Vordere Kreuzbandruptur beim Hund: Welche - FBZ-Vet
Transcrição
Vordere Kreuzbandruptur beim Hund: Welche - FBZ-Vet
Vordere Kreuzbandruptur beim Hund: Welche postoperativen Maßnahmen zur Rehabilitation sind optimal? In der Tierphysiotherapie erlangt die postoperative Nachbehandlung eines Kreuzbandrisses einen immer größeren Stellenwert. Welche Maßnahmen für die Rehabilitation einer vorderen Ruptur nun letztlich ideal sind, darüber wird in Fachkreisen nach wie vor heiß diskutiert. Aus meiner persönlichen wissenschaftlichen und praktischen Erfahrung heraus ist es sinnvoll, bei einer bestehenden vorderen Kreuzbandruptur vor allem die funktionellen Aspekte einer Kreuzbandschädigung in den Fokus der kritischen Auseinandersetzung mit Therapiekonzepten (z.B. Schwimmtraining) zu stellen. Ich habe mich in den letzten Jahren intensiv mit verschiedenen Fachstudien zum Thema beschäftigt. Meine persönlichen Erkenntnisse möchte ich Ihnen in Auszügen nachfolgend näher darstellen. Ich würde mich freuen, damit einen hilfreichen Beitrag zur Weiterentwicklung fundierter tierphysiotherapeutischer Konzepte leisten zu können. Wer ist besonders vom Risiko einer vorderen Ruptur betroffen? Aus dem Jahre 2003 stammt eine retrospektive Studie von Greg Harasen zur Ruptur des vorderen Kreuzbands, die in Fachkreisen erhebliche Beachtung fand. Er kam im Rahmen seiner Forschungsarbeit zu folgenden Erkenntnissen: Harasen hat festgestellt, dass Hündinnen in einem Verhältnis von 2/3 : 1/3 häufiger betroffen sind als Rüden. Er kam ebenso zum Ergebnis, dass große Rassen (ab 15 kg) häufiger betroffen sind als kleine. Ferner zeigt nahezu die Hälfte (48%) der betroffenen Patienten auch eine Schädigung des medialen Meniskus. Und in 30% der Fälle erlitten die Patienten innerhalb eines Jahres ebenfalls eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes der kontralateralen Seite. -1- Schwimmen als ideale postoperative Reha-Maßnahmen? Aus wissenschaftlicher Sicht nur begrenzt zu bestätigen und differenziert zu betrachten In der von Wissenschaftlern häufig angeführten Studie von Marsolais u.a. aus dem Jahre 2002 zur Bedeutung von Schwimmen als sinnvoller Reha-Maßnahme wurden 13 gesunde Hunde und 7 Hunde nach chirurgischer Versorgung einer vorderen Kreuzbandruptur untersucht. Die Evaluation wurde 21 bzw. 35 Tage nach dem chirurgischen Eingriff und einer postoperativen Rehabilitation mittels Schwimmen durchgeführt. Erfasst wurde der Unterschied in der Range of Motion (ROM) von Hüft-, Knie- und Tarsalgelenk während des Schwimmens und in zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf einem Laufband (Trockenlaufband, 1,3 m/sec. und 0,9 m/sec). Die Wissenschaftler beobachteten, dass gesunde Hunde beim Schwimmen gegenüber dem Laufen auf einem Laufband einen größeren Bewegungsausschlag des Hüftgelenkes zeigten als Hunde mit einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Ferner zeigten die gesunden Hunde im Knie- und Tarsalgelenk beim Schwimmen gegenüber dem Laufen einen größeren Bewegungsausschlag in Flexion, während die ROM im Kniegelenk bei den Hunden mit chirurgisch versorgter Kreuzbandruptur beim Schwimmen und beim Laufen reduziert war. Für die Wissenschaftler war aus ihren Beobachtungen heraus erwiesen, dass ein Schwimmtraining als rehabilitative Maßnahme nach chirurgisch versorgter Kreuzbandruptur die ROM von Knie- und Tarsalgelenk deutlich verbessert. Die Untersucher gehen davon aus, dass die Verbesserung der ROM die Wiederherstellung der Funktion bei den betroffenen Patienten unterstützt, so dass ein zusätzliches Schwimmtraining zum Gehtraining für die Patienten einen Vorteil bringt. Kritisch zu dieser Studie anzumerken ist aus meiner Sicht: • • • Es handelt sich um eine relativ kleine Fallzahl Es ist nicht klar, mit welcher Methode die vordere Kreuzbandruptur bei den betroffenen Patienten versorgt wurde Die ROM als einziger Maßstab für die Funktionalität ist m.E. nicht ausreichend. Anatomie, Mechanik und Funktion der Kreuzbänder – Auswirkungen einer Kreuzbandläsion Für eine wirkungsvolle Behandlung einer vorderen Ruptur ist das Verständnis von Funktion und Aufbau der Kreuzbänder unabdingbar. An dieser Stelle einige grundlegende Erklärungen: Das vordere Kreuzband verläuft vom Condylus lateralis femoris zur Area intercondylaris cranialis tibiae. Es besteht aus zwei Komponenten, einem kraniomedialen und einem kaudolateralen Anteil. Vorderes und hinteres Kreuzband sind miteinander verdrillt und begrenzen in Knieflexion die Innenrotation. Bei Menschen und Katzen konnten in den Kreuzbändern Mechanorezeptoren nachgewiesen werden. Vor allem Ruffini und Pacini Rezeptoren sowie freie Nervenendigungen wurden gefunden (Halata, Haus 1989; Madey, Cole, Brand 1997) Diese geben ihre afferenten Informationen hinsichtlich Stellung der Gliedmaße im Raum an das Rückenmark. Über diesen neurologischen Feedback-Mechanismus ist das vordere Kreuzband direkt an der muskulären Stabilität des Gelenkes beteiligt. Durch die Schädigung des vorderen Kreuzbandes entsteht beim Patienten ein Unsicherheitsgefühl während der Gewichtsübernahme auf das betroffene Bein. Weitere Funktionen des vorderen Kreuzbandes sind: • • • • Begrenzung von Bewegungen bes. Innenrotation und Hyperextension Stabilisation, das Band verhindert die Subluxation der Tibia nach kranial Koordination der Roll-Gleitbewegung Das vordere Kreuzband stellt den stärksten Antagonisten für kraniale Scherkräfte dar Folgen einer Kreuzbandläsion: • Instabilität i.S. einer kranialen Schublade, die Tibia zeigt dabei einen Vorschub von ca. 14 mm nach kranial -2- • • Rückverlagerung des Femurauflagepunktes durch ein Überwiegen der Rollbewegung im Gelenk Die Gleitbewegung des Femurs nach kranial findet nicht mehr im Zusammenspiel mit der Rollbewegung statt. Die Hinterhörner der Menisci werden zur Abbremsung der Rollbewegung eingesetzt und sind auf Dauer überfordert (Hochschild 2002) Der Einfluss der HGLM-Muskulatur auf das Kreuzband Der M. quadriceps ist ein dynamischer Partner des hinteren Kreuzbandes. Bei einer Bewegung von voller Extension (180°) bis zu einer Flexion von 100° kommt es durch den M. quadriceps zu einer kranialen Verschiebung der Tibia gegenüber dem Femur. Von 60-100° schiebt der M. quadriceps die Tibia nach kaudal (Chilla, 2009). Dies bedeutet, dass Bewegungen im offenen System (z.B. Schwimmen), die mit einer Kontraktion des M. quadriceps einhergehen, bei Extension des Kniegelenkes zu kranialen Scherkräften im Kniegelenk führen. Von maximaler Extension = 180° bis ca. 100° Flexion wird das kraniale Kreuzband stark belastet. Jenseits von 100° Flexion treten kaudale Scherkräfte auf und das kraniale Kreuzband wird entlastet. Der M. gastrocnemius produziert ebenfalls kraniale Scherkräfte. Eine Kontraktion der Hamstrings und hier insbesondere des M. semitendinosus (Nobuo 2012) produzieren kaudale Scherkräfte und entlasten somit das kraniale Kreuzband. Bewegungen im geschlossenen System (z.B. Stand) mit einer Kokontraktion der kranialen und kaudalen Oberschenkelmuskulatur reduzieren kraniale Scherkräfte im Kniegelenk. TPLO und TTA: Methoden zur Operation eines vorderen Kreuzbandrisses beim Hund Die Tibial Plateau Leveling Osteotomy (TPLO) ist eine weit verbreitete Methode zur Operation einer vorderen Kreuzbandruptur beim Hund. Sie zählt zu den „biomechanischen“ Methoden, bei denen das gerissene Band nicht ersetzt wird. Bei den biomechanischen Methoden, zu denen auch das „Tibial Tuberosity Advancement (TTA)“ gehört, wird durch eine Umstellung des Unterschenkels erzielt, dass das vordere Kreuzband nicht mehr nötig ist. Die TPLO mit einem Tibiaplateauwinkel von 5° eliminiert dabei den kranialen Tibiaschub unter Gewichtsbelastung nicht vollständig, während die TTA den Kranialschub der Tibia limitiert. Die TPLO verändert die femorotibialen Kontaktflächen, das kaudale Kniegelenkskompartiment verengt sich und führt zu einer erhöhten Meniskusbelastung. Bei der TPLO ist die Belastung auf das Lig. patellae höher. Die ersten degenerativen Veränderungen zeigten sich bei beiden Operationstechniken schon nach 6- 8 Wochen nach OP - nach TTA geringer als nach TPLO (Höpfl 2011). (Bitte beachten – eine vordere Schublade ist bei der TPLO weiterhin auslösbar) -3- Bei den intraartikulären Techniken, bei denen das vordere Kreuzband ersetzt wird und auch bei den extraarticulären Techniken, bei denen ein Ersatz der Funktion des vorderen Kreuzbandes Ziel der Operation ist, verändern sich die Kräfte, welchen einen kranialen Tibiaschub auslösen, nicht. Bei einigen Operationsmethoden wird auch eine Fibrosierung der Kapsel zur Stabilisierung des Gelenkes angestrebt. Konsequenzen für die Therapie Eines der wichtigsten Therapieziele nach operativ versorgter Kreuzbandruptur ist m.E. die Wiederherstellung der Proprio- und Interozeption (Eigenempfindung und Tiefensensiblität). Darüber hinaus ist die muskuläre Stabilisierung des Kniegelenkes zu erreichen. Eine zielgerichtete Rehabilitation setzt aus meiner Sicht an der Anbahnung einer Muskelmantelspannung an. Damit stehen symmetrische Übungen im geschlossenen System im Vordergrund. Dies gilt vor allem für alle intra- und extraartikuären Kreuzbandersatztechniken, da Übungen im offenen System den Stress auf das Transplantat erhöhen. Aber auch bei der TPLO ist eine Kokontraktion der oberschenkelumspannenden Muskulatur für eine Reduktion der Kompressionskräfte des kaudalen Kniegelenkskompartiments äußerst wichtig. Fossum (Chirurgie der Kleintiermedizin) empfiehlt im Therapieprotokoll nach einer TPLO – Operation Schwimmen frühestens nach Heilung, sicher nicht vor dem 25. Tag post-OP. Unterwasserlaufband wird für den 14. Tag post-OP empfohlen. Persönliches Fazit Eine vordere Kreuzbandläsion beim Hund ist eine komplexe Verletzung. Die Nachbehandlung bzw. die Wahl der Therapiemethoden orientiert sich an den biomechanischen Verhältnissen im Kniegelenk. Aus meiner praktischen Erfahrung heraus, würde ich folgende Therapieziele für die postoperative Rehabilitation einer vorderen Kreuzbandruptur formulieren: • • • • • Schmerzlinderung Verbesserung der Proprio- und Interozeption Verbesserung der Kniegelenksstabilität Wiederherstellung der aktiven und passiven Beweglichkeit Verbesserung der Kraftausdauer und der Kraft Aufgrund der Biomechanik des Kniegelenkes sind meines Erachtens gerade zu Beginn der Rehabilitation, Übungen in der offenen Kette nicht empfehlenswert. Hierzu zählen z.B. Techniken, die mit dem Auslösen des Patellarsehnenreflexes arbeiten und Schwimmen. Beachtet man die physiologischen Heilungszeiten von Geweben sollte m.E. Schwimmen als therapeutische Maßnahme, nicht vor 8-12 Wochen nach OP eingesetzt werden. Es hat sich bewährt, die Rehabilitation von Kapsel-, Bandgewebe und Knochen an der physiologischen Wundheilung zu orientieren. Dabei sollten Maßnahmen gewählt werden, welche die physiologische Wundheilung und die dabei ablaufenden Prozesse unterstützen. Die folgende Tabelle gibt einen knappen Überblick über die verschieden Heilungsphasen mit den entsprechenden Maßnahmen, die sich in meiner Praxis bewährt haben. -4- * Effect of cold compression therapy on postoperative pain, swelling, range of motion, and lameness after tibial plateau leveling osteotomy in dogs. (Drygas KA, McClure SR, Goring RL, Pozzi A, Robertson SA, Wang C.,2012) Zuguterletzt möchte ich auch darauf hinweisen, dass in der postoperativen Rehabilitation einer vorderen Kreuzbandruptur die Lenden-Beckenregion unbedingt mit in die Behandlung einbezogen wird. Dysfunktionen in dieser Region können die Funktion des M. semitendinosus als wichtigen Stabilisator des Kniegelenkes, empfindlich stören. (Nobuo Kanno, DVM; Hirokazu Amimoto, DVM; Yasushi Hara, DVM, PhD; Yasuji Harada, DVM, PhD; Yoshinori Nezu, DVM, PhD; Takuya Yogo, DVM, PhD; Masahiro Tagawa, DVM, PhD , 2012) Weiterführende Quellenhinweise: Die Studie von Greg Harasen zur vorderen Ruptur bei Hunden wurde im Oktober 2003 im Canadian Veterinary Journal veröffentlicht. Die Studie „Kinematic analysis of the hind limb during swimming and walking in healthy dogs and dogs with surgically corrected cranial cruciate ligament rupture” von Marsolais GS, McLean S, Derrick T, Conzemius MG wurde veröffentlicht vom Department of Veterinary Clinical Sciences, College of Veterinary Medicine, Iowa State University, Ames, IA 50010, USA. Eine im Jahre 2002 im Journal of the American Veterinary Medical Association erschienene Studie von Marsolais GS, Dvorak G, Conzemius MG, bestätigte die Wichtigkeit einer Rehabilitation nach chirurgischer Versorgung. Zur Autorin: Christiane Gräff, MSc, Physiotherapeutin für Mensch und Hund, Zusatzqualifikationen in Sportphysiotherapie (IAS), Osteopathie (AVT College), Lymphdrainage (Földi). 2012 Erlangung des akademischen Grades Master of Science.Publikation zusammen mit Dr. med. vet. Silke Meermann: Osteopathie beim Hund, 2009, Ulmer VerlagSeit 2003 Tierphysiotherapeutin in eigener Praxis Fit for Vet's, seit 2007 fachliche Leiterin des interdisziplinären Fortbildungszentrums FBZ-vet in Karlsdorf-Neuthard Copyright 2012: Sämtliche Texte, Bilder, Grafiken sowie das Layout dieser Seiten sind urheberrechtlich geschützt. Jede Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung, Sendung und Wieder- bzw. Weitergabe der Inhalte bedarf der schriftlichen Genehmigung der FBZ-vet – Christiane Gräff und Bettina Walker GbR, Neuwiesenstraße 4, 76689 Karlsdorf-Neuthard. -5-