elke bippus einleitung
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Elke Bippus Einleitung Kunst des Forschens Der doppelte Sinn, der sich im Titel der vorliegenden Publikation artikuliert, fä chert das Spektrum Künstlerischer Forschung in seiner Komplexität auf, denn es geht keineswegs allein darum, ein neues Feld für die künstlerische Praxis zu er schließen und zu etablieren, sondern ebenso darum, den Begriff der Forschung, indem er für die Kunst reklamiert wird, zu befragen und zu öffnen. Zu einer Neubetrachtung traditioneller Zuschreibungen, wie sie die Dichotomie von Kunst und Wissenschaft kennzeichnet, hat bereits der von John L. Austin in How To Do Things With Words1 entwickelte performative turn beigetragen. Sprach liche wie visuelle Artikulationen wurden dadurch in ein neues Licht gerückt: Wur den einst Sprechakte vornehmlich hinsichtlich ihrer Semantik und ihren Semiosen untersucht, gilt das Interesse heute bevorzugt ihrem Handlungscharakter. Insbe sondere die kulturwissenschaftliche Fortschreibung des Begriffs performative turn hat an die Stelle der werkorientierten Begriffe Interpretation, Bedeutung, Sinn und Verstehen die handlungsorientierte Begrifflichkeit von Ereignis, Inszenie rung, Aufführung, Spiel und Verkörperung treten lassen.2 Die Aufwertung visuel ler Medien führte zu einer Vielzahl wissenschaftshistorischer Untersuchungen, die Wissenschaft nicht länger als reine Theorie, sondern als historisch gebundene, so ziale Praxis in einem konkreten geschichtlichen Zusammenhang vorstellen. Dabei erschöpft sich das Interesse der Kulturwissenschaften an künstlerischen Verfahren nicht in den Untersuchungen ihrer Inszenierung, ihrer Materialität und Verkör perungen. Es hat vielmehr auch dazu geführt, das Erkenntnispotential der Kunst selbst, insbesondere deren performative Verfahren als Wissensgenerierung, unter die Lupe zu nehmen. Der Terminus Künstlerische Forschung versucht zunächst auch 1 John L. Austin: How to do Things with Words, London, Oxford 1974. 2 Dazu: Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M. 2004, v.a. S. 10–20; Uwe Wirth: »Der Performanzbegriff im Spannungsfeld von Illokution, Iteration und Indexikalität«, in: ders. (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2002, S. 9–60. 8 Elke Bippus diesen Wandel zu markieren: Künstlerische Praxis wird in ihrer performativen Ka drierung nicht mehr nur entlang dem Künstlersubjekt, dem Werk, dem Objekt, der Ausstellung gedacht, sondern sie wird verstärkt in ihren Verschränkungen mit anderen Wissensbereichen, der Theorie, ihrer Diskursivierung und ihrer Funktion diskutiert. Das Gewicht ihrer Untersuchung liegt dementsprechend auf ihren Prak tiken und ihrer Performativität, die in Beziehung gesetzt werden zu ikonografi schen, semiotischen, sozialen oder formalen Aspekten. Wenn es darum gehen soll, Kunst in ihrem forschenden Charakter zu erfassen, darf sie nicht auf ein Objekt reduziert werden, dass etwas über gesellschaftliche, historische oder subjektive Zusammenhänge aussagt, es wird vielmehr erforderlich, ihre Artikulationen von Vorstellungen und Wissen zu befragen. Insofern thematisiert Künstlerische Forschung Kunst als epistemische Praxis. Um dieser veränderten Forschungsperspekti ve Rechnung tragen zu können, ist es unumgänglich, das Erkenntnismonopol der Wissenschaft aufzubrechen und zu multiplizieren. Die Aufgeschlossenheit und der spielerisch leichtfüßige Umgang gegenüber einer Künstlerischen Forschung, wie sie noch für die Diskurse in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre kennzeichnend waren, haben sich allerdings gewandelt. Ausschlag gebend hierfür mag einerseits die Verwissenschaftlichung und curriculare Engfüh rung der künstlerischen Ausbildung durch die Bologna-Reform sein und andererseits das seit den 90er Jahren verstärkte Interesse an einer dienstleistenden Funktion der Kunst von Seiten der Naturwissenschaften aufgrund ihrer Visualisierungs kompetenz.3 Gegenwärtig scheint zumindest die Offenheit von Seiten der Künstler und Künstlerinnen, wie sie für Debatten der 90er Jahre um Kunst und Wissenschaft 3 Insbesondere in der Schweiz sieht sich die Künstlerische Forschung mit Dienstleistungsaufgaben konfrontiert. Kunsthochschulen sind hier Fachhochschulen. Dementsprechend soll der »Ausbau und die qualitative Stärkung der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung« befördert werden. Dies wird damit begründet, dass »anwendungsorientierte Forschung & Entwicklung […] auch eine eminent wichtige volkswirtschaftliche, kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung [hat], da sie die Innovationsfähigkeit der Schweiz stärkt. Die Fachhochschulen mit ihren starken Wurzeln in den Regionen und ihren Verbindungen v.a. auch zu den kleinen und mittel großen Wirtschaftsunternehmen und den Einrichtungen der Kultur und des Service Public leisten mit ihren Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten einen wichtigen Beitrag zu deren Weiterentwicklung und fördern damit mittelbar die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen«. Grundsatzpapier. Forschung & Entwicklung an Fachhochschulen. Rektorenkonferenz der Fachhochschulen der Schweiz, Bern 2008, S. 2. Die hier entwickelten Zielsetzungen und der benannte Forschungsbegriff und -zweck ist mit Kunst und Künstlerischer Forschung als epistemischer Praxis unvereinbar. Einleitung prägend war,4 reduktiven Grenzziehungen und Abgrenzungsversuchen gewichen zu sein. In einer leichten Zuspitzung lassen sich zwei strategische Positionen fest machen, welche die derzeitige Diskussion um Künstlerische Forschung im Feld der Bildenden Kunst bestimmen: Auf der einen Seite ist eine ablehnende Haltung fest zustellen, die eine zunehmende Akademisierung und Verwissenschaftlichung der Kunst befürchtet, auf der anderen Seite wachsen die Bemühungen, Künstlerische Forschung systematisch zu fassen und zu definieren. Dabei reproduziert eine Ab lehnung bei gleichzeitiger Stärkung traditioneller Vorstellungen von Kunst nicht nur Stereotype vom Künstler, von Kunst und Wissenschaft, von Theorie und Praxis und geht hierin an der Realität heutiger künstlerischer Arbeit vorbei, sondern sie rückt Kunst auch in einen rein ästhetischen Raum und entfernt sie von ihrer ge sellschaftlichen Relevanz. Im Gegenzug geht der Versuch, Künstlerische Forschung vornehmlich an wissenschaftlichen Standards oder einem anwendungsorientierten Forschen5 auszurichten, über Eigentümlichkeiten künstlerischer Praxis hinweg, wenn Fördereinrichtungen beispielsweise von Künstlerischer Forschung reklamie ren, sie müsse: – »relevante Fragen« ausfindig machen – Themenkomplexe bestimmen, Quellen offen legen – Materialien zusammentragen und analysieren – das Projekt schlüssig und verständlich dokumentieren und die Überlegungen schriftlich formulieren. Denn Kunst ist ein Feld, in dem gerade auch vermeintlich Nebensächliches einen Ort hat, Inspiration als ein zentrales Moment der Produktion gilt und die Ver schränkung mit den Materialien und Gegenständen ebenso zentral ist wie die Dif ferenz zwischen Sagen und Zeigen. Das bedeutet keineswegs, künstlerische Praxis zum großen Anderen zu mystifizieren, vielmehr scheint es geboten, Künstlerische Forschung in ihrer historischen Tradition, ihrer Eigentümlichkeit und gesellschaft lichen Verortung zu reflektieren, um sie als epistemische Praxis sichtbar zu ma chen. Insofern referiert die Unterscheidung von künstlerischer und wissenschaft licher Forschung auf die jeweilige historische Verfasstheit, die gesellschaftliche 4 Beispielhaft dafür Bogomir Ecker, Bettina Sefkow (Hg.): Übergangsbogen und Überhöhungsrampe. Naturwisschenschaftliche und künstlerische Verfahren. Symposium I und II, Hamburg 1996. 5 Aufgrund der institutionellen Verortung der künstlerischen Ausbildung in Fachhochschulen ist die Künstlerische Forschung in der Schweiz mit Ansprüchen an ein umsetzungs- und marktorientiertes Forschen konfrontiert. 9 10 Elke Bippus Funktion, die mediale Selbstreflexion und auf spezifische Verfahrensweisen, d.h. auf die jeweilige Praxis und deren Verortung. Werden die aus den Wissenschaften geläufigen Forderungen ungebrochen in die Kunst übernommen, dann hieße dies, Künstlerische Forschung in eine wissenschaft liche zu überführen und gerade hierdurch ihre Potentiale zu verschenken.6 Denn die eigentliche Provokation künstlerischer Forschung und Wissensbildung besteht darin, dass sie anders verfährt und auch anderes erzielt als die der Wissenschaften. Sie verweist auf ein habituelles Wissen und basiert auf Erfahrenheit7 und vermag gerade deshalb unbewusste Voraussetzungen der Wissenschaften zugänglich zu machen. Der Tendenz, vertraute Parameter der Wissenschaft aufzugreifen, um Künstlerische Forschung zu institutionalisieren und für einen angewandten Bereich nutzbar zu machen, muss deshalb entgegen gewirkt werden, um sich Künstlerischer Forschung als genuin epistemischer Praxis zuwenden zu können. Es ist eben darum notwendig, sie in Relation zu ihrer kunstgeschichtlichen8 und -philosophischen Tradition zu betrachten und sie in Beziehung zu den Kulturwissenschaften – und nicht den Naturwissenschaften – zu setzen. Denn Künstlerische Forschung fügt sich nicht den Kriterien der beweisführenden Wiederholbarkeit, der Rationalität und Universalisierbarkeit. Sie operiert im Singulären und muss folglich anhand je kon kreter Beispiele exemplifiziert werden. Gerade in ihrer Eigenständigkeit gibt die Künstlerische Forschung auch Anlass zur kritischen Befragung der Wissenschaften – ihrer Konventionen und ihrer Machteffekte. 6 So birgt beispielsweise die neue Perspektivierung des künstlerischen Feldes als Forschung neu- artige künstlerisch-wissenschaftliche Mischformen in den Grenzbereichen zwischen Bildender Kunst, Philosophie, Wissenschaft und Gestaltung. Solche hybriden Wissensformen und Methoden lassen sich bislang jedoch weder umfassend abbilden noch disziplinär organisieren, sie scheinen sich vielmehr in »Mikrologien« oder pluralen Ordnungen des Wissens zu etablieren. 7 Erfahrenheit ist eine Intuition, die durch eine Tätigkeits- und Lebensform erworben wird. Vgl. hierzu Hans-Jörg Rheinberger: Iterationen, Berlin 2005, S. 62. 8 Hierbei ist weniger an die frühe Neuzeit gedacht als vielmehr an die Kunstgeschichte der Moderne, in der sich die Differenzierung der Disziplinen Kunst und Wissenschaft vollzog. Auf die frühe Neuzeit wird im Zusammenhang von Künstlerischer Forschung oft verwiesen – häufig verknüpft mit der Wiederaufnahme der Idee einer Synthese der Disziplinen. Einleitung Praktiken des Wissens Der Künstler Bruce Nauman hat 1978 »Kunst [als] […] ein Instrument [bezeich net], mit dem man sich eine Aktivität des Erforschens aneignen kann«.9 Nauman erinnert an die alltagssprachliche Bedeutung von Forschung – an das »Heraus finden« – und akzentuiert diese Tätigkeit gegenüber der methodischen und syste matischen Suche nach neuen Erkenntnissen. An anderer Stelle sagt er, dass eine künstlerische Arbeit »nicht irgendein phänomenologisches Experiment oder was auch immer ist, wo man irgendeine sonderbare Information zum Mitnehmen be kommt«, die Arbeit müsse vielmehr als Kunstwerk bestehen, in »diesem Fall sind die Leute gezwungen darüber als Kunst nachzudenken«.10 Nauman insistiert in seiner Äußerung darauf, dass die Medialität der Kunst nicht zugunsten eines Er gebnisses, einer vom Medium isolierbaren Information verschwindet. Die experi mentell forschende Arbeit soll als Kunst bedacht werden – also als Möglichkeit und nicht als systematische Beweisführung. Die auch für die künstlerische Arbeit Naumans charakteristische performative und mediale Reflexion11 kann immer noch als zentrales Kriterium für die Unter scheidung zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung gelten. Denn 9 Bruce Nauman: »Kunst, die eigentliche Tätigkeit. Ein Interview mit Ian Wallace und Russel Keziere« (1978), in: Christine Hoffmann (Hg.): Bruce Nauman. Interviews 1967–1988, Amsterdam 1996, S. 102–117, hier S. 107. In dem Interview heißt es weiter: »Ich weiß nicht, ob man Dinge wirklich in größerem Maßstab verändern kann. Man kann sich der Möglichkeiten bewußt werden, und es ist wichtig, das zu tun. Ich weiß nicht, wie sich das zur Welt in Beziehung setzen läßt. Meine Haltung kommt daher, dass ich ein Künstler bin, nicht Wissenschaftler. Das ist eine andere Form des Forschens. Ich fing ein Studium als Mathematiker an, bin aber dann keiner geworden. Dennoch gab es eine bestimmte Denkweise in der Mathematik, die sich bei mir auf die Kunst übertrug. Diese Aktivität des Erforschens ist notwendig. Ich glaube, wir verlassen uns zu sehr darauf, überkommene Gültigkeitserklärungen zu akzeptieren.« 10 Bruce Nauman: »Von der Malerei zur Skulptur. Ein Interview mit Lorraine Sciarra« (1972), in: Christine Hoffmann (Hg.): Bruce Nauman. Interviews 1967–1988, Amsterdam 1996, S. 66–87, hier S. 86. 11 Die mediale Reflexion wird beispielsweise auch in Naumans Insistieren darauf deutlich, dass über die Arbeit als Kunst nachzudenken sei. Die Relevanz des Performativen für seine künstlerische Praxis benennt Nauman, wenn er sagt: Im Atelier war ich auf mich selbst gestellt. Das warf dann die grundlegende Frage auf, was ein Künstler tut […] An diesem Punkt rückte die Kunst als Tätigkeit gegenüber der Kunst als Produkt in den Vordergrund. Das Produkt ist nicht wichtig für das eigene Bewusstsein.« Bruce Nauman: »Kunst, die eigentliche Tätigkeit. Ein Interview mit Ian Wallace und Russel Keziere«, in: Christine Hoffmann (Hg.): Bruce Nauman. Interviews 1967–1988, Amsterdam 1996, S. 102–117, hier S. 113. 11 12 Elke Bippus in Letzterer wird die Materialität der Dinge, der Apparaturen und der Darstellung gemeinhin als hinderlich eingestuft und die materielle Seite der »epistemischen Dinge«12 zugunsten der begrifflichen so weit wie möglich in den Hintergrund ge drängt.13 Künstlerische Arbeit scheint im Unterschied dazu gerade vom Interesse am Mo ment der Ungeschiedenheit von Material und Begriff gespeist. Der Prozess der Er kenntnisgewinnung, das Entdecken wird hierdurch in all seinen Möglichkeiten und Fehlschlägen ausgedehnt. Das Kunstwerk kreiert einen Raum, der ein spezifisches Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt herstellt und lässt darin eine ästhetische Erfahrung möglich werden,14 in der nicht die übliche Asymmetrie zwischen wissen dem Forscher und Anwender zum Zuge kommt, sondern ein »Kommunikations angebot« gemacht wird. Während traditionelle wissenschaftliche Darstellungen vornehmlich auf die refe rentielle Funktion semiotischer Prozesse setzten und die diskursive Sprache sowie Tabellen und Grafiken als Ausdrucksmittel nutzen, reflektiert künstlerische Praxis neben der Referenz zudem die Materialität und Performanz semiotischer Prozesse. Hiermit fokussiert sie immer auch die selbstreferentielle Stelle eines semiotischen Prozesses, die ihn zwar ermöglicht, sich selbst aber nicht rekonstruieren lässt. Für diese Perspektive auf die Repräsentation15 sind insbesondere jene Forschungen 12 Epistemische Dinge sind begrifflich-phänomenale Einheiten. Sie liegen »gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen der materiellen und der begrifflichen Seite der Wissenschaft, weshalb man sie auch als graphematische Spuren auffassen kann. Sie sind Schrift in dem weiteren Sinn, den Jacques Derrida ihr gab – sie haben das Potenzial, sich nicht nur von ihrer ersten Referenz, von dem, worauf sie sich ursprünglich bezogen, sondern auch vom Schreibenden zu trennen.« HansJörg Rheinberger: Epistemologie des Konkreten, Frankfurt a.M. 2006, hier S. 351 [Herv. E.B]. 13 Allerdings werden solch vereinfachte Vorstellungen des naturwissenschaftlichen Alltags seit geraumer Zeit durch wissenschaftshistorische, -theoretische und -soziologische Untersuchungen revidiert. Bruno Latour spricht von einer »Kultur der Forschung«. Wissenschaft ist ihm zufolge nicht mehr durch ihre Losgelöstheit zu definieren, sie wird vielmehr in ihrer Verbundenheit mit der Umwelt und den Dingen charakterisiert. Latour versucht, die Subjekt-Objekt-Dichotomie hinter sich zu lassen, indem er Transformationen anstatt Konstruktionen darlegt. Anstelle der künstlichen Trennung von Subjekt und Objekt weist er auf die wechselseitige Bezug- und Einflussnahme von menschlichen Handlungen und Dingen hin. Vgl. hierzu Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt am Main 2000. 14 Vgl. hierzu Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003, S. 262. Vgl. zur Subjekt-Objekt-Beziehung in verschiedenen formalen Konstellationen der Kunst auch: Elke Bippus: Landschaft – Karte – Feld. Felder zeichnen, Bremen 2005. 15 Repräsentation wird hier als Stellvertretung und Darstellung gedacht. Damit kommt auch der Einleitung interessant, die mit dem Kunsttheoretiker Henk Borgdorff als Forschungen »in« der Kunst bekannt wurden.16 Künstlerische Forschungen können zu den Verfahren gezählt werden, die ein »im plizites Wissen«,17 Brüche und Ungeklärtes fruchtbar machen. Solche Aspekte ste hen in Widerspruch zu einer Zeit, in der das Bildungsideal Humboldts einer Ökono misierung weichen und Wissen als neue Form des Kapitals verfügbar sein soll. Als Ressource der Zukunft wird Wissen feilgeboten als »Basis eines Wirtschaftsvorteils« mit ökonomisch hohem Wert. Der zeitgemäße Wissensbegriff richtet sich dementsprechend verstärkt an wis senschaftlicher Vernunft und Logik aus. So impliziert auch die Definition des Du den die Akkumulierbarkeit von Wissen, wenn dieses als »Gesamtheit der Kenntnis se, die jmd. [auf einem bestimmten Gebiet] hat«18 bezeichnet wird. Die Rede ist demnach von einem umfangreichen, umfassenden, gründlichen und gesicherten Wissen. Wissen in diesem Sinne gilt als vollständige Gewissheit und steht in Diffe renz zu glauben und meinen. Wissen ist ein Wissen von etwas, es ist positivierbar und hat einen Gegenstand. Mit dieser Orientierung geht die Betonung der Praxis einher, allerdings allein auf der Ebene der Methoden und im Rahmen des Zweck mäßigen. Praktiken der Spurenerzeugung in den Wissenschaften, die auf der For Aspekt der Vorstellung/Imagination ins Spiel, worin sich die Performanz einer jeden Darstellung reflektiert. 16 Henk Borgdorff unterscheidet in seinem 2006 publizierten Text The Debate on Research in the Arts drei Weisen künstlerischer Forschung, die er als Recherche »on the arts«, »for the arts« und »in the arts« definiert. Eine typische Forschung über Kunst ist beispielsweise die Kunstgeschichte. Materialforschungen sind Untersuchungen für die Kunst. Im Unterschied dazu sind Forschungen in der Kunst immanent und performativ. Sie beruhen nicht auf einer Subjekt‑Objekt‑Trennung, im Gegenteil, die künstlerische Praxis ist konstitutiv für den Forschungsprozess und das Resultat. Während eine Forschung »über« und »für« implizit auf eine Trennung der Disziplinen und Methoden hindeutet, basiert »Research in the Arts« auf der Auffassung, dass es keine fundamentale Trennung zwischen Theorie und Praxis gibt. Die künstlerische Forschung »in the arts« bedenkt einerseits die Materialität einer Darstellung und andererseits deren Transzendierung. Henk Borgdorff: The Debate on Research in the Arts (Sensuous Knowledge. Focus on Artistic Research and Development, No. 2), Bergen 2006, S. 18. 17 Die Konzeption des impliziten Wissens wurde maßgeblich von Michael Polanyi in seinem Buch The Tacit Dimension (1966) entwickelt. Polanyi versteht körperliche Reaktionen als eine Form von (implizitem) Wissen oder von verinnerlichten Handlungen, die zum Beispiel in Form von moralischen Annahmen oder auch von wissenschaftlichen Theorien unsere Praxis leiten. Für Polanyi, der sich dabei u.a. auf Wilhelm Diltheys Begriff der »Einfühlung« beruft, bedeutet dieses Wissen die Grundlage des sogenannten objektiven Wissens. 18 Duden – Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim 2000. 13 14 Elke Bippus schungsebene angesiedelt sind, mit anderen Worten primäre Aufschreibeformen im wissenschaftlichen Alltag, die den veröffentlichten Resultaten vorausgehen – Protokolle, Skizzen, Videoaufzeichnungen, Exzerpte – und in einem gleichsam pränormativen Raum entstehen, sind zwar Gegenstand wissenschaftshistorischer Untersuchungen, in der Repräsentation wissenschaftlicher Ergebnisse werden sie jedoch als nebensächlich übergangen.19 Da von einem Informations(-Wissen) er wartet wird, dass es in effektiver Weise vermittelt und verwertet werden kann,20 geht es auch nicht mehr um die Erarbeitung von Wissen, sondern um ein Wissens management. Die Ökonomisierung des Wissens nivelliert die Unterscheidung von Wissen und Information21 und simplifiziert den komplexen Prozess der Wissens generierung. Sie ignoriert Erkenntnisse des performative turn. Mit diesem ist ein auf Handlung und Verkörperung orientiertes Forschen verknüpft, das unterschied liche Wissensformen integriert und Diskurse entstehen lässt, »die das Ereignis, von dem sie sprechen, hervorbringen«.22 Die Opposition von angewandtem und reinem Wissen sowie die von Theorie und Praxis stehen so zur Disposition. Produktive Verstrickungen Künstlerische Forschung »zeigt« ihr Wissen. Das heißt, anders als in den meisten wissenschaftlichen Darstellungen vermittelt Kunst in den seltensten Fällen Ergeb 19 Vgl. zu Aufschreibeverfahren im wissenschaftlichen Alltag: Hans-Jörg Rheinberger: »Mischfor- men des Wissens«, in: ders.: Iteration, Berlin 2005, S. 74–100; Anke te Heesen (Hg.): cut and paste um 1900. Der Zeitungsausschnitt in den Wissenschaften (Kaleidoskopien. Medien – Wissen – Performance), Heft 4, Berlin 2002. 20 Die ökonomische Eingrenzung des Wissensbegriffs auf seine technologische, politische und bürokratische Verfüg- und Verwertbarkeit spiegelt sich auch in der Ausbildungsstruktur der Bachelor- und Master-Studiengänge, die in ihrer Effizienz-, Nützlichkeits- und Verwertungsabsicht eine Ökonomisierung der Studiensysteme betreiben. Vgl. hierzu Peter Spillmanns auf die Schweizer Kunsthochschulen bezogene Analyse der Bologna-Reform im Kontext einer allgemeinen Ökonomisierungstendenz. Peter Spillmann: »Von Bologna nach Pisa. Ein Ausflug in die aktuelle Bildungslandschaft«, in: Beatrice von Bismarck, Alexander Koch (Hg.): beyond education. Kunst, Ausbildung, Arbeit und Ökonomie. Frankfurt a.M. 2005, S. 209–221. 21 Jürgen Mittelstrass hat bereits 2003 in einem Vortrag darauf hingewiesen, dass die Vorstellung von Wissen als einer Kompetenz der Wissensbildung und -verarbeitung von einem Vertrauen auf die richtige Information abgelöst wird. Vgl. www.ut.ee/eetikakeskus/download/konverentsmittelstrass 22 Jacques Derrida: Die unbedingte Universität, Frankfurt a.M. 2001, S. 22. Einleitung nisse, die im Sinne einer Information weitergegeben werden könnten. In ihrer Selbstreflexion bezieht sich Kunst reflexiv auf das, womit sie reflektiert und was ihre Reflexivität erst ermöglicht.23 Die mediale Konstitution des Forschungsgegen stands wird erkennbar und die referentielle Funktion der Darstellung gestört. Ein durch Zeigen vermitteltes Wissen bleibt unbestimmt, es ist in Bruchstellen oder Störungen aufzusuchen und kann immer nur wieder neu in spezifischen Situatio nen, in einer Kopräsenz oder durch Eingriffe freigelegt werden. Im Unterschied zur Wissenschaft zielt Kunst dabei auf Mehrdeutigkeit. Eine klare Unterscheidung der Disziplinen wird allein auf der Ebene der (Re-)Präsentation möglich, auf derjenigen der Forschungsprozesse selbst ist sie nicht grundlegend. In diesem Zusammenhang sind Untersuchungen der Wissenschaftsphilosophie und -geschichte interessant, die ihre Aufmerksamkeit auf die Praxen und auf die Gene rierung von Erkenntnissen richten, auf die konstitutiven und performativen An teile von Visualisierungsprozessen sowie auf ihre kontingenten und unvorherseh baren Abläufe. Die jüngste Wissenschaftsgeschichte richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Forschungsprozesse im Labor, das heißt auf jenen abgeschlossenen und geschützten Raum, in dem das konkrete Material von Bedeutung ist. Sie schließt die »obskuren Räume wissenschaftlicher Arbeitspraxis« auf, indem sie etwa den Zwischenraum »zwischen gedrucktem Text und der materiellen Veranstaltung des Experimentierens«24 beleuchtet. Diese Blickverschiebung trägt mit dazu bei, naive und lang anhaltende Vorstellungen von Wissenschaft wie diejenige eines geziel ten, logisch kontrollierten Vorgehens nachhaltig zu zerrütten. So hat Hans-Jörg Rheinberger das Grunddilemma der Forschung jüngst auf die Behauptung zuge spitzt, »dass das Nichtverstehen der Motor aller wissenschaftlichen Erkenntnis gewinnung ist. Forschen wäre also im Innersten der Ausdruck einer Kultur des 23 Zur medialen Selbstreflexion und künstlerischen Wissensgenerierung vgl. Elke Bippus: »Mediale (Eigen-)Sinnigkeiten. Überlegungen zu künstlerischen Wissensbildung im Medium«, in: Torsten Meyer, Michael Scheibel, u.a. (Hg.): Bildung im Neuen Medium. Wissensformation und digitale Infrastruktur. Education Within a New Medium. Knowledge Formation and Digital Infrastructure, Münster, New York, München, Berlin 2008, S. 108–118; engl. Übersetzung: S. 314–320. 24 Hans-Jörg Rheinberger: »Wissensräume und experimentelle Praxis«, in: Helmar Schramm u.a. (Hg.): Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin 2003, S. 366– 382, hier S. 370. Durch Analysen und Rekonstruktionen von Laborprotokollen und Labornotizen werden experimentelle »Formen des Auf- und Umschreibens in der Produktion von Wissen« erschlossen und ausgewertet, um so dem epistemologischen Kern des Laboralltags auf die Spur zu kommen. 15 16 Elke Bippus Nichtverstehens«.25 Wissenschaftshistorische Untersuchen kennzeichnen zudem die disziplinäre Begrenztheit oder Ausschnitthaftigkeit von Forschung. Deshalb aber im Sinne des Synthesegedankens Kunst und Wissenschaft als sich wechsel seitige Ergänzungen zu beschreiben, die dem jeweils anderen das hinzufügen, was ihm vermeintlich fehlt, würde die Eigengesetzlichkeit disziplinärer Formungen, die Differenzialität der Disziplinen sowie deren Produktivität zugunsten eines roman tischen Ideals leugnen. Womöglich resultiert Künstlerische Forschung weniger aus einem Nichtverstehen, sie verknüpft vielmehr ihre Wissensproduktion mit einer Kritik des Willens zum wahren Wissen und verhält sich insofern zum Nichtwissen, das durch nichts ein zuholen ist. Denn das, was wir als Wissen erkannt haben werden, bildet sich in komplexen Konstellationen heraus – in einer »Poetologie des Wissens«.26 Scharfe Trennungen etwa zwischen Subjekt und Objekt, Material und Form, Investigation und Präsentation, Theorie und Praxis sind nicht aufrechtzuerhalten. Künstlerische Forschung ist auch von Momenten der Reaktion, des Unbewussten oder des Pathi schen getragen. Sie ist dergestalt mit einem Begriff von Theorie in Verbindung zu bringen, wie ihn Hans-Georg Gadamer in Wahrheit und Methode beschrieben hat: Theoria ist »wirkliche Teilnahme, kein Tun, sondern ein Erleiden (pathos), nämlich das hingerissene Eingenommensein vom Anblick«.27 Auch wenn zur künstlerischen Praxis notwendig ein umfangreiches Wissen ge hört, macht sie sich dennoch vielfach in inszenierten Ambivalenzen das Nicht wissen strategisch zunutze. Sie hält auf diese Weise den Forschungsprozess in seinen vielfältigen Möglichkeiten offen, aktiviert die Betrachter und Betrachterin nen, fordert deren Neugierde heraus und provoziert sie zu einem Forschen im Sinne eines Erkundens, Nachspürens und Ermittelns. Künstlerisches Forschen bildet kein allgemeines, abrufbares und intersubjektiv verifizierbares Wissen, sondern Räume für das Denken, die zumeist in Widerspruch stehen zu einer neuerdings angesagten Verwertbarkeit. Kunst bietet kein Forschungsergebnis, sie bietet sich selbst als ein »Instrument« dar, »mit dem man sich eine Aktivität des Erforschens aneig 25 Hans-Jörg Rheinberger: »Nichtverstehen und Forschen«, in: Juerg Albrecht u.a. (Hg.): Kultur Nicht Verstehen, Zürich 2005, S. 75–82, hier S. 79. 26 Dazu: Joseph Vogl: »Einleitung«, in: ders. (Hg.): Poetologien des Wissens um 1800, München 1999, S. 7–18. 27 Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 51986, S. 130. Zu Pathos vgl. auch: Kathrin Busch, Iris Därmann (Hg.): ›pathos‹. Konturen eines kulturwissenschaftlichen Grundbegriffs, Bielefeld 2007. Einleitung nen kann«. Dementsprechend findet künstlerisches Forschen nicht im Kunstobjekt seinen Abschluss. In den Wissenschaften werden Forschungen in den jeweiligen Science Communities, in Zeitschriften, auf Symposien oder in Kolloquien disku tiert und verhandelt und können so im Prozess der Erkenntnisgewinnung wirksam werden. Ob das Format Ausstellung einen adäquaten Raum für die Künstlerische Forschung schafft, ist mehr als fraglich. Denn es produziert im Verbund seiner Historizität Erwartungen, Haltungen und zeitliche wie räumliche Settings, die vor nehmlich an Kategorien des Werks und Objekts orientiert sind. Als Objekt ist Kunst käufliches Produkt und bildet ein Gegenüber. Zum »Instrument« eines Forschens wird Kunst in einer denkenden Begegnung. Erst in einer solchen dialogischen Aus einandersetzung kann Künstlerische Forschung zu einem Feld der Alternativen, der Entwürfe und Modelle werden, zu einem Begegnungsfeld zwischen verschiede nen Wahrnehmungs- und Denkmodi, zwischen unterschiedlichen Positionen und Subjektivitäten. Die für Künstlerische Forschung notwendige Diskursivierung verlangt nach einer Arbeit am Ausstellen und seinen Möglichkeiten, wenn Ausstellen keine bloße Prä sentation von Ergebnissen in Form objekthafter Werke sein soll, sondern ein Expe riment für Künstler/innen und Betrachter/innen gleichermaßen. Die Ausstellung ist die Schnittstelle zu einem diskursiven Feld.28 Sie ist der Ort der Rahmung und Kontextualisierung, sie spezifiziert das Verhältnis zwischen den Akteuren, d.h. das zwischen Kunstobjekt, Raum und Betrachtersubjekt in seinen vielfältigen (körper lichen, materiellen, situativen und singulären) Dimensionen.29 Auch im Feld der Kulturwissenschaften wächst seit der »performativen Wen de« das Interesse an den Schauplätzen des Wissens30 und ihrer inszenatorischen Struktur. Formeln wie doing theory, doing culture, gender, knowledge, identity sind Ausdruck eines modifizierten Verständnisses, durch das Kunst und vor allem 28 Auch die Publikationsformate entsprechen heute wieder vornehmlich jenen Anliegen und Re- geln, die mit dem »Ausstellungskünstler« der Moderne verknüpft sind. Versuche, die an die Tradition der Conceptual Art anknüpfen, um andere Diskursformate zu etablieren, setzen sich gegenüber den konservativen und traditionell arbeitsteiligen Publikationsweisen zwischen Künstler/in und Kunsthistoriker/in bzw. Kritiker/in nicht durch. Zum Ausstellungskünstler vgl. Oskar Bätschmann: Ausstellungskünstler: Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997. 29 Zum Ausstellungsdisplay vgl. Jennifer John, Dorothee Richter, Sigrid Schade (Hg.): Re-Visionen des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum, Zürich 2008; vgl. auch: Das neue Ausstellen. Kunstforum International, Bd. 186 (Juni-Juli 2007). 30 Vgl. dazu: Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Ladardig (Hg.): Kunstkammer, Laboratorium, Bühne: Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert, Berlin 2002. 17 18 Elke Bippus kulturwissenschaftliche Disziplinen näher aneinander rücken: Theorie wird durch den Perspektivwechsel des performative turn zunehmend in ihrer medialen Be dingtheit in Betracht gezogen. Die Medialität eines Texts oder Vortrags wird in ihrer konstitutiven Funktion einbezogen. Die damit einsetzende Durchdringung von Theorie und Praxis zeichnet sich in ihren verschiedenen Weisen zunehmend in experimentellen Theorieformaten ab, welche die Wissensproduktion auch als eine ästhetische Praxis exponieren.31 Mit dem performative turn, der tradierte Methoden revidiert hat und Erfahrung durch Kunst und das Ästhetische einbezieht, entsteht eine Wissenskultur, in der Wissen als Handlung und Prozess erfahrbar wird. Wissen ist dann nicht allein als ein Wissen von unveränderlichen Sachverhalten gedacht, sondern in seiner Wan delbarkeit als Form eines historischen Denkens reflektiert. Es geht dabei um eine »Poetologie des Wissens«, welche in ihrer Geschichte des Wissens die Bedingtheiten der Episteme sichtbar werden lässt. Eine »Poetologie des Wissens« setzt an ihren Ursprung kein erkennendes und sprechendes oder ein vermeintlich unabhängiges, schöpferisches Subjekt. Sie begreift und beschreibt vielmehr das Auftauchen neuer Wissensobjekte und Erkenntnisbereiche als Form ihrer Inszenierung, sie macht die Repräsentationsweisen sichtbar, die den Wissensordnungen zugrunde liegen, das heißt die Regeln und Verfahren eines Darstellungszusammenhangs. So verstan den, kommt Wissen als etwas ins Spiel, das nicht feststellen will, was ist, sondern welches das Tun des Menschen leitet und als Praxis eines ästhetischen Denkens beschrieben werden kann. Die Kenntnis von Verfahrensweisen und Techniken Künstlerischer Forschung, die das Wissen der Kunst bilden, ist notwendig, um deren Produktivität benennen zu können. Dabei geht es nicht darum, allgemeine Bedingungen festzuklopfen, sondern die konkreten Akte zu erfassen, um Wissensbildung in ihrer Dynamik zu begreifen. Dazu gehört die begriffliche Diskursivierung des Wissens der Kunst in ihren Transformationen und ihren medialen Übersetzungen, durch welche An schlüsse an andere Wissensfelder gebildet werden, seien sie wissenschaftlich, kul turell oder gesellschaftlich. Wissen wird hierdurch in seiner eigenen Veränderlich keit reflektiert und nicht als beständige Einheit einer Disziplin oder des denkenden Ich behauptet. 31 Vgl. hierzu »Doing Theory«. 31. Magazin des Instituts für Theorie der Gestaltung und Kunst, Nr. 08/09, Dezember 2006. Einleitung Kunst ist der Wissenschaft nicht anzunähern, sie überschneidet sich längst mit verschiedensten Disziplinen auf dem Feld des Denkens. Künstlerische Praxis präfe riert eine zufallende, einmalige und individuelle Erfahrung.32 Im Unterschied zur Wissenschaft blickt sie auf eine Geschichte zurück, die sich immer wieder auch mit dem befasste, was sich einem begrifflichen und methodischen Zugriff entzieht und die Möglichkeit des Ausdrucks ins Spiel bringt, indem sie mit den Medialitäten ex perimentiert, in denen sie agiert. Künstlerische Praxis erinnert damit an etwas, das Heinrich von Kleist mit seinem Text Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden33 deutlich gemacht hat: den Prozess der halbbewussten Herausbildung von Erkenntnis, der vom Subjekt initiiert, aber sich erst im Vollzug einer Artiku lation vollzieht und in einem sozialen Zusammenhang eingelöst wird. Gerade weil Kunst und Künstlerische Forschung performative, mediale, soziale aber auch öko nomische Einflüsse reflektiert, fordert sie die konventionelle Wissenschaftspraxis heraus. Textbeiträge Die in dem vorliegende Band versammelten Beiträge von Künstler/innen, Kultur wissenschaftler/innen wie Philosoph/innen stellen unterschiedliche Ansätze von Kunst und Wissenschaft vor, diskutieren Interdependenzen, Verfransungen, wech selseitige Durchdringungen, Schnittstellen, Ein- und Übergriffe oder Hybridbildun gen, ohne die historisch und gesellschaftlich bedingten Differenzen der Disziplinen aus dem Blick zu verlieren. Die Publikation ist in zwei Hauptkapitel gegliedert: Praktiken des Wissens und Produktive Verstrickungen. Auch wenn sich die Beiträ ge nicht trennscharf zuordnen lassen, so lässt sich dennoch feststellen, dass in einzelnen Beiträgen das Wissen der Kunst ins Zentrum gerückt ist, oder dieses gezeigt, inszeniert und performiert wird. In anderen hingegen werden Mischfor men des Wissens zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Theorie und Praxis 32 Damit entsteht für den gängigen Wissenschaftsbetrieb ein Problem der Kommunizierbarkeit und des Verhandlungsortes. Wie kann künstlerische Forschung kommuniziert werden, wenn es um das Singuläre und um die konkrete Auseinandersetzung mit einem Werk geht? Muss sich die Theorie ändern? Können z.B. Forschungsgemeinschaften eine Möglichkeit des Austausches werden? 33 Heinrich von Kleist: »Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«, in: ders.: Sämtliche Werke und Briefe, 2. Band, München 1985. 19 20 Elke Bippus vorangetrieben. An die beiden Kapitel schließt die gekürzte Podiumsdiskussion der Tagung Kunst des Forschens an.34 In ihr wird Künstlerische Forschung im Kontext von Förderungspolitik und deren Relationen zu Wirtschaft und Technologie ebenso Thema wie ihre hochschulpolitische Rahmung, ihre Leistungsfähigkeit gegenüber anderen Bereichen, ihre Prozesse und Bedingungen sowie ihre Nähe zur Philoso phie debattiert wird. Praktiken des Wissens In seiner historischen Perspektive auf wissenschaftliche Parameter stellt Dieter Mersch fest, dass Kunst und Wissenschaft sich wie blinde Flecken gegeneinander verhalten. Sie zeigen und sagen sich wechselseitig, welchen Verfahren und Prämis sen sie – zum großen Teil unbewusst – folgen. Die Ausbildung einer epistemischen Theorie der Kunst müsse dies berücksichtigen und ihr Denken an Kategorien der Werkstatt und deren Dispositiven ausrichten. Hannes Rickli lässt die ästhetischen Überschüsse wissenschaftlicher Aufzeich nungen hervortreten. Er stellt damit die Rolle von Medien als Trägermaterial für die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung heraus. In seinen Videogrammen expli ziert er Signaturen, die in funktional ausgerichteten wissenschaftlichen Produktio nen übersehen würden und führt diese bild- und wissenschaftstheoretischen sowie gesellschaftlichen Diskussionen zu. Vorzüge der Absichtslosigkeit nennt Peter Piller eine Werkgruppe, die in dem hier publizierten Beitrag auf gesammeltes Fotomaterial nicht-professioneller Fotogra fien zurückgeht. Das »Archiv Peter Piller« umfasst tausende von Fotografien, von denen der Großteil aus regionalen Tageszeitungen, aus dem Internet oder wie hier aus dem digitalen Fotoarchiv der Schadensabteilung der »Basler Versicherungen« stammt. In der Amateurfotografie ist etwas »aus Versehen« abgebildet, es ist nicht durchkomponiert und weist so bedeutungstragende »Fehler« auf, die humorvoll und mit Ironie Rituale, Wünsche, Haltungen oder Vorstellungen offen legen. Das Wirkungsfeld Künstlerischer Forschung erkennt Christoph Schenker in sei nem Beitrag in den Bereichen der Wahrnehmung, der Emotion und des Intellekts. Er bestimmt die Forschungen der Kunst als ein »Unterscheidungsverhalten«, das 34 Symposium: Kunst des Forschens, 6.–8. Dezember 2007, Zürcher Hochschule der Künste. Einleitung Differenzierungsmöglichkeiten einführt, die gültige und konventionalisierte Ord nungen verrücken. Aus wissenschaftsphilosophischer Perspektive betont Gabriele Gramelsberger die Notwendigkeit, die »epistemologischen Konsequenzen« zu analysieren, die aktuell durch Veränderungen wissenschaftlicher Forschungsverfahren, beispielsweise im digitalen Labor, entstehen. Eine solche Analyse kann zur Pluralisierung des Er kenntnismonopols beitragen, da sie evidenzbildende Kategorien der Wissenschaft selbst befragt. Wohingegen Untersuchungen der semantischen Repräsentationen, Logiken oder Argumentationsstrategien von Wissenschaft die Dichotomie zwischen Kunst und Wissenschaft bestärken und das Erkenntnismonopol Letzterer unhinter fragt lassen würden. Martin Beck verfolgt in vielfältigen Verknüpfungen von Recherche und experi mentellen wie ästhetischen Praktiken eine künstlerisch-wissenschaftliche Wissen sproduktion, in der sich deren wechselseitige Bedingtheit kritisch spiegeln. Der hier erstmals in deutscher Übersetzung publizierte Text Souveränität und Kontrolle zeigt die Entwicklung neuer Ausstellungsdisplays in den USA der Nachkriegsjah re auf und zeichnet dabei insbesondere deren visuelle und räumliche Dispositive nach. Ute Vorkoeper setzt das Interesse an Künstlerischer Forschung in Beziehung zur modernen Reduktion der Kunst auf eine rein ästhetische Erfahrung. In ihren Über legungen arbeitet sie die Verkoppelungs- und Abgrenzungsdiskurse von Kunst und Wissenschaft heraus, um zu einem Forschungsbegriffs zu kommen, der sich von der Funktionalisierung der Kunst als Übersetzerin in sinnliche Erfahrungseinheiten emanzipiert und zugleich offen ist für unvorhersehbare Herausforderungen der Ästhetik wie der Wissenschaft in der Gegenwart. Produktive Verstrickungen Kathrin Busch macht angesichts der Wandlungen des zeitgenössischen Kunstbe griffs und der Transformation des tradierten Wissenschaftsverständnisses auf die Unmöglichkeit einer sauberen Trennung von Kunst und Wissenschaft aufmerksam. In ihrer Analyse des Verhältnisses von Kunst, Kulturwissenschaften und Philo sophie und ihrer Dekonstruktion der Trennungsversuche, die sich auf die Unter scheidung einer begrifflichen und sinnlichen Erkenntnis berufen, referiert sie auf Nietzsches und Heideggers Schreibpraxis, und auf den Essay als ästhetische Form. 21 22 Elke Bippus Das »abstandslose, berührend und körperlich« wirksame Zusammenspiel von Pa pier, Stift und Hand wird in Katharina Hinsbergs differentiell entwickelten Zeich nungen, welche die Mitteilungen der Materialien selbst einbeziehen, offenbar. In zahlreichen poetischen Textproduktionen reflektiert die Künstlerin ihre Verfahren und die diskursiven Kontexte ihrer Anliegen. Beatrice von Bismarck setzt sich in ihrem Beitrag mit den Installationen von Julie Ault und Martin Beck auseinander und macht deren Inszenierungsformen zum The ma. Ault und Beck haben ein von George Nelson entwickeltes Ausstellungssystem zu einem eigenständigen Ausstellungsstück werden lassen und die mit ihm zu sammenhängenden Vorstellungen einer emanzipierten Kommunikation aufgezeigt. Ihre Installation geht dabei aus einer forschenden Tätigkeit hervor und zugleich wird das Forschen selbst zum Gegenstand ihrer künstlerischen Praxis. Das Potential des Übergangs, des Unentschiedenen, des Zwischenraums ergreift Christoph Keller in seiner Bearbeitung wissenschaftlicher Praktiken und Themen. Mit seiner künstlerischen Forschung zielt er auf eine Öffnung des Transzendenten der Wissenschaften, wobei ihn insbesondere »parallele Wissenschaften« interessie ren, die ihrerseits blinde Flecken der Wissenschaft reflektieren. Jörg Huber widmet sich einer Forschung des Ästhetischen, die sich den Inter ferenzen, den Verschränkungen und Anverwandlungen zuwendet, die zwischen Kunst und alltäglicher Gestaltung geschehen. Er bestimmt ästhetische Forschun gen als eine Erfahrung, in der sich Erleben und Widerfahren mit Reflexion und Begreifen verbinden. Jörg Huber entwirft die Forschung der ästhetischen Theorie als eine chiastische Figur, die nach einer ästhetischen Theorie der Forschung ver langt. Im Sommer 2007 zeigten Eva Meyer und Eran Schaerf auf dem skulptur projekt Münster ihren Film Sie könnte zu Ihnen gehören. In ihm werden Textpassagen einer Schauspielerin, die sich im Innen- und Außenraum des Münsteraner Stadttheaters bewegt, mit Ausschnitten von in Münster gedrehten Filmen zwischen 1940 und 2003 montiert. Sie könnte zu ihnen gehören schafft einen filmischen Erinnerungs raum, in dem sich Erfahrung in ihrer medialen Vermitteltheit reflektiert und die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation in ihrer Brüchigkeit offensichtlich werden. Die von Frank Hesse zu einem Tableau zusammengestellten Fotografien von Schu hen aus Naturmaterialien wie Kork oder Birkenrinde zitieren in ihrer Präsentati onsweise, die bis ins 18. Jahrhundert gängige Darstellung naturwissenschaftlicher Beobachtungen. Im 20. Jahrhundert rückten die Taxonomien von Bernd und Hilla Einleitung Becher dieses Format erneut ins Blickfeld. Frank Hesse verleiht den von Hildegard Brandenburg auf Urlaubsreisen zum Zeitvertreib hergestellten Objekten den Cha rakter einer kultur-anthropologischen Sammlung. Da er gerade nicht der strengen Scheidung von wissenschaftlichem Forschen und gesellschaftlicher Anwendung, von Produzent und Konsument folgt, macht er die Sammlung als forschende Praxis des Alltags erkennbar. Dank Dieser Publikation zugrunde liegt die vom 6.–8. Dezember 2007 veranstaltete Ta gung zum Thema Kunst des Forschens an der Zürcher Hochschule der Künste. Die Tagung stand am Ende eines dreijährigen Forschungsprojekts, das durch die Fritz Thyssen Stiftung gefördert wurde. Die Herausgeberin dankt den finanziellen Förderern des Forschungsprojekts, sei ner diversen Veranstaltungen und der Publikation. Zu nennen ist hier neben der Fritz Thyssen Stiftung die Hochschule für Künste Bremen, die das Projekt von 2004–2006 und eine erste Arbeitstagung unterstützte, dem Institut für Gegen wartskünste Zürich für den großzügigen finanziellen Zuschuss zur Tagung und Publikation. Ihr Dank gilt auch den Mitwirkenden des Forschungsprojekts: Katharina Hins berg und Beate Terfloth für die gemeinsamen Seminare, die das Verhältnis von Theorie und Praxis nachhaltig zu reflektieren erlaubten, Bärbel Zindler, die durch ihre Teilnahme an den Seminaren, Ausstellungen und Workshops in Bremen und Zürich Diskussionen vorantrieb und stereotype Vorstellungen vom Künstler, von der Künstlerin durchkreuzte. Mein besonderer Dank gilt Frank Hesse, der als wis senschaftlicher Mitarbeiter das Projekt über drei Jahre mitgestaltete, auch indem er seine künstlerische Perspektive vehement vertrat, ohne sich derjenigen der Wissenschaft zu verschließen. Danken möchte ich auch allen Autor/innen, die die vorliegende Publikation erst ermöglicht haben und schließlich dem diaphanes Verlag für die konstruktive und angenehme Zusammenarbeit. 23