Schoppenstecher
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Schoppenstecher
Kurzgeschichte | Text: Eduard Lüning | Illustration: Thorsten Enning Schoppenstecher Über das abrupte Ende einer Taxifahrerkarriere Ich fuhr schon eine ganze Weile. Eierte wie blöde durch die Gegend und lungerte ´rum. Wackelte um den Pudding und geierte. Geierte nach Beute. Ich würde sie ausnehmen. Würde sie rupfen. Wie eine Gans. Hemmungslos und rücksichtslos. Mister Gnadenlos! _Das tote Taxameter ließ mir keine Wahl. Ich hatte keine Alternative. Sie alle liefen lieber zu Fuß. Schnupperten Sommernachtsträume. Oder sie turnten auf der Leeze ´rum. Lauter Pedalritter, mein Gott! Wie Hummeln kreiselten sie aneinander vorbei. Millimeterweise. Maßarbeit! Irgendwie kratzten sie alle die Kurve. Sie fuhren wie die besengten Säue. Und sie bekamen es am Ende dennoch irgendwie hin. Selten einmal passierte was. Sie hatten einfach die besseren Karten. Hatten das Glück auf ihrer Seite. Ich wusste gar nicht mehr, wie man so was buchstabiert. Das Glück schien auf der Flucht vor mir. Es schien die andern vorzuzieh´n. Schien da zu sein, wo ich nicht war. _Ich klapperte über die Königsstraße. Klapperte über Kopfsteinpflaster. Wie auf einer Rüttelplatte. Und dieses marode Blechgespenst schimpfte sich Droschke. Ausgelutscht und ausgeleiert war die Möhre. Sie war gar. Ganz und gar. Und stand mit einem Reifen schon im Blechfriedhof! 16 _Kaum etwas ging. Mehr ging nicht. Was ging, ging zu Fuß. Wie gesagt. Wie gehabt. Der Abend lief an mir vorbei. Das Leben, es lachte mich aus. Und ich war geladen. Bis in die Spitzen. _Ich schlug auf. Schlug mit dem Kinn gegen das Lenkrad. Diese lausige Bazille scherte einfach vor mir ein und bescherte mir den Abendhimmel. Den Sternenhimmel. Hautnah! Ohne Rücksicht auf Verluste fuhr diese Kanaille. Ein unscheinbares Etwas. Ein verfliegendes Nichts. Mit rotzenden Schwaden schleuderte der Rabauke in den Kreisverkehr. Nicht mit mir! Ich sortierte meine Gräten und jagte ihm nach. Mit Bleifuß hinterher. Das Adrenalin schoss hoch und brachte mich zum Kochen. Der Spiegel konnte höher gar nicht sein. Jetzt konnte der Schrotthaufen endlich zeigen, wozu er noch nütze war. Ich malochte und machte. Rackerte am Gas. Und hatte mich verrechnet. _Dieser Hundesohn fuhr wie der Deibel. Wenn er es nicht selber war. Wer weiß das schon. Der Satan donnerte wie ein Kamikaze durch den Kreisel. Wir klebten Seite an Seite. Ich musste ihn mir nur noch zurechtlegen. Und zerlegen... Ich hatte mich wieder verrechnet. Der Hasenfuß trat die Flucht nach vorne an. Mit qualmenden Reifen - und im Rückwärtsgang! Ich tat es ihm gleich und schmiss den Gang nach hinten rein. Dieses Magengesicht schaffte es doch tatsächlich eine Runde um die Rabatten. Eine Riesenrunde. Sagenhaft! Sie endete mit einem schäbigen Gekratze. Die Bleche begegneten sich und die Bazille hing im Grünen fest. _Ich erwachte aus meinem Rausch und vernahm nur Totenstille. Erst jetzt fiel mir auf, dass wir die einzigen im Kreisel waren. Auf den Zufahrtsstraßen staute sich der Verkehr dagegen um so mehr. Da standen sie da. Standen herum oder hatten es sich in Klappstühlen gemütlich gemacht. Saßen und starrten gebannt. Großes Kino! _Die Luft war nun `raus und verflogen war die Wut. Ich setzte den Blinker und bummelte weiter durch die Nacht. Bummelte ins Crocodile. Und ließ mich vollaufen: Ohne Milch und ohne Zucker. Sie spielten die alten Sachen. Asbach uralte Scheiben: „Baby Love”...”How high´s the moon”...”I will survive”... Dieses Gedudel ging mir ganz gehörig auf den Zeiger. Und fraß an meinen Nerven. Diese Gute-Laune-Lully-Musik! Sie sagte mir nichts. Sie war glibbrig. Sie war glatt. Glatt wie ein Babypopo. Ohne einen Kratzer. Dieser Sound war wie eine Autobahn. Der Mainstream kannte keine Seele. Kannte nur ein Ziel: Mit Volldampf voraus! Ohne Ecken und Kanten. Die verpoppte Mucke war wie Eintopf. Und schmeckte genauso. Schmeckte mir nicht und schmeckte nach nichts. Ich goss den letzten Kaffee hinunter und ließ den ganzen Zirkus hinter mir. Nahm in der Galeere Platz und drehte den Schlüssel ins Schloß. Titel der Illustration: Wenn Edi Gas gibt... Eduard Lüning, 47, wohnt und arbeitet in Münster. Der studierte Pädagoge und ehemalige Taxifahrer schreibt Lyrik und Prosa und verkauft die ~ Thorsten Enning, 32, wohnt und arbeitet in Münster. Der gelernte Maurer läßt sich von seiner Umgebung inspirieren und zeichnet unter anderem für die ~ _Die Schoppe sprang an. Es war mehr ein Stottern als ein Starten. Der Anlasser quietschte und kreischte und die Motorengeräusche erinnerten an eine chronische Bronchitis. Aber die Mühle, sie lief. Das Glück schien auf meiner Seite. Schien endlich wieder zurück. Ich hänge mit den Ohren am Funk und hänge herum. Blase lauter Kringel in die Luft und warte. Warte auf Fahrten. Das Warten war wie der Tod. Tote Hose. Himmel noch mal. Diese Stille war nicht auszuhalten. Stille. Starre. Stillstand! Jeder Hallas war mir lieber. Jeder Blues willkommen. Ich wollte nur noch `raus. Einfach nur noch weg. Weg von diesem Leichenwagen. Raus aus dem fahrenden Sarg. Dieser Wunsch sollte noch weit schneller in Erfüllung gehen, als mir lieb sein konnte. _Es klopfte an der Scheibe. Ein Kollege stand davor: „Billy Boy, sie suchen Dich! Seit Stunden schon. Die Polente ist hinter Dir her! Was machst Du denn für Sachen.” Verdammte Tat. Ich war auf dem falschen Kanal. Bekam von alledem nichts mit. Nun bekam ich Wind von der Sache. Die Sache mit dem Kreisel. Mir ging der Arsch auf Grundeis. Da kam die Nachricht auch schon wieder über Funk: „56, Taxe 56, sofort melden”, brüllte der Funker. „Ja, hier die 56”, wisperte ich ins Selektiv. „Wo in aller Welt hast Du nur gesteckt? Du hältst den ganzen Laden hier auf! Die Polizei ist Dir auf den Fersen, mein Lieber. `zig Streifen jagen Dich. Was zum Teufel hast Du denn nun schon wieder angestellt, Du Idiot?” _Sie waren schlecht auf mich zu sprechen. Ja sicher, der Schatten fiel auf sie. Fiel auf die Genossenschaft. Und fiel auf die Taxe zurück. Ich brachte einen ganzen Berufsstand in Verruf. Ich war wie benebelt. Fühlte Pudding in den Beinen und um den Kopf `ne meterdicke Watteschicht. _Polizeiposten Ost / Gutenbergwache. Wie von Geisterhand gelenkt, kam ich dort an. Weiß der Geier, wie ich das noch hinbekam. Es war ein elendes Schleichen. Mir fehlte jeder Elan. _Ich stolperte aus dem Käfig und krabbelte die Treppen hinauf zum Portal. Auf dem Weg in einen neuen Käfig! Da standen sie schon. Standen Spalier. Sie erwarteten mich. Ich streckte ihnen die Hände entgegen. Hielt ihnen den Hals hin. Sie wollten viel mehr. Wollten meine Existenz. Ich kramte danach und sie langten danach. Die Fleppe und der Personenbeförderungsschein. Beides war weg. Mir blieben nur Hände und Hals. Sie nahmen mich erkennungsdienstlich in die Mangel. Drückten den Finger in das Kissen und knipsten ihre Bilder. Einmal von vorn. Einmal im Profil. Der Ganove von der 56. Steckbrieflich erfasst! _Um drei Uhr in der Früh` dann Entwarnung. Ich könne jetzt geh´n, geben sie mir zu versteh´n. G-e-h-e-n! Ich blieb vorerst auf freiem Fuß und fuhr mit der Taxe in meine Hütte. Ich wurde gefahren! Und dämmerte neben dem Fahrer in einen leichten Schlummer. Ich bezahlte mit meinen letzten Piepen und hatte die Hoffnung, aus diesem Traum zu erwachen. Die Hoffnung verpuffte und der Alptraum, er blieb. _Mich traf fast der Schlag, als ich den Wisch dann aus dem Kasten fischte und die Anklageschrift vernahm: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und Gefährdung von Leib und Leben in einem besonders schweren Fall. Dazu versuchte Körperverletzung und Sachbeschädigung, in Tateinheit mit Beleidigung und Nötigung. _Es wurde ein teures Vergnügen. Führerscheinentzug und Freiheitsstrafe. Sechs Monate Haft! Auf Bewährung. Und eine Geldstrafe hagelte es ohnehin: 900 Euro. In Tagessätzen. In Raten bezahlbar. Man hatte der Straße den Wahnsinn entzogen. Und dem Wahnsinn die Straße genommen. Das war der ganze Spaß nicht wert. Es war der helle Wahnsinn. Und der Wahnsinn brachte mich noch mal ins Irrenhaus. Aber vorher waren da noch ein paar Geschäfte zu verrichten. Ich zog die Tür hinter mir zu und ließ die Hosen `runter. Ich war blank. Blank bis # auf den letzten Penny. 17