mit ihm telefonieren – das will ich aus seinem Mund hören! Das glaub ich net. Das war voll gelogen. Und das aus dem Mund vom Leiter einer christlichen Einrichtung. Soviel dazu. Ich bin dann etwas rumrotiert eine Stunde lang, und da stand der Daniel mit dem Taxi vor der Tür. Da hab ich meine Koffer gepackt, und dann sind wir gegangen. Und dann stand nachher drin, ich hätte Daniel meiner Tochter vorgezogen. Was wir wollten und was ganz wichtig gewesen wäre: Daniel hat keine eigenen Kinder und Daniel wollte eigentlich auch nie welche. Und ich hab ihm von Anfang an gesagt, er kannte, er ist Patenonkel von der Kleinsten. Also wir kennen uns schon seit die Sonja noch in meinem Bauch war. Also, ganz wichtig ist es auch für uns, gemeinsam mit dem Kind auch Therapie zu machen, weil das bei ihm auch teilweise auch die Sucht begünstigt hat, wenn er dann hilflos war und gar net wusste, wie geht ich jetzt mit dem Kind um. Die Kinder haben ja auch einiges mitgemacht im Vorfeld. Damals, grad die Jüngste war recht schwierig auch als Kleinkind. Und dann hab ich das gemerkt, dass ihm das längst eigentlich schon an der Hutschnur stand. Und dass es halt auch, ja, wichtig war für die gemeinsame Zukunft mit meinen Kindern auch gemeinsam in der Therapie, das zu üben. Langsam steigernde Tendenz. Und dann hieß es, nee, is net. Und dann war klar, das Ganze hat für uns gar keinen Sinn, ich hab kein Problem, mit meinen Kindern umzugehen. Na ja gut. Das war dann der Therapieabbruch. Dann sind wir zurück nach Heidelberg, ... Haben einige Wochen im Obdachlosenheim verbracht, weil wir keine Wohnung hatten, von jetzt auf gleich, dann haben wir uns, na ja, ne Miniwohnung gesucht, und haben gesagt, gut, wir versuchen das hier. Haben versucht, eine ambulante Therapie anzuleiern, wollten das weitermachen. Ging aber net, weil wir keine Arbeit hatten, hängt dann da dran. Also, ging dann auch net. Dann haben wir gesagt, wir versuchen das, und sobald wir rückfällig werden, gehen wir nach Bayern in eine Einrichtung, wo wir (,,) kannten, wo er schon mal war. Die nehmen ohne Kostenzusage. Es ist eine katholisch-christliche, und da kann man einfach im Prinzip vor der Tür stehen, die nehmen einen. Das hat drei Wochen gedauert, da sind wir nach Bayern gefahren. Ah. Da waren wir dann ein halbes Jahr. Auch christlich – er im Männerhaus, ich im Frauenhaus, aber die haben das dann letztlich net so ganz eng gesehen. Also, wir konnten dann allein Fahrradtouren machen, spazieren gehen; wir haben uns gesehen jeden Tag, haben miteinander geredet. Wenn wir eins, zweimal die Möglichkeit hatten, irgendwie allein unterwegs zu sein, dann haben wir das genutzt, wenn net, dann war’s auch net so schlimm. Wir waren zusammen. Das war das, was wir wollten. Aber therapeutisch ist da nichts passiert. Nichts! Ja, also irgendwelche, in die Richtung von Sektiererei, schon auf christlicher Basis, aber reichlich abgedreht, aber uns war das ja in dem Moment egal. Wir waren clean, wir waren zusammen, und erst mal Abstand kriegen. Das war auch soweit ganz gut. Das war die Therapie. Nach ’nem halben Jahr haben wir gesagt, es reicht uns hier, wir suchen uns hier im Ort ne Wohnung. Und nach drei Wochen sind wir wieder rückfällig geworden. Da sind wir von Bayern bis nach Düsseldorf gefahren, weil da wussten wir sofort, da gibt’s ohne viel Sprechen, ohne viel Fragen, da gibt’s Kokain. ... 4 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 Und da war’s wieder um. Und so geht das jetzt eigentlich schon die ganzen Jahre bis jetzt dieses Jahr bzw. letztes Jahr, wo, wo, ja, wo’s halt auch ganz knallhart war zu sagen: Ja und die Kinder zwischendrin! Ich hab die Kontakte bis auf eins, zwei vielleicht Ausnahmen, zu der Zeit, wo ich so ganz völlig fertig war, regelmäßig, wie vereinbart mit dem Jugendamt immer eingehalten. Ich hab regelmäßig Briefe geschrieben. Ich hab mich zurückgehalten. Ich hab bis vor einem halben Jahr nicht gewusst, wo meine jüngste Tochter überhaupt lebt. Alles übers Jugendamt die Briefe, alle zwei Monate einen. Meine mittlere Tochter hat ne viel größere Hemmschwelle mir gegenüber wie die Kleine. Bei der war, wir haben uns gesehen, nach zwei drei Minuten war sofort jeder Bann gebrochen. Alles war eigentlich wie immer, ein sehr entspanntes Verhältnis. Und die Mittlere, die hab ich jetzt .. seit .. na ja, einmal gesehen, seit zweieinhalb, ne, seit ich die Sonja abgeholt hab 2000, seit drei Jahren. Beim letzten Hilfeplangespräch durfte ich dann, beim vorletzten hätte ich kommen dürfen. Da war ich aber gerade von der Drogentherapie hierher gefahren, am ersten oder zweiten Tag. Und da war ich nicht, da war dann ihr Vater da. Da war ich froh, dass ich nicht da war. Letztes mal hab ich gesagt: So, und jetzt bin ich soweit über diese Ex-Ehe hinweg, dass ich jetzt sagen kann, net nur, mir ist meine Tochter wichtiger, ich hab weniger Angst vor ihm oder das Bedürfnis, meine Tochter jetzt die Gelegenheit zu nutzen, sehen zu können, das ist jetzt größer wie die Angst vor ihm, ihm zu begegnen. Trotzdem hab ich Daniel mitgenommen, bis vors Jugendamt, und der hat auch davor gewartet bis ich wieder raus komm, obwohl der gar net da war der Ex, Gott sei Dank! Aber Regina hat ne große Hemmschwelle, und ich hab jetzt zweimal in drei Jahren von ihr Post gekriegt. Obwohl sie in Hessen wohnt und ich zich mal, ich hab in Hessen gewohnt, ich hab meine Eltern, meine Mutter gepflegt, meinen Vater gepflegt bis sie gestorben sind. Wir sind ja von Heidelberg, nee von Bayern sind wir wieder nach Hessen gezogen, weil mein Vater pflegebedürftig war. Na ja, natürlich waren wir wieder drauf. Aber es hat wieder mal keiner gewusst. Ja, dann hab ich, dann wurde meine Mutter pflegebedürftig nach dem Tod meines Vaters. Dann hab ich für sie, wie heißt das? .. die Betreuung gekriegt. Ich hab gesagt, das ist lächerlich. Das Jugendamt lässt mich net meine Kinder sehen oder bei mir haben. Ist auch gerechtfertigt mit ’ner drogenabhängigen Mutter – das schmäler ich jetzt net! Aber das gleiche Gericht peilt das überhaupt net und gibt mir die Betreuung für meine Mutter, samt ihrer Konten, und ich bin schon wieder, na ja, es war ja alles überhaupt net lustig. Nichts desto trotz, ja gut, dann ist es passiert, dann hab ich mir ne Überdosis gesetzt und bin in der Intensivstation gelegen. Und dann war auch Daniel nicht da, meine Mutter war ohne Hilfe zu Hause, hat aber noch ne Mitbewohnerin unten im Haus. Die hat dann da was gepeilt. Auf jeden Fall haben die ‘n Arzt gerufen, der Arzt hat die Welle gemacht, und da hat meine Mutter einen gesetzlichen Betreuer gekriegt. Und der ist heut mein Betreuer, den hab ich mir freiwillig dann zum Betreuer machen lassen, um mich ein bisschen vor mir selbst zu schützen, um meine Finanzen mit dem geerbten Haus meinen Kindern zu regeln und auch als vertrauensvoller Ansprechpartner in sonst wie jeder Situation. Also, da ist ein Vertrauensverhältnis da. Dadurch, dass der für meine Mutter zwangsweise zuständig geworden ist, und er hat uns in der ersten Zeit – ich weiß net, ohne ihn hätten wir das so leicht net gebacken kriegt. Der hat mich nach Hasselborn gefahren – in die Übergangseinrichtung, der hat uns in der Therapie in (,,) abgeholt und hier nach S. gefahren und uns hier jetzt schon zweimal danach besucht. Er is weit weg, in Hessen, aber ich brauche niemand, der jeden Tag kuckt, ob ich auch meine Zähne geputzt hab oder so, ja! Er hat die ganzen Finanzgeschichten mit dem Haus in Hessen, mit den Jugendämtern, dann die ganzen unangenehmen Finanzsachen, die mich nur runterziehen, die hält er mir schön vom Hals. 5 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 Und wenn ich Probleme hab, kann ich mich auch an ihn wenden. So is jetzt der Ablauf in der Richtung. (holt tief Luft) Ja, da war ein Teil. ... Und jetzt? Eh, wenn man mit Drogen zu tun hat, von hier nach da, von da nach dort, also, wir sind glaube ich, es könnte jetzt das 14. oder 15. Mal sein, dass wir umziehen, seit wir beide zusammen sind, seit ... noch keine sechs Jahre. Ich sach mal umziehen in dem Sinn von andere Meldeadresse. Nicht bei jeder Therapie haben wir unsere Klamotten net alle mitgenommen. Aber Meldeadressen haben wir mindestens 15 gehabt, jetzt in sechs Jahren. Wie man dann so ein bisschen in der Gegend rumkommt viele auch andere Eltern, wo die Kinder weg sind, mitkriegt . In meinem Fall ist es eigentlich letztlich die Sucht gewesen, die das verursacht hat. Da weiß ich auch, wie sehr viele darunter leiden, dass es so ist, und aus diesem Teufelskreis: ich bin sowieso süchtig, deswegen ist mein Kind weg, und weil mein Kind weg ist und ich deswegen traurig bin und Schuldgefühle hab und alles Mögliche hab, bin ich noch mehr süchtig, nehme ich noch mehr Drogen, Tabletten, Alkohol oder irgendwas, damit ich das bloß net alles fühlen muss – und schon hat sich der Kreis geschlossen. Der ist sehr eng. Und das war eigentlich auch das bei mir, ohne dass Sie mich falsch verstehen. Als ich das erste Mal nach der Trennung von meinem Exmann zusammen mit Daniel rückfällig geworden bin, ich hab mich total selbst überschätzt. Ich hab gedacht, boah er ist schon sooo lange clean und ich jetzt neun Monate oder achteinhalb oder egal – sooo lange. Und einmal können wir doch mal. Das ist ein riesen Irrtum, auf den jeder Drogenabhängige zich mal reinfällt, bevor er dann immer wieder in das selbe Loch, bevor er dann immer wieder merkt, dass es eben net geht. Em, aber bei mir hat damals zu dieser Zeit, da hat’s Jugendamt gesagt: Ja, jetzt werden Sie erst mal ein paar Monate stabil, beweisen Se mal, dass Se clean sind. Und da hatte ich Drogenscreenings beim Arzt, hab die selbst bezahlt, hab die Kopien von diesen CleanScheinen immer schön dem Jugendamt in Waldheim hingeschickt. Und nach sechs Monaten kriegst du gesagt: Das nützt uns gar nix, Sie können ja, wenn .. ja müssten Sie ja, müssten wir Sie ja bestellen – Sie können ja hingehen, wann Sie wollen. Und da hab ich beim Gericht angerufen und hab gesagt: Bitte, bitte, bitte bestellt mich doch zu Screanings, wann ihr das wollt. Nö, wollen wir nicht, wir wollen jetzt sehen, dass Sie stabil sind und auch dann bla – über Jahre! Und irgendwann war mir klar – ich seh meine Kinder die nächsten drei Jahre, zumindest nicht, dass ich sie wieder zu mir bekomme ... und dann war’s halt auch ganz schnell um. Kein .. gekämpft – ich hab ein halbes Jahr lang oder, ja, diese Zeit knüppelhart gekämpft gegen mein Sucht ... und hab, ja, ich hab alles angeboten. Ich geb ‘ne Haarprobe ab, dass die ganze Zeit gar nix gewesen ist und alles, ne? Nein, nein, nein. Und Sie kriegen die jetzt trotzdem net wieder. Sie müssen jetzt mal mindesten zwei, drei Jahre, und dann war’s um. Dann war ich wieder drauf. ... Ne? Also, das fand ich damals am meisten scheiße und muss auch heute noch sagen: Das hat meinen Rückfall, meinen ersten Rückfall nach dieser Trennung extrem begünstigt. Wenn ich da gewusst hätte, in drei Monaten, oder vielleicht auch nur in sechs Monaten kann ich meine Kinder wieder haben, wenn ich weiter clean bin, wenn ich das weiter so nachweise. Oder sie sagen: Ein Jahr ziehen Sie jetzt durch. Dann machen Se ‘ne Haarprobe – wenn die wirklich total sauber ist, dann kriegen Sie Ihre Kinder zurück. Dann – nichts. So nach hinten offen Larifari – seh Du mal zu, reiß Dir mal den Arsch auf bis Deine Kinder groß sind. Und da hab ich mir irgendwann gedacht: Für was brauch ich ’n clean sein, wenn ich meine Kinder net hab, ne? Dafür is ja Koksen viel zu schön. Also, ne, is natürlich Quatsch! Aber irgendwie ... I: Klar! 6 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 B: ... zieht’s einen so runter. Und ich hab die ersten Monate literweise mir den Pulli voll geheult, weil meine Kinder weg sind. Ich hab mir immer drei Töchter gewünscht. Alle drei waren absolut gewollt, gewünscht, zumindest von mir. Und, ja, so hab ich mir mein Leben net vorgestellt, dass ich mit 40 irgendwo sitze und keins mehr hab, beziehungsweise eins in – na ja – und zwei bei Pflegefamilien. I: Klar. B: Nach diesem Rückfall, nach diesem ersten, war mir schon .. danach war mir klar: Wenn ich jetzt meine Kinder haben will, kann ich net sagen, mit ‘nem halben Jahr oder mit ‘nem Jahr, das reicht jetzt aus – ich hatte eben mein Feuerzeug (holt ihr Feuerzeug) – dass das dann länger dauern würde. Aber nichts desto trotz hab ich mich da sehr lang dran geklammert und bis zum Abbruch der Therapie, diese christliche, eigentlich auch immer gehofft. Und mich wirklich damit abzufinden, die Kinder nicht mehr als Kinder in die Familie zu bekommen, nie wieder, das tut immer noch weh (kurz vor’m Weinen). Aber, ehm, dass ist jetzt irgendwie auch o.k. Aber das hat lang gedauert. Aber jetzt weiß ich, das is um. Wobei, ja, ich denke, so is es um. Jetzt macht die Mittlere Probleme und hat Stress mit der Pflegemutter. Kann ich persönlich gar net ... na ja gut. Sie muss mit ihr leben, und es gibt immer wieder heftigste Reibereien. Und da kam vor kurzem das Jugendamt, ja, die will ins Heim, die will da raus. Und da hab ich ihr zugeredet – ich weiß, sie is in ‘ner guten Pflegefamilie, wirklich – alles bestens, voll integriert mit Freunden, mit Pflegegeschwistern, die verstehen sich gut die Kids – natürlich gibt’s da mal was. Dann hab ich der so zugeredet und hab gesagt: Anette, bleib da. Du hast nicht die Ahnung, was dich im Heim erwartet. Und da muss ich sagen, was ich im Jugendamt – ich hab sehr viel Jugendamt-Mitarbeiter kennen gelernt (zündet sich eine Zigarette an), sehr krasse Unterschiede. Manche sind, ja, eigentlich alles in der Vergangenheit, manche sind mir so schräg gekommen. Eine hat mal gesagt: Es wär doch besser für ihre Kinder gewesen, Sie hätten sie abgetrieben! Da ging es da drum, dass irgendeine ... Schwester meines Exmannes, die wollte eine meiner Töchter zu sich holen, aus er Pflegefamilie, wo die heut noch ist, genau die. Und die Frau hat damals aus rein materiellen Gründen ‘ne Abtreibung machen lassen. Der eine Sohn war damals zehn, und sie war ungewollt schwanger von ihrem Mann, aber alles so weit Friede, Freude, Eierkuchen, Eltern, Kind, alles, tolles Haus, die waren am Umbauen, und dann hätten sie sich die Mahagonitüren und Decken net leisten können. Dann hätt sie aufhören müssen zu arbeiten, wenn sie noch mal ein Baby kriegt. Und deswegen hat die Frau abtreiben lassen. Und es gibt für mich, wenn überhaupt, für mich persönlich, nur einen Grund zu sagen, o.k, aus strengster medizinischer Indikation. Vielleicht, gut, das kann ich, ja! Hätte ich akzeptiert, aber net für ne, für ne scheiß Mahagonidecke. Da (Stimme stockt), ja! Und die wollte meine Tochter nehmen! Die war noch jünger als ihre eigene. Die wäre jetzt so alt wie meine Älteste und noch vier Jahre jünger. Und da hab ich auf’m Jugendamt gesagt: Eine Kindermörderin kriegt mein Kind nur über meine Leiche! Würde ich alles für tun, dass die mein Kind nicht kriegt, die hat ihr eigenes .. und da ist diese andere Frau vom Jugendamt, die ist total ausgerastet und brüllt mich an: Und ihre Kinder, es wäre besser, Sie hätten se abtreiben lassen – als hätt die mir das zu sagen! Zum Beispiel – das war so einer der Sprüche. Oder andere teilweise, die Namen weiß ich teils net, is auch egal, hier vom Jugendamt Hesselstadt . Da war eine, ehm, oder zwei ... die sooo, die haben mich sooo von oben herab, so missachtend behandelt – ah – egal, was ich da gesagt habe – was bist’n Du, der letzte Dreck! Und dann kam da mal so – da hab ich gesessen, nach dem Therapieabbruch bin ich zum Jugendamt hin, hab gesagt, so 7 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 und so, hier bin ich, und ich hab die Therapie abgebrochen, und ich will jetzt das und das und das versuchen ... Und da hat sie gesagt – ich wäre völlig emotionslos, ich wäre ein eiskalter Mensch, ich hätte völlig emotionslos da gesessen. Dass ich bei ‘ner Frau vom Jugendamt, die ich schon vorher kannte, und wir waren uns gewiss nie sympathisch, dass ich mich da hin setze und .. was soll ich ‘n da für Emotionen zeigen, wenn ich mich da melde und sage so und so, ich bin wieder hier, ich stell mich hier der Situation, (...) I: Ja. B: (...) dann muss ich mir noch so ‘ne Abfuhr erteilen lassen! Wobei ich im Jugendamt Wittel . z. B. jetzt mit der Frau Feldmann, die hab ich gesehen, zwei drei Sätze gewechselt hab und hab gedacht: Gott sei Dank, endlich mal ein herzlicher, ein netter Mensch, mit dem man umgehen kann – natürlich für’s Kind, net für mich, is ja es Jugendamt! Aber, ehm, wo einfach net diese Ablehnung zu spüren war, und die ist wahrscheinlich auch net da bei der Frau Feldmann, denke ich. Und so hab ich dann jetzt hier im Jugendamt Hesselstadt auch ne sehr nette Frau jetzt gehabt, und das ist jetzt halb rum am Jugendamt mit der kleinsten Tochter, weil die dort in der Gegend wohnt. Und die zuständige Frau hab ich jetzt einmal kennen gelernt beim Gespräch vor zwei Wochen, heute vor ’ner Woche war ich da das erste Mal. Und die is auch super nett, super sympathisch, unkompliziert. Wo man so das Gefühl hat, o.k., man ist süchtig, man bleibt ja immer süchtig, auch wenn man gerade mal clean is, man is süchtig und wird deshalb net in die Kategorie Assi, Abschaum, unwert – da kann man drauf rumtrampeln, wie man gerade will gesteckt oder, egal was man sagt, das wird ja sowieso net geglaubt. Ich hab gesagt: Mein Mann hat mich geschlagen – ich hab was weiß ich wie viele ärztliche Atteste gehabt. Meine Eltern haben dafür, wie heißt das? – eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass die das gesehen, gehört, miterlebt haben, wie mein Mann mich auf schwerste Art misshandelt hat. Und man wird immer noch hingestellt als Lügnerin – das kann doch eigentlich alles gar net so schlimm gewesen sein! ... Dann ... das ist eine ganz große Hilflosigkeit, die dann am Gefühl (,,,) Das ist die Wahrheit, was soll ich jetzt noch sagen! Was soll ich noch sagen? Warum glaubt mir keiner? Ich hab die Beweise. Die Gegenseite erzählt was anderes und dann das Gehändel hin und her und was dann da alles an Gerüchten kam. Natürlich müssen so Ämter vorsichtig sein, was jeder erzählt. Es kann jeder viel erzählen. Aber in dem Fall konnte ich das dann doch net mehr nachvollziehen ... Es ging soweit, dass meiner ältesten Tochter eingeredet wurde, ich hätte sie misshandelt! Wobei ich niemals eins meiner Kinder misshandelt habe, ne! Ich bin wohl ausgerastet und hab mal einen Stuhl zerdeppert in der Wohnung, da steh ich auch zu! Ich hab auch mal ein Spielzeugauto zertreten oder ich hab auch mal irgendwas an die Wand geworfen. Aber ich habe nie meine Kinder misshandeln. Aber solche Sachen – ich wäre mit dem Messer auf die Kinder losgegangen! Dass ich mit ’nem Messer ins Kinderzimmer gelaufen bin, weil ich vor meinem Mann weggelaufen bin und mich da einschließen wollte, das glaubte mir ja keiner. Ich geh auf meine Kinder los – also (lacht kurz auf), das ist absolut das Letzte. Also, so Geschichten sind dann natürlich bei Jugendämtern angekommen. Und dass das dann ein schlechtes Licht wirft, dass die dann hellhörig werden, vorsichtig werden, kann ich auch verstehen. Eh, ja ... und dadurch, dass die Kleine so lange, die war bei mir, also ursprünglich, dann bei der Pflegefamilie, dann kurz ein paar Monate bei mir, dann hat’s Jugendamt die geholt, dann is sie in die Übergangspflegefamilie, wo sie fast ein Jahr und neun Monate war. Und von da kam sie dann in die Pflegefamilie, wo sie jetzt ist. Dass das Mädchen dort erst mal zur Ruhe kommen musste, sich einleben musste – das hab ich eingesehen. Dass da net ständig wieder 8 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 das Gefühl, die Mama will mich wieder abholen, und wie wird es dann werden? Oder darf ich jetzt hier bleiben? Will ich überhaupt hier bleiben? – was in so ’nem Kind mit, wie alt is se jetzt, jetzt is se zehn, da war se so acht, noch keine neun, als sie dahin kam. Dann hieß es, ich soll sie erst mal ein halbes Jahr ganz in Ruhe lassen und nur, weiß gar net mehr, erst mal gar net und dann nachher schreiben. Und nach ’nem halben Jahr könnten wir dann Kontakte anknüpfen. Aus dem halben Jahr sind drei Jahre geworden. Ja. So. Drei Jahre hab ich die nicht gesehen, ja? Und das, wie gesagt, dass das für ne gewisse Zeit notwendig war, nur in bestimmten Abständen Briefkontakt zu haben. Einfach, damit das Kind sieht, ich kann mich bei dem bisschen aber auf meine Mama verlassen. Das hab ich alles eingesehen, aber drei Jahre waren mir reichlich zu viel. Eigentlich schon! Und das, meine Beziehung jetzt zur Sonja, so, ich denke mal, die ne..., Beziehung .. werden jetzt häufiger, aber wenn sie erst mal vielleicht irgendwann mal in den Ferien für ne Woche oder für zwei am Stück da sein darf – ich glaub, dann wird es so sein, als wäre sie gar net weg gewesen, obwohl sie erst fünf war, wo sie weggekommen ist, und jetzt schon zehn is. Das is einfach, wir verstehen uns einfach super gut. Man merkt, da ist keine Hemmung zueinander. Und vielleicht wäre das auch etwas früher gegangen. Aber ..... Ich hab auch versucht, gegen alle meine Gefühle in den Jahren zu denken, hoffentlich haben die vom Jugendamt mit der oder der Maßnahme oder nicht sehen, nicht treffen, kein Kontakt – wenn’s dem Kind ja wirklich nützt, wenn’s ja wirklich gut is, dann halt ich das auch aus. Ich will das Beste für meine Kinder. Und wenn das jetzt eben das Beste ist, dann muss ich eben durch. Ich hab ja auch den Scheiß gebaut. Hauptsache denen geht’s gut. Und Sonja geht’s jetzt gut. Ja. Und .. (holt tief Luft) Sie hat z. B. bis zu unserem ersten persönlichen Treffen ziemlich in der Schule Schulschwierigkeiten gehabt, soziale Schwierigkeiten in der Schule gehabt mit anderen Kindern und zu Hause bei den Pflegeeltern. Und seit nach dem ersten Treffen geht’s ihr besser, ja. Wobei ich ihr auch gesagt hab vor Augen und Ohren des Jugendamts und der Pflegefamilie, dass es für mich in Ordnung ist, dass sie da lebt, dass ich froh bin, dass sie so ne nette Pflegefamilie hat und dass sie da bleiben darf, so lange wie sie möchte. Dass ich schon gerne mehr Kontakt zu ihr haben möchte, aber das ihr überlasse und alle diese Freiräume gebe. Ehm, zum einen denke ich, dass es für sie ganz wichtig ist zu wissen: Ich kann jetzt hier bleiben. Und was halt auch, was ich jetzt erst so erfahren hab, was mir bewusst geworden ist, wie wichtig das ist, für ein Pflegekind, dass sich die Pflegeeltern und die leiblichen Eltern oder in dem Fall ich als Mutter, dass man sich da versteht und an einem Strang zieht. Und ich sage nicht mehr komplizierter, wie es sowieso schon ist, dass da für so ein Kind ne riesen Last weg ist, das Gefühl hab ich jetzt bei Sonja – also, mir waren die Pflegeeltern von ihr sofort super sympathisch. Ich hab gedacht: Oh, da hat se ja richtig nette Leute gefunden – klasse! Ja und, wirklich, die Frau vom Jugendamt hat sich super Mühe gemacht, dann auch lange gesucht nach der geeigneten Pflegefamilie, und die hat sie effektiv gefunden, bin ich sicher. Und hinterher hat sie wohl zu ihrer Pflegemutter gesagt, dass sie das ganz toll findet. Sie hätte ja den Eindruck gehabt, wir wären fast wie Freundinnen, wobei wir uns ja fast das erste Mal gesehen haben, nur wenig miteinander .. aber ... Da merk ich auch dieses Entgegenkommen der Pflegeltern, wie wichtig das dann wieder ist, das Kind net vor den leiblichen Eltern abzuschotten, sondern mit dieser Vergangenheit und den Personen, die vielleicht auch später noch dazugehören, einfach auch umzugehen sich lohnt oder (...) I: Ja. 9 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 B: (...) oder sich die Mühe machen mit umzugehen. Sie waren jetzt mit der Sonja bei den Großeltern väterlicherseits. Und es hat erst ein bisschen gedauert, bis das bei mir dann so, bis sie sich getraut haben, mir das zu sagen. Aber ich find das o. k.! Die Schwiegereltern, die haben mir nie was getan, die haben der Sonja nie was getan, die haben die Sonja lieb, es ist ihr jüngstes Enkelchen, wenn es das älteste wär, wärs auch egal. Wenn die Sonja den Wunsch hat, ihre Großeltern ab und zu zu sehen und da Kontakt zu haben, dann soll sie ihn doch haben. Ich möchte nur net, dass schlecht über mich geredet wird, aber das, weil’s dem Kind wieder schadet. Ansonsten reden die das ganze Jahr über mich schlecht, das ist mir egal, wenn’s meine Kinder net belangt. (Hustet) Und, ehm, da macht sich diese Pflegefamilie super viel Mühe, fährt bis nach Hessen, um die Großeltern zu besuchen. Sie haben mich jetzt das erste Mal zu sich letzte Woche eingeladen gehabt, und jetzt treffen wir uns jeden Monat mal. Dann haben wir gesagt, wir versuchen das einmal im Monat das hinzukriegen. Wenn’s mal nach drei Wochen ist und einmal in fünf Wochen, wir kucken halt, wie wir das organisiert kriegen. Und die Frau vom Jugendamt sagte dann, ei ja, an welchem Tag, zu welcher Zeit bis zu welcher Zeit? Und keiner wusste was zu sagen. Und erst mal muss man von einem zum anderen Mal kucken, wie geht’s dem Kind damit? Wünscht es sich vielleicht ne Stunde länger oder ist es ihm vielleicht schon zu viel? Dass man da individuell immer wieder neu kucken muss. Und zum andern auch, wie kann man das auch praktisch organisieren – jeder hat sein eigenes Leben. Da ne Familie und da was. Das muss ja auch zeitlich, da kann man sich schwer so festlegen: Ich will aber das Kind jede zweite Woche von Freitagabend sechs bis Sonntagabend sechs haben – egal, was da kommt! Und jetzt: Oh, wir kriegen das schon hin, wir sprechen uns dann ab, und dann treffen wir uns dann hier und mal da, wir können ja mal auf’n Weihnachtsmarkt gehen oder wir können mal hier zu Besuch gehen. Ach, das kriegen wir schon. Und da merkt das Kind, da ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. (,,,) Beim Abschied sagte sie: Oh, mir wär am liebsten,... weil ich ihr erzählt hab, dass wir jetzt eine eigene Wohnung auch suchen und so. Mir wär am liebsten, das wär doch schön, wenn wir alle zusammen in einem Haus wohnen könnten- (redet voller Euphorie weiter) du und der Daniel und die Pflegeeltern und meine Pflegebrüder und ich und all die Hunde, die haben auch zwei so Hunde wie die Chipsy so was in der Art! Und (,,,) ja aber wenigstens in einem Ort. Da sag ich: Nee das geht nicht, aber wir können uns jetzt erst mal regelmäßig sehen, und wenn das alles gut klappt, und wenn es dir dabei gut geht, dann darfst du nächstes Jahr auch irgendwann mal ein Wochenende bleiben. Und so, dann wird das schon mehr, wenn du das möchtest. So in der Art und, ja, und damit geht’s mir dann auch gut, wenn ich dann nach Hause fahre, dann bin ich net tot traurig, ehm, sondern denk mir Mensch schön, es geht ihr gut, sie ist glücklich ich muss mir keinen Kopf machen, passiert da jetzt was Schlimmes. Hat man doch als abgebende Eltern, gerade bei Töchtern, aber überhaupt, was man so alles hört, so viel Angst vor Missbrauch, oder sexuellem Missbrauch oder doch Gewalt. Und da ist es ganz wichtig, auch zu wissen, die Pflegeeltern, wie sind die so drauf. Ich meine, man kuckt jedem nur vor’n Kopf, is klar! Aber irgendwo so ein Stück weit Menschenkenntnis hat man dann ja auch, zu sagen: Nee, das is wirklich in Ordnung. Also man hat zumindest ‘n Frieden und macht sich dann keinen Kopf, ne? Und das vermiss ich bei Anette sehr, dass dort halt die Initiative der Pflegeeltern null war, die Anette mal dazu aufzufordern, oder mal anzuhalten, ich will net sagen zureden oder irgendwie belabern, das mein ich net, aber das ist auch eine christliche Familie, und ich weiß, die Anette hat’s dort gut, da passiert nix, da is alles wunderbar und so. Aber, wenn dann vor Ohren so eines damals zehnjährigen Kindes ständig darüber geredet wird, in welcher Sünde ich denn lebe, weil ich noch verheiratet mit nem anderen Mann was hab. 10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 Dann kann das jedem seine Einstellung sein, wie er will, aber muss doch mich, also Daniel wird da sehr gemobbt, wird bis heut net akzeptiert, dass wir dann mittlerweile auch jetzt schon seit zwei Jahren verheiratet sind, zwei Jahr? Ja. Nee, drei! Ui, jui, jui – ich weiß das immer net! I: (lacht) B: Na ja, auf jeden Fall, ich hätte mich ja nicht scheiden lassen dürfen, egal wie der Mann so is. Ich muss das als Frau ja aushalten, und ihn lieben und ehren, und das wird mir dann .. eh .. scheiße, ja? Nein! Muss ich net, will ich net und seh ich gar net ein. Ich denk, aus christlicher Sicht, wer mich nicht liebt und ehrt, der ist auch von meinem Glaubensdings her, der hat auch kein Recht, mich als seine Frau zu bezeichnen. I: Ja. B: Punkt um. Und damit war für mich die Scheidung schon längst vollzogen, bevor das auf irgendeinem (,,) Papier dann endlich in meinem Briefkasten gelandet ist. Und da hab ich mich überhaupt net moralisch aus dieser Sicht an diese Ehe gebunden gefühlt. Überhaupt net. Und das war von daher gesehen – na ja, gut. Das sind Glaubensansichten, aber wenn man die da so sehr auf die Kinder projiziert und dann uäh, der böse Daniel und Ehebrecher und Sünde und Tod und Teufel und so ein übertriebener Kram, dann ist das für das Kind net so erträglich. Wenn die Großeltern väterlicherseits und die Schwestern vom Vater alle in einem Ort wohnen und alle auf meine Tochter einreden, die Mutter sei eine Hexe und weiß der Geier was net alles. Und dann wurde erzählt, wir hätten einen Raubüberfall gemacht und, ach, da war Daniel gerade weg in der Übergangseinrichtung. Das hab ich natürlich in dem Dorf net breit getreten, wo der hin is. Dann hieß es, der wär im Gefängnis, weil wir hätten einen Raubüberfall gemacht, aber ich war da noch da. Ich war dann auch weg, dann hatte ich natürlich auch ‘n Raubüberfall gemacht. Natürlich alles Quatsch (,,). Und damit muss dann ein Kind leben vor den anderen Schulkindern. Wie steht es denn da, wenn man ... ah ... so’n – also, ich kann es net verstehen, wie man seinem Kind oder irgend ’nem Kind so was antun kann. So schlecht zu reden über die Eltern z. B., egal, was auch der Vater oder die Mutter, was die getan haben. Ich weiß, dass ein Kind immer die Eltern lieb hat und sowieso schon zerrissen ist durch diese ganze Situation. Da muss man net von außen rum noch drauf treten und das Leben noch schwerer machen. I: Ja. Das ist wohl wahr! B: Und von daher gesehen – ich hab ja die heftigsten Erfahrungen mit der großen Tochter, die jetzt nicht mehr oder nur kurze Zeit in der Pflegefamilie war. Wie weit das psychisch auch führen kann. Also wenn es dann noch durch die erlebte Gewalt und die Angst auch noch von außen weiter angefeuert wird, da ständig Schlechtes zu reden. Und irgendwann (Hund kratzt, B. schreit) Chipsy, hör auf! ... Ehm, es is mir auch schwer gefallen, bei den anderen beiden jetzt überhaupt net, weil das war nie Thema, weil die hab ich erst mal gar net gesehen, wenn ich was geschrieben hab, hab ich nix über den Vater geschrieben. Aber mit der Großen hatte ich während der Psychiatrie absolute Kontaktsperre lange Zeit. Aber wenn wir Kontakt hatten, und sie hat alles mitgekriegt, bewusst mitgekriegt, weil sie alt genug war, im Gegensatz zu den Kleinen. Die Anette, die hat sich die Ohren zugesperrt und die Augen, die wollt nix wissen, die wollt nix hören, nix sehen, die hat das einfach ignoriert und 11 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 die Kleine war zu klein – Gott sei Dank! Die Große hat alles mitgekriegt .. und, ehm, da is einer ihrer Therapeuten, den sie in der Jugendeinrichtung hatte, der hat es mal geschafft, im Einzelgespräch mit mir, beim Besuch, mich wirklich zu nehmen und neben mich zu stellen, dass ich die Situation, in der ich bin und in der Regina is und was dann ihren Vater auch betrifft auch in Bezug auf ihren Vater sich belangt – da konnt ich wirklich mal aus Sicht von einem Außenstehenden, also der Mann war die Wucht! Die Wucht. Also selten so einen guten Therapeuten erlebt, wo ich wirklich in der Lage war, das als Außenstehende mal für eine gewisse Zeit zu sehen und dadurch begriffen hab, ganz egal, was zwischen mir und meinem Exmann gelaufen is oder was zwischen Regina und ihrem Vater gelaufen is! Nicht das als Tabuthema zu erklären, sondern mich aber aus diesem, aus diesem .... Kampf, ich zieh dich auf meine Seite oder red schlecht über deinen Vater und er versucht, dich auf seine Seite zu ziehen, indem er schlecht über mich redet – ich hab’s immer versucht, aber manchmal ist mir einfach auch – die Regina ist dann auch ... sie hat schwerste BorderlineStörungen mit – in Richtung Schizophrenie mit ..... alles Mögliche – schwerste BorderlineDiagnose. Mit Wahnvorstellungen teilweise, mit Gewaltausbrüchen ... Aber danach ist es mir sehr viel leichter geglückt, mich da einfach komplett raus zu nehmen, zu sagen. Ich ... manchmal habe ich zu ihr einfach gesagt: Du, ich möchte net über das Thema reden, weil, wenn ich daran denke, geht es mir gar net gut. Und da hab ich halt auch viel dazu gelernt und ihr einfach auch zu sagen: Nein! Will ich nix von hören. Will ich net drüber reden. Aber net, weil du mir auf’n Wecker gehst, sondern weil es mir damit net gut geht. Und deswegen is es net tabu, sie hat mal das und das erzählt, und sobald ich aber gemerkt hab, bei mir gehen innen alle Gefühle kochen dann wieder hoch, dann kann ich das auch abbrechen, um es ihr net noch schwerer zu machen. Ja, und dann, ja ... Das im Sommer ... ja, und da bin ja jetzt wieder dran schuld, laut Aussage .. ihrer Großeltern, weil sie vier Wochen hier war. Und sie wär am liebsten gleich hier geblieben. Ich hab ihr gesagt: Du machst noch deinen Schulabschluss. Den hätte sie jetzt im Januar nachmachen können. Du gehst zurück, du machst deine Jugendhilfe da fertig, du machst deinen Schulabschluss. Wenn du deinen Schulabschluss hast, können wir drüber reden, ob du da raus willst, ob du hier in die Gegend willst, wie es dann weitergeht, vorher brauchst du mir gar net her zu kommen. Das war mit der Einrichtung, mit der Psychologin abgesprochen, wie wir da vorgehen, um sie anzuschieben. Sie hatte schon ne eigene Wohnung – Probewohnen. Das hat drei vier Monate – na ja – ganz gut geklappt, für ihre Voraussetzungen ganz gut geklappt. Und dann ist sie zurückgekommen, und ihre Therapeutin meint wohl, dadurch, dass sie nicht gekriegt hat, was sie wollte. Sie wär am liebsten gar net mehr zurückgefahren, hat sich mit Händen und Füßen gewehrt die letzten drei Tage, dass sie wieder hin fährt. Und .. du, ich setz dich in den Zug, das is mir egal, notfalls im Nachthemd. Wir fahren dich zum Bahnhof und setzen dich im Nachthemd in den Zug mit deiner Fahrkarte und fährst dahin. Du kannst nicht hier bleiben. Dann ist sie gefahren und paar Wochen später hat sie gegenüber in der Wohnung eines alten pflegebedürftigen Mannes eingebrochen. Da stand wohl irgendein Knüppel rum, den hat se genommen und hat dem, während der im Bett lag und schlief, übergezogen. Und dann is se raus, hat die Tür von außen abgeschlossen und is ma weg. Dann is se wohl später wieder hin, und dann hat sie den Mann blutend im Bad dann gesehen, hat gekuckt, is raus, hat wieder zugeschlossen, hat die Panik gekriegt, is weggelaufen, hat den Schlüssel weggeworfen, und dann hat die mich angerufen – hier, und sitzt da oben in Sachsen an der polnischen Grenze. Dann hab ich von hier aus alles wild gemacht. Polizei, ba, ba, ba, hier der muss Hilfe haben. Sie hat auch noch da oben ihre Betreuer angerufen. Ja. Und an dem Abend ist sie dann effektiv, nicht mal nur für ein paar Tage, wieder Notfallintervention, Krisenintervention in 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 die Psychiatrie gekommen. Und jetzt sitzt sie da und wartet auf ihre Verhandlung. Der alte Mann ist wohl wieder zu Hause, aber Krankenhausaufenthalt, dann hat sie, was weiß ich, fünf Anzeigen: Sachbeschädigung, Brandstiftung, zweimal Brandstiftung, zichmal Sachbeschädigung, Körperverletzung mit Freiheitsberaubung, weil se die Tür zugesperrt hat. Die Feuerwehr hat da die Tür aufbrechen müssen. Das war wohl dann die Krönung. (holt tief Luft) Ja. Und danach fragt man sich schon von alleine ... (holt tief Luft): Hat man was falsch gemacht wieder mal, hätte man irgendwie im Vorfeld verhindern können. Alle haben gesagt: Vier Wochen Ferien bei der Mama ist zu lang, zwei, drei Wochen reichen aus! Die Regina hat gesagt: nein, nein, nein vier! Ich glaube ehrlich gesagt net, dass ein oder zwei Wochen mehr da einen Unterschied gemacht hätten, glaub ich eigentlich nicht, ja! ... Das is begründet in ihrer Krankheit, und wenn se net lernt, damit umzugehen, dann geht das ’nem bösen Ende zu. Jo! Und wahrscheinlich, nehm ich an, dass sie jetzt erst mal – wie heißt das? Maßregelvollzug – bekommt. Hoffe ich auch stark für sie, dass sie noch mal ne therapeutische Chance auch hat und net völlig ins Leere fällt, ins Loch danach. Und sie hängt an mir noch und nöcher – ich will zu meiner Mama, und was anderes geht in ihren Kopf net rein. Ich kann ihr nur zureden, hab aber das Gefühl, es geht nur bis da. Du kannst nicht bei mir leben. Du kannst gerne in meiner Nähe leben, aber du musst alleine Leben, selbstständig sein, ich unterstütze dich, aber tun musst du – nach diesem Schema. Ne? Hier hab ich erlebt, dass es nicht funktioniert: Ganzen Tag mit dem Nachthemd auf’m Sofa mit über zwei Zentner. Sie ist kleiner als ich. Sie frisst und bewegt sich net. Ich sach’s jetzt knallhart, es ist wirklich net bös gemeint. Aus, gut, Medikamente voll gestopft bis zum Anschlag mit härtesten Psychopharmaka, und nur dummes Zeug im Kopf. Sie ist sehr, sehr stark psychisch krank, und unter dem ganzen Leid, was ich mit ihr in den ganzen letzten Jahren hatte – nee, es hat mich sehr beschäftigt zum einen und zum anderen hab ich immer gedacht, alles ist besser , was bei den beiden Jüngeren jetzt dazu beiträgt zu gesunden, psychisch gesunden Erwachsenen heranzuwachsen. Dann, scheiß auf meinen ganzen Schmerz, dass die Kinder von mir getrennt sind. Irgendwann sind sie vielleicht psychisch gesund und wir haben Kontakt, und es ist alles besser, wie noch so ne psychisch behinderte Tochter, bloß weil ich se jetzt bei mir hab, die wieder Leid und elend mitkriegt, in welcher Form auch immer. Und damit hab ich mich so ein bisschen über die Jahre hinweg versucht zu trösten – mit schlechtem Erfolg, aber immerhin sehe ich jetzt ja auch, dass es den anderen beiden ganz gut geht. Natürlich gibt’s mal Problem hier, Probleme gibt’s ja immer, ne? Und damit müssen se auch lernen im Leben umzugehen. Sie sollen wissen und das auch immer stärker, auch glauben können, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten für sie da sein werde und will. Dass das aber auch begrenzt ist, was ich auch zur Anette gesagt habe, wo sie sagte, ich will da weg aus der Pflegefamilie, dann geh ich lieber ins Heim. Sage ich: Anette, ich muss dir eins sagen, du kannst nicht bei mir leben. Ich würde ja gerne, am liebsten dich gerade mitnehmen, aber das wäre für dich nicht gut, für mich vielleicht auch nicht. Und noch mal die Sache mit ´nem Rückfall, vielleicht aus Überforderung oder vielleicht das, das willst du nicht, das will ich nich, und bleib wo du bist, reiß dich zusammen mit deiner Pflegemutter, seh zu, dass ihr irgendeine Ebene findet. Die eigene Tochter kann auch net einfach sagen, ich geh jetzt ins Heim, ich hab kein Bock mehr oder ich hab gerade Stress mit dir, weil ich das und das net darf vielleicht. Sieh das zu und wenn du 16 bist, und willst ne Krankenschwester-Ausbildung machen, dann kannst du ins Schwesternwohnheim ziehen, und dann kannst du, wenn du frei hast und Lust hast, dann kannst du zur Pflegefamilie fahren, kannst mich mal besuchen oder kannst einfach bleiben wo de bist, wo de Bock hast. Aber bis dahin bleibst du da. Na ja gut, da kann ich sagen, was 13 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 ich will, wenn die morgen beim Jugendamt in Wittel vor der Tür steht und sacht (,,) mit ihrem Koffer, „ ich geh jetzt hier ins Heim“, dann geht se aber auch für ein paar Wochen. Aber das wär mit 15, fast 15 gar nicht gut, gar nicht gut. Ja, jetzt hab ich wieder so’n, keine Ahnung wie’s .. machen wir mal Pause. I: O. k.! Kaffee is kalt . B: Mein Kaffee wird auch immer kalt! I: Sie haben erzählt, dass die Unterbringung von Sonja in der Pflegefamilie mittlerweile für Sie so in Ordnung ist und dass Sie sich auch vorstellen können, dass Sonja dort auf Dauer ihren Lebensmittelpunkt hat. Hab ich das richtig verstanden? B: Ja, ja. I: Können Sie mir erzählen, weshalb Sie in der Frage für sich diese Position finden konnten, weshalb Sie darüber Ruhe bekommen haben, dass Sonja in dieser Pflegefamilie auf Dauer bleibt? Und was ist der Unterschied zu Anette im Bezug auf eine dauerhafte Perspektive? B: Mmmh, letzte Frage vielleicht die Antwort zuerst. Anette wird bald 15, will gerne Kinderkrankenschwester werden, ist ihr Wunschberuf, wenn sie die Schule schafft – würd ich ihr wünschen, dass es klappt – und könnte vielleicht schon nach ihrem Realschulabschluss vielleicht im Schwesternwohnheim oder sonst wie in irgend so einem Ausbildungszentrum mit angeschlossenem Wohnheim ziehen, und selbst wenn nicht, wird sie in drei Jahren 18. Die Zeit is gar net mehr so furchtbar lang. Sonja is 10 und hat die dritte Pflegefamilie jetzt schon gehabt, mit der Übergangspflegefamilie. Und ich hab auch gesehen, besonders bei meiner ältesten Tochter, wir sind immer viel umgezogen, sie hat nie so richtig Fuß gefasst. Entweder, weil wir als Eltern schon diskriminiert wurden im Heimatort oder später, weil wir aus irgendwelchen Gründen Außenseiter waren oder eben einfach auch, weil wir in eins, zwei Jahren wieder weggezogen sind und Kinderfreundschaften gar net so tief möglich wurden dadurch. So dass es ihr heute kaum möglich ist, Beziehungen überhaupt aufzubauen oder ne Freundschaft, gar net weiß, was das wirklich ist. Und dass so was für Kinder sehr wichtig ist, das hab ich da dran einfach gemerkt, wie sehr es ihr ermangelt. Und die Kinder immer wieder neu rausreißen und neu auch unter Freunde bringen. Je älter sie werden, desto schwerer wird das. Je jünger die Kinder sind, desto mehr ergibt sich das im Laufe der Zeit. Und allein deshalb .. find ich das o. k., dass Sonja da bleibt, wo sie ist und dort ihren Lebensmittelpunkt mit ihren ganzen Freunden findet. Es fällt mir leichter, das so auch für mich mit meinen Gefühlen hin zu nehmen, seit ich die Pflegeeltern kenne, die mir sehr sympathisch sind. Ich hab da vorher schon vertraut, dass das gute Leute sind, auch wenn man sich persönlich net kennt. Und ich find das einfach so klasse, und dass sie auch als Pflegeeltern offen sind und sagen: Ja, wenn es der Sonja damit gut geht, dann kann sie öfter mal am Wochenende kommen, dann kann sie in den Ferien kommen. Dann wird sie immer älter, und irgendwann kann sie vielleicht sagen, weiß ich net, in zwei, drei Jahren, wenn sie möchte: Ich fahr jedes zweite Wochenende zu meiner Mama nach Speyer, und ich fahr in den Sommerferien vier Wochen mit der in Urlaub oder so irgend was. Dass sie damit leben lernt, sie hat ‘ne Pflegefamilie, wo sie Mama, Papa sagt, wo sie, aber da gibt’s eben noch mehr Bezugspersonen, ohne dass man sich gegenseitig im Weg ist und bekämpft. Dass sie da wirklich ganz locker merkt, alle gehen hiermit gut um, 14 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 und ich kann mich entscheiden – na ja, gut! Net immer nur die guten Brocken raussuchen, aber .. ja, da möchte ich hin. Es sind jetzt fast sechs Jahr, dass die Kinder weg sind und – mit kurzer Unterbrechung mit Sonja, und ich hab, mir ist auch klar, dass ich raus bin, raus aus dem Alltag mit Kindern, ich müsste mein ganzes Leben komplett umstellen, und ich bin selber gerade mal froh, dass ich seit .. ehm, ja nach der Therapie, halbwegs Fuß gefasst hab. Und ich hab selbst jeden Tag .. ehm auch zu kämpfen! Zu kämpfen mit meinem Alltag, zu kämpfen mit meiner Zukunft, zu kämpfen gegen finanzielle Armut, für meinen Job, für mein Geschäft und vor allen Dingen gegen die Sucht immer wieder. Das is ja net so, dass das weg ist nach der Therapie. Da kann man ja froh sein, dass man es gebacken kriegt. Und jetzt bin ich mal seit nach der Therapie, seit Februar da raus. Und jetzt ist November. Jetzt bin ich mal acht Monate am Stück clean gewesen. ... Ich hoffe, dass ich es weiter schaffe, eh ... aber ich werde die Hand nicht mehr für mich ins Feuer legen. Ich hab einmal gesagt: Ich? Drogen? Nie wieder! Ich hab das geglaubt, ich hab das wirklich geglaubt! Wirklich, das glaubt jeder, der das sagt, er glaubt das absolut! Ich hab das auch gesagt, aber da drauf fall ich net mehr rein. Ja? Keine Ahnung, wenn ich jetzt vielleicht mal zwei oder drei Jahre am Stück durchgehalten hab. Ich glaube, dass dann eine gewisse Selbstsicherheit mir mehr kommt zu sagen, doch, zwei, drei Jahre, das ist schon ganz schön – ich glaub ich hab’s geschafft. Aber dieses Ich? Nie wieder! Die Hand für ins Feuer legen, das is um! Nach zehn, zwanzig Jahren kann ich rückfällig werden. Und was ich meinen Kindern auf keinen Fall zumuten will, ist ne Mutter, die wieder rückfällig ist und die leben bei ihr, müssen vielleicht wieder weg oder wer weiß, was dann alles .. ja? Ne rückfällige Mutter, die morgens tot mit ’ner Überdosis irgendwo liegt – nein! Will ich net! ... Also von daher gesehen ist es für die Kinder auf jeden Fall das Beste, und ich bin dann damit auch net überfordert. Ja? Letztlich wär’s für alle nur schädlich, wenn’s schlecht laufen würde. Und diesem Wunschtraum: Das wird schon und das muss schon, Augen zu und los – die Gefahr net sehen und einfach mal ins Rosarote hineinzulaufen bis man wieder auf der Schnauze liegt – ne! Ich hab schon genug Schuldgefühle, weil ich mich überschätzt oder sonst wie falsch eingeschätzt hab .. und F .. Fehler gemacht hab – also das ... das sind so die Hauptgründe, warum ich eigentlich möchte, dass die Kinder auch da bleiben, wo sie sind, mit zunehmendem Kontakt zu mir und in der Hoffnung, dass sie auch als Erwachsene gerne kommen und so – dass der Kontakt einfach wirklich bestehen bleibt und sich zu was Gutem auswirkt und net ne Mutter, die wieder enttäuscht hat. ... I: Wenn ich’s richtig verstanden habe, (B zündet sich eine Zigarette an) hat die Annahme der Situation, dass die Kinder in einer Pflegefamilie leben, ja auch ganz viel damit zu tun, einfach auch wieder eine neue Rolle zu finden für die Kinder, Kontakt zu haben und in irgendeiner Weise auch die Beziehung pflegen zu können. Oder? B: Ja. Auf jeden Fall. Also dass ... ich denke z. B. dass in Bezug auf Anette, wo der Kontakt sehr sporadisch ist... Ich hab sie sehr enttäuscht mit dem Rückfall, wo schon alles geplant war mit der Schulanmeldung und alles. Und da wollte sie erst mal nicht. Da hab ich sie sehr enttäuscht, und letztlich denke ich aber nicht, dass es gut war für sie und schon gar nicht für unsere Beziehung zueinander, dass da nach ’ner gewissen Zeit kein Kontakt hergestellt wurde. Ich glaube, es wäre besser gewesen, zu sagen, net nach drei Jahren, sondern vielleicht nach einem Jahr, ... vom Jugendamt vielleicht zu sagen: Wir sind der Meinung, es wäre jetzt gut, du würdest mal bei uns hier in geschütztem Rahmen deine Mutter mal treffen, dich mal mit ihr besprechen, vielleicht auch aussprechen. Weil diese Distanz, diese Hemmschwelle, 15 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 die da mit den Jahren immer größer geworden ist von ihr, die fängt jetzt an zu bröckeln, nachdem wir uns das erste Mal gesehen haben. Jetzt auf einmal kommt eine sehr persönliche Postkarte. Letztes Jahr zu Weihnachten kam der erste Brief seit drei Jahren. Da war ich in Therapie und vielleicht auch deshalb, aber auch, weil sie damals auch schon Stress hatte mit der Pflegemutter. Da schreibt sie mir dann plötzlich Briefe. Ist ja auch o. k. soweit. Und ich möchte auch net, dass die Kinder ’n ganzen Tag nur beschäftigt sind mit meine leibliche Mama, was macht ’n die jetzt – die sollen ihr Leben leben – ehm, aber diese blöde Hemmschwelle, wo dann Beziehungen vielleicht besser hätten unterstützt werden können, das hätt ich schon ganz gut gefunden – o. k., es hieß immer, sie will dich nicht sehen. Aber warum? Weiß ich net, ob sie jemals gefragt wurde, warum eigentlich, ja? Klar, die Enttäuschung – klar. Und dann nach ’ner Zeit – da war aber schon die Hemmschwelle aufgebaut ... Und ich glaub, dass es gut gewesen wäre für sie, das Ganze zu durchbrechen und nicht immer nur von meinen zweimonatigen Briefen, da kann ich viel drin schreiben erzählen und ansonsten nur Negatives über mich zu hören aus dem Ort, wo sie wohnt, weil da die ganze Ex-Verwandtschaft so, ja? Das hat sie mit Sicherheit ängstlich gemacht, was stimmt da überhaupt: Ist die Mama so schlecht, wie die alle erzählen? Ist das wahr, ist das wahr, ist das wahr? Am liebsten will ich gar net an die denken. Am liebsten will ich gar nix von der wissen. Ich will die aus meinem Leben streichen. ... Und als ich sie jetzt das erste Mal beim Hilfeplangespräch auf’m Jugendamt getroffen hab, ehm, sie hat erst mal nur unter sich gekuckt und in ihrer Tasche irgendwas rumgenestelt. Sie hat überhaupt net geschafft, mich anzuschauen, später dann nachher ja, vor der Tür, vor dem Gespräch, sie war völlig aus dem Häuschen. Und hinterher hatten wir Gelegenheit, zwei, drei Minuten alleine miteinander zu reden. Da hab ich ihr noch mal gut zugeredet, dass sie doch da bleiben soll in der Pflegefamilie und sich dort arrangieren soll. Durch den persönlichen Kontakt, der da stattgefunden hat bei dem Hilfeplangespräch, dass da ’ne ganze Menge von dieser Hemmschwelle gefallen ist. Dass es für Anette richtig schwer war, hab ich auch gemerkt. Und ... ehm ... während dem Gespräch beim Jugendamt fing sie dann sogar auch an zu weinen, wo hinterher die Frau Feldmann dann auch zu mir gesagt hat, das hätte sie noch nie erlebt bei Anette. Sie war immer so ganz kalt, abgeklärt (,,,) und bloß keine Gefühle! Und .. ehm ... hinterher wo wir kurz alleine waren, da hab ich dann gefragt, ob ich sie zum Abschied mal umarmen darf. Ja , klar und ich hab ihr gut zugeredet. Und jetzt krieg ich, gut ich hab ihr geschrieben, und sie soll mir mal ihre Weihnachtswünsche mitteilen. Das hab ich jedes Jahr gemacht und nie Antwort gekriegt. Und dieses Jahr kam dann diese Postkarte, wo drauf steht, wenn wir uns wieder sehen, als Gutschein, dann werden wir uns erst mal richtig drücken und solche Sachen, tausend Neuigkeiten und Spaß und so was. Und auch was sie schreibt ..ehm .. ja. Da ist dann ein Stück weit schon ’ne Hemmschwelle gefallen. Ich glaube, die hätte so groß gar net werden müssen. ... Denk ich mal, weil da gab es gar net so diese Gründe wie jetzt bei Sonja – zur Mutter, in die Übergangspflegefamilie, wieder ’ne neue – jo, und das Mädchen war erst sechs oder sieben und schon (,,,) Und Anette ist seit der Trennung von meinem Mann bei der Pflegefamilie, wo sie heute immer noch ist, und es hätte alles sehr viel einfacher laufen können. ... Ja. Und ich denke auch die Pflegefamilie – da bin ich ein bisschen echt enttäuscht. Das waren gute, gute Freunde. Die Pflegemutter von Anette ist die Patentante von der Sonja, und da hab ich mir eigentlich mehr Unterstützung erhofft, in der Richtung von Kontakten zu den Kindern. Von Anfang an wurde da abgeblockt. Und das fand ich richtig, also das finde ich heute noch richtig schlecht. ... 16 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 I: Was hätte da von Jugendamtsseite anders laufen können? Wie hätte die Unterstützung aussehen können im Bezug auf Kontakte und Beziehungspflege? B: Schwierig. Ich will da jetzt net mal dem Jugendamt irgendwie Schuld oder so was zuweisen, weil mein Leben war ja in der Zeit auch net geradeaus und gleichmäßig, sondern ich war ja sehr sprunghaft. Ich war hier und da, wieder mal rückfällig, wieder mal clean. Von daher gesehen ..., anfangs war das noch in der Hand vom Jugendamt Waldheim. Und die haben auch immer noch irgendwie mit meiner ältesten Tochter mit Jugendhilfe, obwohl die 18 ist zu tun. Und Gott sei Dank meldet sich keiner da bei mir, Gott sei Dank. Also, dieses – da hab ich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Schon vor Abgabe der Kinder bin ich zusammen mit meinem Ex-Mann zum Jugendamt, und wir haben von Reginas Problemen auch erzählt, wir haben nix erzählt von unserer Drogengeschichte, klar. Solange das alles noch son ’schönes Mäntelchen drüber is ... ehm ... also nur über Reginas Probleme. Und wir haben das Jugendamt um Hilfe gebeten, und da hat sich dann nix bewegt. Und als die Kinder dann weg waren und alles offen da lag, da hat’s Jugendamt auf uns rum gehackt. Na klasse! Das fand ich sooo – damals auch im Vorfeld, da hätte vielleicht was passieren könne an Hilfe, net warten bis ’s Kind in den Brunnen gefallen is und, o. k., die Eltern sind in dem Fall die, die es vermasselt haben, ganz klar, is kein Thema. Aber dann am Ende nur drauf rum zu hacken macht die Situation ja auch net mehr besser. Und vom Jugendamt Wittel, da kann ich, nee, es is für die Zuständigen dort auch schwierig! Was will es Jugendamt machen, wenn die Pflegeeltern sagen: Das Kind will nicht! Da kann’s Jugendamt auch net mit’m Brecheisen hingehen und sagen, es muss jetzt aber! Und dann ist so ne Pflegefamilie, eh Pflegeeltern, die haben bestimmt auch zu Recht eine ganz andere Glaubwürdigkeit. Da kann so ne abgestürzte Mutter oder Vater, die die Kinder abgegeben oder weggenommen haben kriegt, die haben ja lang net diese Glaubwürdigkeit. Denen wird erst mal grundsätzlich Unglaubwürdigkeit und Lügen zugetraut, Unfähigkeit und, na ja, Wahrheitsverdrehung und alles Mögliche ... Und, ja, ... is aber net gut, und da gibt’s nur noch mehr Probleme hier in der Familie. Das können wir auch net gebrauchen. Da kann’s Jugendamt dann auch net viel machen. Und die Zusammenarbeit ist glaube ich unter allen drei Beteiligten ganz wichtig. Wobei ich fast meine (holt tief Luft), wenn ich jetzt das Verhältnis seh zu den Pflegeeltern von Sonja und zu mir und dann das Jugendamt, ob das jetzt, die Frau war, sehr sympathisch, sehr locker – man hat auch gemerkt, wie locker das jetzt zwischen uns geht. Aber selbst wenn das jetzt ein ganz anderer Typus Mensch wär, vielleicht noch eine vom alten Schlag, so ganz strait oder irgendwas. Die sagt: Wir müssen aber das festlegen, an welchem Wochenende, an welchem Samstag, Sonntag und von wann bis wann. Dann hätten wir bestimmt alle gesagt: Ja, ja is gut. Und hätten uns da trotzdem abgesprochen, wie es uns dann passt. Und hätten dann zum Jugendamt gesagt, es läuft alles prima, wie abgesprochen. Und wenn man dann ein bisschen variiert, das interessiert das Jugendamt doch gar net. Das müsste es ja gar net interessieren, wenn es im Sinne des Kindes ja gut läuft. Also, ich glaube fast, dass das sogar noch wichtiger is, die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und abgebenden Eltern, wobei das Jugendamt natürlich sehr, sehr hilfreich sein kann, dass oder jenes zu unterstützen oder auch abzuwenden. Und das Jugendamt hat auch keine leichte Position. Sie müssen abwägen, im Sinne des Kindes, was ist das Beste? ... Und dann steht da ein Kind, was net richtig weiß, was es will, wie sich’s fühlt, was es sagen soll. Wenn dann auch noch Eltern gegen Pflegeeltern an verschiedenen Strängen ziehen oder Vater und Mutter ziehen an verschiedenen Strängen, die Pflegeeltern noch mal an ’nem anderen, dann steht’s Jugendamt dazwischen und muss auch überlegen: Was mach ich ’n jetzt, da lebt aber das Kind, da muss es 17 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 aber klar kommen. Wir wollen auch net, dass es in der Familie noch mehr Problem gibt. Kann ich auch verstehen, dass es nicht leicht ist, immer die richtige Entscheidung zu treffen, dass da auch Fehler gemacht werden. Und hinterher kann man immer sagen: Ich glaube, das wäre besser gewesen, so und so – ob’s das wirklich gewesen wäre? ... I: Ich denke, es kann unter Umständen die Quadratur des Kreises sein, alle Beteiligten so miteinander kooperieren zu lassen, dass ne gute Sache daraus wird. B: Oh ja, aber wenn da nur einer quer schießt, dann ist das schon vorbei. .......... I: Wie könnte denn aus Ihrer Sicht eine Fremdunterbringung für alle Beteiligten gut funktionieren? Also jetzt am besten aus der Erfahrung der eigenen Geschichte? Was würden Sie so als Rat auch mir mit auf den Weg geben? Was wären Wünsche von Herkunftseltern, ja, die Situation auch annehmen zu können? B: .... mmmh! ... I: Wie kann so was funktionieren? B: Praktisch! I: Ja, ganz praktisch. B: ... mmmh .. Wünsche: Ich würde mir wünschen, dass sich die Pflegeeltern, vielleicht auch ohne das Wissen der Kinder, des Kindes überhaupt ab und zu mal gemeldet hätten oder melden würden. Einfach mal anrufen, abends um neun, wenn die Kinder im Bett sind, mal sagen: Hallo, ich wollt mal Bescheid sagen, bei uns ist soweit alles klar, oder da ist das und das vorgefallen und das und das vorgefallen. Ohne jetzt da einen riesen Problemhaufen, die Alltagsprobleme aufzutischen, so, das fände ich z. B. mal ganz toll. Ne? Da weiß ich, wie’s bei mir ist. Ich traue mich kaum, mal bei den Pflegeeltern meiner mittleren Tochter Anette anzurufen. Die haben ein Geschäft, die haben nie Zeit, irgendjemand ist immer krank. Und wenn ich anrufe, werde ich immer ganz kurz abgewürgt. Vom Pflegevater, und wenn die Pflegemutter Zeit hat, labert sie mich ne Stunde zu. Deswegen kann ich die Anette gar net verstehen. Bei mir wär’s umgekehrt, ich könnt mit dem Typ keine 24 Stunden im Raum aushalten, aber egal. Anette kommt bestens mit dem klar, soll mir Recht sein. Aber das, ich hab halt ganz oft das Gefühl, oder ich trau mich gar net anzurufen. Anette hat mir jetzt geschrieben: Du kannst mir ja mal eine SMS schreiben, mit ihrer Handynummer ... wobei ich eigentlich nicht denke, dass sie was dagegen hätte, wenn ich sie mal anrufe und sag: Hallo Anette, wie geht’s dir denn – das ist bestimmt mehr als ein versteckter Hinweis, hier has´te meine Telefonnummer. Ich hab ihr einmal eine SMS geschrieben aufgrund dieser Telefonangabe, ehm, aber ich hab das Gefühl, ich glaube nicht, dass sie möchte, dass ihre Pflegeeltern mitkriegen, dass sie mit mir, ich sach mal heimlich, telefoniert, jetzt auf einmal, ne? Ehm ... und dann überleg ich mir so ungefähr zich mal die Woche: Wann könnte ich anrufen, so dass Anette nicht aus lauter Angst, Angst in Anführungsstrichen, um Diskussionen zu vermeiden mit ihren Pflegeeltern, dass ich sie mal erwische. Morgens geht sie in die Schule, Mittag ist sie zu Hause – ich will das ja gar net heimlich machen eigentlich, das is mir ja alles viel zu blöd, da gibt’s ja gar kein Grund für! Ich kann der ja auch schreiben! Aber wenn sie mir das schon schickt, da 18 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 schreibt sie, kannst mir ja mal ’ne SMS schreiben, die kann se natürlich, da piept das mal, dann drückt se das weg und später liest se, was is ’n da gekommen. Und dann muss sie sich net am Telefon vielleicht net auch noch outen. Das war meine Freundin, bla, ich weiß net, ob sie lügen würde vielleicht: Das ist nur ’ne Vermutung von mir! Aber das is so ’ne große Unsicherheit von mir, nicht zu wissen, ist das überhaupt recht, wenn ich mich da jetzt melde. Da ruf ich bei der Frau Feldmann an und frag die Frau Feldmann, wie geht’s denn jetzt in der Familie, hat sich das ein bisschen gebessert. Die haben da jetzt Hilfe, Personen auch eingesetzt ... ehm ... da red ich mit der Frau Feldmann und hab ihr ja auch gesagt, ich trau mich da kaum anzurufen. Weil ich das Gefühl hab, das ist gar nicht erwünscht. Und das find ich ziemlich doof. Das ist das Gefühl so, man wird so abgeschoben, ja? Am besten meldest de dich erst gar net. Auf der anderen Seite dann aber sagen: Wenn das so weiter geht, können wir die Anette net länger behalten, das ist zu viel Stress. Dann steht die Anette da und dann sagt die Mama: Du kannst aber auch net bei mir leben, seh zu, dass de das da durchziehst jetzt. (Holt tief Luft) Das ist dann auch ein total doofes Gefühl. Es wär viel einfacher, wenn da auch mal von Pflegeelternseite mal ganz sporadisch, aber irgendwann mal ein Anruf käme, um zu sagen: Hier, wir wollten uns mal melden, haben gedacht, wir sagen dir mal Bescheid, was gerade bei uns so abgeht und dass de dir keine Sorgen machen musst. Da kommt ja rein gar nichts, ne! Ich erwarte dann auch keine permanenten Geschichten, ne! Aber das könnt ich mir z. B. vorstellen, dass das vielleicht mal mit den Pflegeeltern von Sonja, vielleicht mal so sein könnte. Dass die irgendwann mal anrufen und sagen: Hier, pass mal auf, da is das und das gewesen. Und falls Sonja sich meldet z. B. und das und das sagt oder mal anruft und hinterher ging’s ihr net so gut. Dass das net alles übers Jugendamt oder über 125 Ecken laufen muss, bis man mal irgendwas erfährt ... I: Das heißt, das wäre der Wunsch für die Situation mit Anette und auch mit Sonja? B: Ja, und ich glaube auch, dass das für viele abgebenden Eltern zutreffen würde. Es gibt mal vielleicht auch welche, die sagen: Aus den Augen, aus dem Sinn, die Kinder, ich versuch das zu verdrängen und gar net dran zu denken! Und ich will gar keinen Anruf von irgendwelchen Pflegeeltern haben. Wobei ich net verstehen kann, dass man was gegen die Pflegeeltern , was dagegen hat. Man hat ja selbst, irgendwie hat man’s ja verbockt oder Krankheit, is ja dann ’ne andere Sache, dass Kinder weg sind. Dann kann man ja froh sein, wenn die nicht ins Heim kommen. Wenn die Pflegefamilien finden, noch dazu gute. Da ist dann schon so was wie Dankbarkeit gegenüber den Pflegeeltern – auf jeden Fall! Aber wenn man’s dann nicht leicht gemacht bekommt, dann schwindet die auch so leicht dahin. O. k., die haben zwar mein Kind aufgenommen, aber die haben mich so auflaufen lassen die letzten Jahre, also, na ja. Dann immer wieder der Gedanke, es geht ja hier nicht um mich, es geht um das Wohl meines Kindes. Aber die eigenen Gefühle sind ja auch da! Eigene Wünsche und Bedürfnisse ... ich weiß selber ein Stück weit, wie es ist! Ich kenne meine leibliche Mutter persönlich überhaupt nicht, hab aber zwei Briefe von ihr bekommen im Laufe des letzten halben Jahres, weil ich es endlich nach 40 Jahren geschafft hab, sie ausfindig zu machen – mit Hilfe eines Jugendamtmitarbeiters aus Dollenberg. Der hat sich zwei Jahre richtig angestrengt, die Frau zu finden. Und, ja! Hat mir therapeutisch sehr gut getan. War auch sehr nötig! Ich hoffe auch, dass es noch irgendwann weiteren Kontakt gibt. Aber, die Alte hat mir geschrieben: Ich hatte gehofft, nie etwas von dir zu hören, weil ich gehofft hatte, dass du in deiner Adoptivfamilie verwurzelt bist . Gut, mit gutem Hintergrund. Aber sie hat mich einfach auch verdrängt. Sie hat nach mir noch vier andere Kinder gekriegt, und kein Mensch weiß, dass es 19 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 mich gibt. Weder die vier Kinder, noch ihr Exmann. Und ich will auch net, dass es heut nach 40 Jahren noch einer erfährt und alles wieder aufmischt. Da hab ich ihr geschrieben, sie muss gar keine Angst haben, und ich will mich da net einmischen in die Familie, ich bin nur ein bisschen neugierig. Aber sie gibt auch ihre Identität eigentlich nicht wirklich preis. Ich meine, was ich weiß, das weiß ich eh, na ja gut. Aber .. mmh .. is aber wieder was anderes, wenn eine Frau von dem Kreissaal aus schon vorher im Prinzip schon abgegeben hat, als, weiß ich net, 18-Jährige oder 19-Jährige oder so. Damals in der Art, ich kann kein Baby gebrauchen, ich will kein Baby, und das wird geboren und es kommt weg. Ehm – alle Achtung, dass sie net nach Holland gefahren is und mich abtreiben hat lassen mit irgendwelchen, keine Ahnung, diffizilen Geschichten ... eh ... is wieder was anderes. Wenn man die Kinder erst mal eine Zeit lang, ein paar Jahre, zehn Jahre, zwölf war die Älteste, bei sich gehabt hat und, von heut auf morgen ... hat man keine Kinder mehr in dem Sinn, im Alltag vorhanden, mit allen Freuden und Leiden und allem Stress und allem, was dazu gehört. .. Das ist ein richtiger Schnitt! Dann sein Leben noch mal neu zu sortieren mit, was weiß ich, wie alt war ich denn? Anfang dreißig. Und net so genau zu wissen wohin, womit, ohne Schu... – nee, net ohne Schule, aber ohne Ausbildungsabschluss ... Ehm, und die Kraft für clean Leben und noch Ausbildung machen, die reicht ja mal gar net. Man kann ja froh sein, wenn es fürs Erste überhaupt reicht. Selbst das ist immer fragwürdig bis zu Letzt. Das, ehm, kostet alles einen Haufen Kraft, einen Haufen Energie. Und dann nix tun können. Und wenn’s den Kindern gut geht – soweit – dann ist das für mich noch alles irgendwie erträglich. (kämpft mit den Tränen) Was für mich ganz schwer ist, ist Regina – da is keine Pflegefamilie, da war die Psychiatrie ewig, die gesagt hat, es ist für Regina nicht gut, Kontakt zu ihrer Familie zu haben – Kontaktsperre, ich weiß net, zwei Jahre am Stück, zu allem, zu jedem, zu überhaupt. Und dann hat die angefangen, immer noch mehr, immer mehr zu spinnen. Is nur voll gestopft worden, wirklich. Dann durfte sie Weihnachten kommen und ist ferngesteuert unter sooo starkem Tabletteneinfluss, bis sie dann auf’m Sofa im Sitzen eingeschlafen is, ferngesteuert rum gelaufen. Mit ... zich Aufenthalten fixiert, stundenlang fixiert. Was mir Regina alles erzählt hat aus dieser Zeit der Psychiatrie! (schluckt) Natürlich weiß ich, sie übertreibt auch Vieles, aber wie peinlich es ihr war, fixiert zu werden und dann während der Periode sich auch noch in die Hose zu machen und dann sich net rühren zu können und dann von der Schwester geschimpft zu kriegen – solche Sachen ...! Da kann ich sagen: Sonja und Anette, ach na ja! Das wird schon werden. Die sind einigermaßen .. die Anette, na ja, is ja net psychisch krank. Sie hat wohl auch gelitten unter dem ganzen Kram, is ganz klar! Aber die is noch glimpflich dabei raus gekommen. Und die Sonja, die is trotz der drei Pflegefamilien und einiger Probleme ... die kommen schon klar. Wenn da jetzt während der Pubertät nicht noch irgendwas ganz anderes dazwischen kommt (hustet) ehm vielleicht .... denk ich mal, wenn man zu nix anderem gut ist, kann man immer noch als abschreckendes Beispiel dienen. Und da hoffe ich doch für meine Kinder, dass die die Finger von den Drogen lassen. Ja! Wenn ich das geglaubt hätte, was die anderen damals erzählt haben, vor 25 Jahren, dann hätt ich die Finger auch davon gelassen. Aber wer ein Stück weit das Leid, das hinten dran hängt, selbst miterlebt hat, wie die Kinder ..., zu sehen wie Familie kaputt geht , Kinder weg, Mutter Überdosis, die haben’s auch einmal miterlebt, so annähernd, so Sachen, Mutter im Tablettenrausch, Vater auf Heroin, die Spritze in irgend ’ner Vene ... weggetreten, nur körperlich anwesend. Vielleicht hat das so abschreckend gewirkt, dass sie wirklich die Finger von lassen. Und dann wäre das ganze Elend wenigstens zu etwas gut. Aber selbst das 20 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 weiß man ja net. Gerade viele Kinder von Süchtigen werden dann auch süchtig, obwohl se das Elend mitgekriegt haben – Alkoholismus oder was auch immer da ist. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Also, ich hab schwer gelitten all die Jahre, ehm, und immer wieder gekämpft auch, die Kinder wieder zurückzubekommen .. , am Anfang überhaupt net eingesehen, warum das net geht. Letztlich hab ich durch meine Rückfälle die Befürchtung von Ämtern allgemein auch nur wieder bestätigt, hab ich also auch nix dafür beigetragen, da mal ein anderes Bild zu schaffen. Es gibt auch kein anderes Bild. Ne Tatsache is es einfach, dass, weiß ich net, über 90, 95 % aller Süchtigen immer wieder Rückfälle bauen, auch wenn sie noch so oft Therapie machen. Und wenn man das irgendwann schafft, auf lange Sicht oder gar für immer, ohne diese Suchtmittel zu leben, dann ist man eine der wenigen Ausnahmen. ...... Und dann hat man viel, viel Energie ohne Ende und Kraft ohne Ende in die Bekämpfung der Sucht gesteckt, net nur in einer gewissen Zeit von der Therapie, sondern im Alltag, später Monate, vielleicht Jahre später, immer wieder, Na klar, es ist ein Stück leichter, je größer der Abstand is, es wird schon leichter. Aber diesen Abstand von heut auf morgen in Null zu verwandeln. Dafür recht ein kleiner Rückfall aus, und dann is es wie gehabt, wie gehabt – ohne ... ehm .. ja, ohne Abstand zur Droge. Dann fängt man vielleicht wieder an, ich hab’s ja zich mal erlebt, zu sagen: Ach komm! Das is jetzt ein Mal. Is jetzt erst mal wieder Schluss. So wenn ich mal alle paar Monate einmal was mache! Fängt man genau wieder an, sich was vorzumachen. Und so geht es allen und jedem. Ich hab hunderte, hunderte, tausende vielleicht von Süchtigen kennen gelernt – mit Kinder, ohne Kinder – mit 18 in der ersten Therapie oder mit 48 in der 20. Therapie. Und ich kenn zwei Leute, die seit mehr als zehn Jahren konsequent clean sind und von denen ich auch denke, dass sie ’ne große Chance haben, dass das für immer so bleibt. Das is eine Frau, ist mittlerweile allein erziehend, geschieden, mit Kind, der Mann is auch wieder rückfällig geworden. Sie hat’s geschafft, sich dann von ihm zu trennen. Und das andere is ein Mann. Der ist jetzt ungefähr Mitte 30 und hat mit 20 schon aufgehört, Therapie gemacht. Er ist verheiratet und hat jetzt ein Kind, hat eine Frau, die damals schon während der Therapie den ganzen Terz mit ihm mitgemacht hat. Sie hat nie was mit Drogen zu tun gehabt, die wird nie was mit Drogen zu tun haben – einer der wenigen Menschen, wo ich sagen kann: (kurz vorm Lachen) Die? Niemals! Und die hat absolut die Hose an. Und der weiß: ein Rückfall und seine Koffer stehen für immer vor der Haustür, und sein Kind und seine Frau kann er vergessen. Der hat ’ne Arbeit, die haben ein Haus, die haben ein Kind, und der is so glücklich, dass er das so hat. Der hat viel zu viel Angst davor, weil er weiß, seine Frau würde das so strait durchziehen. Knallhart! Ohne Rücksicht auf irgendwelche Gefühle, Verluste oder irgendwas. Ja. Und ihre Stärke in der Beziehung, die hält ihn oder hat ihn die ersten Jahre, da weiß ich, dass er gekämpft hat und manchmal heimlich kiffen gegangen is. Da hab ich immer gesagt: Mensch, mach bloß kein Scheiß, ja! Jaaa, ab und zu mal, das darf die aber net wissen! Und, ehm, da hab ich auch heute noch telefonischen Kontakt, die wohnen auch in der Nähe von Wetzlar. Ab und zu rufen wir uns mal an, und ich weiß, solange er mit der Uli zusammen ist, macht der gar nix. Und wenn er was macht, is er net mehr mit der Uli zusammen. Spätesten am nächsten Tag nicht mehr. Und bei denen beiden, das sind die Einzigen! Alle anderen, die ich kenne – (schnipst mit den Fingern) früher oder später ... is so. Da kann man nur (lacht kurz auf) an dem dünnen Hoffnungsfaden sich festhalten, zu sagen, vielleicht bin ich bei den, weiß ich net, vier, fünf Prozent, vielleicht kann ich, ich kann es schaffen, das ist nicht unmöglich, ja! Es ist nicht unmöglich, und ich versuch das weiter und ... 21 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 Letztes Jahr hab ich gesagt, vor der Übergangseinrichtung, das ist jetzt mein letzter Versuch aufzuhören. Wenn ich das net gebacken krieg, dann leb ich so dahin. Aber noch mal werd ich diese ganze Welle net machen, eher bring ich mich um, also eher setz ich dem Elend dann ein Ende, bevor ich noch mal mir dieses ganze Therapieprogramm gebe. Es is net schlecht un es ist net falsch, aber ... wenn man eine gute Therapie erwischt, davon gibt’s net viel. Dann wird man zerlegt, es wird die ganze Kindheit bis hin zu, was weiß ich, vorgeburtlichen Erlebnissen auseinander gepflückt. Das kostet einen furchtbar viel an Kraft und löst viele unangenehme Gefühle aus. Und wenn man Glück hat, wird das nachher auch wieder zusammengesetzt, was da auseinander genommen wird. Aber meistens steht man hinterher da, ist zerlegt, weiß jetzt auch ganz genau, waaarum bin ich süchtig. Und man kann trotzdem nix dagegen machen. Was ein Elend! Dann muss ich das auch net wissen, wenn ich eh nix dagegen machen kann – eigentlich. Das is ja dann auch Quatsch, ne? Dann is es ganz wichtig zu wissen, was kann ich denn dagegen tun? Auch praktisch, ne? Das haben wir in dem letzten Jahr Therapie dann gehabt, ehm, Suchtprophylaxe – zu kucken, wo dran, wie merke ich, dass sich das vielleicht langsam wieder anbahnt, tief im Inneren, gefühlsmäßig, ja! Wenn ich stabil bin, kann einer kommen, mir auf der Straße oder sonst wie was anbieten. Dann sag ich: Du, will ich net, un tschüss! Aber wenn ich schwach bin, dann fahr ich auch nach Düsseldorf, nach Bayern, ja? Das is aber mal gar kein Problem! Um dann zu kucken, wie fängt das an und wo kann ich Anker werfen, wo kann ich rechtzeitig mir Hilfe holen, bevor es wieder zu spät is. Weil dann fällt man erst mal in ein ganz tiefes Loch. Und bis man da dann wieder raus kommt, ist der Weg weit, und bis dahin ist der Weg auch gefährlich, ne! Es kann jeder Schuss der Letzte sein. Man weiß ja nie so genau, was kommt. ... Weiß net, es war jetzt ’ne Menge Drogentherapie Thema .. 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 Jetzt essen ’se doch mal ein Stück von dem Stollen, hab ich extra wegen ihnen heut gekauft! I: Aber gehört dazu! B: Gehört jetzt in meinem Fall dazu, ganz klar, ja. Wobei, es gibt auch Leute, die aus anderen Gründen ihre Kinder abgeben. Aber ich glaube, es sind schon viele, oder abgenommen bekommen, die durch Sucht zerrüttete Familien. Gewalt ist mit Sicherheit noch ein wichtiges, wesentliches Thema ..... Aber da muss ich meine Meinung net zu äußern ... das is ganz was anderes (schluckt) ..... Ganz ’n anderes ... I: Lacht. B: Ja, ehrlich (lacht) I: Gut , dann nehm’ ich eins. B: Ja bitte, es gibt auch extra Tellerchen ... 22