Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1965-1970

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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1965-1970
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Fachabt der Berliner Stadtbibliothel«
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
Jahrgänge 1965 — 1970
Schriftleitung:
1965 — 1967 Dr. Joachim Lachmann
1968 — 1970 Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm
und Dr. Hans E. Pappenheim
B E R L I N 1965 — 1970
I
Inhaltsverzeichnis
/.
Aufsätze:
Berndal, Franz:
Der Berliner Genremaler
Curt
Agthe (Abb.)
169
Friedensburg, Ferdinand:
Alexander von Humboldt (Abb.) 230
Harms, Bruno:
Das Moehsen-Grabmal (Abb.) . . . .
17
Hengsbach, Arne:
Berliner Verkehrsprobleme vor 75
Jahren
112, 122
Französisch-Buchholz (Abb.)
352
Hoff mann-Axthelm, Diether:
Hegel in Berlin
318
Zum 200. Geburtstag von Friedrich
Schleiermacher (Abb.)
182
Hoffmann-Axthelm, Walter:
Die Baugeschichte der Moabiter
Brücke und deren erster Bauherr,
der Hof rat Pierre Ballif (Abb.) . . 199
Die Familie Graefe und ihre Villa
Finkenherd im Berliner Tiergarten
(Abb.)
294, 322
Hünerberg, Kurt:
Die Geschichte der Berliner Wasserversorgung (Abb.)
235
Klünner, Hans-Werner:
Das Panorama der Straße Unter
den Linden (Abb.)
2, 22, 49
Krüger, Fritz:
Johann Peter Süssmilch, Zeuge einer
Epoche (Abb.)
133
Kühn, Margarete:
Das Charlottenburger Schloß. Zur
Eröffnung wiederhergestellter Räume im Nering-Eosander-Bau (Abb.)
85
Kutzsch, Gerhard:
Berlinische Geschichtsforschung
heute
73
Lachmann, Joachim:
Hans Diefenbachs Vermächtnis an
Rosa Luxemburg
174
Adolph Menzel 1815 — 1905
9
Loock, Hans-Dietrich:
Leopold v. Ranke (Abb.)
346
Medding, Wolf gang:
Das Berliner Concerthaus (Abb.) 149, 165
Mey, Hans-Joachim:
Die Handschriften-Abteilung der
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Dahlem
172
II
Michael, Horst:
Lübars einst und jetzt — zur Geognostik, Vor- und Frühgeschichte
eines der letzten „Dörfer" des modernen Berlins (Abb.)
154
N.N.:
Auf Fontanes Spuren — heute . . . . 185
Pappenheim, Hans E.:
Der Beelitzer Jagdschirm (Abb.) . .
97
Wilhelm Humboldt und Berlin.
Zum 200. Geburtstag (Abb.)
110
Zum 300. Geburtstag der Gründerin von Charlottenburg (Abb.) . . . .
198
Theodor Fontane in Kreuzberg
(Abb.)
252
Quicke, Hans Heinrich:
Peter Christian Wilhelm Beuth
(Abb.)
187
Rutz, H a r r y :
Die Entstehung der Berliner Wasserwerke und der Wasserleitung —
eine kulturhistorische Skizze (Abb.) 230
Sarneck-Goslich, Ilse:
Carl Friedrich Zelter, 1758—1832
(Abb.)
214
Schultze, Johannes:
Hans v. Helds Aufenthalt in der
Berliner Hausvogtei
302
Schultze-Berndt, Hans G.:
Historische Bauten im alten Stadtzentrum (Abb.)
277
Theobald, Rainer:
Ludwig Devrient als „Ewiger Jude"
(Abb.)
358
Vogel, Werner:
Die Schildhornsage — Überlieferung und Wirklichkeit
362
Wille, P. F. C :
Unbekannte Darstellungen aus dem
alten Berliner Rathaus — kurz vor
dessen Abbruch (Abb.)
61
Wirth, Irmgard:
Das Berlin-Museum
78
Johann Gottfried Schadow (Abb.)
20, 33
Theodor Hosemann (Abb.)
140
Wollschlaeger, Günter:
Johann Friedrich Eosander — ein
Hofarchitekt Friedrichs I. (Abb.) 274
//. Berichte über Vorträge:
Adam, Heibert:
Briefe, Kulturgeschichtliche Dokumente vom Anbeginn der Schrift
bis zur Neuzeit
Der Philosoph von Sanssouci . . . .
Berliner Biedermeier im Spiegel der
Zeit
Albertz, Heinrich:
50 Jahre Einheitsgemeinde Berlin
Behrend, Horst:
„Ach wie reich, Vaterland, ständest
du in Blüte . . ." Berlin und seine
Dichter
Daniel Chodowiecki
Goerke, Heinz:
Asyl Schweizerhof
Hoffmann-Axthelm, Walter:
Die Familie v. Graefe und ihre
Villa Finkenherd im Berliner Tiergarten
Philipp Pfaff, Hofzahnarzt Friedrichs des Gr., und Pierre Baillif,
Leibzahnarzt Friedrich Wilhelms
des III
Die Bildungsreise und die magnetotherapeutische Kur des märkischen
Landarztes Dr. Carl Ludwig Ganzel
Klünner, Hans-Werner:
Ein Spaziergang durch Alt-BerlinCölln im Jahre 1966
Noack, Klaus, und Heinz-Georg Klös:
Der Berliner Zoologische Garten . .
Konwiarz, Wolfram:
Probleme der Stadtbildpflege in
Berlin
Moritz, Lilly:
Geschichte und Entwicklung von
Wilmersdorf
Pomplun, Kurt:
Altes und neues Spandau
Reicke, Ilse:
Böhmen in Berlin
Scholz, Hans:
Brandenburgische Geschichte aus
einem Urmanuskript
Stephan, Bruno:
Geschichte und Gegenwart des Bezirks Wedding
Waetzold, Stephan:
Die Zukunft der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Winkelmann, Otto:
Weibliche Krankenpflege 1870/71
12
41
103
335
157
103
157
40
191
306
307
190
91
66
279
267
91
158
39
80
117
144
127
125
26
205
268
365
156
56
281
126
156
93
42
142
115
103
11
66
IV.
Nachrichten
Jahreshauptversammlungen:
66, 115, 175, 240,
335
Veranstaltungskalender:
16, 32, 48, 60, 72, 84, 96, 108, 120,
132, 148, 164, 180, 196, 212, 228,
248, 272, 292, 316, 344,
372
Kleine Mitteilungen:
1, 16, 32, 48, 60, 72, 84, 93, 96,
108, 120, 131, 147, 160, 162, 190,
196, 221, 241, 269, 281, 288, 307,
336,
Allgemeine Personalien:
48, 60, 108, 120, 131, 146, 159,
191, 194, 206, 221, 226, 242, 248,
269, 270, 282, 288, 315, 336,
Neue Mitglieder:
119, 132, 147, 163, 178, 194, 211,
226, 246, 271, 289, 314, 343,
366
344
370
67
V.
143
157
/ / / . Berichte über Besichtigungen und
Führungen:
Berliner Philharmonie
Berliner Post- und Fernmeldemuseum
Evangelisches Johannisstift
Fontane-Feier
Fontane-Feier: Kranzniederlegung . .
Friedenau
Geheimes Staatsarchiv
Gipsformerei der Staatl. Museen . . . .
Humboldt-Feier, Alexander v
Insel Scharfenberg
Institut für Gärungsgewerbe
Kupferstichkabinett
Landesbildstelle
Lübars und Tegel
Meierei C. Bolle
Schultheiss-Brauerei
Spandauer Zitadelle
Staatliche Porzellan-Manufaktur . . . .
Stolpe und seine Stüler-Kirche
Studienfahrten: Einbeck
Lüneburg
Hameln
Verlagshaus Axel Springer
Wilhelm-Foerster-Sternwarte
Zehn Jahre neue Vereinsbibliothek . .
159
92
Nachrufe:
Bruno Harms
Fritz Härtung
Egon Jameson
Bernhard Kroesing
Hans Lohmeyer
Lilly Moritz '
Johannes Müller
Carl Nagel
VI. Literaturhinweise:
121
146
308
132
159
270
146
60
13,
30
III
VII.
Buchbesprechungen:
14, 31, 42, 57, 68, 82, 94, 104, 117,
128, 145, 160, 177, 191, 206, 221,
242, 282, 309, 336,
VIII.
Abbildungen:
Portraits:
Agthe, Curt
Beuth, Peter Christian Wilhelm . .
Bilse, Benjamin
150,
Eosander, Frhr. v. Göthe, Johann
Friedrich
Fontane, Theodor
Graefe, Albrecht
324, 326, 328,
— Carl Ferdinand
— Wanda
Harms, Bruno
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich . .
Hosemann, Theodor
Humboldt, Alexander v
— Wilhelm v
Medding, Franz
150,
Meyder, Karl
Ranke, Leopold v
Sophie Charlotte, Königin
Süssmilch, Johann Peter
Schadow, Johann Gottfried
Schleiermacher, Friedrich
Daniel
Ernst
Zelter, Carl Friedrich
Gebäude, Denkmäler:
Apotheke in Bethanien
Berliner Rathaus, Altes
Charlottenburger Schloß
Fontane-Denkmal
IV
366
63,
171
188
165
273
249
331
300
301
121
317
140
229
109
165
150
345
197
133
21
181
213
253
65
90
266
Graefe, Klinik
297,
— Villa Finkenherd 293, 298, 332,
— Grabmal
Hansaviertel
Lindenrolle
7,
Lübars um 1850
Märkisches Ufer
Marienkirche und Neptunbrunnen
Moabit: Karte v. 1833
Moabiter Brücke
200,
Moehsen-Grabmal
Monbijou, Schloß
Pasewaldt, Erbbraukruggut
Pfaueninsel, Jagdschirm auf der . . .
Schleiermacher, Grabmal
Wasserreservoir auf dem Windmühlenberg
Wasserturm Germania, ehem. . . .
Wasserwerk Stralauer Allee
Weissbierlokal des Gastwirts Buberitz
Sachfotos u. ä.:
Denkmünze zur Belohnung f. Kunst
und Wissenschaft
Devrient, Ludwig (Rollenbild, 1827)
Fontane-Manuskript (Prolog 25Jahrfeier des Vereins, 1890) . .
Geburtstagsständchen der Familie
Zelter (Zeichn. Schadow, 1804)
Gedenkblatt zum 4000. Konzert im
Konzerthaus (Medding, 1887)
Graefe, Geburtsanzeige 1828 . . . .
Humboldt-Feier 1969 (Pressefoto)
Menzel-Manuskript (Nachruf Krigar, 1880)
Pferdebahn (Berlin-Buchholz)
Waschfrau, die alte (Fontane) . . . .
Namensregister
327
333
300
294
24
155
277
278
200
201
18
276
138
101
184
235
237
233
262
204
359
250
217
150
323
280
10
357
261
373 — 382
Ratsbibliothek
Factabt, der Berliner StadtbibliotbA
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Nr. 1
Juli-September 1965
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90
Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinisches». 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
Die Mitteilungen in neuer Folge
Mit dem vorliegenden Heft werden die Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, die von 1884 bis 1943 in regelmäßigen Abständen unseren Mitgliedern und Freunden sowie den mit uns im Austauschverkehr stehenden Geschichtsvereinen, Bibliotheken und ähnlichen Instituten zugestellt wurden, in neuer
Folge herausgegeben. Sie werden kürzere wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte
Berlins, sowie Berichte über die Vorträge, Veranstaltungen und die sonstige Tätigkeit
des Vereins enthalten, wie es in den 60 Jahrgängen der alten Reihe Tradition geworden war. Allen Beteiligten sollen sie ein lebendiges Bild von der Arbeit und dem
Wirken des Vereins vermitteln. Sie werden dazu beitragen, das Band zwischen dem
Verein und seinen Mitgliedern in Berlin und den auswärtigen Mitgliedern und
Freunden unserer Stadt im In- und Auslande weitgehend zu pflegen und zu festigen.
Die gesammelten Jahrgänge der Mitteilungen sollen, wie in der Vergangenheit,
eine Jahresübersicht über die wissenschaftlichen Leistungen und die praktische Arbeit
des Vereins vermitteln. Die Mitteilungen der früheren Jahrzehnte waren ein Bestandteil der Geschichtsschreibung unserer Stadt. Sie haben hervorragende Bedeutung
als Quellenmaterial für die Geschichtskunde Berlins erlangt. Es wird das Bestreben
des Vorstandes und der Schriftleitung sein, an die Tradition anzuknüpfen und in
der Zukunft die Kultur- und Erinnerungsstätten Alt-Berlins in den Kreis der Berichterstattung über die mehr als 700jährige Geschichte unserer Stadt wieder einzubeziehen.
Bei diesem Vorhaben bitten wir unsere Mitglieder und Freunde uns zu unterstützen.
Der Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
gegründet 1865
Prof. Dr. Dr. Bruno Harms
Vorsitzender
Das Panorama der Straße Unter den Linden vom Jahre 1820
Erster Teil
Von Hans-Werner Klünner
Einem unbekannten Zeichner verdanken wir die älteste Gesamtansicht unserer
Straße „Unter den Linden". Am 18. November 1820 kündigte die Haude- und
Spenersche Zeitung das Erscheinen des Bildstreifens mit folgender Anzeige an:
„Panorama vom Königl. Schloß bis zum Brandenburger Thore, auf der e i n e n
— eben so vom Dom bis dahin auf der a n d e r n Seite, jedes Gebäude, die
Perspektive der Querstraßen, die Nummern, Abzeichnungen und Benennungen
der größeren Gebäude — genau angegeben. Diese fortlaufenden Darstellungen
beider Seiten der Linden, welche das Brandenburger Thor schließt, sind verschiedentlich durch Figuren, Truppen, Reuter, Wagen usw. usw. und was sonst
noch im täglichen Leben sich daselbst regt und bewegt, mannigfaltig staffln,
und gewährt Einheimischen sowohl als Fremden eine angenehme täuschende Ansicht. Dasselbe ist auch in kleinen Camera obscura anzuwenden. Jede Seite ist
von 12Vs Fuß (3,92 m, d. V.) Länge, fast 4 Zoll (10 cm) Höhe in lackirter
Kapsel zum Aufrollen, schwarz zu 4 Thlr., illuminirt 9 Thlr., — und sind
jederzeit — gegen postfreie Bestellung und 6 Gr. pro Emballage — zu haben in
J a c o b i's Kunsthandlung, Linden Nr. 35".
Es scheint, als ob der für jene Zeit hohe Preis — vier Taler erhielt z. B. ein
Lohndiener für sechs Tage an Entgelt — dem Lindenfries keine allzu weite Verbreitung verschafft hat. Er war so gut wie unbekannt, als unser Verein ihn in seiner
Zeitschrift (Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 25. Jahrgang 1908,
Heft 4 Seite 72 ff. und Heft 5 Seite 136 ff.) erstmalig abdruckte und dadurch
einer weiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Als Vorlage für die Reproduktion
diente das Exemplar aus der Privatsammlung des Kunsthändlers Meder — Amsler
& Ruthardt.
Das Original dieser Lindenrolle — wie sie meistens genannt wird —, erwarb das
Märkische Museum noch kurz vor der Eröffnung des Neubaues am 10. Juni 1908.
Von diesem Stück wurde 1938 ein Faksimile angefertigt, welches jetzt im Besitz des
Landesamtes für Denkmalpflege ist. Ein anderes Exemplar der Lindenrolle kam 1912
bei Henrici zur Versteigerung, wobei es den Rekordpreis von 2850 Mark erzielte.
Als Wiederholung des Abdruckes in den Mitteilungen unseres Vereins veröffentlichte Erdmann Graeser unter dem Titel „Das alte Berlin" 1929 den Lindenfries noch einmal in Buchform, allerdings mit der falschen Datierung in das Jahr
1822. Schon 1923 hatte Bogdan Krieger in seinem Werk „Berlin im Wandel der
Zeiten" einen Teil der Lindenrolle ohne die anschließenden Plätze in verkleinertem
Maßstab abgebildet und zum Teil erläutert. Schließlich erschien noch eine verkleinerte Gesamtabbildung des Lindenfrieses in einer achtseitigen Werbeschrift des
„Berliner Lokal-Anzeigers" im Sommer 1937. Weitere vollständige Abdrucke konnten nicht festgestellt werden. Der dem Buch von Claus Siebenborn „Unter den Linden 1647—1947" beigegebene Bildstreifen zeigt nicht die Lindenrolle von 1820, sondern ein späteres Panorama aus der Zeit um 1840.
2
Da die Lindenrolle — vergleichbar mit der fotografischen Momentaufnahme —
nur einen Augenblick aus der Geschichte festhält, soll der folgende Überblick die
Gesamtentwicklung der Straße verdeutlichen.
1647 wird auf Befehl des Kurfürsten Friedrich Wilhelm eine 250 Ruten lange
„Gallerie" aus sechs Reihen Linden- und Nußbäumen als Verbindung zwischen
Schloß und Tiergarten gepflanzt. Diese „Gallerie" oder „Plantage" erstreckte
sich bis zur heutigen Schadowstraße.
1658 beginnt der Bau der neuen Befestigung, bei dem ein Teil der Lindenallee
— zwischen Schloßbrücke und Universität — wieder abgeholzt wird.
1673 am 23. Oktober beginnt die Anlegung der Neustadt neben dem Friedrichswerder, nach dem Plan des Ingenieurs Biesendorf. Die südliche Begrenzung bildet
die Lindenallee von 1647, deren Nordseite anfangs den Namen „Erste Reihe"
trägt. Seit 1676 wird die Neustadt „Dorotheenstadt" genannt.
1678 wird die Südseite der Linden zur Bebauung freigegeben; sie heißt zuerst
Friedrichstadt und wird erst 1681 zur Dorotheenstadt gelegt.
1681 beginnt im August der Bau der Umwallung der Dorotheenstadt im Zuge
der Behren- und Schadowstraße.
1691 fertigt Johann Stridbeck seine Aquarelle von Berlin. Danach ist die Lindenallee vierreihig, während sie auf dem La Vigneschen Plan von 1685 noch
sechsreihig ist; schon 1699 soll sie — nach Nicolai — wieder sechsreihig gewesen sein.
1712 erhalten die Hausbesitzer der Südseite den Wall im Zuge der Behrenstraße zur
Vergrößerung ihrer Grundstücke geschenkt; sie müssen ihn aber auf eigene
Kosten abtragen und mit der gewonnenen Erde den Graben zuschütten.
1734 wird die Dorotheenstadt nach Westen erweitert. Die Linden werden verlängert und das Quarree — Pariser Platz — entsteht mit dem Brandenburger
Tor. Die neugewonnenen Grundstücke werden in den folgenden Jahren durch
Adelspersonen und wohlhabende Bürger mit palaisähnlichen Wohnhäusern
bebaut.
1741 läßt Friedrich IL die Festungswälle am Neustädtischen Tor planieren und auf
dem freiwerdenden Raum durch Knobelsdorff das Opernhaus erbauen.
1748 beginnt der Bau des Palais für den Prinzen Heinrich gegenüber dem Opernhaus. Die Fertigstellung zieht sich bis 1766 hin. Nachdem Hedwigskirche und
Bibliothek vollendet sind, ist die Verbindung zwischen Linden und Lustgarten
im wesentlichen vollendet.
1771—1776 läßt Friedrich der Große hier 44 alte Häuser abbrechen und nach
Rissen von Unger und Boumann der Ältere 33 neue Häuser bauen.
1788 wird das alte Brandenburger Tor abgebrochen und nach dem Entwurf von Carl
Gotthard Langhans das noch jetzt stehende Tor erbaut, das einschließlich der
Quadriga 1794 vollendet ist.
1798 erhält die Mittelpromenade anstelle der bisherigen hölzernen Barrieren neue
Einfassungen nach D. Gillys Entwurf. Sie bestehen aus in Sandsteinpfeilern
verankerten Eisenstangen. Auch neue Laternen für die ölbeleuchtung werden
aufgestellt.
3
1806 am 27. Oktober zieht Napoleon als erster durch das Brandenburger Tor in
Berlin ein; im Dezember wird die Quadriga herabgenommen und nach Paris
geschafft.
1814 am 7. August zieht König Friedrich Wilhelm III. an der Spitze seiner Truppen
in Berlin ein, wobei die zurückgeholte Quadriga enthüllt wird. Am 15. September wird das Quarree in Pariser Platz umbenannt.
1826 am 19. September werden die Linden als erste Straße Berlins mit Gas beleuchtet.
1846 wird Berlins erste Pferdeomnibuslinie Alexanderplatz — Unter den Linden —
Bendlerstraße eingerichtet.
1851 am 31. Mai wird das von Christian Daniel Rauch geschaffene Denkmal Friedrichs des Großen feierlich enthüllt.
1878 erhalten nach Abschluß der Kanalisationsarbeiten die Fahrdämme der Linden
eine neue Pflasterung. Das noch aus dem Anfang des Jahrhunderts stammende
runde Katzenkopfpflaster wird auf der Nordseite durch Granitwürfelpflaster
ersetzt, während
1880 die Südseite mit Ausnahme des Teiles vor dem Palais des Kaisers asphaltiert
wird. Der Pariser Platz erhält ebenfalls neues Pflaster und die seitlichen
Schmuckflächen mit den Springbrunnen.
1888 am 30. August wird die elektrische Beleuchtung der Linden in Betrieb genommen. Die Kandelaber entwarf Prof. Schupmann.
1902 werden die beiden äußeren — die Reitwege neben der Mittelpromenade einfassenden — Baumreihen beseitigt, der südliche Fahrdamm um den Reitweg
verbreitert, während der nördliche Reitweg beibehalten, aber von 7,5 m auf 4 m
verschmälert wird. Nachdem die Bürgersteige um 3 m auf der belebteren
Südseite, und 2,5 m auf der Nordseite verbreitert wurden, konnten hier wieder
neue Lindenbäume gepflanzt werden. Auf der Mittelpromenade werden 66
neue — nach dem Entwurf des Geheimen Baurates Emmerich gefertigt — Sitzbänke aufgestellt.
1911 erhält der Opernplatz den Namen Kaiser-Franz-Joseph-Platz.
1914 am 31. Juli wird vor dem Friedrichsdenkmal der Kriegszustand verkündet.
1916 im Dezember wird der Lindentunnel für die Straßenbahn fertig.
1922 wird auch der nördliche Reitweg entfernt und an seiner Stelle Blumenanlagen
geschaffen.
1927—1928 werden wegen des starken Automobilverkehrs vor dem Opernhaus
Schutzinseln als Parkplätze angelegt und auf beiden Fahrbahnen der Richtungsverkehr eingeführt.
1934 im Dezember ist der Baubeginn für den Tunnel der Nord-Süd-S-Bahn zwischen Pariser Platz und Neustädtischer Kirchstraße. Die Inbetriebnahme der
Teilstrecke Unter den Linden — Stettiner Bahnhof erfolgte am 28. Juli 1936.
4
1936 am 7. Mai beginnt die Neupflanzung von ca. 350 holsteinischen Silberlinden
als Ersatz für die 1935 bei der erneuten Fahrdammverbreiterung entfernten
alten Bäume. Zur gleichen Zeit werden die jetzt noch vorhandenen Laternen
aufgestellt.
1937 werden die Hausnummern geändert. Die Zählung beginnt jetzt an der Schloßbrücke, links mit der Kommandantur als Nr. 1 und rechts mit dem Zeughaus
als Nr. 2, fortlaufend bis zum Pariser Platz, mit dem Hotel Adlon als Nr. 77
und der Länderbank als Nr. 82. Der Pariser Platz behält seine alte Numerierung.
1941 am 9./10. April fallen die ersten Bomben auf die Linden, dabei wird das
Opernhaus getroffen und brennt aus. Wiederhergestellt und am 7. Dezember
1942 eröffnet, wird es am 3. Februar 1945 mit vielen anderen Gebäuden der
Straße durch Brand- und Sprengbomben wiederum schwer beschädigt.
1945 nach der Kapitulation sind die Linden ein Trümmerhaufen. Die letzten noch
unversehrten Häuser werden Ende April beim Kampf um das Regierungsviertel zerstört oder schwer beschädigt.
1965 ist der Wiederaufbau der Linden bis zur Wilhelmstraße im Wesentlichen vollendet. Von den 64 Gebäuden zwischen Pariser Platz und Universität sind nur
13 erhalten geblieben, davon kein auf der Lindenrolle abgebildetes.
An keiner Stelle des damaligen Berlin konnte der Zeichner die Vielfalt des
Lebens und Treibens einer Straße besser beobachten, als gerade ,Unter den Linden'.
Die Straße begann sich in jenen Jahren von der kleinbürgerlichen Wohn- zur offiziellen Repräsentationsstraße zu wandeln. Der Wohnsitz des Königs im Palais gegenüber dem Zeughaus und die beginnende Konzentration der Behörden im Umkreis
der Linden, ließen diese zum Sammelpunkt des öffentlichen Lebens werden. Hinzu
kam noch die Funktion als Verbindungsstraße zur Sommerresidenz Charlottenburg
und Hauptzugang zum damals einzigen Park Berlins, dem Tiergarten. Außerdem
waren die Linden die einzige Straße mit einer Mittelpromenade, und mit ihren
Ruhebänken der ideale und kostenlose Treffpunkt für Arm und Reich. Unser Zeichner hat das pulsierende Leben der Straße rührend getreu wiedergegeben. So erblickt
man z. B. Spaziergänger, Liebespaare, debattierende Studenten, Kinder, welche mit
Fahne und Trommel Soldat spielen, Kürassiere zu Fuß, Personen des ,dienenden
Standes', Müßiggänger, Mütter mit Kindern, einen Trauerzug, bestehend aus acht
Kutschen und dem vierspännigen Leichenwagen, einen Sprengwagen, Kavalleristen,
marschierende Soldaten, Kutschen und vieles andere. Da es einen vom Fahrdamm
getrennten Bürgersteig im heutigen Sinne noch nicht gab — erst nach 1825 begann
man allmählich mit dem Legen von Trottoirs — bewegten sich Fahrzeuge und Fußgänger munter durcheinander.
Kurz vor 1820 wurden die beiden äußeren Baumreihen vor den Häusern beseitigt, so daß nur die vier, den Mittelstreifen und die Reitwege einfassenden Baumreihen verblieben. So erklärt sich auch die gute Sicht — der Standpunkt des Zeichners war die Mittelpromenade — auf die Fassaden der Häuser. Deutlich zeigt sich
5
aber auch der Gegensatz zwischen den belebten Linden mit ihrer Breite von 60,4 m
und der Weite des doppelt so breiten Pariser Platzes.
Die Lindenrolle zeigt den Platz noch umstanden von dem gleichmäßig hohen,
zweigeschossigen Barockpalais aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. Das Haus N r . 1
südlich neben dem Brandenburger Tor, gehörte 1820 dem Major von Stanckar, Nr. 2
der Witwe des 1819 verstorbenen „Marschall Vorwärts" der Freiheitskriege, Fürsten
Blücher. Beide Häuser wurden ursprünglich zusammen 1736 auf einem Grundstück
für den Grafen von Wartensleben erbaut. Anstelle des Blücherschen Palais entstand
1869—71 durch Carl Richter ein Neubau. Vor dem ersten Weltkrieg wohnte hier
als Mieter Fürst Guido Henckel von Donnnersmarck, der Gründer Frohnaus. Von
1939—45 war das Haus Sitz der Botschaft der Vereinigten Staaten. Das Nachbarhaus, Nr. 3, ließ sich 1737 der Geheimrat und Hofmarschall Johann Georg von
Geuder zu Rabenstein erbauen. 1792 kaufte es der General von Rohdich und bestimmte es kurz vor seinem Tode 1796 zum Legat für die Erziehung von Kindern
der Angehörigen des Grenadier-Garde-Bataillons. Seit 1810 war es im Besitz der
Traditionstruppe, dem 1. Garde-Regiment zu Fuß. 1820 wohnte der große Rechtslehrer Friedrich Karl von Savigny im Haus und von 1849 bis 1877 war hier die
Dienstwohnung des Generals von Wrangel als Oberbefehlshaber in den Marken und
Kommandierendem General des III. Armeekorps. Nach dessen Tod wurde es abgerissen und von den Architekten Kosemann und Jacob von 1878—80 ein Neubau errichtet. Einer der bekanntesten Mieter war wohl die feudale Casino-Gesellschaft, die
bis 1931 im Erdgeschoß ihre Räume hatte. Zuletzt war das Haus Reichsministerium
für Bewaffnung und Munition. N r . 4 war 1820 im Besitz der Gräfin Friederike
von Waidenburg, geb. Wichmann, einer Lebensgefährtin des Prinzen August von
Preußen. Sie war die Schwester der Bildhauer Karl und Ludwig Wichmann. Eduard
Knoblauch baute das Haus 1858 für den Grafen Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg um. 1906 kaufte es der Staat für die Akademie der Künste an, die 1907
nach einem Umbau durch Ihne hier einzog. Die Ostseite des Pariser Platzes wird
vom Haus Unter den Linden Nr. 1 gebildet. Von Johann Friedrich Grael 1736
für den Grafen Kameke erbaut, war es seit 1798 im Besitz des Grafen von Redern.
Für dessen Sohn Wilhelm, der seit 1828 Intendant der Königlichen Schauspiele war,
baute Schinkel das Haus um. Der 1833 vollendete Umbau und die Aufstockung des
alten Palais war der Auftakt für die weitere Veränderung der Fronten des Pariser
Platzes, die sich wieder an dem durch Schinkel gegebenen Vorbild orientierten. Von
1905—07 wurde anstelle des Redernschen Palais durch Gause und Leibnitz mit
einem Kostenaufwand von über 17 Millionen Mark das Hotel Adlon erbaut.
Rederns Nachbarin in Nr, 2 war 1820 die Witwe des Kammerherrn von Berg,
die auch ein altes Haus aus dem Jahre 1735 bewohnte. Bis zur Zerstörung blieb es
in der Form — mit der schönen Loggia im zweiten Stock — die ihm Ende und
Böckmann beim Umbau 1868 gaben. Das Haus Nr. 3, an der Ostecke der Wilhelmstraße gehörte 1820 dem Oberjägermeister Grafen Moltke. Um 1840 modernisiert
und aufgestockt, erhielt es sich — lange Zeit als Hotel Royal das führende Haus in
Berlin — bis zur Zerstörung. Im ,Royal' stiegen vorzugsweise Fürsten und Diplomaten ab, z. B. hatte 1860 der französische Botschafter hier sein Quartier. Auf einem
Trennstück von Nr. 3 wurde um 1800 das Haus Nr. 3 a erbaut.
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Eines der größten der Straße war mit seinen ursprünglich 21 Fenstern Front das
Haus Nr. 4. Um 1735 für den Kammerpräsidenten v. d. Osten gebaut, war es 1820
im Besitz des Branntweinbrenners Moritz. Nach 1830 erwarb es der Herzog Ernst
August von Cumberland — seit 1837 König von Hannover. Von diesem kaufte es 1849
der preußische Staat als Dienstgebäude für das Kultusministerium. Das alte Palais
wurde 1883 durch einen Neubau ersetzt, der, mehrfach erweitert, bis zur Zerstörung
Sitz des Ministeriums blieb. Heute befindet sich auf den Grundstücken Nr. 3, 3 a und
4 — neue Nr. 69—73 — der Neubau des östlichen Ministeriums für Volksbildung.
Von Nr. 4 wurde um 1800 ein Flügel mit fünf Fenstern Front abgebrochen und
mit dem dreigeschossigen Wohnhaus Nr. 4 a bebaut. Dieses war 1820 im Besitz des
Generalmajors von Schoeler. In diesem Haus wohnte Karl Friedrich Schinkel von
1821—36. Jetzt steht hier ein 1908 errichtetes Geschäftshaus mit der von der Stadt
Berlin zur Erinnerung an den großen Baumeister gestifteten Gedenktafel. Ebenfalls
aus der Zeit um 1735 stammen die Häuser Nr. 5 und 6, 1820 dem Medizinal-Rat
Dr. Richter und der Generalswitwe v. Rietz gehörend. Anstelle der alten Häuser
wurde 1891 und 1899 von Gause das Hotel Bristol erbaut. Es galt unter seinem
Besitzer Konrad Uhl als das vornehmste Hotel Berlins, mußte diesen Rang aber
später dem ,Adlon' abtreten.
Das langgestreckte Barockpalais Nr. 7 gehörte 1820 der Prinzessin von Kurland.
Im Januar 1837 kaufte es der Schwiegersohn des Königs, Zar Nikolaus I. Von
Eduard Knoblauch wurde es 1840 umgebaut. Bis 1918 immer Privateigentum des
Zaren, war es gleichzeitig Sitz der Russischen Botschaft. Nach dem zweiten Weltkriege entstand anstelle des alten Hauses und auf den Nachbargrundstücken Nr. 5/6
und 8—11 (neue Nr. 55—65) der Mammutbau der neuen Botschaft der UdSSR.
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Nr. 8 und 9 sind zwei bescheidene Häuser aus der Anfangszeit der Straße.
1820 gehörte Nr. 8 dem Konditor Fuchs. Für seine berühmte Konditorei entwarf
Stüler 1834 eine neue Innenausstattung. Nicht ausgeschlossen ist, daß der 1825
erfolgte Umbau nach Plänen Schinkels erfolgte. Nr. 9 ging in die Literaturgeschichte
ein als Vorbild zu E. T. A. Hoffmanns Novelle „Das öde Haus". Es gehörte 1820
der Majorin v. Arnim. 1826 wurde beim Neubau des Hauses die Kleine Mauerstraße über das Grundstück gelegt. Die Häuser Nr. 10, 11 und 12 sind Immediatbauten Friedrichs des Großen. Nr. 11 stand bis 1945. Es wurde 1772 für den
Hauptmann von Vigneule erbaut. Besitzer von Nr. 12 war 1820 der Staats- und
Schatzminister Graf Karl von Lottum. Die Herrenschneiderei Fasskessel 8c Müntmann
ließ 1890 hier durch H. Grisebach ein neues Geschäftshaus errichten. Bis in unsere
Tage standen, in der Fassade modernisiert, Immediatbauten Nr. 14 und 15. Nr. 14
gehörte 1820 dem Geheimrat Bertram, 1920 befand sich hier das Kabarett „Die
Fledermaus". Nr. 16, der Gräfin von Schmettow gehörend, war damals ebenso wie
Nr. 13 schon 100 Jahre alt. Der 1911 durch Hans Jessen errichtete Neubau des
Bankhauses Bleichröder war bereits das dritte Gebäude an dessen Stelle. Ein besonders großes Grundstück, Nr. 17/18 mit einem Doppelhaus — ebenfalls ein Immediatbau — besaß 1820 der Ingenieur-Kapitän Blesson. Es verschwand 1892 zugunsten
der Baugruppe des Hotels Westminster und des Theaters Unter den Linden, das
allerdings in der Behrenstraße lag. Wir kennen es als Metropol-Theater bzw. nach
dem Kriege als Komische Oper.
Auch die auf der Lindenrolle abgebildeten Häuser Nr. 19—21 waren bis 1945
erhalten. Nr. 19 gehörte dem Bankier Louis Berend, Nr. 20 einem Handwerker und
Nr. 21, eines der schönsten Häuser der Linden, dem Buchhändler Christiani. Schon
in der zweiten Fassung des Schultzschen Planes von 1688 wird das Grundstück als
bebaut angegeben. Seine auf der Lindenrolle gezeigte Fassade erhielt das Haus 1789
als Immediatbau für den Generalmajor von Tempelhoff. 1834 kaufte es Graf Raczynski, der schon in diesem Hause seine Gemälde-Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machte. Von den Mietern seien nur das Cafe Opera, das Linden-Kasino
und der 1903 gegründete Bühnenclub genannt. Zuletzt hatte hier der ,Werberat der
Deutschen Wirtschaft' seinen Sitz.
Eines der populärsten Gebäude des Vorkriegs-Berlin war die 1869—73 von
Kyllmann und Heyden erbaute Passage. Aus der Reihe der Erinnerungen seien nur
das Passage-Panoptikum, Kunstmaler Fischer, Cafe Keck und das Linden-Kabarett
genannt. Von den 1820 hier stehenden Häusern war Nr. 22 im Besitz des Schneidermeisters Baumann und Nr. 23 im Besitz des Hof-Traiteurs Jagor. Sein Restaurant gehörte seinerzeit zu den führenden in Berlin. Hier war später des Mesersche
Tanzlokal, in dessen Saal unser Verein im Januar 1866 seine erste Jahresversammlung abhielt. Auch die Modezeitschrift ,Bazar' hatte einige Jahre ihre Redaktion im
Jagorschen Hause, während ihr Besitzer, Louis Schäffer-Voit, im Hause Nr. 21
wohnte, das ihm von 1866 bis 1888 gehörte. An ihn erinnert noch der Park seines
Schlosses Ruhwald in Westend.
Das 1763 erbaute Haus Nr. 23 hatte schon als Gasthof ,Zur Sonne' eine höhere
Weihe erhalten: Goethe wohnte hier bei seinem Berlin-Besuch im Mai 1778, und
Schiller im Mai 1804, als das Gasthaus .Russischer H o f hieß.
8
Adolph Menzel — 1815 - 1905 —
Ausstellung des Berlin-Museums im Haus am Tiergarten
anläßlich seines 150. Geburtstages
Nachdem das Berlin-Museum sein erstes Heim, das im Bezirk Tiergarten in der
früheren Bendler- und heutigen Stauffenbergstraße 41 gelegene „Haus am Tiergarten" Ostern 1965 mit einer Chodowiecki-Ausstellung eröffnet hatte, hat es seine
jetzige Ausstellung Adolph von Menzel zu seinem 150. Geburtstag gewidmet. Diese
ist von Dr. Heinrich Brauer, dem Leiter der Nationalgalerie Berlin und Dr. Irmgard Wirth vom Landesamt für Denkmalspflege und Mitglied im Beirat des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin-Museums in vorbildlicher Weise zusammengestellt worden. Zur Besichtigung der Ausstellung unter fachkundiger Führung
hatten sich zahlreiche Mitglieder des Vereins für die Geschichte Berlins am 19. Juni
1965 eingefunden.
Die wie ein Wunder inmitten des völlig zerstörten Tiergartenviertels unversehrt gebliebene Villa, die, von dem Berliner Baumeister Richard Wolffenstein 1907
erbaut, von 1909 bis 1940 dem Baron von Gontard gehörte, bietet einen würdigen
und geschmackvollen Rahmen für diese mit viel Mühe zusammengetragene Ausstellung, die einen guten Überblick über die künstlerische Entwicklung und die außerordentliche Vielseitigkeit Menzels bietet und die bereits vorher in London und drei
weiteren Städten Englands mit großem Erfolg gezeigt worden ist.
Menzel ist, obwohl aus Breslau gebürtig (8. Dezember 1815), durch die bereits
mit 15 Jahren erfolgte Übersiedlung in die Preußische Hauptstadt, der er seine
künstlerische Entwicklung verdankt, aus dem künstlerischen Leben und der Geschichte Berlins nicht mehr wegzudenken. In den frühen lithographischen Arbeiten
Menzels zeigt sich noch stark seine Herkunft von der Graphik, die er in der lithographischen Anstalt seines Vaters gelernt hatte. Hier seien seine bekannten etwa
300 Holzstiche erwähnt, die er im Auftrage des Historikers Franz Kugler zu
dessen Werk „Geschichte Friedrichs des Großen" ausgeführt hat (1840). Erst allmählich beginnt der Durchbruch zu eigenem künstlerischen Schaffen und zur farbigen
Technik mit breitem Pinsel.
Es folgen jetzt Aufträge des Königs, z. B. das in dessen Auftrage ausgeführte
Gemälde der im Jahre 1861 erfolgten Krönung Wilhelms I. in Königsberg.
Erwähnenswert sind auch die weniger bekannten Kostümstudien, die Tierund Pflanzenstudien, die durch besondere Zartheit und Feinheit auffallen, vor
allem die Wildtauben-Studien und die Canna-Stauden. Man lernt Menzel aber auch
als Schöpfer der verschiedenartigsten Porträts und Porträtskizzen in den verschiedensten Techniken kennen, sei es beispielsweise das durch seine besonders schönen
Farben hervorstechende Bild der Prinzessin Amalie oder das Porträt des berühmten
Geigers Joseph Joachim. Beides sind Ölgemälde, aber daneben zeugen Zeichnungen
von Szenen und Typen, aus dem täglichen Leben gegriffen und von besonderer
Lebendigkeit, für die Vielseitigkeit seines Schaffens. Neben Selbstbildnissen, Bildnissen seiner Geschwister sowie von Menschen des öffentlichen Lebens, von Prinzen,
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Künstlern und Gelehrten, wie das des General- und Leibarztes Dr. v. Lauer oder
des Physiologen Emil du Bois-Reymond, sieht man so lebendige Kompositionen wie
das Bild der „Badenden Kinder" voll Farbe und Lebensfreude.
Nicht unbeachtet darf bleiben die Erfassung eines damals für die deutsche
Malerei noch völlig neuen Stoffes durch Menzels bedeutende Arbeiten über das
Eisenwalzwerk in Königshütte/Oberschlesien, von denen die Ausstellung einige
charakteristische Einzelstudien bietet.
Landschaften wie aus der Gegend von Kassel und Marburg wechseln ab mit
Interieurs, die aufs schönste zeigen, wie genau Menzel auch die Architektur und die
Atmosphäre beispielsweise einer Kirche wiedergeben konnte, wie die der Klosterkirche in Riddagshausen bei Braunschweig oder der Elisabethkirche in Marburg.
Den Abschluß der Ausstellung bildet eine Sammlung von Handschriften Menzels
aus verschiedenen Lebensjahren. Als interessantestes und wertvollstes Stück hiervon
sei der handschriftliche Nekrolog auf seinen Schwager, den Kgl. Musikdirektor
Hermann Krigar, hervorgehoben. Eine Seite hiervon ist in Photokopie angefügt, auf
der Menzel wohl als erster auf die musikalische Bedeutung des tschechischen Komponisten Anton Dvorak hinweist.
J. L.
Böhmen in Berlin
Am 24. November 1964 hielt Frau Dr. Ilse Reicke, die Tochter des bekannten
früheren Berliner Bürgermeisters Dr. Reicke, einen Vortrag über „Böhmen in Berlin".
Sie ging von der Zeit Kaiser Karls IV. aus, der wohl die frühesten Verbindungen
zwischen Böhmen und der Mark Brandenburg geschaffen hat und dessen märkische
Residenz Tangermünde war. Die Vortragende erwähnte dabei die Zeit, da die
„böhmische Küche" der Kurfürsten als die vornehmste galt. Im Mittelpunkt ihrer
Ausführungen stand die böhmische Einwanderung in Berlin unter dem Soldatenkönig, der offenbar sein Land zu „peuplieren" gedachte, wie es sein Großvater durch
Aufnahme der Hugenotten so erfolgreich getan hatte, und der später selbst auch die
Salzburger Protestanten nach Preußen holte. Das im Weltkrieg unversehrt gebliebene
Bronzedenkmal Friedrich Wilhelms L, von den dankbaren Nachfahren der böhmischen Ankömmlinge errichtet, legt noch heute im böhmischen Viertel von Rixdorf
— das heute Neukölln heißt — Zeugnis ab von jenem böhmischen Zustrom und
Einfluß auf die preußische Hauptstadt. Noch heute kann man diesen Einfluß verfolgen, zum Beispiel in den drei böhmisch-reformierten Gottesdiensthäusern, in den
Personen- und Straßennamen von Neukölln und insbesondere auf seinem besonderen Gottesacker, der — gleich dem böhmischen Friedhofsgebiet neben der Gedenkbibliothek — statt Kreuz oder Gedenkstein an einem Hügel, nichts als schwere
Steinplatten auf den Gräbern trägt, schmucklose Zeichen und Bekenntnisse der
Gleichheit vor der Ewigkeit.
Emsiger Fleiß, eine gewisse puritanische Nüchternheit und soziale Hilfsbereitschaft wirkten sich fruchtbringend auf die Entwicklung des Berlinertums aus. So
manche Ausdrucksweise stammt aus dieser Zeitepoche, wie z. B. „Det kommt mir
11
böhmisch vor" — die Ankömmlinge sprachen ja zum großen Teil noch lange
tschechisch — oder „Das sind mir böhmische Dörfer", was „mir unverständlich"
bedeutet, oder „Nu aber dalli, dalli, nich so pomade" — von tschechisch dale =
schnell und po male = langsam.
Auch in den folgenden Jahrhunderten bis in unsere Zeit wirkte eine Fülle von
Menschen böhmischer Herkunft mit am künstlerischen und geistigen Leben der
Stadt: Die tschechische Opernsängerin Emmy Destinn, der aus Brunn stammende
Leo Slezak, die Bildhauer Ignatius Taschner, Franz Metzner, Hugo Lederer, der
geniale Zeichner und Porträtist bei jeder repräsentativen Veranstaltung, Professor
Emil Orlik, der geistvolle Publizist und Sprachphilosoph Fritz Mauthner — auch
einer der berühmten „Zwanglosen" —, sowie der einst als Lyriker geborene Theaterkritiker und Chefredakteur des „Berliner Börsen Courier" Emil Faktor, bis zu
Dr. Huder von der heutigen Akademie der Künste.
So darf man wohl, sechs Jahrhunderte der Entwicklung überblickend, aussprechen, daß der biologische, psychologische, künstlerische und geistige Einfluß von
Prag auf Berlin immer stärker gewesen ist als der Wiener Einfluß.
Briefe, Kulturgeschichtliche Dokumente
vom Anbeginn der Schrift bis zur Neuzeit
Tonfilmvorführung vom 19. Januar 1965
Der Tonfilm zeigte uns an Beispielen aus der Handschriftensammlung unseres
Mitgliedes Herbert Adam die kulturgeschichtliche Entwicklung des Briefes durch die
Jahrtausende. Wir sahen siebentausend Jahre alte Keilschrift-Tontafelbriefe der
Sumerer, der Erfinder der Schrift, die Bilderschrift der Ägypter auf Papyrus, Briefe
auf Tonscherben, auf Palmblättern, in Stein geritzte Runen. Von den ersten Briefen
in Deutschland wurden uns Klosterbriefe, von Nonnen geschrieben, gezeigt, aus der
italienischen Renaissance formvollendet geschriebene Briefe wie die der berühmten
Isabella d'Este, des Fiesco und des Aretino, aus der Reformationszeit die Martin
Luthers, aus dem Dreißigjährigen Krieg Briefe des Schwedenkönigs Gustav Adolf,
Wallensteins und anderer großer Heerführer. Wir sahen in Briefen von Leibnitz,
Gottsched und Geliert die Bemühungen um die Verbesserung der deutschen Sprache
und die Hebung des deutschen Briefstils, dazu erläuternd gezeigt Originalausgaben
ihrer „Sprach"- und „Briefbücher". Auch die Briefform Goethes und seiner Zeitgenossen trat an Beispielen vor unsere Augen, wie auch Briefe der Zeitgenossen der
Sturm- und Drangperiode, des Grafen Stolberg und Fouques. Die Königin Luise
eröffnete mit ihren hübschen farbigen Briefbogen den Reigen der damals in Mode
gekommenen reizvollen Blättchen der gemütvollen Biedermeierzeit. An treffenden
Beispielen wurde sichtbar, wie in unserem Jahrhundert der handgeschriebene Brief
immer mehr durch den mit Schreibmaschine geschriebenen verdrängt wurde. So
sahen wir Albert Einsteins Briefe mit seiner Hand geschrieben, bis auch ihn, den
viel beschäftigten Forscher, die ständig steigende Menge der Korrespondenz zwang,
12
die Schreibmaschine zu Hilfe zu nehmen. Als Ausklang ließ uns der Film einen
modernen Druckautomaten betrachten, wie er uns hilft, die im heutigen Wirtschaftsleben erforderlichen ständig steigenden Briefmengen zu bewältigen.
Zu Beginn des Films sahen wir den Handschriftensammler die Schriftbeispiele
auswählen, anschließend hörten wir die Übertragung seines selbstgesprochenen Kommentars. So hat uns die Filmtechnik Gelegenheit gegeben Ongma/-Dokumente zu
betrachten, die sonst nur in Museen und Archiven besichtigt werden können.
Die Kulturgeschichte des Briefes in sieben Jahrtausenden — lebendig und fesselnd gestaltet an Hand von zum Teil seltenen Originalen — ist uns in einer knappen Stunde dargeboten worden.
Neuerscheinungen
Eine vollständige Übersicht über die im Laufe des verflossenen Jahres herausgegebenen Neuerscheinungen an Literatur zur Geschichte Berlins erfolgt, wie alljährlich, im nächsten Bande des Jahrbuchs des Vereins „Der Bär von Berlin". Hier
seien aus der sehr zahlreichen Literatur nur folgende Publikationen hervorgehoben:
Berlin-Bibliographie bis 1960. Bearbeitet von Hans Zopf und Gerd Heinrich
unter Verwendung des von Waldemar Kuhn gesammelten Materials. Mit Vorwort
von Hans Herzfeld und Rainald Stromeyer, Berlin: de Gruyter 1965. X X X , 1012
Seiten mit Personen- und Sachregister. — Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.
Band 15, 1 —.
Berlin, Quellen und Dokumente 1945—1951. Zwei Halbbände, herausgegeben im
Auftrage des Senats von Berlin, bearbeitet durch Hans J.Reichardt, Hanns M. Treutier,
Albrecht Lampe vom Landesarchiv Berlin — Abteilung Zeitgeschichte. Berlin:
Heinz Spitzing Verlag 1964. 2172 Seiten mit 1175 Dokumenten.
Johannes Schultze: Die Mark Brandenburg. Vierter Band: Von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden (1535—1648). Berlin: Duncker & Humblot
1964, 322 Seiten.
Erwin Redslob: Bekenntnisse zu Berlin. Reden und Aufsätze. Berlin: StappVerlag 1964. 239 Seiten und ein Titelbild.
Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1963, herausgegeben im Auftrage
des Stiftungsrates vom Kurator der Stiftung Hans-Georg Wormit. Köln und Berlin:
G. Grotesche Verlagsbuchhandlung K. G. 1964, 256 Seiten mit 4 vierfarbigen und
40 einfarbigen Abbildungen auf Tafeln sowie zwei Textabbildungen.
Inhalt: Die Organe der Stiftung — Georg Anders: Probleme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz — Hans-Georg Wormit: Erstrebtes — Erreichtes — Erlebtes.
Die ersten beiden Arbeitsjahre der Stiftung — Leopold Reidemeister: Museum und
Öffentlichkeit — Adolf Greifenhagen: Erfahrungsbericht — Grundsätze zur
Museumsarbeit — Peter Krieger: Jugend im Museum — Herbert von Einem: Karl
Friedrich Schinkel — Georg Swarzenski: Der Weifenschatz — Irene Kühnel-Kunze:
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El Greco, Mater Dolorosa — Kurt Schreinert: Die Fontane-Neuerwerbung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz — Kurt Erdmann: Die Teppichsammlung der Berliner
Museen — Werner Kaiser: Ein neues Werk der Amarnazeit — Herbert Härtel:
Das künftige „Haus der Asiatischen Kunst" — Roger Goepper: Gedanken zum
Wiederaufbau der Ostasiatischen Kunstabteilung — Walter Gebhardt: Die Neuerwerbungen des Tübinger Depots der Staatsbibliothek 1959—1963 — Max F.
Schneider: Felix Mendelsohn Bartholdy — Herkommen und Jugendzeit in Berlin —
Arno Schönherger: Kunstgewerbe und Kunstgewerbemuseum — Stephan Waetzoldt:
Die Ornamentenstich-Sammlung der Kunstbibliothek — Lothar Pretzell: Zum Wiederaufbau des Museums für Deutsdie Volkskunde — Hans Lohmeyer: Die Sammlung der Brüder Boisseree — Hans-Georg Wormit: James Simon als Mäzen der
Berliner Museen — Kurt Krieger: Das Museum für Völkerkunde, Aspekte und
Probleme — Gerd Koch: Forschungsreise nach dem Gilbert-Archipel — Hans-Georg
Wormit: 200 Jahre Porzellanmanufaktur — Rolf Arndt: Rede zur Eröffnung der
neuen Philharmonie Berlin.
Georg Zivier: Ernst Deutsch und das deutsche Theater. Fünf Jahrzehnte deutsche Theatergeschichte. Der Lebensweg eines großen Schauspielers. Berlin: Haude
& Spener 1964. 188 Seiten, 99 Fotos auf Tafeln.
J. L.
Buchbesprechung
Jacob Jacobson, Die Judenbürgerbiicher der Stadt Berlin 1809—1851
Mit Ergänzungen für die Jahre 1791—1809. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1962. VII, 725 Seiten mit 29 Bildtafeln, gebunden 58 — D M .
( = Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim FriedrichMeinedce-Institut der Freien Universität Berlin Band 4, Quellenwerke Band 1).
Im Jahre 1962 erschien in Jerusalem — Verlag Rubin Mass — die umfangreiche Edition des Protokollbuches der Jüdischen Gemeinde Berlins von 1723 bis
1854, die Josef Meisl herausgegeben hat (LXXXII Seiten und 544 Seiten). An
diese Arbeit reiht sich würdig an die für die Geschichte Berlins und seines jüdischen
Bevölkerungsteils noch bedeutendere im gleichen Jahr erschienene Edition von
Jacob Jacobson „Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809—1851. Mit Ergänzungen für die Jahre 1791—1809". Bereits 1938 hatte Jacobson die „Jüdischen
Trauungen in Berlin 1723—1759" herausgegeben (Jos. Jastrow, Jüdischer Buchverlag Berlin 1938. 126 Seiten). Damals bereits arbeitete er seit langem an der
Sammlung des Materials für seine Publikation der Berliner Judenbürgerbücher, die
für die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Berlins wie auch für die Gesamtgeschichte
der Stadt eine einzigartige Standardquelle geworden ist. Sie läßt sichtbar werden,
welchen nicht unbeträchtlichen Platz die jüdische Gemeinde Berlins, die durch das
Edikt des Großen Kurfürsten vom 21. 5. 1671 zu neuem Leben erwacht war, an der
Entwicklung des wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und wissenschaftlichen Lebens
der „preußischen Hauptstadt" eingenommen hat. Anders als in anderen Städten
Deutschlands war sie nicht auf ein Ghetto beschränkt, sodaß sie insbesondere seit
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dem Erlaß des Emanzipationsgesetzes vom 11. 3. 1812 durch Friedrich Wilhelm III,
wonach die Juden preußische Staatsbürger werden konnten, sich schneller assimilieren
und am öffentlichen Leben der Stadt teilhaben und teilnehmen konnten. Seitdem
war der jüdische Volksteil zu einem nicht unbedeutenden Faktor des öffentlichen
Lebens geworden, bis zu seinem tragischen Ende in der nationalsozialistischen
Epoche.
Jacobson, der Leiter des Gesamtarchivs der deutschen Juden war, hat seinerzeit die heute nicht mehr erhaltenen 40 Bände Berliner Judenbürgerbücher im alten
Berliner Stadtarchiv sowie die Personenstandsregister der Berliner Jüdischen Gemeinde durchgearbeitet. In der Einleitung gibt er einen wissenschaftlich gehaltenen,
historischen Überblick über die Entwicklung der jüdischen Gemeinde in der Neuzeit,
vornehmlich seit der Emanzipation und ihrer Assimilation mit dem deutschen Bürgertum. Als erster erhielt damals der Hofbankier Daniel Itzig bereits unter dem
2. 5. 1791 sein Naturalisationspatent. Welchen Ansehens sich gerade diese Familie
erfreute, zeigt die Tatsache, daß für die spätere Königin Luise, als sie mit ihrer
Schwester 1795 von Mecklenburg-Strelitz nach Berlin kam, das Itzig'sche Haus in
der Schöneberger Hauptstraße zur Vorbereitung für ihren festlichen Einzug durch
das Brandenburger Tor ausgewählt war.
Die Publikation Jacobsons umfaßt im ersten Teil chronologische Verzeichnisse
der jüdischen Bürger mit Bürgerrecht, zunächst auf Grund des der Familie des
Daniel Itzig erteilten Naturalisationspatentes, sodann auf Grund der Städteordnung
vom 19. 11. 1808. Diese zählen insgesamt 3128 Eintragungen — Seite 51—553 —. Es
folgt ein Verzeichnis der jüdischen Bürger, deren Väter ebenfalls das Bürgerrecht
von Berlin besaßen. Der zweite Teil bringt alphabetische Verzeichnisse der in den
Judenburgerbüchern aufgeführten jüdischen Bürgern mit Angabe ihrer Geburtsorte sowie jüdischer Verwandter von jüdischen Bürgern — Seite 559—668 —. Ein geographisches Verzeichnis nach Geburtsorten schließt sich an. Daraus geht hervor, daß die
Mehrzahl dieser jüdischen Bürger aus Berlin und der Mark Brandenburg stammten;
es folgen anteilmäßig solche aus den Provinzen Posen, Westpreußen und Schlesien.
Trotz des erhöhten Zuzugs aus den Ostprovinzen hat sich jedoch der prozentuale
Anteil der Juden in der Berliner Bevölkerung nur wenig vermehrt. Das zu Westpreußen gehörige Städtchen Märkisch-Friedland weist die verhältnismäßig hohe
Zahl von 133 Zuwanderern auf. Aus dieser Stadt kamen sowohl die Familie von
Max Liebermann wie der Preußische Justizminister Heinrich von Friedberg und
der bekannte Autographensammler Joseph Stargard, unter dessen Namen die Firma
noch heute in Marburg/Lahn im Besitze der Familie Mecklenburg besteht. Aus
Prenzlau kam Moses — später Moritz — Rathenau, der Vater von Emil Rathenau,
dem Begründer der AEG, und Großvater Walter Rathenaus. — Als Ergänzung zum
Text bringt Jacobson im Anhang Reproduktionen von Schriftstücken und Porträts,
insbesondere von Bürgerbriefen und Naturalisationspatenten sowie der von Moses
Mendelssohn verfaßten Ermahnungsformel beim Judeneide.
Mit dieser mühevollen Arbeit, die der Verfasser in den zwanziger Jahren
begann und mit äußerster Sorgfalt und Zuverlässigkeit auf Grund seiner eingehenden Kenntnisse der Quellen durchgeführt hat, bis seine Einweisung in das Kon-
15
' zentrationslager Theresienstadt ihm eine Fortsetzung unmöglich machte, hat er sich
ein bleibendes Verdienst erworben, nicht zuletzt dadurch, daß er nach den schweren
Jahren bald nach 1945 in England das von seiner Familie dorthin gerettete Material
zu dieser umfangreichen Publikation zusammengestellt hat. Ein unentbehrliches
Quellenwerk ist dadurch geschaffen worden, das infolge des Verlustes der meisten
Originalquellen durch den zweiten Weltkrieg einen besonderen Wert besitzt.
J. L.
Eine kulturhistorische Ausstellung
Eine kulturhistorische Ausstellung von hohem Wert veranstaltet die „Berliner
Bank" gemeinsam mit dem uns befreundeten „Verein Berliner Münzenfreunde E. V."
in den Räumen der Depositenkasse Budapester Straße 50, an der Gedächtniskirche
unter dem Titel „Der Berliner und sein Geld". In Schaukästen und auf großen
Schautafeln vermittelt die sehenswerte Ausstellung ein eindrucksvolles Bild von der
Entwicklung des Münzwesens, der Geldscheine und anderer Zeugnisse des Geldverkehrs von den frühesten Zeiten bis zur Gegenwart. Die Ausstellung ist bei freiem
Eintritt geöffnet: von montags bis freitags von 9—20 Uhr; am Sonnabend und
Sonntag von 10—20 Uhr.
Vorankündigung für die Monate September - Dezember 1965
Für die Monate nach der Sommerpause sind folgende Vorträge und Veranstaltungen in Aussicht genommen:
Monat September: Vortrag des Herrn Dr. Gerd Heinrich, Mitarbeiter bei der
Historischen Kommission zu Berlin
Monat Oktober: Vortrag des Herrn Professor Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
Monat November:
Alfred Braun
Vortrag des Schriftstellers und Rundfunkpioniers
Herrn
Anfang Dezember: Vortrag des wissenschaftlichen Direktors des Zoologischen
Gartens, Herrn Dr. Heinz-Georg Klös
Mitte Dezember: Vorweihnachtliche Feier im Ratskeller Schöneberg
Einladungen mit Angabe des Zeitpunktes und der Vortragsthemen folgen besonders. Die Vorträge finden im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, die vorweihnachtliche Feier wie im Vorjahre im Ratskeller Schöneberg statt.
Der Vorstand
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichre Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber tu richten. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. Graphische Gestaltung: Klaus Mader, Berlin.
Katäbibliothek
Fachabt. der Berliner SiadtbibliöAafe
MITTEILUNGEN *
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 2
Oktober-Dezember 1965
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30,Ruf:847890
Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
Das Moehsen-Grabmal
Von Prof. Dr. Dr. Bruno Harms*)
Eins der schönsten Grabmäler auf den Friedhöfen am Blücherplatz ist das
Grabmal des Arztes Dr. Johann Carl Wilhelm Moehsen; es zählt zu den
besten Arbeiten der Altberliner Grabmalkunst. Es muß schon ein Mann von
hohem Ansehen gewesen sein, dem seine Angehörigen und Freunde ein so prachtvolles und würdiges Grabmal errichten ließen. In der Tat nahm Moehsen unter
seinen Zeitgenossen eine besonders geachtete Stellung ein.1) Er war ein vielbeschäftigter Arzt und bekleidete zahlreiche öffentliche Ämter; er war Arzt des Joachimsthalschen Gymnasiums, des Königl. Kadettenkorps, der adligen Ritterakademie; er
war Mitglied des Obercollegium Medicum und des Obercollegium Sanitatis; er war
Leibarzt des Königs, Kreisarzt des Kreises Teltow und Mitglied der Königl. Preußischen Akademie der Wissenschaften. Vor allem zeichnete er sich aus durch seine
Arbeiten und Werke auf derafcGebiet der Medizingeschichte, der Heimatgeschichte
und der Kunstwissenschaft, sowie durch seine große Bibliothek und seine umfangreichen Sammlungen. 2 ).
Er wurde am 9. Mai 1722 in Berlin geboren und starb daselbst am 22. September 1795.
Von dem Grabmal finden sich Beschreibungen und Abbildungen in verschiedenen Werken über Berliner Kunstdenkmäler, besonders der Friedhofskunst. 3 ) So
*) Frau Dr. Edna Crantz danke ich herzlich für ihre wertvolle Unterstützung.
*) B. Harms, Carl Johann Wilhelm Moehsen ein gelehrter Arzt des friederizianischen Berlin.
Med. Monatsschr. 1956, 5 S. 318—320.
2
) B. Harms, Johann Carl Wilhelm Moehsen als Sammler und Schriftsteller. Das Antiquariat 1961 Nr. 3/4.
s
) Borrmann, R.: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin. Berlin 1893 S. 399.
Hörn, Curt: Die vor uns gewesen sind. Ein Bild Altberliner Kulturgeschichte gesehen
von den Friedhöfen am Hallischen Tor im Jahre ihres 200jährigen Bestehens. Berlin 1936
S. 61.
gibt Hörn folgende Beschreibung von dem Grabmal: „In einer Wandnische steht
der Sarkophag mit der Namensinschrift (D. Joh. Carl Wilhelm Moehsen Königl.
Preuss. Würckl. Leibarzt). Auf dem Sargdeckel ruht in prachtvoll durchgebildeter
Haltung die Hygiea, die der um den linken Unterarm gewundenen Schlange die
Trinkschale darbietet. Die Knie sind leicht angezogen, der Oberkörper auf dem
linken Oberarm aufgestützt. Hier ist reine klassizistische Formgebung. Das römische
Gesichtsideal mit scharfgeschnittenem Profil der schönen Frau, die im Haar den
römischen Schmuck trägt, verrät die völlige Umwandlung des Geschmacks zur
strengen Form." Das Grabmal stellt somit eine prachtvolle Allegorie auf den Beruf
des Verstorbenen dar.
Foto: B. Harms
Über den Schöpfer des Grabmals und den Zeitpunkt der Errichtung ist nichts
bekannt; es findet sich auf demselben keine Angabe, weder ein Name, noch ein
Datum. Aber Borrmann gibt in seinem Werke 4 ) einen Hinweis auf Christian
Bernhard Rode (1725—1797), den bekannten Direktor der Berliner Akademie und
Maler und Radierer Friedrichs des Großen. Borrmann gibt an, daß von Rode
eine Radierung des Grabmals vorhanden ist und daß von ihm vielleicht auch der
Schoenichen, Walther: Geweihte Stätten der Weltstadt. Grabdenkmäler Berlins und was
sie uns künden. Berlin-Leipzig (1928) S. 148.
Voss, Georg: Grabdenkmäler in Berlin und Potsdam. Berlin 1905. Taf. 3.
4
) loc. cit. S. 399 Anmerkung.
18
Entwurf des Monuments herrührt. Tatsächlich erwähnt die „Kartei der Stecher" in
den ehemals Staatlichen Museen in Berlin-Dahlem einen Stich von Rode aus dem
Jahr 1796, ein Jahr nach dem Tode von Moehsen, der ein Portrait von Moehsen
und Sarg mit Allegorie der Medizin darstellt. 5 ) Von Rode gibt es auch sonst
noch einen bekannten Portraitstich von Moehsen aus dem Jahre 1771. Borrmann
vermutet nun, daß auch der Entwurf des Grabmonuments von Rode herrührt.
Diese Annahme stützt sich auf die künstlerische Arbeitsweise, die aus der Zeit allgemein und aus dem Leben Rodes bekannt ist. Man muß ferner beachten, daß die
damaligen Bildhauer sehr oft Handwerker waren, die nach Entwürfen von Malern
und Graphikern arbeiteten. Dies trifft auch für Rode zu, von dem bekannt ist,
daß er beispielsweise für den figürlichen Schmuck der Deutschen Kirche am Gendarmenmarkt Vorzeichnungen herstellte, nach denen die Skulpturen von Bildhauern
ausgeführt wurden. Auch von eigenen Arbeiten, so von den gemalten Epithaphien
für die Helden des siebenjährigen Krieges, hat Rode zum Zweck der Vervielfältigung nochmals Radierungen hergestellt. In allen diesen Ausführungen gelangt immer
wieder die weibliche Allegorie zur Darstellung in der gefälligen klassizistisch geprägten Form, wie sie für das Grabmal Moehsens beispielhaft ist. Es spricht also
vieles dafür, daß der Entwurf des herrlichen Grabmals von Rode stammt, daß das
Grabmal selbst unter seiner Anleitung von einem sehr geschickten, handwerklichen
Bildhauer gefertigt wurde, wofür auch spricht, daß in unserem Fall, wie auch sonst
wo, die Namen der Bildhauer nirgends genannt sind.
Auch über den Zeitpunkt der Aufstellung des Grabmals können nur Vermutungen angestellt werden. Moehsen starb am 22. September 1795, verwitwet, ohne
leibliche Erben zu hinterlassen und wurde am 27. September „auf dem Hallischen
Kirchhof" beerdigt. Als Universalerben hatte er seinen Neffen, Christoph Wilhelm
Horch, eingesetzt, der wohl in Verbindung mit dem Nicolaischen Freundeskreis, dem
Moehsen angehörte, die Anfertigung und Aufstellung des Grabmals veranlaßte.
Welch großer Hochachtung und Wertschätzung sich auch Moehsen noch in späteren
Jahren erfreute, geht daraus hervor, daß bei einer Instandsetzung des Grabmals,
das jetzt vom Bezirksamt Kreuzberg pfleglich betreut wird, im Jahre 1864 auf der
Vorderseite oberhalb der Wandnische eine von einem Eichenkranz umrahmte Tafel
aus Eisenguß angebracht wurde mit den ehrenden Worten „Moehsen, des großen
Königs würdiger Zeitgenosse".
5
) das Blatt ist z. Zt. nicht einzusehen, da es wahrscheinlich in Ost-Berlin verblieb.
19
Johann Gottfried Schadow
Erster Teil
Von Dr. Irmgard Wirth
Resume eines Vortrags im Verein für die Geschichte Berlins am 23. 2. 1965
Die Nationalgalerie in Ost-Berlin ehrte in einer mehrmonatigen umfassenden
und würdigen Ausstellung (mit 223 Nummern und einem ausführlichen Katalog)
den Berliner Bildhauer Gottfried Schadow, dessen Geburtstag sich am 20. Mai 1964
zum zweihundertsten Male gejährt hatte. West-Berlin, das Werke Schadows nur
in sehr geringem Umfang besitzt, vermochte an den Menschen und Künstler lediglich
in Wort und Schrift zu erinnern. Unter dem Eindruck, den die von überall her zusammengebrachten Werke Schadows in der Nationalgalerie von seinen schöpferischen
Leistungen in der Bildnerei und Zeichenkunst haben vermitteln können, wurde der
Versuch unternommen, die Persönlichkeit und das Schaffen des großen Berliners in
knappen Umrissen vor Augen zu führen.
Schauplatz seines langen, reichen, in Enttäuschung endenden Lebens war fast
ausschließlich Berlin. Die zeitliche Spannweite seiner Existenz veranschaulicht der
geschichtliche Hintergrund. Nach Beendigung der Schiefischen Kriege und dem
Friedensschluß zu Hubertusburg von 1763, also ein Jahr vor Schadows Geburt,
hatte Friedrich IL den Beinamen „der Große" erhalten; als er 1786 die Augen
schloß, weilte der junge Bildhauer Schadow in Rom, wo er im Juni jenes Jahres
seine erste Auszeichnung für eine eigene Arbeit „Perseus befreit Andromeda" im
Concorso di Balestra erhielt. Während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IL,
also in jungen Jahren, schuf er seine bedeutendsten bildnerischen Werke, zu denen
das Grabmal des Grafen von der Mark, die Plastik am neu errichteten Brandenburger Tor mit der bekrönenden Quadriga, das Denkmal Zietens auf dem Wilhelmplatz, die Prinzessinnengruppe und wichtige Bildnisbüsten zählen. Sein Wirken
nach außen hingegen entfaltete sich erst völlig unter Friedrich Wilhelm III. in
dessen Regierungszeit Schadow in allen offiziellen Kunstfragen als Direktor der
Berliner Akademie an der Spitze der Berliner Künstler stand. Von dem Zeitpunkt
der Annahme jenes Amtes im Jahre 1815 an aber war sein Ruhm als Bildhauer
bereits durch einen Jüngeren in den Schatten gestellt, der ein Jahr lang sein Schüler
an der Akademie gewesen war. Der aufgehende Stern am Berliner Kunsthimmel
war Christian Daniel Rauch; er entsprach in seiner idealistischen Kunstauffassung
dem Architekten Schinkel und damit dem König im Grunde besser als der realistischere Schadow, der als Weggenosse von Erdmannsdorff und Langhans vom spätbarocken Klassizismus ausgehend, näher zur schlichten Wiedergabe der Natur gefunden hatte. Porträtbüsten, Denk- und Grabmäler waren nun seine Hauptaufgaben.
1826 schuf er als letzte Marmorarbeit „Das Ruhende Mädchen". Als Friedrich
Wilhelm IV. 1840 die Zügel des Staates ergriff, war der schon länger in seiner
Sehkraft geschwächte Schadow fast nur noch als Akademiedirektor tätig. 1844 beendete er seine bildhauerischen Arbeiten mit der Gruppe „Die Weinsbergerin" für
die Porzellanmanufaktur, die diese in Biskuitporzellan herstellte. Schadow schrieb
etwas später darüber an seine Tochter Lida: „Eine Gruppe in Thon, probably meine
20
letzte Arbeit der Art hab ich der Königlichen porcellan Manufaktur übergeben,
weil ich da, retour d'Italie, zuerst angestellt war. Diese Entreprise ist mir recht
sauer geworden . . ." x)
Das graphische Schaffen hatte bei Schadow allmählich die Oberhand gewonnen,
wichtige theoretische Werke nahmen ihn seit 1830 in Anspruch, es blieben zum
Schluß, wie er selbst äußerte, „die Aufsicht und die Schreiberei, welche mein Amt
al? Director [der Akademie] veranlasst". Die zahlreichen ihm zugedachten Ehrungen vermochten nicht darüber hinwegzutäuschen, daß man, dem veränderten Zeitgeschmack entsprechend, seine Kunst für eine "Weile beiseitegeschoben hatte und
daß „der alte Schadow" mit seiner Schirmmütze bei vielen Berlinern nur noch als
„Original" betrachtet wurde. In seine letzten Lebensjahre fiel — ihn wohl kaum
noch berührend — die Revolution von 1848. Eine neue Zeit schien sich in noch
unbestimmter Ferne abzuzeichnen. 1850, im Todesjahre Schadows, schuf der noch
junge Menzel, den der Meister sechzehn Jahre zuvor gewissermaßen entdeckt und
mit dem er dann einst die Klinge gekreuzt hatte, als eins der großen gemalten
Friedrichsbilder die „Tafelrunde in Sanssouci". Die Welt des Rokoko und den
21
König, den Schadow noch lebend gekannt hatte, gestaltete der Maler allein aus der
Kraft der Phantasie, allerdings auf der soliden Grundlage exakten Studiums aller
für das Verständnis jener Epoche und die Darstellung wichtigen Details.
Fortsetzung folgt
Das Panorama der Straße Unter den Linden vom Jahre 1820
Zweiter Teil
Von Hans-Werner Klünner
Nun folgt noch bis zur Friedrichstraße das Haus von Gerold, an welchem die
Lindenrolle das Schild des Restaurants von Camilli zeigt, und das Eckhaus des
Kriegsrates Priem, in dem Gerold sein Delikateßwarengeschäft hatte. 1825 eröffnete Johann Georg Kranzler hier seine Konditorei, die zu einem Begriff für Berlin
geworden ist. Das 1834 durch Stüler umgebaute Haus wurde zusammen mit Nr. 24
bei einem Luftangriff im Mai 1944 zerstört.
Auch die Südost-Ecke der Friedrichstraße
Sehenswürdigkeiten vor dem ersten Weltkrieg.
aus dem alten Haus, welches die Lindenrolle
zeigt, umgebaut. Dem Schneidermeister Freitag
bescheidene Bau mußte 1885 dem pompösen
Hopfenblüte und Bar Riche, weichen.
mit dem Cafe Bauer war eine der
Ende und Böckmann hatten es 1878
im Besitz der Witwe Sommerbrodt
gehörte 1820 das Haus Nr. 27. Der
Bierpalast der Kaiserhallen, später
Neben den schmalbrüstigen Häusern des Zinngießers Sierks und des Rentiers
Meyer zeigt die Lindenrolle die altbekannte Habeische Weinhandlung. Dieses Aussehen bekam das Haus im Jahre 1801 und behielt es bis zur Zerstörung. Ein Immediatbau war Nr. 31, mit dem renommierten Hotel de Petersbourg. Es fiel 1908 dem
Geschäftshausneubau des Juweliers Marcus zum Opfer, ebenso wie das CarltonHotel den einst durch Unger errichteten Immediatbau Nr. 32 an der Ecke der Charlottenstraße verdrängte. 1820 hatten die Kaufleute Sala & Tarone hier ihr Delikateßwarengeschäft und Restaurant, später war hier Meinhardts Hotel. Das 1902
von Gause erbaute Carlton-Hotel ist allein von der Vorkriegsbebauung zwischen
Friedrich- und Charlottenstraße übrig geblieben. Zur Zeit ist hieran anschließend
bis zur Friedrichstraße ein großer Gaststättenkomplex im Bau.
Nr. 33, das andere Eckhaus der Charlottenstraße, ist 1820 im Besitz der Kneiselschen Erben, deren Großvater es zusammen mit Nr. 34 um 1750 erbaut hatte. In
Kneisels Haus war schon 1820 das Cafe Royal, welches auch E. T. A. Hoffmanns
Stammlokal war. Es ist für unsere Vereinsgeschichte von Bedeutung, denn hier
wurde am 28. Januar 1865 der Verein für die Geschichte Berlins gegründet. Von
1820 bis 1885 hatte hier auch Berlins ältestes Optikergeschäft von Eduard Petitpierre seine Räume. Nachdem das Haus 1871 durch einen Neubau von Ende und
Böckmann ersetzt wurde, war in der sogenannten Beletage das Restaurant de
l'Europe, welches unter seinem Besitzer Poppenberg einen guten Ruf genoß. Nr. 34
gehörte 1820 der Geheimrätin Cäsar, kam aber 1823 in den Besitz des
22
Buch- und Musikalienhändlers Adolf Martin Schlesinger, der sein Geschäft schon
einige Jahre vorher im Hause hatte. In Schlesingers Musikalienhandlung, die Weltruf hatte, erschien u.a. Webers Freischütz. 1871 erwarb die Central-Boden-CreditBank das Gebäude und ließ durch W. Neumann einen Bankpalast errichten. 50 Jahre
später, 1922, mußten Nr. 33 und 34 dem Erweiterungsbau der Disconto-Gesellschaft
von Bielenberg und Moser weichen. Nachdem die Disconto-Gesellschaft 1929 mit der
Deutschen Bank fusioniert wurde, wurde der Gebäudeteil Unter den Linden nach
1933 vom Reichsarbeitsministerium und der Teil in der Behrenstraße vom Reichswirtschaftsministerium benutzt. Die im Kriege nur wenig beschädigten Gebäude
Unter den Linden sind jetzt ,Haus der Gewerkschaften'.
Zwischen den Häusern Nr. 34 und 35 erkennt man auf der Lindenrolle einen
Zwischenraum, der als Lindengasse bis 1925 bestand. Nr. 35 war mit Nr. 36 einst
ein Grundstück. 1755 wurde es geteilt und mit zwei gleich großen Häusern nach dem
Entwurf von Andreas Krüger bebaut. Das letztere gehörte 1820 dem König Wilhelm der Niederlande, einem Schwager Friedrich Wilhelms III. Durch Erbgang kam
es 1870 wieder an das preußische Königshaus und gehörte seit 1882 als Nebenbau
zum Palais des Kaisers. Anstelle des zerstörten Niederländischen Palais wurde 1963
ein Neubau errichtet, an welchem der Fassadenschmuck vom ehemaligen Gouverneurshaus aus der Königstraße angebracht wurde.
Nr. 35 besaß seit 1814 der Bankier Samuel Berend. Er war mit seinem schon
als Besitzer von Nr. 19 erwähnten Bruder Louis in den Jahren 1806—15 einer der
bedeutendsten Heereslieferanten. Die Brüder hatten unter anderem in der Neuen
Friedrichstraße eine vom Chemiker Hermbstädt eingerichtete Zuckersiederei. Zusammen mit Heinrich Kunheim gründeten sie am Molkenmarkt 1826 eine chemische
Fabrik. Sie war seit 1829 im Alleinbesitz Kunheims und wurde 1835 zum Kreuzberg verlegt. Ein Enkel S. Berends, der Rittergutsbesitzer Hermann Ludwig Berend,
war von 1871—95 Mitglied unseres Vereins. In Nr. 35 war auch die Jacobische
Kunsthandlung, welche die Lindenrolle verkaufte. Von 1843 bis zum Abbruch war
das Haus ,Hotel du Nord'. Ende und Böckmann bauten hier das Direktionsgebäude
der Disconto-Gesellschaft, das heute noch steht.
Als ,Generalkommando' bezeichnet die Lindenrolle das Haus Nr. 37. Es hatte
noch die Gestalt, die es beim Umbau durch Hildebrand 1750 bekam. Der General
von Tauentzien bewohnte es als Kommandierender General des III. Armeekorps.
Sein Nachfolger, Prinz Wilhelm von Preußen, bezog das Haus 1829. Von 1834—37
ließ er sich durch Karl Ferdinand Langhans das neue Palais erbauen, in dem er
auch als König und Kaiser bis zu seinem Tode wohnen blieb. Es wurde nach ihm
,Kaiser-Wilhelm-Palais' genannt und trägt jetzt die offizielle Bezeichnung ,Altes
Palais'. Nach dem 1963 beendeten Wiederaufbau wurde es der Pädagogischen Fakultät der Humboldt-Universität übergeben.
Am Kaiser-Wilhelm-Palais erweitern sich die Linden zum „Forum Fridericianum" — offiziell „Platz am Opernhaus" — und dem anschließenden „Platz am
Zeughaus". Obwohl im Gegensatz zu den Linden die meisten Gebäude an diesen
Plätzen erhalten bzw. wiederaufgebaut sind, wird der Betrachter der Lindenrolle
manche Veränderung zwischen 1820 und dem Vorkriegszustand feststellen können.
23
So sehen wir den Opernplatz noch in seiner alten, schlichten Gestaltung, bei
der die Wohnhäuser auf der Südseite der Behrenstraße sich den Bauten von Opernhaus, Hedwigskirche und Bibliothek bescheiden unterordnen. Dieses wohlabgewogene Verhältnis störte später die Dresdener Bank und besonders ihre maßstablose Aufstockung im Jahre 1922. Beim Wiederaufbau ist 1955 durch Abbruch
der zwei oberen Stockwerke und Zurücknahme eines weiteren, das Platzbild etwas
verbessert worden. Das Äußere des Opernhauses ist noch so, wie es Knobelsdorff gebaut hatte. Die ersten Veränderungen geschahen nach dem Brand von
1843 bei der Wiederherstellung durch Langhans. Wesentlich selbständiger wirkt
auch die Bibliothek, die fast frei steht und das benachbarte Tauentziensche Haus
um zwei Stockwerke überragt, während sie uns heute wie ein Seitenflügel des fast
gleich hohen Kaiser-Wilhelm-Palais erscheint.
Wie sehr die Plätze damals mitten im Alltagsleben standen, zeigt die Tatsache, daß sogar ein Zirkus auf dem Opernplatz spielen durfte. Es war der damals berühmte „Circus Gymnasticus" von Christoph de Bach aus Wien, der von
Juli bis Oktober 1816 hier einen leichten Holzbau errichtet hatte.
Dem Opernhaus benachbart ist das Prinzessinnenpalais, neben welchem der
Festungs- oder Grüne Graben fließt. Er wurde 1816 wegen des Neubaues der
Königswache in der Breite des Platzes überwölbt, so daß er auf der Lindenrolle
nicht mehr zu sehen ist. Die üblen Gerüche, die er mitunter ausströmte, veranlaßten den Kronprinzen, an seine hier wohnende Schwester zu schreiben „wohnhaft am stinkrigen Graben". 1820 wohnten die zwei noch unverheirateten Töchter
24
des Königs, die Prinzessinnen Alexandrine und Luise im Palais. Es bestand ursprünglich aus mehreren Privathäusern, die 1733 von Dieterichs umgebaut wurden.
1811 schuf Gentz den Kopf bau nach den Linden zu, der durch einen Schwibbogen
über die Oberwallstraße mit dem Palais des Königs verbunden war. Auch dieses
war zuerst ein Privathaus, dann von 1706—1732 Dienst- und Wohngebäude des
Gouverneurs. 1733 wurde es nach Umbau und Erweiterung durch Gerlach vom
Kronprinzen Friedrich bezogen. Dieser schenkte es 1742 seinem Bruder August
Wilhelm und seit 1794 bewohnte es dessen Enkel Friedrich Wilhelm III. als
Kronprinz, bzw. seit 1797 als König, bis zu seinem Tode. Sein letztbekanntes
Aussehen erhielt das Palais 1857 beim Umbau durch Strack. Für den Gouverneur
wurde 1732 das Haus des Ministers v. Katsch in der Königstraße 19 (jetzt Rathausstraße) erworben. Es diente als Gouverneurshaus bis 1808 und ist — verändert
— noch erhalten, soll aber zur Verbreiterung der Rathausstraße abgerissen werden.
Der plastische Schmuck der Fassade ist deshalb an den oben erwähnten Neubau
anstelle des Niederländischen Palais übertragen worden. Die Berichte hierüber
bezeichnen das Haus immer als Kommandantenhaus in fälschlicher Gleichsetzung
von Kommandant und Gouverneur. Beide waren jedoch zwei verschiedene Funktionen, die immer nebeneinander bestanden. Gouverneur war 1820 Blüchers „Kopf",
General Neithardt v. Gneisenau; er wohnte dem Prinzessinnenpalais benachbart
in der Oberwallstraße 4.
Dienst- und Wohngebäude des Kommandanten — 1820 Generalleutnant v.
Brauchitsch — war seit 1799 die Kommandantur gegenüber dem Zeughaus. Seine
auf der Lindenrolle gezeigte Form hatte das Haus 1792 bei einem Umbau durch
Titel bekommen. Gern hätten wir gewußt, wie es ursprünglich aussah, denn es
war das älteste Gebäude der Straße, das sich Johann Gregor Memhardt 1653 als
Wohnhaus erbaut hatte. Die Straßen links und rechts von der Kommandantur sind
die Niederlage- und Niederlage-Wall-Straße. Sie führten zur Warenniederlage
auf dem Alten Packhof an der Spree gegenüber der Schloßfreiheit.
Kommandantur und Kronprinzenpalais sind zerstört. An ihrer Stelle ist ein
Neubau für das östliche Außenministerium im Entstehen. Seit 1817 hatte Schinkel
Pläne für die städtebauliche Verbesserung des königl. Palais gemacht. Bei deren Verwirklichung wurde von 1821—24 die auf der Lindenrolle gezeigte hölzerne
Hundebrücke durch eine neue ersetzt, die den Namen „Schloßbrücke" bekam. Auch
die neben der Brücke sichtbaren unschönen Speicher wurden entfernt. Der Schlußpunkt dieser Planungen war die Fertigstellung der Bauakademie auf dem ehemaligen Packhof im Jahre 1836.
Das Ostufer des Spreegrabens wird von den Häusern der Schloßfreiheit
gesäumt, die — obwohl zum Teil viergeschossig — mit ihren bescheidenen Fassaden
die monumentale Wucht des Stadtschlosses noch steigern. Der Zeichner der Lindenrolle hat die Schloßfassade stark schematisiert wiedergegeben, so daß z. B. der
Unterschied zwischen dem von Schlüter erbauten Portal V und dem von Eosander
stammenden Portal IV rechts davon nicht erkennbar, und die von Schlüter gewollte
Wirkung der Lustgartenseite als heitere, leichte Gartenfront ganz verlorengegangen
ist. Der Risalit mit dem Portal IV ist als Rudiment des 1950 abgebrochenen
Schlosses in das neue Staatsratsgebäude eingebaut worden.
25
Den Schluß des Streifens bildet ein Teil der von Lynar 1585 erbauten Hofapotheke. Sie stand ursprünglich frei und wurde erst einige Jahre später mit dem
Schloß verbunden. Hier sollte der Hofapotheker Michael Aschenbrenner nicht nur
Arzneien herstellen, sonderen auch als Alchimist den Wahn seines Kurfürsten
Johann Georg, künstlich Gold machen zu können, Wirklichkeit werden lassen.
Das auf allen Exemplaren der Lindenrolle fehlende mehr oder weniger große
Stück der Hofapotheke ging für die Befestigung der Holzstäbe als Griffe zum
Herausziehen der Streifen aus der Kapsel verloren.
Fortsetzung folgt
Stolpe und seine Stüler Kirche
Von Dr. Carl Nagel
Während des diesjährigen Sommerausfluges am 24. Juli fuhren die ca. 140 Teilnehmer
in drei BVG-Sonderbussen und zahlreichen Privatwagen zunächst nach der Kirche in
Wannsee-Stolpe. Vor der Kirche begrüßte der Vorsitzende Prof. Harms die Teilnehmer und
wies auf den zweifachen Zweck der Ausflüge hin, die einmal dem Besuche historischer Stätten
und der Belehrung, zum anderen der Unterhaltung und der Pflege der Geselligkeit dienen
sollen. Danach sprach in der Kirche Superintendent i. R. Dr. Nagel über die Geschichte und
den Bau der Kirche, sowie über das Kleistgrab am Kleinen Wannsee, das nach einem Abstecher zur Glienicker Brücke besucht wurde. Die Fahrt wurde mit einem geselligen Beisammensein auf der Havelinsel Lindwerder beschlossen, von wo die Teilnehmer mit den
Autobussen in die Stadt zurückfuhren.
In seinen „Fünf Schlössern" behandelt Theodor Fontane als letztes Dreilinden,
das 1957 abgerissene Jagdhaus des Prinzen Friedrich Carl. Dabei beschreibt er auch
ausführlich dessen Umgebung mit den Gräbern von Bensch und Kleist sowie
Nikolskoe und das alte Dorf Stolpe1) am Stölpchensee mit seiner Stüler-Kirche. Mit
liebenswürdigem Vorbehalt übernimmt er dabei aus dem Landbuche von Berghaus2)
die Behauptung, daß dieses Stolpe das älteste Dorf des Teltow sei. Mit seiner Erwähnung im Jahre 1197 sei es der in der Geschichte zuerst genannte Ort des Landes
Teltow, wofür die alte Brandenburger Stiftshistorie von Lentz 3 ) als Quelle angegeben
wird. Gerne werden wir Berghaus zustimmen, wenn er von Stolpe sagt: „seine Lage
am Fuße des Schäferberges im tiefen Tal und in der Nähe klarer Seespiegel ist eine
der romantischsten in der Gegend von Potsdam." Den mythologischen Schlüssen
aber, die er aus dem Ortsnamen Stolpe zieht, werden wir kaum folgen können. Er
knüpft an das Wort Stolpe, das allgemein als „Säule" erklärt zu werden pflegt, die
Behauptung, diese Säule sei dem alten Wendengott Woloss geweiht gewesen, der ein
Gott der Hirten war und der „Schäferberg" bei Stolpe halte die Erinnerung wach an
den altslavischen Pan. Heute nimmt man an, daß dieses Wort Stolpe4) mancherlei
Bedeutung haben kann, daß es aber bei Orten, die an Gewässern liegen, eine „Vorrichtung im Fluß zum Fischfang" bezeichne.
Die älteste uns bekannte Urkunde 6 ), die von unserm kleinen Dorfe Stolpe
redet, ist vom 11. April 1299. In ihr überläßt der Markgraf Hermann dem Bischof
Volrad von Brandenburg das Städtchen Teltow und sieben in dessen Nähe gelegene
Dörfer für 300 Mark Silber wiederkäuflich für eine Bürgschaft, die der Bischof unter
Pfandeinsatz seines Schlosses Ziesar für den Markgrafen gegenüber den Brüdern
26
Heinrich und Friedrich von Alvensleben geleistet hatte. Fünf dieser Dörfer
haben deutsche Namen: Giesensdorf, Heinersdorf, Ruhlsdorf, Stahnsdorf und
Schönow. Stahnsdorf wird doppelt als deutsches und als slavisches Dorf angeführt. Hier war also schon neben das alte Wendendorf eine neue deutsche Kolonisten-Siedlung gesetzt. Als letztes wird Stolpe genannt und als „villa slavica"
bezeichnet. Wie alt dieses Wendendorf damals schon war, kann natürlich nicht
mehr festgestellt werden. 1299 also wurde Stolpe bischöflicher Besitz und ist es bis
zur Reformation geblieben.
Im Landbuch6) von 1375 steht es im Ortsverzeichnis der Mittelmark unter
der Bezeichnung „Stolpiken" und als „Stolp" im Verzeichnis der Güter des Brandenburger Bischofs als dessen Tafelgut. (mensae episcopali appropriata) mit 16 Hufen.
Das Schloßregister7) 1450 redet von der Fischerei im Dorfe und einer von den
Stolpern betriebenen Zeidelweide. Fischfang und Waldbienenzucht sind von den
Wenden gerne geübte Gewerbe. Gerade in den Wäldern rings um Berlin wurde die
Zeidlerei sehr eingehend betrieben. In der alten Krünitzschen Oekonomischen Encyklopädie 8 ), wo die Technik der Waldbienenzucht ausführlich beschrieben ist, handelt
ein langer Abschnitt „von der wilden Bienenzucht und Zeidlergesellschaft in der
Churmark", wobei auch über die seltsamen Gebräuche des Zeidlergerichtes von
Kienbaum berichtet wird.
Als in der Reformation die bischöflichen Güter vom Staate eingezogen wurden,
kam Stolpe zuerst zum kurfürstlichen Amte Ziesar und dann zum Amte Potsdam.
Im Visitationsbescheid vom 10. Mai 1541 wird unser kleines Stolpe als Filia von
Potsdam angeführt. Das Dorf hat nur eine Kapelle, in der nicht getauft wird.
Alle vier Wochen ist darin Gottesdienst. Pfarrer und Küster bekommen dabei die
Mahlzeit, letzterer außerdem noch 3 Pfennige in bar. Scheffelkorn und Vierzeitengeld sind abzuliefern und zwar in Potsdam, wofür der Pfarrer den Bauern eine
Mahlzeit und eine halbe Tonne Bier zu geben verpflichtet ist. Das Kirchengerät
ist aus Kupfer. Auch das spricht für die Armut der Gemeinde und ihrer gewiß sehr
bescheidenen Kapelle.
Der dreißigjährige Krieg hat Stolpe wie alle Dörfer um Berlin stark verwüstet. Zwei Bauern und vier Kossäten blieben übrig. In dem schönen Atlas von
Sucholetz aus dem Jahre 1683 hat Stolpe ein besonderes Blatt. Zu dem Dorfe gehört die Feldmark eines wüst gewordenen Dorfes Damsdorf östlich der Dorflage.
Eingezeichnet ist der Teerofen und dicht bei ihm die Kohlhasenbrücke und der
Schlagbaum. Beim Dorf sind Weinberge, die „Steinstücken" erscheinen als Flurname.
Das 18. Jahrhundert bringt im Zuge der „Peuplierung" in Stolpe die Ansetzung
von Kossäten, die 1764 die Erblichmachung ihrer Höfe beantragen.
Büsching9) kommt 1775 auf seiner Reise nach Rekahn durch Stolpe und macht
genaue Angaben über Steuern und Abgaben. Von der Dorfkirche sagt er, sie sei
klein und von Fachwerk erbaut, und von den Teltower Rübchen, „welche hier in
großer Menge gebaut werden", weiß er zu berichten, daß sie „den Teltowschen an
Geschmack und Güte nichts nachgeben, aber nicht so dauerhaft seien und deshalb
nicht verschickt werden könnten."
27
In der Geschichte der kleinen Stolper Kirche wurde das Jahr 1779 wichtig.
Erstlich dadurch, daß in diesem Jahre sich die Gemeinde an den Ober- KonsistorialPräsidenten wandte mit der Klage, sie hätte zu wenig Gottesdienste. Der Potsdamer
Superintendent Junge wurde daraufhin vom Konsistorium beauftragt, für die
Vermehrung und Ordnung der Gottesdienste zu sorgen, damit „die Stolpesche
Gemeinde je eher je lieber klaglos gestellt werde". Das andere Ereignis des Jahres
war der Ankauf des Grabgewölbes unter der Kirche, das der Witwe des Finanzrates
Heidenreich gehörte, durch den Hofgärtner Ludwig Heydert. Dieser stellte den
Antrag, in der Kirche ein großes Epitaph errichten zu dürfen. Der Superintendent
Junge wurde zu einem Bericht aufgefordert, ob der Kirche dadurch Schaden geschehe. Dieser Bericht macht sehr anschauliche Angaben über die kleine Stolper
Dorfkirche. Es heißt da, sie sei eine alte schwache Kirche, die aus dünn gemauertem
Fachwerk besteht. Der Altar sei ein unförmlicher Klumpen, der viel Raum einnehme,
und auf der Kanzel könne man nicht mehr stehen. Die Kirche sei viel zu klein und
viel zu dunkel. Heydert verpflichtete sich, die Kirche etwas zu verlängern, die
Fenster zu vergrößern und einen neuen Kanzelaltar zu stiften. Dazu vermachte er
noch ein Legat in bar. Die so erneuerte Fachwerkkirche stand bis 1854.
Sie war nun so baufällig geworden, daß ihr Einsturz zu befürchten stand.
Das Kgl. Rent- und Polizei-Amt in Potsdam erließ am 17. März 1854 die Verfügung, die Kirche zu schließen. Die Gemeinde versuchte eine Aufhebung dieser
Verfügung, da sie sich von ihrer alten Kirche nicht trennen wollte. Der Einspruch
blieb erfolglos. Die Kirche wurde abgerissen. Mit dem Entwurf eines Neubaus
wurde der Bauinspektor Gärtner beauftragt. Sein Plan wurde dem Könige Friedrich
Wilhelm IV. vorgelegt und fand nicht dessen Billigung. „Allerhöchstdieselben haben
jedoch die Ausführung des Baus nach einem von dem Geheimen Ober-Baurat Stüler
neu aufgestellten Plane zu befehlen geruht", der an die Regierung zu weiterer Veranlassung ging. Bereits am 18. Juni 1859 wurde der Grundstein gelegt, und schon am
1. Advent 1859 konnte die Kirche eingeweiht werden. Mehrmals hatte sich der
König persönlich vom Fortgange der Bauarbeiten überzeugt. Die Rosette über dem
Westeingang hat er selbst in den Stülerschen Plan eingezeichnet.
Friedrich August Stüler, seit 1842 „Architekt des Königs", dessen Todestag sich
in diesem Jahre zum 100. Male jährt, (f 18. März 1865), hat die Kirche mit feinem
Empfinden in das Bild der Landschaft eingefügt. Er errichtete den Bau auf dem
Grundriß eines lateinischen Kreuzes in romanischen Stilformen aus gelbem Backstein,
wobei er die Flächen durch rote waagerechte Ziegelschichten vorsichtig aufgliederte.
Über der Vierung errichtete er einen breiten quadratischen Turm dessen Schwere
durch gotische Fialtürmchen an den vier Ecken des flachen Pyramidendaches aufgelockert wird. Wir haben in Berlin und in der Mark viele Kirchen von Stüler,
diese in Stolpe ist eine seiner schönsten. Auch innen ist die Raumwirkung großartig,
nachdem die Kirche 1956 verständnisvoll erneuert wurde. Die hochgestellte Kanzel
hat als plastischen Schmuck Apostelgestalten, der Altar ist schlicht, das Heydertsche
Epitaph ein barockes Kunstdenkmal von besonderem Rang. Das hohe Mittelfeld
des dreiteiligen Sandstein-Aufbaus krönt eine Urne, die beiden niedrigeren Seitenfelder verspielte Putten, während Chronos und Klage auf den Pfeilern des mit
Liederversen bedeckten Sockels sitzen. Der Hofgärtner Joachim Ludwig Heydert
28
setzte dieses Denkmal seinem Vater (f 1728) und seiner ersten Ehefrau Maria
Margarete geb. Krook (f 1777 in Potsdam) von der es hier heißt: „sie endete ihr
ruhmvolles Leben in christlicher Aussicht zur Ewigkeit", und sich selbst. Er verstarb 1794.
Im Jahre 1934 wurden in der Nordapsis Bilder der Reformatoren Luther und
Melanchthon aufgehängt. Es waren Kartons für Fresken, mit denen 1856 Gottfried
Pfannschmidt die von seinem Landsmann Stüler — beide stammen aus Mühlhausen
i. Th. — erbaute Schweriner Hofkapelle ausgemalt hatte. Die beiden Bilder10) sind
leider bei der Auslagerung im Kriege verloren gegangen.
1930 erhielt die Kirche ein Glockenspiel, das 1958 erneuert wurde. Im Jahre
1898 wurde Stolpe mit Wannsee zusammengeschlossen und gab damit seinen Namen
auf. 1920 wurde es in Groß-Berlin einbezogen.
Fontane hat auch das Grab von Kleist beschrieben. Er sagt von der Grabstelle,
daß sie seitab und einsam im Schatten lag und „denselben düsteren Charakter
zeigte wie das Leben, das hier zuende ging" und damals zwei Gedenksteine trug.
Das Kirchenbuch von Stahnsdorf bringt die Beurkundung vom Tode Kleists und
der Frau Vogel, die übrigens nie auf seinem Grabstein erwähnt worden ist, in
folgendem Wortlaut: „Am 21. November 1811 erschoß in der Machnowschen Heide
nahe an der Berliner Chaussee Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist die Ehefrau des
General-Rendanten der Chur-Märkischen Land-Feuer-Societät und LandschaftsBuchhalters Friedrich Ludwig Vogel, Adolfine Henriette geb. Keber alt 31 Jahr, und
dann sich selbst in seinem 34. Jahre. Beide sind auf der Stelle, wo der Mord und
Selbstmord geschah, in zwei Särge gelegt und in ein Grab gelegt worden. O tempora,
o mores." Für die zeitgenössische Beurteilung des Kleistschen Todes ist aufschlußreich, was Wilhelm von Gerlach in einem Briefe vom 28. Januar 1812 an Friedrich
Meier schrieb11). Die jetzt sehr würdig hergerichtete und gepflegte Umgebung läßt
den Stein frei stehen. Seine Inschrift gibt die Lebensdaten an und trägt das Wort
aus dem letzten Akt des „Prinzen von Homburg":
NUN
UNSTERBLICHKEIT
BIST DU GANZ MEIN
') Schrifttum zur Geschichte des Dorfes und seiner Kirche: Fidicin, E., Territorien. Bd. 1,
Berlin 1857 S. 135 — Kritzinger, Wilhelm, Geschichte der Parochie Klein-Glienicke 1887
(Stolpe war von 1837—1901 Tochterkirche von Klein-Glienicke) — Spatz,W., Teltow III
Berlin 1912 S. 227 — Schulze, Hans, Zur Geschichte des Grundbesitzes des Bistums
Brandenburg. Jahrb. f. Brandb. Kirchengeschichte XI und XII Berlin 1914, S. 20 ff. —
Brasch, Georg, Das Wannseebuch. Wannsee 1925, S. 25—41 (mit einem guten Bilde von
Altstolpe 1860) — Thiel, Gert Hermann, Stolpe. Potsdamer Jahresschau 1931, S. 72—77
(mit 2 Federzeichnungen) — Thiel, Wulf, Die alte Kirche zu Wannsee. Berlin-Wannsee
1939 (mit guten Bildern) — Pett, Ernst, Stolpe und sein Gotteshaus im Wandel der
Jahrhunderte. Berlin-Wannsee 1959 (mit Abdruck von Pfarrakten). — Pomplun, Kurt,
Berli ns alte Dorfkirchen. Berlin 1962, S. 70 ff (mit Grundriß).
8
) Berghaus, Heinrich, Landbuch der Mark Brandenburg. I.Brandenburg 1854 S. 477 f, 488.
) Lentz, S., Diplomatische Stiftshistorie von Brandenburg. Halle 1750. Auf der von Berghaus angeführten Seite von Lentz steht nichts von 1197, sondern die Urkunde von 1299.
29
4
) Trautmann, Reinhold, Die alt- und ostslavischen Ortsnamen (Abh. d. Deutschen Akad.
d. Wissensch.) Band II. Berlin 1949 S. 70.
«) Riedel Cod. dipl. Br., A XI S. 205.
e
) Schultze, Joh., Das Landbuch der Mark Brandenburg. Berlin 1940 S. 69 u. 190.
7
) Fidicin a. a. O.
8
) Krünitz, Joh. Georg, Oekonomische Encyklopädie. Neue Aufl., Berlin 1783, S. 417—816.
*) Büsching, Anton Friedrich, Eeschreibung seiner Reise nach Rekahn. Berlin 1775 S. 54 f.
10
) Abgebildet bei Wulf Thiel a. a. O.
11
) Schoeps, Hans Joachim, Aus den Jahren preußischer Not und Erneuerung. Berlin 1963
S. 488.
Neuerscheinungen
Eine vollständige Übersicht über die im letzten Jahre herausgegebenen Neuerscheinungen
an Literatur zur Geschichte Berlins erfolgt, wie bereits im ersten Heft erwähnt, im
nächsten Bande des Jahrbuchs des Vereins „Der Bär von Berlin". Aus der sehr zahlreichen Literatur seien hier nur folgende Veröffentlichungen hervorgehoben.
Neudruck des Schleuenschen Planes von ca. 1750. der königlich-Preußischen Residenzstadt Berlin. Der Plan zeigt an den Rändern 41 Ansichten von öffentlichen Gebäuden und
Kirchen. Format: des Planes 52 X 32 cm, des ganzen Blattes mit Ansichten 72 X 68 cm.
Kolorierter Neudruck: 1965. Der Plan ist bei der Buchhandlung Hans Pels-Leusden, Berlin 15,
Kurfürstendamm 59/60 erhältlich.
Walter Krumholz: Berlin-ABC, herausgegeben im Auftrage des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Richard Hopf ner u. a.
Berlin: A. Heenemann KG. 1965, 586 Seiten (ein praktisches Berlin-Lexikon).
Doch das Zeugnis lebt fort. Der jüdische Beitrag zu unserem Leben. Berlin u. Frankfurt/M. Annedore Leber-Verlag 19S5. 378 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Intus: Der
jüdische Beitrag seit 1800 (S. 55—272) — Zum Schicksal der deutschen Juden 1933 bis 1945
mit Zeittafel zur Geschichte der Verfolgung (S. 275—291) sowie biographische Skizzen in
alphabetischer Reihenfolge (S. 297—372).
Berliner Arzte. Selbstzeugnisse. Ausgew. und herausgeg. v. Heinz Goerke. Berlin:
Berlin-Verlag Arno Spitz 1965. 308 Seiten m. Abb. (Schriften großer Berliner). Intus: Die
Berliner Medizin vor Rudolf Virchow — Die Charite und das Klinikum in der Ziegelstraße — Rudolf Virchow — Albrecht von Graefe — Ernst Leyden — Ernst von Bergmann —
Robert Koch — Otto Heubner — August Bier — Albert Moll — Walter Stoeckel.
Paul Ortwin Rave: Kunst in Berlin. Betrachtungen aus drei Jahrzehnten mit einem
Lebensbericht des Verfassers von Alfred Hentzen. Berlin: Staneck-Verlag 1965. 200 u. XVI
Seiten m. 20 Abb.
Agnes von Zahn-Haniack:
Schriften und Reden 1914 bis 1950, hrsg. i. Auftr. des
Deutschen Akademikerinnenbundes durch Marga Anders und Ilse Reicke, mit einem Lebensbild Agnes von Zahn-Harnacks. Tübingen: Hopfer 1964, 207 Seiten m. Bildnis.
Georg Tietz: Hermann Tietz. Geschichte einer Familie und ihrer Warenhäuser. Stuttgart: Dt. Verlagsanstalt 1965. 212 S. u. 5 Tafeln.
Wilhelm Furtwängler;
Briefe. Wiesbaden: F. A. Brockhaus Verl. 1964. 327 Seiten.
Wolfgang Franke: Der Theaterkritiker Ludwig
Verl. 1964. 170 S. (Theater und Drama, Band 26).
Rellstab. Berlin-Dahlem: Kolloquium-
Joachim Werner Preuss: Tilla Durieux. Berlin: Rembrandt-Verlag 1965. 120 Seiten u.
93 Abb.
Peter Cürlis u. Rolf Opprower: Im Spitznamen des Volkes. Berliner Bauten — mit
Spreewasser getauft. 30. bis 60. Tausend. München: Laokoon-Verlag 1965. 64 Seiten m.
zahlr. Abb.
30
Buchbesprechung
Berlin-Bibliographie bis 1960. In der Senatsbibliothek Berlin bearbeitet von Hans Zopf
und Gerd Heinrich unter Verwendung des von Waldemar Kuhn gesammelten Materials.
Mit Vorwort von Hans Herzfeld und Rainald Stromeyer (Veröffentlichungen der
Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Band 15, 1). Berlin: Walter de Gruyter & Co 1965. X X X I , 1012 Seiten
mit Personen- und Sachregister.
Eine fundamentale langersehnte Publikation ist mit diesem 1012 Seiten umfassenden
Werke dem Lande Berlin geschenkt worden. Zwar gab es zuvor etliche kleinere BerlinBibliographien. Erwähnt sei hier die vom Fachausschuß Heimatkunde der Diesterweg-Hochschule und der Heimatkundlichen Vereinigung des Berliner Lehrervereins im Jahre 1931
herausgegebene, damals sehr nützliche Bibliographie „Berlin im Buch. Ein Führer durch das
Groß-Berliner Heimatschrifttum" mit 186 Seiten. Im Jubiläumsjahr der Stadt Berlin 1937
erschienen zwei kleinere Bibliographien, eine nur 78 Seiten zählende unter dem Titel
„700 Jahre Berlin. Ein besprechendes Bücherverzeichnis mit Abbildungen", die im Auftrage
des Oberbürgermeisters die Berliner Volksbüchereien herausgaben, sowie ein AntiquariatsKatalog der Buchhandlung „Der Bücherwurm" mit dem Titel „Berlin und die Mark
Brandenburg. Ein kleiner Beitrag zur 700 Jahrfeier der Stadt Berlin" mit immerhin 1623
Berlin betreffenden Büchertiteln. Besonders hervorzuheben ist jedoch die von Ministerialrat
i. R. Dr.-Ing. Waldemar Kuhn zusammengestellte Bibliographie, die unter dem Titel „Berlin.
Stadt und Land. Handbuch des Schrifttums" im Auftrage des Senators für Bau- und
Wohnungswesen im Jahre 1952 mit 344 Seiten im arani-Verlag erschienen ist und die einen
ersten bedeutenden Anfang zu einer Gesamt-Bibliographie dargestellt, durch die die jetzige Arbeit vielfach erleichtert wurde. Zu nennen ist noch die die Jahre 1941 —1956 umfassende „Bibliographie zur Geschichte der Mark Brandenburg und der Stadt Berlin" mit 210 Seiten, die
von der Arbeitsgruppe Bibliographie im Institut für Geschichte an der Deutschen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin 1961 herausgegeben worden ist. Das von Luther-Friesenhahn
bearbeitete „Land und Leute in deutscher Erzählung. Ein bibliographisches Literaturlexikon",
das in dritter Auflage 1954 in Stuttgrat erschien, behandelt Berlin auf den Seiten 28—49.
Für das letzte Jahrzehnt sind die jährlichen Bibliographien zur Geschichte Berlins anzuführen, die seit dem Jahre 1954 von Dr. Joachim Lachmann, Dr. Margarete Kühn (Bildende
Kunst) und Werner Pasewaldt (Wirtschaft) bearbeitet werden und im „Bär von Berlin.
Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins" regelmäßig im arani-Verlag erscheinen.
Durch die jetzige Publikation ist es dank jahrelanger mühevollster Arbeit, die ohne
einen größeren Mitarbeiterstab nicht hätte bewältigt werden können, gelungen, das überall
verstreute Schrifttum über die deutsche Hauptstadt, Land und Stadt Berlin, auf allen
Gebieten wie z. B. auch Zeitschriftenaufsätze, Beiträge zu Sammelwerken und Festschriften
bibliographisch zu erfassen und damit ein unentbehrliches Hilfsmittel zu schaffen für alle,
die an der Geschichte Berlins interessiert sind.
Die preußischen Instruktionen bilden die Grundlagen für die Titelaufnahme. Das
Inhaltsverzeichnis ist nach einer Dezimalklassifikation bearbeitet und so angelegt, daß der
Benutzer auf ein bestimmtes Sachgebiet hingewiesen wird. Mittels zahlreicher Hinweise
kann man zur kleinsten Detailliteratur vordringen. Der Inhalt ist derart gegliedert, daß nach
der Aufführung allgemeiner Bibliographien, Bibliothekskataloge und Nachschlagewerke ein Abschnitt das wichtigste Schrifttum über Brandenburg-Preußen behandelt. Dann beginnt der
Hauptteil, der Berlin betrifft und in neun Gruppen aufgeteilt ist. Es sind dies: Allgemeines —
Ortskunde und Beschreibung — Statistik — Geschichte — Kulturgeschichte — Berlin als
Behördenstadt — Wirtschaft — Natur sowie Vororte und Verwaltungsbezirke. Besonders
umfangreich ist der Abschnitt Kulturgeschichte (S. 328—568) sowie der dem Abschnitt
Geschichte angegliederte biographische Teil (S. 125—328). Dieser enthält die Literatur über
alle in Berlin geborenen oder in Berlin tätig gewesenen bzw. noch tätigen Persönlichkeiten,
deren Lebensdaten angefügt sind.
Die Bibliographie umfaßt alle wesentlichen Titel — selbständige und unselbständige —
vom 16. Jahrhundert an bis zum Jahre 1960, die auf Stadt und Land Berlin irgendeinen
Bezug haben. Dazu kommen kartographische Werke, sowohl amtliche wie private Karten und
Pläne.
31
Ein Personenregister (S. 813—976) führt alle Verfasser sowie die Namen der besprochenen Personen auf. Die Schriften der Verfasser sind jeweils unter dem Namen alphabetisch vermerkt. Das Sachregister (S. 977—1012) besteht aus Schlag- und Stichwörtern.
Bemerkenswerte Veröffentlichungen der Jahre 1961—1964 sind nachgetragen, obwohl
Supplementbände für die Jahre von 1961 ab geplant sind.
Eine solche Bibliographie kann naturgemäß nicht vollständig sein. So fehlen z. B. leider
die anonymen Schriften, die für die ältere Zeit oft von wesentlicher Bedeutung sind. Auch
hätten die Angaben über Karten und Pläne mit Hilfe der Kartenabteilung des Landesarchivs Berlin leicht vervollständigt werden können.
Mit dieser Berlin-Bibliograpie ist, wie bereits gesagt, ein epochales Nachschlagewerk
zustande gekommen, das trotz einiger Unvollständigkeiten seine Bedeutung immer behalten
wird und dessen sich alle Benutzer stets gern bedienen werden. Ein besonderer Dank gebührt
den beiden Hauptbearbeitern, Bibliotheksrat i. R. Hans Zopf und Dr. Gerd Heinrich, sowie
den Direktoren der Senatsbibliothek Berlin, Dr. Konrad Kettig, der die Vorarbeiten maßgeblich geleitet und beeinflußt hat, und Dr. Reinald Stromeyer für die Fertigstellung des
bedeutenden Werkes.
Dr. Lachmann
Kleine Mitteilungen
Der Vorstand hat in einem Schreiben an den Senator für Bau- und Wohnungswesen
vom 12. Juli sich für die Erhaltung der kleinen Orangerie am Schloß Charlottenburg eingesetzt,
die infolge der Verkehrsplanung abgerissen werden sollte.
Die Direktion der Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG) hat dem Verein 150 Exemplare
der Festschrift „100 Jahre Straßenbahn in Berlin" zur Verteilung an die Mitglieder zur Verfügung gestellt.
Am 8. September fand das Richtfest für das wiederaufgebaute alte Kollegienhaus
(Kammergericht) in der Lindenstraße statt. Das Haus wurde unter der Regierung Friedrich
Wilhelms I. 1734 von dem Baumeister Gerlach erbaut und im IL Weltkrieg bis auf die
Umfassungsmauern zerstört. Mit der endgültigen Wiederherstellung ist etwa in einem Jahr
zu rechnen. Das Haus ist für die Unterbringung des Berlin-Museums bestimmt; es sind
ferner darin Räume für unseren Verein vorgesehen (Bibliotheksraum, Lesezimmer, Geschäftszimmer). Die Vortragsabende des Vereins, sowie die sonstigen Sitzungen würden dann im
Vortragssaal des Berlin-Museums stattfinden.
Vorankündigungen
Am Dienstag, den 26. Oktober um 19.30 Uhr, spricht im Rathaus Schöneberg Vortragssaal 139 Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm über „Die Familie Graefe und ihre Villa Finkenherd im Berliner Tiergarten". (Mit Lichtbildern).
In einer Veranstaltung zum 150. Geburtstag von Adolph Menzel am 16. November 1965
um 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg Vortragssaal 139 zeigt Herbert Adam seinen Tonfilm
„Der Philosoph von Sanssouci", Friedrich der Große in seinen Briefen, mit Zeichnungen von
Adolph Menzel.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. Graphische Gestaltung: Klaus Mader, Berlin.
Fachobt der Berliner Stadibibliothek
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 3
1. Januar 1966
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf),Katharinenstr. 30, Ruf: 8478 90
Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee 28, Ruf: 94 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
WÜNSCHEN ALLEN MITGLIEDERN
U N D FREUNDEN EIN GUTES, NEUES JAHR,
GESUNDHEIT UND WOHLERGEHEN!
DER VORSTAND
Johann Gottfried Schadow
Zweiter
Teil
Von Dr. Irmgard Wirth
W ä h r e n d der Zeit der französischen Besatzung in Berlin u n d in seinem H a u s
h a t Schadow mit biographischen Aufzeichnungen begonnen. 2 ) V o r allem seine frühe/i
J a h r e k ö n n t e n nicht besser geschildert w e r d e n als durch seine eigene Feder. Einige
für sein Leben u n d Schaffen besonders wichtige Abschnitte seien d a h e r hier zitiert.
I n der d a m a l s noch nicht lange bebauten L i n d e n s t r a ß e v o r dem Halleschen
T o r h a t t e Schadow das Licht der W e l t erblickt. E r e r z ä h l t — stets in der dritten
Person — v o n seiner J u g e n d :
„Der Bildhauer Gottfried Schadow ist geboren zu Berlin den 20. Mai 1764. Seine Eltern
waren zwar von Bauernabkunft, aber sein Vater als Schneidermeister ansässig . . . Unser
Schadow hatte mehrere Geschwister und obwohl die Eltern fleissig waren, so gabs doch nur
so viel, eine kleine Wohnung und dünne Kost zu bestreiten. Er und sein Bruder wurden
in die Schule nach dem grauen Kloster gebracht, weil das wenig kostete. Außer den gewöhnlichen Lehrstunden gab es da auch eine im Zeichnen, der er nicht beiwohnen konnte, weil
sie besonders bezahlt wurde. Er betrachtete diese Schüler als vornehme junge Leute und war
froh nur zuweilen zusehen zu dürfen. In der Rechenstunde dagegen, wo jeder Schüler eine
A 20377 F
Schiefertafel hatte, zeichnete er kleine Pferde mit solchem Beifall, daß die anderen Schüler
ihm ihre Tafeln zuschoben und ihm unterdessen sein Rechenexempel machten. In der breiten
Straße im königlichen Marstall hatte ein Italiener seine Kupferstiche ausgestellt und da
vertrödelte er mit seine angenehmsten Stunden, verdarb aber seine Augen, weil die Blätter
mehrenteils von der vollen Sonne beleuchtet waren.
Als Schadow 11 Jahre alt war, kam der Bildhauer Tassaert nach Berlin, den König
Friedrich der Große sich aus Paris verschrieben hatte. Dieser hatte noch sieben bis acht
pensionierte Bildhauer unter sich und das ganze Etablissement mit den Emolumenten und
Gehalten war gewiß eines der splendidesten in Europa."
M a d a m e Tassaert, die G a t t i n des Bildhauers, unterwies den jungen Schadow,
der schon bei einem verschuldeten K u n d e n seines Vaters, einem Bildhauer, u n entgeltlichen Zeichenunterricht gehabt h a t t e , weiter im Zeichnen, doch zog es ihn
mit aller Macht als A d e p t e n in die B i l d h a u e r w e r k s t a t t . Seine bescheidenen Anfänge
schilderte er mit viel H u m o r : „Nach Gips zeichnen, T h o n kneten, bossieren, F o r m e n
in Gips ausgießen, reparieren, in M a r m o r ebauchieren, schleifen, dazwischen ausfegen, einheizen, Frühstück holen w a r nun sein T a g e w e r k . "
Sehr bald schon gewann Schadow den W e r k e n Tassaerts gegenüber ein k r i tisches Urteilsvermögen u n d sehnte sich nach Freiheit u n d neuen Anregungen. D i e
Aussicht auf eine H e i r a t mit der Tochter Felicite Tassaert m u ß wenig verlockend
gewesen sein; denn a n s t a t t endgültig seßhaft zu w e r d e n u n d versorgt zu sein, flüditete er mit einer Fremden, der schönen M a r i a n n e Devidels, nach Wien, um sie d o r t
zu ehelichen. U n t e r s t ü t z t von seinem Schwiegervater, machte er sich mit seiner
jungen F r a u nach Italien auf.
M a n h a t Schadow mit einer später absichtlich p r o v o z i e r e n d vorgetragenen
anekdotenhaften Ä u ß e r u n g im Gespräch mit F o n t a n e in seinem anscheinend negativen U r t e i l über Italien festlegen wollen, die w a h r e n Eindrücke aber w e r d e n eher
durch seine Schilderung in der Selbstbiographie über seine erste Zeit in Florenz u n d
R o m erhellt:
„Als er nach Florenz kam und die kolossalen Arbeiten des Michelangelo und Giovan di
Bologna auf offenem Platze sah, liefs ihm eiskalt über den Rücken. Dies war die erste und
heftigste Erschütterung, welche aus Bewunderung für die Schönheiten der Kunst in ihm
erregt wurde. Beim Anblick der vielen Antiken sah er die Entfernung, in der er davon abstand und zugleich die Annehmlichkeiten, die der Weg, dahin zu gelangen, darbot. In Rom
1785 angekommen, hielt Schadow sich die ersten Monate in der Werkstatt des Bildhauers
Trippel auf, eines Schweizers, der ein guter Marmorarbeiter war. Die Deutschen räumten
ihm den Präzeptorrang ein unter seiner Leitung stand das Studium nach dem lebenden
Modell. Die Gipsabgüsse waren in der französichen Akademie im Corso besser beleuchtet,
als die Marmors in den Museen, und der Direktor Lagrenee gab uns andern, wenn man
darum anhielt, die Erlaubnis, da zu zeichnen und zu modellieren; welches Schadow mehrere
Monate hindurch benutzte. Die vollständigen Abgüsse der Colonna Trajana waren noch
vorhanden, welche König Ludwig XIV. hatte machen lassen. Im Museum des Capitols
modellierte er eine Kopie nach der Gruppe Amor und Psyche. Ein Zeichenbuch hatte er
stets bei sich und wurde so geübt, daß er sitzend oder stehend allerorten darin zeichnen
konnte, und hat er so eine Folge von Reliefs und Statuen traciert. Ein halbes Jahr hat er
fortwährend im Vatikan zugebracht. Darin war die reichste Sammlung von Skulpturen, mehr
als ein Mensch aufzufassen vermag. Zudem eine Menge von Tierabbildungen . . . "
N e u e r e Forschungen haben ergeben, d a ß Schadow nicht allein die d a m a l s bek a n n t e n und beliebten a n t i k e n Statuen der römischen S a m m l u n g e n gesehen u n d
b e w u n d e r t h a t , sondern eben auch verborgenere, oder noch k a u m gewürdigte A n -
34
tiken, vor allem Reliefs in den vatikanischen Sammlungen aufstöberte und daß
auch diese einen Niederschlag in einigen seiner eigenen Werke gefunden haben. 3 )
Er, der spater als nüchterner Berliner und Realist angesehen wurde, hat in Rom
echten archäologischen Spürsinn entwickelt und auch in vorgerücktem Alter als Mitbegründer und Mitglied der Berliner Archäologischen Gesellschaft dieser frühen Neigungen beibehalten, obwohl er sich in seinem Kunstwollen weitgehend gewandult
hatte. Der Jahrhundertbeginn sah ihn in Berlin, trotz äußerer politischer Bedrängnis sogar in einem stattlichen, noch heute erhaltenen Haus in der Kleinen Wallstraße, die seit langem seinen Namen trägt. In seinen Wänden herrschte ein harmonisches Familienleben und in seiner Werkstatt beschäftigte er zahlreiche Gehilfen.
In seinen Aufzeichnungen hat er bei sich selbst einen „Hang zum Splendiden" konstatiert, den er aber, wie um sich zu entschuldigen, bei den Berlinern allgemein
anzutreffen meinte.
Im Jahre der Ernennung zum Direktor der Akademie der Künste verlor Schadow seine erste Frau. Aus dieser Ehe stammten die künstlerisch begabten Söhne
Ridolfo, der Bildhauer, und Wilhelm, der Maler. Der lebensbejahende Künstler
heiratete zwei Jahre später Henriette Rosenstiel, Tochter des damaligen Direktors
der Berliner Porzellanmanufaktur. Sie schenkte ihm mehrere Kinder, von denen
eines bereits 1818, im Jahre seiner Geburt, starb. Der Sohn Felix wurde später
Maler. Das gute häusliche Leben tröstete ihn aber nicht darüber hinweg, daß er
sich als Künstler zurückgesetzt fühlte. In dem Entwurf für einen offiziellen Bericht
vom Dezember 1820 machte der erst Sechsundfünf zigjährige seinem enttäuschten und
verbitterten Herzen in ergreifenden Worten Luft: „Nach dem ich früher vielfache
Gnade von dem Könige genossen, bin ich von Allerhöchstdemselben nachher gewissermaßen vergessen worden; daraus kann ich die Zurücksetzung herleiten, die
man mich erdulden lässt. . . Was hilft es mir, wenn ich Mitglied so vieler auswärtiger Akademien bin, wenn ich in meinem Vaterlande vergessen werde, während ich,
Gott sei Dank! eine Fülle der Gesundheit genieße, die mir in meinem Kunstfache
thätig zu sein wohl noch gestattet." 4 )
1822 verlor er seinen erstgeborenen Sohn Ridolfo, der als Bildhauer in Rom
gelebt hatte. Trotz mancherlei äußerer Unbill konnte er dennoch 1824 von sich und
seiner Lebensaufgabe schreiben: „Er lebt in dem Wahne, in einem der bestverwalteten Länder zu wohnen, in der schönsten Stadt zwar nicht das größte, aber das
schönste Haus zu besitzen, welches er und sein Sohn mit Frauen und Kindern
bewohnen, hält seine ziemlich weitläufige Familie für die sittsamste und geistreichste,
bildet sich ein die besten Schüler der Sculptur gezogen oder doch zur Stiftung einer
guten Schule beigetragen zu haben, und wenn er mit Neid das Beste der Arbeiten
seiner Nachfolger ansieht, so erhebt ihn der Gedanke, daß er daran Theil habe,
und wenn er der hohen Schule zu Rom die beste Ausführung einräumt für die höchsten Aufgaben in der Kunst, so beschränkt er dies auf Imitation und glaubt, daß
für Aufgaben aus der wirklichen Welt die unter seinen Augen entstandenen Künstler mit mehr Originalität ausgestattete Werke liefern werden. Alle ihm widerfahrenen Ehrenbezeugungen auswärtiger Akademien erkennt er mit Dank und ist der
Meinung, daß es ihm gerecht ergangen sei und vielleicht über Verdienst."
35
Doch schon bald trafen ihn wiederum harte Schicksalsschläge: Sein jüngster Sohn
Julius wurde, erst drei Jahre alt, 1827 zu Grabe getragen, ihm folgte fünf Jahre
später Schadows Gattin Henriette. Um den vereinsamten Künstler wurde es still.
Als eine Art Vermächtnis an alle Lernenden entstanden in den Jahren zwischen
1830 und 1849 seine auf eingehenden Einzelstudien basierenden Schriften, für die
er zahlreiche Zeichnungen schuf.5) Auch viele Vorträge hat Schadow vor wissenschaftlichen und Künstler-Vereinen gehalten. Ein Jahr vor seinem Tode erschien
sein aus der Erinnerung und seinen Schreibkalendern zusammengestelltes, die Jahre
von 1780 bis 1845 umfassendes Buch „Kunstwerke und Kunstansichten", eine trotz
gewisser Irrtümer und Fehlurteile unerschöpfliche Quelle für die Berliner Kunst,
vor allem für wichtige Akademie-Ausstellungen, die Schadow als ausgezeichneter
Beobachter und Chronist schilderte.
Schadows Stellung innerhalb der Berliner und der deutschen Bildhauerkunst
kann auf beschränktem Raum nur skizziert werden. Durch Hans Mackowsky ist sein
bildnerisches und graphisches Gesamtwerk erfaßt und bearbeitet worden und daher
trotz mancher Kriegsverluste theoretisch vollständig überschaubar.6) Seine Anfänge
fielen in das verklingende Rokoko, den Zopf, in eine Zeit, in der Berlin arm war
an bildhauerischen Talenten und im wesentlichen nur Architektur- und Gartenplastik geschaffen wurde. Bei Tassaert, dessen flämisch schwere Art Französisches
nicht eben glücklich zu assimilieren suchte, lernte Schadow nicht viel mehr als das
Handwerk. In Italien sah er sich dann plötzlich den größten Meistern der Bildhauerkunst gegenüber, wurde von dem großen Atem gepackt, der alle diese Schöpfungen
beseelt. Aber wenn er sie auch sorgfältig studierte und kopierte und vom hellenistischen Geschmack mit der Forschung zeitlich weiter zurück zur reinen Klassik
fand, so war er doch kein bloßer Nachahmer. Von Anfang an bemühte er sich, ganz
nahe an die Natur heranzukommen, sie wurde ihm, wie dem einst in Berlin ansässig
gewordenen Zeichner und Kupferstecher Daniel Chodowiecki, das größte und
bleibende Vorbild. Mochten auch die Themen seiner damals entstandenen Arbeiten
meist aus der antiken Mythologie entlehnt, von antiken Bildwerken beeinflußt sein,
so war doch ein neuer Zugriff unverkennbar. Nicht idealische Ferne und Verklärung, klassische Vollendung und Kühle, sondern warmes Leben, Unmittelbarkeit kennzeichnete die von ihm gebildeten Geschöpfe, die in ihrer Grazie und unbefangenen Sinnlichkeit zugleich auch das Erbe des Dixhuitieme nicht verleugneten.
Nach der Rückkehr an die Spree bildeten seine frühen Meisterleistungen eine
vollendete Synthese aus klassisch klarem Umriß der plastischen Form, überraschender Beobachtungsgabe und Naturwahrheit. Das Grabmal des Grafen von der Mark
und die Gruppe der Prinzessinnen Luise und Friederike bleiben hierfür die sprechendsten Zeugnisse: Die antikisch streng aufgefaßten Parzen und der schlummernde
entschlummerte Knabe in seinem kindlichen Liebreiz, oder die in Charakter und
Temperament verschiedenen und doch sich ähnlichen Schwestern in ihrem Adel und
ihrer mädchenhaften Anmut sind in ihrer Auffassung Gipfelpunkte nicht nur der
berlinisch-preußischen, sondern der deutschen Bildhauerkunst vor 1800.
36
Hatte Schadow in Schloß- oder Wohnräumen Reliefschmuck zu schaffen, blieb
er auch bei generellen Abwandlungen in der Auffassung stets der Antike näher,
während in den Bildnissen selbstverständlich die realistischen Züge überwogen. Für
die genaue Erfassung des menschlichen Körperbaues und des Physiognomischen hatte
er selbst mit den erwähnten theoretischen Bemühungen gründliche Vorarbeit geleistet. Wie sehr ihn übrigens Physiognomik beschäftigte, zeigen auch die gezeichneten Geschwister-Porträts, die jeweils die Familienähnlichkeit wie auch die aus dein
Charakter erwachsene Eigenart, das Einmalige des Individuums, zu erfassen suchten.
Ebenso gern hielt er die Eigentümlichkeiten fremder Rassen in möglichster Genauigkeit zeichnerisch fest.
In seiner Heimatstadt war Schadow, der sich auch gern berlinisch gab, Wirklichkeitskünstler, Realist, geworden, hat aber die sensualistische Feinnervigkeit seiner
noch vom 18. Jahrhundert bestimmten Frühzeit und die durch die Antike gewonnenen Einsichten und Maßstäbe nie verloren; sie blieben auch im Unterbewußten die Grundlage seiner Kunst.
Wie sehr seine Art und sein Schaffen Mißverständnissen ausgesetzt sein konnten, offenbart sein Verhältnis zu Goethe, das mit der berühmten Kontroverse, mit
Goethes abfälligen Äußerungen über die prosaisch-berlinische Kunst in den Propyläen von 1801 und Schadows mutiger Erwiderung begonnen und im Zusammenwirken beider für das 1819 vollendete Blücher-Denkmal in Rostock sich zum Guten gewendet hatte. Die Goethe-Medaille von 1816 und die nach der von Schadow überarbeiteten Weißerschen Gesichtsmaske von 1807 entstandene Goethe-Büste aus dem
Jahre 1823 sind sichtbare und bleibende Zeichen dieser Versöhnung. Das BlücherDenkmal wirkt jedoch zwiespältig in dem Versuch, in der Gestalt des Feldmarschalls die Realistik seiner Gesichtszüge und Einzelheiten seines Anzuges, wie
die langen Beinkleider und Stiefel, mit einer „heroisch-dichterischen Tracht" zu
vereinen.
Trotz Rauch war Schadow nach Schlüter der stärkste Eckpfeiler der berlinischen Bildhauerkunst; er schlug den weiten Bogen vom 18. zum Realismus des 19.
Jahrhunderts, obwohl er vor der Jahrhundertwende mit Langhans und Gilly zugleich auch entscheidend am Beginn des preußischen Klassizismus gestanden hatte. Überraschend, weil im Bewußtsein seiner Bewunderer weniger lebendig, ist Schadows immenses graphisches Werk, das viel selbständiger, viel mehr ist als etwa nur zeichnerische Vorbereitung für sein bildnerisches Schaffen. Gäbe es den Bildhauer nicht, hätte
auch der Zeichner und Karikaturist Schadow in der Kunst des 19. Jahrhunderts ein
gewichtiges Wort mitzureden. Von Gelegenheitsarbeiten, reizenden Familienszenen
zu glänzend erfaßten Bewegungsstudien (Tänzerpaar Vigano) und überzeugenden
Bildnissen reicht die Skala seiner zeichnerischen Fähigkeiten. Auch beherrschte er die
verschiedenen druckgraphischen Techniken. Seine Karikaturen sind allerdings fast
nur noch von der damaligen politischen Situation her zu begreifen, also in gewisser
Weise zeitgebunden. Und sein berlinisch-trockener Humor wirkte am treffendsten in
der leicht karikierenden Erfassung und Übersteigerung einzelner Menschentypen. In
wenigen, fast naditwandlerisdi sicheren Strichen vermochte er mit der Genauigkeit
37
seines Blickes u n d seiner eminenten zeichnerischen Begabung das Wesentliche auf
höchst a m ü s a n t e A r t äugen- u n d sinnfällig zu machen. U n t e r den K ü n s t l e r n Berlins
einer der wenigen G r o ß e n , gehört Gottfried Schadow mit seinem W e r k auch in dem
umfassenderen Bereich der deutschen B i l d h a u e r k u n s t seiner Zeit in die erste Reihe,
mit den frühen Schöpfungen an der Schwelle des Klassizismus aber auf den ersten
Platz.
Anmerkungen
') Hans Mackowsky, Die Bildwerke Gottfried Schadows. Mit einer Einleitung von Paul
Ortwin Rave, Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1951, Nr. 293, S. 260.
2
) Gottfried Sdiadow, Aufsätze und Briefe (und Selbstbiographie), herausgegeben von
Julius Friedlaender mit einem Verzeichnis seiner Werke von Heinrich Wittich, Düsseldorf
1864 und Stuttgart 1890.
3
) Gottfried Schadow und die Antike. Vortrag von Heinz Ladendorf, Köln, in der Berliner
Archäologischen Gesellschaft am 28. Januar 1965.
4
) Mackowsky,
6
Bildwerke, S. 96 f.
) Die wichtigsten sind:
Lehre von den Knochen und Muskeln, von den Verhältnissen des menschlichen Körpers
und von den Verkürzungen, 1830.
Polyclet oder von den Maßen der Menschen nach Geschlecht und Alter, 1834.
National-Physiognomieen oder Beobachtungen über den Unterschied der Gesichtszüge
und die äußere Gestaltung des menschlichen Kopfes (Fortsetzung des Polyclet), 1835.
Thorvaldsens Ehrenfeier, 1844.
Ferner, Aufsätze, Briefe, Tagebücher, Schreibkalender sowie Selbstbiographie, vgl. Anm. 2.
Zu erwähnen ist noch die mit mehreren Mitarbeitern unter Schadows Leitung unternommene Veröffentlichung: Wittenbergs Denkmäler der Bildnerei, Baukunst und
M a l e r e i . . . , 1825.
6
) Das Verzeichnis aller bildhauerischen Arbeiten hat Hans Mackowsky
vgl. Anm. 1, ebenso den Werkkatalog der Graphik:
zusammengestellt,
vgl. Anm. 1, ebenso den Werkkatalog der Graphik: Hans Mackowsky, Schadows Graphik,
Forschungen zur Deutschen Kunstgeschichte, XIX, herausgegeben vom Deutschen Verein
für Kunstwissenschaft, Berlin 1936. In beiden grundlegenden Werken auch die SchadowLiteratur. Ferner: Heinrich Ragaller, Skizzen und Zeichnungen von J. G. Schadow im
Berliner Kupferstichkabinett. In: Jahrbuch der Berliner Museen, 2, 1960, S. 116—171.
38
Film- und Bildarchivierung zur Geschichte Berlins
Die letzte Sitzung vor der Sommerpause führte uns in die Landesbildstelle
Berlin in der Altonaer Straße, wo der Leiter der Archiv-Abteilung der Landesbildstelle, Wissenschaftl. Rat Dr. Fritz Terveen, den Aufbau und die Aufgaben der
Landesbildstelle erläuterte und durch Lichtbilder anregend ergänzte. Danach wurde
im Jahre 1949 in der Landesbildstelle Berlin mit der Sammlung und Aufbewahrung
von Filmen und Photographien aus Vergangenheit und Gegenwart der Stadt
begonnen. Diese Aufgabe wird von einer besonderen Archivabteilung wahrgenommen, deren Arbeit ihren Niederschlag in den umfangreichen Sammlungen des
Landesbildarchivs und des Landesfilmarchivs findet.
Das Landesbildarchiv umfaßt heute rund 150 000 Original-Photonegative
historischer und aktueller Aufnahmen aus Politik, Wirtschaft und Kulturleben,
sowie von Bauten, Straßen und Plätzen Berlins, ferner ein umfangreiches Archiv
von Porträts historischer und zeitgenössischer Persönlichkeiten. Der gesamte Bestand
an Aufnahmen, überwiegend in schwarz-weiß, seit einigen Jahren zunehmend auch
in Farbe (Farbnegative), ist sorgfältig identifiziert und betextet. Das Bildarchiv ist
öffentlich zugänglich.
Alle Aufnahmen sind Eigentum der Landesbildstelle Berlin. Nur in wenigen
Ausnahmefällen verfügt die Landesbildstelle lediglich über Teilrechte. Das Gros
der Bildbestände reicht von 1890 bis zur Gegenwart. Die weiter zurückliegende Zeit
ist in photographischen Reproduktionen nach Stichen, Gemälden, Zeichnungen und
Daguerreotypien — allerdings nur sporadisch — erfaßt. Hier wird man dann
häufig auf das Landesarchiv Berlin, das erheblich ältere Bestände besitzt, sowie auf
bezirkliche Heimatarchive und Museen usw. zurückgreifen müssen.
Das Porträtarchiv wird als besondere Gruppe geführt und reicht inhaltlich
zum Teil auch über den engeren Berliner Raum hinaus. Eine weitere Sondergruppe
bildet die Sammlung zeitgeschichtlicher Aufnahmen von 1900 bis 1945. Hier sind
historische Photos zusammengefaßt zur politischen Geschichte der ehemaligen
Reichshauptstadt, jedoch findet man unter dieser Rubrik auch Aufnahmen zur
deutschen Geschichte jener Jahre überhaupt, so etwa Bilder aus dem ersten und
zweiten Weltkrieg. Nach Möglichkeit ist auch hier darauf gesehen worden, daß ein
Bezug zur Geschichte Berlins gewahrt bleibt. Für die Herstellung der Aufnahmen
verfügt die Landesbildstelle über einen eigenen Aufnahmedienst.
Das Landesfilmarchiv enthält rund 350 000 m an dokumentarischen Filmaufnahmen. Dieses Material ist überwiegend hervorgegangen aus eigener Aufnahmetätigkeit der Landesbildstelle, ergänzt durch Ankäufe oder sonstige Übernahmen von
Wochenschau- und Dokumentarfilmen, ganz oder in Ausschnitten, die Berlin betreffen. Ein nicht geringer Prozentsatz solcher Erwerbungen erstreckt sich naturgemäß
auf Filmmaterial, in dem Berliner Persönlichkeiten, örtlichkeiten, Ereignisse usw.
aus früheren Jahren, namentlich zwischen 1895 und 1945 festgehalten worden sind.
Die Thematik der Filmaufnahmen erstreckt sich, ähnlich wie im Bildarchiv, auf alle
39
Gebiete des städtischen Lebens. Auch hier nimmt die aktuelle Berichterstattung einen
breiten Raum ein, wobei dann auch der Hauptteil der Tonfilmaufnahmen anfällt.
Besondere Aufmerksamkeit wird bei der Herstellung von Archivaufnahmen seit
einigen Jahren der Gewinnung von sogenannten „Persönlichkeitsaufnahmen" gewidmet. Hier handelt es sich um kurze Tonfilmaufnahmen solcher Zeitgenossen, die
für oder in Berlin auf wissenschaftlichem, künstlerischem, politischem oder wirtschaftlichem Gebiet Bedeutendes geleistet haben. Zur Zeit liegen derartige Tonfilmaufnahmen vor u. a. von Rudolf Wissell, Marie Elisabeth Lüders, Ferdinand Friedensburg, Theodor Heuss, Willy Brandt, Hans Scharoun, Max Taut, Hugo Härtung,
Boleslaw Barlog, Bernhard Heiliger, Friedrich Hollaender, Joachim Tiburtius, Otto
Dibelius, Lucius D. Clay, John F. Kennedy, Günther Grass.
Mit Hilfe der hier geschilderten Einrichtungen und Möglichkeiten ist die Landesbildstelle Berlin in der Lage, eine umfassende und regelmäßige Film- und Bilddokumentation über das Land Berlin durchzuführen, die in dieser Geschlossenheit
und Intensität, auch in ihrer systematischen Konzentrierung auf eine begrenzte
Stadtlandschaft in der vielfältigen Fülle ihrer Lebensregungen, sicherlich ihresgleichen
sucht. Damit konnte hier ein schon seit vielen Jahren — im Grunde schon seit
Erfindung der Photographie und Kinematographie — immer wieder von Archivaren,
Historikern und Kommunalpolitikern ausgesprochener Wunsch verwirklicht werden.
Die Familie v. Graefe und ihre Villa Finkenherd
im Berliner Tiergarten
war das Thema eines Vortrages von Prof. Dr. Dr. Walter
am 26. Oktober 1965.
Hoffmann-Axthelm
Der Vortragende schilderte zunächst die im zweiten Weltkrieg zerstörte und
nicht wieder aufgebaute Villa Finkenherd im Tiergarten, die sich der Chirurg
Carl Ferdinand v. Graefe 1824 nach einem Entwurf von Schinkel am Nordwestrande
des Parks gegenüber dem heutigen Hansaviertel hatte erbauen lassen. Der Lebenslauf
des Bauherrn, der 1810 im Alter von nur 23 Jahren als erster Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik berufen worden war und das berühmte Klinikum in der
Ziegelstraße begründete, wurde kurz dargelegt. Sodann wurde ausführlich berichtet
über die Baugeschichte der Villa und anhand zeitgenössischer Quellen über das reiche
kulturelle Leben, das bald die Mauern des Finkenherds erfüllte.
1828 wurde hier der große Augenarzt Albrecht v. Graefe geboren, 1840 sein
Vater Carl Ferdinand aufgebahrt. Bald aber zog mit der nachfolgenden Generation
wieder junges Leben in das Haus: Ottilie v. Graefe versammelte hier einen literarisch
eingestellten Freundeskreis, dem u. a. die Bettina-Töchter, die Olfers-Töchter und
die Schwestern Bardua angehörten, und um Albrecht scharte sich ein fröhlicher
Studentenkreis.
40
1854 wurde die Villa von der Familie verkauft, sie ging von Hand zu Hand,
bis sich in ihr auf Wunsch der Kronprinzessin Viktoria 1880 die Gastwirtschaft
Charlottenhof etablierte. In dieser Form ging das Haus unter in den Bombennächten
des 22. und 23. November 1943.
Der Vortrag, der durch ein zahlreiches Bildmaterial erläutert wurde, soll in
einer Schrift unseres Vereins in extenso veröffentlicht werden.
Der Philosoph von Sanssouci
In einer Veranstaltung zum Gedenken an den 150. Geburtstag Adolf von Menzels (8. Dezember) führte unser Mitglied Herbert Adam am 16. November den von
ihm selbst angefertigten Farb-Ton-Film „Der Philosoph von Sanssouci" in unserem
überfüllten Vortragssaal vor. Aus der großen Anzahl von Briefen Friedrichs des
Großen seiner bekannten Autographen-Sammlung hatte er 32 Briefe und Dokumente und einige andere Schriftstücke ausgewählt und diese mit 71 Zeichnungen von
Menzel, zumeist aus dem bekannten Werk von Kugler, Geschichte Friedrichs des
Großen, sowie Reproduktionen von 3 Gemälden, 1 Goldmünze und einem Buch aus
dem Besitz des Freundes Friedrichs, Katte, zu einem sehr eindrucksvollen Film
vereinigt. Der Lebensweg Friedrichs des Großen zog an uns vorüber von der frühen
Jugend bis zu seinem Tode. Der erste Brief des Kronprinzen an seinen geliebten
Lehrer Duhan vom 20. Juni 1727, in dem er ihm verspricht, jährlich 2400 Taler
zu geben, sobald er sein eigenes Geld in Händen habe, verfehlte nicht seine Wirkung,
ebenso wie die nachfolgenden Briefe, besonders die an seinen Kammerdiener Fredersdorf, die als einzige in deutsch und zwar in einem sehr unbeholfenen geschrieben,
aber sehr gut gemeint waren. „. . . lasse Dir man guht Seindt — Gott bewahr Dihr",
so lautete der Schluß eines solchen Briefes. Menzels bekannte Ölgemälde, die Tafelrunde in Sanssouci und das Flötenkonzert kamen sehr gut heraus und erstrahlten
in einem selten schönen Glanz. Die Darstellung des Lebensabends des großen König
machte auf die Zuschauer einen besonders tiefen Eindruck. Der alte König auf der
Terrasse in der Sonne sitzend und die ersten warmen Frühlingstage genießend, war
ein ergreifendes Bild in Verbindung mit einem Schreiben an seinen Bruder Heinrich:
„Es ist so mein lieber Bruder, daß man ständig schwächer wird und daß die Leiden
dazu bestimmt sind, die Folge unserer Tage zu verkürzen. Wenn sie bis zum Ende
sich unaufhörlich verstärken, erledigen sie uns ganz und gar." Der Film klang aus
mit der Schlußvignette von Menzel und dem Erscheinen und allmählichen Verklingen
der Totenmaske, aus der Würde und ruhig sinnender Ernst zu sprechen schien.
Mit dem Film „Der Philosoph von Sanssouci", dem als Begleitmusik Kompositionen des Königs, gespielt von dem Kammerorchester des Generalmusikdirektors
von Benda, eines Nachkommen des Konzertmeisters Friedrich des Großen, beigegeben war, hat unser Mitglied Herbert Adam eine großartige Leistung vollbracht,
für welche ihm auch noch an dieser Stelle der herzlichste Dank des Vereins ausgesprochen sein möge.
Hs.
41
Der Berliner Zoologische Garten
In einem prachtvollen Farbtonfilm von Klaus Noack führte am 2. Dezember
der Direktor des Zoologischen Gartens, Dr. Heinz-Georg Klös, die Geschichte und
den gegenwärtigen Zustand des Berliner Zoo vor, der in der Tat eine Oase im
Herzen der Weltstadt bildet. Er wurde eröffnet am 1. August 1844 und ist somit
der älteste Tiergarten in Deutschland; Vorgänger hatte er, wenn man von den Tierhaltungen in antiker Zeit absieht, in London (1828), Dublin (1830), Bristol (1835),
Manchester (1836), Amsterdam (1838) und Antwerpen (1843). Den Grundstock für
den Garten bildeten die Fasanerie im Tiergarten und der Tierpark auf der Pfaueninsel des Königs Friedrich Wilhelms IV., der die Schaffung des Zoos sehr begünstigte.
Einen besonderen Aufschwung nahm der Garten unter der Leitung des volkstümlichen
Prof. Dr. Ludwig Heck, der im Jahre 1888 zum Direktor gewählt wurde und dieses
Amt 1932 seinem Sohne, Dr. Lutz Heck, übergab, unter dessen Leitung eine weitgehende Modernisierung vorgenommen wurde. Im zweiten Weltkrieg wurde der Zoo
durch einen Bombenangriff am 13. November 1943 und im Januar 1944 fast völlig
verwüstet, auch das zum Zoo gehörende Aquarium wurde vernichtet. Der reichhaltige
Tierbestand fiel bis auf 91 Tiere den Bomben zum Opfer.
Nach Kriegsende mußte mit dem Aufbau neu angefangen werden. Jetzt steht
der Zoo, schöner denn je, den Berlinern wieder zur Verfügung. Die alten im fremdländischen Stil erbauten Tierhäuser wurden durch moderne, allen hygienischen Anforderungen entsprechende Zweckbauten ersetzt, die den Aufgaben des Zoos, neben der
Schaustellung der Tiere auch der Züchtung und Erhaltung seltener oder ausgestorbener
Tierarten zu dienen, besser gerecht werden als die alten Tierhäuser.
So bildet der Zoologische Garten in Berlin, der als einer der wenigen sich noch
im Privatbesitz, des Aktienvereins, befindet, wieder einen attraktiven, kulturellen
Mittelpunkt der früheren Reichshauptstadt; er liegt mitten im Zentrum Berlins und
ist, wie der vorgeführte Film sehr anschaulich zeigte, wirklich eine Oase in der Großstadt, die für die Berliner in hohem Maße eine Stätte der Belehrung, der Erholung
und der Unterhaltung darstellt.
Hs.
Buchbesprechungen
Berühmte Deutsche in Berlin. Herausgegeben von Walther G. Oschilewski. arani-Verlags G.m.b.H. Berlin 1965. 199 S. Gzln. DM 16,80.
Aus den zahlreichen großen Deutschen in Berlin hat der Herausgeber vierzehn ausgewählt und läßt sie in Erlebnisberichten, Bekenntnissen, Darstellungen und dergl. ihr
Urteil über Berlin, das nicht ihre Geburtsstadt ist, abgeben. In einer kurzen biographischen
Skizze, die jedem Kapitel vorangestellt ist, erfahren wir das Wichtigste über ihren Aufenthalt in Berlin, die Gründe der Reise, die Beschäftigung, die Beziehungen zum Theater, zur
Kunst und Wissenschaft u. a. m. Ihre Eindrücke und Schilderungen geben uns wertvolle
Aufschlüsse über die damaligen Zustände in Berlin, die politischen und sozialen Verhältnisse, die Theater, das literarische Leben, die Gesellschaft. Das Buch mit seinem reichen
Inhalt ist ein wertvoller Beitrag zur Kulturgeschichte Berlins.
Hs.
42
Selbstzeugnisse Berliner Ärzte. Ausgewählt und herausgegeben von Prof. Dr. Heinz
Goerke. Berlin Verlag 1965. 308 Seiten. Gzln. DM 22,50.
In einer neuen Schriften-Reihe „Schriften großer Berliner" will der Verlag bedeutende
Persönlichkeiten Berlins der verschiedensten Berufe und Stellungen in Selbstzeugnissen,
Briefen und sonstigen Berichten den Lesern nahe bringen. In dem vorliegenden Buch über
Berliner Ärzte ist des dem Herausgeber bestens gelungen. Er hat neun hervorragende Mitglieder der Berliner Ärzteschaft sorgfältig ausgewählt, die wesentlich zum Ansehen der
Berliner Medizin im vorigen Jahrhundert, in dem Berlin als das internationale Zentrum
der wissenschaftlichen medizinischen Forschung galt, und über ihren Lebensgang durch
eine kurze biographische Einleitung berichtet. Wir erfahren viel Interessantes über ihr
Leben und ihre Arbeit in Berlin, über ihr Urteil über die Stadt, in welcher sie zwar nicht
geboren waren, aber doch infolge ihres Berufs einen großen Teil ihres Lebens verbrachten.
Bei dem gegenwärtigen großen Interesse für Berlin wird auch dieses Buch viele Leser nicht
nur unter den Ärzten, sondern auch unter den Nichtärzten finden. Ergänzt wird der Text
durch ein sorgfältig bearbeitetes Namensregister, sowie durch ein Quellenverzeichnis und
Literaturhinweise, die zu weiterem Studium anregen.
Hs.
Selbstzeugnisse Berliner Maler. Menzel, Liebermann, Slevogt, Corintb.
von Irmgard Wirth. Berlin-Verlag 1964. 298 S. Gzln. DM 22,50.
Herausgegeben
Für die Buchreihe „Schriften großer Berliner" hat Irmgard Wirth mit liebevollem Verständnis und großer Sachkenntnis die vier obengenannten Maler ausgewählt, ihr Leben
und Wirken in der von ihr bekannten hervorragenden Weise geschildert, sowie ihre Stellung in der deutschen Malerei erläutert. Diese vier Maler waren die ausgezeichneten
Repräsentanten der Berliner Malerei von 1840 bis 1930 und spiegeln in ihren Briefen,
Reden und Schriften das künstlerische Leben in Berlin der genannten Zeit am besten wieder.
Aber auch die politischen Ereignisse in Berlin werden in den Kreis der Betrachtung gezogen
und bilden eine notwendige Ergänzung zu den künstlerischen und gesellschaftlichen Schilderungen. Das Buch stellt einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Berlinertums, nicht
allein von der künstlerischen Seite dar.
Hs.
Panorama Berlin. Kalender 1966. Arani-Verlag Berlin 1965. Preis DM 6,20.
Ein sehr schöner Wandkalender in Großformat, der auf 28 Tafeln auf Kunstdruckpapier vielfach farbige Abbildungen und Zeichnungen nicht nur der älteren Künstler bringt,
sondern auch moderne Maler wie Hans Baluschek, Ernst Ludwig Kirchner, Hans Stein,
Werner Heldt, Otto Pippel, Karl Schmidt-Rottluff, Gustav Wunderwald, Bernhard Klein,
Erich Heckel u. a. berücksichtigt.
Hs.
Unvergessenes Berlin. Kalender 1966. Haude & Spener Verlag Berlin. Preis DM 5,80.
Ein einfach gehaltener Bildkalender, der in 12 Schwarz-Weiß-Aufnahmen besonders
eindrucksvolle Bilder aus dem alten, uns nicht mehr zugänglichen Berlin bringt. Die Bilder
sollen uns Teile unserer geteilten Stadt vor Augen führen, die wir nicht vergessen sollen
und die uns mahnen, daß Berlin eine unteilbare Stadt, die Hauptstadt des ganzen Deutschlands ist.
Hs.
Ina Seidel: Berlin, ich vergesse Dich nicht! Berlin, Staneck-Verlag 1962. 72 S. m. zahlr.
Zeichnungen u. Aquarellen. DM 7,80.
Wer ein schönes Geschenk sucht, der greife zu diesem kulturhistorischen Bilderbuch
Ina Seidels, die am 15. September 1965 ihren 80. Geburtstag in Starnberg am See feiern
konnte. Obwohl schon mehr als ein Vierteljahrhundert nicht mehr in Berlin ansässig, vereinigt sie hier in lebhaft abwechslungsreichen, oft humorvollen Schilderungen all ihre Erinnerungen an ihre Berliner Jahre, die mit Unterbrechungen von der Jahrhundertwende bis
in die Dreißiger Jahre reichten mit den künstlerischen und geistigen Höhepunkten sowie
ihren Begegnungen mit so manchen prominenten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens
dieser Epoche. Sie erzählt fesselnd von ihren beiden Onkeln, Heinrich Seidel, dem Verfasser des Romans „Leberecht Hühnchen", und Paul Seidel, dem Betreuer der Berliner
und Potsdamer Schlösser sowie Herausgeber des Hohenzollern-Jahrbuches. Ferner berichtet
43
sie von den Erlebnissen in den Berliner Gemeinden ihres Mannes, der, ihr Vetter und Sohn
von Heinrich Seidel, anfangs Seelsorger am Lazarus-Krankenhaus im dichtbevölkerten
Norden Berlins und später Pfarrer am Neuen Dom am Gendarmenmarkt gewesen ist. Selten hat ein Buch auf so knappem Raum die Berliner Atmosphäre so anschaulich und treffend eingefangen. Nicht unerwähnt seien die Zeichnungen und Aquarelle von Gabriele
Albeshausen, Kurt Heiligenstaedt, Marga Karlson und Friedrich P. von Zglinicki.
J.L.
Eugen Paunel: Die Staatsbibliothek zu Berlin. Ihre Geschichte und Organisation während der ersten zwei Jahrhunderte seit ihrer Eröffnung, 1661 bis 1871. Berlin: Walter
de Gruyter & Co., 1965, 420 S. u. 64 Abb. DM 98,—.
Es entbehrt nicht eines gewissen Reizes, daß der Verfasser der Geschichte der Preuß.
Staatsbibliothek in Berlin weder ein Preuße noch ein Berliner, sondern ein aus Wien
stammender Österreicher ist, der als Direktor der Bibliothek in Czernowitz erst im Zuge
der durch den zweiten Weltkrieg verursachten Umsiedlungen 1941 an die Preuß. Staatsbibliothek nach Berlin kam und zuletzt als Abteilungsdirektor an der öffentlich Wissenschaftl. Bibliothek, wie sie nach 1945 hieß, bis 1954 tätig war. Paunel hat das große Verdienst, eine grundlegende Darstellung der Geschichte der Preuß. Staatsbibliothek in Berlin geschaffen und damit eine Lücke geschlossen zu haben. Es ist deshalb notwendig, an
dieser Stelle etwas näher darauf einzugehen. Hatten doch die beiden anderen großen Berliner Institutionen früher bereits ihre Würdigung gefunden: Die Königl. Preuß. Akademie
der Wissenschaften anläßlich ihres 200jährigen Bestehens im Jahre 1900 durch Adolf v. H a r nack und die 1810 gegründete Königl. Friedrich-Wilhelms-Üniversität durch Max Lenz in
den Jahren 1910—1918.
Die älteste der drei Berliner Institutionen ist jedoch die Preuß. Staatsbibliothek. Ihr
Ursprung geht in die Regierungszeit des Großen Kurfürsten zurück, als dieser nach dem
Dreißigjährigen Kriege beschloß, „seine Schloßbibliothek weitgehend zu organisieren und
öffentlich zugänglich zu machen". Mit dieser Aufgabe betraute er 1658 den in Berlin gebürtigen Professor am Joachimsthalschen Gymnasium und Schulinspektor in der Mark Brandenburg Johann Raue (Ravius). Der Umzug der Sammlungen aus dem Dachgeschoß des
Schlosses in das vom Festungsbaumeister Memhardt hergerichtete 1. Stockwerk des Apothekenflügels sowie die Anlage eines alphabetischen Katalogs verzögerten die Eröffnung,
die 1661 erfolgte. Um die Arbeiten für den unentbehrlichen, alle Bestände umfassenden
Realkatalog zu beschleunigen, wurde der Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Johann
Vorstius, zum zweiten Bibliothekar nebenamtlich bestellt (1662). Dazu kamen bald die
Brüder Christof und Peter Hendreich, die beide in Frankfurt/Oder studiert hatten, an der
Christof seit 1664 Professor des öffentlichen Rechts und der Geschichte war. Kurfürst
Friedrich III., der spätere König Friedrich L, war an dem Aufbau der Bibliothek weniger
interessiert. Von 1699 datiert seine Verfügung, die den Verlegern nach französischem Vorbild
auferlegt, zwei Pflichtexemplare der in ihrem Verlage erscheinenden Bücher an die Kurfürstliche Bibliothek unentgeltlich abzuliefern.
Unter der Regierung König Fxiedrich Wilhelms I. trat eine Zeit des Stillstandes in
der Entwicklung der Bibliothek ein, zumal die Etatmittel wesentlich verkürzt wurden.
Unter den Bibliothekaren dieser Zeit seien erwähnt der aus Heidelberg kommende Bibliothekar Lorenz Berger sowie Mathurin Veyssiere de la Croze aus Nantes in der Bretagne,
ein allgemein anerkannter bedeutender Gelehrter und Professor der Philosophie am Berliner College francais. Friedrich IL als Kronprinz nennt ihn in einem Briefe an Voltaire 1739 »l'homme le plus savant de Berlin, le repertoire de tous les savants d'Allemagne, un vrai magazin de sciences«. Zunächst war Friedrich IL jedoch mehr an der Akademie der Wissenschaften interessiert, erst später wandte er sich der Förderung der Bibliothek zu, dabei angeregt durch den damaligen Kapitän, späteren Obersten Charles Theophile Guichard, vom König „Quintus Icilius" genannt. Wie sehr die Bibliothek bald zu
großem Ansehen gelangt war, zeigt Friedrich Nicolais Äußerung in seiner „Beschreibung
der königl. Residenzstädte Berlin und Potsdam" von 1786: „Die königliche Bibliothek ist
eine der ansehnlichsten in Europa". Dies zeigen auch die — wenn auch vergeblichen —
Bewerbungen von Lessing und Winckelmann.
In diese Zeit fällt die Errichtung eines neuen Gebäudes für die Bibliothek am Opernplatz von Georg Friedrich Boumann d. J. erbaut. Der König legte zugrunde den nichtausgeführten Plan zum Michaeiertrakt der Wiener Hofburg, den Josef Emanuel Fischer
von Erlach d. J. 1724 gezeichnet hatte. Der Bau dauerte von 1775 bis 1780; der Umzug
der Bücherbestände konnte im Dezember 1780 beginnen. Dazu kam das Eckgebäude Beh-
44
renstraße 40 mit einer „Lesekammer", viel später wurde auch das Haus Behrenstraße 41
mit der Bibliothek vereinigt. In diesem Gebäude, der sogenannten „Alten Kommode", ist
die Staatsbibliothek 130 Jahre geblieben, bis sie in das von Ihne gebaute große Bibliotheksgebäude Unter den Linden zog. Adolf von Harnack, der spätere Generaldirektor der
Königl. Bibliothek bezeichnete einmal die „Alte Kommode" als ein „prächtiges und zugleich
anmutiges Bibliotheksgebäude."
Mit dem Umzug der Bibliothek war auf königliche Veranlassung auch eine Neuordnung
ihrer Verwaltung verbunden. Unter den Bibliothekaren dieser Zeit ist hervorzuheben
Friedrich Wilhelm Stosch, der vor seiner Berufung Ratsmann des Magistrats der Stadt
Berlin gewesen war; seine drei Brüder waren bedeutende Theologen. Weniger glücklich
war die Berufung des Benediktinermönchs Anton Joseph Pernety aus der Pariser Kongregation S. Maur; seine eigenwilligen religiösen Auffassungen machten ihm ein längeres
Verweilen in Berlin unmöglich. Sein Nachfolger wurde Dr. jur. Johann Erich Biester, ein
Freund Nicolais, der eine wesentliche reformatorische Tätigkeit in der Bibliothek ausgeübt
hat und bald die Leitung der Bibliothek übernahm, die er von 1794 bis zu seinem Tode
1816 innehatte. Er war auch der Herausgeber der „Berlinischen Monatsschrift", des Hauptorgans der Aufklärung in Berlin. Unter seiner Leitung glückten der Bibliothek zwei
beachtliche Neuerwerbungen: Die Bibliothek des Predigers an der Berliner Jerusalemer
Kirche, Friedrich Jacob Roloff sowie ein Teil der bedeutenden Bibliothek des 1795 verstorbenen Königl. Leibarztes Johann Karl Moehsen.
Nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. kam die Bibliothek eine Zeitlang
unter die Oberaufsicht der Akademie der Wissenschaften (1798 bis 1810), alsdann zum
Geschäftskreis der Abteilung für Kultus und öffentlichen Unterricht, des späteren Kultusministeriums. Nach dem Tode Biesters wurde der Professor der Geschichte von der Universität Heidelberg und Leiter der dortigen Universitätsbibliothek Friedrich Wilken Leiter der
Berliner Königl. Bibliothek. Ein neues Reglement, eine Neuaufstellung der Bücher und
Herstellung eines neuen Realkatalogs sind sein besonderes Verdienst.
Bei der Errichtung der Berliner Universität war für die Wahl des Ortes maßgebend
gewesen, daß die Königl. Bibliothek hier ihren Sitz hatte. Zunächst hat sie auch die
Funktionen einer Universitäts-Bibliothek miterfüllen müssen, was sich jedoch bald als
undurchführbar erwies und zur Gründung einer eigenen Universitätsbibliothek im Jahre
1831 geführt hat.
Welchen Einfluß der Historiker Leopold von Ranke schon damals besaß, zeigte sich
darin, daß er als Nachfolger Wilkens den Archivar und Bibliothekar an der Königl.
Bibliothek zu Hannover, Georg Heinrich Pertz, durchsetzte, damit Pertz zugleich die
Leitung jener berühmten Quellensammlung, der „Monumenta Germaniae historica", in die
Preußische Hauptstadt bringen konnte. Pertz, der von 1842—1873 in Berlin gewirkt hat,
verkehrte viel in den Berliner gelehrten Kreisen, so beispielsweise mit den Brüdern Grimm,
Savigny, Lepsius, Schelling, Ranke und Helmholtz. Unter den damals neu erworbenen
Bibliotheken verdienen besonders hervorgehoben zu werden: Die Bücherei des Grafen
ßtienne Mejan sowie die noch umfangreicheren berühmten Kollektionen des Freiherrn
Gregor von Meusebach mit 25 000 Werken in ca. 38 000 Bänden, die das deutsche Schrifttum
vom Ende des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in seltener Vollkommenheit umfaßte.
Die Sammlung des Generals Josef Maria von Radowitz erbrachte als Geschenk Friedrich
Wilhelms IV. 13 000 Autographen. Damals gelangte auch die berühmte Hundshagen'sche,
mit Miniaturen gezierte Nibelungenhandschrift in die Staatsbibliothek.
Auf Pertz, der die Bibliothek mit Umsicht und Erfolg verwaltet hatte, folgte in der
Leitung der große Ägyptologe Carl Richard Lepsius (1873 bis 1884), der bei der Einweihung
des Suez-Kanals als erster mit einer Gesellschaft auf dem Nil bis Assuan aufwärts gefahren
war. Während seiner Amtszeit sind drei bedeutende Sammlungen größeren Umfangs in
die Bibliothek gelangt: die von Louis Schneider zusammengestellte „Sammlung aller auf
den Krieg 1870/71 bezüglichen Schriften und Bilder" als Geschenk Kaiser Wilhelms I.,
ferner der literarische Nachlaß von Karl August Varnhagen von Ense und die Handschriften des schottischen Herzogs Alexander Hamilton. Lepsius war nicht nur ein großer
Gelehrter, sondern zugleich auch als Organisator für die Bibliothek bedeutend. Am Ende
seiner Amtsführung liegt der Beginn einer neuen, modernen Periode des deutschen Bibliothekswesens, die durch die Wirksamkeit des großen Reformators der deutschen Bibliotheken,
Friedrich Althoff, eingeleitet wurde und bestimmend geblieben ist.
Der zweite Band der Geschichte der Staatsbibliothek, den Paunel bereits in Vorbereitung hat, soll das Wirken von Althoff, Adolf von Harnack und Fritz Milkau
schildern und die Ausweitung der Bibliothek als deutsche Zentralbibliothek.
45
Möge dem verdienten Verfasser dieser vorzüglichen, gründlichen Arbeit, die er auf
Grund aller noch verfügbaren, durch den zweiten Weltkrieg leider sehr verminderten
Quellen geleistet hat, eine baldige Vollendung dieses zweiten Bandes vergönnt sein!
J-L.
Kreuzberg. Ein Berliner Bezirk gestern und heute. Dargestellt von Walther G. Oschileivski. Aufnahmen von Alois Bankhardt und Winfried Zellmann. Herausgegeben v. Bezirksamt Kreuzberg von Berlin, arani Verlags-GmbH. Berlin 1965. 59 Seiten. 43 Abbildungen. Pbd. DM7,80.
In anschaulicher Weise, unterstützt durch gut gelungene Aufnahmen, werden hier die
Geschichte, der gegenwärtige Zustand und die besonderen Merkmale des Bezirks Kreuzberg zur Darstellung gebracht. Mit liebevoller Sorgfalt hat der Verf. alles zusammengetragen, was zur guten Kenntnis des Bezirks notwendig ist. Wir teilen seine Ansicht, daß
hier ein neuer Stadtteil im Werden ist, dem in jeder Weise eine aussichtsreiche Zukunft
beschieden sein wird.
Hs.
Hellmuth Günther Dahms: Vom Kaiserreich zum Bundeshaus. 50 Jahre deutsche Geschichte in Berlin. Berlin: Staneck-Verlag 1964. 243 S., davon 32 S. Text. DM 29,80.
Nach einem historischen Überblick bietet der Verfasser eine sehr eindrucksvolle Bilddokumentation, bekannte und unbekannte Fotos, die das gesamte politische Geschehen in
Berlin von 1913 bis 1963 in großer Vollständigkeit an uns vorüber ziehen lassen mit allen
Höhepunkten und Tiefpunkten dieser Epoche, von der einst viel bewunderten Hauptstadt
des Deutschen Reiches bis zum bitteren Ende. Erschütternde Aufnahmen demonstrieren
die Entwicklung, die zwangsläufig zur Tragödie führen mußte. Mit dem Besuch von Präsident Kennedy in Berlin schließt das Buch.
J. L.
Waltber-Rathenau-Schriften,
ausgewählt und eingeleitet von Arnold Härtung, Günther Jenne, Max Ruland, Eberhard Schmieder, mit einem Beitrag von Golo Mann. Berlin
Verlag 1965. 416 S. Gzln. DM 25,—.
Die Schriften Walther Rathenaus gehören unbedingt in die Sammlung „Schriften großer
Berliner" hinein, sie bilden einen wesentlichen Bestandteil der Geschichte der letzten Jahre
des kaiserlichen Deutschlands. Walther Rathenau hat sein Leben in Berlin verbracht und
hier seine Arbeit in der Wirtschaft und Politik geleistet. Die geschickte Auswahl aus
seinen Briefen und Schriften und nicht zuletzt die Äußerungen führender Persönlichkeiten
über ihn vermitteln uns ein ausgezeichnetes Bild vom Wesen, Wirken und Denken dieses
großen Deutschen. Ein ausführliches Namensregister zeigt uns die Menschen seiner Umwelt, eine sorgfältige Bibliographie seine Werke und sonstigen Veröffentlichungen.
Hs.
Hannes Schwenger:
Berlin im Widerstand. Berlin: Staneck-Verlag 1965. 134 S. DM8,80.
Mit den Beiträgen, die der Band enthält, will der Herausgeber die Erinnerung an den
deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus von neuem wachrufen, wenn auch
diese zum großen Teil bereits bekannte Tatsachen bringen oder literarisch umgestaltet sind.
So behandelt der 1963 verstorbene Karl Brammer das erschütternde Schicksal des Prof.
Dr. Arndt vom Zoologischen Museum der Berliner Universität, der der Denunziation einer
Jugendfreundin zum Opfer fiel. Ilse Rewald bringt ihre „Berliner Aufzeichnungen
1940—1945. Zwischen Angst und Hoffnung"; Rolf Hochhuth, der bekannte Verfasser des
„Stellvertreters", erzählt die Geschichte von der Berliner Antigone, dem Mädchen, das
zum Tode verurteilt wird, weil es den Leichnam des erschossenen Bruders aus der Anatomie entfernt und in einem Grabe beigesetzt hat. Hinzu kommen Berichte über den Berliner Domprobst Bernhard Lichtenberg von Kurtmartin Magira, über Martin Niemöller
von Prof. Lic. Günther Härder sowie über die „Rote Kapelle" von Günther Weisenborn.
An der Spitze der Beiträge steht ein Aufsatz von Egbert Höhl über Carl von Ossietzky
und die „Weltbühne"; der Band schließt mit einem Bericht von Stefan Brant über den
Aufstand des 17. Juni 1953. Zur Wiederkehr des 20. Juli 1944 schrieb eine Schweizer Zeitung: „Die Auseinandersetzungen um den Widerstand können als Reifegrad für die politische Einsicht in Deutschland gewertet werden". In diesem Sinne will das Buch gelesen,
gewertet und verstanden sein.
J. L.
46
Klaus-Peter Schulz: Berlin zwischen Freiheit und Diktatur. Berlin: Staneck-Verlag 1962.
576 S. DM 24,80.
Klaus-Peter Schulz, Berliner Schriftsteller und Rundfunkautor, Mitarbeiter von Ernst
Reuter und Willy Brandt, hat der ersten Berliner Stadtverwaltung nach 1945 angehört.
Auf Grund seiner dadurch gewonnenen genaueren Kenntnisse und zuverlässigen Quellen
hat er die schwierige Aufgabe übernommen, die Geschichte Berlins von der Besetzung der
Stadt durch die Alliierten im Mai 1945 bis zur Errichtung der Mauer darzustellen. Er gibt
einen kritischen, eingehenden Überblick über die Berliner Nachkriegsgeschichte mit vielen
Einzelheiten, die bisher unbekannt waren. Die Persönlichkeit Ernst Reuters tritt dabei oft
in den Vordergrund. Dank der lebhaften, flüssigen und unterhaltsamen Darstellungsweise
dürfte es ein vielgelesenes und vieldiskutiertes Buch werden, das zugleich als historisches
Nachschlagewerk seine Bedeutung haben wird.
J. L.
Der richtige Berliner in Worten und Redensarten, verfaßt von Hans Meyer, weiland
Professor am Grauen Kloster zu Berlin, fortgeführt von Dr. Siegfried Mauermann und für
die zehnte Auflage bearbeitet und ergänzt von Walther Kiaulehn. Neu aufgelegt beim
Biederstein Verlag in München & Berlin. 1965. 264 Seiten. Ln. DM 16,80.
Das erstmalig 1878 erschienene Wörterbuch der berlinischen Sprache erfreute sich in
Fach- und Laienkreisen stets einer besonderen Wertschätzung. Dafür zeugen die vielen
Auflagen, die das Buch erlebte; 1880 erschien bereits eine dritte, 1904 eine sechste; die
siebente im Jahre 1911 besorgte nach dem Tode des Verfassers Dr. Mauermann. Immer
wurden Ergänzungen und Verbesserungen vorgenommen, da immer neue Ausdrücke und
Redensarten bei der Bevölkerung Eingang fanden. Nun liegt die zehnte Auflage vor, von
Walther Kiaulehn mit liebevoller Hingabe und großem Verständnis bearbeitet. Ein völlig
neues Buch ist entstanden, das auf diesem Gebiet einzigartig und unerreicht ist; aber es ist
mehr als ein bloßes Wörterbuch und Verzeichnis von Redensarten. Diese bilden mit den
Berliner Texten nur den zweiten und dritten Teil des Buches. Wichtig zum Verständnis des
Berlinischen ist der erste Teil, der einen prachtvollen Diskurs über die Sprache und den
Witz des Berliners enthält. Die Sprache gibt den Charakter des Berliners wieder, seine
Derbheit, seiner Gutmütigkeit, seinen ironischen Humor; ohne diese Eigenschaften würde
er die schweren Nachkriegsjahre nicht überstanden haben und auch weiterhin überstehen.
Das Buch wird viel Freude machen; es wird aber auch, wie ein Nachwort sagt, ein Mittler
zwischen den Berlinern in Berlin und den Berlinern, die durch die Nöte der Zeit gezwungen
wurden, außerhalb der Stadt ihren Wohnsitz zu nehmen. Daß sie auch weiterhin mit ganzem
Herzen an ihrem Berlin hängen, dafür gibt es fast täglich die rührendsten Beweise. „Der
richtige Berliner" wird sie in ihrer Haltung stärken und ihnen ihr geliebtes Berlin noch
vertrauter, noch liebenswerter machen, als es bisher der Fall ist.
Hs.
Verzeichnis der Bibliotheken in Berlin (West). Herausgegeben im Auftrage des Senats
von Berlin von Hildegard Lullies. Heinz Spitzing Verlag, Berlin. 1966. 315 Seiten. Gzln.
DM 24,90.
Mit der Zusammenstellung und Herausgabe des vorliegenden Bibliotheken-Verzeichnisses
hat die Herausgeberin eine für die Bibliothekspraxis wertvolle und anerkennenswerte Arbeit
geleistet. Ein derartiges Verzeichnis, das sämtliche gegenwärtig in Westberlin vorhandenen
612 Bibliotheken enthält, fehlte bis jetzt und stellte einen offensichtlichen Mangel dar. Jetzt
liegt nunmehr ein Nachschlagewerk vor, das durch seine praktische Gestaltung und seine
Übersichtlichkeit allen Anforderungen gerecht wird. Neben der Angabe der Zentralkataloge
sind die Bibliotheken nach den Trägern geordnet, ein Sachregister und verschiedene andere
Register bilden den Abschluß des sicher von allen Beteiligten freudig begrüßten Werkes.
Hs.
Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische
Kirchengescloichte. 40. Jahrgang 1965. Herausgegeben im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte
von Dr. Hans von Arnim und Prof. D. Dr. Walter Delius. Christlicher Zeitschriftenverlag
Berlin. 187 S., kart. DM 8,50.
Das diesjährige Jahrbuch enthält ausschließlich Beiträge zur Reformationsgeschichte der
Mark Brandenburg und bringt unter Verwendung von bisher nicht berücksichtigten Quellen
die alte Streitfrage, ob in Berlin oder Spandau im Jahre 1539 die Einführung der Kirchenordnung des Kurfürsten Joachims II. erfolgte, vorläufig zum Abschluß; das Jahrbuch leistet
damit einen wesentlichen Beitrag zur Kirchengeschichtsforschung des Gebietes BerlinBrandenburg.
Hs.
47
Kleine Mitteilungen
Der Senator für Bau- und Wohnungswesen hat auf das Schreiben des Vorsitzenden
vom 11. August betr. Erhaltung der kleinen Orangerie des Schlosses Charlottenburg am
7. Oktober geantwortet, daß er sich bei den Beratungen über die neue, erweiterte Liste der
unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke dafür einsetzen wird, daß auch die Kleine Orangerie in diese Liste aufgenommen wird.
Die Kunsthandlung H . Sagert & Co., Berlin, die anläßlich ihres einhundertjährigen
Bestehens im Oktober d. J. eine Ausstellung „Berlin im Bild" veranstaltete, konnte aus
Privatbesitz ein Originalstück der Lindenrolle aus dem Jahr 1820 erwerben. Dieses Stück
dürfte das einzige Originalexemplar in Westberlin sein. Ein weiteres Stück befindet sich
im Märkischen Museum in Ostberlin.
Anläßlich der 260-Jahrfeier von Charlottenburg wurde eine Heimatschau „Das alte und
das neue Charlottenburg" (1705 bis 1965) mit einer Sonderschau „Alt-Berlin" am 9. November 1965 im Rathaus Charlottenburg unter zahlreicher Beteiligung von Vertretern des
öffentlichen Lebens eröffnet. Die umfangreiche Ausstellung, an deren Gestaltung neben
verschiedenen Instituten auch das Landesarchiv Berlin sowie Mitglieder unseres Vereins
mitgewirkt haben, vermittelte ein aufschlußreiches Bild von der Geschichte und Entwicklung
der früheren Residenzstadt und des jetzigen Bezirks Charlottenburg.
Am 19. November fand im großen Hörsaal des Botanischen Museums zu Berlin-Dahlem
eine Gedenkfeier anläßlich der zweihundertsten Wiederkehr des Geburtstages des großen
Berliner Botanikers und Direktors des Botanischen Gartens, Carl Ludwig
Willdenow
(1765—1812), und anläßlich des 150jährigen Bestehens des Botanischen Museums statt.
Den Festvortrag hielt der gegenwärtige Direktor des Botanischen Museums und Gartens,
Prof. Dr. Theo Eckardt. An der Veranstaltung nahmen auch verschiedene Mitglieder unseres Vereins teil.
Unser langjähriges, jetzt im Ausland wohnendes Mitglied Frau Dr. Gläser hat die
bisher dem Verein leihweise überlassenen ca. 150 Berlin-Bände ihrer Bibliothek uns jetzt
zum Geschenk gemacht. Hierfür sei ihr auch an dieser Stelle der herzlichste Dank ausgesprochen.
Personalien
Am 28. Oktober beging unser Mitglied Herr Bezirksbürgermeister a. D. Walther Rieck
seinen 80. Geburtstag. R. war von Mai 1945 bis Dezember 1946 Stadtrat für Volksbildung
des Verwaltungsbezirks Wilmersdorf und von Dezember 1946 bis Mai 1951 Bürgermeister
dieses Bezirks. Er hat sich um den Aufbau des Bezirks Wilmersdorf sehr verdient gemacht.
Am 2. Januar 1966 vollendet unser hochverdienter Schriftführer, Herr Verbandsdirektor a . D . Karl Bullemer, sein 80. Lebensjahr. B. gehört seit 1926 unserem Verein als
Mitglied an und hat sich große Verdienste um den Wiederaufbau des Vereins nach dem
zweiten Weltkrieg, besonders um die Verschmelzung des Vereins von 1949 mit dem alten
Verein von 1865, erworben.
Beiden Jubilaren wünschen wir noch viele schöne Jahre voller Gesundheit und Wohlergehen und eine Bewahrung ihres Interesses an der Arbeit und den Bestrebungen unseres
Vereins.
Vorankündigungen
Am Sonnabend, dem 22. Januar 1966 um 11 Uhr spricht im Planetarium Berlin 41,
Munsterdamm 90 (Insulaner) der Vorsitzende des Vereins „Wilhelm Foerster-Sternwarte
e. V." Herr B. Brenske über „Die Geschichte der Astronomie in Berlin" mit anschließenden
Planetariums-Vorführungen.
Am Dienstag, dem 22. Februar 1966 um 19.30 Uhr spricht im Rathaus Schöneberg,
Vortragssaal 139, Dr. Adrian von Müller über „Das bronzezeitliche Dorf von Berlin-Lichterfelde" (mit Lichtbildern).
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin.
Foehobt der Berliner StadtbiblicXh«».
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 4
1. April 1966
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90
Schriftführer: Dir. i. R. K. BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Magistratsrat W.Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
Das Panorama der Straße Unter den Linden im Jahre 1820
Dritter Teil
Von Hans-Werner Klünner
Der zweite Streifen des Lindenpanoramas beginnt mit dem restlichen Teil des
Hofapothekengebäudes, an dessen Nordgiebel ein fünfachsiger, eingeschossiger Anbau zu erkennen ist, der fast den ganzen Raum bis zur Domkirche einnimmt. Es
war ein Teil des durch den Großen Kurfürsten 1687 begonnenen, aber durch seinen
Nachfolger nicht fertiggestellten Bibliotheksgebäudes.
Einen Hinweis auf die Entstehung der Lindenrolle gibt uns das Aussehen des
Domes im Lustgarten: Als Johann Boumann ihn 1747—1750 als Ersatz für die
baufällig gewordene Domkirche auf dem Schloßplatz erbaute, hatte er nach damaliger Art rundbogig geschlossene Fenster mit verzierten Schlußsteinen. Bei dem 1816
bis 1817 nach K. F. Schinkels Entwurf durchgeführten Umbau des Inneren bekamen
die Fenster einen geraden Abschluß, so wie man sie auf der Lindenrolle sieht. Somit
entstand mindestens dieser Teil des Panoramas wahrscheinlich schon 1819, denn der
ebenfalls nach Schinkels Plänen erfolgende Umbau des Äußeren begann im April
1820 und war im September 1821 beendet.
Neben dem Dom sieht man die 1802 erbaute Börse und im Hintergrund den
,Neuen Packhof' in der ehem. Orangerie des Lustgartens. Dieser war seit 1715
kein Garten mehr, sondern Exerzierplatz der Berliner Garnison. Um die Eintönigheit der weiten Sandfläche zu mildem, wurde sie 1798 nach einem Vorschlag David
Gillys mit Rasen besät und mit einer Doppelreihe von Pappeln umpflanzt. In der
Mitte der Pappelreihe, dem Schloß gegenüber, stand seit dem 29. November 1800
das von Schadow geschaffene Denkmal des ,Alten Dessauers', neben dem ein
Posten über das Verbot, den Exerzierplatz zu betreten, wachte. Als im Frühjahr 1824
der Bau des Museums begann, diente die Hälfte des Lustgartens als Bauplatz. 1828,
nach Fertigstellung des Museums, begann, wieder nach Schinkels Plänen, die Um-
A 20377 F
gestaltung des Lustgartens zu einem Schmuckplatz, wobei das Denkmal des ,Alten
Dessauers' auf den Wilhelmplatz versetzt wurde.
Jenseits der Hundebrücke sehen wir das Zeughaus, welches mit Kommandantur und Königl. Palais sowie einigen anderen Dienststellen in der Nähe, das Zentrum des militärischen Berlin bildete. Der Zeichner der Lindenrolle hat den militärischen Charakter dieses Platzes noch durch eine große Zahl paradierender Soldaten
betont.
Inmitten des sich zwischen Zeughaus und Universität erstrickenden Kastanienwäldchens steht die 1817/18 von Schinkel erbaute Neue oder Königs-Wache. Die
Lindenrolle zeigt hier schon die geplanten — aber erst 1822 aufgestellten — Denkmäler Scharnhorsts und Bülows von Rauchs Meisterhand. Rechts neben der KönigsWache erkennt man zwischen den Bäumen die französischen Beutegeschütze aus dem
Jahre 1814 und im Hintergrund das Dienstgebäude des Finanzministeriums, während
man links zum Haus Bauhof 3 hinüberblickt. Die Stadt Berlin ließ hier 1903 eine Gedenktafel für den Arzt Christoph Wilhelm Hufeland anbringen, der von 1S04 bis
zu seinem Tode 1836 hier gewohnt haben sollte. Leider befindet sich die — 1957
erneuerte — Tafel am falschen Ort, denn Hufelands Wohnhaus war auf dem
Grundstück Dorotheenstraße 7 Ecke Universitätsstraße, welches damals die Nr. 3
hatte und erst bei der Mitte der vierziger Jahre erfolgten Umnumerierung die Nr. 6
(seit etwa 1910 Nr. 7) bekam.
Das Kastanienwäldchen setzt sich fort im Universitätsgarten an der Letztem
Straße (so hieß die Dorotheenstraße bis 1822), von dem ein Teil als Botanischer
Garten genutzt wurde. Der weite Ehrenhof der Universität — ein wesentlicher Bestandteil des Friedrichforums — war noch nicht durch Grünanlagen zerstückelt.
An der Universitätsstraße beginnt die Nordseite der Linden mit dem Akademiugebäude. Der Zeichner gestattet uns einen Blick in die Straße nach Norden, wo wir
im Hintergrund deutlich das Wohnhaus Hufelands erkennen. Die Lindenrolle zeigt
das Akademiegebäude schon mit der neuen Fassade, die es mit dem 1820 beendeten
Umbau durch Bauinspektor Rabe erhalten hatte. Man erkennt auch im Mitteifenster des großen Sitzungssaales die von Möllinger geschaffene Uhr, welche damals
d i e Normal-Uhr war, nach der alle Uhren in Berlin gestellt wurden. (Sie befindet
sich jetzt im Märkischen Museum.) Das Gebäude war im Kern noch dasselbe, welches
Nering 1687/88 als Marstall erbaut hatte und dessen Lindenflügel 1696 für die
Akademie der Künste aufgestockt worden war. Für die im Jahre 1700 gestiftete
Societät der Wissenschaften wurde der Häuserblock, der bis dahin nur die Hälfte
seines späteren Umfanges gehabt hatte, unter Martin Grünbergs Leitung nach Norden erweitert. Auch der Erweiterungsbau wurde im Erdgeschoß durch Stallungen in
Anspruch genommen, während die Societät der Wissenschaften 1711 in dem turmartigen Bau der Sternwarte an der Dorotheenstraße ihre Räume bezog.
Die ungewöhnliche Kombination von Stallungen und Musensitz ließ den Berliner Volksmund später, in Anlehnung an die Widmungsinschrift des Opernhauses,
.Apollini et musis', für das Akademiegebäude die Widmung ,Mulis et musis' finden.
Am Gebäude selbst war die Inschrift nicht angebracht.
Der Akademietrakt U. d. Linden brannte mit seinen unersetzlichen Sammlungen
1743 aus. Nach dem 1748 erfolgten Wiederaufbau durch Johann Boumann wurde
50
der Westteil des Obergeschosses der Akademie der "Wissenschaften zur Verfügung
gestellt. Die Akademie der Künste konnte ihre Räume erst 1768 wieder beziehen. Im
Hauptsaal der Akademie hielt seit 1793 der von Fasch gegründete Verein zur Pflege
des Chorgesangs seine Übungen ab, wonach er sich später .Singakademie' nannte. Das
eigene Haus im Kastanienwäldchen bezog die Singakademie erst im Jahre 1827.
Für das Akademieviertel, das mit dem Marstall, den Ställen der Gardedukorps,
der Sternwarte usw. den ganzen Raum zwischen Linden-, Charlottenstraße — Letzte
Straße und Universitätsstraße einnahm, lagen weitgehende Umbaupläne vor, weil
hier das seit langem geplante Museum eingerichtet werden sollte. Ein Schwibbogen,
ähnlich dem am gegenüberliegenden Palais des Königs, sollte Museum und Universität verbinden. Die 1816 begonnenen Umbauten Rabes waren die Vorarbeiten hierzu, die aber als unzulänglich empfunden wurden, so daß Schinkel neue, umfassende
Entwürfe anfertigen mußte. Doch davon kam nichts zur Ausführung, weil inzwischen der Plan für das Museum am Lustgarten feste Gestalt angenommen hatte. Die
von Rabe fertiggestellten Räume im Erdgeschoß des Lindenflügels und im südlichen
Universitätsstraßenflügel wurden den beiden Akademien zur Verfügung gestellt.
Nach über 200jährigem Bestehen begann 1904 der Abbruch der alten Gebäude, die
dem Riesenbau der Staatsbibliothek Platz machten, den Kaiser Wilhelm IL am
22. März 1914 mit einem Festakt einweihte.
Jenseits der Charlottenstraße, die auf der Lindenrolle etwas zu breit wiedergegeben ist, beginnt mit dem Gasthof ,Stadt Rom' die Reihe der Immediatbauten,
die Georg Christian Unger zur Verschönerung der Linden schuf. Wenn es ihm auch
nicht gelang, alle alten Häuser durch Neubauten zu ersetzen, so konnte er doch, und
zwar auf der Nordseite der Linden besser, als auf der immer für vornehmer geltenden Südseite, seine künstlerische Idee durchführen. Obwohl jedes Haus in der Gestaltung seiner Fassade anders ist, ordnen sich alle einer gemeinsamen Linie unter.
Von der Charlottenstraße über die Friedrichstraße bjs zur Neustädter Kirchgasse
sind die Häuser viergeschossig. Dann beginnt eine Zone dreigeschossiger Bauten, die
über die Kleine Wallstraße (seit 1836 Schadowstraße) hinweg bis zum Pontonhof
U. d. Linden 74 reicht, wo eine zweigeschossige Zone beginnt, die in die Umbauung
des Pariser Platzes überleitet. Ähnliches scheint auch für die Südseite der Linden
geplant gewesen zu sein, ist dort aber in diesem Umfang nicht ausgeführt worden.
Ladengeschäfte in der uns geläufigen Form gibt es um 1820 fast gar nicht; die
meisten Kaufleute weisen nur mit einem bescheidenen Firmenschild auf das Vorhandensein ihrer Geschäfte hin, die in der Regel im Erdgeschoß der Häuser liegen, in
das von der Straße oft eine kleine Freitreppe hinaufführt.
So auch am Hause des ungef. seit 1775 bestehenden Gasthofs ,Stadt Rom'. Sein
Besitzer Kersten verkaufte ihn 1821 an den Hotelier Saust und dieser wieder Ende
der 50er Jahre an Adolf Mühling. Unter dessen Leitung wurde er als ,Grand-Hotel
de Rome' nach dem 1865 und 1875/76 von Ende & Böckmann durchgeführten Neuund Umbauten, der zeitweilig berühmteste Gasthof Berlins. Berühmt war auch der
Festsaal, in dem der Verein Berliner Presse am 1. Februar 1879 seinen zweiten
Presseball und die folgenden abhielt, bis man 1886 in den Wintergarten zog. Daß
Kaiser Wilhelm I. sich aus der ,Stadt Rom' seine Badewanne ausgeliehen haben soll,
ist nicht einwandfrei überliefert. Der altrenommierte Gasthof, dem inzwischen andere
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Häuser den Rang abgelaufen hatten, schloß im Oktober 1910 seine Pforten. An
seiner Stelle wurde das jetzt noch stehende Geschäftshaus ,Römischer H o f von
A. F. M. Lange und K. Berndt erbaut. So wie das Hotel de Rome, gehörten alle im
Laufe der Jahrzehnte in den Linden entstandenen und verschwundenen Gasthöfe zu
den ersten der Stadt, die in jedem Reiseführer oder Verzeichnis an der Spitze aufgeführt werden. Sie trugen viel zu dem unnachahmlichen Fluidum der Straße bei.
In diesem Abschnitt zwischen Charlotten- und Friedrichstraße sieht man noch
zwei ganz kleine Häuser aus der Anfangszeit der Dorotheenstadt, welche die benachbarten Immediatbauten wie Türme erscheinen lassen. Es sind die Häuser Nr. 40
und 42, die 1820 im Besitz des Rentiers Discher und des Partikliers Dösing sind.
Nr. 40 wurde 1876 durch Boethke für den Juwelier Friedberg umgebaut und um
zwei Stockwerke erhöht. Zusammen mit Nr. 41, das 1820 dem Schwerdtfeger Keitel
gehörte, wurde es 1909 abgerissen und hier durch Max Grünfeld ein Wohn- und
Geschäftshaus erbaut, das ebenfalls den Krieg überdauert hat.
Die Häuser Nr. 42—46 sind zerstört. An ihrer Stelle ist — unter Berücksichtigung der Verbreiterung der Friedrichstraße — zur Zeit ein Hotel im Bau, das 1966
fertig sein soll. Anstelle des auf der Lindenrolle abgebildeten Hauses Nr. 42 entstand
1858 nach August Stülers Entwurf ein Wohnhaus für den Hof-Juwelier Friedeberg.
Mit unveränderter Fassade war hingegen das 1820 im Besitz der Geschwister Radidke gezeigte Haus Nr. 43 erhalten, bis es 1912 durch A. Oppenheim modernisiert
wurde. Das stattliche Haus Nr. 44 besitzt 1820 der Gutsbesitzer Landefeld. Ende
der 50er Jahre wurde es für ,Arnims Hotel' erweitert. Sein von Eduard Titz geschaffener Festsaal galt seinerzeit als ein Meisterwerk der Innenarchitektur. Max
Reinhardt ließ ihn 1901 für sein Kabarett ,Schall und Rauch' umbauen, aus dem
schon im Herbst 1902 das ,Kleine Theater' wurde. Hier feierte Reinhardt mit Gorkis
»Nachtasyl' seine ersten Triumphe. In dem schönen klassizistischen Haus des Konditors Ebecke ist 1820 im Erdgeschoß das ,Cafe Gundelach'. In unserer Zeit setzte sich
diese Tradition fort, als hier in dem ehem. Geschäftshaus der Hellerschen Lampenfabrik das ,Cafe Schön' war. Bis auf die Laden- und Restauranteinbauten war auch
Nr. 46 an der Friedrichstraßen-Ecke — das Viktoria-Hotel und -Cafe — bis zuletzt
erhalten. Es war das Wohnhaus des 1812 verstorbenen Direktor des Botanischen
Gartens, C. L. Willdenow und ist 1820 im Besitz seiner Witwe. Außer einer Konditorei und einem Uhrengeschäft war auch das Lohnlakaien-Vermittlungsbüro in diesem Haus.
Unter den Linden 47, das andere Eckhaus, besitzt der Handschuhfabrikant Wernicke. Es ist später um zwei Stockwerke erhöht und in der Fassade verändert worden. Seit 1936 steht an seiner Stelle das von E. Meyer-Appenzell erbaute ,Haus der
Schweiz'. Das Nachbarhaus Nr. 48/49 ist eines der Häuser, die hinter einer Fassade
zwei Grundstücke verbergen. Die Besitzer pflegten das oft durch verschiedenfarbigen
Anstrich ihrer Hausteile zu unterstreichen. Nr. 48 gehört dem Bäcker Lejeune, der
sich später Jung nannte, und Nr. 49 dem Uhrmacher Schunigk. Jung vereinigte später beide Teile und ließ 1864 einen Neubau errichten, der durch das jetzt noch stehende, 1914 von Bielenberg & Moser erbaute Haus der ehem. Preußischen-CentralBoden-Kredit-AG verdrängt wurde. Auch Nr. 50/51 ist ein Doppelhaus. Der größere
Teil, Nr. 50, gehört dem Cafetier Soksien, dessen Nachfolger 1850 Spargnapani
52
wurde. Seine Konditorei war als .Hauptquartier der Zeitungstiger' bekannt. In diesen Räumen eröffnete anfangs der 70er Jahre Rudolf Dressel sein berühmt gewordenes Restaurant. Es blieb auch im Neubau des Mercedeshauses, den Klingenberg &
Beyer errichteten. Der kleinere Hausteil Nr. 51 gehörte 1820 dem Oberkirchen Vorsteher der Dorotheenstädtischen Kirche Berner, der im Erdgeschoß ein Galanteriewarengeschäft unterhielt.
In Nr. 52 war damals die Tichysche Weinstube; das Haus stand als einziges
dieser Reihe bis zur Zerstörung in seiner alten Form, nur mit verändertem Erdgeschoß — zuletzt von der Hanomag-Vertretung benutzt. Die Ruine war vor einigen
Jahren noch zu sehen. Sie mußte mit den Resten von Nr. 53 einem modernen Bürohaus weichen, das die Lücke zwischen den erhaltenen Vorkriegsbauten schließt.
Nr. 53 war 1820 die ,Apotheke zum Roten Adler'. Im Hause Nr. 54/55 an der
Kleinen Kirchgasse, starb 1867 Wilhelm Stolze, der Meister der deutschen Kurzschrift, wie früher eine Gedenktafel verkündete. Ende der 60er Jahre erbaute Eduard
Titz für den Bankier Lion ein neues Haus, das 1938 für den Erweiterungsbau des
Bürohauses ,Zollernhof abgerissen wurde. Dabei verschwand auch die Kleine Kirchgasse. Der Zollernhof, nach dem Entwurf von Bruno Paul 1911 erbaut, war bereits
das vierte Haus an dieser Stelle. Das zweite zeigt die Lindenrolle. Es gehört dem
Kriminalkommissar Gemmel. Als Mieter wohnte hier der Flügeladjudant des Königs
und frühere Adjudant Blüchers, Oberst Graf v. Nostitz. Ein Schild am Haus weist
auf den Laden des Kleidermachers Held hin. Seit den 50er Jahren war hier bis zum
Abbruch das ,British-Hotel'. Im ehem. Bürohaus Zollernhof (jetzige Nr. 36—38)
hat nach Behebung der Kriegsschäden der Zentralrat der FDJ seinen Sitz genommen.
Das Doppelhaus Nr. 57/58 gehörte dem Leihbibliothekar Meinhard und dem
Kaufmann Behm. 1855 wurden beide in einer Hand vereinigt. Als 1907 der Abriß
drohte, erhob sich großer Protest, der aber den schönen Ungerschen Bau nicht retten
konnte. A. F. M. Lange und K. Berndt schufen das aufwendige Geschäftshaus der
Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft, das fast unbeschädigt den Krieg überstanden hat. Nr. 59, das Eckhaus an der Neustädter Kirchgasse, besitzt 1820 der Friseur
Garcke, der ehrenamtlicher Bezirksvorsteher war. Er hatte das Haus von der Witwe
des Chirurgen Voitus gekauft. In deren Wohnung gründete Carl Friedrich Fasch am
24. Mai 1791 den Chor, aus dem die Singakademie hervorging. Auch dieses Haus
existiert nicht mehr, der spätere Bau — mit der bekannten Buchhandlung von Asher
& Co. — ist zerstört.
Von den Häusern zwischen Neustädter Kirchgasse und Kleine Wallstraße, welche die Lindenrolle zeigt, war vor Kriegsausbruch keines mehr erhalten, auch die
späteren Bauten fielen dem Krieg zum Opfer. Jetzt steht hier ein einziges Gebäude:
das Ministerium für Innen- und Außenhandel (neue Nr. 44—60). Das Eckhaus
Nr. 59a/60 besaß 1820 der Archivar der Akademie d. Wissenschaften Frentzel, das
Doppelhaus Nr. 61/62 der Kaufmann Voigt sowie der Buch- und Kunsthändler
Hasselberg und das Doppelhaus Nr. 63/64 der Sattler Strahler und der Bäckermeister
Schleuse. Als 1864 auf den Grundstücken Nr. 62/63 der Neubau für Dr. Epenstein
entstand, mußten auch bald die Haushälften Nr. 61 und 64 neugebaut werden. In
Nr. 62/63 war später das Restaurant von Hiller. Die Häuser Nr. 59a—63 wurden
1935 für den Bau der Nord-Süd-S-Bahn abgerissen. Am längsten hatte sich von den
53
alten Häusern der dem Rentier Kerwitz gehörende Immediatbau Nr. 65 gehalten.
Aber auch dieser wurde nach dem ersten Weltkrieg unschön modernisiert. Zusammen
mit Nr. 64 stand er noch bis 1961. Nr. 66 und Nr. 67 wurden 1866 und 1892 durch
Neubauten ersetzt. Das Eckhaus an der Kleinen Wallstraße mußte 1876 einem Neubau weichen. In dem alten Haus hatte Giacomo Meyerbeer von 1842—45 während
seiner Amtszeit als Generalmusikdirektor gewohnt.
Leider kann man nicht in die Kleine Wallstraße hineinblicken. Sonst würde
man auf der Westseite das Wohnhaus Schadows in seiner Gestalt vor dem Umbau
von 1850 sehen. Es steht auf dem Gebäude des Walles, der sich von der Behrenstraße
bis zur Spree hier entlangzog. Nur ein einfacher Durchlaß mit einer Zugbrücke verband die Linden mit dem Tiergarten. Bei der Erweiterung der Dorotheenstadt nach
Westen wurden Wall und Brücke beseitigt, nur der Graben bestand als kleines Rinnsal noch bis nach 1800.
Das westliche Eckhaus an der Kleinen Wallstraße gehörte 1820 noch zu deren
Nr. 14 und wurde als Nr. 68a der Linden erst abgetrennt, als W. Lüer 1867—96
auf dem Hintergelände das Aquarium erbaute und nach den Angaben Alfred Brehms
einrichtete. Nachdem es 1910 aufgelöst worden war, kamen die Tiere in das neue
Aquarium am Zoo. Anstelle des alten Vorderhauses hatte C. Gause 1890 das ,Hotel
Minerva' errichtet. Zur gleichen Zeit schuf Wilhelm Walther anstelle des — 1820
der Frau v. Salviati gehörenden — Nachbarhauses Nr. 69 das Wohn- und Geschäftshaus des Dr. Freund. Bald nach der Stadterweiterung von 1734 entstanden die
Häuser Nr. 70 und 71. Ersteres, 1820 im Besitz des Geh.-Leg.-Rates v. Gaulthier,
war in einem Umbau des Jahres 1877 erhalten. Ebenso, mit leicht veränderter Fassade, einem Erker statt des Balkons und Läden im Erdgeschoß, auch Nr. 71. Es gehörte
dem Rentier Benjamin du Titre, dem Schwager der stadtbekannten Madame du Titre.
Der Philosoph F. W. J. v. Schelling wohnte hier von 1843 bis zu seinem Tode 1854.
Anstelle dieser Häuser ist 1964 der Neubau der Außenhandelsgesellschaft .Wiratex'
(neue Nr. 62—68) fertiggestellt worden. Hieran anschließend entstehen zur Zeit ein
Botschaftsgebäude mit noch unbekannter Bestimmung, und bis zur Ecke der Neuen
Wilhelmstraße (jetzt Otto-Grotewohl-Straße) die Ungarische Botschaft. Die Lindenrolle zeigt hier zwei Immediatbauten, Nr. 72, welches dem Stadtgerichts-Direktor
Beelitz gehörte, und das besonders stattliche Haus Nr. 73 des Kriegsrates Frentzel.
Dessen Mieter war der Englische Gesandte, Baron v. Rose; auch die Büros der Gesandtschaft befanden sich hier. Nachdem der Staat im Jahre 1840 bereits Nr. 73 als
Dienstgebäude für das Innenministerium erworben hatte, wurde unter Einbeziehung
von Nr. 72, in den Jahren 1873—76 als Umbau der alten Häuser von Reg.-Bmstr.
Emmerich der charaktervolle Bau geschaffen, der als Ruine bis 1964 stand.
Besonders gut ist auf der Lindenrolle die Front des Pontonhofes zu erkennen,
dessen Mittelbau 1736 entstand. Es ist wahrscheinlich die erste und letzte vollständige Abbildung des Gebäudes, denn 1822 wurde an seiner Stelle nach Schinkels
Entwurf die Artillerie- und Ingenieurschule erbaut. Das angrenzende barocke Wohnhaus Nr. 75 besaß der Generalmajor v. Schwerin. Wir kennen hier das 1905 von
Messel erbaute Haus der Kunsthandlung Schulte.
Das Haus Nr. 76, das die Lindenrolle noch zeigt, war 1819 aus dem Besitz des
Fürsten v. Schönburg vom Fiskus erworben worden, um für die geplante Verlange-
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rung der Wiihelmstraße zum Schiffbauerdamm und zur Charite abgerissen zu werden. Zu dieser Zeit wohnte hier Achim v. Arnim zur Miete. 1821 erfolgte der Abbruch und 1822 war der von Schinkel entworfene Neubau durch den Besitzer, den
Maurermeister Adler, fertiggestellt. Ein Saal überbrückte die neue Straße und verband die Bauteile rechts und links derselben. In den Jahren 1839—1854 war in
diesem ,Adlerschen Saal' die Universitätsbibliothek untergebracht. Aus ,Verkehrsrücksichten' wurde das schöne Gebäude schon 1867 fast ganz abgerissen, nur die westliche
Seite stand bis 1938. Im gleichen Jahr verschwand auch das schöne Wohnhaus Nr. 77,
welches wir mit anderer Fassade auf der Lindenrolle im Besitz des Rentiers Hüot
sehen. 1855 erhielt es durch Hahnemann sein letztbekanntes Aussehen. Es war 1938
im Besitz der IG-Farben, die den ganzen Häuserblock bis zur Dorotheenstraße zum
Verwaltungsgebäude ausbauen wollte. Kernstück dazu war das Eckhaus U. d. Linden 78 am Pariser Platz, das Mebes 1922/23 für die Deutsche Länderbank umgebaut
und aufgestockt hatte. Ursprünglich war es nach Graels Entwurf 1736 für den Konsistorial-Präsidenten v. Reichenbach erbaut worden. 1820 gehörte es der Witwe des
Generals v. Saldern, die eine Tochter des Vorbesitzers v. Borck war. Ein Schilderhaus
mit Wachtposten neben der Toreinfahrt verrät uns, daß hier der Generalleutnant
v. Schlieffen, Direktor des Invaliden-Departements im Kriegsministerium, wohnte.
1836 erwarb es der Schwiegersohn der Madame du Titre, Bankier W. Gh. Benecke
v. Gröditzberg. Er ließ das Barockpalais 1838 umbauen und aufstocken, so daß es
in seinen Umrissen dem kurz vorher von Schinkel umgebauten Redernschen Palais
angeglichen war. In dem großen Haus wohnten meist Angehörige des Hohen Adels
zur Miete.
Die Häuser der Nordseite des Pariser Platzes präsentieren sich 1820 noch wie
zur Zeit ihrer Erbauung um 1735. Nr. 5 gehörte der Gräfin v. Hagen. Nicolai
erwähnt in diesem Haus (1786, Bd. II, S. 786 und S. 841) die Bibliothek und Kunstsammlung des Vorbesitzers, des Kriegsrates Koppen. Als Mieter wohnte hier bis
1820 der erste preußische Kultusminister, Karl Freiherr v. Altenstein. (Hier, wie
auch bei anderen Häusern, sind oft andere Eigentümer oder Mieter genannt, als bei
der Erstveröffentlichung der Lindenrolle in den Mitteilungen des Vereins 1908. Das
beruht darauf, daß die damaligen Verfasser ein späteres Adreßbuch für ihre Arbeit
benutzten.) Nachdem Nr. 5 später im Besitz des Branntweinbrenners Möwes und
1853 des Kommerzienrates Carl war, erwarb es 1860 die Regierung Frankreichs als
Botschaftsgebäude. Schon August Stüler hatte 1850 das Haus umgebaut, die Fassade
modernisiert und statt der Freitreppe die Rampe vorgelegt. Ein französischer Architekt gab 1880 dem Haus bei einem erneuten Umbau dann das Aussehen, welches es
bis zur Zerstörung hatte.
Breit lagert sich mit seinen 19 Fenstern Front das Nachbarhaus Nr. 6, zu dem
auch das Haus Nr. 7 neben dem Brandenburger Tor gehört. Das große Grundstück
erstreckte sich nach Norden bis zur Spree und im Westen bis zur Stadtmauer. Der
Berliner Stadtpräsident Adam v. Neuendorf hatte sich 1735 die Häuser erbauen
lassen. 1759 richtete der Baumwollfabrikant Johann Georg Sieburg hier seine
Weberei und Druckerei ein, die eine der führenden Manufakturen in Berlin wurde.
Eine Tochter Sieburgs, die Witwe des Obersten v. Schölten, war 1820 Besitzerin der
Häuser. 1842 erwarb diese, sowie Pariser Platz 1, der Stadtrat und Zimmermeister
C. A. H . Sommer. Mögen auch spekulative Gründe für den Erwerb maßgebend
55
gewesen sein, so bleibt Sommer doch das Verdienst, die einheitliche Gestaltung des
Pariser Platzes maßgeblich beeinflußt zu haben, indem er August Stüler mit dem
Entwurf für die Neubauten und Umbauten der alten Häuser betraute. Durch die
Parzellierung seines Grundstückes ermöglichte er auch die Durchlegung der Dorotheenstraße bis zur Stadtmauer, weshalb die Kasernenstraße 1859 den Namen Sommerstraße bekam.
Nach Sommers Tod kam Pariser Platz 6 in den Besitz zweier Bankiers, bis es
1895 der ,Kohlenhändler' Fritz v. Friedländer-Fuld erwarb. Er teilte hiervon das
Grundstück Nr. 5a ab, auf dem der Hofarchitekt v. Ihne in Durchbrechung der einheitlichen Platzwand einen protzigen Neubau errichtete. 1844 teilte Sommer von
Nr. 6 das Haus Nr. 6a ab. Eine Gedenktafel erinnerte früher daran, daß Giacomo
Meyerbeer von 1848—1862 hier (als Mieter) wohnte. Zu diesem Haus gehörte auch
Sommerstraße 2, das Haus mit dem bekannten Turmaufbau, den Ihne bis 1917
bewohnte. Vom Haus Nr. 7 zeigt die Lindenrolle nur das Walmdach, welches das
seitliche Wachtgebäude am Brandenburger Tor überragt. Aus dem Besitz Sommers,
der es nach Stülers Entwurf 1846 umgebaut hatte, erwarb es der Kaufmann Louis
Liebermann, der Vater des großen Malers. Max Liebermann schuf im Atelier auf
dem Dach des Hauses viele seiner Meisterwerke.
Das Brandenburger Tor, das sich an das Wachtgebäude anschließen müßte, ist
nicht abgebildet. Es befand sich auf der Kapsel, in welche die Streifen hineingerollt
wurden und bildet so den Mittelpunkt des Panoramas und den Abschluß unserer
Betrachtung der Straße Unter den Linden im Jahre 1820.
Bericht
Die Geschichte der Astronomie in Berlin
Die Geschichte der Astronomie in Berlin beginnt, wie der Direktor der Wilhelm-Foerster-Sternwarte in Berlin Dr. Brenske, in einem Vortrag in dem neuen Planetarium der Stadt
Berlin am 22. Januar d. 1. ausführte, mit der Entsendung einer kurbrandenburgisdien Flotte
im Jahre 1680 auf Befehl des Großen Kurfürsten nach der Küste von Guinea, um dort eine
Kolonie anzulegen. Zwei Jahre später fuhr der Major Otto v. d. Groeben mit zwei Schiffen
dorthin und erbaute das Fort Groß-Friedrichsburg. Um eine Navigation auf See durchzuführen, war die Kenntnis der Gestirne und ihrer Bewegungen unerläßlich und ein Unterricht
in der Himmelskunde erwies sich als notwendig und stieß auf das Interesse weiterer Bevölkerungskreise.
Während in anderen europäischen Städten längst Sternwarten errichtet waren, so in Paris
1671, Greenwich 1676, konnte in Berlin eine solche wegen der schlechten finanziellen Lage
des preußischen Staates erst viel später eröffnet werden. Das größte Verdienst hieran hatte
der Philosoph Leibniz, der bei seinen Plänen die Unterstützung des Kurfürsten Friedrich III.,
des späteren Königs Friedrich I., und der Königin Sophie-Charlotte fand. So wurde zugleich
mit der Akademie der Wissenschaften eine Sternwarte am 11. Juni 1700 gegründet, aber
erst am 19. Januar 1711 konnte dieselbe eröffnet werden; der bereits im Jahre 1700 zum
ersten Direktor ernannte Gottfried Kirch war 1708 gestorben. Die Sternwarte war in einem
turmartigen Gebäude untergebracht, das in der Dorotheenstraße etwa am Eingang der heutigen Universitätsbibliothek errichtet worden war. Kirch hatte trotz der großen örtlichen
Schwierigkeiten wertvolle Arbeit geleistet. Eine Aufwärtsentwicklung erfuhr die Sternwarte,
als 1772 Johann Eiert Bode (1747—1826) nach Berlin berufen wurde; er hatte den Auftrag,
ein jährlich erscheinendes astronomisches Werk herauszugeben, das alle Himmelserscheinungen
vorausberechnen sollte. Dieses Bodesche „Berliner Astronomische Jahrbuch" wurde für die
Astronomen der ganzen Welt ein unentbehrliches Hilfsmittel. Seit 1776 gab Bode fünfzig
56
lahrgänge selbst heraus; seine Nachfolger setzten seine Arbeit bis 1960 fort. Trotz seiner
hervorragenden Arbeiten wurde Bode erst 1787 zum Leiter der Sternwarte als Nachfolger
Johann Bernoullis ernannt. 1825 trat er von seinem Amt zurück und wurde durch den damals
schon bekannten Astronomen Franz Encke ersetzt. Dieser setzte mit Unterstützung Alexander von Humboldts den Bau eines neuen Observatoriums an der südlichen Friedrichstraße
durch (Enckestraße). Das alte Haus in der Dorotheenstraße wurde später abgerissen und
machte dem Bau der Staatsbibliothek Platz.
Durch Enckes ausgezeichnete theoretische Arbeiten über viele Gebiete der Astronomie erlangte die Berliner Sternwarte ein hohes Ansehen in der ganzen Welt. Sein Mitarbeiter Galle
entdeckte 1846 den Planeten Neptun.
Zum Nachfolger Enckes wurde 1863 sein langjähriger Mitarbeiter Wilhelm Foerster ernannt, der mit Alexander von Humboldt zusammengearbeitet hatte und sich für eine Popularisierung der astronomischen Wissenschaft einsetzte; ihm zu Ehren trägt die jetzige Berliner Sternwarte den Namen „Wilhelm-Foerster-Sternwarte". Während seiner Amtszeit
wurde das Observatorium von der Akademie der Wissenschaften verwaltungsgemäß abgetrennt und erhielt als „Königliche Sternwarte" den Status eines selbständigen Instituts.
Da die atmosphärischen Störungen inmitten der wachsenden Großstadt einwandfreie Beobachtungen nicht mehr zuließen, wurde die Sternwarte 1913 unter ihrem Leiter Karl Hermann Struve nach Babelsberg bei Potsdam verlegt. Eine eigene Sternwarte gründete 1896
Archenhold, die durch das 21 Meter lange Fernrohr, das längste der Welt sowie durch dessen kuppellose Aufstellung bemerkenswert ist. Daneben bestand noch ein kleines astronomisches Observatorium der „Urania" auf dem Gelände des Ausstellungsparkes am Lehrter
Bahnhof.
Nach dem zweiten Weltkrieg gingen Liebhaber-Astronomen 1947 daran, aus Trümmern
(Bamberg-Refraktor) eine neue Berliner Sternwarte aufzubauen, die später mit Unterstützung öffentlicher Mittel in die modernen Räume auf dem Insulaner in Schöneberg verlegt
wurde und hier im Sinne Wilhelm Foersters als Volkssternwarte mit dem Ziel der Belehrung
weiter Volkskreise tätig ist. Das später errichtete Planetarium am Fuß des Insulaners bildet
nunmehr mit der Sternwarte eine zusammengehörige Einrichtung des Vereins „WilhelmFoerster-Sternwarte".
Nach dem Vortag fanden durch den Vortragenden astronomische Vorführungen des Berliner Sternenhimmels in dem herrlichen Planetarium statt, die die Zuhörer begeisterten und
einen nachhaltigen Eindruck hinterließen.
Hs.
Buchbesprechungen
Walter Kiaulehn, Berlin: Schicksal einer Weltstadt. Biederstein-Verlag, München—Berlin,
1959. gr. 8' 595 S. Gzln. D M 27,50.
Das Buch fand bei seinem Erscheinen vor acht Jahren viel Beifall und Lob; und dies
mit Recht. Hier hat der Autor, geborener Berliner, mit großer Liebe und Leidenschaft für
seine Vaterschaft e<n Bild unserer Stadt entworfen, wie es eindrucksvoller und umfassender
nicht gedacht werden kann. Vor unseren Augen entsteht das Berlin unserer Väter wieder
mit seinen Schönheiten und Eigenheiten, mit seinen gesellschaftlichen Zuständen und seinen
künstlerischen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Aber noch mehr; in zweiundzwanzig
Kapiteln gibt der Verfasser einen Überblick über die Entwicklung und das Schicksal unserer
Stadt, seinen Aufstieg seit der Reichsgründung im Jahre 1871 und seinen Niedergang im
zweiten Weltkrieg. Man kann das Buch immer wieder empfehlen; seit seinem Erscheinen ist
kein besseres mit ähnlichem Ziel erschienen. Es ist wert, daß man es immer wieder liest;
sein Charme ist einzig, der Humor und die Lebhaftigkeit, mit denen es geschrieben ist, sind
unübertrefflich. Kurz: eines der besten Berlin-Bücher, die je erschienen sind.
Hs.
Ineeborg Drewitz: Berliner Salons. Gesellschaft und Literatur zwischen Aufklärung und
Industriezeitalter. Berlin: Haude u. Spenersche Verlagsbuchhandlung, 1965. 112 S. u. 8 Abb.
(Berlinische Reminiszenzen 7) DM 9,80.
Der Verfasserin ist in ihren wirkungsvollen Essays gelungen, die Entstehung der aus dem
Geiste der Aufklärung geborenen literarischen Salons in Berlin als ein Vorspiel zur Emanzipation der Frau treffend und plastisch zu schildern. Dabei will sie im besonderen den „Aufbruch der Frau in der Neuzeit" an den markantesten Beispielen demonstrieren, an Henriette
Herz und ihrem Freundeskreis sowie an Rahel Varnhagen von Ense. Ein Abschnitt ist dem
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„Salon zwischen Reaktion und Revolution" gewidmet, in dem Frauen wie Fanny Lewald,
Hedwig Olfers und vornehmlich Bettina von Arnim gewürdigt werden. Die Stadt Berlin
war mit diesen literarischen Salons der Zeit weit voraus, zumal in den Provinzen noch die
Männer in der Gesellschaft allein tonangebend waren. Das mit Bibliographie und Register
versehene Buch, das die Atmosphäre der damaligen Zeitepoche gut widerspiegelt, kann bestens empfohlen werden.
J. L.
Ursula von K.-.rdorff: Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942 bis 1945, München:
Biederstein Verlag, 1962. 342 S. DM 12,80.
Mit diesem Zeitdokument hat die Verfasserin, Mitarbeiterin der „Deutschen Allgemeinen
Zeitung", Enkelin des langjährigen Reichstagsabgeordneten und Vertrauten Bismarcks, Wilhelm von Kardorff, und Nichte des in der Weimarer Zeit bekannten Reichstagsabgeordneten
Siegfried von Kardorff eine unschätzbar wertvolle historische Quelle zur Geschichte Berlins
in der Nazizeit, insbesondere in den Schreckensjahren 1942 bis 1945 mit allen ihren Bedrückungen und Bedrohungen gegeben, aber auch zur deutschen Geschichte dieser Jahre
schlechthin. Es sind Aufzeichnungen auf Grund von Tagebucheintragungen, Notizen in Taschenkalendern und Briefen, die bald nach Kriegsende von ihr zusammengefaßt und durch
später Erfahrenes ergänzt worden sind und nüchtern und illusionslos wiedergegeben, die
Erlebnisse in lebendiger und fesselnder Darstellung an uns vorüberziehen lassen. Ihr gesellschaftlicher Verkehr mit verschiedenen sozialen Schichten sowie die tiefe seelische Einfühlung
in das Miterlebte erhöhen den Wert des Werkes. Zugleich ist es ein schönes ehrendes Denkmal
für den in Berlin lebenden und verkehrenden preußischen Adel in seinem unerschrockenen
und unermüdlichen Widerstandswillen gegen den Nationalsozialismus bis zur letzten Phase
der preußischen Geschichte. Der Historiker kann Ursula von Kardorff für dieses Buch nur
dankbar sein.
J. L.
Walter G. Oschilewski: Freie Volksbühne Berlin. Berlin: Strapp Verlag, 1965. 64 S.
48 Abbildungen ( = Berlin. Gestalt und Geist, Bd. 6) DM 7,80.
Der verdienstvolle Verfasser bringt einen historischen Überblick über die Entwicklung der
Freien Volksbühne Berlin, ihre Vorgeschichte und Entstehung, der Gründungsversammlung
am 29.7. 1890 im Böhmischen Brauhaus in der Landsberger Allee und ihrer sozialen Funktion in der Gesellschaft. Man erfährt alle Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatte, ihre
ersten Veranstaltungen im ehemaligen Ostend-, späteren Rose-Theater in der Großen Frankfurter Straße mit Ibsens „Stützen der Gesellschaft" und Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang" sowie die Periode der Spaltung in „Freie Volksbühne Berlin" und „Neue Freie
Volksbühne". Das Hauptziel, ein eigenes Theater zuerlangen, führte zunächst zur Pachtung
des Theaters in der Köpenicker Straße als „Neues Volkstheater". Um jedoch einen eigenen
Theaterneubau zu erreichen, fanden sich die „Neue Freie Volksbühne" und die „Freie Volksbühne Berlin" nach 20jährigem Nebeneinander wieder zusammen in einem „Verband der
Freien Volksbühnen". In der Volksbühne am Bülowplatz (jetzt Luxemburgplatz) entstand
das damals größte und modernste Theater Berlins, das am 30. Dezember 1914 feierlich eingeweiht wurde. Im April 1920 kam es dann zur endgültigen Verschmelzung der beiden
Vereine zur „Volksbühne E. V.", deren Generalsekretär Dr. Siegfried Nestriepke wurde.
Die große Bedeutung Dr. Nestriepkes, der seitdem die führende Kraft bis zu seinem Tode
geblieben ist, wird vom Verfasser gebührend gewürdigt. Sein Verdienst ist auch die Wiederbegründung der „Volksbühne" nach 1945 in den Westsektoren. Der Wunsch nach einer eige-en Spielstätte, nachdem die in Ostberlin gelegene, durch Bomben teilweise zerstörte Volksbühne am Bülowplatz nicht mehr in Fraee kam, führte zunächst zur Übernahme des Theaters
am Kurfürstendamm im September 1949, bis schließlich 1963 der von Dr. Nestriepke propagierte Theaterneubau in der Schaperstraße mit 1047 Plätzen realis : ert werden konnte, das
heute zu den schönsten Berliner Theatern gehört.
J. L.
Willi Finper-Hain: Gräber unserer Großen in Berlin. Christian Wolff Verlag Flensburg,
1965. 180S./4 mit 154 Bildern. Gzln. DM 28,—.
Die umfanereiche Literatur über Berliner Grabstätten wird durch den hervorragend
ausgestatteten Bildband in wertvoller We'se ergänzt und bereichert. In alphabetischer
Reihenfolge werden die Bildnisse und Grabdenkmäler bedeutender Männer Berlins unter
Beigabe einer kurzen Biographie und des Namenszuges dargestellt, wobei die verschiedensten Friedhöfe Berlins, auch die im Ostsektor gelegenen, berücksichtigt werden. Die Reihe
der Darstellungen erstreckt sich vom 18. Jahrhundert bis in die neuste Zeit und umfaßt
alle Berufe. So finden wir, um nur einise herauszugreifen, die Grabmale von Brecht, Chamisso, Chodowiecki, Fichte, Fontane, Wilhelm und Jacob Grimm, E. T. A. Hoffmann,
Hufeland, die Gebrüder Humboldt, Kleist, Kugler, Heinrich Mann, Moses Mendelssohn,
58
Menzel, Mommsen, Ranke, Rathenau, Ernst Reuter, Schadow, Sdünkel, Stresemann, Virchow, sämtlich Berliner, die in der Entwicklung unserer Stadt, in ihrem gesellschaftlichen
und geistigen Leben eine bedeutende Rolle gespielt haben; sie ziehen an unserem Auge vorüber und geben Zeugnis von der Größe und Bedeutung unserer Stadt. Ein Buch der Erinnerung und des Nachdenkens liegt vor uns, wie es würdiger und einprägsamer nicht gedacht
sein kann.
Hs.
Walter Krumholz: Berlin-ABC unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Richard Höpfner
u. a. herausgegeben im Auftrage des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, 1965.
586 S.
Ein derart inhaltsreiches, sorgfältig bearbeitetes Nachschlage- und Auskunftsbuch für
Berlin fehlte schon lange; es ähnelt nach Inhalt und Aufmachung dem 1806 erschienenen
„Lexicon von Berlin und der umliegenden Gegend" von Joh. Christian Gädicke, in welchem
man ebenfalls „alles Merkwürdige und Wissenswerthe von dieser Königsstadt und deren
Gegend" finden konnte. Aber wie sehr hat sich Berlin seit dieser Zeit verändert. Umfang
und Aufgaben der Stadt sind unermeßlich gewachsen und ein einzelner findet sich ohne
Hilfe in der Vielheit Berlins nicht zurecht. In dem „Berlin-ABC" findet er eine wirkliche
Hilfe und zuverlässige Stütze, was auch immer er wissen will. Das Buch ist schlechthin
unerschöpflich und darum besonders wertvoll. Der Herausgeber erbittet Kritik und Ergänzungen, und wir werden ihn darin gern freudig unterstützen.
Hs.
Paul Otwin Rave: Kunst in Berlin. Betrachtungen aus drei Jahrzehnten. Staneck Verlag Berlin, 1963. 200 S., 16 Taf. Gzln. DM 12,80.
Der bekannte, vor wenigen Jahren verstorbene Kunsthistoriker Paul Ortwin Rave,
ein gebürtiger Rheinländer, der als junger Doktor der Kunstgeschichte von Ludwig Justi an
die Nationalgalerie in Berlin geholt worden war, hat sich in der Stadt an der Spree schneller als geahnt heimisch gefühlt und ihrer bildenden Kunst und Architektur bald den überwiegenden Teil seines Schaffens gewidmet. Durch seine Tätigkeit an der Nationalgalerie
lagen seine Hauptinteressen selbstverständlich im 19. Jahrhundert, doch hat er sich auch
mit einzelnen großen Gestalten weiter zurückliegender Epochen befaßt. So reicht denn auch
die Thematik der in dem vorliegenden Bande vereinigten Aufsätze und Vorträge zeitlich
von Andreas Schlüter, dem genialen Baumeister und Bildhauer des Barock, über die bedeutendsten Künstler oder für die Kunst wesentlichen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts
bis zu van Gogh und Munch. Dann Rave hat unter Justi auch die großen der Kunst des
20. Jahrhunderts gewidmeten Ausstellungen im Kronprinzenpalais mitgestaltet, jener Neuen
Abteilung der Nationalgalerie, die durch die Aktion „Entartete Kunst" nach der gewaltsamen Entfernung ihrer besten Werke stillgelegt wurde.
Seine umfangreicheren Forschungen und kunstschriftstellerischen Werke widmete Rave
vorwiegend den Großen der klassisch-romantischen Epoche, allen voran Schinkel, Blechen
und Wilhelm von Humboldt. Damit legte er zugleich das solide Fundament für seine vielen
kleineren Arbeiten. Auch seine kürzeren Aufsätze und Vonräge sind deshalb fast jedesmal
ein Konzentrat der Veranschaulichung vielfältiger kultureller Verwobenheiten und Wechselbeziehungen; mit flüssiger Feder, oft sogar in poetischer Überhöhung abgefaßt, vermitteln
sie, ohne jemals lehrhaft zu wirken, stets so etwas wie ein geistesgeschichtliches Panorama
einer bestimmten Zeit, auch dort noch, wo Einzelbiographien, künstlerische Teilgebiete oder
gar nur einzelne Kunstwerke Anlaß zu wertender Betrachtung und feinsinniger Deurung
waren. Alle Kenner und Liebhaber berlinischer Kunst und Geschichte werden daher auch
diese Aufsätze Raves, denen ein Lebensbericht über den Autor von dessen langjährigem
Freund Alfred Hentzen, dem heutigen Direktor der Hamburger Kunsthalle angefügt ist,
mit Gewinn lesen.
I. W.
Georg Zivier: Das Romanische Cafe. Berlinische Reminiszenzen 9. Haude & Spenersche
Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1965. 102 Seiten mit 11 Abbildungen. Pbd. DM 9,80.
Das Romanische Cafe war in dem Berlin der zwanziger Jahre der Mittelpunkt des geistigen Berlins rund um die Gedächtniskirche, wo sich alle die vielen Dichter, Künstler,
Maler, Musiker, Journalisten und Filmleute zu lebhafter Unterhaltung und regem Gedankenaustausch trafen. Georg Zivier gehörte zu ihnen und schildert spannend und humorvoll das
Leben und Treiben in diesem berühmtesten Cafe Berlins und weckt damit die Erinnerung
an eine von dem damaligen Berlin nicht fortzudenkende Stätte des kulturellen Lebens. In
der Schilderung des eigenen Erlebens, das uns packt und mitreißt, liegt der Wert des kleinen
Buches. Das Romanische Cafe ist in dem neu.n Europazentrum wiederentstanden, aber ob
dieses neue Cafe die gleiche Bedeutung für Berlin erlangen wird, wie das alte, bleibt zweifelhaft.
Hs.
59
Kleine Mitteilungen
Unsere Bibliothek wurde gegen Ende des Jahres 1965 neu aufgestellt. Während bisher die
vorhandenen Bände nach dem Eingang fortlaufend in die Regale gestellt wurden, erfolgt jetzt
die Aufstellung nach Sachgebieten unseres systematischen Kataloges. Eine Katalogübersicht
sowie eine genaue Beschilderung der Regale erleichtern den Benutzern wesentlich das Auffinden
der gesuchten Bände.
Die Bibliothek im Ernst-Reuter-Haus Zimmer 147 ist wie bisher geöffnet Freitags von
16—19 Uhr.
Personalien
Am 8. Februar 1966 ist unser Mitglied, Superintendent i. R. Dr. phil. Carl Nagel im 77. Lebensjahr plötzlich verschieden. Wir verloren mit ihm ein sehr verdienstvolles, treues Mitglied;
er wird durch seine wissenschaftlichen Aufsätze, durch seine Vorträge und Ansprachen allen
Mitgliedern in ehrender Erinnerung bleiben.
Am 13. Mai 1966 begeht unser Ehrenmitglied, Herr Prof. Dr. Johannes Schultze, in BerlinDahlem in voller Frische seinen 85. Geburtstag. Wir wünschen dem Jubilar noch viele Jahre in
Gesundheit und Wohlergehen.
Nächste Veranstaltungen
1. Am Dienstag, dem 26. April 1966 um 19 Uhr, findet im Ratskeller Schöneberg die
ordentliche Mitgliederversammlung statt. Einladungen sind gesondert ergangen;
jedes Mitglied müßte sich verpflichtet fühlen, an dieser wichtigen Veranstaltung
teilzunehmen.
2. Am Donnerstag, dem 12. Mai 1966, findet um 14 Uhr eine Besichtigung der Gipsformerei der Staatlichen Museen in Charlottenburg, Sophie-Charlotte-Straße 17
bis 18 statt. Treffpunkt vor dem Eingang des Hauses.
3. Am Dienstag, dem 24. Mai 1966 um 19.30 Uhr, spricht im Vortragssaal 139 des
Rathauses Schöneberg Frau Dr. Ingeborg Drewitz über „Berlins literarische Salons" .
4. Am Dienstag, dem 14. Juni 1966 um 19.30 Uhr, hält im Vortragssaal 139 des Rathauses Schöneberg Herr Bruno Stephan, Leiter des Heimatarchivs des Verw.Bezirks
Wedding, einen Vortrag mit Lichtbildern über „Blick in die Geschichte und Zukunft des Bezirks Wedding".
5. Für den diesjährigen Sommerausflug mit Besuch historischer Stätten im Juli oder
August dieses Jahres ergehen besondere Einladungen.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin.
RafebibHcrthek
MITTEILUNG'EKT
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 5
1. Juli 1966
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90
Schriftführer: Dir. i.R. K.BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee 28, Ruf: 94 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
Unbekannte Darstellungen aus dem alten Berliner Rathaus
kurz vor dessen Abbruch
Dr. P. F. C. Wille
„So sehr man auch die Verdienste anerkennen muß, welche sich unsere Altvorderen um das Wohl der Stadt erwarben, so könnte man doch fast mit ihnen rechten,
daß sie es versäumten, die geschichtlichen Tatsachen ihrer Zeit für die Nachkommen
aufzuzeichnen. Sie dachten in ihrem nur den praktischen Interessen ihrer Zeit sich
zuneigendem Sinne nicht daran, daß die Geschichte die beste Lehrmeisterin noch für
die fernsten Geschlechter und ihre Aufbewahrung daher eine durch die Nothwendigkeit gebotene Pflicht sei."1) Diese beherzigenswerten Worte, mit welchen Berlins
damaliger Oberbürgermeister Krausnick im Jahre 1861 seine Denkschrift zur Grundsteinlegung für das neue Rathaus in der Königstraße einleitete, haben offenbar das
Interesse an der Geschichte und Tradition einer zum Selbstbewußtsein erwachten
großen Stadt erneut geweckt und vielleicht auch indirekt einen Einfluß auf die Gründung unseres Vereins (1865) gehabt. Dieser Mahnung sollten wir uns erinnern, denn
sie hat trotz der dazwischen liegenden hundert Jahre nichts an Aktualität für unsere
Zeit verloren.
Es kann indessen nicht allein unsere Aufgabe sein, die auf uns gekommene geschichtliche Tradition unserer Stadt zu pflegen und durch Wort und Schrift an eine
jüngere Generation weiterzugeben, sondern wir sollten darüber hinaus bemüht sein,
verschüttete, aber noch erkennbare Quellen unserer Geschichtsforschung freizulegen
und bisher unbekannt Gebliebenes der Allgemeinheit zugänglich zu machen.
In der erwähnten Denkschrift wird der Versuch unternommen, die geschichtliche
Entwicklung des alten Berliner Rathauses, soweit das nachträglich noch möglich war,
nachzuzeichnen. Dieser Bau, dessen Beginn um 1270 anzusetzen ist2), lag genau an
der Grenze zwischen der alten und der neuen Stadt im Winkel, den die Spandauerund die Oderbergerstraße (später Königstraße) bildete.
A 20377 F
Die in der genannten Schrift mitgeteilten bau- und kunstgeschichtlichen Notizen
beruhen auf eingehenden Untersuchungen, welche der damalige Berliner Baumeister
Adler an den noch vorhandenen Überresten des alten Rathauses vorgenommen hat. 8 )
Dieser Bau ließ nach einer genauen bautechnischen Prüfung der Fundamente zwei
Teile erkennen, nämlich den fast quadratischen Vorbau in der Spandauerstraße und
einen oblongen größeren Bau dahinter. In diesem Vorbau, zweifellos dem interessantesten Teil des alten Hauses, befand sich die bekannte Gerichtslaube (lobium).
In ihr sind Reste altgotischer Baukunst, welche noch ältere romanische Bauformen
erkennen lassen, enthalten. Indessen ist dieser merkwürdige Bau des öfteren in der
berlinischen Literatur besprochen und dargestellt worden, so daß hier auf diese verwiesen werden kann. 4 ) Nach dem Brande im Jahre 1380 wurde ein „Seigerthurm"
(Uhrturm), welcher die Schöffenlaube nach Norden abschloß, errichtet und gleichzeitig „ein bedeutender Flur- und Saalbau" an der Hinterfront des Hauses angebaut.
Krausnick fährt fort: „Doch ist von dieser stattlichen Bauanlage jetzt nichts mehr
mit Sicherheit zu erkennen als die Hälfte der ausgedehnten Kelleranlage nach dem
Hofe zu und die lange Frontmauer unmittelbar darüber. An dieser Frontmauer,
welche in Backsteinen großen Formats erbaut worden ist, zeigen sich wiederkehrend
einfache spitzbogige Blendarkaden ohne weitere Kunstformen, welche der einzige
Schmuck des Erdgeschosses gewesen zu sein scheint. Von Fenster- oder Thürformen,
die ein spezielles Urtheil über Werth und Eigenthümlichkeit dieses Baues verstatten
würden, hat sich nichts vorgefunden. Dagegen lassen die Gewölbe des weitgedehnten
Kellergeschosses, welche auf viereckigen Pfeilern ruhen, bei aller Schlichtheit der
Anlage, durch ihre sehr derben Diagonalrippen in abgeflachten Rundprofilen, deutliche eine Ausführung erkennen, welche nur dem Schlüsse des 14. Jahrhunderts angehören kann". 5 ) Auch von den Kellergewölben der noch älteren Teile des Rathauses, also der Gerichtslaube und des oblongen Baues dahinter, liegt uns — offenbar durch Adler — eine eingehende Beschreibung vor: „Unter beiden Teilen befindet
sich eine geräumige, trefflich überwölbte Kelleranlage von 12 Jochen, welche unter
dem Vorbau mit sehr starken Pfeilern und schmalen, gangartigen Nischen beendet
ist. Die schweren, spitzbogigen Kreuzgewölbe ruhen auf Gurtbogen und Rippen von
gleichem Profile, welches theils viereckig theils abgeschrägt ist. Die Gewölbe sind
nach dem Scheitel hin gestochen, besitzen aber keine Schlußsteine und ihre Kappen
sind ohne Busen emporgewölbt." 6 ) Das verwendete Baumaterial bestand aus Backsteinen mittelgroßen Formats ähnlich denen an den ältesten Teilen der Klosterkirche.
N u r die an der Spandauerstraße belegenen Kellerpfeiler waren auf behauenen Granitquadern fundamentiert. Es bleibt hierbei die Frage offen, ob diese großartigen
Kellerräume gleich ursprünglich, wie später, zur Trinkstube der Stadt, oder zu
welchen anderen Zwecken noch gedient haben könnten. In der genannten Denkschrift
werden auch Abbildungen aus dem alten Rathaus gebracht, darunter eine Gesamtansicht nach einem Stich vom Anfang des 18. Jahrhunderts 7 ), ferner maßgerechte
Grundrisse der verschiedenen Bau-Epochen und eine Lithographie von der Gerichtslaube und dem Ratsstuhl mit interessanten Detailzeichnungen. 8 ) Freilich war das
Rathaus, welches weniger der Repraesentation als der Verwaltungsarbeit diente,
arm an kunstgeschichtlich eindrucksvollen Blickpunkten. Trotzdem vermissen wir
es sehr, daß uns keine Ansichten von den Innenräumen des Gebäudes bekannt geworden sind. Eine Ausnahme hiervon macht lediglich die Gerichtslaube, welche
62
V
f.
Gang im Erdgeschoß.
Kreuzgewölbe mit seitlichen
spitzbogigen Blendarkaden.
(Nach einer Orig.-Zeichnung von
F. W. Kloß aus der Slg. des Verf.)
h.,
Erdgeschoß.
Tonnengewölbe mit Seitenstidikappen.
(Nach einer Orig.-Zeichnung von
F. W. Kloß aus der Slg. des Verf.)
offenbar das Malerauge mehr gereizt hat. Carl Graeb9), der liebenswerte Architekturmaler Berlins aus der Biedermeierzeit, hat „den alten Ratsstuhl" und „den alten
Schöffenstuhl" — also die untere und obere Etage der alten Gerichtslaube — gemalt.
Beide Gemälde befanden sich früher im Besitz der Stadt Berlin.10) Ob sie erhalten
geblieben sind, vermag ich nicht zu sagen. Ein Zeitgenosse von Graeb, F. W. Kloß,
ist nun derjenige, von dessen Zeichnungen im folgenden die Rede sein soll. Dieser
Maler hat uns eine Reihe von Aquarellen und Skizzen aus dem alten Berlin hinterlassen, von denen Bogdan Krieger in seinem schönen Buch „Berlin im Wandel der
Zeiten" zwei Ansichten und zwar vom Akademiegebäude mit der Sternwarte und
vom Lustgarten mit dem alten Dom und dem Schloß im Farbdruck erhalten hat. 11 )
Einige Skizzenbücher von Kloß mit bisher unbekannt gebliebenen Zeichnungen sind
nach dem Ersten Weltkrieg auf Kunstauktionen angeboten worden. Eines dieser
Zeichenhefte konnte ich ca. 1925 erwerben. Darin befinden sich etwa 40 bisher nicht
veröffentlichte Ansichten von Berlin und seiner Umgebung. Unter diesen sind drei
Skizzen, welche uns einen Einblick in das Innere des alten Rathauses erlauben. Ein
Irrtum über die Topographie ist durch die ausdrückliche Bezeichnung des Künstlers:
„Im alten Rathaus (Berlin)" ausgeschaltet. Der Augenschein lehrt weiter, daß es sich
bei allen Bildern um Baulichkeiten aus dem Erdgeschoß handelt. Die bautechnische
Beschreibung des Keller- und Erdgeschosses, welche die Denkschrift bringt, habe ich
deshalb ausführlich zitiert, weil sie die Möglichkeit bietet, hiernach die Kloß'schen
Skizzen sicherer deuten zu können. Indessen scheint diese Gegebenheit nur für die
erste Abbildung zu passen, wo von einer Frontmauer mit sich wiederkehrenden
63
einfachen, spitzbogigen Blendarkaden die Rede ist. Wir sehen auf diesem Bild in
einen langen Gang, der offenbar durch ein Tor in eine Straße mit Blickrichtung auf
ein gegenüberliegendes Haus mündet. Dieser Gang wird nach oben durch ein
Kreuzgewölbe, welches auf hohen Konsolen ruht, abgeschlossen. Die einzelnen Joche
sind durch je einen Rundbogen unterbrochen. Der letzte Bogen ist im Oberteil durch
eine senkrechte Wand abgeschlossen, so daß hier eine hohe viereckige Tür eingefügt
werden konnte. Rechts und links an den Seitenwänden sehen wir die oben erwähnten langen Frontmauern mit den spitzbogigen, sich wiederkehrenden, sonst schmucklosen Blendarkaden, deren Anlage nach Adler gegen Ende des 14. Jahrhunderts
anzusetzen ist.
Eine andere Baukonstruktion zeigt die zweite Abbildung. Hier finden wir
statt des Kreuzgewölbes ein Tonnengewölbe. Der Gang ist offenbar breiter oder er
wirkt jedenfalls so. Die seitlichen Frontmauern sind völlig glatt. Durch einschneidende Seitenstichkappen werden die einzelnen Joche abgegrenzt. Das Architekturbild
wird auf diese Weise aufgelockert. Die Scheitelpunkte der Gewölbebogen sind durch
einen Mittelstein markiert. Der Gang, welcher auf eine Straße oder einen Hof führt,
ist nicht bis zum Ende gewölbt, sondern hier durch eine waagerechte, offenbar kassettierte Decke (?) abgeschlossen. Eine breite viereckige Tür führt ins Freie.
Die dritte Skizze erinnert durch das Kreuzgewölbe an die erste Abbildung,
doch fehlen hier die Blendarkaden. Konsolsteine, auf denen das Gewölbe ruht, sind
nicht erkennbar. Der dargestellte Gang wird auch hier von hohen Frontmauern
seitlich begrenzt. In der Mitte ist er durch einen schmalen Hof, der einen Lichteinfall gestattet, unterbrochen. Jenseits dieses Hofes setzt sich der durch einen Rundbogen begrenzte dunkle Gang fort. Eine vom Gewölbe herabhängende Laterne wird
wohl zur besseren Beleuchtung erforderlich gewesen sein. Von den sonst so gerne
angebrachten schmückenden Schlußsteinen an den Kreuzgewölben ist auf unserer
Zeichnung nichts zu erkennen. Auch in den Kellergewölben der alten Gerichtslaube
fehlten diese, wie wir von Adler wissen.
Kloß hat die vorliegenden Zeichnungen, welche uns einen Einblick in Gebäudeteile erlauben, die noch aus dem 14. Jahrhundert stammen, anscheinend kurz vor
dem Abbruch des alten Rathauses geschaffen. Wahrscheinlich hatte er nur zu diesem
Erdgeschoß noch Zutritt. Die Kellergewölbe, welche keine Lichtöffnung hatten,
waren von vornherein wegen fehlender Beleuchtung zeichnerisch nicht darstellbar.
Berlin hatte bereits damals keinen großen Reichtum an alten Bauten. Um so
bedauerlicher ist es, daß man nicht versucht hat, etwas von diesen Räumen zu erhalten. Hier zeigt sich, daß die eingangs zitierten Worte Krausnicks bei seinen
Zeitgenossen doch nicht genügend Echo gefunden haben. Und doch hatten sich damals auch mahnende Stimmen erhoben in der Absicht, wenigstens die alte Gerichtslaube zu erhalten. Allerdings war dieses bauliche Kleinod aus dem 13. Jahrhundert
durch häßliche Verkleidung und Vernachlässigung schon lange nicht mehr als solches
erkennbar. So mag es zu klären sein, daß man nicht recht wußte, was man mit
diesem Rest des zum größten Teil bereits abgerissenen Hauses anfangen sollte. Woltmann faßt in seiner 1872 erschienenen „Baugeschichte Berlins" die öffentliche Meinung der damaligen Zeit wohl ganz richtig zusammen, wenn er sagt:12) „Erst in
neuester Zeit wurden in der Presse dankenswerthe Versuche gemacht, das Publikum
64
Durchgang im Erdgeschoß mit einfachem Kreuzgewölbe, durch einen Hof unterbrochen.
(Nach einer Orig.-Zeichnung von F. W. Kloß aus der Slg. des Verf.)
über den Werth der Gerichtslaube aufzuklären, ihm zu sagen, daß in dieser unansehnlichen K a p s e l . . . ein vollständig erhaltener Kern stecke, der künstlerisch wie
geschichtlich merkwürdig sei. Die früheren Spitzbogenhallen sollten auf allen vier
Seiten wieder geöffnet werden und so sollte die untere Halle nun als öffentlicher
Durchgang bestehen. . . . Dann hätte Berlin eine solche offene Halle mit einem Mittelpfeiler gehabt, wie sie besonders in England gewöhnlich sind. . . . Gerade Berlin . . .
hätte bei seiner Armuth an älteren Denkmälern sich freuen müssen, dieses Monument
des Bürgerthums erhalten zu sehen." — Indessen war bereits zu diesem Zeitpunkt
das älteste Gebäude Berlins der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Die Werksteine
waren jedoch so sorgfältig bewahrt, daß ein Wiederaufbau, jedoch fern vom genius
loci und völlig zweckentfremdet, im Park von Babelsberg später erfolgen konnte.
Das ist nun beinahe hundert Jahre her! Hier drängt sich zum Schluß von selbst die
Frage auf, warum eigentlich bisher niemand auf den Gedanken gekommen ist, nachdem Berlin weiter so schwere und unersetzliche Verluste an historischen Bauten hat
hinnehmen müssen, die alte Gerichtslaube zurückzuholen und ihr den alten Platz
wieder anzuweisen?
') (Krausnick): Das berliner Rathaus. Denkschrift zur Grundsteinlegung für das neue
Rathaus am 11. Juni 1861, Bln. 1861 S. 1 — Sowohl Kuhn (Berlin Stadt und Land,
Bln. 1953) als auch Zopf und Heinrich (Berlin-Bibliographie, Bln. 1965) nennen als
Autor den Archivar Fidicin. Dieser ist aber weder auf dem Titelblatt noch im Text
erwähnt. Dagegen unterzeichnet am Schluß im Namen des Magistrats der Oberbürgermeister Krausnick.
s
) Wir wissen heute, daß ein noch älteres Rathaus sich einst am Molkenmarkt befunden
hat.
65
3
) Krausnick, 1. c. S. 2 Fußnote 2
4
5
) Woltmann, Alfred: Die Baugeschichte Berlins bis auf die Gegenwart. Berlin, 1872,
S. 19—23 u. Abb. 9. — Ferner: Berlin und seine Bauten, Berlin 1877, herausgegeben
vom Architekten-Verein, S. 284 (mit Holzschnitt). — Borrmann: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin. Bln. 1893 S. 364—366.
) Krausnick 1. c. S. 8
6
7
) I.e. S. 3
) Lithographie von Loeillot nach einem Stich der ösfeld'schen Sammlung in der ehem.
Kgl. Bibliothek Berlin vom Anfang des 18. Jahrhunderts.
8) 1. c. Tafel I—VII
e
) Carl Graeb 1816—1884; vergl. Weiglin, Paul: Berliner Biedermeier, 2. Aufl. Bln. o. J.
(1942) S. 74
10
) nach handschriftlichen Notizen des Verf.
H
) Krieger, Bogdan: Berlin im Wandel der Zeiten, Bln.-Grunewald o. J. (1923). Bildtafel
vor dem Titel und nach S. 64, nach dem Original in der damaligen Schloßbibliothek
Berlin.
12
) Woltmann, I.e. S. 22/23
Berichte
Feinen besonderen Höhepunkt unserer Sitzungen brachte am 29. März 1966 der Vortragsabend des bekannten Berliner Schriftstellers und Fontane-Preisträgers Hans
Scholz,
der aus einem Urmanuskript über Brandenburgische Geschichte wesentliche Teile zu Gehör brachte. Der Vortragende bot in anschaulicher und fesselnder Weise einen Universalüberblick über alle Epochen der Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Hauptstadt
Berlin, vornehmlich in kultureller und politischer Hinsicht, von der Vorgeschichte ausgehend bis zu der heutigen schwierigen Situation in seltener Vollkommenheit und stilistisch
wohlgefeilter Darstellung.
J. L.
Die Gl}'Sformerei der Staatl. Museen wurde am 12. Mai von zahlreichen, interessierten
Mitgliedern besichtigt. Das nüchterne Gebäude in der Sophie-Charlotte-Straße in Charlottenburg ließ nicht ahnen, welche Fülle von wertvollen Gipsabdrücken es im Inneren barg.
Die Zahl der vorhandenen Abgüsse von den kleinsten Elfenbeinarbeiten bis zum überlebensgroßen Reiter vom Magdeburger Marktplatz beträgt etwas 7 000, die durch naturgetreue Übermalung kaum von den Originalen zu unterscheiden sind. Die Abgüsse werden
von den verschiedensten Standplätzen und Museen aller Länder durch besondere Beauftragte des Museums abgenommen und hier in Berlin-Charlottenburg fertiggestellt. Sie stellen
nicht nur Verkaufsobjekte dar, sondern sehr begehrte Austellungsstücke, besonders wenn die
Originale zerstört oder nicht mehr vorhanden sind.
Das gegenwärtige Gebäude in der Sophie-Charlotte-Straße, das keine Kriegsschäden
erlitten hat, wurde um 1890 errichtet und enthält nur unzureichende Lagerräume und
Werkstätten; es wäre zu wünschen, daß es auch einmal einem Gebäude, das neuzeitlichen Ansprüchen entspricht, Platz machen würde.
Hs.
Die Jahreshauptversammlung
des Vereins fand am Dienstag, dem 26. April 1966, im
Ratskeller Schöneberg statt. Der Vorsitzende Professor Dr. Dr. Harms gedachte vor Eintritt in die Tagesordnung des Ablebens der seit dem Vorjahre verstorbenen Mitglieder,
denen er heizliche Worte des Gedenkens widmete. Zu Ehren der Verstorbenen erhob sich die
Versammlung von den Plätzen.
Nach einigen Hinweisen des Vorsitzenden auf hervorragende Ereignisse des Geschäftsjahres 1965 gab der stellv. Schriftführer, Herr Borkenhagen, den Tätigkeitsbericht für das
abgelaufene Jahr in Vertretung des am Erscheinen verhinderten Schriftführers. Das Vereinsjahr 1965 nahm als Jubiläumsjahr in der Geschichte des Vereins einen besonderen Platz
ein. Der Verein konnte mit den Jubiläumsveranstaltungen ein eindrucksvolles Bild seiner
hundertjährigen Arbeit und seiner Verbundenheit mit der wechselvollen Geschichte unserer
Stadt vermitteln. Der Verlauf der Festsitzung am 30. Januar 1965 im Abgeordnetensaal
66
des Rathauses Schöneberg fand ebenso wie das ehrenvolle Grußwort des Herrn Bundespräsidenten großen Widerhall. Festsitzung und anschließender Empfang in der historischen
Brandenburghalle erfreuten sich großer Beteiligung von Vertretern des öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens Berlins. Presse, Rundfunk und Fernsehen nahmen lebhaft Anteil an diesen Veranstaltungen.
Am i.April 1965 führte der Verein im Einvernehmen mit dem Senat von Berlin eine
Gedenkfeier anläßlich der 150jährigen Wiederkehr des Geburtstages Otto von Bismarcks
in zwei Sälen der Kongreßhalle durch. Nahezu 500 Personen waren der Einladung gefolgt.
Die Begrüßungsworte von Bürgermeister Albertz und die Festrede des Ordinarius für
Geschichte an der Universität Bochum, Professor Dr. Rudolf Vierhaus, fanden weitgehende
Beachtung. Über beide Veranstaltungen ist im Jahrbuch 1966 ausführlich berichtet worden.
Der Berichterstatter behandelte sodann organisatorische Fragen der Vereinsarbeit,
berichtete über die Mitgliederbewegung des Vereins im abgelaufenen Geschäftsjahr und
verband hiermit eindringliche Worte, neue Mitglieder zu werben, um der Vereinsarbeit eine
breitere Grundlage zu geben.
An den Bericht schloß sich eine lebhafte Aussprache an. Herr Schulrat M ü l l e r schlug
vor, die Beziehungen zu den Schulen Berlins enger zu gestalten und machte zu diesem
Zweck verschiedene Vorschläge. Herr Prof. Dr. Dr. H o f f m a n n - Axthelm empfahl die
Gründung einer Jugendgruppe und setzte sich für eine wirkungsvolle Werbung zu Gunsten
des Vereins ein.
Der Schatzmeister, Herr M ü g e 1 , erläuterte sodann den im Druck vorgelegten Kassenbericht und hob hervor, daß der Preis für die noch vohandenen alten Jahrbücher auf
DM 5,80, für die neuen Jahrbücher auf DM 7,80 festgesetzt worden ist.
In Vertretung des verhinderten Kassenprüfers erstattete Herr B o r k e n h a g e n den
schriftlich vorliegenden Prüfungsbericht.
Herr Prof. Dr. Dr. H o f f m a n n - Axthelm berichtete über die Bibliothek, in welcher
ehrenamtlich Herr G r a v e , Frau K a e b e r und Frau L a h r tätig sind, denen der Vorsitzende für ihre Arbeit seinen besonderen Dank aussprach. Die Bibliothek, die neu aufgestellt wurde, habe im Berichtsjahr wertvolle Schenkungen erhalten, darunter eine solche
von unserem Mitglied Frau Dr. G l ä s e r von 450 Büchern, darunter 150 Werken Berlin
betreffend. Sodann berichtete der Vorsitzende kurz über den gegenwärtigen Stand des
Berlin-Museums und die in Aussicht genommene Unterbringung unserer Bibliothek und
unserer Geschäftsräume in dem Gebäude des alten Kammergerichts, der zukünftigen Heimstätte des Museums.
Dem Vorstand wurde einstimmig Entlastung erteilt. Der Antrag des Vorstandes, den
Mitgliedsbeitrag ab. 1. Januar 1967 auf DM 24,— jährlich zu erhöhen, wurde nach kurzer
Aussprache mit einigen Gegenstimmen angenommen.
Nach der Erledigung der Regularien erfolgte eine weitere Aussprache, in der Anregungen für die künftige Vereinsarbeit, Ausgestaltung der Mitteilungen u. a. m. gegeben
wurden. Auf Vorschlag von Herrn Dr. K u t z s c h sollen künftig die Eingänge der
Bibliothek in der Bibliographie des Jahrbuchs besonders gekennzeichnet werden.
Mit Worten des Dankes für die rege Teilnahme schloß der Vorsitzende die gut besuchte Jahreshauptversammlung.
F R k h
Die Geschichte und Gegenwart des Bezirks Wedding
behandelte in einem Lichtbilder-Vonrag der Leiter des Heimatarchivs des Bezirks Wedding
Bruno S t e p h a n am 14. Juni 1966.
Der Wedding hat eine bemerkenswerte Geschichte. Die erste Urkunde, die erhalten ist,
wurde von dem Markgraf Johann I. im Jahre 1251 in Spandau ausgefertigt; Nonnen aus
Spandau kauften eine Mühle an der Panke in dem Gebiet des Dorfes, welches Wedding
geheißen hatte, aber nicht mehr vorhanden war. Später erhielten die Berliner von dem
Markgrafen Otto V., dem Langen, im Jahre 1289 die Feldmark „up deme weddinge" in
Oberlehnseigentum übertragen; es war eine wüste Feldmark mit einem Gutshof, einer
Mühle, einer Kirche und einigen Bauernhäusern. 1601 entstand ein neuer Hof durch den
Präsidenten des Geheimen Rates, Hieronymus Schlick, der den Hof auf Bitten des Kurfürsten diesem überließ; der Kurfürst schenkte darauf den Hof seiner zweiten Gemahlin,
67
Eleonora von Preußen. Nach ihr gelangte der Weddinghof in den Besitz ihrer Schwester
Anna und deren Schwiegertochter Elisabeth-Charlotte von der Pfalz.
Später wurde aus dem lehnsfreien Grundbesitz (allodium) eine Domäne, bis dieselbe
1766 als Erbzinsgut in den Besitz von Dr. Behm, dem Schöpfer des Bades Gesundbrunnen,
gelangte. Als Bad und Heilquelle spielte der Gesundbrunnen für die Berliner viele Jahre
lang eine bedeutsame Rolle. Mit der einsetzenden Bebauung hörte das ländliche Bild des
Weddings allmählich auf; es entstanden die Hauptstraße, die Müllerstraße, eine Kirche, eine
Schule und ein Friedhof, aus welchem nach Schinkels Entwürfen die Nazarethkirche hervorging. Bedeutungsvoll war der Bau der Stettiner Bahn und der Ringbahn. 1861 wurde
der Wedding in Berlin eingemeindet; durch das Gesetz über die Bildung der Stadtgemeinde
vom 1. April 1920 wurde der Verwaltungsbezirk Wedding, einer der volksreichsten Berlins,
geschaffen.
Heute ist dieser Bezirk eine Großstadt mit modernen Siedlungsbauten, Hochhäusern,
Schulen, großen Krankenhäusern, mustergültigen Parkanlagen (Humboldthain, Volkspark
Rehberge, Schillerpark), Industriebauten und Warenhäusern. Die modernste U-Bahn-Linie
(Spichernstraße-Leopoldplatz) verbindet den Wedding mit der inneren Stadt. Trotzdem
ist dieser sehenswerte Stadtteil vielen Berlinern unbekannt. Der Wedding entspricht nicht
mehr seinem früheren ungünstigen Ruf; er schließt sich den arideren Verwaltungsbezirken
ebenbürtig an.
B. Harms
Buchbesprechungen
Alfred Schinz: Stadtschicksal und Städtebau. Georg Westermann Verlag Braunschweig,
Berlin, Hamburg, München, Kiel, Darmstadt 1964. 264 Seiten mit 129 Karten, Plänen
und Vogelschauen nach Zeichnungen des Verfassers. Lex.-Okt. Gzln. DM 39,—.
Das hervorragend ausgestattete Werk ist das Ergebnis einer fünfzehnjährigen Erforschung der baulichen Entwicklung Berlins. Der Verfasser, Schüler von Scharoun und
mehrere Jahre lang Leiter des Planungsamtes Wolfsburg, geht aus von dem Stadtgrundriß, den er auf Grund alter Karten für die Jahre 1400, 1650, 1688, 1712, 1786 und 1860
rekonstruiert und versucht, wie er sagt, „die städtebauliche Gestalt einer Stadt mit ihrem
geschichtlichen Schicksal so in Beziehung zu setzen, daß daraus sowohl der Sinn dieser
Gestalt, wie auch diese selbst als ein wesentlicher Bestandteil unseres eigenen, geschichtlich
gewordnenen, heutigen Daseins erkennbar wird." Leider geht er dabei nicht auf die
Quellen zurück, sondern stützt sich auf frühere Werke mit der gleichen Zielsetzung.
Immerhin wird uns in drei großen Abschnitten, die Hansestadt, die Residenzstadt, die
Stadtlandschaft, die städtebauliche Entwicklung Berlins von den Anfängen bis zur heute
geteilten Stadt recht anschaulich vor Augen geführt, wobei die politischen, wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Einflüsse auf die unumgänglich notwendigen Faktoren beschränkt bleiben. Aber dabei muß man vielen Behauptungen und Feststellungen die Anerkennung versagen, besonders was die Vor- und Frühgeschichte, so die Gründung der
Schwesterstädte Berlin und Colin angeht. Über solche Fehler muß man bei der Gesamtbeurteilung des Werkes hinwegsehen und anerkennen, daß es nicht nur eine wertvolle Ergänzung früher erschienener Werke darstellt, sondern eine neuzeitliche, großzügige Darstellung der Entwicklung unserer Stadt bedeutet. Wenn bei einer evtl. zweiten Auflage
die zahlreichen Irrtümer und falschen Auffassungen beseitigt werden, wird das Werk eine
wertvolle und wichtige Bereicherung der baugeschichtlichen Literatur Berlins sein.
B. H a r m s
Manfred Stürzbecher: Berlins alte Apotheken. Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte Bd. 7. Verlag Bruno Hessling Berlin 1965. 87 Seiten mit 23 Abb. kart.
DM 9,80.
Mit großer Sachlichkeit und Gründlichkeit hat der Verf. alle Quellen durchforscht
und alles Wissenswerte zusammengetragen, welches zu einer geschichtlichen Darstellung der
Berliner Apotheken beitragen konnte. Das Ergebnis seiner Forschungen liegt in dem gut
ausgestatteten Bändchen vor, das uns mit der geschichtlichen Entwicklung des Apothekenwesens in Berlin bekannt macht. Die Anfänge desselben sind nicht mit Sicherheit festzustellen, gehen aber auf das 15. Jahrhundert zurück, aus dem entsprechende Urkunden
vorliegen. Dann ging die Entwicklung vorwärts und für das 16. Jahrhundert konnten
mehrere Apotheken namhaft aufgezählt werden. Für das 17. Jahrhundert werden die
Lebensbeschreibungen einiger Apotheker mitgeteilt, die vielfach sehr unternehmende H a n delsleute waren. Der Wandel des Apothekerstandes und der Ausbau der Apotheken, die
68
sich häufig zu industriellen Betrieben entwickelten, erfahren eine eingehende Darstellung.
So erhalten wir einen ausgezeichneten Überblick über die Berliner Apothekengeschichte mit
vielen wissenswerten Feststellungen, unterstützt durch anschauliche Abbildungen.
B. H a r m s
Adriaan von Müller: Berlins Urgeschichte. 55000 Jahre Mensch und Kultur im Berliner
Raum. Verlag Bruno Hessling Berlin 1964. 64 Seiten mit 10 Rekonstruktionszeichnungen
und 13 Zeichnungen im Text von Friedrich Dreyer-Tamura und 34 Abbildungen, kart.
DM 9,80.
Die reich bebilderte Schrift gibt als Einleitung einen Überblick über die archäologische
Forschung in Berlin, die zunächst jede planmäßige Arbeit vermissen ließ. Erst in den letzten
Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Versäumte nachgeholt und fachliche Ausgrabungen betrieben. Es folgt dann eine Beschreibung der Berliner Fundstellen mit den zum
Teil überraschenden Funden, die wichtige Schlüsse auf die Ureinwohner Berlins, ihre Lebensgewohnheiten und ihre Stammeszugehörigkeit zuließen. Ein erstaunlich reichhaltiges
Material ist in dem kleinen Buch zusammengetragen und in sehr geschickter Weise erläutert. Die Literaturhinweise und ein Verzeichnis der Fundstellen am Schluß regen zu
weiterem Studium an.
B. H a r m s
Herzogin Viktoria Luise: Ein Leben als Tochter des Kaisers. Göttinger Verlagsanstalt
1964. 381 Seiten mit 58 Illustrationen. Gzln. DM 24,—.
Die Lebenserinnerungen der Herzogin Victoria Luise rufen bei allen alten Berlinern
wehmütige Erinnerungen an das alte kaiserliche Berlin mit seinem Glanz und seinem
Prunk, an schwere Zeiten des ersten Weltkrieges mit seinen Folgen und dann auch an die
unheilvolle Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft hervor. Wir sehen die von allen geliebte Prinzessin in ihrem Elternhaus, und verfolgen ihren wechselvollen Lebensweg mit aufrichtiger Anteilnahme, ihre Heirat mit dem Weifenherzog Ernst August, ihr glückliches Familienleben in Gmunden und Braunschweig, die schwere Zeit während der Naziherrschaft.
Gewiß, ihr Leben war nicht einfach und verlief nicht in ruhigen Bahnen. Auf Jahre
des Glücks folgten solche des Unglücks, des schweren Kampfes ums Dasein. Aber immer
nahm diese tapfere Frau den Kampf um die Erhaltung ihrerselbst und ihrer Familie mutig
und verbissen auf und verdient deswegen unsere Hochachtung und Anerkennung. Besonders beeindruckt uns ihre Stellung zu ihrem Vater, an dem sie mit großer Liebe und Verehrung hing. Hier geben ihre Erinnerungen unter Benutzung von zahlreichen bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen vielfach ein neues Bild von dem oft geschmähten Kaiser.
Die Erinnerungen, die mit großer Aufgeschlossenheit, und anerkennenswerter Offenheit geschrieben sind, werden mit Recht auf ein großes Interesse breiter Bevölkerungskreise stoßen; sie sind mehr als eine bloße Lebensbeschreibung; sie sind ein kulturgeschichtliches und weltpolitisches Dokument von hohem Wert und gehören zu den besten Autobiographien, die in unserer Zeit geschrieben worden sind.
B. H a r m s
Hermann Conrad: Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des Fridericianischen Staates. Berlin: Walter de Gruyter & C 1965, 28 Seiten. DM 7,20 (== Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 22).
Der Verfasser, ordentlicher Professor der Rechte an der Universität Bonn, der dieses
Thema vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 25. Juni 1965 behandelt hat, geht
darin aus von den Anfängen der preußischen Rechtskodifikation unter der Regierung
Friedrich Wilhelms I., auf dessen Veranlassung das 1620 verkündete, in den Jahren 1665
bis 1685 revidierte Landrecht des Herzogstums Preußen neu bearbeitet und 1721 als
„Verbessertes Landrecht des Königsreich Preußen" neu verkündet wurde. Conrad zeigt in
seinen Ausführungen, wie es zum „Allgemeinen Landrecht" von 1794 gekommen ist und
welche Schwierigkeiten dabei zu überwinden waren. Unter Friedrich dem Großen wurde
der Plan einer Kodifikation für den gesamten Bereich der preußischen Monarchie aufgenommen und der Großkanzler Samuel von Cocceji 1746 vom König mit der Justizreform
und Gesetzeserneuerung betraut. Ohne jedoch die Arbeiten vollenden zu können, starb
Cocceji, wodurch das Reformwerk ins Stocken geriet. Mit der Kabinetsorder Friedrichs
des Großen vom 14. April 1780 beginnt dann die zweite Periode der Justiz- und Gesetzesreform, mit deren Durchführung der bisherige schlesische Justizminister, Großkanzler von
Carmer beauftragt wurde, der Svarez aus Schlesien zur Mitarbeit berief, der nach einer
Äußerung Savignys die Seele des Gesetzeswerkes gewesen ist. Vom Geist der Aufkläausgehend, wollte Friedrich der Große eine Vereinfachung der Gesetze, die dem gemeinen
69
Mann verständlich sein sollten, und das noch vorherrschende recipierte Römische Recht zurückgedrängt wissen. Nachdem 1781 eine Gesetzeskommisson eingesetzt war, begann man
mit der Reform des Zivilprozeßrechts, das 1793 mit der „Revidierten Gerichts- und Prozeßordnung" abgeschlossen wurde, während das Strafprozeßrecht erst mit der Kriminalordnung von 1805 eine abschließende Regelung fand. Das von Carmer und Svarez bearbeitete Landrecht wurde dann durch Publikationspatent vom 20. 3. 1791 als „Allgemeines
Gesetzbuch für die preußischen Staaten" mit Gesetzeskraft vom 1.6. 1792 zwar verkündet,
jedoch wegen der zu aufgeklärten Haltung des Gesetzeswerkes von Friedrich Wilhelm II.
am 18.4. 1792 suspendiert. Nach einer Umarbeitung der Anstoß erregenden Stellen gelang es Carmer und Svarez, den König dazu zu bewegen, am 5. 2. 1794 das Gesetzeswerk
als „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten" mit Wirkung vom 1.6. 1794 neu
zu verkünden. Als Grundgesetz des preußischen Staates war es während des ganzen
19. Jahrhunderts in Gültigkeit.
J. Lachmann
Fritz Moser: Die Amerika-Gedenkbibliothek Berlin. Entstehung, Gestalt und Wirken
einer öffentlichen Zentralbibliothek. Wiesbaden: Verl. Otto Harrassowitz 1964. X, 161 S.
m. mehreren Abb. sowie 8 S. Tafeln. Brosch. DM 36,— (Beitr. zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 13).
Mit diesem den amerikanischen Freunden gewidmeten Buch gibt der Direktor der
Amerika-Gedenkbibliothek eine ausführliche Darstellung der Entstehung dieser für Berlin
so bedeutenden und unentbehrlich gewordenen Institution, der Gebäude und Einrichtung
sowie der Bestände und ihrer Erschließung. Ein Kapitel ist der Benutzung gewidmet.
Er geht aus von der Gründung der ersten öffentlichen Bücherei in Berlin im Jahre 1850
durch den Staatsminister und Historiker Friedrich von Raumer, der auf seiner AmerikaReise 1841 nachhaltige Eindrücke von den in den dortigen Staaten bereits weit verbreiteten
public libraries empfangen hatte.
Die ersten vier städtischen Volksbüchereien Deutschlands entstanden in Berlin, wie
auch Berlin weiterhin mit seinen Volksbüchereien und Lesehallen zahlenmäßig an der
Spitze der Entwicklung auf deutschem Boden liegt. Die 1901 von den Stadtverordneten
beschlossene, 1907 eröffnete Berliner Stadtbibliothek sollte dem Bildungsbedürfnis der
weitesten Volkskreise dienen und als Zentrale für die einzelnen Volksbibliotheken aufgebaut werden. Infolge der finanziellen Schwierigkeiten nach dem ersten Weltkriege und
der hohen Benutzungsfrequenz, auch zu wissenschaftlichen Zwecken, wurde die Stadtbibliothek unter der Direktion von Gottlieb Fritz zu einem rein wissenschaftlichen Oberbau der Volksbüchereien umgewandelt. Nach dem zweiten Weltkriege und seinen katastrophalen Folgen für die Volksbüchereien wie für die wissenschaftlichen Bibliotheken ging
man nach der Spaltung der Stadt zunächst nur an die Gründung einer „Wissenschaftlichen
Zentralbibliothek" in Dahlem. Dr. Moser behandelt dann eingehend, wie es 1950 dank
des amerikanischen Angebots des Hohen Kommissars Mc. Cloy, Berlin einen neuen kulturellen Mittelpunkt zu geben, und dank des Geschenks des amerikanischen Volkes möglich wurde, eine große public library für Berlin zu errichten. Nachdem man sich über die
Grundstückswahl am Blücherplatz im Bezirk Kreuzberg einig war, konnte am 29.6. 1952
die Grundsteinlegung in Anwesenheit des amerikanischen Außenministers Dean Acheson
erfolgen, der in seiner Rede das unantastbare Recht der Amerikaner auf ihr Verbleiben
in Berlin bis zur völligen Gewißheit der gesicherten Freiheit der Stadt hervorhob. Zwei
Jahre später, am 17. 9. 1954 fand dann die feierliche Einweihung der Bibliothek statt.
Die „Wissenschaftliche Zentralbibliothek" war bereits im Mai des gleichen Jahres geschlossen worden, ihre Bestände gingen in die Bestände der Amerika-Gedenkbibliothek
über. Seitdem ist diese zu einem beachtlichen und allseits beachteten Kulturzentrum
Berlins geworden, das alle Gebiete des Bibliothekswesens umfaßt, der Geisteswissenschaften wie der Naturwissenschaften, der Technik, der Sozialwissenschaften, der Kunst,
der Musik, der Diskothek, der Jugendschriften und Kinder-Abteilung sowie einer BerlinAbteilung. Dazu treten Sondersammlungen, als Leihgabe die Bücherei und Sammlung der
„Landesgeschichtlichen Vereinigung der Mark Brandenburg e. V." ferner die bedeutende
Heinrich von Kleist-Sammlung des bekannten Kleist-Forschers Dr. Minde-Pouet, die Willibald Alexis-Sammlung aus dem Nachlaß des Steglitzer Oberstudiendirektors Dr. Ewert
sowie das Arno Holz-Archiv, das seine Entstehung dem einstigen Berliner Stadtamtmann
Max Wagner verdankt. Die Freihandaufstellung spielte bei dem organisatorischen Aufbau
der Bibliothek eine dominierende Rolle. Heute steht Berlin mit seinen Bibliotheks-Neubauten, Buchbeständen und Ausleihzahlen wieder an der Spitze der deutschen Großstädte.
J. Lachmann
70
Ilja Mieck: Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806—1844. Veröffentlichungen
Historischen Kommisson zu Berlin Bd. 20. Berlin 1965. 276 S. D M 38,—.
der
Aus einer Dissertation ging erheblich erweitert das jetzt unter die Ägide der Historischen Kommission erschienene Buch von I. Mieck „Preußische Gewerbepolitik in Berlin
1806—1844" hervor. Preußen war damals in Wirtschaft und Industrie gegenüber Westeuropa ein „unterentwickeltes Land". An den Namen des Vortrag. Rates im Finanzministerium, Beuth, knüpften sich die staatlichen Maßnahmen, die die Gewerbetreibenden in den
Stand setzten sollten, sich in einer liberalen Wirtschaft zu behaupten. Es galt, sie konkurrenzfähig zu machen, ideell durch Erweckung privater Initiative und Erziehung zur
Selbständigkeit, praktisch durch Mechanisierung der Fabriken. Beuth bediente sich der
beratenden „Technischen Deputation für Gewerbe" für sein nationalpädagogisches Ziel, er
sorgte für finanzielle Unterstützungen, Beschaffung von Maschinen, für Prämien und
Preise, Werbung ausländischer Fachleute und anderes mehr. Viele der staatlichen Förderungsmaßnahmen tragen noch merkantilistisches Gepräge, ihre Praktizierung war aber die
einzige für die Zukunft der preußischen Industrie Erfolg versprechende Möglichkeit. Auch
die Preuß. Staatsbank (Seehandlung) stellte sich mit Beteiligungen, sogar Übernahmen auf
eigene Rechnung, in den Dienst der neuen Gewerbeentfaltung. Sie verknüpfte freilich ihre
eigenen Interessen damit, gewann, verlor und stieß um die Jahrhundertmitte alle Eigenbetriebe im Berliner Raum wieder ab. Auch hier waren merkantilistische und liberale Prinzipien Hand in Hand gegangen. Das letzte Kapitel des Buches befaßt sich mit den Widerständen der Fabrikanten gegen die staatliche Wirtschaftspolitik, die weniger der Gewerbefreiheit als dem Freihandel galten. Bedrohte Fabrikationszweige sicherte die Regierung durch
Prohibitivzölle auf Zeit ab. Quellenmäßig bestens fundiert, umsomehr als Vf. die seltene
Gelegenheit hatte, in der Ostzone lagernde Akten einzusehen, ist die Untersuchung vortrefflich aufgebaut und gut geschrieben.
G. Kutzsch
Erich Achterberg: Berliner Hochfinanz. Kaiser, Fürsten, Millionäre um 1900. Frankfurt/
Main: Fritz Knapp Verlag 1965. 240 Seiten mit 21 Bildern. Leinen: DM 29.80, Halbleder:
DM 32,80.
Die umfangreiche, gründliche Darstellung beginnt mit einem geschichtlichen Abriß der
Berliner Börse. Ihre Grundsteinlegung erlebte die erste Berliner Börse im Jahre 1800 und
ihre feierliche Einweihung am 5. August 1805. Betrug die Zahl der Korporations-Mitglieder
im Jahre 1800 noch 906, war sie 1856 auf 1562 und bei der Grundsteinlegung der neuen
Börse im Jahre 1861 auf 2050 mit 1610 Firmen gestiegen.
Für diesen Zweck erwarb man das gegenüberliegende, alte Daniel Itzig'sche Grundstück an der Burgstraße 25 unter Hinzunahme des daneben liegenden Hauses Nr. 26 und der
Grundstücke in der Neuen Friedrichstraße 51—54. Der Erbauer war Baurat Hitzig; prominente Bankiers wie der Geh. Kommerzienrat Eduard Conrad als Vorsitzender, David
Hansemann und Alexander Mendelssohn gehörten der Baukommission an. Am 28. Sept.
1863 wurde das monumentale Haus eingeweiht und am 5. Oktober fand dann die erste
Börsenversammlung darin statt. Der Verfasser läßt dann Essays über mehrere Persönlichkeiten folgen, die zur „Haute Finance" zählten. Bei den Angaben über das Vermögen derselben stützt sich Achterberg, selbst ein Berliner, hauptsächlich auf Rudolf Martins „Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Berlin", das 1913 erschien. Die
privaten Einzelvermögen lagen damals nicht wesentlich über 40 Millionen Mark. Nur
Kaiser Wilhelm II. schreibt Martin ein Vermögen von über 100 Millionen Mark zu. Besonders
eingehend werden 8 prominente bedeutende Persönlichkeiten behandelt: der Inhaber der
Firma „S. Bleichröder" in Berlin, Gerson von Bleicbröder, der Preußische Finanzminister
und Geschäftsinhaber der „Disconto-Gesellschaft", Johannes von Miquel, der Mitbegründer
der „Deutschen Bank", Hermann Wallich, der Spiritus rector der „Dresdner Bank", Eugen
Gutmann, der ihre Transferierung nach Berlin veranlaßte, der Geschäftsinhaber der „Berliner Handelsgesellschaft" Carl Fürstenberg, der im In- und Ausland um die Jahrhundertwende am meisten bekannt gewordene Berliner Bankier, ferner der Präsident der A. E. G.
Walther Rathenau, der als Außenminister der Weimarer Republik den Vertrag von Rapallo
schloß, und das Vorstandsmitglied in der „Bank für Handel und Industrie" Bernhard
Dernburg, der unter dem Kaiser Kolonialminister und nach 1918 Finanzminister gewesen
ist, sowie schließlich das Vorstandmitglied der „Deutschen Bank", Karl Helfferich, der,
Staatssekretär des Reichsschatzamtes sowie des Innern, sich um die Regelung des Geldwesens
in den deutschen Kolonien sowie als Begründer der deutschen Rentenmark und der „Deutschen Rentenbank" 1923 zur Überwindung der Inflation große Verdienste erworben hat. —
Literatur-, Namens- und Bildquellenverzeichnis beschließen das verdienstvolle Buch.
J. Lachmann
71
Kleine Mitteilungen
In unserer Bibliothek haben sich in den letzten Monaten jeweils am 3. Freitag nach
dem Vortragsabend auch jüngere Mitglieder zu anregenden Gesprächen im Anschluß an die
Bibliotheksbesuchzeit zusammengefunden. Wir würden uns freuen, wenn sich dieser Kreis
künftig erweitern würde.
Trotz lebhafter Proteste der Öffentlichkeit wurde der Abriß des bekannten Ermeler
Hauses Breitestr. 11 beschlossen. Mit dem Abriß ist bereits begonnen worden. Was aus der
schönen Treppe und den Ornamenten im Innern wird, ist noch ungewiß. Die Decke des
großen Saales im ersten Stock soll in dem wiederherzurichtenden Schlößchen im Friedrichsfelder Park Verwendung finden. Das ebenfalls im 18. Jahrhundert erbaute NicolaiHaus, Brüderstraße 13, bleibt erhalten.
Das Märkische Museum ist wegen baulicher Renovierung und Erweiterung z. Zt. geschlossen. Dem Museum wurde der Nachlaß von Heinrich Zille als Dauerleihgabe überwiesen.
An dem Festakt anl. der 12. Jahreshauptversammlung des Bundes der Berliner und
Freunde Berlins e. V. im Plenarsal des Berliner Abgeordnetenhauses am 21. Mai nahm als
Vertreter unseres Vereins der Vorsitzende Prof. H a r m s teil.
Nächste Veranstaltungen
1. Am Sonnabend, dem 20. August 1966, findet der diesjährige traditionelle
Sommerausflug des Vereins nach Lübars und Umgebung statt. Abfahrt der
Teilnehmer mit Sonderbussen der BVG (Reisebusse) von der Jebenstraße,
Ecke Hardenbergstraße, gegenüber Bahnhof Zoo (Nordseite), um 14.15 Uhr.
Die Busse stehen ab 14.00 Uhr zum Einsteigen bereit. Die Fahrt geht zunächst nach Lübars zur Besichtigung der Dorfkirche mit dem früheren Altar
aus der Gertraudenkirche am Spittelmarkt; Vortrag und geschichtliche Erläuterungen durch unser Mitglied Horst Michael, Lehrer in Lübars. Weiterfahrt
an den Tegeler See. Eintreffen um 16.30 Uhr im Restaurant „Seeterrassen
Tegel", wo für uns Plätze im Saal der 1. Etage mit Aussicht auf den See
reserviert sind. Gelegenheit zu Spaziergängen in den gepflegten Uferanlagen
sowie zu kurzen Dampferrundfahrten auf dem Tegeler See. Rückfahrt der
Busse zum Bhf. Zoo um 20.00 Uhr.
Anmeldungen zur Teilnahme an der Busfahrt fernmündlich oder schriftlich
ab 27. Juli bis spätestens 15. August 1966 an Frau Gertrud D o h t, Berlin 62
(Schöneberg), Grunewaldstraße 65, Tel. Nr. 71 15 60, erbeten. Die Teilnehmergebühr für Hin- und Rückfahrt beträgt DM 3,50; sie wird in den Reisebussen erhoben.
Wir bitten um zahlreiche Beteiligung der Mitglieder und ihrer Familien; eingeführte Gäste sind herzlich willkommen.
2. Der Verein eröffnet das Vortrags- und Veranstaltungs-Programm für das
Winterhalbjahr 1966/67 am Montag, dem 26. September um 15 Uhr mit einer
Besichtigung der wiederhergestellten Räumlichkeiten des S&losses Charlottenburg und seiner Kunstschätze. Einführender Vortrag durch: Frau Dr. Margarete Kühn, Direktorin der staatl. Berliner Schlösser und Gärten. Treffpunkt
gegen 15 Uhr vor dem Haupteingang des Schlosses Charlottenburg. Nach der
Besichtigung Zusammensein im Cafe vor dem Schloß.
3. Während der Sommerpause des Monats Juli finden keine Vorträge und Veranstaltungen statt. Das Veranstaltungs-Programm für das Quartal OktoberDezember wird im Oktoberheft der „Mitteilungen" bekanntgegeben.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin.
Fachobt dar Berliner Stadtbiblioth*»
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 6
1. Oktober 1966
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90
Schriftführer: Dir. i.R. K.Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D.W.Mügel, 1 Berlinl9(Charlbg.),Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
Berlinische Geschichtsforschung heute
Dr. Gerhard Kutzsch
In den jüngsten Jahren hat sich ein immer breiter gewordener Strom von
Berlin-Literatur auf den Büchermarkt ergossen, verursacht und genährt durch das
eigenartige Schicksal dieser Stadt in Kriegs- und Nachkriegszeiten: Zerstörung, Viermächtebesetzung, Spaltung, Mauerbau. Unversehens wurde Berlin nicht nur ein
Brennpunkt deutschen Geschehens, es wurde der Mittelpunkt einer Weltkonstellation.
Zahllose Bücher persönlicher Erinnerungen ihrer Verfasser, auch Bildbände, erschienen, von vergangenen Tagen schöner Ganzheit mehr oder weniger elegisch berichtend.
Äußerlich wohl ein wenig inkommodiert, innerlich um so unbeschwerter, konnte man
mit der Pferdedroschke vom Kupfergraben nach Charlottenburg rumpeln oder den
Pfingstausflug von Rixdorf in die Wuhlheide machen. Politiker, Wissenschaftler und
Journalisten sind die Autoren der andern großen Gruppe moderner Berlin-Literatur,
zu der auch eine Reihe amerikanischer Publikationen gehört und die bemüht ist, die
schwierige und an Spannungen reiche jüngste Vergangenheit und die Situation der
Gegenwart transparent zu machen. Es wurden auch mehrere Quellenbände veröffentlicht, Dokumentationen, die wissenschaftlich-kritisch für immer festhalten,
„wie es wirklich war".
Die besagte Literatur der Erinnerungen tendiert ohnehin zum Belletristischen
und auch ihre überquellende Fülle sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es um
ernste wissenschaftlich-methodische Forschungsarbeit zur Geschichte der alten Hauptstadt von ihren Anfängen bis 1945 in West-Berlin zur Zeit nicht gut bestellt ist.
Die Köpfe sind da, die etwas leisten wollen, es fehlen aber die Dokumente der
Vergangenheit. Für Historiker in Ost-Berlin sieht die Lage aus Gründen, die sich
der folgenden Darstellung entnehmen lassen, etwas günstiger aus.
Berlin ist seit jeher mit schriftlichen Zeugnissen seiner Geschichte nicht allzu reich
ausgestattet gewesen. Im ostelbischen Kolonialland 1237 gegründet, ist es eine verhältnismäßig junge Stadt, gemessen am Alter linkselbischer oder linksrheinischer
Siedlungen. Die ältesten Urkunden der Stadt, sofern sie gesammelt worden sind,
dürften beim großen Stadtbrand von 1380 verloren gegangen sein. „Nicht alle, aber
A 20377 F
die damals für wichtig gehaltenen Dokumente sind in das Berliner Stadtbuch vom
Ende des 14. Jahrhunderts eingetragen worden. Die dort verzeichneten Originale
haben bis in die jüngste Zeit sich im Stadtarchive befunden". 1 ) Dieser Codex*), eine
Gesetz- und Urkundensammlung Berlins für die Zeit von 1272 bis 1489, während
des 2. Weltkrieges nach dem Wallensteinschen Schloß ins böhmische Friedland ausgelagert, wurde 1955 an das Ost-Berliner Stadtarchiv zurückgegeben. Hatte die Sorge
um das kostbare Objekt dieses sein Geschick in unseren Zeitläuften bedingt, so ist
dessen Odyssee im 17. und 18. Jahrhundert gewiß eine Folge stadtbehördlicher
Leichtfertigkeit gewesen. Die genauen Umstände sind unbekannt. Der Präsident des
Qberappellationsgerichts, Herr v. Plotho, scheint es ausgeliehen und nicht zurückgegeben zu haben. Es wanderte über einen Händler in die Bibliothek des Kanzlers
der Universität Halle und kam nach dessen Tode (1743) unter den Hammer. Im
Jahre 1806 erstand es jedenfalls der Bremer Syndikus J. F. Gildemeister für wenig
mehr als 2 Taler, 1812 die dortige Stadtbibliothek. Der Senat der Hansestadt
schenkte das Buch dann 1836 der Stadt Berlin. Ähnlich erging es hundert älteren
rathäuslichen Urkunden, die ein Gelehrter für private Arbeiten erhielt, von dessen
Erben sie 1718 auf dem Wege über eine Versteigerung der preußische Staat für sein
Geheimes Archiv erwarb. Das „Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik", 1869 vom
Verein für die Geschichte Berlins herausgegeben, das vollständig zu sein beansprucht,
zählt ungefähr 200 Originalurkunden zum Besitz des Stadtarchivs; Clauswitz gibt
im Verwaltungsbericht der Stadt 1882 bis 1888 die Zahl mit 300 an. Wo sind sie aber
verblieben, wenn in einem Bericht über das Archiv von 1935 der Bestand mit nur
noch etwa 50 vermerkt wird? Heute besitzt das Stadtarchiv im sowjetischen Sektor
57 Urkunden.')
Ernst Kaeber (a. a. O., S. 24) zählt andere Verluste auf: so verschwanden im
18. Jahrhundert ein zweiteiliges Kopiar der Berliner Urkunden, 1716/17 angefertigt,
und das Coellner Bürgerbuch 1612 bis 1688, das Küster für den IV. Teil seiner Berlin-Chronik 1769 noch benutzt hatte. Die Überlieferung der Zwillingsstadt Coelln,
die 1709 mit Berlin vereinigt wurde, ist noch dürftiger als die Berlins, dessen Magistrat 1733 keine Unterlagen über seine „Schwester" besaß. Das Stadtbuch 1442, das
Coellner Bürgerbuch 1508—16114), ein Lagerbuch von 1687 und Rechnungen aus
dem 17. Jahrhundert sind immerhin auf uns gekommen (Stadtarchiv im sowjet.
Sektor).
In den Jahren 1484 und 1581 zerstörten Brände des Berliner Rathauses wiederum wertvolle historische Quellen. „Durch den letzteren sind vor allem Kämmereirechnungen vernichtet worden, wie wir aus einer aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammenden Aktennotiz erfahren" (Kaeber, a. a. O., S. 22). In Ost-Berlin
befindet sich heute ein sehr lückenhafter Bestand an Amtsbüchern von etwa 20 lfd.
Metern, beginnend in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts und bis in die Anfänge
des 19. reichend (Lagerbücher, Zinsregister, Rechnungen, Kaufbriefe, Privilegien,
Abschiede, Rats- und Gerichtsprotokolle). Aufs ganze gesehen ist das nicht viel für
eine Stadt von der Bedeutung Berlins, auch wenn berücksichtigt wird, daß nach Angaben der Archivare im Ost-Sektor noch nicht alle Archivalien aus der Zeit vor 1809
erfaßt sind, da sich — wie man drüben dialektisch sagt — „die Fragen der Bestandsbildung und Bestandsabgrenzung im Prozeß der Klärung befinden".5) Kaeber
(a. a. O., S. 19/20) erwähnt seinen und des Studienrats Dr. Jahn Plan einer Bearbei-
74
tung der 1567 einsetzenden Steuerlisten (Schoßregister) für ein Berliner Häuserbuch, den der 2. Weltkrieg zunichte machte. Auch die Schoßregister dürften jüngst
verloren gegangen sein. Das Landesarchiv verfügt freilich für die Zeit von 1740
an über die Kataster der Berlinischen Feuersozietät, die die Besitzverhältnisse der
Stadtgrundstücke nennen, deren baulichen Zustand u. a. m. beschreiben und als
Häuserbuch benutzbar sind.
Auf das „Zeitalter der Amtsbücher" folgt das der Akten. Aber statt Tiefe und
Breite zu gewinnen, wird der Fluß des Schriftguts im Rathaus flacher und enger.
Der absolute Staat beschneidet alte städtische Freiheiten, die „Kriegs- und Steuerkommissare" des Großen Kurfürsten treiben seit 1641 die Verbrauchssteuer der
Akzise ein und nehmen die Polizeiaufsicht wahr, ohne damit jedoch Vorgesetzte des
Magistrats zu sein. Bis zur großen Behördenreform von 1723 bestand zwischen dem
Magistrat und dem Monarchen keine Zwischeninstanz. Friedrich Wilhelm I. ordnete
die städtische Obrigkeit seiner Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer unter.
Gewiß hat jene erwähnte verlustträchtige Geringschätzung städtischen Schriftguts
in dieser Wende der historischen Situation eine ihrer Wurzeln. Schon 1714, dann
1723, hatte der König Kommissionen zur Prüfung der Stadtrechnungen eingesetzt,
in den 30er Jahren wurden diese ad hoc geschaffenen Institutionen mit noch umfassenderen Aufgaben betraut. Friedrich der Große nahm die Polizei Verwaltung
ganz aus den Händen des Magistrats (1742) und das Rathäusliche Reglement von
1747 machte diesen eher zu einer Staatsbehörde, die die kommunalen Angelegenheiten besorgte, als daß es ihn Organ einer sich selbst verwaltenden Körperschaft
sein ließ. Sicherheit auf den Straßen, Straßenreinigung, -beleuchtung und -pflasterung,
Feuerlöschwesen, Lebensmittelversorgung, -Überwachung und -Preisfestsetzung, Gewerbezulassungen und -inspektion, Schanklizenzen, Marktverkehr, Gesindeangelegenheiten gehörten zu den sehr umfangreichen polizeilichen Obliegenheiten, deren Ausgliederung aus staatlicher Administration und Rückkehr in kommunale Selbstverwaltung nach der Steinschen Reform von 1808 noch fast das ganze 19. Jahrhundert
beanspruchte. Und jedenfalls sah die städtische Obrigkeit seit 1747 bis zum Ende
des Ancien regime „selbst in den ihr verbliebenen Wirkungskreisen der Rechtspflege, der Kämmerei, der Kirchen- und Schulverwaltung, ihre Befugnisse fortschreitend durch die Staatsbehörden eingeschränkt".6) Kurz, der interessanteste Teil hauptstädtischer Geschichte im Absolutismus schlug sich in staatlichen Akten nieder, die
sich heute im Deutschen Zentralarchiv II in Merseburg und im Staatsarchiv Potsdam
befinden, kaum erreichbar für West-Berliner: General-Direktorium (Abt. 14: Kurmark), Rep. 9 (Allg. Verwaltung), Rep. 21 (Brandenburgische Städte . . . ) , Pr. Br.
Rep. 2 (Kurmärk. Kriegs- u. Domänenkammer, 1. und 2. Städteregistratur). 7 ) Von
diesen letztgenannten Kammerakten sind um 1820 in Zusammenhang mit der kurzlebigen Berliner Regierung (1816—1821) wertvolle Teilbestände kassiert worden. 8 )
Das preußische Reformwerk gab auch den Städten 1808 Selbstverwaltung und
Eigenleben zurück. Jetzt schwoll der Aktenfluß im Rathaus wirklich an. Schriftgut
des Magistrats selbst, der Deputationen und der Stadtverordneten erwuchs, und
parallel hierzu vergrößerten sich die Berlin und die Staatsaufsicht über die Hauptund Residenzstadt betreffenden Registraturen beim Regierung«- und Oberpräsidenten. Wer über Berlin im 19. Jahrhundert arbeiten will, benötigt unabdingbar dieses
Material, das in den Archiven der Sowjetzone lagert: Rep. 74 (Staatskanzleramt),
75
Rep. 77 (Ministerium des Innern), Rep. 83 C Kurmark (Oberpräsidium von Brandenburg/Pommern), Rep. 151 (Finanzministerium), Pr. Br. Rep. 1 (Oberpräsidium
der Prov. Brandenburg), Pr. Br. Rep. 2 (Regierung zu Potsdam), Pr. Br. Rep. 30
(Staatl. Polizeibehörden [30 B: Regierung zu Berlin]), Pr. Br. Rep. 42 (Ministerial-,
Militär- und Baukommission) u. a. m. Die besagten rathäuslichen Registraturen kamen zu gegebener Zeit ins Archiv der Stadt 9 ) — oder auch nicht, denn noch im
historisierenden 19. Jahrhundert wurde hier von verantwortlicher Seite des öfteren
wider die Grundsätze archivischen Bewahrens arg gefehlt.
Auf dem Registraturboden des alten Berliner Rathauses standen zwei Spinde
mit Pergamenten und anderen „losen Piecen" zur Stadtgeschichte, als der Magistrat
1816 sein Augenmerk auf dieses „Archiv" richtete, alle vorhandenen Urkunden
sammeln ließ und 11 Jahre später (1827) einen Archivar im Nebenberuf bestellte.
Dieser Rendant Zander ordnete das Material nach „Anciennität", verzeichnete es
notdürftig und verwahrte es weiter in einem Spind. In einem längeren Bericht beklagt er 1843 die desolaten Verhältnisse. Er dachte dabei zunächst an die Art der
Unterbringung des Materials und an die beengte Räumlichkeit eines Saales der
Stadthauptkasse. Sein Nachfolger, Fidicin, dessen Namen heute eine Straße im Bezirk Kreuzberg trägt, hat sich um die Berliner Geschichtsschreibung verdient gemacht und gewisse Ordnungsarbeiten durchgeführt, aber „merkwürdigerweise hat
sich der ehemalige Registratur nicht um die Hereinnahme der abgelegten Registraturen in das Stadtarchiv bemüht" (Kaeber, a. a. O., S. 27). Als die GeldbewilligungsDeputation 1859 aufgehoben wurde, kassierte man unverständlicherweise ihre Akten,
wodurch eine ganz besonders reichfließende Quelle für die kommunale Geschichte
für immer verschüttet wurde. Wie schon Zander, klagt auch Stadtarchivar Clauswitz
(tätig 1878—1912) über große Raumnot und macht sie für den Mangel an guten
Aktenbeständen verantwortlich. Ein Teil der ohnehin an Zahl bescheidenen Zugänge mußte Platz in sehr unzweckmäßigen Schränken der Magistratsbibliothek
finden. („Eine Übereignung jener Akten [einzelner Deputationen und Verwaltungszweige] und somit eine Sammlung hier auf einer Stelle, ließ sich bis jetzt noch nidit
anbahnen, weil die Räume des Archivs zu klein bemessen sind, um überhaupt irgendwelche Akten aufnehmen und ordnungsmäßig verwahren zu können"). 10 ) Es nimmt
daher nicht Wunder, wenn Clauswitz im Verwaltungsbericht 1882—1888 feststellt,
daß „der größte Teil der Benutzer eine übertriebene Vorstellung von dem Umfang
des Archivs und seinem Werte als Unterlage für die Darstellung der Stadtgeschichte
zeigt".11) Wiewohl 82 Jahre seit Einführung der Städteordnung dahingegangen
waren, befand sich nach 1890 noch kaum ein nach 1808 erwachsener Aktenband im
städtischen Archiv. Und die Überreste aus der Zeit von 1500 bis 1800 — Verträge,
Markt- und Polizeiordnungen, Spezialia über die Kämmereigüter, Steuersachen, Personalia der Beamten — deklariert Clauswitz als Bruchstücke, die ihre Erhaltung
dem Zufall verdanken. Er hielt denn auch angesichts dieser Lage nicht für zweckmäßig, Bestandsverzeichnisse nach dem Provenienz- oder Herkunftsprinzip anzulegen, sondern schuf ein nach sachlichen Gesichtspunkten gegliedertes Gesamtrepertorium (Findbuch). Erst Ernst Kaeber, seit 1913 Stadtarchivar, fühlte sich gedrungen,
sein Institut „zu einem der Reichshauptstadt wenigstens einigermaßen würdigen"
auszubauen ( a . a . O . , S. 21). Sein Aufsatz verdeutlicht die ungeheuren Schwierigkeiten, mit denen auch er hinsichtlich Geld-, Personal- und Raumnot jahrzehntelang
76
zu kämpfen hatte. Unter seiner Leitung gelangten wenigstens die Akten der Gewerbe-Deputation, der Grundeigentums-Deputation und der Armen-Direktion ins
Stadtarchiv, die heute in Ost-Berlin wieder verfügbar sind. Gemessen an den
vielen Deputationen, deren sich die Berliner Selbstverwaltung in 125 Jahren (18C8
bis 1933) bediente, ist diese Dreizahl kümmerlich. Aus der Zeit der Weimarer Republik scheinen größere Bestände an Akten der Hauptverwaltung zu fehlen, doch
blieb umfangreiches Material einzelner Bezirke erhalten (Charlottenburg, Köpenick,
Pankow, Treptow, Lichtenberg, Weißensee). Die Protokolle der Stadtverordnetenversammlungen des 19. Jahrhunderts befinden sich ebenfalls jenseits des Brandenburger Tores. Auch der größte Teil der Magistratsregistraturen der NS-Zeit dürfte
entweder bei Luftangriffen verbrannt oder kurz vor Kriegsende vorsätzlich vernichtet worden sein.18)
Nach der Spaltung der Stadt am 30. 11. 1948 begann die archivische Arbeit in
West-Berlin gleichsam am Nullpunkt. An Akten zur Stadtgeschichte besitzt das
Landesarchiv heute qualitativ gute Bestände der alten Preußischen Bau- und Finanzdirektion, die Stenogr. Berichte der Stadtverordnetenversammlung von 1878 an13),
die schon erwähnten Amtsbücher der Feuersozietät, Testamentsakten, Grundakten,
Bauakten aus den Bezirken und andere kleinere Fonds. Mit diesem Material lassen
sich freilich nur partielle Fragestellungen klären. Wer sich weiter ausgreifende Probleme stellt, ohne auf das in der Zone oder im Sowjetsektor lagernde Schrifttum
rechnen zu dürfen, kann sich vielleicht noch an das eine oder andere Bezirksamt
wenden oder auch an das Staatsarchiv in Dahlem, im übrigen muß er Scharfsinn
wie Phantasie walten lassen, um weitere Möglichkeiten lokaler Überlieferung zu erkunden (Kirchen-, Partei-, Firmen-, Pressearchive, Heimatvereine, evtl. auch bestimmte Körperschaften des öffentlichen Rechts usw.). Wo Primärquellen — Akten
— fehlen, steigt wie nach dem physikalischen Gesetz der kommunizierenden Röhren
die Bedeutung sekundärer Quellen (Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter, Stenograph.
Berichte, Protokolle). Hier kann die Bibliothek des Landesarchivs, die größte Berolinensien-Fachbücherei mit dem umfangreichsten Zeitungsbestand in West-Berlin,
dem Suchenden wertvolle Hilfestellungen bieten. Darüber hinaus verfügt das Landesarchiv über Tausende von Karten, Plänen und Bildern aus vielen Jahrhunderten
bewegten Lebens der Hauptstadt.
') Kaeber, Ernst: Erinnerungen an das Stadtarchiv Berlin. Jhb. d. Vereins f. d. Geschichte
Berlins 1961, S. 7—51.
*) Von P. Clauswitz 1883 neu ediert.
s
) Beiträge, Dokumente, Informationen. Schriftenreihe des Stadtarchivs Berlin (Ost!),
Heft 2/1964, S. 70. Alle Angaben über die Archivalien-Bestände in Ost-Berlin sind
diesem Heft entnommen.
4
) Von P. v. Gebhardt 1930 herausgegeben.
) Ob dieser hintergründige Satz eine euphemistische Umschreibung für die Tatsache sein
soll, daß noch nicht alle Bestände des alten Stadtarchivs aus Polen zurückgekehrt sind??
6
) Clauswitz, Paul in der Einleitung zu R. Borrmann, Die Bau- und Kunstdenkmäler zu
Berlin. Berlin 1893, S. 90.
7
) Reposituren des Preußischen Geh. Staatsarchivs bzw. des Brandenburgischen Provinzialarchivs (X. Hauptabteilung des Preuß. Geh. St.-A. s).
8) Schrader, Kurt: Die Verwaltung Berlins . . . Diss. Berlin-Ost 1963, 1. Teil, S. 164 ff.
") In diesem Falle müßten sie sich heute in Ost-Berlin befinden.
5
77
10
) Bericht üb. d. Gemeinde-Vwltg. d. Stadt Berlin i. d. Jahren 1877—1881, III. Teil,
S. 143.
n
) Bericht üb. d. Gemeinde-Vwltg. d. Stadt Berlin i. d. Jahren 1882—1888, III. Teil,
S. 151.
ls
) Über die derzeitigen Bestände „drüben" gibt die Schriftenreihe des Stadtarchivs „Beiträge, Dokumente, Informationen" Auskunft (bisher je 2 Hefte aus 1964 und 1965).
") Die Stenogr. Berichte wurden 1874 erstmalig gedruckt.
Das Berlin-Museum
Eine Zwischenbilanz
Dr. Irmgard Wirth
Eine der zur Besichtigung durch die Berliner Bevölkerung freigegebenen Baustellen der Berliner Bauwochen im September 1966 war das Alte Kammergericht in der
Lindenstraße. Nicht nur die im Bau befindliche Schöneberger Schwimmhalle, das
Fernsehzentrum am Theodor-Heuss-Platz oder Teilstrecken und Bauwerke der Stadtautobahn oder U-Bahn erregten als Baustellen die Neugier der Berliner, auch der
historische Bau des Kammergerichts zog unerwartet große Besucherscharen an. (An
zwei Wochenenden wurden insgesamt 1505 Besucher gezählt.) Zwischen altersgrauen
Miethäusern oder Ruinen in den benachbarten Straßen, zwischen dem Hochhaus des
neuen Pressezentrums in der Kochstraße und den modernen Wohnsiedlungen des Bezirks Kreuzberg liegt der Dreiflügelbau in dem warmen Ockerton seines neuen Putzes
mit den weißen architektonischen Gliederungen und dem roten Mansarddach wie ein
Juwel und leuchtet sogar über die Mauer bis in den Ostsektor hinüber.
Doch hat er nicht immer so schmuck ausgesehen. Der Senator für Bau- und Wohnungswesen, Abteilung Hochbau, hat in Zusammenarbeit mit dem Amt für Denkmalpflege unter Landeskonservator Dr. Seeleke nach langen Bemühungen um die Erhaltung des Hauses für die schon sein Vorgänger, Professor Scheper, plädiert hatte,
das im letzten Krieg schwer mitgenommene Gebäude von 1734/1735 mit großer Sorgfalt in seiner ursprünglichen Form wiederhergestellt. Die späteren Erweiterungen seit
dem frühen neunzehnten Jahrhundert wurden glücklicherweise nicht berücksichtigt,
sondern ihre Reste entfernt. Damit ist Berlin und seinen Bewohnern ein bedeutender
Barockbau wiedergeschenkt worden. Dem von Philipp Gerlach errichteten ehemaligen
Collegienhaus kommt überdies in dem an Bauten der Barockzeit sehr armen WestBerlin nach dem Schloß Charlottenburg ein besonderer Rang zu. Am äußeren des Gebäudes in der Lindenstraße bleibt nun nicht mehr viel zu tun: die für manche Bauten
Gerlachs und seine Zeit typische Rampe, das Portal mit seiner Eichentür, der kleine
Balkon im Obergeschoß, die seitlich angrenzende linke Durchfahrt können aus den
vorhandenen Mitteln jetzt noch fertiggestellt werden, auch die Haupttreppe im Innern
wird noch dazu gehören. Für den weiteren inneren Ausbau aber fehlt das Geld. Das
Berlin-Museum als künftiger Nutzer muß also noch warten und zunächst mit allem
Nachdruck versuchen, die Frage der Weiterfinanzierung des Baues zu klären.
Trotz dieser finanziell bedingten Schatten ist man überall zuversichtlich. Es wäre
auf keinen Fall zu verantworten und fast einem Schildbürgerstreich vergleichbar,
wenn die auf den Kammergerichts-Bau verwendete Initiative und Arbeitskraft, wenn
vor allem auch die bereits aufgebrachten Gelder in eine halbe, gar ausweglose Sache
gesteckt worden wären, wenn also das nur außen fertiggestellte Gebäude ohne die
Möglichkeiten der baldigen Fortführung der Bauarbeiten zwangsläufig allmählich
78
vorkommen müßte. Daher sind schnellstens Mittel und Wege zu finden, das Haus
ohne Unterbrechung auch im Innern zu vollenden.
Die Baustellen-Besucher konnten in einem Teil des Kammergerichts bis hinauf in
den Dachstuhl einen Rundgang unternehmen und dabei auch einen noch unverputzten Raum im Obergeschoß besichtigen, in dem das Berlin-Museum mit Hilfe
der Bauverwaltung, gleichsam in einer symbolischen „Landnahme", einige Objekte
aus seinen Beständen im Haus am Tiergarten ausgestellt hatte.
Blicken wir an dieser Stelle einmal kurz zurück: Dreieinhalb Jahre zuvor hatte
Professor Dr. Edwin Redslob als 1. Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin-Museums in einer Gründungs-Ausstellung einen Querschnitt durch die
wichtigsten Sammelgebiete des künftigen stadtgeschichtlichen Berlin-Museums gegeben;
eigene Objekte besaß das Museum damals nur in geringer Zahl, dafür erhielt es zum
Zwecke dieser Demonstration von allen Seiten umso mehr Leihgaben. Heute — nur
drei Jahre später — reicht der Raum in dem vorläufigen Domizil des Berlin-Museums,
im Haus am Tiergarten, bei weitem nicht mehr aus. Die vorübergehende „Filiale"
des Museums während der Baustellentage im Kammergericht machte sich in den
Museumsbeständen kaum bemerkbar, zeigte zugleich aber in aller Deutlichkeit, daß
der historisch wertvolle Bau durch das Berlin-Museum erst eigentlich erschlossen wird.
Die gute Disposition des Innern, die zum Teil noch gewölbten hohen Räume werden
durch die Nutzung als Museum allen Interessierten zugänglich sein und den würdigen
Rahmen für die Stadt- und kulturgeschichtlichen Sammlungen Berlins bilden. Der
Weg bis zu jenem Tage ist zwar noch weit, dürfte wohl auch zuweilen nicht ohne
Hindernisse sein, doch gibt der Rückblick auf die ersten Jahre des Bestehens des
jungen Museums berechtigte Hoffnung, wenn nicht gar die Gewißheit, daß das angestrebte Ziel erreicht werden wird.
Bei der Eröffnung der Gründungs-Ausstellung im Haus am Lützowplatz hatte
der Regierende Bürgermeister von Seiten des Senats keine großen Versprechungen gemacht, sondern zunächst die Initiative der Bürger Berlins angesprochen. Ein kleiner
— künftig hoffentlich wachsender — Etat als Zuschuß gab und gibt trotzdem eine
gewisse Starthilfe und Unterstützung. Der Verein als rechtlicher Träger des Museums
ist in vergleichsweise kurzer Zeit auf rund 300 Mitglieder angewachsen. Der Etat
und die Mitgliederbeiträge aber hätten kaum zu schaffen vermocht, was heute die Besucher im Museum wenigstens teilweise ausgestellt finden: eine auf einzelnen Gebieten
bereits erstaunlich vielfältige und gute Sammlung, die in Gemälden, Plastik und
Graphik eine Porträtgalerie, eine Abteilung mit Stadtansichten und Plänen aber auch
andere Zweige, wie das Theater oder das Kunsthandwerk mit Silber, Eisenkunstguß,
Porzellan, Fayence oder Glas umfaßt. Einen kulturgeschichtlichen Einblick in die
Lebensweise unserer Vorfahren vermitteln drei alt-Berliner Wohnräume, denen das
besondere Interesse der Besucher gilt. „Hinter den Kulissen" warten mancherlei Objekte auf ausreichende Räume, um gezeigt werden zu können. Alle diese Sammlungsgegenstände des Berlin-Museums aber bilden eine Substanz, ein Stück vermehrten
Volksvermögens, das nicht mehr übersehen werden kann, nicht vernachlässigt oder
verstreut werden darf.
Wie aber kam es zu einem so erstaunlich raschen Wachstum? Zwei Komponenten
vereinigten sich auf überaus glückliche Weise: das wache Interesse und die private
Initiative der Bürger Berlins, die ihr bürgerliches Berlin-Museum „wollen" und
79
als Stiftungen herbeibringen, was in ihrem Besitz die Zeiten überdauerte, mehr aber
noch die Dynamik, die Arbeits- und Willenskraft eines Mannes, der mit dem
Verein als dem notwendigen Fundament aller Unternehmungen vom ersten Tage
an große Stifter suchte und fand und „Patronate" für mancherlei Sammelgebiete
vergab: es ist der erste Vorsitzende des Vereins und Gründer des Museums,
Professor Dr. Edwin Redslob. Mit seinem reichen Wissen und seinen jahrzehntelangen Erfahrungen, nicht weniger auch mit seinen glänzenden Beziehungen
vermochte er sehr bald schon den Beweis zu erbringen, daß auch noch jetzt, gewissermaßen in letzter Stunde, die Schaffung eines für West-Berlin dringend notwendigen
und schon lange geforderten stadtgeschichtlichen Museums möglich ist. Ein solches
Museum für Berlin scheint nicht weniger wichtig als andere kulturelle Institutionen,
die hier nach der Spaltung der Stadt neu errichtet wurden. Wie das Echo in der
Berliner und der bundesdeutschen Bevölkerung es zeigt, ist es in vergleichsweise
kurzer Zeit über unsere Stadt hinaus bereits zu einem festen Begriff geworden. Die
ersten Jahre des Berlin-Museums können daher trotz mancher Schwierigkeiten die sie
mit sich brachten, dennoch als überaus erfolgreich angesehen werden. Für sein weiteres
Bestehen und Wachsen kommt es jetzt vor allem darauf an, die große finanzielle
Klippe beim Ausbau des Kammergerichts zu überwinden, um dem Museum das
dauernde Heim zu schaffen, das, wie Professor Redslob immer wieder betont, zugleich „Sammlungsobjekt Nr. 1" ist. Damit wird nicht nur für die Berliner, sondern
auch für die Besucher der Stadt ein weiterer Anziehungspunkt geschaffen, der zweifellos ein Gewinn sein dürfte. Alle Beteiligten und noch zu Beteiligenden aber sollten
sich darüber im klaren sein, daß auch hier, wie überall, ein Stillstand beim Weiterbau
und der Einrichtung des Hauses zum Museum in gewisser Weise einen Rückgang bedeutet und eine Unternehmung in Frage stellen würde, die mit berlinischer Tatkraft,
mit Optimismus und Gebefreudigkeit von vielen Seiten begonnen und gefördert
wurde. Der kleine Etat, der nun zum größten Teil für die notwendige Verwaltung
und Erhaltung des Museums verwendet werden muß, erlaubt jährlich nur noch ganz
wenige Ankäufe. Die ständige Vermehrung und Komplettierung der Sammlungen
bleibt jedoch die zweite wichtige Aufgabe des Museums und seiner Freunde. Hierbei
zu helfen und die gute Sache zu unterstützen sind alle aufgerufen, insbesondere die
historisch interessierten Berliner. Jeder sollte die Augen offen halten, wo sich Möglichkeiten der Stiftung oder der Erwerbe bieten, jeder möge mitsuchen, mitfinden.
Nicht nur der Verein der Freunde und Förderer des Berlin-Museums mit seinem Vorstand und Beirat, nicht die unmittelbar Beteiligten, die ganze Berliner Bevölkerung,
jeder Bürger sollte weiter das Seine tun, „sein" Museum in einem der Hauptstadt
Berlin und ihrer Geschichte angemessenen Umfang und entsprechendem Niveau zu
verwirklichen. Eine große und schöne Aufgabe, deren Erfüllung zugleich ein Zeugnis
für die Menschen ist bleiben wird, die zu dieser Stadt gehören.
Berichte
Lübars u n d Tegel
Unser diesjähriger Sommerausflug am 20. August führte die ca. 90 Teilnehmer
in zwei BVG-Sonderbussen nach dem Norden Berlins, zunächst in das noch ziemlich abgeschiedene L ü b a r s , das seinen dörflichen Charakter noch gut bewahrt
80
hat. In der schlichten Dorfkirche inmitten des Dorfangers begrüßte der Vorsitzende
die Teilnehmer und sprach den Mitgliedern des Veranstaltungsausschusses seinen Dank
aus für die Arbeit und Mühe, die sie mit der Vorbereitung dieses Ausfluges gehabt
hätten; denn es ist nicht leicht, für unsere Ausflüge, die der Geselligkeit und der Besichtigung historischer Stätten dienen, noch geeignetes Gelände in Westberlin ausfindig
zu machen. Dann sprach der ortsansässige Lehrer M i c h a e l über die Geschichte, die
Entstehung, die gegenwärtige Lage und die Zukunft des Dorfes Lübars. Eine erste Urkunde aus dem Jahre 1247 enthält den Namen Lübars, der wohl aus dem Slawischen
stammt. Das Dorf gehörte ursprünglich zu Spandau und in der erwähnten Urkunde
vermachten die Nonnen von Spandau die Honigernte dem Landesherrn, Markgraf
Johann. Zunächst war Lübars eine selbständige Pfarre, wurde aber wegen der niedrigen Einkünfte des Pfarrers 1471 eine Tochtergemeinde von Dalldorf, dem heutigen
Wittenau. Die erste, im Dorf erbaute Kirche war ein strohgedecktes Fachwerkgebäude,
das 1790 niederbrannte. Gerettet wurde lediglich die Kirchentruhe zur Aufbewahrung
des Kirchenschatzes und der Kirchenbücher, das Kruzifix und die beiden Leuchter, die
noch heute in dem 1793 im Langhans-Stil erbauten Gotteshaus aufgestellt sind. Eine
besondere Sehenswürdigkeit der Kirche ist der barocke Kanzelaltar, den ursprünglich
König Friedrich Wilhelm I. 1739 der St. Gertraud-Kirche auf dem Spittelmarkt gestiftet hatte und der nach Abriß dieser Kirche wegen Baufälligkeit im Jahre 1881 auf
Umwegen 1956 auf Veranlassung des damaligen Denkmalspfleger Prof. Sc h e p e r
in die Dorfkirche von Lübars gelangte. Auf dem Kirchhof um die Kirche fanden 1932
die letzten Beerdigungen statt; einige Grabsteine alter Lübarser Familien stehen noch
heute, unter ihnen der Grabstein des Försters B o n d i c k , der vor 75 Jahren den
Ortsteil Waidmannslust gründete. Eine botanische Sehenswürdigkeit bilden die beiden
Maulbeerbäume aus friedrizianischer Zeit, die vor dem Nebeneingang der Kirche und
an der Nordostecke des alten Kirchhofs stehen.
An die Besichtigung der Kirche schloß sich ein Spaziergang durch das Dorf an,
wobei man mit Wohlgefallen die alten Bauernhäuser, den alten Gasthof „Zum fröhlidien Finken" betrachten und einen Ausblick auf das hübsche Fließtal genießen
konnte. Das Tegeler Fließ bildet hier die Zonengrenze.
Aber bald wird es mit der Abgeschiedenheit und der ländlichen Stille von Lübars
vorbei sein. Die Großstadt schiebt sich immer näher heran, neue Wohnsiedlungen entstehen, ein Idyll verschwindet wie so häufig in unserer hastigen, von Industrie und
Verkehr beherrschten Zeit!
Von Lübars ging die Fahrt nach Tegel, dem durch Wilhelm von Humboldt berühmt gewordenen Vorort von Berlin. Welch ein Unterschied gegenüber dem ländlichen Lübars! Ein von Menschen und Lärm erfüllter Stadtteil ist aus dem einst so
ruhigen Tegel geworden. Wer es einige Jahre lang nicht gesehen hat, erkennt es kaum
wieder. Der See, die Perle von Tegel, ist ein unruhiges Gewässer geworden, erfüllt von
großen modernen Motorschiffen, Schnellbooten, Segelbooten und dergl. Die schöne
Uferpromenade hat durch die Errichtung von Wohnhochhäusern ihren einstigen Charakter verloren. Mit einem Motorboot machte unsere Gesellschaft nach dem Kaffee in
dem neuen, sehr schönen Restaurant „Seeterrassen" eine Fahrt auf dem Tegeler See,
vorüber an den Inseln Reiswerder, Baumwerder, Maienwerder, an Saatwinkel vorbei
in die Havel hinein; Tegelort, wo wir 1963 an dem heißesten Tag des Jahres waren,
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K o n r a d s h ö h e , Sandhausen blieben rechts liegen. Überall bebautes Gelände, Bootshäuser,
Anlegestege, kein Fleckchen N a t u r mehr. In Heiligensee wendete unser „ K e h r wieder" zur Rückfahrt. J e t z t sahen w i r deutlich das gegenseitige östliche Ufer; eine u n heimliche Stille lag vor unseren Augen, kein Mensch w a r zu sehen; der Stacheldraht
w a r deutlich zu erkennen. N a c h einer zweistündigen F a h r t landeten w i r wieder in
Tegel, zu spät, um noch eine Abendmahlzeit einnehmen zu können. D i e w a r t e n d e n
Busse sollten u m 20.15 U h r die Rückfahrt antreten.
D a s allgemeine U r t e i l : es w a r doch ein schöner N a c h m i t t a g voller neuer nachhaltiger Eindrücke; w i r hatten zwei sehr gegensätzliche Teile v o n Berlin gesehen, die
unser Erstaunen weckten u n d uns z u m N a c h d e n k e n anhielten.
Hs.
Buchbesprechungen
Agnes von Zahn-Harnack: Schriften und Reden 1914 bis 1950. Herausgegeben im Auftrag des Deutschen Akademikerinnenbundes durch Dr. Marga Anders und Dr. Ilse Reicke mit
einem Lebensbild Agnes von Zahn-Harnacks von Dr. Ilse Reicke. Hopfer Verlag Tübingen
1964. Kart. DM 22,—, La. DM 27,—.
Die Herausgabe der gesammelten Schriften und Reden Agnes von Zahn-Harnacks, der
feinsinnigen, gottesfürchtigen Tochter des großen Theologen und Gelehrten Adolf v. Harnack,
ist eine begrüßenswerte Tat; lernen wir doch dadurch das Wirken einer Frau kennen, die als
Führerin der Frauenbewegung der zwanziger Jahre an hervorragender Stelle stand und der
im Geistesleben Berlins ein besondere Rolle zukam. Ihre besondere Lebensaufgabe sah sie in
der Abfassung der Biographie ihres berühmten Vaters, die ungeteilte Anerkennung fand. Das
von Ilse Reicke gezeichnete Lebensbild der Verfasserin gibt uns einen tiefen Einblick in ihren
Werdegang, in ihre geistige Entwicklung, die bestimmt war durch den gelehrten Vater, ein
vorbildliches Familienleben, eine ernste Lebensauffassung und eine vorbildliche Tätigkeit als
Lehrende und im öffentlichen Leben Wirkende.
B. Harms
Katharina von Kardorff-Oheimb, Politik und Lebensbeichte. Herausgegeben von Dr. Ilse
Reicke. Hopfer-Verlag Tübingen o. J. 256 Seiten, 32 Bildtafeln. Gzln. DM 19,50.
Mit Recht nennt die Verf. ihre Erinnerungen „Politik und Lebensbeichte", stand doch die
Politik im Mittelpunkt ihres Lebens und Wirkens; sie war ihr mit Leidenschaft ergeben und
hat in den Tagen der Weimarer Republik als Reichstagsabgeordnete auf viele Entscheidungen
den besten Einfluß ausgeübt. Ihr warmes soziales Empfinden, ihre glühende Vaterlandsliebe
zeichneten sie von jeher aus. Mit den führenden Persönlichkeiten der Weimarer Republik
verband sie eine echte Freundschaft, so mit Rathenau, Stresemann, Ebert u. a. Von letzterem
schreibt sie: „Es ist eine der großen Beglückungen meines Lebens gewesen, mit diesem wahrhaften Staatsmann nahe befreundet gewesen zu sein." Sie war eine große Gesellschaftsdame
im besten Sinne und hat durch ihre privaten gesellschaftlichen Veranstaltungen auf dem Gebiet
der Politik oft mehr erreicht als durch die offizielle politische Arbeit. Die nationalsozialistische
Herrschaft bereitete ihrem Wirken ein Ende und zwang sie zur Flucht vor der Gestapo, doch
nach dem Ende des zweiten Weltkrieges widmete sie sich wieder mit Leidenschaft der Politik
und trat entschieden für die Wiedervereinigung Deutschlands ein.
Ein sehr lesenswertes Buch einer echten Patriotin und Menschenfreundin von großem
Verantwortungsbewußtsein, sozialem Empfinden und leidenschaftlidier Vaterlandsliebe.
B. Harms
Paul Weiglin: Berlin im Glanz. Bilderbuch der Reichshauptstadt von 1888 bis 1918.
Berlin: Albert Nauck & Co., O. J. 287 S. mit zahlr. Abbildungen. DM 9,20.
Unverwüstliches Berlin. Bilderbuch der Reichshauptstadt seit 1919. Zürich: Scientia A. G.
1955. 318 S. mit zahlr. Abbildungen. DM 10,20.
Obwohl der Verfasser seine Bücher Bilderbücher nennt, sind sie doch weit mehr eine umfassende, nicht unkritische Darstellung sowohl der Glanzperiode von 1888 bis zum Zusammenbruch des Kaiserreichs mit all ihren Höhepunkten und zugleich großen Schwächen und Unterlassungen wie auch der Epoche der Weimarer Republik und der des Nationalsozialismus. Der
letzte Abschnitt ist der Zeit von 1945 und des Wiederaufbaues gewidmet. Alle Gebiete des
politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebens werden in ansprechenden Schilderungen nahegebracht. Besonders eingehend werden Theater,
Musik und die Unterhaltung der Zeit behandelt. Bilder illustrieren in belebender Weise beide
Bände.
J. Lachmann
82
Eduard Spranger: Berliner Geist. Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins
1966. 223 Seiten. DM 16,80.
Die Aufsätze, Reden und Aufzeichnungen, bekannte und unbekannte, die das Buch umfaßt, sind aus verschiedenen Quellen zusammengestellt. Sie stellen einerseits eine Autobiographie des großen Berliner Philosophen, Pädagogen und Historikers und Mitglieds der Akademie der Wissenschaften dar, darüber hinausgehend jedoch eine umfassende historische Würdigung des Berliner Geisteslebens. Von der „Chronik der Friedrichstraße", in der Spranger
geboren wurde, zieht die Zeitepoche seines Lebens sowie sein Leben selbst an dem Leser vorüber: die Entwicklung Berlins von der preußischen Hauptstadt zur Weltstadt, die er mit der
Gewerbeausstellung im Treptower Park 1896 beginnen läßt, das geistige Berlin mit dem
„Tunnel unter der Spree" bis zur Epoche des zweiten Weltkrieges, seine Bekanntschaft mit
Generaloberst Ludwig Beck und sein Zusammentreffen mit dem Grafen Stauffenberg sowie
anderen maßgeblichen Vertretern der Widerstandsbewegung, die Zeit seiner Inhaftierung in
Moabit 1944, seine Amtstätigkeit als letzter Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität, seine
Gefangennahme durch die Amerikaner und die Beschlagnahme seiner Dahlemer Wohnung in
der Fabeckstraße.
Ein Abschnitt behandelt die 1863 gegründete Mittwochsgesellschaft, an deren 1000. Sitzung im Schloß Brüningslinden Spranger wie auch Ludwig Beck teilnahmen, der 1939 als
Nachfolger des verstorbenen Generals Groener zum Mitglied gewählt worden war.
Den wesentlichsten Teil des Buches enthalten die Aufsätze über „Berlin als Sitz weltgestaltender Philosophie", in dem er Leibniz, Friedrich den Großen, die bürgerliche Aufklärung und den spekulativen Idealismus würdigt, über „Die Geisteswissenschaften in Berlin"
sowie über „Die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin". Daran schließt sich eine Betrachtung über das Historismusproblem, Wilhelm Dilthey, Ernst Troeltsch und Friedrich Meinecke.
Seinem Einsegnungspfarrer D. Kirmss von der Neuen Kirche am Gendarmen-Markt,
dem Gemeindeleben dieser Kirche sowie der religiösen Situation in Berlin überhaupt ist ein
besonderer Abschnitt gewidmet.
In jeder Hinsicht ein Buch, das die so zahlreiche und vielseitige Berlin-Literatur unserer
Tage weit überragt und das für die spätere Geschichtsforschung eine sehr beachtliche Quelle
bleiben wird.
J. Lachmann
Werner Schwippes: Otto Lilienthals Flugversuche. Berlin: Haude- u. Spenersche Verlagsbuchhandlung. 1966. 99 Seiten, m. 35 wenig bekannten Abb. ( = Berlinische Reminiszenzen
Bd. 11) DM 9,80.
Der Verfasser selbst Segelflieger und in Lichterfelde ansässig, gibt, über den Titel seines
Buches hinausgehend, in anschaulicher Schilderung eine vollständige Biographie Otto Lilienthals
und seiner Familie. In der Köpenicker Sraße 113 errichtete der Ingenieur Otto Lilienthal
(1848—1898) eine Maschinenfabrik, im Hause Nr. 126 wohnte er mit seiner Frau, bis er 1886
nach Groß-Lichterfelde in ein eigenes Haus in der Boothstraße 17 zog. Von der Erforschung
des Vogelfluges und insbesondere dem der Störche ausgehend, konstruierte er, dabei unterstützt
von seinem Bruder Gustav, das erste Flugzeug. 1889 erscheint sein Buch über den „Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik". Vier Jahre
später erhält er das Reichspatent auf seinen Gleitflugapparat. Auf die ersten Sprungübungen
in seinem Garten folgten die Flugversuche auf dem Rauhen Berg in Steglitz, der Steglitzer
Maien-Höhe und seinem Fluggelände auf der Giesensdorfer Feldmark in Lichterfelde-Ost, wo
später die bekannte Gedenkstätte für ihn errichtet wurde. Sein Hauptübungsplatz lag in den
Rhinower Bergen im Westhavelland, wo er am 9. August 1898 abstürzte. Sein Grab befindet
sich auf dem alten Lichterfelder Friedhof in der Langestraße. Ein mit Hilfe von Nachlässen,
Dokumenten sowie Berichten von Augenzeugen sorgfältig verfaßtes und fesselnd geschriebenes Büchlein, das als Geschenk bestens zu empfehlen ist.
J. Lachmann
Hans von Arnim: Louis Ferdinand Prinz von Preußen. Berlin: Haude- u. Spenersche
Verlagsbuchhandlung. 1966. 107 S. m. 9 Abb. ( = Berlinische Reminiszenzen Bd. 10) DM 9,80.
Als zehnter Band der Buchreihe „Berlinische Reminiszenzen" legt Hans von Arnim, der
durch seine ebenfalls in dieser Reihe erschienene Arbeit über Bettina von Arnim bekannt geworden ist, einen Band über den Prinzen Louis Ferdinand vor (1772—1806). Als Neffe Friedrichs des Großen eilte er in seinen Ideen seiner Zeit und Umgebung weit voraus, vornehmlich auch in seinen Vorstellungen zur Schaffung eines deutschen Nationalstaates. Viel zu früh
ereilte ihn der Tod im Gefecht von Saalfeld. Seine hohe künstlerische und speziell musikalische
Begabung hat ihm viel über die politisch für ihn so unerfreuliche Zeit hinweggeholfen. Mit
innerer Anteilnahme zeichnet der Verfasser das Bild seines Helden, dem damit ein neuer
Denkstein gesetzt ist.
J. Lachmann
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Kleine Mitteilungen
An der Gedenkfeier aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des Robert-Koch-Instituts zu
Berlin am 1. Juli d. J. nahm als Vertreter des Vereins Prof. Dr. Hoff mann-Axthelm teil. Am
1. Juli 1891 wurde das Institut in dem zur Charite gehörenden Gebäudekomplex, dem sog.
Triangel, eröffnet; im Juli 1900 wurde das Institut in das neu errichtete, noch heute bestehende Gebäude am Nordufer, Eingang Föhrerstraße verlegt.
Während des XX. Internationalen Kongresses für Geschichte der Medizin, der vom 22.
bis 27. August in Berlin stattfand, wurden eine Ausstellung „Berliner Medizin" im HenryFord-Bau der Freien Universität und eine Ausstellung „Medizingeschichte in Berlin" im Institut für Geschichte der Medizin der F. U. gezeigt.
Im Rahmen der Berliner Bauwochen wurde am 6. September in den Räumen der Mensa
der Technischen Universität eine sehr sehenswerte Ausstellung „Berlin vor 20 Jahren — Berlin heute" eröffnet. Die Ausstellung ist bis zum 2. Oktober zu besichtigen.
Aus Anlaß des 175jährigen Bestehens der Berliner Singakademie fand am 20. September unter der Schirmherrschaft und in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten ein Festkonzert in der Philharmonie statt.
Eine Ausstellung wurde am 24. September im Haus am Tiergarten eröffnet.
Die Bibliothek des Vereins ist wegen der Weihnachtstage vom 16. Dezember bis zum
5. Januar geschlossen.
Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1966
1. Am Sonnabend, dem 15. Oktober 1966, 15 Uhr. Besichtigung des Geheimen
Staatsarchivs Berlin-Dahlem, Archivstraße 12—14. Einleitender Vortrag und
Führung: Direktor Dr. Gerhard Zimmermann. Treffpunkt 15 Uhr am Eingang.
Anschließend Zusammensein im Restaurant „Alter Krug Dahlem", nahe U-Bhf.
Dahlem-Dorf, Verbindung: U-Bahn bis Podbielskiallee oder Dahlem-Dorf
Autobus 1, 10, 68.
2. Am Mittwoch, dem 26. Oktober 1966, 15 Uhr. Besichtigung des Instituts für
Gärungsgewerbe mit seinen technischen Versuchs-Anlagen. Treffpunkt 15 Uhr
Eingang Seestraße 13. Anschließend Zusammensein und Probetrunk im Restaurant der Hochschulbrauerei Amrumer Str. 31. Verbindung: U-Bahn bis Amrumer
Straße (Virchow-Krhs.) oder Müllerstraße, Ecke Seestraße. Autobus 16, 89.
3. Am Sonnabend, dem 12. November, 11 Uhr. Besichtigung des neueröffneten
Postmuseums (Vortrag, Rundgang, Filmvorführung) Berlin 30, Kleiststraße 10
im Urania-Haus. Treffpunkt 10.45 Uhr in der Eingangshalle der Urania (Dauer
etwa 2 Stunden).
4. Am Montag, dem 21. November 1966, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139. Lichtbilder-Vortrag unseres Mitgliedes Hans-Werner K 1 ü n n e r
„Ein Spaziergang durch Alt-Berlin-Cölln im Jahre 1966". Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller Schöneberg.
5. Am Freitag, dem 16. Dezember 1966, 16 Uhr. Adventskränzchen im Ratskeller
Schöneberg. Gedeck DM 3,50. Von Mitgliedern eingeführte Gäste sind herzlich
willkommen. Schriftliche Anmeldungen bis zum 6. Dezember an Frau Gertrud
D o h t , Berlin 62, Grunewaldstraße 64.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber u n d Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beitrage für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei. Berlin.
Fachabt dsr Berliner Stcdlbibliothek
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 7
1. Januar 1967
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf),Katharinenstr. 30, Ruf :84 7890
Schriftführer: Dir. i.R. K.Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 8748 39
Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D.W.Mügel, 1 Berlinl9 (Charlbg.), Gotha-Allee28, Ruf: 94 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
rrllen Mitgliedern und Freunden des Vereins
die besten Glück- und Segenswünsche
für das Jahr 1967
DER VORSTAND
Das Charlottenburger Schloß
Z u r Eröffnung wiederhergestellter R ä u m e im Nering-Eosander-Bau
Dr. Margarete Kühn
Das Charlottenburger Schloß, das zu den bedeutendsten Bauten des Barock im
norddeutschen Raum gehört, hatte im Krieg schweren Schaden erlitten. Der mittlere
Bau von Johann Arnold Nering und der größte Teil des Neuen Flügels von Georg
Wenzeslaus von KnobelsdorfF brannten bis auf geringe Reste der Dekorationen aus;
die Kuppel stürzte ein. Die Räume der Erweiterungsbauten Eosanders blieben größtenteils erhalten, jedoch nicht unversehrt. Die Arbeiten zur Sicherung der Substanz
wurden schon bald nach Kriegsende in Angriff genommen und bis 1956 mit Mitteln
des Berliner Haushaltes durdigeführt. In diesem Jahr war der äußere Wiederaufbau
des Hauptgebäudes von Nering und Eosander sowie des Neuen Flügels im wesentlichen abgesdilossen. Die Kuppel krönt seither eine Fortuna von der Meisterhand
Richard Scheibes, die — gleich der ursprünglichen — die Richtung der Winde anzeigt.
Seit 1956 wird die Wiederherstellung des Schlosses im Rahmen des damals begründeten Aufbauplanes für Berlin aus besonderen Bundeszuschüssen finanziert. Vom
Nering-Eosander-Bau ist zunächst die weniger beschädigt gewesene östliche Hälfte
fertiggestellt und im November 1959 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
Die westliche Hälfte und das Obergeschoß des Neringbaues konnten am 21. Mai 1966
für die Besichtigung freigegeben werden. Lediglich die am Ende gelegene Kapelle, die
bis auf die Süd- und Westwand zerstört war, harrt noch der völligen Wiederherstellung, zu der auch der Neubau, d. h. die klangliche Rekonstruktion der alten Orgel
gehört, die mit gutem Grund mit dem Namen des berühmten Orgelbauers Arp Schnitger in Verbindung gebracht wird. Damit präsentiert sich heute die Sommerresidenz
Sophie Charlottes, der „philosophischen Königin" und Freundin von Leibniz, und
König Friedrichs I., der sich nach dem Tode seiner Gemahlin dem weiteren Ausbau des
Schlosses mit Hingabe widmete, nicht nur im Äußeren, sondern auch in der inneren
dekorativen Ausgestaltung weitgehend in der uns bis zum letzten Krieg überlieferten
Gestalt.
Während der Neue Flügel, der Friedrich dem Großen als Residenz dienen sollte,
in klassizistischer Zeit in großen Teilen innen umgestaltet worden war, ist der ältere
Bau von Nering und Eosander nach dem Tode Friedrichs I. nie einem Umbau unterzogen worden. Ihm eignet daher für die Zeit des Barock ein hoher geschichtlicher und
künstlerischer Aussagewert. Dieser beginnt mit den sehr bemerkenswerten städtebaulichen Bezügen, in die das Schloß hineingestellt ist, d. h. die gleichzeitig mit dem
Schloß konzipiert worden waren. Mit der Erschließung des Obergeschosses — es ist seit
der Verstaatlichung des Schlosses nach dem I. Weltkrieg jetzt zum erstenmal der
Öffentlichkeit zugänglich — wird dieses städtebauliche Bezugssystem dem Besucher
des Schlosses deutlicher als bisher. Vom oberen runden Saal zieht die breite mehrreihige Lindenallee der Schloßstraße den Blick an: sie ist die repräsentative Auffahrtsavenue zu dem hoheitlichen Schloßbereich. Der heutige Sophie-Charlotte-Platz, an
dem sie beginnt, ist zugleich als Bezugspunkt eines auf das Schloß ausgerichteten
Koordinatensystems gedacht, dessen zweite Achslinie durch die via triumphalis des
alten Berlin, die Straße „Unter den Linden", bestimmt ist, so daß beide Schlösser, die
Hauptresidenz in der Stadt, deren Umbau damals schon ins Auge gefaßt war, und
die neue villa suburbana hinter dem Tiergarten durch eine strenge geometrische Ordnung in Beziehung zueinander gesetzt sind. Der Sog, den die Schloßallee für den Betrachter, der sich im oberen Vestibül des Schlosses befindet, besitzt, erlaubt es, sich den
parallel laufenden Spandauer Damm, der erst später entstanden ist und der dem
städtebaulichen System des Schlosses durchaus widerspricht, fortzudenken und sich das
Schloß so vorzustellen, wie es als Schöpfung eines absolutistischen Bauwillens verstanden werden muß, als den beherrschenden Mittelpunkt eines strahlenförmigen
Systems von Sicht- und Perspektivlinien, die in dem heutigen Straßengefüge, auch des
weiteren Umraumes, noch rudimentär vorhanden sind.
Dieses außerordentlich großräumige Ordnungssystem war in den Grundzügen
schon von Nering konzipiert worden, aber erst das von Eosander erweiterte Schloß
bietet die architektonische Entsprechung zu jenem barocken Gedanken der allseitigen
Ausstrahlung des Schlosses. Es ist bestimmt durch die beiden gestaffelten Höfe in der
Tiefenachse, die jenseits des Baues über den Garten hinaus ins Unendliche weiter zu
führen schien, durch die nach vorn und den Seiten weit ausgreifenden Flügelarme, vor
allem aber durch den hohen Kuppelturm, in dem die absolutistische Gesinnung des
Königs am stärksten zum Ausdruck kommt. In dieser gleichsam sakralen Überhöhung
des Baues mochte er die Verkörperung seines Königstums von Gottes Gnaden sehen.
Im Innern liegt der Schwerpunkt des räumlichen Organismus nicht an der Hofund Stadtseite, sondern an der Gartenseite. Diese Ausrichtung ist durch den Neringbau
bedingt. Als Sommerresidenz war er auf den Garten bezogen, der von Anfang an sehr
weiträumig und nach den Gesichtspunkten der modernen französischen Gartenkunst
Lenotres angelegt war. Hier, an der Gartenseite, springt ein ovaler Pavillon zur
Hälfte in die Gartenterrasse vor, eine Freiräumlichkeit von erstaunlicher Modernität
der baukünstlerischen Gesinnung. Eine niedrige Kuppel sollte seine architektonische
Eigenständigkeit und Geschlossenheit betonen. Sie war wahrscheinlich schon begonnen,
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als Eosander seine neuen großartigeren Pläne entwickelte und statt der gartenseitigen
Kuppel den oben genannten hohen Kuppelturm an der Hofseite errichtete. Innen
wird der Pavillon von zwei übereinanderliegenden Sälen eingenommen, von denen der
obere den Hauptfestsaal des Schlosses bildet. Wahrscheinlich unter Eosander im oberen
Teil verändert und erhöht, umfängt der weite und lichte Raum den Besucher mit einer
heiteren Würde, die schon Wesenszüge des Rokoko vorwegzunehmen scheint. Die
inneren fünf Arkaden sind verspiegelt, ein beliebtes Dekorationsprinzip barocker
Raumkunst, welche die gärtnerischen Schmuckanlagen und den Himmel gern im
Innern widerspiegeln ließ. Die Verspiegelung war im Laufe des 18. Jahrhunderts beseitigt worden, sie konnte aber auf Grund der Angaben eines im Jahre 1705 sogleich
nach dem Tod Sophie Charlottes aufgestellten Inventarverzeichnisses, das auch ausführliche Raumbeschreibungen gibt, rekonstruiert werden. Hinter einer der Spiegelflächen ist eine Vitrine eingebaut worden, in der die preußischen Kroninsignien, die
sich früher im Schloß Monbijou befanden, ausgestellt sind. Es sind dies: die Carcassen
der Königs- und Königinkrone von 1701 (die Steine und Perlen hatte Friedrich der
Große 1741 herausnehmen lassen und seiner Gemahlin zur anderweitigen Verwendung
übergeben), Szepter, Reichsapfel und Reichssiegel, der für das Leichenbegängnis des
Großen Kurfürsten angefertigte Totenhelm, ferner das sog. Kurschwert, ein Zeremonialschwert, das Papst Pius IL (Aeneas Sylvius Piccolomini) dem Markgrafen Albrecht, späteren Kurfürsten Albrecht Achilles, für die Unterstützung seiner Kreuzzugspläne am 6. Januar 1460 auf dem Konzil zu Mantua überreicht hatte, und das von
Jobst Freudner aus Ulm in Königsberg angefertigte Reichsschwert des Herzogs Albrecht, das Schwert „von der Preußischen Souverainität". Der obere ovale Saal bietet
auch den besten Blick auf den Garten: das Parterre ist gut übersehbar, ohne daß das
für einen Barockgarten so wesentliche kräftige Relief der Broderien und der mit
Blumen und Stauden locker aber rhythmisch bepflanzten Einfassungen der Kompartimente in der geringen Aufsicht verschwindet.
Die architektonische Bedeutung des durch den Hauptfestsaal ausgezeichneten
Obergeschosses erforderte auch eine entsprechende Ausbildung des Treppenhauses. Es
ist nach längerem Hin- und Herplanen erst um 1704 entstanden. Friedrich I. nannte
es später mit Recht — in einem Brief an die Kurfürstin von Hannover — „das
schönste Ornament vom ganzen Haus". Der Raum ist von angenehmen Verhältnissen,
licht, weit und durch plastischen Dekor, der Embleme der Künste und Jahreszeiten
zeigt, auf das reizvollste ausgeschmückt. Architektonisch besonders bemerkenswert ist,
daß die Treppenläufe — nach Art der Treppen in französischen Adelshotels — ä jour
behandelt, d. h. freitragend konstruiert sind und dies offenbar zum ersten Mal in
Deutschland. Dieses System ist zunächst auch ohne Nachfolge geblieben, da die Baugesinnung 'des deutschen Barock zu monumentaleren Anlagen drängte. Erst das intimere Raumgefühl des Rokoko hat bei uns ähnliche Anlagen entstehen lassen. So ist in
Charlottenburg selbst die Treppenanlage Knobelsdorffs im Neuen Flügel typologisdi
engstens verwandt.
Obwohl das Obergeschoß den Hauptfestsaal enthält und auch außen durch eine
Kolossalordnung von Halbsäulen als Hauptgeschoß gekennzeichnet und hervorgehoben ist, muß -das Erdgeschoß insofern als das piano nobile gelten, als es die Wohnungen Sophie Charlottes und Friedrichs I. enthielt. Hier hat Eosander an der Gartenseite die Verlängerung des Mittelbaues auf etwa das Dreifache geschickt benutzt, um
das im Barock so beliebte Monumentalmotiv der Enfilade zu entfalten. Vom mittleren
ovalen Saal aus gleitet der Blick nach links und rechts durch alle — insgesamt dreizehn
— Räume bis in das Ende der Flügel, wo er durch Fenster weiter ins Freie gelenkt
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wird. Diese Raumflucht durchschreitend, gewahrt man eine überlegte der Risalitbildung der langen Gartenfront entsprechende Rhythmisierung der Räume nach Form
und Größe, die zugleich auch ihrem verschiedenen Zweck und Rang Rechnung trägt.
Ursprünglich hatten alle Räume dieser Front bis auf den Boden reichende Schiebefenster, so daß man von ihnen unmittelbar auf die Gartenterrasse gelangen konnte. Es
wäre zu wünschen, daß dieses für den ursprünglichen Charakter des Sommerschlosses
wichtige und das architektonische Gesamtbild wesentlich mitbestimmende Fenstersystem wiederhergestellt würde.
Während die Enfilade die beiden Phasen des Schloßbaues geschickt überspielt,
wird bei näherem Zusehen in dem System der dekorativen Ausgestaltung ein Umbruch
deutlich spürbar. Die Wohnräume des Neringbaues haben flache Decken, diejenigen aus
der Zeit Eosanders sind gewölbt, an der Gartenseite sogar so hoch, daß für ein Obergeschoß kein Raum blieb und die Fenster der zweiten Etage verblendet werden mußten. An der Hofseite, wo ein echtes zweites Geschoß erhalten bleiben sollte, sind die
Decken Eosanders nur leicht muldenförmig gewölbt, aber die Dekoration, die sich hier
besonders gut erhalten hat, ist völlig neuer Art. Während im Neringbau kräftiges
stuckiertes Akanthusblattwerk, die Bildfelder aussparend, den Grund der Decke überzieht, finden wir in diesen nur um wenige Jahre jüngeren Räumen eine elegante,
graziöse, die ganze Decke überspielende ornamentale Malerei im Stil der französischen
Dekorationsmaler Berain und Audran. Sie zeigt, mit welcher Aufgeschlossenheit
Eosander, der im Jahre 1700, als er die Bauleitung des Charlottenburger Schlosses
übernahm, zu einer Studienreise nach Frankreich geschickt worden war, dort die
modernen Dekorationsprinzipien aufgenommen hatte. Auch die übrige Ausgestaltung
dieser und der anderen Räume Eosanders läßt den Fortschritt in der raumkünstlerischen Gesinnung erkennen, der mit der Übernahme der Bauleitung durch Eosander
eingetreten war.
Von diesem stilistischen Gefälle der beiden Bauphasen abgesehen, zeichnet in
gleich anspruchsvoller Weise eine reiche typologische Abwandlung den gesamten Raumkomplex aus. Es gibt meist als Wohnräume dienende getäfelte und textil behandelte
Räume, die jeweils wieder wirkungsvoll variiert sind. Während sich die getäfelten
Räume meist erhalten haben, sind die empfindlichen Seidenbespannungen im Laufe des
18. und 19. Jahrhunderts mehrfach erneuert, z. T. auch durch Papiertapeten ersetzt
worden. Bei der jetzigen Wiederherstellung haben die meisten dieser Räume neue
Seidenbespannungen erhalten, die nach zeitgenössischen Vorbildern fadengenau in den
überlieferten Farben nachgewebt worden sind. Den künstlerischen Höhepunkt bildet
das Porzellankabinett, mit dem Eosander den Raumtypus des wohnlich eingerichteten
Spiegelkabinetts, wie es auch der Bau Nerings noch besaß, zu einem nur dem ästhetischen Genuß dienenden Raumkunstwerk erhoben hat. Die Lage am (westlichen) Ende
des Gartenflügels erlaubte es, den Raum von zwei Seiten durch je drei Fenster zu
erhellen und ihm damit eine besondere Lichtfülle zu geben. Die Wände waren meist
verspiegelt, so daß sie das bunte Bild der ostasiatischen Porzellane vielfältig gebrochen
zurückwerfen und das „Gesicht wird um so mehr surpreniert, indem man zu gleicher
Zeit den Prospekt des Parterres und der Alleen des Gartens in denen Spiegeln entdecket" (Eosander im Theatrum Europäum). Das Barocke in der barocken Kunst hat in
solchen Porzellankabinetten wohl seine apartesten Blüten getrieben. Daß der Raum,
der den größten Teil seiner Porzellane durch die Nachkriegswirren eingebüßt hatte,
wieder weitgehend mit chinesischem Porzellan — meist der Kang-hsi-Zeit — ausgestattet werden konnte, ist der großzügigen Unterstützung der Deuschen Klassenlotterie
Berlin zu verdanken.
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Das Schloß sollte noch einen zweiten Prunkraum erhalten: einen ganz mit Bernstein inkrustierten Raum. Wir vermuten, daß dieser Schmuck für das spätere Rote
Tressenzimmer bestimmt war. Auf Grund einer Rechnung darf angenommen werden,
daß die Arbeiten 1711 im wesentlichen fertiggestellt waren. Zum Einbau ist es aber
offenbar nicht mehr gekommen. 1717 schenkte Friedrich Wilhelm I. die kostbare
Dekoration dem Zaren Peter dem Großen. Im letzten Krieg wurde sie von deutschen
Kunstschutzoffizieren aus dem unter Beschuß gelegenen Schloß Zarskoje Sselo, in dem
es die Zarin Katharina hatte einbauen lassen, nach Schloß Königsberg verbracht. Mit
dem Kriegsende verlieren sich leider die Spuren dieses im gesamten deutschen Schloßbau einzigartigen Raumschmuckes.
Die Ausstattung des Schlosses zur Zeit Sophie Charlottes und Friedrichs I. mit
beweglichem Kunstgut, die durch Inventarverzeichnisse weitgehend überliefert ist,
weist natürlich große Lücken auf. Doch ist genügend Inventar erhalten, um von dem
Wohnstil jener Zeit des preußischen Barock gültige Eindrücke vermitteln zu können.
Ja, Charlottenburg nimmt wohl im Hinblick auf die Erhaltung des räumlichen Ensemble unter den deutschen Barockschlössern einen besonderen Platz ein. Zunächst ist
•die durch das genannte Inventar von 1705 bezeugte große Vorliebe für die ostasiatische Kunst heute noch deutlich zu verspüren. Holländische Lackkabinette wie auch
europäische Möbel, die die chinesische Lackmalerei nachahmen — es sind teils Berliner,
teils auch holländische und englische Arbeiten — sind noch in größerer Zahl im Schloß
vorhanden. Daneben gibt es eine Anzahl naturfarbener Möbel (meist Nußbaum) mit
vorzüglicher Einlegearbeit. Zu den wertvollsten Ausstattungsstücken, um die Friedrich
der Große das Schloß seiner Großmutter bereicherte, gehören die Wirkteppiche der
Berliner Manufaktur Charles Vigne, mit denen er das Vorzimmer westlich des ovalen
Saales und die anschließende Audienzkammer Sophie Charlottes ausschmückte, dessen
chinesische Seidentapeten, auf denen „gelackte indianische Portraits" hingen, offenbar
nicht mehr erhalten waren. Nach diesem Krieg sind noch weitere Wandteppiche der
Manufaktur von Vigne hinzugekommen, die aus anderen Schlössern stammen oder
hinzuerworben werden konnten. Unter den Bildern sind diejenigen aus dem Besitz
Sophie Charlottes besonders bemerkenswert, nicht nur wegen ihrer Qualität, sondern
auch als Zeugnisse der geistigen und künstlerischen Interessen dieser hervorragenden
Frau. Besonders schätzte sie Anthonie Schoonjans, der 1702 einige Monate an ihrem
Hof war und in dieser Zeit eine außerordentlich fruchtbare Tätigkeit entfaltet hat.
Daß der Künstler seinen eleganten Eklektizismus mit physiognomischer Lebendigkeit zu
verbinden wußte, mochte die Vorliebe Sophie Charlottes für seine Kunst begründen.
Das große Bild ihres Sohnes als David mit der Schleuder, das jetzt wieder an seinen
angestammten Platz in ihrem Schlafzimmer zurückgekehrt ist, und das Bildnis eines
russischen Erzbischofs, des Metropolitan von Philippopel, der mehrere Jahre in Berlin
gewesen war, gehören zu den besten Gemälden der Sammlung. Das in ihrem Besitz
befindlich gewesene Bildnis von Leibniz hat sich leider nicht erhalten. Die Porträts
italienischer Musiker — Buononcini, Ariosti, Pasquini, Corelli — bezeugen die große
Vorliebe der Königin für die italienische Musik, der sie erstmals in Berlin eine Pflegestätte bereitete. Von ihnen ist Ariosti mehrere Jahre, Buononcini, der sie im Tonsatz
unterrichtete, nur kurze Zeit am Lietzenburger Hof gewesen. Der sehr reduzierte
Gemäldebestand ist seit der Verstaatlichung des Schlosses nach dem I. Weltkrieg durch
die „Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten", die einstige preußische wie die
jetzige Berliner Schlösserverwaltung, vor allem um Werke von Antoine Pesne, dem
Hofmaler Friedrichs L, Friedrich Wilhelms I. und — vor allem — Friedrichs des
Großen, wesentlich ergänzt worden. Unter den Neuerwerbungen befinden sich etliche
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Arbeiten seiner Frühzeit, die sich durch die Verbindung einer geschönten Darstellung
des Menschen mit physiognomischer Lebendigkeit jenen vorerwähnten Bildern von
Schoonjans natürlich anfügen.
Die ehemaligen Wohnräume des Obergeschosses sind im Krieg völlig vernichtet
worden und konnten aus Mangel an dokumentarischen Unterlagen nicht in ihrem ursprünglichen Zustand wiederhergestellt werden. Sie wurden mit Kunstwerken ausgestattet, die sich auf den Großen Kurfürsten beziehen, auf den der Besucher des
Schlosses schon durch das Reiterdenkmal im Ehrenhof hingewiesen wird, in dem
Andreas Schlüter Wesen und Persönlichkeit dieses Begründers des brandenburg-preußischen Staates großartig und gültig zum Ausdruck gebracht hat. Unter den ausgestellten
Kunstwerken verdienen die Wirkteppiche der Berliner Manufaktur von Mercier, die
die Siege des Großen Kurfürsten gegen die Schweden darstellen, besondere Beachtung.
Das bedeutendste Gemälde dieser Schau ist die Apotheose des Großen Kurfürsten
(1682 )von Michael Willmann, einem der virtuosesten und eigenwilligsten Maler des
deutschen Barock, der — in Königsberg geboren — auch einige Jahre (etwa 1658
bis 1661) am brandenburgischen Hof tätig gewesen war. Der oranischen Allianz des
Großen Kurfürsten ist ein Raum mit Bildnissen von Willem van Honthorst, Jan
Mytens und Mathias Czwiczek gewidmet. Schließlich gilt eine kleine Sammlung von
Gemälden und Zeichnungen dem Gedächtnis des Berliner Schlosses. Diese Schau soll
vor allem denjenigen Besuchern, die das einzigartige Bauwerk nicht gekannt haben,
einen Eindruck von seiner bildnerischen Kraft und eigenwilligen Größe vermitteln.
So reicht die Spanne des heute in dem wiederhergestellten Nering-Eosander-Bau
dem Besucher Dargebotenen vom originalen Schloßraum bis zum neuen schloßgemäßen
Museumsraum und er erlebt das Schloß wieder als ein aus Architektur, Garten und
beweglichem Kunstbesitz bestehendes Gesamtkunstwerk, das die Kunst und Kultur des
brandenburg-preußischen Barock beispielhaft zu vergegenwärtigen vermag.
Rotes Tressenzimmer
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Berichte
Besuch im Geheimen Staatsarchiv in Dahlem
Am Sonnabend, dem 15. Oktober, empfing Direktor Dr. Zimmermann als Gastgeber unsere Mitglieder im Dahlemer Geheimen Staatsarchiv, dem einstigen preußischen Zentralarchiv. Nach fast zwei Jahrzehnten treuhänderischer Verwaltung durch
das Land Berlin wurde es 1963 in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufgenommen.
Die im Kriege ausgelagerten Aktenbestände befinden sich heute in sowjetzonaler Verwahrung. Nur wenig staatlich-preußisches Schriftgut war in Berlin zurückgeblieben.
Das Archiv erfaßte nach 1945 auch Aktenmaterial der ehemal. Reichsbehörden, Parteiinstanzen, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und übernahm Restmaterialien des
Brandenburg-Preußischen Hausarchivs sowie des Brandenburgischen Provinzialarchivs.
Akten der in Berlin domizilierenden Bundesbehörden werden auftragsweise verwaltet.
Die sehr wertvolle und umfangreiche Sammlung historischer Karten konnte den Zerstörungen des 2. Weltkrieges entgehen. Die Fachbibliothek wurde zum großen Teil
vernichtet, aber neu aufgebaut und zählt heute bereits wieder 80 000 Bände. Dr. Zimmermann führte im Anschluß an seine einleitenden Worte über die Funktion des
Institutes in Vergangenheit und Gegenwart eine große Zahl sorgfältig ausgesuchter
Prachtstücke von Dokumenten vor, die von den wechselvollen Geschicken des brandenburgisch-preußischen Staates im Flusse der Zeit Zeugnis legen. Auch ihrerseits hatten
viele dieser Cimelien ihre Schicksale, so die berühmten Politischen Testamente Friedrichs des Großen, die nach 1945 in die Vereinigten Staaten wanderten, durch Zufall
entdeckt wurden und den Weg zurück fanden. Trotz Fehlens eines eigenen Dienstsprengeis hat sich das Geheime Staatsarchiv in den zwei Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch wieder zu einem wichtigen Träger historischer Überlieferung und zu
einem bedeutenden Faktor im Berliner Kulturleben machen können.
G. Kutzsch
Institut für Gärungsgewerbe in Berlin
Am Mittwoch, dem 26. Oktober 1966, führte unser Verein die interessierten Mitglieder zu einem Besuch ins „Institut für Gärungsgewerbe" im Norden Berlins, das
der Technischen Universität Berlin angeschlossen ist. Der wissenschaftliche Direktor,
Professor Dr. Dr. h. c. B. Drews, begrüßte im Namen des Instituts unsere Besuchergruppe und gab eine kurze Einführung in die Aufgaben und die Geschichte des Instituts, die später von unserem Vorstandsmitglied, dem Geschäftsführer der Gesellschaft
für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens e. V., Chefredakteur E. Borkenhagen, vertieft wurde.
Das Institut für Gärungsgewerbe geht in seinen Anfängen auf die vor mehr als
100 Jahren als Gemeinschaftseinrichtung für Zwecke der Forschung und Beratung gegründete Versuchs- und Lehranstalt für Spiritusfabrikation zurück. Später folgten die
Gründung der heutigen „Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei" auf gleicher Grundlage und mit gleicher Zielsetzung sowie weitere Versuchs- und Forschungsinstitute
unter der Verwaltung des Instituts. Bei diesem Forschungsinstitut und Lehrbetrieb
innerhalb der Fakultät für Landbau der Technischen Universität Berlin handelt es sich
um ein Studium mit dem Abschluß als Dipl.-Ing. und der Möglichkeit der Promotion.
Die im Laufe ihrer Geschichte bewährte Gliederung und Organisation des Instituts
wirkte sehr früh zum Nutzen der beteiligten Wirtschaftszweige, der Güte und der
Qualität ihrer Erzeugnisse und damit in erhöhtem Maße für die Allgemeinheit. Wichtige, allgemein verwertbare wissenschaftliche Erkenntnisse, beispielsweise auf biochemischen und mikrobiologischen Gebieten, die im Institut gewonnen wurden, konnten der Allgemeinheit dienstbar gemacht werden.
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Besonderes Interesse fanden die Ausführungen der Vortragenden, daß hinter der
Geschichte des Bieres mehr als 5000 Jahre menschlicher Kulturgeschichte stehen. Entsprechende Forschungsergebnisse und Materialsammlungen konnte die am Institut ansässige und von den Brauereien des In- und Auslandes getragene „Gesellschaft für die
Geschichte und Bibliographie des Brauwesens" vorlegen.
Die Besucher waren überrascht über Vielheit und Umfang der wissenschaftlichen
und technischen Einrichtungen, die bei der anschließenden Führung mit wachsender
Anteilnahme besichtigt wurden. Der Besuch des Instituts klang aus mit einer Verkostung der Biere der mit dem Institut verbundenen Hochschul-Brauerei nebst kleinem Imbiß. Hierbei konnte der Geschäftsführer der Versuchs- und Lehranstalt für
Brauerei, Herr Dr. Schultze-Berndt, die Gäste namens der Versuchs- und Lehranstalt
und der Hochschul-Brauerei begrüßen und mit anderen Herren des Instituts weitere
Auskünfte erteilen. Aus der anschließenden Erörterung seien u. a. hervorgehoben Beiträge und Mitteilungen über die gegenüber dem Institutsgelände begonnene Affäre des
„Hauptmann von Köpenick", der dort die aus den Rehbergen kommende Soldatengruppe unter seinen Befehl gestellt hatte. Ergänzend sei noch bemerkt, daß er zuvor,
der Überlieferung nach, im Lichthof des Instituts die damals ausgestellten Gerätschaften besichtigte, vermutlich um die Zeit zu überbrücken und die Wirkung seiner Uniform zu erproben.
Bu.
Berliner Post- u n d Fernmeldemuseum
Der Verein besichtigte am 12. November d. J. das am 6. Juni 1966 eröffnete
Post- und Fernmeldemuseum im Urania-Haus. Dieses Museum will nicht Nachfolger
des Reichspostmuseums sein, das, an der Ecke der Leipziger/Mauerstraße belegen, viele
alte Berliner noch kennen. Dies, eine Schöpfung des Generalpostmeisters Heinrich von
Stephan, fand mit seinen wertvollen Sammlungen 1945 sein Ende. Seine Tradition
wird heute vom Bundespostmuseum in Frankfurt am Main fortgesetzt. Versuche des
Senats von Berlin, ein Deutsches Postmuseum in Berlin zu errichten, scheiterten 1954.
Die Landespostdirektion in Berlin entschloß sich daher, in Berlin eine auf Berlin bezogene ständige Sammlung postgeschichtlicher und fernmeldegeschichtlicher Erinnerungsgegenstände zu schaffen, die zunächst im Postamt Berlin 15 in der Lietzenburger
Straße eröffnet wurde. Sie schloß im Mai 1965 ihre Pforten, weil die Räume für
dienstliche Zwecke gebraucht wurden. Es ergab sich inzwischen die Möglichkeit, im
großen und geräumigen Urania-Haus, das bereits die Berliner Verkehrsausstellung enthält, für die postgeschichtlichen Sammlungen Berlins größere Ausstellungsräume zu
mieten. Ein Besuch der Ausstellung vermittelt ein eindrucksvolles Bild über Geschichte
und Entwicklung des Postwesens in Berlin gleichfalls als Bestandteil der Geschichte
unserer Stadt. Ein Vortragsraum gibt die Möglichkeit, Filme über das Post- und Fernmeldewesen vorzuführen.
Die Geschichte des staatlich gelenkten Postwesens in Berlin beginnt 1649, kurz
nach Beendigung des 30jährigen Krieges. Das erste Postamt Berlins war im Schloß
untergebracht, wo sich die Berliner ihre Post abholen mußten. Die Postlinien des
Großen Kurfürsten führten nach Memel, Dresden, Leipzig, Hamburg und Cleve. Die
Ausstellung führt den Besucher durch mehr als 3 Jahrhunderte Geschichte des Berliner
Postwesens, aus der Post Brandenburg-Preußens über die Postverwaltung des Norddeutschen Bundes (1867), des Deutschen Reiches (1871) sowie über den Siegeszug der
elektrischen Nachrichtenübermittlung mit Telegraph, Fernsprecher, Funk, Rundfunk
und Fernsehen bis zur Nachrichtenübermittlung über Weltraumsatelliten; letztere
wurden den Besuchern in einer Filmvorführung gezeigt.
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Besonderes Interesse fand die Ausstellung für Postwertzeichen. Sie ist ein Geschenk der Landespostdirektion an die Philatelisten Berlins und zugleich eine Erinnerung an die berühmte Postwertzeichensammlung und -ausstellung des alten Reichspostmuseums.
Der Besichtigung und Führung durch die Herren Rot und Kausch von der Gesellschaft für deutsche Postgeschichte e. V. folgte die Vorführung eines Farbfilmes über die
Übermittlung von Nachrichten von einer Sendestation in den USA über einen Weltraumsatelliten zur Empfangsstation in Bayern in der Nähe des Ammersees zur weiteren Verbreitung im Deutschen Fernsehnetz. Die in Bild und Wort hervorragende
Übertragung der Sendung über den Weltraumsatelliten hinterließ bei allen Besuchern
einen tiefen Eindruck.
Bu.
Ein Spaziergang durch Alt-Berlin-Cölln im Jahre 1966
Der erste Vortragsabend in diesem Winter am 21. November 1966 war einem
„Spaziergang durch Alt-Berlin-Cölln im Jahre 1966" gewidmet. Mit großem Beifall
wurden die Ausführungen des Redners Hans-Werner Klünner aufgenommen, der an
Hand von 75 Farblichtbildern die Reste des alten Berlin zeigte. Ausgehend von der
Tradition unseres Vereins, der bis 1943 regelmäßig Führungen durch die Altstadt veranstaltete, begann die Bilderreihe in Form eines Spazierganges am Gendarmenmarkt,
wo einst im Deutschen Dom das Domizil des Vereins war. Weiter sahen wir in der
Mohrenstraße die 1787 von Langhans erbauten Kolonnaden, den Dönhoff platz mit
dem Denkmal des Freiherrn v. Stein, den Spittelmarkt mit Gertraudenstraße und
Petrikirche vor und nach deren Abbruch, die Gertraudenbrücke, die Jungfernbrücke
mit Friedrichsgracht sowie die Sperlingsgasse, in der Brüderstraße das Galgenhaus und
das Nicolaihaus. Die alten Häuser und Höfe in der Fischerstraße und Friedrichsgracht,
Wohnhäuser des 18. Jh. am Märkischen Ufer, das Märkische Museum mit einer Herkulesgruppe von der gleichnamigen Brücke, den Wusterhausischen Bären und die jetzt
als Gartenbauamt dienende, 1887 erbaute alte Volksbadeanstalt im Köllnischen Park.
In der Breiten Straße sahen wir das nun auch verschwundene Ermelerhaus, Ribbeckhaus, Stadtbibliothek und das neue Zilledenkmal. Nach einem Blick über die weite
Fläche des abgerissenen Schlosses zum Lustgarten wurden Zeughaus, Ehrenmal, ehem.
Singakademie und ehem. preuß. Finanzministerium im Kastanienwäldchen, die Bauhofstraße mit der falschen Gedenktafel für Gottfried Keller und das Magnushaus am
Kupfergraben 7 gezeigt, in dem Max Reinhardt gewohnt hat. Vom Rest der Friedrichsbrücke aus erblickten wir den schönen Turm der Sophienkirche, Heilige-Geist-Kapelle,
Marienkirche, Rathaus, Jüdenhof, Molkenmarkt mit Schwerinschem Palais; Knoblauchhaus und Bilder der Nikolaikirchenruine folgten. In der Waisenstraße wurden
die Reste der mittelalterlichen Stadtmauer sichtbar sowie das Lokal „Zur letzten Instanz". Es folgten in der Klosterstraße das Podewils'sche Palais und die Parochialkirche und einige Bilder von den Ruinen der Klosterkirche und des Klosters. Den Abschluß bildete der Alexanderplatz vor dem Kriege und jetzt sowie ein Blick über den
Platz nach Osten zum neuen Haus des Lehrers und der Kongreßhalle. Da für viele
Westberliner die Innenstadt seit Jahren unerreichbar ist und die Verwirklichung der
Aufbaupläne für den Stadtkern noch manches bauliche Opfer fordern wird, wie z. B.
im Fischervierel, sahen wir vieles hier Gezeigte vielleicht zum letzten Mal.
Gedenkausstellung „Leibniz u n d Berlin"
Anläßlich der 250. Wiederkehr des Todestages von Gottfried Wilhelm Leibniz am
14. November 1966 hat die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten dem
großen Philosophen eine Gedenkausstellung „Leibniz und Berlin" gewidmet.
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Die Schau g e w ä h r t a n h a n d von zahlreichen handschriftlichen D o k u m e n t e n (aus
dem Leibniz-Nachlaß der Niedersächsischen Landesbibliothek H a n n o v e r ) , zeitgenössischen Buchausgaben sowie Bildnissen (Gemälden und Stichen) einen Einblick in das
gelehrte Berlin um 1700 u n d die Bedeutung, die Leibniz für Berlin u n d die Gelehrten
der Stadt wie auch der Universität H a l l e , mit denen er meist einen lebhaften Briefwechsel unterhielt, gehabt hat. Die vollständigen Texte der Handschriften können in
P h o t o g r a p h i e n , die — in M a p p e n geordnet — ausliegen, eingesehen werden.
Die Ausstellung ist in folgende H a u p t a b t e i l u n g e n aufgegliedert: Berlin u n d die
republique des lettres, die Universität H a l l e , die Sozietät der Wissenschaften, Irenica
Berolinensia, das philosophische Gespräch in Charlottenburg, die Auseinandersetzung
mit Pierre Bayle und seinem berühmten Dictionnaire historique et critique, sowie mit
den englischen Philosophen Hobbes, Locke und Lord Shaftesbury.
D e r Bildhauer Joachim D u n k e l hat für diese Ausstellung ein bronzenes Reliefbildnis v o n Leibniz geschaffen, das den Abschluß bildet. Ein K a t a l o g ist nicht erschienen.
M. K ü h n
Buchbesprechungen
Ilse Nicolas: Vom Potsdamer Platz zur Glienicker Brücke. Geschichte und Gegenwart
eines großen Berliner Straßenzuges. Berlin: Haude- und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1966.
106 S. mit 13 Abb. („Berlinische Reminiszenzen" Bd. 13). DM 9,80.
Über ihr Thema hinausgehend bietet die Verfasserin einen historischen Abriß des gesamten, durch sechs Berliner Stadtbezirke sich erstreckenden Straßenzuges vom Molkenmarkt—
Mühlendamm — Gertraudenstraße — Leipziger Straße — Potsdamer Straße — Hauptstraße —
Schloßstraße — bis zur Potsdamer Chaussee — Königstraße und Glienicker Brücke. Alle
geschichtlichen Unterlagen sind gut zusammengetragen, die die Entwicklung dieser Straßen
kennzeichnen, vom einstigen Zentrum der deutschen Hauptstadt bis an die Grenze der ehemaligen Potsdamer Residenzstadt. Ihr eigentliches Thema läßt die Verfasserin mit dem Jahre
1792 beginnen, als von Langhans, dem Erbauer des Brandenburger Tores, auf königlichen
Befehl über die alten Stadtmauern hinaus die wichtigste Ausfallstraße westlich der Leipziger
Straße zur ersten preußischen Chaussee umgestaltet wurde, die seit 1831 den Namen Potsdamer Straße führt. Persönlichkeiten, einzelne Gebäude, Ereignisse aus der Vergangenheit bis
zur Gegenwart finden ihre gebührende Würdigung. Bekannte Gaststätten in der Potsdamer
Straße und ihre prominenten Gäste wie Theodor Fontane und Adolf von Menzel, Schöneberg
mit seinen Millionenbauern, die Steglitzer Schloßstraße mit ihrem jetzigen Großstadtleben
werden behandelt, ohne das Wrangel-Schlößchen zu vergessen, die Mutter Mochow in Zehlendorf, die einstige Kolonie Wannsee mit Stimmings Krug und Heinrich v. Kleists tragischem
Ende. Der letzte Abschnitt ist als „Preußischer Ausklang" den Glienicker Schlössern und dem
Glienicker Park gewidmet. Ein sehr anschaulich geschriebenes, schönes Buch, das für jeden
Berliner vielfache Erinnerungen und Anregungen ausstrahlen läßt.
J. Lachmann
Ernst Pett: Die Pfaueninsel. Geschichte und Geschichten zwischen Potsdam und Berlin.
Berlin: Haude- und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1966. 102 Seiten und 8 Abb. („Berlinische Reminiszenzen" Bd. 12) DM 9,80.
Der Verfasser, der als Pfarrer mehrere Jahre in Wannsee gewirkt und zur Hundertjahrfeier der alten Wannseer Kirche 1959 bereits eine Broschüre verfaßt hat, läßt auf Grund
eingehender Kenntnis aller einschlägigen Quellen die ganze Geschichte der Pfaueninsel bis
zur Jetztzeit am Leser vorübergleiten. Nach einer Betrachtung der geographischen Situation
schildert Pett die Einrichtung einer Forscherwerkstatt auf der Pfaueninsel im Auftrage des
Großen Kurfürsten durch den Alchimisten Johann Kunckel, der zum ersten Mal Rubinglas
herstellte (1678). Der Soldatenkönig schenkte dann die Insel dem Potsdamer Waisenhause,
von dem Friedrich Wilhelm II. sie 1793 wieder zurückerwarb, um das allbekannte Schloß
darauf erbauen zu lassen, das Friedrich Wilhelm III., der Königin Luise und Friedrich Wilhelm IV. so oft zur Entspannung gedient hat. Die Unterredung Friedrich Wilhelms III. mit
Hardenberg im Jahre 1810, die zu dessen Berufung als Staatskanzler führte, fand hier statt.
Der Bau von Nikolskoe und der Peter-Pauls-Kirche, mitveranlaßt durch Friedrich Wilhelms III. Tochter Charlotte, die Gattin des Zaren Nikolaus I. werden behandelt. Anschaulich dargestellt wird der Sommerabend mit dem Auftreten der Schauspielerin Elisa Rachel
in Anwesenheit des Zaren (1852). Vier Jahre vorher hatte der Prinz von Preußen auf seiner
Flucht nach England hier geweilt. Auf die botanische und zoologische Bedeutung der Insel
wird ebenfalls vom Verfasser eingegangen. Mit der Geschichte der nahen Halbinsel Schwa-
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nenwerder, wo im „dritten Reich" Goebbels seine Residenz aufgeschlagen hatte, und mit einem
Blick auf das tragische Geschehen im Zweiten Weltkriege klingt das lehrreiche und unterhaltsame Büchlein aus, das als Geschenk bestens empfohlen werden kann.
J. Lachmann
Uns kann keener. Menschen in Berlin. Herausgegeben von Walther G. Oschilewski. Berlin 33: arani-Verlags-G.m.b.H. 1966. 80 Seiten mit 64 Abbildungen. DM 16,80.
Wenn auch der Titel des Buches nicht neu ist — Franz Lederer hat ihn bereits 1927
für eine Sammlung gewählt —, so beabsichtigt der Herausgeber auch nicht, bestimmte Männer
und Frauen dem Leser vorzustellen, sondern „das ganze Berlin in der unverwechselbar geistigen und seelischen Physionomie seiner Menschen". So ziehen die verschiedensten Bilder
und Szenen aus dem Volksleben vom 19. Jahrhundert bis in unsere Tage an uns vorüber.
Hervorgehoben seien Typen wie Madame du Titre als „Urbild der Berlinerin" mit dem
Text des Herausgebers, Adolf Glassbrenner mit seinem Eckensteher Nante, Paul Fechters
„Göttliche Jette vom Alexanderplatz" (Henriette Sonntag) oder David Kaiisch und Alfred
Kerr. Auch Heinrich Zille fehlt natürlich nicht. Die Scenen, aus denen nur einige Proben erwähnt wurden, reichen bis zur Trümmerfrau von 1945 und dem 17. Juni 1953. Ein vergnügliches, humorvolles und doch besinnliches Buch, wie es eben nur in Berlin von Berlinern, über
Berliner und für Berliner geschrieben werden kann.
J. Lachmann
Manfred Stürzbecher: Beiträge zur Berliner Medizingeschichte (Veröffentl. d. Hist.
Kommission zu Berlin Bd. 18) Verlag de Gruyter & Co. Berlin 1966. 234 S. Gzln. DM 48,—.
Die Untersuchungen, die der Verfasser zur berlin-brandenburgischen Medizingeschichte
vorgenommen hat, bilden eine wertvolle Ergänzung zu den Darstellungen früherer Forscher
(Moehsen). Er hat zu diesem Zweck drei verschiedenartige Gebiete herausgehoben und in seiner
bekannten gründlichen Art behandelt. Der erste Abschnitt betrifft die Geschichte der brandenburgischen Medizinalgesezgebung im 17. Jahrhundert, wobei dem brandenburgischen Medizinaledikt von 1685 die bedeutsamste Rolle zukommt. Es ist verständlich, daß Verf.
es in seinem Wortlaut wiedergibt und sorgfältig erläutert.
Der zweite Abschnitt des Buches behandelt die medizinische Versorgung der Berliner Bevölkerung im 18. Jahrhundert, die als völlig ungenügend angesehen werden muß und erst
im 19. Jahrhundert einen Stand erreichte, der es ermöglichte, die Volksgesundheit wesentlich
zu bessern und die bisher hohe Sterblichkeit zu senken.
Ein sehr spezielles Gebiet betrifft den dritten Abschnitt des Buches, den Briefwechsel
zwischen Rudolf Virchow und seinem Vorgesetzten Robert Froriep über die Zustände in der
Berliner Charite zur Zeit seines Dienstantritts im Jahre 1844.
Wenn auch der Inhalt des Buches vorwiegend den Medizinhistoriker interessieren dürfte,
so bilden die Abhandlungen unseres Mitglieds Dr. Stürzbecher doch einen wertvollen Beitrag zur Kulturgeschichte Berlins, bei welcher noch viele Fragen offen stehen.
B. Harms
Hans Ludwig, Altberliner Typen von Dörbeck. Staneck Verlag Berlin 1966. 80 Seiten.
Gzln. DM 12,80.
Dörbeck war der heute fast vergessene, bedeutende Karikaturist des vormärzlichen Berlins, der in hunderten von Zeichnungen die Berliner in ihrem Leben und Treiben, in ihrem
typischen Verhalten, in ihrem Witz und ihren Redensarten mit sarkastischem Humor darstellte. Dörbeck kam 1823 vierundzwanzig Jahre alt aus Livland nach Berlin, wo er das für
ihn richtige Betätigungsfeld zu finden glaubte und auch fand. Hier konnte sich sein Talent
wirkungsvoll entfalten; er wurde zum Begründer der bildlichen Karikatur, wie sie später,
typisch für Berlin, Heinrich Zille vertrat. Von seinen Zeichnungen, die meist im Verlage der
Gebrüder Gropius erschienen (Verzeichnis bei Otto Pniower, Alt-Berliner Humor um 1830),
hat der Verf. 32 ausgewählt, die für das künstlerische Werk Dörbecks charakteristisch sind.
Was das Buch besonders auszeichnet, ist die erstmalig veröffentlichte Biographie Dörbecks,
über den nur wenig Lebensdaten bekannt sind. Dörbeck wurde nur 36 Jahre alt, von denen
er das letzte Drittel in Berlin gelebt hat. In dieser Zeit hat er das Berliner Leben mit einer
seltenen Einfühlung und mit künstlerischem Verständnis geschildert und einen wertvollen kulturgeschichtlichen Beitrag zum Verständnis Berlins und seiner Bewohner geleistet.
B. Harms
Panorama Berlin-Kalender 196J. 5. Folge, hrsg. v. Walther G. Oschilewski. arani-Verlag
Berlin. DM 6,70.
Auch für das kommende Jahr hat der arani-Verlag einen schönen Berlin-Kalender herausgegeben, der auf 28 Blättern, davon 8 farbigen, das Berlin früherer Zeiten zeigt. Für
die Abbildungen wurden Gemälde und Stiche des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts
verwandt, so daß ein guter Überblick über die Landschaft und die Bauten des Berlin dieser
Zeit vermittelt und so ein anschaulicher Beitrag zur Heimatkunde geliefert wird.
Hs.
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Carl Nagel, Achim und Arnims Eltern in Friedenfelde. Zweihundert Jahre Geschichte
eines uckermärkischen Gutes und seiner Besitzer sowie ein Inventarium des Herrenhauses aus
dem Jahre 1778 (Schriften zur Familien- und Heimatgeschichte herausgegeben von Jochem von
Arnim). Bochum 1966 Selbstverlag des Herausgebers. 52 Seiten, 14 Abb. Gzln. DM 7,80.
Es handelt sich bei dem Buch unseres verstorbenen Mitgliedes Nagel um eine familienund ortsgeschichtliche Abhandlung, die zugleich viele andere interessante Dinge, wie z. B.
Teile der Berliner Theatergeschichte unter Friedrich d. Gr. bringt. Die Geschichte des Ortes
umfaßt gut zwei Jahrhunderte, von 1743 bis 1945. Die biographischen Skizzen der Besitzer
ergeben ein buntes Bild, da das Gut etwa siebenmal verkauft wurde, davon dreimal an die
Familie von Arnim. Besonders interessant ist das ausführlich geschilderte Inventarium von
1778. Es existieren nur wenige solcher Verzeichnisse aus märkischen Gutshäusern dieser Zeit.
Die Abbildungen sind z. T. bisher so gut wie unbekannt, so z. B. das Bild des Vaters und
der Mutter von Achim von Arnim und des Bruders. Eine Übersicht über die Besitzer des
Gutes sowie ausführliche Register vervollständigen die Darstellung. Das Buch ist die letzte
Arbeit von Carl Nagel, der sowohl als Theologe wie als Heimatforscher Bedeutendes geleistet hat. Leider hat er das Erscheinen des Buches nicht mehr erlebt.
H . von Arnim
Albert Reimann: Die Reimann-Schule. Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte
Band 8. Bruno Hessling Verlag Berlin 1966. 100 S. mit 45 Abbildungen. Ppbd. DM 9,80.
Die Reimann-Schule war vor dem Zweiten Weltkriege die bekannteste und vielbesuchte
Kunst- und Kunstgewerbe-Schule Berlins. Sie wurde begründet von dem Verfasser, der als
Kunsttischler ausgebildet, sich dem Studium der Kunstgeschichte widmete und dann seine
Ideen des Unterrichts in den verschiedensten Zweigen des Kunstgewerbes durch Gründung
einer eigenen Schule verwirklichte. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich die Schule zu einer
Unterrichtsanstalt größten Formats, die Tausende von Kunstgewerblern der verschiedensten
Zweige ausbildete und in die verschiedensten Länder entsandte. Einmalig waren der Lehrkörper, die verschiedensten Ateliers und Unterrichtsmittel. Im „Dritten Reich" wurde die
Schule enteignet, Reimann mußte ins Ausland gehen und gründete in London eine neue
„Reimann-Schule". Im Kriege wurde die Berliner Schule total ausgebombt. Es ist erstaunlich,
mit welcher Frische und Lebendigkeit der nunmehr neunzigjährige Reimann den Werdegang seiner Schule von den ersten Anfängen bis zum bitteren Ende schildert. Wir glauben
ihm gern, wenn er sagt, daß „man sich immer noch jung, glücklich und tatkräftig fühlt." Die
Reimann-Schule ist aus dem künstlerischen Leben des Berlin vor dem Zweiten Weltkriege
nicht fortzudenken; ihr Begründer und Leiter Albert Reimann hat ihr durch seinen von
Humor und Ernst getragenen Bericht ein bleibendes Denkmal gesetzt.
B. Harms
Mitgliedsbeitrag
Auf Grund des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 26. April 1966 beträgt der
Mitgliedsbeitrag für das Jahr 1967 DM 24,—. Zur Vereinfachung der Kassenverwaltung wird
gebeten, den Mitgliedsbeitrag ganz- oder halbjährig auf das Postscheckkonto Berlin West 433 80
einzusenden.
Veranstaltungen im 1. Vierteljahr 1967
i. Am Dienstag, dem 24. Januar 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbilder-Vortrag des Leiters des Heimatmuseums Spandau, Johannes Müller „Altes und Neues Spandau mit Lichtbildern."
2. Am Dienstag, dem 21. Februar 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbilder-Vortrag bzw. Tonbildvorführungen unseres Mitgliedes,
Herrn Herbert Adam, über „Berliner Biedermeier im Spiegel seiner Zeit. Briefe,
Tagebücher und Dokumente erzählen von den Tagen der guten alten Zeit."
3. Am Dienstag, dem 21. März 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbilder-Vortrag von Frau Dr. L. Moritz über „Geschichte
und Entwicklung von Wilmersdorf."
Gäste zu allen Vorträgen herzlich willkommen.
Anschließend jeweilig geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
SchrifUeirung; Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin.
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 8
A 20377 F
1. April 1967
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90
Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80
Der „Beelitzer Jagdschirm"
Z u m 170 jährigen Bestehen des Borkenhäuschens auf der Pfaueninsel 1 )
Von Dr. Hans Pappenheim
Im Verwaltungsbezirk Zehlendorf liegt in der Havel, dem Forst Wannsee vorgelagert, die Pfaueninsel. Die älteste kartographische Quelle, der Plan von SUCHODOLETZ von 1683, nennt sie „Pfauen-Werder"; die Bezeichnung „Pfauenwerder"
taucht noch fast zehn Jahre später in den Prozeßakten gegen Kunckel auf. Vielleicht
zog man dort Pfauen für den kurfürstlichen Hof (als Ziervögel oder für Schaugerichte), oder der Name entstand, weil die Pfauen aus dem Berliner Lustgarten hier
ausgesetzt wurden. Um 1683 ließ der Große Kurfürst hier ein Kaninchenhegerhaus
erbauen und Kaninchenzucht treiben. Seitdem hieß die Insel bis zur Zeit Friedrich
Wilhelms II. auch „der Kaninchenwerder". 1679 hatte der Große Kurfürst die ganze
Insel dem Chemiker Johannes KUNCKEL zum Aufenthalte angewiesen: nur der Gelehrte und seine Gesellen durften außer dem Kurfürsten die Insel betreten, und
bald umgab das einsame Haveleiland der Nimbus, KUNCKEL sei Alchimist, im Besitze des „Steins der Weisen" und mache hier Gold. Auf dem Nordostteil dieses Gebietes (zwischen den späteren Standorten des „Jagdschirmes" und der Meierei) legte
KUNCKEL seine Versuchsstation an, baute SpezialÖfen und machte in völliger Abgeschlossenheit seine Versuche zur Kristallglasfabrikation. Man hat noch vor einigen
Jahren hier Glasschlacke und Scherben von Retorten gefunden, Restbestände seiner
chemischen Arbeiten. Bei diesen verbesserte er das Verfahren zur Ergänzung des
schon erfundenen Goldpurpurs (Rubinglas) und des ebenfalls schon bekannten Harnphosphors. Gold hat auch KUNCKEL nicht entwickeln können. Seine Glashütte
brannte 1689 ab, und Kurfürst Friedrich III., später König Friedrich I., ließ ihm wegen angeblicher Veruntreuungen den Prozeß machen. 1692 wurde der Forscher von
König Karl XL nach Schweden berufen, zum Kgl. Bergrat ernannt und später wegen
seiner Verdienste als „Kunckel von Löwenstern" geadelt.
Die Pfaueninsel kam nach seiner Zeit in den Besitz des Gutes Bornstedt und
1734 in den des Potsdamer Militär-Waisenhauses, das hier die Holznutzung hatte.
Da wurde nach dem Tode Friedrichs des Großen sein Nachfolger, der auch für die
Jagd begeisterte Friedrich Wilhelm IL (1786—1797) auf den „Kaninchenwerder"
aufmerksam, dessen Schilfgürtel Tausende von Wasservögeln belebten. Der König,
ein großer Liebhaber der Niederjagd, übernahm 1793 die Insel, nach der er häufig
vom Marmorpalais aus Gondelfahrten unternommen hatte; es ist von Anfang an seine
Geliebte, Wilhelmine ENCKE-RITZ, die spätere Gräfin LICHTENAU, die ihn bei
der baulichen Ausgestaltung auch der Pfaueninsel beriet, auf der er ebenfalls ein
Schlösschen besitzen wollte. Ein BOUMANNscher Entwurf (für den Pfmgstberg) im
gotischen Stil wurde zugrundegelegt, aber unter dem Einfluß Wilhelmines 1794 in
eine römische Kastellruine verwandelt „entsprechend Vorbildern in französischen
und englischen Stichwerken der Zeit, in Ruinenform, dreigeschossig".2) Die beiden
Wohn-Etagen mit zwei durch eine Brücke verbundenen Türmen sind mit ihrer gewählten Inneneinrichtung bis heute erhalten. Die Ausführung hatte 1794 der Potsdamer Hof-Zimmermeister BRENDEL. Der Bau wurde „mit Eichenbohlen quaderartig ummantelt und sandsteinartig verputzt", (erst 1909—1911 mit einer Betonschale verkleidet). „Ursprünglich sollte das ganze Gebäude mit Baumrinde verkleidet
werden". 3 )
Ein solcher, wenn auch kleinerer Bau entstand aber am entgegengesetzten Ufer
der Pfaueninsel, das „Borkenhäuschen", auch dieses von BRENDEL errichtet oder vielmehr 1796 hierher verpflanzt und wiederaufgestellt; denn es wurde aus den Jagdgründen des damaligen Herrscherhauses im „Zauchischen Kreise", den Forsten um
Beelitz, hierher übertragen.
Über die jagdliche Bedeutung der Beelitzer Heide für den Berliner Hof seit dem
16. Jahrhundert vgl. den Vorbericht. 1 ) Von den königlichen Jagden in diesem Revier
im 19. Jahrhundert erzählt das Denkmal im Kaisergrund bei Lehnin.4)
Friedrich Wilhelm IL scheint am Verbleib des „Jagdschirmes" im Forst Beelitz
nicht mehr interessiert gewesen zu sein und ihn vielmehr dazu ausersehen zu haben,
die Reihe der kleineren Bauten auf der Pfaueninsel nach der Mode der Zeit des
Landschaftsparkes um ein weiteres Bauwerk zu vervollständigen. So kam es zur Verpflanzung des Gebäudes an die südöstliche Spitze der Insel, nahe der einstigen Stätte
von KUNCKELS „Labor", dem „Alten Hof".
Zunächst die „amtliche" Baugeschichte:
Als erster beschrieb es HORVATH 5 ) (1798) zwei Jahre nach der Aufstellung:
„Ein Jagdschirm stehet in der Gegend, so der alte Hof genannt wird, und ward vom
Könige zu einer Jagd bey Beliz gebraucht. Er ist von BRENDEL gebauet und hier
aufgestellet worden, hat 28 Fuß Länge und 18 Fuß Tiefe, ein Souterrain und belle
Etage, ist von Fachwerk verbunden mit Brettern beschalt und von außen mit Borke
dekoriert. Das Dach ist mit Kreuzblech bedeckt".
Diese Beschreibung übernahm der Maler, Dichter und Volkskundler August
KOPISCH (1799—1853), Entdecker der Blauen Grotte bei Capri und DANTE-Übersetzer. Seine „Schlösser und Gärten zu Potsdam" 6 ) erschienen ein Jahr nach seinem
Tode; sie erwähnen auch den „Jagdschirm".
Nur einen Teil der Gebäude der Pfaueninsel erwähnt (1833) SPIKER 7 ) für die
Jahre 1794—1797: „Nach den Zeichnungen des Hof-Zimmermeisters BRENDEL
wurden nun auch einige Bauten unternommen, welche dem Könige zur Aufnahme
dienen sollten, wenn er bei seinen Wasserfahrten auf der Havel hier landen sollte."
Stilmerkmale beweisen, daß der Jagdschirm aus der Zeit Friedrich Wilhelm IL
stammt und dieser ihn schon zu Jagden bei Beelitz hatte errichten lassen, vielleicht
durch denselben BRENDEL, den er später bei der Neuaufstellung auf der Pfaueninsel wieder zuzog, übrigens kein pilzförmiger „Schirm", sondern ein „Schutz", die
98
Bezeichnung für leichte Jagdhütten, aus oder hinter denen der Jäger schoß: wir
kennen die Formen des erhöht aufgestellten und überdachten Rundbaus oder einer
Verkleidung aus geflochtenem Reisig mit geraden Wänden oder aber ein mit dunkelgrün und braun getarnter Zeltplane überdecktes Gestell.
Der „Jagdschirm" der Pfaueninsel ist ein eingeschossiger kleiner Saal auf rechteckigem Grundriß, dessen Fassade durch angedeutete Pfeiler zwischen den Rundbogenfenstern in einfacher Form gegliedert ist. Die Außenwände sind durchgehend
mit Borke verkleidet. Eine Treppe führt zehn Stufen zur Tür des Mittelgeschosses
empor, das Ganze ein massives Muster für jene kleinen höfischen Jagdbauten des
deutschen Barock, wie sie gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in so
vielen fürstlichen Waid- und Waldrevieren mit einfachen Mitteln und — auf Zeit
berechnet — rasch errichtet wurden und bald wieder verfielen. Auch das Beelitzer
„Borkenhäuschen" wäre ohne die Transplantation auf die Pfaueninsel spurlos verschwunden. Die Übertragung erfolgte auf eine zur Entenjagd besonders geeignete
örtlichkeit, eine durch einen Graben von der Pfaueninsel selbst abgetrennte Uferhöhe, die also wieder eine Insel für sich bildet.
Die älteste Darstellung des „Jagdschirmes" zeigt die Gouache eines unbekannten Künstlers um 1800; sie stammt aus einer Serie von Wiedergaben größerer und
kleinerer Schloßbauten, die in Potsdamer Schlössern die Wände schmückten (s. Abbildung l). 8 ) Das Borkenhäuschen war damals noch nicht von Uferbäumen umgeben,
sondern stand frei vor dem weiten Blick über Havel und die bewaldeten Höhen
der Forst Wannsee, so daß seine baulichen Abmessungen besser zur Geltung kamen
als heute. — Auf dem Plan der Insel von L. HUMBERT, um 1810 ist auch „Ein
Jagd-Schirm" eingetragen. Ihn zeigt ein ähnlicher „Plan der Pfaueninsel mit den
Ansichten ihrer Gebäude", der nach Zeichnungen von W. v. MÖLLENDORF (vor
1829) entstanden ist.9)
Die ausführlichste Behandlung des Jagdschirms bringt die Dissertation von Karl
BREUER (1922) 10 ): „Von König Friedrich Wilhelm II. und seiner Geliebten, der
Gräfin Lichtenau, waren die Parkanlagen ins Leben gerufen und die Insel zum Schauplatz galanter Abenteuer der Hofgesellschaft gemacht worden, ein letzter Ausschlag
der Schäferzeit.11) Doch nicht lange währten jene Tage, der frühe Tod Friedrich Wilhelms II. machte allem ein Ende." Über „die Bauten des Jahres 1796" schreibt
BREUER:
„der sogenannte Belitzer Jagdschirm, ein kleines Borkenhäuschen, hatte seinen Namen
daher, weil er ursprünglich als Jagdhütte in der Nähe von Belitz Verwendung gefunden
hatte. Auf Wunsch des Königs wurde dieser Jagdschirm abgebrochen, um auf der Pfaueninsel Aufstellung zu finden, die ja damals noch zum großen Teil Jagdrevier war, da nur die
Westseite und der Nordzipfel der Insel eigentliche Parkanlagen erhalten hatten. — Man entschloß sich für den Südostzipfel der Insel, der bei Hochwasser eine eigene kleine Insel für
sich bildet. BÖHME [— Potsdamer Maurermeister, d. H.) errichtete ein Fundament aus
Bruchsteinen, auf das ein Sockelgeschoß aus Rathenower Ziegeln kam. Hierauf baut sich das
kleine Gartenhäuschen auf, ein Fachwerkbau, der durch Pilaster architektonisch gegliedert ist.
Das Ganze wurde mit Borke bekleidet. Auf die Attika setzte man Vasen auf, die ebenfalls mit
Borke verkleidet wurden. Die genaue Bauzeit des Ganzen läßt sich aus den Rechnungen
nicht ersehen, im Spätherbst war es jedoch vollständig fertig." Der von BREUER mitgeteilte
„Entwurf zu dem Inventarium des Schlosses auf der Pfaueninsel" ist (1798) vermutlich an
Hand von HORVATHs Beschreibung5) aufgestellt worden, endet für den Jagdschirm mit
den Worten: „übrigens ist derselbe von inwendig nicht neu decorirt worden". Die Wiederaufstellung des Jagdschirms kostete 913 Thaler, 22 Groschen, 1 Pfennig.
Mit dem beiläufigen Hinweis auf die „galanten Abenteuer der Hofgesellschaft"
auf der Pfaueninsel hatte BREUER (1922) das Stichwort gegeben, das nun von literarischen Bearbeitern der Insel aufgenommen wurde. Wohl auf örtlichen Potsdamer
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Überlieferungen fußend hat STERNAUX 12 ) (1926) auch das Borkenhäuschen in sein
Zeitbild eingepaßt, vielleicht dichterisch allzu frei, aber doch so, wie es gewesen sein
kann:
„Bald steht am Ufer ein „Jagdschirm", ein kleiner Pavillon aus Borke, tief im Schilf
und Rohr versteckt. Und hier liegt nicht nur der Jäger auf der Lauer, bis die Viecher, die
Enten steigen, nein, auch Schäferstündchen werden hier gefeiert, wo man so wundervoll geschützt vor unberufenen Augen. Denn natürlich schleppt der Prinz auch die Freundin Wilhelmine und manch andere hierher, für die sein Herz gerade entflammt .. ."
Fest steht demgegenüber lediglich, daß das Borkenhäuschen (1796) nicht aus der
Kronprinzenzeit des Königs stammt und nicht das erste königliche Bauwerk der Insel
ist, sondern das Schlößchen schon 1794 stand! Auch STICHEL 13 ) rechnet (1927) die
Wiederaufrichtung des Jagdschirms unter die nach 1795 entstandenen Ergänzungsbauten, und eine Stimme aus Potsdam vom Jahre 192814) beschränkt sich auch nur
auf die allgemeinere Feststellung, Friedrich Wilhelm IL habe auf dem verrufenen Kaninchenwerder einen Pavillon von Borke errichten lassen, „und seine schöne Freundin Wilhelmine, die spätere Gräfin Lichtenau, begleitete ihn häufiger auf seinen
Jagdausflügen".
Da die Berliner und Potsdamer, denen seit 1821 die Pfaueninsel an manchen
Tagen zur Besichtigung freigegeben war, sich die Gründe für den Bau des Borkenhäuschens — wie wir es in so vielen Landschaftsparken des 18. Jahrhunderts finden — nicht mehr erklären konnten, lag es nahe, die noch unvergessene Favoritin
unter den Freundinnen Friedrich Wilhelms IL mit diesem Bau in Beziehung zu bringen. Die Architektur-Anregungen dieser Frau in allen Ehren! Aber gegen unberechtigte oder unbegründete LICHTENAU-Zuschreibungen hat sich Verfasser schon bei
einem anderen Pavillon jener Zeit mit weitem Blick auf die Havel (Bez. Charlottenburg) wenden müssen.15) Wir sprechen in solchen Fällen von „aitiologischen Sagen",
wo der legendenbildende Volksmund für Ungeklärtes „Ursachen" sucht.
Von den vielen „Borkenhäuschen" fürstlicher Parks des 18. Jahrhunderts sei
wenigstens das bekannteste, etwa gleichzeitig entstandene erwähnt, das ebenfalls noch
erhalten ist: im Park von W e i m a r führt die „Naturbrücke" zum „Borkenhäuschen", das auf GOETHEs Anregung und unter seiner Leitung als Überraschung zum
Namenstage der Herzogin Luise 1778 innerhalb von drei Tagen erbaut wurde, daher auch „Luisenkloster" oder „Klause" genannt, wo GOETHE und CARL AUGUST gern frühstückten, und wo der Landesherr zuweilen auch wohnte.
Zurück zur Pfaueninsel! Wie schon die Tradition des Beelitzer Jagdschirmes
zeigt, war er zu waidmännischen Zwecken angelegt worden eben an einer der einsamsten Uferstellen der Insel, die — als „Kaninchenwerder" der Zeit nach der Episode KUNCKELs verwildert — vom König anläßlich einer Entenjagd von Potsdam aus „entdeckt" worden sein soll. So sagt auch PETT 16 ) in der jüngsten Monographie der Insel (1966):
„Für den königlichen Entenjäger wurde schließlich ein Borkenhäuschen, auch Beelitzer
Jagdschirm genannt, herbeigeschafft. Diesen eigenartigen hölzernen Quadratbau (? Der
Grundriß ist rechteckig! D. H.) mit seinen Schießlöchern an allen Seiten kann man heute
noch auf der Pfaueninsel besichtigen . .."
Neben dem jagdbaren Niederwild spielten aber auch im 19. Jahrhundert Tiere
auf der Insel eine erhebliche Rolle! Neben der Pflege der Pfauen entstand unter
Friedrich Wilhelm III. hier eine ganze Menagerie, die später die Keimzelle des Berliner ZOO wurde. Dazu gehörte auch eine „Biberbucht", und für den „Biberbau"
hatte man (noch 1883) keinen besseren Platz als — neben dem „Beelitzer Jagdschirm"
im Uferschilf der Havel, wo einst Friedrich Wilhelm „der Gute" Enten gejagt. . .
100
Der „Jagdschirm" auf der Pfaueninsel. Gouache eines unbekannten Künstlers
um 1800. Mit freundlicher Genehmigung der Verwaltung der Staatlichen
Schlösser und Gärten.
Das Borkenhäuschen blieb aber nicht das einzige Bauwerk, das aus einer anderen Gegend auf die Pfaueninsel verpflanzt wurde: 1825 baute SCHINKEL hier in
das „Kavalierhaus" die reiche spätgotische Werksteinfront vlämischen Charakters
ein, die (entgegen früher verbreiteten irrigen Überlieferungen in der 1. Hälfte des
16. Jahrhunderts in Danzig entstand, dort mit dem Hause vom Verfall bedroht 1824
vom Hofmarschallamt angekauft und auf die Pfaueninsel geschafft wurde: noch heute
die Fassade des „Danziger Hauses".
Weiter wurde 1828—1829 die erste Form des Mausoleums für die Königin Luise
(t 1810) aus dem Charlottenburger Schloßpark von Heinrich GENTZ (1766—1811)
und Schinkels dorischen Säulen der Vorhalle (in leicht zu bearbeitendem Sandstein) durch dunkelroten Granit ersetzt, der Sandsteinvorbau auf die Pfaueninsel verbracht und dort als „Luisen-Denkmal" aufgestellt17), und zwar nahe der Stätte von
KUNCKELs „Altem Hof", mit dem Blick auf die Meierei.18)
Teile eines vierten auf die Pfaueninsel verpflanzten Baudenkmals sind wieder
in Verlust gegangen: als SCHADOW und SCHINKEL 1829—1831 hier das „Palmenhaus" errichteten, verwendeten sie „für die Dekoration Zieraten eines birmanischen Kiosks, die durch Vermittlung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. von
einem englischen General aus Bengalen nach Europa gebracht und angekauft worden waren 2 ), „eine Pagode aus birmanischem Marmor". Diese „asiatische Bautrophäe" (PETT) 16 ) wurde im Jahre 1880 mit dem Brand des Palmenhauses vernichtet.
Wenn auch das Borkenhäuschen keine so stolze Überlieferung wie diese Objekte
aufzuweisen hat, so erzählt doch auch dieser kleine Bau ein Stück Geschichte unserer
engeren Heimat bis in unsere Zeit: Nach dem 2. Weltkrieg lag auch er arg verfallen,
besonders durch die Schuld dort widerrechtlich anlegender Wasserwanderer; noch
1949 zeigte WEINSHEIMER 1 9 ) in einem bebilderten Aufsatz aus der Zeit, als auf
der Insel 600 Berliner Jugendliche Zeltlager bezogen hatten: „Der „Jagdschirm", das
Borkenhäuschen, ist mutwillig beschädigt worden, Dielen, Balken, Fenster und Türen
wurden herausgerissen." Nach der Blockade ward auch der „Jagdschirm" wieder
101
instandgesetzt und h a t auch in den jüngsten B A E D E K E R n A u f n a h m e gefunden. 2 0 )
W e n n er auch n u r die T r a d i t i o n der J a g d der H o h e n z o l l e r n um Beelitz seit 400 J a h ren auf Westberliner Boden fortsetzt, so blickt dieses D e n k m a l doch heute auf sein
170jähriges Bestehen auf der Pfaueninsel zurück!
') Vgl. den Vorbericht: Hans PAPPENHEIM, Der Beelitzer Jagdschirm, Märkischer Anzeiger (Beelitz, Brück und Beizig) 26. Februar 1944 — Verfasser betrat als 8jähriger, im
Kriegssommer 1916, erstmalig die Pfaueninsel. Zur 50jährigen Wiederkehr der Bekanntschaft, auch mit dem Borkenhäuschen, soll der vorstehende Beitrag ein kleines Dankeszeichen an ihre Betreuer sein!
!
) Georg POENSGEN, Walter EFFENBERGER, Die Pfaueninsel, 2. Aufl. Berlin 1940 S. 15;
7. Aufl. Berlin 1965 S. 8, 10 f., Abb 14. •
3
) G r e t e K Ü H N , P r e u ß i s c h e Schlösser in d e r Zeit v o m G r o ß e n K u r f ü r s t e n bis zu Friedrich
W i l h e l m I V . , Berlin 1934, S. 5 3 .
4
) H a n s P A P P E N H E I M , Ein vergessenes J a g d d e n k m a l im F o r s t L e h n i n , W I L D U N D
H U N D , F ü r s J ä g e r h a u s , 1936 N r . 56 S. 235 f. (m. Abb.) u n d ders., K r e i s k a l e n d e r 1937
für d e n Kreis Z a u c h - B e l z i g . Historische Streifzüge d u r c h d e n Kreis Zauch-Belzig, N r . I I I
(m. Abb.)
5
) C a r l C h r i s t i a n H O R V A T H , P o t s d a m s M e r k w ü r d i g k e i t e n . . . P o t s d a m 1798, S. 235 ( d a s selbe 1802)
6
) A u g u s t K O P I S C H , D i e K g l . Schlösser u n d G ä r t e n zu P o t s d a m , Berlin 1854, S. 157
' ) S. H . S P I K E R , Berlin u n d seine U m g e b u n g e n im 19. J a h r h u n d e r t , Berlin 1 8 3 3 , S. 150.
9
) Bei P O E N S G E N 1965 a. a. O . A b b . 14.
9
) S a m m l u n g d e r V e r w a l t u n g der S t a a t l . Schlösser u n d G ä r t e n , Berlin 19.
10
u
)
E d u a r d V E H S E , Illustrierte Geschichte des p r e u ß i s c h e n H o f e s , des Adels u n d der D i p l o m a t i e , S t u t t g a r t 1 9 0 1 — 1 9 0 2 , B d . I I , S. 1—65.
12
,3
) K a r l B R E U E R , D i e Pfaueninsel bei P o t s d a m . E i n e Schöpfung Friedrich W i l h e l m s I L
u n d Friedrich W i l h e l m s I I I . , Diss. der T H B e r l i n - C h a r l o t t e n b u r g 1923. P h o t o k o p i e bei
d e r V e r w a l t u n g d e r S t a a t l . Schlösser u n d G ä r t e n , B e r l i n 19, S. 2, 9, 58, 154, 176, 2 0 2
u n d T a f e l n 12, 38.
) L u d w i g S T E R N A U X , D a s u n b e k a n n t e P o t s d a m , Berlin 1926, S. 69 ff., 87.
) W o l f g a n g S T I C H E L D i e Pfaueninsel. Ein F ü h r e r d u r c h Geschichte u n d N a t u r , BerlinH e r m s d o r f 1927, S. 17, 8 1 .
») Die Pfaueninsel. POTSDAMER STADT-NACHRICHTEN, Nr. 194, 18. August 1928.
,5
) Hans PAPPENHEIM, Das Belvedere auf dem Picheisberg. Ein Beitrag zur Geschichte
der Berliner Gartenpavillons im 18. Jahrhundert, Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 1956, 7. Bd. S. 27.
16
) E r n s t P E T T , D i e P f a u e n i n s e l , Geschichte u n d Geschichten zwischen P o t s d a m u n d Berlin,
Berlinische R e m i n i s z e n z e n 12, Berlin 1966, S. 2 9 — 3 0 , 62, 82.
17
) P a u l O r t w i n R A V E , D a s M a u s o l e u m z u C h a r l o t t e n b u r g , Berlin 1953, S. 8.
18
) H a n s P A P P E N H E I M , V e r p f l a n z t e B a u d e n k m ä l e r , Sitzungsberichte der
lichen Gesellschaft zu Berlin, 10. M a i 1957, S. 15 f.
19
) A l b e r t W E I N S H E I M E R , D i e v e r b o t e n e Insel. Zerstörtes u n d B e w a h r t e s auf der
eninsel, D E R T A G E S S P I E G E L , 5. A u g u s t 1949.
20
) K a r l B A E D E K E R . Berlin, 22. A u f l . H a m b u r g 1954, S. 177 — 2 3 . A u f l . F r e i b u r g i. Br.
1964, S. 232. — Fehlt a b e r in d e n ebenfalls ausführlichen P f a u e n i n s e l - K a p i t e l n bei G R I E B E N , B d . 6, M ü n c h e n 1960, S. 138 f.
21
) Zu den Instandsetzungen wurde Borke benötigt und zwar nicht abgestorbene Teile von
Baumrinden, sondern geschälte Rinde von lebenden Bäumen. Diese ließ sich nach längeren
vergeblichen Bemühungen nur aus — Portugal beschaffen. — H . Dr. Herbert SUKOPP vom
Institut für Angewandte Botanik der T U Berlin (Steglitz) teilte im Anschluß an seinen
Vortrag im Botanischen Verein (21. Januar 1967) über „Flora und Vegetation der Pfaueninsel" dem Verfasser freundlichst mit: „Auf dem Kork, der vor einigen Jahren zur
Ausbesserung des Borkenhäuschens . . . importiert wurde, fanden sich nach Beobachtungen
von H . Dr. G R U M M A N N folgende Flechten: Pertusaria amara (Ach.) Nyl., Parmelia
caperata (L.) Ach. var. cyliphora Ach., Ramalina cf. pollinaria (Liljebl.) Ach. — Diese
Arten sind in unserem Gebiet nur als Ephemerophyten (Gäste) zu betrachten. Sie dürften vermutlich einen kalten Winter hier nicht überleben."
102
KunstgeschichtPfau-
Berichte
Unser Adventskränzchen im Ratskeller Schöneberg am 16. Dezember 1966 erfreute sich wie alljährlich einer sehr großen Beteiligung von Mitgliedern und Gästen.
Wenn auch das gesellige Zusammensein bei Kaffee und Kuchen im Vordergrund
stand, so kam auch das heimatgeschichtliche Interesse nicht zu kurz. Herr Horst
Behrend gab in einem mit großem Beifall aufgenommenen Lichtbildervortrag einen
interessanten Oberblick über Leben und Wirken des bekannten Berliner Kupferstechers,
Radierers und Malers Daniel Chodowiecki (1726—1801). Aus Danzig gebürtig,
fühlte er sich ebenso als Pole wie auch als Preuße und Berliner, nachdem er seit seinem siebzehnten Lebensjahr in Berlin heimisch geworden war und in der französischen Refugiesgemeinde eine engere Heimat gefunden hatte. Er behrrschte in gleicher Weise Deutsch wie Polnisch und Französisch. Hervorgehoben seien die 108
Zeichnungen, die in seinem Skizzen-Tagebuch von seiner Reise in das heimatliche
Danzig unter dem Titel „Eine Künstlerfahrt nach Danzig" (1773) enthalten sind.
Die Blätter und Darstellungen, die Chodowiecki im Laufe seines Lebens radiert hat,
belaufen sich auf 2075. Von den berühmtesten Einzeldarstellungen seien erwähnt „Die
Betteljungen", „Die Wachtparade in Potsdam" und „Die Folgen zu Lessings
„Minna von Barnhelm". Der bekannte Berliner Buchhändler und Verleger Friedrich
Nicolai war der erste Sammler von Chodowieckis Blättern. Er besaß den größten
Teil der 1857 von Engelmann beschriebenen Gesamtwerke des Meisters.
L
Lichtbildervortrag: „Altes und Neues Spandau"
Bei der ersten Veranstaltung in diesem Jahre am 24. Januar hielt in Vertretung
des erkrankten Leiters des Spandauer Heimatmuseums H. Joh. Müller H. Kurt Pomplun einen mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag über „Altes und Neues Spandau mit Lichbildern". An der Hand von zahlreichen schwarz-weißen und farbigen
Lichtbildern gab er in seiner lebendigen und humorvollen Weise einen historischen
Überblick über diese älteste Stadt im Berliner Raum, insbesondere über die architektonisch bedeutsamen Baulichkeiten Spandaus, wie die St. Nicolaikirche und die Zitadelle mit Würdigung der maßgeblichen Persönlichkeiten wie des Baumeisters Graf
Rochus zu Lynar. Aber auch das heutige Spandau mit seinen Neubauten kam zu
seinem Recht. Sehr interessierten auch die Aufnahmen von den Hochhäusern auf dem
Falkenhagener Feld.
L
Berliner Biedermeier im Spiegel seiner Zeit
Wieder einmal hat uns unser Mitglied Herbert A d a m am 22. Februar 1967 einen
genußreichen Abend verschafft durch Vorführung seines neuen Farbtonfilms „Berliner
Biedermeier im Spiegel seiner Zeit". In mühevoller, sorgfältiger Arbeit stellt Herr
A d a m seine Filme selbst her. Diesmal hat er aus seiner bekannten umfangreichen
Sammlung von Schriften, Briefen und Dokumenten die für die Biedermeierzeit charakteristischen ausgewählt und diese mit treffenden Bildern, Stichen, Portraits zu
einer filmischen Darstellung vereinigt, die uns das Wesen, die Bauten, die einfache
Lebensführung und die bedeutenden Persönlichkeiten dieser Epoche anschaulich vor
Augen führte.
Wir sahen die Straßen und Plätze des vormärzlichen Berlin, die hervorragenden
Bauten, die Wohnungseinrichtungen in ihrer Einfachheit, die sparsame Lebenshaltung der Familien, kurzum alles, was für das Biedermeier, die Nachfolgezeit des
Empire, bestimmend ist.
103
Von den vielen bedeutenden Persönlichkeiten dieser Zeit zeigte der Film uns
Briefe und Dokumente, so von den beiden bedeutenden Ärzten Hufeland und Heim,
von den Malern Hosemann und Franz Krüger, von dem literarischen Salon der Henriette Herz, der Gattin des bekannten Arztes Marcus Herz, von Caroline von Humboldt, der Gattin Wilhelm von Humboldts, in deren Schloß Tegel sich die geistig
hochstehenden Personen wie von Arnim, Rauch, Schleiermacher, Hardenberg trafen.
In den Abendgesellschaften wurde musiziert und aus der neuesten Literatur vorgelesen, während die Damen sich der Kreuzstich-Stickerei, oft nach Entwürfen von
Schinkel, hingaben. Der Freundschaftkult stand in hoher Blüte. Stammbücher und
Patenbriefe erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit. Die Berliner der Biedermeierzeit
waren ein theaterfreudiges Publikum, die Theater waren immer gefüllt. Henriette
Sonntag, die jöttliche Jette, begeisterte in Rossinis „Italienerin" die Berliner, von
Berlin aus nahm Jenni Lind, „die schwedische Nachtigall", ihren Ruhmeszug durch
die Welt. Hochangesehen war das Ballet; die Geschwister Fanny und Therese Eisler
wurden mit Beifall überschüttet. Carl Maria von Weber's Oper der „Freischütz" war
die erste deutsche Oper, die in dem Schinkelschen Neubau aufgeführt wurde; ihre Melodien, besonders der „Jungfernkranz" wurden bald volkstümlich. Als Dichterin fand
Henriette von Paalzow große Anerkennung und begeisterte mit ihren Romanen den
Kronprinzen Friedrich Wilhelm; in ihrem Haus gegenüber dem Schloß Monbijou
trafen sich alle Persönlichkeiten des geistigen Berlins. Der Journalist Adolf Glasbrenner, in Berlin geboren, schildert unter dem Pseudonym Adolf Brennglas in seinen Schriften „Berlin wie es ist und trinkt" alle Berliner Volkstypen; sein Eckensteher Nante wurde eine stadtbekannte Figur. Viel über Berlin erfährt man aus dem
Schreibkalender eines Berliner Handlungsgehilfen, der alle Geschehnisse sorgfältig
aufzeichnete; über Schleiermachers Predigten in der Dreifaltigkeitskirche, über den
großen Brand der Petrikirche von 1809 und vieles mehr. Stadtbekannte Persönlichkeiten waren der Oberbürgermeister Krausnick, der Buchdrucker und Verleger Ernst
Litfass, der Erfinder der Litfassäule, der Kaufmann Wilhelm Ferdinand Ermeler,
der Baumeister Carl Friedrich Schinkel, der berühmte Gartengestalter Peter Joseph
Lenne, der Bildhauer Drake, der Schöpfer der Viktoria auf der Siegessäule, sowie
der Ingenieur Peter Beuth. Der ausgezeichnete Film gab uns ein eindrucksvolles Bild
von dem Leben und Treiben der damaligen Hauptstadt Berlin. Der große Beifall
zeigte dem Hersteller die Anerkennung der zahlreich erschienenen Zuhörer.
Hs.
Buchbesprechungen
Die Sing-Akademie zu Berlin. Festschrifl zum ij tfäbrigen Besteben, herausgegeben von
Werner Bollert. Berlin: Rembrandt-Verlag 1966. 144 Seiten mit 40 Abb. u. Facsimiles.
DM 19,80.
Nach den Festschriften von Hinrich Lichtenstein (1843), v o n Martin Blumner zum 100jährigen Jubiläum 1891 und von Georg Schünemann zum 150jährigen Jubiläum der SingAkademie 1941 ist nunmehr die vom Berliner Senat und der Notgemeinschaft der Deutschen
Kunst geförderte, reich bebilderte Festschrift von 1966 zu ihrem 175jährigen Geburtstage
erschienen. Wenn auch den Bearbeitern nicht mehr alle von Schünemann noch benützten, durch
den Krieg zugrundegegangenen, primären Quellen zur Verfügung standen, so verfolgt ihre
Arbeit weniger eine historische Aufgabe, als vielmehr den Zweck, „bestimmte Aspekte in den
Vorgrund zu rücken, die den Sinn und zugleich die geistige Bedeutung dieser ehrwürdigen
Gründung von 1791 auch noch für unsere Zeit erhellen sollen."
Nach Geleitworten von Bundespräsident Lübke und des Senators für Wissenschaft und
Kunst, Professor Stein, sowie einem Vorwort des Herausgebers gibt Friedrich Herzfeld unter
dem Titel „Sing-Akademischer Alltag" einen allgemeinen Überblick über die Geschichte dieser
Institution. Bei der großen Bedeutung der Sing-Akademie für das Kulturleben Berlins erscheint es angebracht, hier etwas näher auf ihre Entwicklung einzugehen. Aus kleinsten An-
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fangen gelang es Karl Friedrich Christian Fasch, dem eigentlichen Begründer, im Laufe von
Jahren immer mehr Sangesfreudige für seine Singübungen zu gewinnen. Als diese Singstunden
in das Haus der Frau Gereral-Chirurgus Voitus, Unter den Linden, verlegt wurden, fanden
sich 27 Personen im Frühling 1791 zusammen; der neue Chor ließ sich dann bald zum ersten
Mal in der Marienkirche hören. Der 24. Mai 1791, an dem die Einführung einer ständigen
Präsenzliste beschlossen wurde, gilt seitdem als der Geburtstag der Singvereinigung. Die Liste
enthält im Juni 1796 die Eintragung „Herr van Beethoven, Klavierspieler aus Wien, war so
gefällig, uns eine Fantasie hören zu lassen." Als die Zahl der Sänger auf 43 gestiegen war,
fand man einen geeigneten, wenn auch nicht heizbaren Saal in der Akademie der Künste
Unter den Linden. Nach dem Tode von Fasch wurde der Freund Goethes, Carl Friedrich
Zelter, sein Nachfolger. Unter ihm, der zunächst das Maurerhandwerk erlernt hatte, stieg die
Mitgliederzahl erheblich. Hatte die Sing-Akademie beim Tode von Fasch 147 singende Mitglieder, waren es bei Zelters Tod 359 und zugleich 119 Bewerber im Vorbereitungschor. Zelter
gründete auch die Ripien-Schule (1807) und die Berliner Liedertafel (1809). Im Jahre 1816
erhielt die Sing-Akademie eine Verfassung, deren Neudruck in der Festschrift enthalten ist.
Danach standen an der Spitze neben dem Direktor, der allein für alle künstlerischen Fragen
zu entscheiden hatte, 4 Vorsteherinnen und 4 Vorsteher. Durch Mehrheitsbeschluß wählte sich
der Chor seinen Direktor selber. An diesem Wahlmodus hat sich bis heute nichts geändert,
wenn auch die Verfassung mehrfach geändert und erweitert worden ist, zuletzt 1953. Als das
Akademie-Gebäude 1818 umgebaut wurde, wurde der langersehnte Plan eines eigenen Gebäudes akut. Durch Vermittlung des Geh. Oberfinanzrats Beuth, der selbst Mitglied war, fand sich
als Bauplatz das Gelände hinter dem neuen Wachhause gegenüber der Oper. Der Platz wurde
ihr von Friedrich Wilhelm III. am 27. April 1821 als Schenkung zugesprochen. Zelters Freund
Schinkel, dessen Gattin in der Sing-Akademie mitsang, entwarf dafür einen Plan. Infolge
finanzieller Schwierigkeiten mußte jedoch der Plan Schinkels durch den Braunschweigischen
Hofbaumeister Ottner auf ein tragbares Maß verknappt werden. Erst am 30. Juni 1825
konnte dann der Grundstein gelegt werden. Als Meister seines Handwerks tat Zelter den
ersten Hammerschlag, indem er den Grundstein zu Ehren von Carl Fasch weihte. Nachdem
das Richtfest im November dieses Jahres gefeiert werden konnte, konnte am 8. April 1827 die
feierliche Einweihung erfolgen.
Ein Höhepunkt war die erste Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion, deren Leitung
Zelter dem 20jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy übertragen hatte (1829). Damit begann
zugleich eine Wiederbelebung der Bachschen Werke. Seinem Freund Goethe folgte Zelter bald
in den Tod (15. Mai 1832). Sein Nachfolger war Carl Friedrich Rungenhagen. Zu den Mitgliedern der Sing-Akademie gehörten außer Mendelssohn die Komponisten Meyerbeer und
Nicolai, ferner Schleiermacher für Tenor und Otto von Bismarck für Bass. Dazu trat ein
großer Freundeskreis wie Chamisso, Hegel, Wilhelm von Humboldt, Körner, Rauch, Schadow,
Schiller, Schlegel, Spontini, Carl Maria von Weber und nicht zuletzt war es Goethe selbst
gewesen, der für Zelter so manche Texte verfaßt hatte.
Bald stand die Sing-Akademie neben der Oper an der Spitze des Berliner Musiklebens.
Die finanzielle Not war überwunden. Durch die Gründung des Berliner Philharmonischen
Orchesters entstand 1882 eine konkurrierende Institution, mit dem sich jedoch bald die SingAkademie verband, indem sie es in der nächsten Spielzeit für 12 Konzerte verpflichtete. War
dies für die Philharmoniker eine wertvolle finanzielle Hilfe, so war für die Sing-Akademie
mit diesem hochrangigen Orchester endlich die Not mit den Instrumentalbegleitungen zu
Ende. Durch ihre Konzerteinnahmen trug die Sing-Akademie u. a. auch zum Erwerb des BachHauses in Eisenach bei. Reisen führten sie mehrfach ins Ausland, nach ihrem Beispiel entstanden überall in Deutschland und Europa gemischte Chorgesangs vereine. Ihre höchste Blüte
erreichte sie unter Martin Blumner mit 649 Mitgliedern (1882) sowie während der langen
Amtsführung Georg Scliumanns, der in künstlerischer Hinsicht den Höhepunkt darstellte.
Im Zweiten Weltkrieg wurde ihr Haus im Kastanienwäldchen bei einem der schweren
Luftangriffe im November 1943 aufs schwerste beschädigt, und ihre nach Schlesien verlagerten
Kostbarkeiten gingen zugrunde. Gerettet wurde nur, was im Lichterfelder Haus von Georg
Schumann verwahrt war.
Nach schwierigen Jahren steht der Sing-Akademie heute unter der Leitung von Mathieu
Lange der Chorsaal der „Neuen Philharmonie" zur Verfügung. Unter Langes Leitung fand
dort auch das Festkonzert zur Feier des 175jährigen Bestehens statt mit der Uraufführung der
zu diesem Anlaß komponierten „Musen Siziliens" von Hans Werner Henze. Am 22. September 1963 erfolgte auch eine Neugründung der Sing-Akademie im Ostsektor Berlins im ApolloSaal der Deutschen Staatsoper, deren Direktor Helmut Koch ist.
Verschiedene Aufsätze tragen zur Bereicherung des Buches bei. Davon sei erwähnt Peter
Wackernagels Rückschau auf denkwürdige Aufführungen vergangener Zeit. Friedrich Welter
behandelt ihre Musik-Bibliothek, Wilhelm Bollert die Händelpflege unter Zelter und Rungenhagen, Max F. Schneider die Trauermusik der Sing-Akademie für den in der Schlacht von
Saalfeld gefallenen Prinzen Louis Ferdinand mit drei bisher unveröffentlichten Briefen der
Mutter des Prinzen an Zelter. Cornelia Auerbach-Schröder würdigt die Frauen, die in
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der Geschichte der Sing-Akademie eine Rolle gespielt haben, wie Juliane Pappritz, eine
jüngere Schwester der Frau Voitus und die Frau Zelters oder Constanze Blanck und Friederike Koch, die beide das seltene Fest der fünfzigjährigen Mitgliedschaft feiern konnten, ferner
die Töchter des Justizrats Sebald, Amalie und Auguste, Henriette Rosenstiel, die spätere Frau
Schadows und Lilly Parthey oder Anna Milder, Beethovens erste Leonore.
Das Wirken nach 1945 unter ihrem heutigen Dirigenten Mathieu Lange behandelt Erwin
Kroll in einem besonderen Abschnitt. Angeschlossen sind dem Buche eine Zusammenstellung
der Hauptdaten aus ihrer Geschichte, Verzeichnisse der Vorsteher und Vorsteherinnen, der
Veranstaltungen zu so manchen wohltätigen Zwecken sowie aller öffentlich aufgeführten
Werke. Ein vorzügliches, mit allen noch zugänglichen Quellen bearbeitetes Buch, das auch in
der Zukunft von der historischen Bedeutung Berlins als Musikstadt zeugen wird.
J. Lachmann
Klaus Schultzenstein: Berlin seit der Zeit Albrechts des Bären. Eigen-Verlag des Verfassers.
Berlin 1966. 54 S. 8 Abb. br. DM 5,—.
Die neuen Ausgrabungsfunde in der Nikolai-Kirche gaben dem Verfasser Veranlassung
diese Befunde genau zu analysieren und die bisherige Gründungsgeschichte Berlins zu überprüfen. Er ist dabei sehr genau vorgegangen und hat auch die einschlägige Literatur auf
das sorgfältigste studiert. Seine Ausführungen sind überzeugend und seine Annahme, daß
die Nikolai-Kirche mit den sie ringförmig umschließenden Häusern das Gründungszentrum des
alten Berlin war, erscheint bewiesen. Danach fällt die Gründung Berlins in einen weit
früheren Zeitraum als bisher angenommen, etwa in das Jahr 1140. Die Berlin-Forscher werden nicht umhin können, sich mit den Forschungen und Schlußfolgerungen des Verfassers zu
beschäftigen und ihnen eine gebührende Achtung zu schenken.
B. Harms
Karl Baedeker, Berlin, Reisehandbuch 24. Aufl. 380 S. mit 27 Karten und Plänen und
137 Zeichnungen. Karl Baedeker Verlag, Freiburg 1966, Gzln. DM 21,50.
Bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen der 23. Auflage war die Ausgabe einer neuen
Auflage notwendig, gewiß ein Zeichen für die Güte und Beliebtheit des Buches. In der Tat
gibt es wohl kein Buch, was uns mit der Gestaltung, den Sehenswürdigkeiten und den
historischen Begebenheiten unserer Stadt besser vertraut macht, als der Baedeker. Unser
Freund P o m p 1 u n, der für die Herausgabe dieser wie der vorigen Auflage zeichnet, hat unter
Mitwirkung von Dr. Ilse Wolff, der Leiterin des Verkehrsamtes, den Text neu gefaßt und
alles, was über die Stadt zu sagen ist, nach dem gegenwärtigen Zustand zusammengetragen
und hinsichtlich einer Stadtbeschreibung eine mustergültige Arbeit geleistet. Diese Arbeit bezieht sich nicht nur auf den westlichen Teil unserer Heimatstadt, sondern auch auf den
östlichen, der uns Westberlinern nicht mehr zugänglich ist. Aber für die Ausländer und die
Bürger aus der Bundesrepublik, die Berlin besuchen, ist auch die Beschreibung dieses Teils
von Berlin wichtig und interessant. Für uns alte Berliner bietet seine Lektüre ein wehmütiges
Versinken in Erinnerungen einer vergangenen Zeit. Das Buch enthält mehr als ein bloßer
Städteführer; durch das sorgfältige Eingehen auf die historischen Ereignisse und die liebevolle Schilderung der Sehenswürdigkeiten in den einzelnen Bezirken ist dieser neue Baedeker zu einem Buch der Freude und der Besinnung geworden. Die 25. Jubiläumsauflage wird
gewiß nicht lange auf sich warten lassen.
B. Harms
Werner Vogel, Führer durch die Geschichte Berlins. 200 Seiten mit 40 Abbildungen, Rembrandt Verlag Berlin 1966. Gzln. DM 9,80.
Mit seinem „Führer durch die Geschichte Berlins" hat der Verf. den Freunden der Berliner Geschichte einen ganz ausgezeichneten Leitfaden der Berliner Geschichte übergeben, wie
er bisher nicht vorhanden, aber dringend notwendig war. Ausgestattet mit einer umfassenden Kenntnis der Berliner Geschichte und einer großen Belesenheit schildert der Verf. die
geschichtliche Entwicklung Berlins auf allen Gebieten von den ersten Anfängen an bis auf
die gegenwärtige Zeit. Dabei legt er, besonders was die Frühgeschichte betrifft, die neuesten
Forschungsergebnisse auf Grund der Ausgrabungsbefunde in der St. Nikolai-Kirche, der
ältesten Kirche Berlins, zu Grunde und widerlegt die so weit verbreitete Annahme, daß
Berlin aus einem Fischerdorf hervorgegangen sei. Tatsache ist, daß das älteste Berlin eine
Handelsniederlassung an einer günstigen Verkehrskreuzung und an einem ebensolchen Flußübergang war. Was Verf. über den Berliner Raum vor der Stadtentstehung sagt, ist überzeugend ebenso wie seine Ausführungen über die Gründung und den Aufstieg Berlins im
Mittelalter. Aber auch die nächsten Abschnitte „Berlin unter den Kurfürsten", „Berlin wird
Königliche Residenz", „Hauptstadt des Kaiserreiches" und „Von der Bildung Großberlins
bis zur Spaltung der Stadt" fesseln uns durch die Exaktheit der Darstellung und die Klarheit und Flüssigkeit der Sprache. Man liest das Buch mit Genuß und kann viel aus ihm lernen; denn, wie gesagt, behandelt Verf. nicht nur die Entstehung Berlins, sondern berück-
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sichtigt alle bemerkenswerten Gebiete seiner Geschichte, das Bauwesen, die Literatur, die
Kunst, die Musik, die Wissenschaften u. a. m. Vogels Führer ist eine ausgezeichnete Schrift,
ein Muster einer kurzen, doch umfassenden Geschichtsschreibung. Jeder Berliner, der Sinn
und Interesse für die Geschichte seiner Stadt hat, müßte es besitzen und würde es immer
wieder zur Hand nehmen, um neue Kenntnisse daraus zu entnehmen und alte aufzufrischen.
Einige kleine Mängel, die bei einer gewiß bald fälligen Neuauflage zu berücksichtigen
wären, sind das Fehlen eines Inhaltsverzeichnisses und eines Registers; auch wäre es wohl
zweckmäßig, die langen Abschnitte in kürzere Kapitel aufzuteilen. Aber diese kleinen Beanstandungen setzen den Wert des Buches nicht herab.
B. Harms
Fred Hildenbrandt:
. . . ich soll dich grüßen von Berlin. 1922—1932. Berliner Erinnerungen ganz und gar unpolitisch. Post mortem herausgegeben von zwei Freunden. München,
Ehrenwirth Verlag 1966. 266 S., D M 16,80.
Fred Hildenbrandt, in den zwanziger Jahren Chef des Feuilletons bei Theodor Wolff
am „Berliner Tageblatt", Schriftsteller und Filmautor, veranschaulicht treffend in unterhaltenden, netten kleinen Essays die künstlerische Glanzzeit Berlins in den „goldenen" zwanziger Jahren. Am Leser ziehen Schilderungen denkwürdiger Begegnungen mit berühmten
und populären Persönlichkeiten dieser Epoche vorüber. Erwähnt seien Alfred Kerr, der
König der Kritiker, Fürstin Mechthild Lidinowsky, Ringelnatz, das Ehepaar Henny Porten
und Dr. v. Kaufmann, Marlene Dietrich und der Salon der Betty Stern, Renate Müller,
das Monstrum Heinrich George, Richard Tauber, Lilian Harvey, Max Reinhardt und Helene Thimig, Klabund und Carola Neher, die Palucca, Mary Wigman und Pater Muckermann, Hans Albers, Valeska Gert oder Greta Garbo. Alles in der Berliner Kulturgeschichte
unvergeßliche Namen aus einer unvergeßlichen Zeit. Nicht nur die jene Glanzzeit miterlebt
haben, jeder wird seine Freude an der Lektüre dieses amüsanten Buches haben. Man kann
den ungenannten Freunden des Verfassers für dieses schöne Geschenk dankbar sein, das sie
mit der Edition dieser Aufzeichnungen uns allen gemacht haben.
J. Lachmann
Karl Heinz Katsch: Berlin. Struktur und Entwicklung. Stuttgart: W.Kohlhammer Verlag
und Dt. Gemeindeverlag 1966. X I I u. 202 Seiten sowie 21 Schaubilder (Zahl + Leben,
herausgeg. v. Klaus Szameitat, Heft 5) DM 28,—.
Von allen deutschen Großstädten hat Berlin die Nachwirkungen des zweiten Weltkrieges am meisten zu spüren bekommen. Auf der Grundlage der Statistik zeigt der Verfasser, Direktor des Statistischen Landesamtes Berlin, wie die Stadt trotz aller durch ihre
isolierte Lage bedingten Schwierigkeiten im letzten Jahrzehnt dank ihrer Leistungen vorangekommen ist und vor welchen strukturellen Problemen und Aufgaben Berlin im Vergleich
zu anderen Großstädten steht. Das Buch beginnt mit einer graphischen Darstellung, die demonstriert, daß München, Frankfurt und Stuttgart zusammen nicht den Flächeninhalt Berlins erreichen. In sieben Abschnitten sind die Ausführungen aufgegliedert: die Weltstadt
— Lage und Ausschau —, das kirchliche Leben, die Erwerbstätigkeit, die Wirtschaft und
ihre Bereiche, Gesundheitswesen, Unterricht, Kultur, Kriminalität. Ein achter Abschnitt bietet Pläne für die Zukunft. Der Anhang bringt 165 Tabellen. Ein streng sachlich gehaltenes,
auf Grund zuverlässiger statistischer Forschungen bearbeitetes Buch, das allen Interessierten
eingehende Auskunft gibt.
J. Lachmann
Georg Nowottnik:
Humor um Berliner Gelehrte. Berlin, Duncker & Humblott 1966.
261 S. mit Bildern. DM 15,60.
Eine amüsante Lektüre, die manchen Spaß machen dürfte, stellen die Anekdoten und
hurmorvollen Histörchen um Berliner Gelehrte dar, die der Verfasser eingefangen hat. Sie
stammen aus der Biedermeierzeit, in der man daran Vergnügen hatte, und aus den ersten
Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, in denen die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität besonders reich an wissenschaftlicher Prominenz gewesen ist. Alle Fachdisziplinen sind vertreten: Philosophen und Pädagogen von Fichte bis Spranger, Theologen von Schleiermacher
über Harnack bis zu Dibelius und Weskamp, Philologen von den Gebrüdern Grimm bis zu
Erich Schmidt und Wilamowitz-Möllendorff, Historiker von Curtius bis zu Ranke und
Meinecke, der Kunsthistoriker Bode, Naturwissenschaftler und Mathematiker von Alexander von Humboldt bis zu Planck und Einstein, Volkswirtschaftler von Thaer bis zu Schmoller und Sombart, Juristen von Savigny bis zu Brunner und Stammler sowie Mediziner von
Heim, Hufeland und Graefe bis zu Virchow, Bergmann und Sauerbruch, um nur einige Namen zu nennen. Die Anekdoten entsprechen — wenn auch oft zweifelhaft, ob sie wahr
sind — doch im Ganzen der Wesensart der betreffenden Gelehrten, denen man sie in den
Mund gelegt hat. Und das ist es ja, was man von einer Anekdote verlangt.
J. Lachmann
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Jaques Hartz: Sehnsucht nach Berlin. Ein Bildband. Mit Einführung von Marianne
Eichholz sowie Beiträgen von Wolf gang Neuß und Wolf Biermann. Hamburg: Marion von
Schröder Verlag 1966. 350 Abbildungen mit Text. DM 24,80.
Nicht, wie der Titel lautet, Sehnsucht nach Berlin, sondern Berlin, wie es wirklich
heute ist, würde den Inhalt des Bilderbandes zutreffender charakterisieren. Denn in den Bildern zieht das Leben der Stadt in West und Ost an uns vorüber mit all seinen Licht- und
Schattenseiten. Sie führen uns zu den kulturellen Stätten, Museen, Theater und Film, zu den
Baudenkmälern, in das Leben und Treiben der Weltstadt bei Tag und bei Nacht mit den
verschiedensten, durch die Zeit geprägten Situationen und sozialen Nöten in West und Ost.
Ein reichhaltiges Bilderwerk, das mit viel Umsicht zusammengestellt ist.
J. Lachmann
Kleine Mitteilungen
Herr Architekt Walter Michaelis, Berlin-Wilmersdorf, feierte am 12. Januar d. J. die
Vollendung seines 80. Lebensjahres. Der Vorsitzende des Vereins, Herr Professor Dr.B.Harms,
übermittelte unserem Mitglied, der an unseren Arbeiten lebhaften Anteil nimmt und regelmäßiger Besucher unserer Veranstaltungen ist, die Glückwünsche des Vereins.
Unser Vorstandsmitglied, Herr Architekt Walter Jarchow, konnte am 26. Januar d. J.
gleichfalls auf die Vollendung seines 80. Lebensjahres zurückblicken. Mit den Glückwünschen
des Vorstandes verband der Vorsitzende den Dank des Vereins für die bisherige Mitarbeit
und tatkräftige Förderung der Vereinsaufgaben. Herr Jarchow ist neben seiner sonstigen
ehrenamtlichen Tätigkeit Mitglied der „Schinkel-Komission" in Berlin, der die alljährliche
Verleihung des Schinkelpreises in Deutschland obliegt. Anläßlich des 80. Geburtstages wurde
ihm die Ehrenmitgliedschaft des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Berlin verliehen.
Die „Berliner Liedertafel", begründet im Jahre 1809 von Zelter, unternimmt vom 9. bis
23. Mai eine Konzertreise nach den USA, wo sie 5 Konzerte geben wird. Die Berliner Liedertafel steht mit dem Verein für die Geschichte Berlins im Schriftenaustausch und freundschaftlicher Zusammenarbeit.
Veranstaltungen im IL Vierteljahr 1967
1. Jahreshauptversammlung.
Die diesjährige ordentliche Mitgliederversammlung
findet am Dienstag, dem 25. April 1967 um 19.30 im Ratskeller Schöneberg
statt. Von einem Vortrag wird an diesem Abend abgesehen. Einladungen ergehen besonders.
2. Am Donnerstag, dem 11. Mai 1967, 9.30 Uhr, Besichtigung der Betriebsanlagen der Meierei Bolle, Alt Moabit 98/104, mit anschließendem Vortrag. Treffpunkt im Vorraum des Verwaltungsgebäudes Alt Moabit Nr. 98. Anmeldungen
schriftlich oder telefonisch bis zum 5. Mai 1967 an Frau Gertrud Doht, Berlin 62, Grunewaldstraße 64 (Tel.: 71 15 60).
3. Am Dienstag, dem 23. Mai 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Oberbaurat Dipl.-Ing. Konwiarz über:
„Probleme der Stadtbildpflege in Berlin."
4. Am Dienstag, dem 6. Juni 1967, vormittags 10.00 Uhr Besichtigung der Staatlichen Porzellanmanufaktur Berlin, Berlin 12, Wegely Str. 1, mit Vortrag über
„Geschichte und Entwicklung der Staatlichen Porzellanmanufaktur". Anmeldungen schriftlich oder telefonisch bis zum 1. Juni 1967 an Frau Gertrud Doht,
Berlin 62, Grunewaldstraße 64 (Tel. 71 15 60).
5. Am Dienstag, dem 20. Juni 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
über „Philipp Pfaff, Hofzahnarzt Friedrichs des Großen, und Pierre Baillif,
Leibzahnarzt Friedrich Wilhelms III.
Gäste zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg, Saal 139 sind herzlich willkommen. Anschließend jeweilig geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beitrage für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin.
Fachabt der Berliner Stadtbibliothek
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 9
1. Juli 1967
A 20377 F
Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins
Vorsitzender: Prof.Dr.Dr. W.Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61,Ruf: 392490
Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charlottenburg), Straße des 17. Juni 112. Zimmer 147
Zahlungen erbeten auf das Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80, 1 Berlin 21
Zeichnung: Joseph SchmeHcr 1825
tDtlbdm von ^umbolbt
J767-I835
Wilhelm von Humboldt und Berlin
Zum 200. Geburtstage
Die 200. Wiederkehr des Gebunstages Wilhelm von Humboldts am 22. Juni 1967
ist auch für unseren Verein verpflichtender Anlaß, einmal die engen Lebens- und
Arbeitsbeziehungen dieses bedeutenden Staatsmannes und vielseitigsten Gelehrten der
Wende des 18. zum 19. Jahrhundert zu unserer Stadt in Erinnerung zu bringen.
Der spätere Schloßherr von Tegel wurde zwar in Potsdam geboren (sein Bruder
Alexander 1769 in Berlin im Colombschen Hause Jägerstr. 22),1) aber dem Vater,
dem preuß. Major a. D. und Kammerherrn Alexander Georg von Humboldt
(1720—1779) hatte seine Gattin Marie-Elisabeth Colomb, verwitwete von Holwede,
das Schloßgut Tegel in die Ehe eingebracht; die Eltern bezogen es 1769 für den
größten Teil des Jahres, und hier verlebten die Söhne ihre Jugendjahre.
Von den Hauslehrern ist der spätere Staatsrat Gottlob Johann Christian Kunth
(1757—1829) zu erwähnen, der 1777—1789 den Brüdern erste Bildungsgrundlagen
vermittelte, und der seit 1830 im Park von Tegel ruht. Eigenarbeit und Universitätsstudien in Frankfurt (Oder) und Göttingen (Rechts-, Staats- und Altertumswissenschaften) gaben Wilhelm die Basis für sein Wirken an hervorragenden Stellen des
Innen- und Außendienstes seines Landes, von denen er immer wieder nach Tegel
zurückkehrte. In den „Salons" des Berlins der Aufklärung und im „Tugendbund" —
hier lernte Wilhelm die künftige Gattin Caroline von Dacheröden kennen — war der
aussichtsreiche junge Jurist ein auch literarisch lernbegieriger Gesellschafter. Nach
einigen Bildungsreisen ins Ausland arbeitete er 1790—1791 als Referendar am Berliner
Kammergericht, schied aber als Assessor aus dem Staatdienst aus und lebte nun wissenschaftlichen Arbeiten auf den Gütern seiner Frau bei Mansfeld und in Thüringen,
dann in Jena selbst, wo er seit 1794 enge freundschaftliche Beziehungen zu Schiller,
Goethe und ihrem Kreise gewann.
Auf erste staatspolitische Veröffentlichungen2) folgten nach Reisen (Spanien und
Paris) sprachkundliche Studien im Tegeler Hause, das seit 1802 Alleinbesitz Wilhelms
war, nachdem Alexander bei der Erbteilung 22 000 Taler erhalten und u. a. damit
seine südamerikanischen Forschungsreisen bestritt, die ihn zum anerkanntesten Naturforscher seiner Zeit machten. — Ende 1802 übernahm Wilhelm die Vertretung
Preußens beim Heiligen Stuhl, die er bis 1808 wahrnahm. Neben dieser Wirksamkeit
in Rom, die durch die Zeitverhältnisse (territoriale Veränderungen in Deutschland
nach 1803) von besonderer Bedeutung war, erwarb er als Kunstsammler jene Antiken,
von denen ein Teil noch heute Schloß Tegel schmückt, und bestellte bei Thorwaldsen
die Statue der „Hoffnung" für die Familienruhestätte im Park. 1809 berief der Freiherr vom Stein den preußischen Gesandten zum Leiter der Kultus- und Unterrichtsabteilung ins Innenministerium. Auch hier leistete der Gelehrte und Vexwaltungsmann
Außerordentliches: „Humboldts größte Tat ist die Gründung der Universität Berlin"
(Spranger).3) Unter den Linden haben seit 1883 die Denkmäler der Brüder
ihren Platz: die Statue Wilhelms von Paul Otto, die Alexanders von Reinhold Begas.
Die Universität trägt heute den Namen der Humboldts. — Daneben liefen seine
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Arbeiten zur Schulreform, bei der den Berliner Gymnasien seine besondere Liebe
galt: Humboldt ist der Schöpfer des neuhumanistischen Gymnasiums, und so trägt
auch das viertälteste Gymnasium Berlins seinen Namen. — Diese ministerielle Tätigkeit, zunächst in Königsberg, dann in Berlin selbst, erfolgte wohlgemerkt nicht
draußen in Tegel: im Herbst und Winter wohnten Wilhelm, Caroline und die Kinder
in ihrem Stadthause, Behren- Ecke Charlottenstraße, „später sehr vornehm eine
Treppe hoch am Gendarmenmarkt, Französische Straße 42" (Rave).1)
An diplomatische Missionen in Wien, auf dem Pariser Friedenskongreß, auf dem
Wiener Kongreß (1814—1815) und in London schloß sich 1819 sein Ministeramt
unter dem Staatskanzler Hardenberg an: von Jugend auf von liberalen Gedanken,
einer „Humanitätsidee", getragen und der Förderung und Eigenentwicklung des
Individuums, suchte Humboldt auch jetzt nach einer f r e i h e i t l i c h e n Lösung
der Verfassungsfrage, lehnte daher den Entwurf des Kanzlers ab und stellte sich auch
gegen die Pressebeschränkung durch die rückschrittlichen Karlsbader Beschlüsse. So
kam es zum 31. Dezember 1819 erneut zu seiner Entlassung aus dem Staatsdienst.
Wirtschaftlich unabhängig — er verzichtete sogar auf die Ministerpension —
hatte er nun jenes „otium cum dignitate" für seine Forschungen: dem Schlößchen in
Tegel, aus dem Weingut eines kurfürstlichen Hofsekretärs des 16. Jahrhunderts
entstanden, ließ er 1822—1824 durch Carl Friedrich Schinkel im klassizistischen
Stil die heutige Form geben; hier fanden nun endlich die römischen Antiken, Abgüsse
und Gemälde ihren Platz, die das Ehepaar 20 Jahre zuvor gesammelt hatte, im
Atrium auch die Brunnenmündung aus der Kirche San Calisto in Trastevere 4 ), hier
wurden seine sprachgeschichtlichen Studien fortgesetzt, und bis zum Tode seiner Gattin
(1829) war auch das Tegeler Buonretiro ein gesellschaftlicher Mittelpunkt für Künstler, Wissenschaftler und Staatsmänner, wie es sein Haus in Rom gewesen war. —
Doch nicht nur den eigenen Kunstschätzen, die er vom Tiber zum Tegelsee verpflanzt hatte, galt seine Betreuung: er übernahm 1830 den Vorsitz der Kommission
für den Bau des (Alten) Museums im Lustgarten. Der Gegensatz zu seinem Bruder
Alexander, der stärker auf publicity bedacht war, zeigte sich in einer kritischen
Stimme des damaligen Berlin:
Varnhagen schrieb am 23. Februar 1830 an Goethe:5)
„Von Berlin mochte ich gern manches Bemerkenswerte und Erfreuliche hier anfügen . . .
Mit Herrn Alexander von Humboldt ist ein stärkerer Wellenschlag in die Flut der gebildetvornehmen Welt zurückgekehrt. Der Herr Minister von Humboldt brütet dagegen in der Winterruhe zu Tegel über eigenen Studienaufgaben; die von ihm geräus&los geleitete Einriditung
unserer Kunsthallen ist inzwischen rasch vorgesdiritten, und zum Frühjahr dürften diese
Schätze, mit deren Eröffnung für Berlin eine neue Lebensepoche anhebt, allgemein zu sehen
sein." . . .
Seinen Musen- und Alterssitz verließ Wilhelm von Humboldt nur noch selten;
täglich ging er zum Grabe der Gattin über die langgestreckte Wiese im Park, dessen
Gestaltung ihm stets ein Anliegen gewesen war. „Die Liberalität des Besitzers hat den
freien Eintritt in den Garten gestattet, dessen mannigfaltige Spaziergänge die schönsten
Punkte für den Genuß der Landschaft berühren", schrieb Schinkel in der Erläuterung
seines Bauplans 1824.1) — Durch den Tod Carolines vereinsamt, in den letzten
Jahren kränkelnd, starb Wilhelm am 8. April 1835 und wurde im Park beigesetzt,
zu Füßen des jetzt bewaldeten, einstigen Weinbergs, an den sich auch das Grab des
Hauslehrers Kunth lehnt, mit der Inschrift:
Grata quiescentem cultorem arbusta loquuntur ( = Dankbare Baumgärten sprechen von
dem hier ruhenden Pfleger).
111
Auch unsere Zeit hat den Brüdern Humboldt — und zwar unabhängig von
ihren Centenar-Feiern — mannigfache Ehrungen bezeigt, die augenfälligste: die
40-Pfg.-Sonderbriefmarke der Deutschen Post Berlin mit dem Portrait Wilhelms. Die
Deutsche Bundesbank bereitet Prägung eines 5-Markstückes mit den Bildnissen der
Gebrüder vor.
pappenheim
Dr Hans
') Paul Ortwin Rave, Wilhelm von Humboldt und das Schloß zu Tegel, Leipzig 1950, Berlin
1956.
) Jüngste Auswahl der Schriften von Wilhelm von Humboldt, eingeleitet von Walter Flemmer. (Goldmanns Gelbe Tasdienbücher, Band 1492/93) München 1964.
3
) Eduard Spranger, Wilhelm von Humboldt und die Reform des Bildungswesens, Tübingen
1960.
4
) Hans Pappenheim, Wilhelm von Humboldts „Brunnen des Calixtus", Die Antike, Zeitschrift für Kunst und Kultur des klassischen Altertums, Berlin 1940, 16, S. 227—242.
3
) Erna Arnhold. Goethes Berliner Beziehungen. Gotha 1925, S. 345.
2
Berliner Verkehrsprobleme vor 75 Jahren
von Arne Hengsbach
Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts, in dem Berlin Weltstadt wurde und von
964 000 auf 1 885 000 Einwohner anwuchs, ließ zum ersten Male die Probleme des
Straßenverkehrs in den Gesichtskreis der Zeitgenossen treten. Noch in den sechziger
Jahren lagen die meisten Straßen Berlins ziemlich still und leer da. Nur Droschken,
Roll- oder Lieferwagen und Omnibusse rumpelten hin und wieder über das Kopfsteinpflaster. Straßen mit lebhafterem Verkehr waren allenfalls der Mühlendamm
und die Königstraße, die 1868 in den 13 Stunden von 7 bis 20 Uhr in beiden
Richtungen von 4930 bzw. 4350 Wagen befahren wurden. Die Königstraße war
damals die „Hauptschlagader des Gesamtverkehrs", nach der Schilderung von Isidor
Kastan herrschte zu gewissen Tageszeiten „hier ein sinnverwirrendes Treiben. Hochbeladene Lastwagen aller Art rollten dann in dicht aufeinander gedrängten Reihen
über das entsetzliche Pflaster . . .* Auch Felix Philippi erinnert sich, daß dort in der
Königstraße die Rollwagen der großen Manufakturwarenhäuser über das nicht ganz
einwandfreie Pflaster „knatterten" und dem großen Posthof zustrebten.
Etwa 20 Jahre später hatte sich das, von Ausnahmen abgesehen, sehr geruhsame
Straßenbild erheblich verändert. Zu den Fracht- und Lieferwagen, den Droschken
und den doppelstöckigen Pferdeomnibussen waren die Pferdebahnen getreten. Dieses
Verkehrsmittel beherrschte jetzt in zunehmendem Maße die Straßenzüge der Kernstadt und gab dem Stadtbild seine besondere Prägung: Berlin war eine Straßenbahnstadt geworden. Die vielen Wagen der Pferdebahnen, die auf dem engmaschigen,
allmählich auf fast 40 km Länge angewachsenen innerstädtischen Netz unablässig
hin- und herfuhren, sich kreuzten, zu langen Ketten vereinigten und wieder trennten,
brachten eine außerordentliche Verdichtung im Straßenverkehr. Dazu einige statistische
Angaben, die allerdings in den Einzelheiten z. T. widersprüchlich sind, was seinen
Grund in den abweichenden Zählzeiten und der ungenauen Aufbereitung des
Materials haben mag.
Außerordentlich schnell entwickelte sich der Pferdebahnverkehr in der Leipziger
Straße. Auf der 1880 dem Verkehr übergebenen, 1700 m langen Strecke zwischen
Spittelmarkt und Potsdamer Platz, die in etwa 10 Minuten durchmessen wurde,
fuhren im Jahre 1881 im Tagesdurchschnitt etwa 900 Wagen, im Sommer 1882
waren es bereits ca. 1760; an der Kreuzung der Leipziger mit der Charlottenstraße,
die ebenfalls mit mehreren Linien besetzt war, verkehrten im Jahre 1882 etwa 3250
1 12
Wagen, die Kreuzung wurde alle 18 Sekunden von einem Wagen berührt. Nach einer
Aufstellung aus dem Jahre 1887 wurde für die erwähnte Kreuzung wiederum die
Belastung von 3250 Wagen angegeben, an zweiter Stelle stand der Spittelmarkt, über
den alle 21 Sekunden ein Wagen fuhr, am Tage passierten ihn rund 2750 Wagen.
An dritter Stelle folgte der Potsdamer Platz, wo sich die Wagen in 22 Sekunden
Abstand folgten, was einer täglichen Belastung von rund 2600 Wagen entspricht.
Eine Zeitungsnachricht vom 1. 5. 1888 bringt abweichende Werte: „Der am
stärksten in Anspruch genommene Pferdebahnknotenpunkt in Berlin ist seit der Durchlegung der Linien über den Mühlendamm der Molkenmarkt. Dieser kleine Platz wird
täglich von 2780 Pferdebahnwagen berührt. Die nächstgrößere Strecke des Verkehrs
findet an der Ecke der Leipziger- und Charlottenstraße statt. Dort kreuzen sich
10 Pferdebahnlinien. Täglich wird diese Stelle von 2736 Wagen passiert. Ziemlich
gleich stark ist der Verkehr auf dem Spittelmarkt, wo 12 verschiedene Linien ihren
Berührungspunkt haben und 2619 Wagen verkehren. Der Potsdamer Platz wird von
8 Linien mit täglich 2367 Wagen durchschnitten . . ." Im Jahre 1889 wurden als tägliche
Belastung im Durchschnitt für den Potsdamer Platz 3311, die Kreuzung CharlottenLeipziger Straße 3840 und den Spittelmarkt 3616 Pferdebahnwagen errechnet.
In den neunziger Jahren nahm die Verkehrsdichte weiter zu, 1895 z. B. verkehrten auf dem Potsdamer Platz in der Stunde 244, mithin am Tage rund 4000
Wagen, auf dem Mühlendamm 204 Wagen pro Stunde oder rund 3300 am Tage,
während die Leipziger Straße zwischen Spittelmarkt und Jerusalemer Straße eine
Frequenz von 172 Wagen in der Stunde = 2800 am Tage aufwies.
Der Berliner Polizeipräsident hatte in seinem Verwaltungsbericht für die Jahre
1871 bis 1880 gesagt: „Die Nachteile, welche durch den Betrieb der Pferdebahnen
verursacht werden, insbesondere die Verengung der Fahrstraßen für das andere Straßenfuhrwerk und die Beschädigungen, welche die Pferdebahnwagen hin und wieder
anderen Wagen . .. verursachen, können gegenüber den vielen Vorteilen derselben nicht
in Betracht kommen . . . Jedenfalls haben die Pferdebahnen wesentlich zur Regelung
des Fahrverkehrs auf den Straßen, insbesondere zur Befolgung der Vorschriften des
Rechtsfahrens beigetragen. Sehr bedeutend ist durch sie auch der Verkehr der Hauptstraßen entlastet worden, indem sie die gleichzeitige Beförderung zahlreicher Personen bewirken, die sich sonst vieler Droschken bedient haben würden". Zehn Jahre
später, nach dem Ausbau des Pferdebahnnetzes, hatte der Polizeipräsident seine Ansichten schon geändert. In dem Berichte für die Jahre 1881 bis 1890 heißt es: „Gegenüber der Tatsache, daß die schnelle Aufeinanderfolge der Pferdebahnwagen, insbesondere auf den Kreuzungspunkten der Hauptverkehrsstraßen ohne Schädigung der Bequemlichkeit und Sicherheit des übrigen Wagenverkehrs nur bis zu einer gewissen
Grenze durchführbar sein wird,. .. werden sich die Pferdebahn-Gesellschaften fernerhin der Erkenntnis nicht verschließen können, daß in nicht allzu ferner Zukunft an
Stelle der Pferde vielleicht Elektrizität in den Dienst des öffentlichen Fuhrwesens wird
gestellt werden müssen, um den Raum, den die Wagen mit Gespann jetzt einnehmen,
möglichst verringern zu können".
In einem Aufsatz über „Berlins Verkehrsentwicklung", der am 20. 7. 1889 in der
Vossischen Zeitung erschien, wurden weitere Argumente gegen die Pferdebahn gebracht: „Wir wollen den Verwaltungen unserer Pferdebahnen nicht zu nahe treten
und erkennen willig an, daß ihre Wagen wenig zu wünschen übrig lassen, daß dieselben verhältnismäßig rascher (9 Kilomtr. in der Stunde) fahren, als z. B. die Pariser,
daß der Betrieb sich mit der erforderlichen Pünktlichkeit vollzieht, solange nicht etwa
113
ein Rollwagen auf dem Gleise die Achse bricht oder eine Brücke aufgezogen wird . . .
Es wird ein noch so vorzüglich geleitetes Pferdebahnnetz niemals den Anforderungen
an den Verkehr in einer Weltstadt genügen. Die Wagen fassen höchstens 30 Personen . . ., sie sind Sonntags und zu gewissen Tagesstunden der Woche derart überfüllt,
daß an ein Mitkommen auf Zwischenstationen nicht zu denken ist, es genügt, wie gesagt, das geringste Hindernis auf dem Gleise, um den Verkehr einer Linie in die
größte Unordnung zu bringen . .." Pferde als Zugmittel hätten sich vollständig überlebt, diese Wahrnehmung dränge sich jedem, der diese Dinge in Amerika verfolge, auf,
dort werde die Elektrizität in kurzer Zeit die Erbschaft des Vierfüßlers antreten.
„Pferde werden die erforderliche Geschwindigkeit von 12 — 15 km in der Stunde nie
erreichen, sie nehmen einen großen Raum vor dem Wagen ein, beschmutzen die Straßen, fallen durch ihr Getrampel lästig und . . . sie kommen um 30 — 40 Prozent teurer zu stehen als der mechanische Betrieb." Und schließlich sei aus den Erläuterungen,
die die Firma Siemens & Halske im Jahre 1892 zu ihren Schnellbahnprojekten gab,
zitiert: „Die in Berlin für den Stadtverkehr zur Verfügung stehenden Bahnen (Stadtbahn und Pferdebahnen) genügen schon heute nicht mehr den Anforderungen, welcher
der in gewaltiger Fortenwicklung begriffene Stadtverkehr zu gewissen Tageszeiten und
an einzelnen Tagen stellt. . . Andererseits machen die Behinderungen, welche durch die
Pferdebahnwagen, besonders an den Straßenkreuzungen, dem Fuhrwerk- und Fußgängerverkehr erwachsen, sich nicht selten schon unangenehm bemerkbar."
Zweierlei bemängelten also die Zeitgenossen: Die Unzulänglichkeit der Pferdebahnen an sich und die Beeinträchtigung des übrigen Straßenverkehrs durch die Pfer-,
debahnen bzw. umgekehrt die Behinderung des Bahnbetriebes durch die anderen Fahrzeuge, z. B. durch langsam auf den Schienen dahin fahrende Lastwagen. Indes hielten
sich diese gegenseitigen Störungen immer noch in verhältnismäßig erträglichen Grenzen, die meisten der Berliner Straßen waren trotz des riesigen Pferdebahnverkehrs
noch nicht voll ausgelastet. Die Struktur des Stadtverkehrs jener Zeit kann mit unseren heutigen Verhältnissen kaum verglichen werden. Einen Individualverkehr gab es
kaum in Ansätzen, nur die öffentlichen Verkehrsmittel, Pferdebahnen, Pferdeomnibusse und Tausende von Droschken, dazu die Liefer- und Frachtwagen verschiedenster
Typen und Größen belebten die Straßen.
Da die Pferdebahnen eine etwas größere Geschwindigkeit entwickelten als die
übrigen Straßenfahrzeuge, behinderten sie diese also nicht etwa durch langsamere
Fortbewegung, eher konnten, wie oben geschildert, gemächlich auf den Schienen fahrende Frachtwagen den Bahnverkehr beeinträchtigen. Gewichtiger als derartige Bedenken, der vorhandene Verkehrsraum in den Straßen könne nicht mehr aufnahmebereit
für die anwachsende Menge der bespannten Fahrzeuge sein, waren jene anderen Befürchtungen, die sich auf Überlegungen über die Struktur des Pferdebahnbetriebes an
sich gründeten. Der innerstädtische Pferdebahnverkehr war an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt. Die von den Zugmitteln, den Pferden, erreichte Geschwindigkeit konnte ohnehin nicht überschritten werden, sie wurde nach und nach immer
stärker als unzulänglich empfunden. Dazu kam, daß trotz der außerordentlichen Verdichtung der Wagenfolge auf den Hauptsträngen die Kapazität nicht mehr voll ausreichte; eine weitere Vermehrung der Betriebsmittel zur Verstärkung des Platzangebotes aber war kaum noch sinnvoll, die Pferdebahnen hätten sich dann selbst gestört.
Jede Behinderung der Schienenwege mußte die nicht abreißende Reihe einander folgender Wagen an den Straßenkreuzungen oder auf der Strecke selbst stauen und zu
Stockungen im Betriebe führen.
Fortsetzung im Heft 10
114
Berichte
In ihrem Vortrag „Geschichte und Entwicklung von Wilmersdorf
gab am 21. März
Frau Dr. Lilly M o r i t z , die Vorsitzende des Heimatvereins Wilmersdorf, an Hand von
zahlreichen Lichtbildern einen kurzen Oberblick über die geschichtliche Entwicklung des früheren Dorfes Wilmersdorf zur späteren Großstadt, wobei sie die Ortsteile Schmargendorf
und die Kolonie Grunewald unberücksichtigt ließ. Urkunden und Lagepläne sind erst seit
dem 16. Jahrhundert vorhanden. Sie zeigen eine Dorfaue, die heutige Wilhelmsaue, um die
sich die Kirche, das Pfarrhaus und die Bauernhäuser gruppieren. Hinter den Bauernhöfen
lagen die streifenförmig angeordneten Äcker. Mit fortschreitender Zeit wurden auch größere
Häuser und neue Straßen errichtet, wobei die Bauern, ähnlich wie in anderen Berliner Nachbargemeinden, durch Verkauf ihrer Äcker großen Reichtum erwarben und sich prächtige
Landhäuser errichteten. Heute ist von dem einst so romantischen Dorf Wilmersdorf mit seinem fischreichen See nichts mehr vorhanden. Der See wurde zugeschüttet, das an ihm gelegene, bekannte Restaurant „Seebad Wilmersdorf" abgebrochen und auf dem Gelände des
Sees ein Sportplatz errichtet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs Wilmersdorf zur Großstadt heran und wurde 1920 durch das Gesetz über die Bildung der Stadtgemeinde Berlin
in diese eingemeindet und zu einem der zwanzig Berliner Verwaltungsbezirke gestaltet.
Hs.
Jahreshauptversammlung des Vereins
Die diesjährige gut besuchte Jahreshauptversammlung des Vereins für die Geschichte Berlins fand am 25. April d. J. im Ratskeller Berlin-Schöneberg, statt. Der Vorsitzende, Prof.
Dr. Dr. B. Harms eröffnete die Sitzung um 19.45 Uhr. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedachte der Vorsitzende in ehrenden Worten der im abgelaufenen Vereinsjahr verstorbenen
Mitglieder des Vereins. Die Versammlung ehrte das Andenken an die Verstorbenen durch Erheben von den Plätzen.
Der im Druck vorliegende Geschäftsbericht, der wiederum von einer erfreulichen Entwicklung des Vereins im abgelaufenen Geschäftsjahr Kenntnis gab, wurde vom Schriftführer,
Herrn Bullemer erläutert. Der Schatzmeister, Herr Mügel, erstattete sodann den Kassenbericht, der im Druck der Versammlung vorlag und in Einnahmen und Ausgaben mit
D M 1 8 987,47 zum 31. Dezember 1966 abschließt. Herr Borkenhagen berichtete über den
von den Kassenprüfern schriftlich erstatteten Prüfungsbericht. Nach dem von Herrn Grave
erstatteten Bibliotheksbericht gab Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
den Bericht der Bibliotheksprüfer bekannt. Hierbei sprach Prof. Hoff mann-Axthelm Herrn Grave, Frau Kaeber
und Frau Köpke, sowie der inzwischen ausgeschiedenen Frau Lahr herzlichen Dank für die
im abgelaufenen Jahr in der Vereinsbibliothek geleistete umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit aus.
Den Berichten folgte eine lebhafte Aussprache, in der verschiedene Anregungen für die
künftige Vereins- und Vortrags-Tätigkeit sowie die Arbeiten für die Bibliothek gegeben wurden, die dem Vorstand zur weiteren Beratung und Beschlußfassung überwiesen wurden. Dem
Vorstand und dem Schatzmeister wurden auf Antrag des Herrn Herbert Kiewer einstimmig
Entlastung erteilt.
Zu Beginn der Neuwahl des Vorstandes erklärte der bisherige Vorsitzende Prof. Dr. Dr.
B. Harms, daß er infolge seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr kandidieren könne. Er
dankte den Mitgliedern des Vorstandes und des Vereins für die gute Zusammenarbeit und
drückte sein Bedauern darüber aus, daß er sich zu diesem Entschluß genötigt sähe.
Der stellv. Vorsitzende, Archivdirektor Dr. Kutzsch, dankte dem scheidenden Vorsitzenden: „Wir bedauern diesen Entschluß, aber wir respektieren ihn." Das Amt des Vorsitzenden
sei eine Würde, aber auch eine Bürde. Prof. Harms sei seit 44 Jahren unser Mitglied und seit
1961 Vorsitzender des Vereins. Er sei stets der erste Diener unserer Gemeinschaft gewesen und
habe sich in guten wie in schlechten Zeiten für sie eingesetzt. Er habe am Wiederaufbau mitgewirkt und dazu beigetragen, den Geschichtsverein wieder zu dem zu machen, was er heute ist.
Hierfür dankt ihm der Verein. Der Vorstand empfehle, diesen Dank dadurch abzustatten, daß
der Verein Prof. Harms zu seinem Ehrenmitglied ernennt. Die nach § 6 der Satzung erforderliche Zustimmung hierfür wurde einstimmig unter großem Beifall erteilt.
Prof. Harms dankte bewegt für die ihm zuteil gewordene Ehrung und gab die Versicherung ab, daß er seine Tätigkeit für den Verein nicht ganz einstellen werde. Er werde weiterhin bei der Herausgabe des Jahrbuches und bei der Gestaltung der Mitteilungen sich betätigen.
Bei der folgenden Neuwahl des Vorstandes unter Leitung des Alterspräsidenten, Bürgermeister a. D. Rieck, schlug Dr. Kutzsch im Namen des Vorstandes vor, Herrn Prof. Dr. Dr.
W. Hoffmann-Axthelm zum 1. Vorsitzenden zu wählen. Die Wahl erfolgte einstimmig.
115
Nachdem Prof. Dr. Hoffmann-Axthelm den Vorsitz mit Worten des Dankes für das bewiesene Vertrauen übernommen hatte, wurden die übrigen Mitglieder des Vorstandes gewählt. Die bisherigen Mitglieder des „Geschäftsführenden Vorstandes" wurden einstimmig
wiedergewählt.
Die Beisitzer des Vorstandes wurden ebenfalls einstimmig wiedergewählt, mit Ausnahme
von Herrn Dr. de la Chevallerie, der gebeten hatte, von seiner Wiederwahl Abstand zu nehmen. An seiner Stelle wurde der Direktor der Bibliothek der Freien Universität, Dr. Konrad
Kettig, gewählt, der früher bereits Mitglied des Vorstandes war.
Der Vorsitzende stellte darauf fest, daß der Vorstand des Vereins für die nächste zweijährige Wahlperiode sich wie folgt zusammensetzt:
Vorsitzender:
Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm
stellv. Vorsitzender:
Dr. Gerhard Kutzsch, Direktor des Landesarchivs
stellv. Vorsitzender:
Kurt Pomplun
Schriftführer:
Karl Bullemer, Direktor i. R.
stellv. Schriftführer:
Erich Borkenhagen, Chefredakteur
Schatzmeister:
Walter Mügel, Obermagistratsrat a . D .
stellv. Schatzmeister:
Helmut Hof mann. Reg.-Amtmann
Beisitzer: Dr. Konrad Kettig, Direktor der Bibliothek der Freien Universität Berlin;
Dr. Paul Haber, Rechtsanwalt und Notar; Walter Jarchow, Architekt; Frau Dr. Margarete
Kühn, Museumsdirektorin; Walter G. Oschilewski, Chefredakteur; Dr. Hans Pappenheim,
Kunsthistoriker; Dr. Rainald Stromeyer, Direktor der Senatsbibliothek Berlin; Dr. Gerhard
Zimmermann, Direktor des Geheimen Staatsarchivs.
Vorsitzender Prof. Dr. Hoffmann-Axthelm, der den scheidenden Herren Prof. Harms
und Dr. de la Chevallerie nochmals den Dank des Vereins ausdrückte, versprach mit der
Wahl des neuen Vorstandes den Beginn einer weiteren arbeitsfreudigen Periode des Vereins.
Er trat für die Beibehaltung der guten Beziehungen zum Museumsverein und zur Landesgeschichtlichen Vereinigung der Mark Brandenburg ein.
Auf Vorschläge des Vorstandes und aus der Jahreshauptversammlung erfolgte sodann eine
Umbildung und Neubesetzung der Ausschüsse.
Der Redaktionsausschuß, der anläßlich der 100-Jahrfeier gebildet wurde, wird aufgelöst.
Die Arbeiten dieses Ausschusses werden mit den Aufgaben des wissenschaftlichen Ausschusses
unter gleichzeitiger Ergänzung des Ausschusses verbunden.
Dem wissenschaftlichen Ausschuß gehören künftig an:
Vorsitzender: Prof. Dr. Johannes Schultze, stellv. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. B. Harms,
Archivdirektor Dr. Gerhard Kutzsch; Dr. Hans Pappenheim; Kurt Pomplun; Archivdirektor Dr. Gerhard Zimmermann.
Der Veranstaltungsausschuß setzt sich auf Grund der Empfehlungen des Vorstandes und
der Vorschläge aus der Versammlung künftig wie folgt zusammen:
Helmut Hofmann, Vorsitzender, Frau Gertrud Doht, Frau Irmgard Herrmann, Frau
Margarete Hoffmann, Frau A. Hamecher, Herrn Grave, Lehrer Michael, Helmut Kärger,
Walter Mügel, Frau R. Köpke, Architekt Zapke.
Ergänzungen der Ausschüsse durch Berufung bleiben vorbehalten.
Frau Gertrud Doht wurde für ihre langjährige Tätigkeit als Vorsitzende des Veranstaltungsausschusses der Dank des Vereins ausgesprochen; sie wird weiterhin im Ausschuß tätig
sein.
Da die bisherigen beiden Kassenprüfer ihr Amt niedergelegt haben, wurden Frau Ruth
Köpke und Herr Brozat einstimmig zu Kassenprüfern gewählt. Zu Bibliotheksprüfern wurden die Herren Kärger und Hans Joachim May einstimmig gewählt.
Der Vorschlag des Schatzmeisters, es bei dem bisherigen Mitgliedsbeitrag zu belassen,
wurde angenommen.
Unter Verschiedenes schlug unser Ehrenmitglied, Prof. Dr. Dr. Harms vor, anläßlich der
Umbenennung des Kaiserdamms in Adenauerdamm aus grundsätzlichen Erwägungen sich gegen die fortgesetzten Änderungen geschichtlicher und überlieferter Straßennamen und Bezeichnungen in Berlin auszusprechen.
Nach lebhafter Aussprache wurde die nachstehende vom stellvertretenden Schriftführer
abschließend formulierte E n t s c h l i e ß u n g bei 3 Stimmenthaltungen und einer Gegenstimme angenommen:
„Der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, hat sich in seiner gestrigen Jahreshauptversammlung mit der in Berlin üblich gewordenen Neigung, alte, überlieferte Straßennamen zu ändern, befaßt. Er hält seine grundsätzliche Forderung, alles geschichtlich
Gewordene in unserer Stadt zu bewahren, auch unter dem Eindruck des Todes von Konrad Adenauer und in tiefem Respekt vor seiner staatsmännischen Leistung aufrecht."
116
Die Entschließung wurde am nächsten Morgen der Tagespresse und behördlichen Stellen
übergeben und hat überall starke Beachtung gefunden.
Mit dem Ausdruck des Dankes an die Teilnehmer der Versammlung schloß der Vorsitzende die Jahreshauptversammlung um 22.15 Uhr.
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Borkenhagen
Besichtigung der Meierei C. Bolle
Im Rahmen der Besichtigung wirtschaftlicher und industrieller Unternehmungen, die mit
der Geschichte und der Entwicklung unserer Stadt eng verbunden sind, besichtigte der Verein am 11. Mai d. J. die traditionsreiche Meierei Bolle.
Das Unternehmen wurde auf den Grundstücken Lützowufer 31 und Wichmannstr. 5 am
28. Februar 1881 mit drei Verkaufswagen (Tagesumsatz ca. 1 500 Ltr.) für die Milchversorgung Berlins eröffnet. Gründer des Unternehmens war Carl Bolle, geb. 1.9. 1832.
C. Bolle erwarb sich das Vertrauen seiner Kunden vor allem durch sein Bemühen, das
Leistungsprinzip an Güte und Qualität hochzuhalten, eine Tatsache, die ihm die Sympathien
der Berliner Hausfrauen einbrachte und zu einem schnellen Aufstieg des Unternehmens führte.
Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, wurde die damalige Zentralmolkerei A. G.
dem Bollebetrieb eingegliedert. Der Gesamtbetrieb wurde im Jahre 1887 nach dem heutigen
Grundstück Alt-Moabit 98—103 verlegt. Den Zeitgenossen sind im Stadtbild von Berlin die
bekannten Bollewagen in guter Erinnerung. Sie fuhren nach einem bestimmten Fahrplan und
machten ihre Ankunft mit der bekannten „Bolle-Bimmel" bemerkbar. Das Unternehmen hat
sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem Musterbetrieb für die gesamte Milchwirtschaft Berlins
entwickelt. Anstelle der Verkaufswagen, deren Anzahl bis Anfang des 1. Weltkrieges auf über
230 Wagen mit Pferdegespann gestiegen war, sind inzwischen moderne Lastwagen getreten.
Zur Zeit werden mehr als 800 Verkaufsstellen des britischen Sektors mit Milch und
Meierei-Produkten versorgt, wobei bemerkt wird, daß die Firma Bolle z. Zt. in WestBerlin 93 Verkaufsstellen besitzt.
Während in früheren Jahrzehnten die Milchversorgung zum großen Teil noch durch Bezüge aus den landwirtschaftlichen Betrieben Berlins und der Umgebung erfolgte, wird heute
die Milch, Buttermilch und Sahne aus der Bundesrepublik eingeführt. Es sind im Durchschnitt
zehn moderne Tankwagen mit einem durchschnittlichen Fassungsvermögen von 20 000 Ltr.
unterwegs, gilt es doch an Spitzentagen bis zu 190 000 Ltr. Milch und Buttermilch über den
Einzelhandel an den Verbraucher abzugeben. Neben der Meierei hat Bolle noch eine eigene
Kaffee-Rösterei, eine Weinkellerei, eine bedeutende Großfleischerei, eine ausgedehnte Margarine- und Eiscremefabrikation.
Die eingehende Besichtigung der Betriebsanlagen unter Führung des Herrn Weissebach
vermittelte den Besuchern einen interessanten Einblick in die technischen, auf den höchsten
Stand der Hygiene gebrachten Einrichtungen eines modernen Betriebes. Daneben fanden
besonderes Interesse die sozialpolitischen Leistungen und Wohlfahrtseinrichtungen des Unternehmens, die bereits bis in die Gründerjahre der Meierei Bolle zurückreichen.
Der Besichtigung folgte auf Einladung der Betriebsleitung ein Imbiß im Vortragssaal des
Betriebes. Hierbei gaben Direktor Herold und Herr Weissebach weitere wertvolle Erläuterungen über die umfangreichen technischen und organisatorischen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Bevölkerung dieser Weltstadt mit Milch und Milcherzeugnissen zu versorgen.
Der Vorsitzende des Vereins, Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm, dankte namens des Vereins für die Geschichte Berlins den genannten Herren für die gastliche Aufnahme, Führung
und Erläuterungen.
T.
Buchbesprechungen
Schnittpunkte. Eine Dokumentation der Berlin-Stiftung für Sprache und Literatur. Herausgeber: Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie. Propyläen Verlag Darmstadt 1966. 296 S. u. 10 Abb. auf 10 Tafelseiten, br. DM 12,80.
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich nicht um eins der üblichen Berlin-Bücher, die
in mehr oder weniger sachlicher Darstellung die Besonderheiten Berlins, den Aufbau der
Stadt oder ihre politische Lage schildern, sondern es ist eine Gemeinschaftsarbeit von neunzehn
meist jüngeren Autoren, die durch ihre Eindrücke, Erinnerungen, durch Skizzen, Essays und
Gedichte ein Bild des so gegensätzlichen und widersprüchlichen Berlin zu geben versuchen. Angeschlossen sind dem Buch eine Anzahl von Niederschriften von Vorträgen über literatur- und
sprachwissenschaftliche Themen, die von dem Kulturkreis im Bundesverband der deutschen Industrie in den Jahren 1962 bis 1965 veranstaltet wurden.
B i_r arm ,.
117
Die Berliner Stadtbibliothek.
20 Seiten mit 4 färb. Tafeln.
Festgabe zur Eröffnung ihres Neubaues im Oktober 1966.
In einer reizenden Festschrift gibt die Ostberliner Stadtbibliothek anläßlich der Eröffnung
ihres Neubaues einen anschaulichen Bericht über die Entwicklung und den gegenwärtigen Zustand dieser zweiten großen Bibliothek in dem anderen Teile unserer Stadt.
Bereits am 6. Juni 1901 hatte die Stadtverordnetenversammlung von Berlin die Gründung
und Ausgestaltung einer Stadtbibliothek beschlossen, aber es hat Jahrzehnte gedauert, bis
dieser Beschluß verwirklicht werden konnte. Immer wieder mußte die aus privaten Schenkungen und Vermächtnissen hervorgegangene Bibliothek in unzureichenden Räumen untergebracht
werden. Trotzdem die Berliner Stadtverordnetenversammlung bereits am 25. Juni 1914 die
Errichtung eines eigenen Gebäudes für die Stadtbibliothek beschlossen hatte, konnte erst in
unseren Tagen im Marstallkomplex die neue Stadtbibliothek errichtet werden; sie wurde im
Oktober 1966 eröffnet. Das neue sehr repräsentative Gebäude entspricht allen Anforderungen, die man an einen modernen Bibliotheksbau stellt; mit diesem Neubau beginnt ein neues
Kapitel in der Geschichte der Stadtbibliothek. Der Stadtbibliothek wurde im Jahre 1955 die
Ratsbibliothek mit 150 000 Bänden angeschlossen und jetzt zu einer besonderen Fachabteilung
gestaltet. Das Gleiche geschah 1953 mit der 1949 als Bibliothek der Abteilung Gesundheitswesen des Magistrats gegründeten Berliner Ärztebibliothek, die gegenwärtig einen Bestand
von 20 000 Bänden aufweist. Von den Sondersammlungen seien nur erwähnt die 1953 übernommenen Sammlungen der Bibliothek des Grauen Klosters, die 1674 gegründet wurde und
heute etwa 15 000 Bände umfaßt. In ihr sind die früheren Berliner Druckereien reich vertreten, besonders Drucke Leonhard Thurneyssers.
So bietet sich die Berliner Stadtbibliothek als eine Bibliothek von höchstem Range dar.
Es ist nur zu bedauern, daß dieselbe Westberliner Forschern für wissenschaftliche Arbeiten
nicht zugänglich ist.
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B. Harms
Rachel, Hugo — Papmz, Johannes — Wallich, Paul: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten. Neu herausgegeben, ergänzt und bibliographisch erweitert von Johannes Schnitze,
Henry C. Wallich und Gerd Heinrich. Berlin: Walter de Gruyter & Co 1967. Bd. I: XLI und
415 Seiten, DM 58,— ; Bd. I I : VII und 578 Seiten. DM 64,— ; Bd. I I I : 336 Seiten. DM 48,—.
Alle drei Bände mit Register und Stammtafeln (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte
der Mark Brandenburg, Bd. 32, 33 und 34).
Selten ist eine Neuauflage so zu begrüßen wie bei diesem Standardwerk über die Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, dessen erster Band im Jahre 1934 erstmalig erschien
und die Zeit bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges umfaßt. Der 1938 erschienene zweite
Band sowie der 1939 gedruckte dritte Band werden manchen Lesern vielleicht bisher unbekannt geblieben sein, da diese seinerzeit unter nationalsozialistischem Zwang nur in ganz geringer Anzahl und nicht für den Handel bestimmten Exemplaren als Handschrift gedruckt
werden durften. Der zweite Band behandelt die Zeit des Merkantilismus (1648 bis 1806), der
dritte die Übergangszeit zum Hochkapitalismus (1806 bis 1856). Neu angefügt ist diesem
Bande ein von Gerd Heinrich bearbeitetes Quellen- und Literaturverzeichnis zum Gesamtwerk einschließlich Ergänzungs-Bibliographie. Die große Bedeutung dieses für die Berliner
Wirtschaftsgeschichte wichtigen Werkes ist heute genau so unumstritten wie bei seinem ersten
Erscheinen.
.
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J. Lachmann
Florian Kienzl: Die Berliner und ihr Theater. Berlin: Haude und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1967. 96 Seiten u. 21 Abb. DM 9,80. (Berlinische Reminiszenzen Bd. 14).
Florian Kienzl, der aus Graz stammende, seit Jahrzehnten in Berlin ansässige Schriftsteller und Theaterkritiker will in diesem Buche keine Berliner Theatergeschichte geben, vielmehr
mit einigen charakteristischen Momenten dartun, welche Rolle das Berliner Publikum als Zuhörerschaft gespielt hat und wie es trotz aller Wandlungen im Laufe von zwei Jahrhunderten seinen grundeigenen Zug bewahrt hat. Hatte schon Goethe in dieser Hinsicht die Berliner
als ein „gefährliches Geschlecht" bezeichnet, so hat Theodor Fontane sich über das kritische
Publikum lustig gemacht, indem der Berliner es als sein Theatervergnügen ansah, wenn er
Fehler der Schauspieler feststellen konnte. Und Friedrich Hebbel betrachtet diese Kritteleisucht
in der „Metropole deutscher Intelligenz" als eine Art Grundeigenschaft des Berliners. Anders
allerdings Curt Goetz, der das Berliner Publikum für das beste hält, das ihm begegnet sei.
Der Verfasser durchleuchtet so das Berliner Theaterpublikum von der Aufklärung an bis in
unsere Tage in unterhaltender und amüsanter Weise.
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J. Lachmann
Egon Jameson: Am Flügel: Rudolf Nelson. Berlin: Haude und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1967. 109 Seiten und 14 Abb. DM 9,80. („Berlinische Reminiszenzen" Bd. 15).
Bei den zahlreichen Kleinkunstbühnen, die Berlin im ersten Drittel unseres Jahrhunderts
bot — wie z. B. das „Kabarett der Komiker" oder die „Katakombe" — war es nicht leicht,
118
sich durchzusetzen. Dem Berliner Rudolf Nelson gelang es jedoch dank seiner Persönlichkeit
und seiner Fähigkeit, stets ein geeignetes Ensemble zusammenzustellen, die meisten Konkurrenten bald zu übertrumpfen. Der einstige Reporter der „Berliner Morgenpost" und langjährige Verehrer des Komponisten Egon Jameson berichtet in fesselnder und amüsanter
Weise, wie es Nelson möglich war, zu seinem Ruhme aufzusteigen. Der Bericht — und dies
ist daran das Wertvolle — ist eigentlich eine Autobiographie, die der Künstler dem Reporter
während seiner Londoner Jahre gesprächsweise diktiert hat und die die Entwicklung Nelsons
vom musikalischen Wunderkind zum prominenten Künstler und seine große Zeit in Berlin
umfaßt. Durch Nelson ist die „Kleinkunst" als Kunstform zu besonderer Blüte entwickelt
worden. Seine Kompositionen leben noch heute fort. Als er nach Krieg und Emigration nach
Berlin zurückkehrte, bereitete ihm seine Heimatstadt einen begeisterten Empfang. Wer an
einer Geschichte der Kleinkunst interessiert ist, der greife zu diesem sehr netten und bebilderten Buch.
J. Lachmann
Seit Beginn des Jahres können wir folgende Damen und Herren
als neue Mitglieder begrüßen:
Eingeführt
durch:
Fabrikant Wilhelm Dreusicke,
1 Berlin 33, Furtwänglerstraße 4
(Schriftführer)
Brauereidirektor Dr. Franz Röseneder,
7 Stuttgart — O, Neckarstraße 60—62
(Frau M. Hoffmann)
Lotte Fröhlich,
1 Berlin 62, Freiherr-von-Stein-Straße 6 a
(Schriftführer)
Buchhändler Klaus Schultzenstein,
1 Berlin 30, Elßholzstraße 8
(Prof. Harms)
Paul-Michael Matern, Versicherungskaufmann,
5 Köln, Eifelstraße 11
Dipl.-Ing. Gerhart Ammerlahn,
1 Berlin 45, Undinestraße 7
Hans-Joachim Mey,
1 Berlin 38, Cimbernstraße 3
Reg.-Ober-Inspektor Hans-Wolfgang Rieckhoff,
1 Berlin 37, Lupsteiner Weg 70 a
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
Regierungsamtmann Kurt Mulack,
1 Berlin 61, Alexandrinenstraße 42
Medizinalrätin i. R. Gertrud Franke,
1 Berlin 21, Altonaer Straße 3
Versicherungskaufmann Ernst Heidenreich,
1 Berlin 37, Am Vierling 14
Dr. med. Otto Winkelmann,
1 Berlin 61, Dudenstraße 17
Christa Müller-Hartwich,
1 Berlin 45, Gardeschützenweg 127
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Heinz Goerke, Direktor d. Instituts
für Geschichte d. Medizin der Freien Universität
1 Berlin 37, Kösterstraße 1 a
(Schriftführer)
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
Ilse Sarneck, 1 Berlin 61, Grimmstraße 17
(Herrn Hoßmann)
Edit Bojar, 1 Berlin 37, Berlepschstraße 70
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
Marianne Leupold, 1 Berlin 27, Gorkistraße 63
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
Dr. Fritz Schultze-Seemann, Facharzt für Urologie,
1 Berlin 28, Münchener Straße 22
(Frau Müller-Hartwich)
Karen Johannsen, Dipl.-Bibliothekarin,
1 Berlin 45, Unter den Eichen 106
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
119
Kleine Mitteilungen
Wir bitten, davon Kenntnis zu nehmen, daß auf Grund der Neuwahlen in der Jahreshauptversammlung vom 25. April d. J. die Geschäftsstelle des Vereins von Berlin 37, Katharinenstraße 30, nach
1 Berlin 21, Händelallee 61, Telefon: 39 24 90
verlegt worden ist.
Unser Mitglied, Herr Dr. Wilhelm Bormann, Berlin-Wilmersdorf, konnte am 8. Mai d. J.
in Rüstigkeit und Frische sein 75. Lebensjahr vollenden. Der Vorsitzende des Vereins übermittelte unserem Mitgliede, das an unseren Arbeiten regen und tätigen Anteil nimmt, zu seinem hohen Ehrentag herzliche Glückwünsche des Vereins, die wir auch an dieser Stelle
wiederholen.
Der Verein der Freunde und Förderer des Berlin-Museums hielt unter der Leitung seines
Vorsitzenden, Prof. Dr. Edwin Redslob, am 24. Mai d. J. im Haus am Tiergarten seine
diesjährige Jahreshauptversammlung ab. Der erstattete Jahresbericht vermittelte eine umfangreiche und erfolgreiche Tätigkeit des Vereins für den Ausbau des „Berlin-Museums", dessen
Übersiedlung in das historische Kammergerichtsgebäude in der Lindenstraße nach endgültiger
Fertigstellung der Renovierungsarbeiten in Aussicht genommen ist. An Stelle des ausscheidenden stellvertretenden Vorsitzenden, Prof. Dr. Dr. Harms, wurde Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Die beiden weiteren stellvertretenden
Vorsitzenden, die Herren Gerhard Küchler, und Dr. Gerhard Zimmermann wurden einstimmig wiedergewählt.
Veranstaltungen im III. Vierteljahr 1967
1. Sommerausflug. Der diesjährige Sommerausflug des Vereins findet am Sonnabend,
dem 29. Juli d. J., zum Besuch der wiederhergestellten historischen „Zitadelle
Spandau" statt. Abfahrt am 29. Julid. J.um 14.00 Uhr mit Sonderbussen (Reisebussen) der BVG vom Bahnhof Zoo (Nordseite) an der Jebensstraße. Besichtigung der Zitadelle unter Führung von Herrn Dr. Hans P a p p e n h e i m . Anschließend Kaffeetafel in Wilhelmshöhe am Stößensee. Rückfahrt abends 20 Uhr.
Fahrpreis für Hin- und Rückfahrt DM 3,— je Teilnehmer. Der Fahrpreis wird
im Bus erhoben. Anmeldung schriftlich oder telefonisch bis zum 20. Juli d. J. an
Frau Gertrud D o h t, Berlin 62, Grunewaldstraße 64, (Tel. 71 15 60) erbeten.
Familienmitglieder und eingeführte Gäste herzlich willkommen.
2. Im Monat August finden keine Vorträge und Veranstaltungen statt.
3. Die Vortragsfolge des Vereins im Winterhalbjahr 1967/68 beginnen wir am
Dienstag, dem 12. September 1967 um 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Saal
139, mit einem Vortrag des Generaldirektors der Staatlichen Museen in Berlin
Herrn Dr. Stephan W a e t z o l d t über: Die Zukunft der Berliner Museen der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wir dürfen uns angesichts der in Aufbau und
Entwicklung befindlichen Museumsbauten in Berlin einen besonders aufschlußreichen Vortragsabend versprechen. Gäste sind herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller Schöneberg.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an
den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, 1 Berlin 65, Müllerstr. 138d.
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MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
Neue Folge Nr. 10
1. Oktober 1967
A 20377 F
Vorsitzender: Prof.Dr.Dr. W.Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin21 (Tierg.),Händelallee 61, Ruf: 39 2409
Schriftführer: Dir. i. R. K. BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Zahlungen erbeten auf das Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80, 1 Berlin 21
Am 1. August 1967 hat unser
Ehrenmitglied
Prof. Dr. phil. Dr. med.
BRUNO HARMS
in seiner Vaterstadt Berlin die Augen
für immer geschlossen. Ein um das
Gesundheitswesen unserer Stadt hochverdienter Mann hat uns verlassen.
Daß diese Persönlichkeit jahrzehntelang Mitglied unseres Vereins gewesen
ist, erfüllt uns mit besonderer Genugtuung.
BRUNO HARMS entstammte
einer Familie, die seit Generationen
in Berlin ansässig war. Am 23. März
1890 im Norden der Stadt geboren,
widmete HARMS sich zunächst zoologischen, chemischen und physikalischen Studien, die er mit dem Examen für das
höhere Lehramt und dem Dr. phil. abschloß. Sodann wandte er sich dem Studium der
Medizin zu, das er bald nach dem 1. Weltkrieg beendigte. Diese breite naturwissenschaftliche Basis erweiterte er noch durch eine Ausbildung am Sozialhygienischen Universitätsinstitut von GROTJAHN, so daß er sich wohlbereitet um das Amt des ersten
Stadtarztes im neugeschaffenen Bezirk Tiergarten bewerben konnte, das er 1922 übernahm. Hier schuf er beinahe aus dem Nichts in kurzer Zeit ein vorbildliches Gesundheitsamt mit den entsprechenden Institutionen, richtete Fürsorgestellen ein und erweiterte das ihm unterstehende Krankenhaus Moabit. Von den Nationalsozialisten aus
dem Amt entlassen, betätigte sich Harms als praktischer Arzt und während des
2. Weltkrieges als Leiter der Sanitäts-Lehranstalt.
So war es nicht erstaunlich, daß man nach Kriegsende auf diesen erfahrenen Medizinalbeamten zurückgriff und ihn 1946 zum Stadtrat und Leiter des Gesundheitswesens beim Berliner Magistrat ernannte. Die ungeheure Aufgabe des Wiederaufbaus
der von Grund auf zerstörten Gesundheitseinrichtungen unserer Stadt, die Seuchenbekämpfung unter einer ausgehungerten, zum Teil obdachlosen Bevölkerung, die Versorgung der Kriegsbeschädigten fiel damit auf ihn.
Nachdem 1948 das Schlimmste überstanden war, legte HARMS wegen parteiinterner Differenzen sein Amt als Stadtrat nieder, doch schon 1949 wurde er zum
Präsidenten des Zentralinstitutes für Hygiene und Gesundheitswesen gewählt, das
einige frühere Reichsanstalten, darunter auch das Robert-Koch-Institut, umfaßte.
Durch die Wiederüberführung dieser Einrichtungen in Bundesbesitz wurde das Amt hinfällig, so daß HARMS 1953 in den Ruhestand trat. Bereits 1950 war ihm durch Magistratsbeschluß die Amtsbezeichnung Professor verliehen worden, 1965 wurde er anläßlich seines 75. Geburtstages mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Ruhe konnte es für diesen regen Geist nicht geben. HARMS wandte sich medizinhistorischen Studien zu, wofür ihm seine umfassende Bibliothek, überreich an alten
Drucken und kostbaren Berolinensien, die Grundlagen im eigenen Hause gab. Seine
Arbeiten über den vielgewandten THURNEYSSER und den friderizianischen Arzt
und Sammler MOEHSEN schlugen sich auch im Schrifttum unseres Vereins nieder.
Bei der rechtlich schwierigen Zusammenfassung der in der Nachkriegszeit entstandenen beiden Vereine für die Geschichte Berlins spielte BRUNO HARMS eine bedeutende Rolle. Er war als Nachfolger von ERNST KAEBER zum stellvertretenden
Vorsitzenden des neukonstituierten, von Prof. LANDSBERG geleiteten Vereins von
1949 gewählt worden und wurde 1960 zum Zwecke der Zusammenführung zum
Vorsitzenden des Vereins von 1865 gekürt, in welchem sich die meisten alten Mitglieder zusammengefunden hatten und in den er selbst schon 1923 eingetreten war. Nach
der Vereinigung im Jahre 1961 leiteten LANDSBERG und HARMS den Verein gemeinsam, bis mit dem Tode des ersteren 1964 der alleinige Vorsitz auf ihn fiel.
So war es ihm vergönnt, als Vorsitzender der glanzvollen Jahrhundertfeier unseres Vereins im Festsaal des Schöneberger Rathauses zu präsidieren. Obgleich sein
Gesundheitszustand schon stark reduziert war, leitete er bis zu seiner Amtsniederlegung
im Frühjahr fast jede Veranstaltung. Nun, wo er für immer aus unserem Kreis entschwunden ist, werden wir oft genug seinen stets klaren und bestimmten Rat, seine mit
Energie vertretenen Vorschläge vermissen.
Prof. Dr. Dr. BRUNO HARMS hat sich um den Verein für die Geschichte Berlins
hohes Verdienst erworben. In Dankbarkeit verneigen wir uns vor unserem Ehrenmitglied, stolz darauf, daß dieser Mann mit ganzem Herzen der unsere war.
W. HOFFMANN-AXTHELM
Berliner Verkehrsprobleme vor 75 Jahren
Von Arne Hengsbach
Fortsetzung von Heft 9
Auch die Anfälligkeit gegen sonstige Störungen machte sich bei ansteigendem
Verkehrsbedürfnis immer mißlicher bemerkbar. Besonders im Winter zeigte es sich
stets wieder, wie wenig die Pferdebahnen ungünstigen Betriebsverhältnissen ge-
122
wachsen waren. Bei stärkeren Schneefällen kam der Fahrplan regelmäßig durcheinander, trotz der Kolonnen, die den Schnee von den Gleisen schippten und der Salzwagen, von denen aus Viehsalz zum Auftauen gestreut wurde. Dann konnten nur
kleine Wagen mit doppelter Bespannung verkehren und auch die nur mühsam und
unregelmäßig, während auf weniger befahrenen Strecken der Verkehr ganz zum Erliegen kam.
Diese Entwicklung des Pferdebahnwesens barg bereits Ansätze zu ihrer künftigen
Überwindung. Ende der achtziger Jahre wurden Überlegungen angestellt, welche
neuen Beförderungsmittel man an Stelle der in ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr zu
steigernden Pferdebahn einführen könne. Man beschäftigte sich mit den Möglichkeiten,
die der elektrische Strom als Förderungsmittel neuer aufnahmefähigerer und schnellerer Verkehrsmittel zu bieten schien, nachdem sich die Verwendung der Elektrizität
im Straßenbahnbetrieb in den Vereinigten Staaten immer erfolgreicher bewähne.
Zwar wurde auch in Berlin die Anlegung elektrischer Straßenbahnen erörtert und projektiert, das Hauptinteresse aber galt seit 1891 der Herstellung elektrischer Schnellbahnen, die als Hoch- und Untergrundbahnen geplant wurden. Die Beschäftigung mit
diesen Bahnen war so rege, daß es zuweilen den Anschein hatte, als wolle man von
der Pferdebahn sofort zum Bau von Hoch- und U-Bahnen übergehen und die Einrichtung elektrischer Straßenbahnen überspringen.
Bereits im Jahre 1888 hatte der damalige Verkehrsexperte, Professor Dietndo
von der Berliner Technischen Hochschule angeregt, eine Hochbahn auf Säulen ungefähr im Zuge der Ringbahnlinie der Pferdebahn anzulegen, wobei er noch an Dampfbetrieb dachte. Während die Konstruktion der New-Yorker — mit Dampflokomotiven befahrenen — Hochbahnen Werner von Siemens bei seinen Vorschlägen für
elektrische Stadtbahnen beeinflußt hatte, waren es die Londoner Untergrundbahnen,
besonders die 1890 eröffnete erste elektrisch betriebene Strecke der City- und Südlondonbahn, die den Befürwortern und Planverfassern Berliner „Tief"- oder Untergrundbahnen zum Vorbild dienten. Das Siemenssche Projekt einer elektrischen Hochbahn, die als Ergänzung der Stadtbahn von der Warschauer Brücke zum Zoologischen
Garten durch die südöstlichen, südlichen und westlichen Stadtteile führen sollte, wurde
schon 1891 vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten als dringend wünschenswert
erachtet und für im „hohen Grade beachtenswert" gehalten.
Im gleichen Jahre 1891 kam auch die AEG mit ihren ersten U-Bahnplanungen
heraus, die u. a. eine Nord-Süd-Bahn vom Wedding durch die Chaussee- und Friedrichstraße bis zum Kreuzberg, eine Ost-West-Linie vom Viehhof durch die Leipziger
Straße nach Schöneberg sowie Ringstrecken vorsahen. Jeder Zug, aus elektrisch angetriebener Lokomotive und drei Wagen bestehend, sollte 120 Personen mit 25 km/h befördern. Allerdings konnte die Firma mit ihren Projekten von Röhrenbahnen nach
Londoner Muster, die in 9 bis 13 m Tiefe im Schildvortrieb angelegt werden sollten,
nicht zum Zuge kommen. Die Bauverwaltungen bezweifelten nämlich, daß diese Bauweise im Berliner Untergrund mit seinem hohen Grundwasserstande auszuführen sei.
Nur der ehemalige Spreetunnel von Stralau nach Treptow entstand in den Jahren
1895/99 als Versuchsstrecke, um die von der AEG vorgesehene Tunnelbauweise als
praktisch durchführbar zu beweisen. Einer der unermüdlichsten, aber völlig erfolglosen Verfechter des U-Bahngedankens war der Hauptmann a. D. und Ingenieur
Immedienberg. Auch er hatte seit 1891 verschiedene Projekte eingereicht, u. a. zur
Entlastung der Friedrichstraße, auch er bewarb sich wie die AEG um die Erbauung
123
;ines Probeaunnels unter der Spree hindurch, um die Anwendbarkeit seines Tiefbahnsystems darlegen zu können, allerdings vergeblich. Er schlug sogar eine U-Straßenbahn vor, die die „Linden", die zu dieser Zeit noch nicht von Pferdebahnen gekreuzt werden durfte, zu unterqueren. So ein Lindentunnel war übrigens als Behelf
für die nicht zu erlangende Überschreitung der Prachtstraße mit Pferdebahnen schon
einmal im Jahre 1889 in der Presse erörtert worden.
In einer Zeitungsnotiz vom 7. 10. 1892 heißt es: „ . . . Zu den Plänen des Ingenieurs Immeckenberg bezüglich der Berliner Untergrundbahnen gesellt sich auch ein
Plan, welcher die Unterführung der Linden im Zuge der Charlottenstraße ins Auge
faßt. Augenblicklich ist Baumeister A. Böhm mit der Herstellung der zugehörigen
Hochbauentwürfe beschäftigt. Das Projekt besteht in einer für den Pferdebahn- bzw.
den elektrischen Betrieb bestimmten Untergrundbahnstrecke von 910 Metern. Dieselbe
soll am Gendarmenmarkt, Ecke der Charlotten- und Jägerstraße ihren Anfang nehmen und unfern der Weidendammer Brücke münden. Die Strecke wird gebildet
durch zwei nebeneinander gelegte Tunnels von je 3,50 m Durchmesser, deren Sohle
7,50 m unter dem Niveau der Straße liegt. An der vorerwähnten Ecke des Gendarmenmarktes ist eine Wartehalle für das Publikum von 55 Metern Länge und 8 m
Breite geplant, welche zugleich die Ein- und Ausfahrt der Wagen in die Tunnels überdacht. Mit einer Neigung von 1 : 10 fahren die Wagen hier in den Tunnel hinein, um
am Weidendamm mit einer Steigung von 1 : 10 wieder ans Tageslicht zu kommen.
Hier würde über der Ausfahrt ein gewaltiger, für Wohn- und Geschäftszwecke bestimmter Bau mit den notwendigen Ein- und Ausgängen für das Publikum errichtet
werden. Die Halle am Gendarmenmarkt ist im flotten Barockstil entworfen". Immeckenberg hatte auch die Absicht, U-Bahnstrecken als „Tiefbahnen", bei denen mit
Tiefbohrmaschinen gearbeitet werden sollte, zu bauen. 1891 suchte auch der Bergingenieur Poetsch in Magdeburg beim Magistrat die Genehmigung zum Bau einer Tiefbahn nach, die entweder mit elektromagnetischer Kraft, durch Druckluft oder mittels
Wasserdruck betrieben werden sollte. Die 60 Einsteigschächte zu der in etwa 20 m unter Niveau anzulegenden Bahn wollte Poetsch unter Anwendung des Gefrierverfahrens herstellen.
Noch manche anderen Projekte, darunter die Schwebebahnentwürfe des Geheimen Kommerzienrates Langen bewegten im Jahr 1894 die Öffentlichkeit. Die Vorteile
einer Schwebebahn in den Straßen Berlins sah Langen u. a. in der Schnelligkeit der
Beförderung und der Möglichkeit, selbst sehr scharfe Krümmungen ohne Änderung
der Geschwindigkeit mit Sicherheit durchfahren zu können, wobei noch weniger Raum
für die Träger als bei der eigentlichen Hochbahn in Anspruch genommen zu werden
brauchte. Ein Ausschuß der Berliner Stadtverordneten besuchte die von Langen in
Köln-Deutz errichtete Versuchsstrecke, und die Versammlung ersuchte den Magistrat,
in einer gemachten Deputation eine zu der bevorstehenden Gewerbeausstellung in
Treptow führende Linie zu beraten.
Aber von all den zahlreichen frühen Plänen und Vorlagen wurde schließlich nur
das Siemenssdie Projekt der Hochbahn von der Warschauer Brücke bis zum Zoo, wenn
auch mit erheblichen Änderungen ausgeführt. Die reservierte abwartende, wenn auch
nicht von vornherein ablehnende Haltung der staatlichen und städtischen Bauverwaltungen gegenüber den z. T. doch recht phantastischen Entwürfen war verständlich,
zumal man kaum praktische Vorbilder hatte, abgesehen von den Londoner Tubes, die
unter völlig anderen geologischen Voraussetzungen gebaut worden waren. Immerhin
124
haben die von der Pferdebahn ausgelösten Verkehrsprobleme die Entstehung und anfänglich sogar etwas üppige Entfaltung eines neuen Fachgebietes, das der Planung
neuer städtischer Schnellverkehrsmittel, binnen kurzer Zeit in erheblichem Maße angeregt.
Berichte
Besichtigung der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin
Am Dienstag, dem 6. Juni d. J., besichtigte der Verein die Betriebsanlagen und
Ausstellungsräume der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin in der Wegelvstraße
im Tiergartenviertel Berlins. Die Besichtigung wurde eingeleitet durch eine interessante
geschichtliche Einführung des Herrn Grönland über Entstehung und Entwicklung der
Keramiken und der Porzellane von den Uranfängen an im alten China, im Orient
und in Ägypten vor unserer Zeitrechnung bis zum Vordringen in den europäischen
Raum und zur Gegenwart. Der Vortragende kennzeichnete die zwischenzeitlichen
Epochen in der Entwicklung und Herstellung der Keramiken und Porzellane und gab
im Rahmen dieser Entwicklung ein anschauliches Bild von der späteren Porzellanherstellung in ihren Anfängen in Brandenburg und Preußen, wo — nach verschiedenen
bereits seit 1740 vergeblichen Versuchen Friedrichs des Großen, eine Porzellanfabrik
in Preußen zu errichten — der Wollzeug-Fabrikant Wilhelm Caspar Wegely im Jahre
1751 diesem langgehegten Wunsch Friedrichs des Großen nachkam und — mit Ausnahme einer weniger bedeutsamen Porzellanfabrik in Plaue an der Havel (1713) —
die erste Porzellanfabrik Preußens in der Neuen Friedrichstraße, unweit des heutigen
Bahnhofs Alexanderplatz, gründete. Die Porzellane aus der Wegelyschen Ära sind
heutzutage nicht allein wegen ihrer Seltenheit von Kennern und Liebhabern geschätzte
Erzeugnisse.
Nach der zwangsläufigen Unterbrechung, die durch den Beginn des 7jährigen
Krieges bedingt war, errichtete — noch während des Krieges — der Kaufmann Joh.
Ernst Gotzkowsky im Jahre 1761 in der Leipziger Straße die zweite preußische Porzellanfabrik in Berlin. Trotz aller Bemühungen blieb dieser Gründung der wirtschaftliche Erfolg versagt, so daß Friedrich der Große die Gotzkowskysche Fabrik für
225 000 Taler erwerben mußte, weil sonst die Fortführung seines ihm liebgewordenen
Planes nicht möglich gewesen wäre. Der Kaufvertrag mit dem Kaufmann Gotzkowsky vom 8. September 1763 sowie die Kabinettsorder mit der eigenhändigen Unterschrift Friedrichs des Großen vom 19. September 1763 (die beiden Originale liegen
wohlverwahrt im Panzerschrank der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin) waren
die formelle Bestätigung der Geburt der nunmehr „Königlichen Porzellan-Manufaktur".
Während die Porzellane aus der Zeit Wegelys mit einem blauen „W" und die aus
der Zeit Gotzkowskys mit einem blauen „G" gekennzeichnet waren, erhielten die Porzellane seit 1763 als Fabrikmarkenzeichen ein blaues Zepter und — soweit es sich um
bemalte Porzellane handelte — seit 1832 zusätzlich das Zeichen des Reichsapfels mit
„KPM". Die Königliche Porzellan-Manufaktur wird ohne Unterbrechung seit 1763
geführt (seit 1918 als Staatliche Porzellan-Manufaktur Berlin und nach 1945 als
Eigenbetrieb des Landes Berlin). Die jetzigen Werkstätten und der werkeigene Verkaufsraum in der Wegelystraße haben ihren Standort bereits seit 1871, da durch den
125
Bau des preußischen Herren- und Abgeordnetenhauses um 1870 die Verlegung an die
gegenwärtige Stätte notwendig wurde. Anstelle der repräsentativen und weltbekannten Ausstellungs- und Verkaufsräume in der Leipziger Straße wurden vorerst der
werkeigene Verkaufsraum in der Wegelystraße (1955) und eine Verkaufsstelle in der
Budapester Straße 47 (1957) gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eingerichtet.
Infolge einer fast 80°/oigen Zerstörung der Werkanlagen im Jahre 1943 mußte
die Manufaktur ihre Produktion in Selb (Oberfranken) bis zum Wiederaufbau der
Berliner Betriebsstätte fortführen.
Die Besichtigung der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin machte die Besucher mit dem Ablauf der Produktion vertraut und gab einen Überblick über die
Vielseitigkeit der Manufaktur-Erzeugnisse. Während im Bereich der Geschirr- und
Zierporzellane nach wie vor die bewährten Formen und Dekore der historischen
Service gefertigt werden, wird in werkeigenen Studios nach gültigen Formen gesucht,
die dem gediegenen Geschmack der neuen Zeit gerecht werden. Daneben hat die Erzeugung technischer Porzellane ebenfalls beachtliche Bedeutung und dient der Befriedigung hoher Ansprüche der Elektro-, Tuch- und Laborindustrie.
Als eine besonders charakteristische Leistung konnte ein Duplikat der historischen
Stutzuhr, die der englischen Königin anläßlich ihres Besuches in Berlin im Jahre 1965
von der Bundesregierung überreicht wurde, besichtigt werden. Als nicht weniger interessant und überzeugend wurde die Leistung derjenigen Betriebsabteilungen empfunden, die mit ihrer Handmalerei — besonders auf dem Gebiet der naturalistisch gestalteten Blumen — den Ruf der „KPM" mitbegründen halfen.
Alles in allem vermittelte die Besichtigung der traditionsreichen Berliner Porzellan-Manufaktur ein eindrucksvolles Bild der künstlerisch und technisch hochwertigen
Produktion dieses Unternehmens. Im Namen des Vorstandes des Vereins und der Teilnehmer an der Besichtigung sprach Herr Bullemer der Geschäftsleitung der Manufaktur
seinen aufrichtigen Dank aus.
Vortrag mit Lichtbildern „Philipp PFAFF, Hofzahnarzt Friedrichs des Großen,
u n d Pierre BAILLIF, Leibzahnarzt Friedrich Wilhelms III.",
am 20. 6. 1967 von Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm.
Philipp PFAFF wurde 1711 wahrscheinlich in Berlin geboren, da sein Vater hier
seit 1710 aktenkundig ist. Über diesen Vater wird berichtet, daß er, 1689 bei der Zerstörung Heidelbergs entführt, wegen seiner Geschicklichkeit in Languedoc zum Chirurgen ausgebildet wurde und später in Montpellier als Prosektor tätig war. Sein
Sohn Philipp wandte sich unter dem „Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. zunächst
der Laufbahn eines Feldschers zu, schied aber unter dem jungen Friedrich II. aus der
Armee aus und eröffnete 1744 auf der Fischerbrücke eine Barbierstube, in der sich der
ausgebildete Chirurg vornehmlich der Zahnheilkunde zuwandte. 1756 wurde er zum
Hofzahnarzt ernannt, im gleichen Jahre erschien bei Haude & Spener seine „Abhandlung von den Zähnen des menschlichen Körpers und deren Krankheiten" als erstes
deutschsprachiges Buch dieses Faches von Bedeutung. Es wird darin zum ersten Male
überhaupt die noch heute übliche Abdruckmethode zur Anfertigung von Zahnersatz
126
empfohlen. 1764 zum Hofrat ernannt, starb BAILLIF zwei Jahre darauf in seinem
Hause, dem Schwarzen Adler auf der Fischerbrücke.
Der 1775 in Lausanne geborene Mechaniker Pierre BAILLIF (auch Peter
BALLIF) dürfte innerhalb des 1. Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts in Berlin eingewandert sein. Er begründete 1811 seinen Ruf mit einer künstlichen Hand, dem ersten Fortschritt seit Goetzens Eiserner. Auf BAILLIFs Prinzip beruhen auch noch unsere heutigen Prothesen. Es folgten Konstruktionen von Fußprothesen, künstlichen Nasen u. ä.
1823 wurde er Hof rat, 1827 Leibzahnarzt des Königs. Mit geschickten Schmeicheleien
bewarb er sich erfolgreich um eine Ordensdekoration. 1830 starb BAILLIF als wohlhabender Mann, nachdem er noch Berlin um eine sogenannte Aktienbrücke über die
Spree, für die ihm 10 Jahre die Zolleinnahmen zustanden, bereichert hatte. Diese
Brücke, die heutige Moabiter Brücke, trug noch Jahrzehnte den Namen Ballifbrücke.
Autorreferat
Studienfahrt zur Zitadelle in Spandau
Bereits am 1. August 1964 war die Spandauer Zitadelle Ziel einer Studienfahrt des Vereins. Die seit 1962 vom Berliner Denkmalspflegeamt planmäßig eingeleiteten Instandsetzungs- und Restaurierungsarbeiten waren damals schon voll im
Gange; sie sind inzwischen an der Bastion König und am Juliusturm weitgehend
abgeschlossen und erbrachten baugeschichtlich wichtige Ergebnisse. Es schien daher
lohnend, der Zitadelle einen erneuten Besuch abzustatten. Dr. Hans Pappenheim,
der sich bereits im ersten Studiensemester durch seine gründlichen Quellenstudien zur
Geschichte der Spandauer Zitadelle die ersten wissenschaftlichen Sporen verdient hatte,
war den über 120 Teilnehmern der Sommerfahrt vom 29. Juli 1967 der sachkundige
Führer: Ob er uns an der Seitenfront des Pallas, der heute das Spandauer Heimatmuseum birgt, an seinen baugeschichtlichen Studien über die ältere Burganlage teilnehmen ließ oder uns die jüdischen Grabsteine in der südlichen Pallasmauer demonstrierte, die zu den ältesten mittelalterlichen Zeugnissen der Spandauer Geschichte
zählen. Der Juliusturm, der stabilste Restteil der alten askanischen Burg, dessen Innentreppe aus Eichenholz, ein handwerkliches Meisterwerk der in der Zitadelle beheimateten Bauhandwerkerschule zur erst 1964 gebauten Aussichtsplattform führt, erlaubte
bei schönster Sicht Ausblicke in das nahe Spandau, aber auch hin zu den Neubauten
am Falkenhagener Feld und im Märkischen Viertel. Besonders reizvoll und romantisch
verlief schließlich unter Führung des Herrn Müller vom Kunstamt Spandau und unseres Mitgliedes Herrn Groth die Wanderung durch die in den letzten Jahren freigelegten Kasematten der Bastion König. Gerade die unteren Feuergalerien zeigen noch
deutlich die Schwierigkeiten auf, die bei der Fundamentierung der Grundmauern auf
dem sumpfigen Gelände zu überwinden waren. Grundwasserabsenkungen ließen schon
einst die „360 Schock" Eichenpfähle faulen und die darauf gesetzen Grundmauern absacken. Es sind die gleichen Schwierigkeiten, die auch heute noch die Instandsetzungsarbeiten behindern und zu größter Wachsamkeit zwingen. Die uns immer wieder begegnenden Gipsmarkierungen an den Grundmauerrissen zeugen davon. Leider reichte
die Zeit nach dem langen Treppauf-treppab durch die unterirdischen Gänge nicht
mehr aus, um das sehenswerte und für einen späteren privaten Besuch zu empfehlende Heimatmuseum im Pallas selbst noch aufzusuchen.
Mit einer Kaffeetafel in Wilhelmshöhe am Stößensee fand der von schönstem
Wetter begünstigte Sommerausflug einen gemütlichen Ausklang.
G. Zimmermann
127
Buchbesprechungen
Gernot Schley: Die Freie Bühne in Berlin. Der Vorläufer der Volksbühnenbewegung.
Ein Beitrag zur Theatergeschichte in Deutschland. Berlin: Haude u. Spenersche Verlagsbuchhandlung 1967. 163 Seiten. DM 10,80.
Es ist außerordentlich zu begrüßen, daß die „Freie Bühne" in Berlin, der Vorläufer der
Volksbühnenbewegung, eine theaterwissenschaftliche Darstellung gefunden hat. Wenn es auch
schon so manche, auch eingehende Abhandlungen darüber gab, so liegt hier eine vom Verfasser,
einem Schüler von Professor Knudsen, auf Grund allen verfügbaren Quellenmaterials bestens
fundierte Arbeit vor, die alle Details in die Betrachtung einbezieht, jede Aufführung einzeln
behandelt und dadurch ein interessantes Bild des kulturellen Lebens in Berlin zur Zeit der
Jahrhundertwende vermittelt. Nachlässe bzw. Teilnachlässe wie z. B. von Ludwig Fulda, den
Gebrüdern Julius und Heinrich Hart, Gerhart Hauptmann, Paul Schienther, Maximilian
Harden, Fritz Mauthner und Philipp Stein sowie das Archiv des Verlags S. Fischer wurden
dafür, zum guten Teil erstmalig, ausgewertet.
Die bornierte Theaterzensur in Berlin vor 1889 hatte die Veranlassung zur Gründung
der „Freien Bühne" gegeben, wobei den Gründern als Vorbild das Pariser „theätre libre" des
Andre Antoine vorschwebte, das damals ausschließlich noch ungespielte Stücke zeitgenössischer
Autoren aufführen ließ. In einer Weinstube bei Kempinski fand die erste Besprechung über
die Gründung eines derartigen Theaters für Berlin am 5. März 1889 statt, an der Theodor
Wolf, Maximilian Harden, Otto Brahm, Paul Schienther, die Gebrüder Hart, der Verleger
Samuel Fischer, Julius Stettenheim, Rechtsanwalt Paul Jonas und der Theateragent Stockhausen teilnahmen. Diese Zehn gründeten dann am 5. April den Theaterverein „Freie Bühne"
mit Otto Brahm als Vorsitzenden. (Sie zählten als aktive Mitglieder, alle anderen gegen Zahlung eines Beitrages als passive Mitglieder, die jährlich 10 Theateraufführungen geboten bekamen.) Bereits im Juni 1890 waren es über 1000 Mitglieder, sodaß der Verein keine finanziellen Sorgen hatte. Die Namenliste zeigt, daß fast alle Schriftsteller, Dichter und andere
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens von Rang und Namen Mitglieder waren wie Barnay, Blumenthal, l'Arronge oder Ibsen, Fontane, Fulda, Sudermann und Anzengruber, sowie
auch Schauspieler wie Josef Kainz und Agnes Sorma. So konnte die „Freie Bühne" schnell
im Theater- und Kulturleben Berlins Fuß fassen, zumal da ein so einflußreicher Verleger wie
Samuel Fischer ihr Schatzmeister war. Dabei war nicht ohne Bedeutung, daß alle von der
„Freien Bühne" aufgeführten Stücke zugleich im Verlag S. Fischer erschienen. Ihre Hauptaufgabe war, naturalistische, realistische und soziale Dramen zu bringen, die bisher von der
Bühne verbannt waren. Mit Ibsens „Gespenster" wurde am 29. Sept. 1889 die „Freie Bühne"
eröffnet. Kurz darauf, am 20. Oktober 1889 folgte die Aufführung von Gerhart Hauptmanns
„Vor Sonnenaufgang", die für den Theaterverein von besonderer Bedeutung wurde. Dabei
war Theodor Fontane einer der ersten Fürsprecher für Hauptmann. Als 5. Stück erschien Tolstois „Macht der Finsternis", als 9. Hauptmanns „Friedensfest", als 12. seine „Einsame Menschen" und als 17. am 26. Februar 1893 „Die Weber". Im Verein blieben Meinungsverschiedenheiten nicht aus; Otto Brahm behielt jedoch als Vorsitzender die Zügel in der Hand, bis er
1894 Intendant des „Deutschen Theaters" wurde und Paul Schienther den Vorsitz übernahm.
Als dieser 1898 nach Wien ging, folgte ihm Ludwig Fulda in der Leitung. Nachfolger der
„Freien Bühne" wurde dann die „Freie Volksbühne", mit der ein neues Kapitel Berliner
Theatergeschichte beginnt. —
J- Lachmann
Adolf Heilborn: Die Reise nach Berlin. Einleitung und Ergänzung von Kurt Pomplun.
Berlin: Rembrandt-Verlag, Neuauflage 1966. 119 Seiten mit Zeichnungen von Walter Wellenstein und Bildtafeln. D M 9,80.
Nachdem Adolf Heilborn im Jahre 1921 die ersten Kapitel seiner „Reise nach Berlin"
ebenso wie seine „Museumssnaziergän^e" in der Presse veröffentlicht hatte, erschien 1925 der
Erstdruck des Büchleins, das bald die Anerkennung der Berliner fand und seinerzeit geradezu
eine Art Bestseller für alle heimatgeschichtlich interessierten Leser wurde. Desto erfreulicher ist
das Wiedererscheinen, das nicht nur eine Neuauflage darstellt, sondern jedes Kapitel ist von
dem Fachmann Kurt Pomplun bis auf unsere Tage tortgeführt und vervollständigt worden.
Und dadurch ist der Wert dieses reizend geschriebenen Buches erheblich vermehrt. Es ist auch
heute ein „romantischer Baedeker und Führer aus dem neuen Berlin ins alte", wie Heilborn
selbst es genannt hat.
J. Lachmann
Georg Hermann: Spaziergang in Potsdam. Vorwort von Friedrich Mielke. Zeichnungen
von Walter Wellenstein, Bildtafeln von Max Baur. Berlin: Rembrandt-Verlag, Neuauflage
1966. 139 Seiten. DM9,80.
Beim Erscheinen der Erstauflage des beliebten Buches im Jahre 1929 erstrahlte die Havelresidenz noch in alter Pracht. Wenn jetzt unter völlig veränderten Verhältnissen eine Neu-
128
aufläge dieses unterhaltsam geschriebenen und nett ausgestatteten Büchleins erfolgte, so ist
dies doch gerechtfertigt. Führt es uns doch von neuem auch zu den alten, lieben Stätten, die
heute nicht mehr sind, und hält damit die Erinnerung an die große Zeit Potsdams wach, nicht
zuletzt durch die Bildtafeln und Zeichnungen.
J. Lachmann
Karl Baedeker: Berlin-Schöneberg. Kurzer Führer mit 5 Karten und Plänen und 12
Zeichnungen. Karl BAEDEKER Verlag, Freiburg 1967. Einband: Hochglanzkarton.
Preis D M 3,40.
Etwas ganz Neues: Ein Bezirksführer. Aber warum eigentlich nicht? — Schließlich ist
Schöneberg mit seinen 185 000 Bürgern durchaus eine Großstadt, die eine selbständige Behandlung verdient, und hatte bis 1920 eine autonome Geschichte, die vielleicht weiter zurückführt als die der im Spreetal gelegenen Kapitale. So lassen wir uns gern von unserem
Mitglied Kurt POMPLUN, selbst Sohn der Schöneberger Insel, an die Hand nehmen und uns
auf dem Wege durch die vertrauten Straßen soviel auch uns Unbekanntes an Altem und
Neuem erzählen, daß wir am Schluß feststellen: Dies rote Büchlein mit seinen 36 Seiten ist
mehr für den Einheimischen geschrieben als für den Fremden, dem meist der Überblick im
großen Berlin-Baedeker genügen wird. Den Referenten als gebürtigen Friedenauer erfüllte
mit besonderer Genugtuung die separate Besprechung seines Heimatdorfes, das sich 1920 ebenso ungern von Schöneberg hat erobern lassen wie dieses von Berlin. Er bezweifelt auch nicht,
daß dieses erfreuliche, auf knappstem Raum eine Fülle von Wissensstoff enthaltende Bändchen seinen Weg machen wird. — Aber, Herr BAEDEKER, Berlin hat 20 Bezirke!
W. Hoffmann-Axthelm
Walter Bruch: Kleine Geschichte des deutschen Fernsehens. Herausgegeben vom Sender
Freies Berlin (Buchreihe des SFB 6). Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Berlin, 1967.
120 Seiten, 35 Abbildungen, davon 5 vierfarbig, DM 9,80.
In Berlin sind viele Entwicklungen auf technischem Gebiet durchgeführt worden. So
wurde hier — unter anderem — nicht nur der Ton- oder Hör-Rundfunk (der bei seiner Inbetriebnahme am 29. 10. 1923 noch „Unterhaltungsrundfunk" hieß) für Deutschland entwikkelt, sondern auch das Fernsehen.
Das vorliegende Buch entstand aus Anlaß der 25. Großen Deutschen Funkausstellung
Berlin 1967, bei der das deutsche Farbfernsehen der Öffentlichkeit übergeben worden ist. Der
Verfasser gibt eine Obersicht über die Entstehung des Fernsehens in Deutschland, ohne auf
technische Einzelheiten einzugehen. Zunächst werden die Anfänge geschildert, wobei besonders
die als Wegbereiter für ein späteres Fernsehen in Betracht kommenden Erfindungen und Gedanken der in Berlin ansässig gewesenen Paul Nipkow und Gebrüder Skladanowsky hervorgehoben werden. Nipkow erfand 1883 die nach ihm benannte Scheibe zur Bildabtastung und
Max Skladanowsky zeigte 1893 in Berlin-Pankow erste Filme mit einem primitiven Projektionsapparat.
Dem Berliner Publikum wurden bereits auf der Funkausstellung 1928 Fernsehapparate
vorgeführt, wobei noch die mechanische Bildabtastung benutzt wurde. Eine wesentliche Verbesserung brachte dann die Fernsehelektronik, wobei das Ikonoskop besonderen Anteil hatte.
Im Jahre 1930 hatte der in Berlin-Witzleben untergebrachte Fernsehsender, dessen Antenne
auf dem Funkturm angebracht war, mit seinen Versuchssendungen begonnen.
Eine besondere Bedeutung erlangten die Fernsehübertragungen während der Olympischen
Spiele in Berlin 1936. Der Verfasser, der ab 1935 bei der Firma Telefunken tätig ist und
seine Angaben seit dieser Zeit aus persönlichem Erleben heraus schildert, weist zu diesen
Übertragungen mit bewegten Worten auf die Schwierigkeiten hin, die auf technischem Gebiet
zu bewältigen waren.
Auf der Funkausstellung 1939 wurden erstmalig Fernseh-Einheitsempfänger gezeigt, die
650 RM kosten sollten. Wegen des bevorstehenden Krieges gelangte aber nur eine geringe
Stückzahl zur Fertigung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Fernsehbetrieb im Jahre 1952 wieder aufgenommen. Aufnahmeraum sowie die Sender für Bild und Ton befanden sich im Gebäude des
ehemaligen Reichspostzentralamtes in Berlin-Tempelhof.
In den drei letzten Kapiteln des Buches wird das Farbfernsehen behandelt, über dessen
Technik es verschiedene Möglichkeiten gibt. In Amerika wurde das NTSC-System, genannt
nach National Television System Comittee, entwickelt. Im europäischen Bereich gelangten
zwei Verfahren zur Durchbildung: SECAM (Sequentiel ä Memoire) und PAL (Phase Alternation Line). Diese beiden Verfahren wurden auf der internationalen Konferenz in Oslo im
Jahre 1966 behandelt, doch konnte keine Einigung über eines von beiden erzielt werden. Hinsichtlich des Farbfernsehens wurden die europäischen Länder in zwei Lager gespalten. In der
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Bundesrepublik Deutschland sowie in den Ländern Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Norwegen, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Schweden
ist das PAL-Verfahren gewählt worden. Einige andere europäische Länder haben sich für das
SECAM-Verfahren entschieden.
Dem Verfasser, der als Erfinder des PAL-Fernsehverfahrens anzusehen ist, wurde — wie
aus der am Ende des Buches gebrachten Biographie hervorgeht — die Würde eines
Dr.-Ing. E. h. verliehen.
W. Hahn
Klaus Schwarz: Bremen und Berlin (Ein geschichtlicher Rückblick) — Sonderverö'ffentlichung aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt B r e m e n , 1967.
Berlin und Bremen haben seit einigen Jahren ein Abkommen, daß in jedem Jahr mehrere
kulturelle Veranstaltungen mit dem Thema BERLIN in Bremen stattfinden, daß andererseits
aber in jedem Jahr unter Leitung von Mitarbeitern des Senators für das Bildungswesen mehrere Gruppen aus Bremen jeweils eine Woche in Berlin kulturelle Veranstaltungen und Einrichtungen besuchen.
Im Mai 1967 fand in Bremen eine vielbeachtete Berlin-Woche statt, für die Klaus
Schwarz in mühevoller Kleinarbeit eine hervorragende Dokumentation über die engen Bindungen zwischen der alten Hauptstadt und der weit älteren Hansestadt verfaßt hat.
Bremen hat sich durch alle Jahrhunderte die Einheitlichkeit als Republik bis auf den
heutigen Tag erhalten, während Berlin seine innere Einheitlichkeit — wie Schwarz mit Recht
sagt — verloren hat.
Während in Berlin seit dem 15. Jahrhundert als Residenz der Hohenzollern mehr und
mehr neben dem Bürgertum Hof, Bürokratie, vor allem Militär vorherrschten, während der
Offiziersstand das gesamte gesellschaftliche Leben bis in die vierziger Jahre unseres Jahrhunderts beeinflußte, blieb Bremen die Stadt des königlichen Kaufmanns, in der der Adel
nichts galt, der Offiziersstand zu allen Zeiten h i n t e r dem Kaufmannsstand rangierte.
Doch — vieles ist beiden Städten durch die Zeiten gemeinsam geblieben: da in Bremen
durch mancherlei Überschwemmungen das Land rund um die Hansestadt zerstört zu werden
drohte, holte man zum Aufbau und Anbau des Landes Kolonisten aus den Niederlanden;
auch Berlin und die Mark taten gleiches, siedelte doch Albrecht der Bär Niederländer an,
weit um Berlin herum — so etwa zu Jerichow über die Berlin vorgelagerte Altmark bis hin
nach Teltow, ja bis in die Doppelstadt Berlin/Coelln. Albrecht der Bär ist im Jahre 1139 in
Bremen gewesen, wo er als Vogt des Erzbischofs während des Marktes Recht sprach. Aus den
„Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause" (Hermann Krabbo und
Georg Winter, Berlin-Dahlem, 1955) wissen wir, daß im Jahre 1142 Albrecht der Bär tatkräftig dabei war, als nahe Bremen zwischen Ochtum und Hunte neue Siedler angesetzt
wurden.
Das bedeutendste Bindeglied zwischen Berlin und Bremen in alten Tagen war die gemeinsame Zugehörigkeit zur Hanse, 1358 tritt Bremen, ein Jahr später Berlin zur Hanse. Schwarz
vermutet, daß schon im 13. Jahrhundert gelegentliche Zusammenkünfte zwischen Berliner
und Bremer Kaufleuten stattgefunden haben werden. Meist traf man sich dazu in Hamburg.
Im 17. und 18. Jahrhundert gab es in Berlin eine kleine bremische Kolonie. 1696 trat diese
in engere Verbindung zur alten Heimatstadt. Der Rat der Stadt Bremen wurde durch den in
Bremen geborenen kurfürstlichen Hoffiskal Eberhard de Marees aus Berlin aufgesucht, um
die Bremer für eine Kollekte zu Gunsten des Baus der Parochialkirche zu bitten, da „an der
Spree bremische Stadtkinder in ziemlicher Anzahl wohnten." Diese vom Senat der Stadt Bremen genehmigte Kollekte erbrachte 1064 Thaler, während aus Hamburg nur 252 Thalcr
eingingen.
Beamte, Lehrer, Theologen aus Bremen kamen nach Berlin und wirkten hier wie etwa
der Hof rat Lüder Cöper oder der Gymnasiallehrer Heinrich Meierotto, der zunächst 1696 an
die Friedrichsschule in Frankfurt an der Oder ging, dort Rektor wurde, danach in Berlin das
Werdersche Gymnasium, später das Joachimsthalsche Gymnasium leitete. Später hielt sich
die Hansestadt in Berlin einen Beauftragten, der Aufträge für die Stadt Bremen gegen ein
Entgelt zu besorgen hatte und die neuesten politischen Nachrichten aus Berlin berichten
mußte. Auch das Theater war ein Bindeglied zwischen den beiden Städten, während zunächst
in Bremen aus pietistischen und anderen Erwägungen das Theater von Amts wegen nicht
recht anerkannt war. Nicht zuletzt durch Berliner wurde nach und nach das Theater in
Bremen ausgebaut und gefördert, und wenn Iffland noch 1784 schreiben konnte: „Bremen
hatte bisher Intoleranz gegen Schauspieler", so kann er 25 Jahre später sagen, daß jetzt
Bremens Theaterpersonal das beste in ganz Deutschland sei.
Die Beziehungen zwischen Berlin und Bremen sind stets vielfältige geblieben, sei es auf
dem Gebiete der Kultur, des Handels oder des Verkehrs, doch hat man — wie Klaus Schwarz
130
besonders erwähnt — es als Fremder immer in Bremen viel schwerer gehabt als in Berlin, so
daß der bremische Bürgermeister Alfred Pauli in den Erinnerungen aus seinem Leben sagt,
„daß Fremde, namentlich fremde Ehepaare, trotz langen Verweilens und einwandfreier Persönlichkeiten nie haben in Bremen warm werden können", während der Dichter Rudolf
Alexander Schröder, ein Bremer, von Berlin sagte, es gehöre „zu den liebenswürdigsten Zügen dieser Stadt, daß sie jeden Neuhinzugezogenen alsbald mit unbeschwerter Selbstverständlichkeit zu den ihren zählt."
Wer kennt die Fülle der Wechselbeziehungen zwischen Berlin und Bremen? Wer weiß es
wohl, daß das kleine Denkmal der Bremer Stadtmusikanten von Gerhard Marcks stammt, den
Schwarz mit Recht Berliner nennt? Der „Bremer Weg" im Berliner Tiergarten erinnert daran, daß 30 000 Bäume als kleine Setzlinge nach Beendigung der Berlin-Blockade von Bremen
gestiftet wurden? Wer weiß aber noch, daß Bremen die beiden Kirchbauten im Hansa-Viertel,
die Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche durch die Spende einer Glocke und die St. Ansgar-Kirche durch einen Beitrag zur Möglichkeit der Fertigstellung der schönen Eingangspforte unterstützte? Der Bremer Scharoun baute — inzwischen Berliner geworden — die Philharmonie
und beginnt in diesen Tagen mit dem Bau der Staatsbibliothek. So gehen die Fäden hin und
her zwischen den beiden Städten Bremen und Berlin und zwischen den Menschen, die in ihnen
wohnen.
Es sollte angeregt werden, daß die als Sonderdruck herausgegebene Arbeit von Klaus
Schwarz nochmals in Buchform mit Abbildungen erscheint, denn diese Arbeit ist ein außerordentlich bedeutsames Kulturdokument aus alten und jungen Tagen.
Horst Behrend
Mitteilungen
125 Jahre Schultheiss-Brauerei AG
Die Schultheiss-Brauerei AG konnte am 22. September 1967 auf ihr 125jähriges Bestehen
zurückblicken. Die Gründung im Jahre 1842 geht auf den Apotheker August Heinrich Prell
zurück, der die kleine Brauerei in der Neuen Jakobstraße 26 schnell zu Ansehen und Umsatz
führte. 1853 kaufte Jobst Schultbeiss den Betrieb und verstand es mit Geschick, den Namen
Schultheiss in das Berliner Stadtbild einzuführen. Als der kränkelnde Jobst Schultheiß die
Brauerei 1864 zum Verkauf anbot, erwarb Adolph Roesicke, der Inhaber des damals bekannten Leinengeschäftes von Goschenhofer & Roesicke in der Leipziger Straße, das Unternehmen
und beauftragte seinen 19jährigen Sohn Richard mit der Leitung. Unter Richard Roesicke,
der im Jahre 1903 als angesehener Wirtschaftsführer, bekannter Sozialpolitiker und Reichstagsabgeordneter starb, hatte die Brauerei ihren Ausstoß von 10 000 auf fast 1 Mill. hl. gesteigert. Roesicke und seine Nachfolger haben bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein für die
Berliner Wirtschaft bedeutendes Unternehmen entwickelt, das mit seinen Brauereien und
Mälzereien nicht nur im Stadtbild Berlins, sondern auch in Schlesien vertreten war und mehr
als 40 Niederlassungen in Mitteldeutschland hatte. Alle Besitzungen in Mittel- und Ostdeutschland gingen nach dem Zweiten Weltkrieg verloren, so daß die Schultheiss-Brauerei insgesamt einen Verlust von über 100 Mill. RM durch den Zusammenbruch erlitt. In der Zwischenzeit hat das Unternehmen, das auch Mitglied unseres Vereins ist, unter der tatkräftigen
Führung von Generaldirektor Sixtus, dem Vizepräsidenten der Berliner Industrie- und Handelskammer und Präsidenten des Deutschen Brauer-Bundes, einen Aufschwung genommen,
der es wieder an die Spitze der deutschen Brauereien brachte. Neben der Stärkung der Position am Berliner Markt durch die Schultheiss-Gruppe, der auch so bedeutende Unternehmungen wie die Engelhardt-Brauerei und die Löwenbrauerei — Böhmisches Brauhaus angehören,
hat sich die Schultheiss-Brauerei neue Positionen in Westdeutschland und in Obersee aufgebaut, die von unternehmerischer Tatkraft zeugen. In einer Festschrift von 232 Seiten Umfang hat der Verfasser die Geschichte des Schultheiss-Bieres in Berlin geschrieben und den
Werdegang dieses bedeutenden Berliner Unternehmens in den Zusammenhang der Entwicklung
der gesamten Berliner Wirtschaft gestellt.
E. Borkenhagen
Frau G e r t r u d D o h t 8 0 Jahre
Unser langjähriges Mitglied, Frau G e r t r u d Doht, vollendete am 6. September 1967
ihr 80. Lebensjahr. Frau D o h t h a t die Tradition ihres verstorbenen Gatten, der J a h r zehnte dem Vorstand, zuletzt als stellv. Vorsitzender, angehörte, fortgesetzt; sie selbst
w a r nach dem Zusammenbruch Mitglied des Vorstands u n d Vorsitzende des Veranstaltungsausschusses. D e r Vorstand übermittelte herzliche Glückwünsche des Vereins.
131
BERNHARD KROESING t
Am 15. Juli 1967 starb im Alter von 69 Jahren Bernhard Kroesing, langjähriger Geschäftsführer und Ehrenmitglied des Journalisten-Verbandes Berlin. Bernhard Kroesing hat sich in
zahlreichen Gremien um die soziale Frage seiner Berufskollegen verdient gemacht. Er war
einer der Gründer des „Tages der offenen Tür" und Mitglied des Rundfunkrates des Senders
Freies Berlin. Seit 1934 gehörte er dem Verein für die Geschichte Berlins an.
Im III. Vierteljahr konnten wir folgende Damen und Herren
als neue Mitglieder begrüßen:
Agathe Meinecke, Dipl.-Bibliothekarin,
1 Berlin 33, Am Hirschsprung 13, Tel.: 76 13 63
Dr. Irmtraut Hoffmann-Axthelm, Fachzahnärztin,
1 Berlin 21, Händelallee 61, Tel.: 39 24 90
Dr. Gabriele Crecelius, Fachärztin für innere Krankheiten,
1 Berlin 19, Langobardenallee 1, Tel.: 3 02 34 25
Käte Hahn, 1 Berlin 37, Andreezeile 37, Tel.: 80 31 80
Dr. Hans Leichter, Diplomchemiker,
1 Berlin 33, Ehrenbergstr. 32, Tel. über: 83 03 01
Kunstamt beim Bezirksamt Charlottenburg,
1 Berlin 19, Heerstraße 12, Tel.: 3 05 13 88
Harry Richter, Bauingenieur,
1 Berlin 41, Wilseder Straße 6, Tel.: 79 55 61
Dr. phil. Gerhard Baader, 1 Berlin 45, Augustastraße 37
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
(Prof. Hoffmann-Axthelm)
(Dipl.-Ing. Hahn)
(W. Mügel)
(Prof. Hoff mann-Axthelm)
Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1967
1. Dienstag, 17. Oktober, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Lichtbildervortrag des Leiters des Heimatmuseums Spandau, Herrn Johannes
Müller „Vom alten und neuen Spandau".
2. Sonnabend, 28. Oktober, 15.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Irmgard wirth
durch die „Theodor Hosemann-Ausstellung" des Berlin-Museums, Berlin 30,
Stauffenbergstraße 41.
3. Freitag, 10. November, 18.00 Uhr, Besichtigung des Springer-Verlags- und
Druckhauses, Berlin 61, Kochstraße 50, mit Filmvortrag. Für Gehbehinderte
nicht geeignet. Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche
Anmeldung bis spätestens 3. November an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten.
4. Mittwoch, 15. November, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139.
Lichtbildervortrag des Herrn Hans-Werner Klünner „Die St. Nikolai-Kirche
zu Berlin in Vergangenheit und Gegenwart".
5. Donnerstag, 30. November, 14 Uhr: Besichtigung der Schultheiß-Brauerei, Berlin 61, Methfesselstraße 28 (am Kreuzberg). Für Gehbehinderte nicht geeignet.
Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis
spätestens 23. November an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten.
6. Mittwoch, 6. Dezember, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139.
Lichtbildervorträge der Herren Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke über „Das
Asyl Schweizerhof in Zehlendorf und sein Begründer" und Dr. Otto Winkelmann über „Weibliche Krankenpflege in Berliner Lazaretten 1870/71".
7. Sonnabend, 16. Dezember, 16.00 Uhr: „Berliner Weihnachten" mit Herrn Alfred Braun im großen Saal des Ratskellers Schöneberg.
Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Freitag, 20. Oktober, 24. November und 15. Dezember zwangloses Treffen in der
Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Berlin.
Schriftleitung: komm. Prot. Dr. Dr. HofTmann-Axthelm, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den
Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt.
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, 1 Berlin 65, Müllerstr. 138d.
FochoU der ücr;i,,rCtodIbibliothel«
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
64. Jahrg. Nr. 11
1. Januar 1968
A 20377 F
Vorsitzender: Prof.Dr.Dr. W.Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 2490
Schriftführer: Dir. i.R. K. BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Zahlungen erbeten auf das Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80, 1 Berlin 21
Johann Peter Süssmilch, Zeuge einer Epoche
Anläßlich seines 200. Todestages am 22. März 1967 v o n Fritz Krüger
Süssmilch, Johann Peter,
Pfarrer und Statistiker
* Berlin 3. September 1707
t das. 22. März 1767
Sein Hauptwerk „Die göttliche
Ordnung in den Verhältnissen des
menschlichen Geschlechts" (1741)
war für die Entwicklung der Bevölkerungsstatistik bahnbrechend.
Der Neue Brockhaus,
Wiesbaden 1960
Am 3. September des Jahres 1707 wurde im Zehlendorfer Krug Johann Peter
Süssmilch geboren, eine Persönlichkeit, die ihre Zeit geistig beeinflußte, ein Mann, der
durch Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten, durch zahlreiche wissenschaftliche
Werke und durch geschäftliche Unternehmungen weit über den Rahmen seines Berufsstandes und über die Grenzen seiner Vaterstadt bekannt wurde. Auch als Propst von
Berlin blieb er Besitzer des heimatlichen Dorfkruges. Sein Geburtshaus, eben dieser
Krug, stand an Zehlendorfs „Historischer Ecke", Berliner Straße und Teltower Damm 1,
in der sich heute ein Konfektionshaus befindet. Leider mußte das schöne alte Pasewaldtsche Haus im Jahre 1929 abgerissen werden, um dem steigenden Verkehr Platz
zu machen.
Schon die Geschichte seiner Vorfahren ist nicht ohne kulturhistorisches Interesse.
Diese gehörten einem alten deutschen Geschlecht an, das schon Jahrhunderte in Böhmen ansässig gewesen war. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde ein Süssmilch mit dem
Erbrichteramt auf dem Schlosse Tollenstein an der Lausitzer Grenze unweit Zittau belehnt. Ein anderer des Geschlechts, ein Doktor der Rechte in Leipzig, reiste 1592 in besonderer Angelegenheit in die Mark und starb in Berlin, wo er auch begraben wurde. —
Das Erbrichteramt in Tollenstein blieb in der Familie bis auf Elias Süssmilch, den Urgroßvater von Johann Peter. Dessen Sohn, der auch Elias hieß, studierte an verschiedenen Universitäten. Die unselige Zeit des großen Glaubenskampfes entfremdete den
Sohn seiner Familie, er floh in die Mark, wo er in das neugeschaffene Heer des Kurfürsten eintrat. Der Kurfürst nahm ihn im Jahre 1650 in die Schar seiner „Leibtrabanten" auf. Durch Pflichttreue und erwiesene Unerschrockenheit brachte er es bis
zum Wachtmeisterleutnant und genoß das höchste Vertrauen seines Landesherrn, dem
er 25 Jahre diente. Nach der Schlacht bei Fehrbellin 1675 trat er aus Altersgründen
in den Ruhestand und wählte als Alterssitz das ländliche Zehlendorf. Im Jahre 1674
heiratete er die Witwe des früheren Besitzers des Kruges, des ehemaligen Wachtmeisters Georg Scherer. So kam der Dorfkrug in den Besitz der Familie Süssmilch.
Die Inhaber dieses Erbbraukruges scheinen damals immer in besonderem Ansehen
gestanden zu haben, denn im Zehlendorfer Kirchenbuch fehlt vor ihrem Namen im
Gegensatz zu den anderen Eintragungen niemals die Bezeichnung „Herr". Über die
erwähnte Eheschließung heißt es darin: „Anno 1674, 6. July den 3. Sonntag Trinitatis,
ist der Ehrenveste, Vorachtbare, Mannhafte Herr Elias Süssmilch mit der Ehrbaren
Catharina Lämbkens, Herrn Georg Scherers Widefrau nach vorhergehender Proklamation ehelich vertraut worden. Gott gebe ihnen seinen Segen." Anscheinend stand er
auch mit seinen neuen Nachbarn in bestem Einvernehmen. Das Kirchenbuch nennt des
öfteren die Patenschaft des Kurfürstlichen Trabanten und Gastwirts Elias Süssmilch
und seiner Gattin: 1667 Anna Gericke, 1687, 21.9. Maria Lüdecke/Haupt.
Auch im Ruhestand erfuhr er die Gunst seines Landesherrn. Nie versäumte dieser
auf seinen Fahrten nach Potsdam in Zehlendorf bei seinem „alten Greis", wie er ihn
nannte, einzukehren und ihm Beweise seiner Huld zu geben. Süssmilch hatte zwei
Söhne. Nach seinem Tode 1692 verwaltete der eine von ihnen, Christoph, das Kruggut, in das er 1701 die Tochter eines Bürgers und Schneidermeisters aus Kölln an der
Spree als Gattin führte. Von dem andern Sohn, der auch Elias hieß, wird berichtet,
daß er eine ausgezeichnete Ausbildung erhielt, die er auf Reisen durch England,
Holland, Frankreich und ganz Deutschland hatte vervollkommnen können. Nach
Zehlendorf zurückgekehrt, heiratete er die Tochter Maria des angesehenen und wohlhabenden Bürgers und Schönfärbers Peter Bleu aus Brandenburg an der Havel. Mit
dieser wohnte er anfangs in Zehlendorf, wo er eine Zeitlang das Kruggut führte, das
wohl im Besitze der Mutter geblieben war. Doch bald zog er nach Berlin, wo sein
Bruder bereits das Braugewerbe betrieb, und wo auch er als Brauer und Kornhändler
1727 das Bürgerrecht erwarb. Er wohnte erst in der Mariengemeinde, später in der
Nikolaigemeinde und starb 1734. Noch vor der Übersiedlung nach Berlin wurde dem
jungen Paar in Zehlendorf am 3. September 1707 ein Sohn geboren, der die Namen
Johann Peter erhielt.
134
Einer der Taufpaten war der erste Landrat des Kreises Teltow Cuno Hans von
Wilmersdorf auf Dahlem, dann Peter Bleu aus Brandenburg, ferner Herr Georg
Schulze, Fischhändler aus Berlin und zwei achtbare Berliner Frauen, ein Zeichen des
Ansehens, in dem der Zehlendorfer Krugbesitzer stand. Peters Vater verpachtete
Krug und Ländereien und siedelte etwas später nach Berlin über. Dieser Umzug
hatte für des kleinen Hans Peter Erziehung und Ausbildung wichtige Folgen. Bald
nahmen die Großeltern ihn mit nach Brandenburg und gaben ihn dort zur Schule.
Mit neun Jahren kam er auf das Gymnasium „Zum Grauen Kloster" in Berlin, wo
er bis 1723 blieb. In späteren Erinnerungen gedenkt er seiner Schulzeit und erwähnt
das einseitige Sprachstudium, das noch die aus den Klöstern übernommene Form hatte.
Schon früh erwachte in dem Knaben das Interesse für die Naturwissenschaften. Er
entdeckte auf den Feldern und in den Kiesgruben Berlins versteinerte Muscheln und
andere Fossilien und brachte seine Funde, auf die niemand vorher geachtet hatte,
seinem Lehrer Frisch, der den aufmerksamen Schüler jetzt über diese Funde gebührend
aufklärte und ihn zu weiteren Beobachtungen anhielt. Das von König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1713 begründete „Theatrum Anatomicum", ein Institut zur Ausbildung von Militärärzten, besuchte der 17jährige erst heimlich, hörte dann mit Wissen
der Eltern die Vorlesungen über Botanik, Chemie, Anatomie und Medizin und bestand
sogar ein Examen in der Osteologie (Knochenlehre) mit „gut". Gern wäre er Arzt
geworden, doch der Vater wollte einen Juristen aus ihm machen und schickte ihn auf
die Lateinschule des Franckeschen Waisenhauses nach Halle, damit er sich für das
akademische Studium vorbereitete. Anschließend bezog er dort die Universität und
widmete sich mit großem Eifer dem Studium der Theologie, obgleich sein Vater einen
Rechtsgelehrten wünschte. Hier in Halle wurde er besonders gefördert durch August
Hermann Francke, dem bekannten Pädagogen und Begründer der Halleschen Stiftungen, bei dem er nun täglich zu Tische war. Ein Jahr darauf ging er nach Jena, wo
ihn philosophische und mathematisch-physikalische Studien anzogen. Hier blieb er
fünf Jahre. Seine Lehrer hofften ihn für den akademischen Lehrberuf gewinnen zu
können, doch es kam anders. Der Propst Roloff von der Petrikirche in Berlin sandte
ihm zwei Söhne des Feldmarschalls von Kalkstein und trug ihm die Hofmeisterstelle
in dieser Familie an. Dadurch bekam sein Leben eine Wendung. Eine Reise mit
seinen Zöglingen nach Holland machte ihn mit der großen Welt bekannt. Nach vierjähriger Tätigkeit im Hause von Kalkstein berief ihn der Feldmarschall 1736 zum
Feldprediger bei seinem Infanterie-Regiment in Berlin, welches Amt er 1737 antrat.
In diesem Jahr heiratete der junge Süssmilch die Tochter des verstorbenen Kgl. Hofgoldschmiedes und Besitzers des Hauses „Zum Neidkopf" Lieberkühn in Berlin. Nur
drei Jahre war Süssmilch als Feldprediger tätig, da berief ihn das Domkapitel in
Brandenburg 1740 zum Prediger in Etzin und Knoblauch, zwei kleinen Dörfern im
Osthavelland bei Nauen. Da aber in diesem Jahr der erste Schlesische Krieg ausbrach
und das Regiment mit ausrückte, blieb er noch ein halbes Jahr bei seinen Soldaten,
ehe er das Amt eines Landpfarrers antrat. Nach der Schlacht bei Mollwitz entging
er mit knapper Not den österreichischen Husaren Neippergs, die das dortige Pfarrhaus
in Brand stecken sollten.
Als Landpfarrer in der dörflichen Stille seines Pastorats widmete Süssmilch sich
in seinen Mußestunden mit Vorliebe statistischen Studien. Schon während des Feldzuges hatte die Besetzung der schlesischen Ortschaften ihm dazu Anlaß gegeben. Er
besorgte sich von den Pfarrämtern genaue Zahlenangaben über Bevölkerungsbewe-
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gung in Stadt und Land. Diese Arbeit weckte in ihm so tiefe Gedanken, daß er 1741
eine Schrift verfaßte über „Die göttliche Ordnung in den Verhältnissen des menschlichen Geschlechts", die ein so großes allgemeines Interesse fand, daß sie fünf Auflagen erlebte. Dadurch wurden der König und die Staats- und Kirchenbehörden auf
diesen „Propheten der Volkswissenschaft", der erstmalig Gesetzesmäßigkeit in der Bevölkerungsbewegung feststellte, aufmerksam, sie erregte aber nicht nur in den preußischen Gebieten, sondern in anderen Ländern ebenfalls großes Aufsehen. In Brandenburg-Preußen und damit auch in Berlin wurden Zahlen über Bewegung der Bevölkerung bis zur Bildung der Standesämter im Jahre 1874 hauptsächlich aus den Kirchenbüchern gewonnen, deren Führung in der Kurmark zum ersten Mal durch die
Visitations- und Konsistorial-Ordnung von 1573 vorgeschrieben wurde. Unvollständige
Angaben über die in Berlin seit 1583 Gestorbenen wies Süssmilch nach, der nun auch
Zahlen über die Verheirateten, Getauften und Begrabenen seit 1712 brachte. Der
junge König interessierte sich bald lebhaft für den Gelehrten und ernannte ihn 1742
zum Propst von Kölln und zum Pastor an der dortigen Petrikirche. Somit hatte seine
Wirksamkeit auf dem Lande nur zwei Jahre gedauert. In Berlin erwählte ihn die
Kgl. Akademie der Wissenschaften zu ihrem ordentlichen Mitglied und veranlaßte
ihn, Vorlesungen über seine statistischen Forschungen zu halten. So wurde sein Name
bald in der ganzen gelehrten Welt bekannt. Man sandte ihm aus dem Ausland,
besonders aus Holland und England, weiteres statistisches Material, durch das er seine
Arbeiten ergänzen und vertiefen konnte. Noch zwei Auflagen erschienen während
seines Lebens, eine vierte und fünfte (1790) gab sein Schwiegersohn, der Pastor Jacob
Baumann in Lebus heraus. Außerdem verfaßte Süssmilch noch eine Reihe anderer
Bücher, z. B. eine „Abhandlung von dem schnellen Wachsen der Kgl. Residenz Berlin",
vorgelegt in der Sitzung der „Akademie der Wissenschaften" am 6. Februar 1749.
Süssmilch war nicht nur ein Liebhaber, sondern ein wirklicher Kenner der verschiedensten wissenschaftlichen Gebiete. Er schrieb umfangreiche philologische Arbeiten
über fremde Sprachen, veröffentlichte theologische und philosophische Schriften, wandte
sich eingehenden geschichtlichen Studien, u. a. über den germanischen Stamm der Heruler
und den Freiheitskampf der Stedinger zu. Bahnbrechend aber ist er geworden als
Begründer der neuen Wissenschaft der Bevölkerungsstatistik. Es wirkt recht zeitgemäß, wenn wir von einer seiner Dissertationen lesen, daß sie „von der Gefahr
großer Städte" handelt. Auch auf pädagogischem Gebiet wirkte er, und das Berliner
Schulwesen verdankt ihm manche Verbesserung. Der König ehrte den verdienstvollen
Mann durch die Ernennung zum Oberkonsistorialrat am neugegründeten Oberkonsistorium, dem späteren Oberkirchenrat. Ein großes Verdienst erwarb er sich als Geistlicher dadurch, daß er sich der Protestanten in Ungarn tätig annahm. Er verwandte
sich 1751 ihretwegen bei Friedrich dem Großen, welcher bei der Kaiserin Maria
Theresia intervenieren ließ.
Als Prediger war er in seinem Vortrag erbaulich und lehrreich, im Umgang klug
und vernünftig, wodurch er sich zu einem der angesehensten Kanzelredner der großen
Residenz entwickelte. Die von Süssmilch herausgegebenen Gelegenheitspredigten zeigen
ihn als einen soliden und lehrreichen Pastor, der weder mit seiner Gelehrsamkeit
prahlte, noch sie verleugnete. Als Mitglied des Oberkonsistoriums suchte er auf alle
ihm nur mögliche Weise das Beste der Kirchen und Schulen in den preußischen Staaten
zu fördern, so daß er zu manchen Verbesserungen Anlaß gegeben hat. Über Religion
und Staat dachte er viel nach, um auf diese Weise Religion als Staatsklugheit zu
136
fördern. Nach dem ersten Schlaganfall 1763 konnte er nur noch selten predigen. Aber
1765 wagte er es dennoch und weihte unter außerordentlicher Rührung der Zuhörer
die neue Kanzel in der Petrikirche ein. Mit dieser Predigt nahm er Abschied von
seinen Gemeindegliedern und „diese beweinten mit dem empfindlichsten Mitleid die
Kraftlosigkeit ihres rechtschaffenen Lehrers".
Süssmilch liebte sein Vaterland, aber nicht blindlings, sondern nach seinem Maße,
und er wirkte mit allem Ernst für dessen Wohl. Darum suchte er auch die Landesgeschichte näher zu bearbeiten. Er besorgte sich die geschichtlichen Urkunden zur
brandenburgischen Geschichte von dem französischen Prediger Vignol, die er 1765
dem Historiker Buchholz für seine Geschichte der Churmark Brandenburg zur Verfügung stellte; damit hat er sich um die Förderung der märkischen Geschichte ungemein verdient gemacht. Leider existiert diese wertvolle Urkundensammlung nicht
mehr, auch das von Buchholz zum Thema angekündigte Buch erschien nicht.
Während Süssmilch Ehren und Ruhm in reicher Fülle erlangte, scheint inzwischen
über dem Gut seiner Väter in Zehlendorf kein günstiger Stern gestanden zu haben,
denn dieses kam in der Mitte des 18. Jahrhunderts zur gerichtlichen Versteigerung.
Der Propst, der vielleicht auf ihm eine Hypothek stehen hatte, erwarb dieses für
7600 Taler. Er ist es wohl auch gewesen, der 1752 den alten Dorfkrug umbaute und
dabei das ansprechende Gasthaus im friderizianischen Stil erbaute, das bis 1929 die
Zierde des alten Zehlendorf war und als Station für den Pferdewechsel zwischen
Berlin-Potsdam weit und breit bekannt war. Süssmilch ließ den Krug in Zehlendorf
durch Pächter bewirtschaften, 1751 durch Balthasar Haupt, 1754 durch die Gastwirte
Huhn und Eisholz. Mit letzterem hatte er einen Rechtsstreit wegen des Inventars.
Für die Ländereien hielt er sich Verwalter. Der Propst erwies sich als unternehmender,
erfolgreicher Mann. Im Dorfkrug war die Königliche Hofpost stationiert, deren Personal, Offiziere, Feldjäger, Grenadiere und Husaren, hier untergebracht wurden. Da
die Königliche Post zwischen Berlin und Potsdam nur Personen und Briefe für den
Hof beförderte, ward gar bald der Gedanke wach, eine derartige Einrichtung für den
zivilen Bedarf zu schaffen. Da aber kein Unternehmer dieses Risiko eingehen wollte,
erklärte sich Süssmilch bereit, diese täglichen Postfahrten einzurichten. Er erwies sich
auch hierin als guter Kaufmann, der sich für seinen Erbkrug, in dem der Pferdewechsel stattfand, durch die zu erwartenden Fahrgäste eine gute Einnahmequelle versprach. Als weitblickender Mann hatte er den Wert des an wichtiger alter Handelsstraße und in der Mitte zwischen den beiden Residenzen gelegenen Gasthauses erkannt
und war deshalb emsig bemüht, diesen sich zugute kommen zu lassen, wodurch er auch
gleichzeitig für das Gesamtwohl wirkte.
Mancherlei Neuerungen gehen auf seine Vorschläge zurück, so die Verlegung der
Postroute von dem Königsweg auf die jetzige Potsdamer Straße und spätere
Chaussee, und insbesondere die Einführung der Journalieren, jener Schnellposten, die
auf der später erbauten Steinbahn, der ersten preußischen Chaussee, für die Strecke
zwischen den beiden Residenzen nur vier Stunden brauchten. Vom Jahre 1754 ab
ließ Süssmilch zwischen beiden Orten täglich 2 Journalieren verkehren und nahm für
die Person 12 Groschen Fahrgeld. Diese Geschwindigkeit erregte Aufsehen. „Die
Menschen strömten auf die Landstraße, um das neue Wunder anzustaunen". Sie
wurde als eine besondere Veranstaltung betrachtet, als erste Eilpost der Kurmark mit
der Bestimmung, für diese und für die Monarchie eine Probe- und Mustereinrichtung
zu werden. Das gibt dem Unternehmen eine besondere, weit über die lokalen Grenzen
137
Das Erbbraukruggut Pasewaldt in Zehlendorf
1752 erbaut, 1929 abgerissen. Aufnahme um 1905
(Aus: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 10. Band, 1959, Seite 33)
hinausreichende Bedeutung. Bald folgten andere Staaten dem Beispiel Preußens.
Weitere Wagen mußten eingestellt werden, so daß Hin- und Rückfahrt an einem Tage
möglich waren. Das war eine große Erleichterung für alle, die in Berlin oder Potsdam
bei Hofe zu tun hatten oder nur diese Residenz sehen wollten, z. B. bei den Paraden
des Königs. Man konnte nun in Berlin bequem einkaufen, ging es doch mit der Journal iere über 4 deutsche Meilen flott vonstatten. Die Einrichtung fand viele Freunde
und entwickelte sich derart, daß der Überschuß im ersten Jahr 1400 Taler betrug. Auf
6 Jahre lief der Vertrag mit dem Generalpostmeister Graf von Gotter. Die Ordinärposten fuhren über den Königsweg, sonst ging es Königsweg, Stolpe, Klein-Glienicke
nach Potsdam. 1800 ging die Journaliere 32 mal in der Woche von Berlin nach Potsdam.
Mit Eröffnung der Haveleisenbahn 1838 mußten die Fahrten der Journalieren eingestellt werden. Die regelmäßige, pünktliche, rasche und täglich mehrfache Verbindung
zweier Städte ging weit über den damaligen gewöhnlichen Postbetrieb hinaus und gibt
bereits einen Vorgeschmack der Eisenbahnverbindung. Nach Errichtung der BerlinPotsdamer Chaussee brauchte sie sogar nur 3 Stunden, bis 1838 stieg die Zahl der
täglichen Journalieren auf 6 in jeder Richtung.
Lange hat Siissmilch das Kruggut in Zehlendorf, zu dessen Aufblühen er den
Grund gelegt hat, nicht in Besitz gehabt, wurde er doch zu sehr dadurch in seiner
wissenschaftlichen Tätigkeit und in seinem geistlichen Amte gehindert. Im Jahre 1754
verkaufte er es mit dem stattlichen Haus an seinen Schwager, den Stadtsekretär
Schlicht, und widmete sich nun wieder mit voller Hingabe den liebgewordenen geistigen Arbeiten.
138
Aber kaum ein Jahrzehnt nach dem Rücktritt von seiner Tätigkeit für das Postwesen, im Friedensjahr 1763, wurde die Wirksamkeit des immer so rührig gewesenen
Mannes — er war leider auch der Vorläufer des Managertyps unserer hektischen
Zeit — stark gehemmt durch einen Schlaganfall, der seine linke Seite lähmte. Einem
wiederholten Anfall am 17. März 1767 erlag er noch vor Vollendung seines 60.
Lebensjahres. Süssmilch hinterließ 10 Kinder. Zwei Töchter waren mit Geistlichen
verheiratet. Sein Sohn Johann Gustav wurde Oberbürgermeister von Breslau, eine
Tochter hatte einen Handelsmann in Freystadt geheiratet. Der Sohn Christian Carl
studierte in Frankfurt und wurde später geisteskrank. Die jüngste Tochter Helene
Christiana war Kammerfräulein bei der Königin Elisabeth Christine in NiederSchönhausen, die in ihren Armen verschied.
Seine Schwester, Dorothea-Louise, war mit dem Stadtsekretär Johann Christian
Schlicht in Berlin verheiratet, der später das Lehnschulzen- und das Kruggut in
Zehlendorf übernahm. So kamen die beiden größten Güter des Dorfes in eine Hand.
Im Jahre 1764 verkaufte Scfdicht dann beide Güter an Peter Pasewaldt aus Stücken
bei Potsdam.
So endete das Leben eines vielseitigen Mannes, der mit seinen Gedanken seiner
Zeit weit vorausgeeilt war. Erst ein Jahrhundert später fand der Bahnbrecher auf
dem Gebiete der Bevölkerungsstatistik das volle Verständnis von Vertretern dieser
Wissenschaft. Sie folgten der Linie, die er einst vorgezeichnet hatte.
1862 errichtete der Magistrat Berlin ein selbständiges Statistisches Bureau, das im
alten Rathaus untergebracht und das 1872 als dauernde Einrichtung anerkannt
wurde. Das erste Statistische Jahrbuch der Stadt Berlin erschien 1878 mit den Zahlen
für das Jahr 1876. Im Jahre 1881 wurde das Statistische Bureau in Statistisches
Amt der Stadt Berlin umbenannt.
Es wäre nun eine Pflicht der Dankbarkeit, das Andenken von Süssmilch durch
eine Erinnerungstafel in der Nähe seiner Geburtsstätte oder mindestens durch die
Benennung einer Straße oder einer Schule in Zehlendorf zu ehren. Am Ort seiner
alten Wohnstätte erinnert nichts an ihn. Eine Anregung dazu wurde mehrfach gegeben
— fand aber keine Erwiderung. Liegt es vielleicht am Namen? Aber das „Institut
National d'Etudes Demographiques" in Paris und das Institute of Economic Research
Hitotsubashi University Kunitachi, Tokio, haben sein Bild erbeten. Damit wird der
preußische Gelehrte aus Zehlendorf nach 200 Jahren international anerkannt.
Literatur:
1. Zehlendorfer Kirchenbuch 1642—1793.
2. Christian Förster: Nachricht von dem Leben und Verdiensten des Herrn Oberkonsistorialrates Johann Peter Süssmilch, Bin 1778.
3. Oberkonsistorialrat a. D. Troscbke: Hans Peter Süssmilch, sein Leben und Wirken,
Evangelisches Konsistorium Berlin-Brandenburg.
4. 100 Jahre Berliner Statistik 1862—8. Februar 1962, Kap. 14. Die göttliche Ordnung —
von Johann Peter Süssmilch 1775.
5. Dr. Banniza von Bazan: Der Zehlendorfer Krüger Elias Süssmilch, seine Sippe und seine
Nachkommen. Herold Bd. 2, Heft 1. 1941.
6. Julius Haeckel: Die Anfänge der Berliner Potsdamer Eisenbahn. Mitteilungen des Vereins
für die Geschichte Potsdams Bd. 6, Heft 1. 1927.
7. Johannes Stappenbeck: Denkwürdigkeiten bey der Kirche in Etzin und Knoblauch —
J. P. Süssmilch 1773—1867. Auszug aus dem Etziner Kirchenbuch, Heimatarchiv Zehlendorf 1954.
139
Theodor Hosemann
Maler und Illustrator im alten Berlin
Ausstellung im Berlin - Museum v o m 21. Oktober 1967 bis 31. Januar 1968
Am 28. Oktober führte die Leiterin des
Museums, Frau Dr. Irmgard Wirth,
den Verein durch die eine Woche zuvor
eröffnete Ausstellung.
Die Aufgabe, den Museumsbesuchern den Zeichner und Maler Hosemann durch
eine Ausstellung nahe zu bringen, war lohnend und schwierig zugleich. Lohnend,
weil viele alte Berliner noch heute ihren Hosemann recht gut kennen und lieben und
nur zu gern ein Wiedersehen mit ihm feiern, das für sie zu einem heiter-wehmütigen
Ausflug in die Vergangenheit wird. Schwierig, weil es galt, auf begrenztem Ausstellungsraum in ausgewählten, charakteristischen Beispielen seinem vielseitigen Schaffen gerecht zu werden, also auch die Buchillustrationen und seine gebrauchsgraphische
Tätigkeit für vielerlei Anlässe zu berücksichtigen.
Der 1807 geborene, 1828 mit seinem Gönner Winckelmann nach Berlin gekommene Lithograph Theodor Hosemann wurde durch diesen, wie auch durch den
Theatermaler Carl Gropius, der neben seinem Diorama einen Kunstverlag betrieb,
auf die Buchillustration gewiesen. Winckelmann eröffnete eine Lithographische Anstalt
und betätigte sich sogleich auch als Verleger. Der Wille, die vergleichsweise noch neue
lithographische Technik in ihren künstlerischen Mitteln sich ganz zu erschließen, Fleiß,
Phantasie und Einfühlungsvermögen in die literarischen Vorlagen ließen Hosemann
bald in die erste Reihe der wenigen Berliner Illustratoren und an die Seite des jungen
Menzel rücken. Die Zahl der bis an sein Lebensende im Jahre 1875 von ihm illustrierten Bücher und Zeitschriften — in der Mehrzahl Kinder- und Jugendschriften,
Märchenbücher und Volkskalender — ist erstaunlich hoch und zeugt von seinem
unermüdlichen Arbeitseifer, der freilich zum Teil durch die harte Notwendigkeit des
Broterwerbs bedingt war. Eine Auswahl der besten Illustrationen in Einzelblättern
140
und Büchern, zu denen in erster Linie die zu den Werken E. T. A. Hoffmanns, zu
Eugene Sue's „Die Geheimnisse von Paris", zu „Uli der Knecht" von Jeremias Gotthelf
und zu „Des Freiherrn von Mündihausen wunderbare Reisen und Abenteuer" zählen,
mußten neben einigen Beispielen aus den Kinderbüchern und den alten Bänden aus
Privatbesitz für die Anschauung der Besucher genügen. Dafür ist den berlinischen
Szenen in größeren Darstellungen mehr Raum gewährt. So finden wir Hosemann als
vergnügten Schilderer des Stralauer Fischzugs, an dem er selbst gern teilnahm, als
Theater- und Ballett-Liebhaber, oder an der Seite Adolf Glaßbrenners als engagierten
Achtundvierziger, der mit Stift und Feder nicht eben zaghaft, aber doch in seinem
Wesen kein Revolutionär, nicht einmal genialischer Künstler, sondern ein biederer
Bürger war.
Das verdeutlichen auch die zum großen Teil noch im Besitz der Nachkommen
befindlichen Aquarelle und Zeichnungen, die mit zu dem Schönsten und Liebenswertesten gehören, das er in seinen besten Jahren schuf. Sie gewähren uns Einblick
in sein Familienleben und lassen erkennen, wo die Liebe zu den Kindern und das
Verständnis für ihre kleine Welt herkamen. Zum Teil noch unveröffentlichte Briefe
und Dokumente runden den Blick auf das private Leben und seinen künstlerischen
Werdegang ab, der vom lithographischen Lehrling bis zum Kgl. Preußischen Professor
und Mitglied der Akademie der Künste reichte. In den größeren Ölbildern und
Aquarellen sind im Anschluß daran beinahe alle Themen zu finden, die das berlinische
Leben und Treiben, die Welt des Kleinbürgers vom Biedermeier bis zum Anfang
der siebziger Jahre, in humorvollen Szenen schildern und die er oft und gerne wiederholte und abwandelte. Da wird getanzt, gezecht, da rollt die Billardkugel, man kegelt
im Freien oder vergnügt sich als Sonntagsreiter, die Familien kochen Kaffee in den
großen Sommergärten oder sitzen in der Laube. Junge Herrchen feiern den „Blauen
Montag", die Bauhandwerker auf dem Gerüst genehmigen sich nach getaner Arbeit
einen Schluck. Dies alles ist Berliner Leben, wie Hosemann selbst es lebte. Draußen
aber, in der Mark, fand er noch die Idylle; beinahe romantische Gestalten sind es, die
als Schäfer, junge Hirtinnen oder kleine Reisigsammler seine Bilder bevölkern.
Noch bis an das Ende der sechziger Jahre, als die Kunst sich großartiger zu gebärden begann, behielt er die meisten seiner gemütvollen biedermeierlichen Themen bei,
wenn sie manchem nun auch altmodisch erscheinen mochten. Auch der arrivierte
Professor Hosemann schuf nebenbei noch Glückwunschadressen, Programme für Veranstaltungen der Künstlervereine mit einer Unzahl von Einzelszenen voller heiterer
und frecher Anspielungen und illustrierte häufig noch drittrangige literarische Erzeugnisse.
Beim Durchwandern der Ausstellung wird augenfällig, daß Hosemann das ihm
Gemäße sicher und schnell beherrscht hat, daß aber eine echte künstlerische Entwicklung in den fast fünfzig Jahren seines Schaffens in Berlin (veranschaulicht durch
die Bildnisse seiner Berliner Zeitgenossen in dem genannten Zeitraum) kaum ablesbar
ist. Selten spiegelte sich in seinen späteren Darstellungen die veränderte Zeit. 1864
zeichnete er allerdings sogar einen „Pferdeomnibus", während es auf seinen früheren
Bildern fast nur Hundefuhrwerke mit Kindern und einfache Wagen gab. Auch das
späte „Austernfrühstück" in einem feinen Restaurant blieb den zahllosen Bildern
aus dem Berliner Kneipen-Milieu gegenüber eine Ausnahme.
Theodor Hosemann, der Schilderer des Berliner Kleinbürgertums, liebte in allen
Gattungen seiner Kunst die kleinen bescheidenen Formate, sie schienen seinen Themen
141
angemessen. Als Lithograph, besonders aber als Buchillustrator, hat Hosemann sich
nach Menzel einen festen Platz in der Kunstgeschichte erobert. Seine Leistungen
reichten in dieser Beziehung über das nur Berlinische hinaus. Weniger anerkannt wurde
sein in seinen jungen Jahren durch Eduard Meyerheim angeregtes malerisches Schaffen,
das man fast ausschließlich von den Inhalten her sah und schätzte. Die Ausstellung
zeigt aber in aller Deutlichkeit, daß er auch in der Malerei, genauer genommen in
der aquarellierten Zeichnung und im Aquarell, Vorzügliches zu leisten vermochte und
ihre Möglichkeiten vom Malerischen her begriff und verwirklichte.
Irmgard Wirth
Berichte
Lichtbildervortrag: „Probleme der Stadtbildpflege in Berlin"
Der berufene Fachmann der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen,
Herr Oberbaurat Dipl. Ing. Wolfram Konwiarz, wurde uns am 23. Mai 1967 zum
durch reichen Beifall belohnten Interpreten der auf Betreiben von Herrn Prof.
Düttmann angelaufenen Aktion „Rettet den Stuck".
Die von Karl Friedrich Schinkel in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
geprägte Bautradition Berlins, der sich heute erklärtermaßen Mies van der Rohe verpflichtet fühlt, ist nicht nur in Gestalt der über den letzten Krieg geretteten künstlerisch bedeutsamen, unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke, sondern gleichermaßen mit den Baublöcken erhaltenswert, die als Ausdruck eines zeitgemäßen Stilwillens hier als Selbstdarstellung der Zeit von 1870 bis 1905 aus einer künstlerischen
Gesinnung gestaltet wurden, die aus der Vergangenheit ihre Anregungen bezog. Zur
Stadtlandschaft Berlin gehören so in Fortsetzung der Tradition des alten Berliner
Bürgerhauses zunächst die Schmuckformen des Klassizismus, später spiegelt sich die
wirtschaftliche und politische Entwicklung in den reichen Formen der Renaissance,
des Barocks oder des romanischen Stiles mit mehr oder minder eigenschöpferischen
Umwandlungen wieder, bis schließlich eine jahrhundertelange Entwicklung durch die
kurze ästhetisierende Epoche des Jugendstiles abgeschlossen wurde. Die noch vorhandenen Fassadenarchitekturen dieser dekorationsfreudigen Zeit bieten nicht nur Maßstab und Kontrast gegenüber den vielfach schablonenhaften und langweiligen Zweckbauten unserer Tage, sondern sie sind auch geeignet, den Bürgern das häufig vermißte stadtbezogene Geschichtsbewußtsein zu vermitteln.
Dankenswerterweise ist Berlin bereits vor Jahren allen deutschen Städten auf dem
Gebiet der Stadtbildpflege, so wie sie hier verstanden wird, Vorbild geworden. Im
Jahre 1963 wurden nach baugeschichtlichen und städtebaulichen Maßstäben 5 geschützte
Baubereiche ausgewählt, in denen auf Grund der Verordnung vom 5. August 1964
(die jetzt in die Bauordnung einbezogen worden ist) Straßenarchitekturen nur dergestalt verändert oder eingefügt werden dürfen, daß die jeweilige Eigenart des Baubereiches nicht beeinträchtigt wird. Hierdurch wird gewährleistet, daß die Baubereiche
Riehmers Hofgarten, Chamissoplatz und Planufer im Bezirk Kreuzberg, Schloß-/
Christstraße im Bezirk Charlottenburg und ein Teil von Alt-Spandau in der Putzund Stuckarchitektur der Zeit von 1850 bis 1914 und mit den Gaslaternen, gußeisernen Pumpen, Feuermeldern und Kleinbauten erhalten bleiben. Es ist jedoch nicht
beabsichtigt, die Bausünden der Vergangenheit zu konservieren, vielmehr wird in
142
Zusammarbeit mit der Stadtsanierung und den Kreditinstituten eine Entkernung und
Begrünung im Innern der Baublöcke und eine Modernisierung der Wohnungen erstrebt.
Die engagierten Ausführungen des Vortragenden zeigten die leider beachtlichen
Schwierigkeiten bei der Verwirklichung des ideellen Zweckes der Stadtbildpflege,
beispielhaft ausgewählte Lichtbilder gaben aber auch viele eindrucksvolle Zeugnisse
dafür, daß die Probleme in vier Jahren immerhin an 75 finanziell bezuschußten Hausfassaden gelöst worden sind. Im Haushaltsplan des Landes Berlin stehen jetzt jährlich
500 000 DM als Zuschuß für die einzelnen Instandsetzungen zur Verfügung. Dieser
Betrag reicht für 18 bis 20 Fassaden, womit die Durchführung der Baumaßnahmen
mit Ausschreibungen, Abrechnungen und Bauleitung verbunden ist. Diese halbe Million
DM jährlich erschien in der abschließenden lebhaften Diskussion den Anwesenden im
Vergleich zu den sonstigen Bausummen der öffentlichen Hand wegen der Bedeutung
und des Umfanges der im Rahmen der Stadtbildpflege zu leistenden Arbeiten wirklich
gut angelegt, aber viel zu gering. Da in Ausnahmefällen für Objekte von besonderer
städtebaulicher Bedeutung derartige Zuschüsse auch für Fassadeninstandsetzungen
außerhalb der geschützten Baubereiche gegeben werden, und selbst von den in diesen
Bereichen vorhandenen etwa 300 alten Fassaden unterschiedlicher Erhaltung aus finanziellen Gründen erst etwa 65 instandgesetzt werden konnten, ist dem rührigen Leiter
des Referats II D der Abteilung Stadtplanung am Fehrbelliner Platz zu wünschen,
daß dieser Haushaltsansatz alsbald verstärkt wird. Den in Betracht kommenden verständnisvollen und opferbereiten Hauseigentümern sollten häufiger als bisher die notwendigen Zuschüsse bewilligt werden können, um der Privatinitiative in allen Stadtteilen Beispiele stilgerechter Renovierungen zu geben und um so letztlich Berlin bei
voller Bejahung notwendiger, zeitgemäßer Entwicklungen zu helfen, seine typische
„Atmosphäre" und wesentlich damit die lebensnotwendige Attraktivität zu erhalten.
H.
Hofmann
Die Zukunft der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Die Vortragsfolge des Winterhalbjahres 1967/68 wurde am 12. September 1967
eröffnet mit einem Vortrag über das vorgenannte Thema des Generaldirektors der
Staatlichen Museen in Berlin Prof. Dr. Stephan Waetzoldt. Der Vortragende gab einleitend zunächst einen Rückblick über die Verluste, die der Krieg 1939/45 den Staatlichen Museen in Berlin zugefügt hat. Neben den Verlusten und anderen Schäden
seien an Kunstschätzen der Museen ca. 500 Gemälde verbrannt, darunter wertvolle
Stücke und Kostbarkeiten, wie Rubens, Rembrandt, Signorelli, Menzel u. v. a. Die
großen Museen mit ihren Sammlungen waren nach Kriegsende aufgeteilt in Teilbestände im Osten und im Westen unserer Stadt. Die Aufbauarbeit war dadurch erschwert, daß zahlreiche Museumsgebäude ganz oder teilweise zerstört waren. Man
stand vor der Frage, wie überhaupt geplant und aufgebaut werden solle unter Berücksichtigung der früheren Standorte und der in Frage kommenden Flächen unserer Stadt.
Dabei waren auch die Wiedervereinigung und die Besuchsmöglichkeiten der Museen
und Kulturschätze durch die Bewohner beider Teile der Stadt in Betracht zu ziehen.
Der Redner verwies auf die verschiedenen, zentral gelegenen Museen und kulturellen
Schwerpunkte in Berlin, die noch unter der Leitung von Bode etwa seit dem Jahre
1905 und später geplant und zu ihrer heutigen hohen kulturellen Entwicklung geführt
worden sind. Diese liegen zum größten Teil im Osten unserer Stadt. In West-Berlin
143
befinden sich drei Museumskomplexe im Wiederaufbau und Ausgestaltung, und zwar
das Museumsviertel in Dahlem, das Gebiet gegenüber der Philharmonie südlich des
Tiergartens sowie der Komplex um das Charlottenburger Schloß. Anhand von Lichtbildaufnahmen bis in die neueste Zeit erläuterte der Vortragende die in den drei
Museumsgebieten geplanten und im Bau befindlichen Neubauten und die Renovierungsarbeiten an bestehenden Gebäuden der einzelnen Sammlungen. Erwähnt seien:
Die Erweiterungsbauten des Museums Dahlem für die Sammlungen der Völkerkunde,
der indischen, islamischen und ostasiatischen Kunst, neben der Matthäuskirche der Neubau für die Nationalgalerie und die mit ihr vereinigten Bestände der Galerie des 20.
Jahrhunderts von Mies van der Rohe und endlich die Pläne von Prof. Rolf Gutbrod
für die Museen der abendländischen Kunst am Kemperplatz gegenüber der Philharmonie.
Die Besucher empfingen durch den Vortragenden ein umfassendes Bild von der
künftigen Gestalt unserer Museen. Sie werden nach ihrer Fertigstellung dazu beitragen,
den hohen Ruf und die große Vergangenheit Berlins als Kulturzentrum weiterhin zu
festigen und auszubreiten. Der stellvertretende Vorsitzende, Herr Archivdirektor Dr.
Ktttzsch, schloß die Vortragsveranstaltung unter großem Beifall der Versammlung
mit herzlichen Dankesworten an den Vortragenden für den eindrucksvollen Abend.
K.B.
Besichtigung der Schultheiss-Brauerei
Im Rahmen der Besichtigung bedeutender Unternehmen der Berliner Wirtschaft
fand am 30. November d. J. ein Besuch der Mitglieder des Vereins in der auf dem
Kreuzberg belegenen Abteilung II der Schultheiss-Brauerei statt, die den Besuchern ein
eindrucksvolles Bild von der Bierherstellung in allen Produktionsstufen vom Rohstoff
bis zum fertigen Bier erschloß. Die Besichtigung führte durch die KraftmaschinenAnlagen für die Energieerzeugung, die Einrichtungen des Sudprozesses mit den im
Betrieb befindlichen großräumigen Kupferkesseln, die wichtigen Hefe-Reinzuchtanlagen und durch die großen Lagerräume der Hopfenvorräte zu den Gärkellern mit den
schaumgekrönten Gärbottichen und den eindrucksvollen Lagerkellern, deren hohe
Gewölbe mit den großen Aluminiumbottichen und nicht minder imposanten eichenen
Lagerfässern weit in das Erdreich unter dem Kreuzberg sich erstrecken. Einen Höhepunkt bildete die Besichtigung der auf hohen Touren laufenden Flaschen-Abfüllmaschinen, die eine Höchstleistung bis zu 28 000 Flaschen in der Stunde erreichen.
Der Besichtigung folgte auf freundliche Einladung der Direktion ein geselliges Beisammensein und Gedanken-Austausch mit den Vertretern der Betriebsleitung bei einem
Probetrunk mit Imbiß. Herr Direktor Vogelsang begrüßte namens des Vorstandes der
Schultheiss-Brauerei die Mitglieder und Gäste des Vereins mit herzlichen Worten. Der
Vorsitzende des Vereins, Professor Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm,
sprach unter großem
Beifall der Besucher dem Unternehmen für die aufschlußreiche Besichtigung und die
gastliche Einladung zu dem Probetrunk den aufrichtigen Dank des Vereins aus. Er
verwies hierbei auf die Förderung der Vereinsaufgaben durch die Mitgliedschaft der
Schultheiss-Brauerei nach Wiederaufnahme der Vereinsarbeiten und hob die langjährige Verbundenheit des Unternehmens mit dem Verein für die Geschichte Berlins
hervor, die sich nach Berichten in den „Mitteilungen" des Vereins bis in das Jahr 1878
verfolgen läßt. Eine Besichtigungsfahrt auf dem damals noch bestehenden Festungs-
144
graben, der von U n t e r den Linden bis in die N ä h e der Jannowitzbrücke floß, endete
gleichfalls mit einem geselligen Beisammensein in der „Schultheissischen Brauerei".
Besondere Dankesworte richtete der Vorsitzende an die mit der Führung durch die
Betriebsanlagen beauftragten H e r r e n Dipl.-Ing. Müller und Gärführer
Szczygiol.
Buchbesprechungen
Kurt Pomplun: Berlins alte Sagen. 3. erweiterte Auflage mit einem Beitrag von Richard
Beitl. 88 Seiten Text mit zahlreichen Abbildungen und 20 Kunstdrucktafeln. Verlag Bruno
Hessling Berlin 1967. Pappbd. 7,80 DM.
Nun liegt dieses kleine, aber inhaltsreiche Bändchen von Kurt Pomplun in seiner 3. Auflage vor, was allein schon als fachliche Qualifikation zu werten ist. Aufgeteilt über zehn Bezirke von Groß-Berlin reihen sich vierzig Sagen, ergänzt durch 21 Textabbildungen und einen
Bilderteil aneinander. So kann der Leser, angetan durch den plaudernden Ton des Verfassers,
z. B. die Sage von den Schafsköpfen, oder die der „Jungfernbrücke", nacherleben. Von Cosmar
über Adalbert Kuhn bis Wilhelm Schwanz sind alle früheren Sagensammlungen herangezogen
worden und bieten somit dem darüber hinaus interessierten Leser die Möglichkeit, seine Studien fortzusetzen und sein Wissen um die volkstümlichen Sagen der alten romantischen Stadtgeschichte zu vertiefen. Wenn heute dem Berliner sein Sagengut wieder Aufmerksamkeit abfordert, so dürfte dieses Bändchen dazu beigetragen haben.
K. Mader
Kurt Pomplun: Berlins alte Dorfkirchen. Dritte erweiterte Auflage mit 58 Abbildungen
und 32 Tafeln. (Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte 3) Berlin 1967: Verlag
Bruno Hessling. 100 Seiten, DM 9,80.
Als im Jahre 1954 einer der besten französischen Kenner der Geschichte Berlins, Major
Irigoin, als Kulturoffizier die l. Auflage seines Stadtführers (Berlin, vu par Paul Irigoin,
85 Seiten, nicht im Handel) herausgegeben hatte, stellte sich bald heraus, daß dem starken
Interesse der französischen Besucher unserer Stadt in einem Thema nicht genügt worden war,
nämlich den Dorfkirchen. Daß sich in einer Großstadt trotz Umbauten und Brandzerstörungen über 50 Dorfkirchen erhalten hatten, deren Anfänge auf das Mittelalter zurückgingen,
war für jeden Betrachter der alten Kirchen, etwa von Heiligensee, Hermsdorf, Lübars, Reinickendorf und Wittenau, eine erstaunliche Tatsache, die die Wißbegier der fremden Besucher
erweckte. Nun bestand seit 1950 nur ein einziges geschlossenes Werk zum Thema (Walter
C. Türck, Die Dorfkirchen von Berlin, Evangelische Verlägsanstalt, Berlin 1950), aber dieses
war aus einem 1942 vorliegenden, dann jedoch durch Kriegseinwirkung zerstörten Manuskript
wieder rekonstruiert (einen Teil der Objekte hatte der Krieg vernichtet) unter schwierigen
Nachkriegsverhältnissen aufgelegt worden und genügte den Anforderungen nicht.
Paul Irigoin und seine Mitarbeiter hatten daher für die 2. Auflage ihres Stadtführers
für französische Gäste Berlins (96 Seiten, 127 Abbildungen, Februar 1957) auch eine ganze
Liste der erhaltenen Dorfkirchen Groß-Berlins (S. 59—62) angelegt, der „Vieilles Chapelles
villageoises", die auf 38 Einzelbauten kam; sie waren jeweils in 3—4-Zeilen-Beschreibungen
behandelt und sollten den Besucher auf Rundfahrten präzis und schnell über Standort, Entstehungszeit und Umgestaltungen orientieren.
Für die breite Öffentlichkeit fehlte aber ein Werk, das diese ältesten Kulturzeugen der
einstigen Hauptstadt und ihrer ihr seit 1920 einbezogenen ländlichen Randbezirke in geschichtlicher und baukundlicher Hinsicht in den Rahmen der Gesamthistorie Berlins einpaßte, den
heutigen Zustand beschrieb und Abbildungen aus früherer Zeit brachte. Kurt Pomplun unterzog sich 1962 der Aufgabe, diese Lücke auszugleichen, indem er in seinem Buch „Berlins alte
Dorfkirchen" zunächst die Geschichte des märkischen Wehrkirchenbaues und seiner Technik,
sodann 56 Objekte in Baubeschreibungen und (das vorliegende Schrifttum berichtigenden)
Geschichtsabrissen der einzelnen Bauwerke behandelte, zeitgenössische Darstellungen des 19.
Jahrhunderts wiedergab oder wenn nötig in Umzeichnungen festhielt, auch Grundrisse und
einzelne skulpturale Werke der Innenausstattung oder Windfahnen seit dem 16. Jahrhundert
zeigte. Dieses Werk, im November 1962 erstmals vorgelegt, mußte bereits Anfang 1963
neuaufgelegt werden.
Die 1967 erschienene 3. Auflage, textlich stark erweitert und mit 20 neuen Textillustrationen, brachte den Tafelteil von 20 auf 32 Seiten, um auch außerhalb Berlins wohnenden
Freunden kirchlicher Baugeschichte einen Eindruck zu vermitteln. Das Schrifttumsverzeichnis
erfaßt erstmalig die sehr verstreute und schwer erreichbare Spezialliteratur bis zum heutigen
Stand und wird manchen Berliner auch zur Beschäftigung mit den Dorfkirchen seines Bezirkes
anregen.
H. Pappenheim
145
Mitteilungen
FRITZ H Ä R T U N G f
Am Morgen des 24. November 1967 starb im 85. Jahre in Berlin der älteste Lehrer
neuer deutscher Verfassungsgeschichte, Universitätsprofessor Dr. phil. Dr. jur. h. c. Fritz
Härtung, Am 12. Januar 1883 in Saargemünd als Sohn eines höheren preußischen Beamten
geboren, besuchte er das Gymnasium in Freiburg im Breisgau und das Prinz-Heinrich-Gymnasium in Schöneberg, studierte in Heidelberg und Berlin und promovierte hier bei Otto
Hintze über „Hardenberg und die preußische Verwaltung in Ansbach-Bayreuth von 1792 bis
1806", und diesen Themenkreis führte Härtung stets weiter, als er nach seinen Professuren
in Halle (1910 bzw. 1915) und Kiel (1922) 1923 einem Ruf nach Berlin folgte, wo er bis zu
seiner Emeritierung 1949 ununterbrochen wirkte, Juli 1932—1933 auch als Dekan der Philosophischen Fakultät. Wie seine Dissertation, so galten auch die späteren zahlreichen Publikationen der deutschen Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis in unsere Zeit und der
Geschichte der preußischen Verwaltung, grundlegend aber auch seine Arbeiten über Goethe
als Staatsmann, über den Großherzog Karl August und die Biographie Bethmann-Hollwegs.
Viele Auflagen erlebte seine für weite Kreise bestimmte „Deutsche Geschichte von 1871 bis
1919". Als Redner fesselnd, vermochte er in den großangelegten Werken seine Fachgebiete,
die Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, in anschaulicher Weise zu behandeln. Als Nachfolger seines Lehrers Otto Hintze gab er später dessen „Gesammelte Abhandlungen" heraus. In über vier Jahrzehnten seines Wirkens in unserer Stadt war Fritz Härtung,
der in Schlachtensee wohnte, auch der Berliner Geschichtsforschung eng verbunden, und von
seinen vielen Ehrenämtern nennen wir besonders seine Mitgliedschaft der Deutschen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin und der Historischen Kommission für Brandenburg und Berlin.
Neben den großen Institutionen denken auch seine Schüler, denen er Lehrer und Prüfer im
besten Sinne Berliner Oberlieferung war, dankbar des nun heimgegangenen Forschers und
Förderers.
# . Pappenheim
Am 26. November starb nach schwerer Krankheit der langjährige Leiter des Spandauer
Heimatmuseums, Johannes Müller, im Alter von 62 Jahren. Viele Mitglieder werden sich der
lebendig gestalteten Führungen durch die Spandauer Nikolaikirche und noch in diesem Jahre
durch die Kasematten der Zitadelle und auf den Juliusturm erinnern. Zweimal sollte der
Verstorbene in diesem Jahre zu uns sprechen, zweimal hat es das tückische Magenleiden,
dem er jetzt erlegen ist, verhindert. Gerade aus dem Krankenhaus entlassen, hatte er sich
bereit erklärt, im Januar den erwarteten Vortrag zu halten. — Der Verein für die Geschichte
Berlins gedenkt dankbar dieses unermüdlichen Interpreten der Historie seines Heimatbezirkes
Spandau, der mit der Schrift über die Spandauer Zitadelle in der Reihe „Große Baudenkmäler" ein bleibendes Memorial hinterlassen hat.
Tty. Hoffmann-Axthelm
Der Schriftleiter unserer „Mitteilungen" seit ihrer Wiederherausgabe, Herr Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, vollendete am 11. Oktober d. J. sein 70. Lebensjahr.
Der Vorstand hat Herrn Dr. Lachmann aus diesem Anlaß herzliche Glückwünsche, verbunden mit den besten Wünschen für seine Gesundheit, übermittelt.
Herr Dr. Lachmann hat inzwischen gebeten, ihn aus gesundheitlichen Gründen von dem
Amt des Schriftleiters unserer „Mitteilungen" zu entbinden. Der Vorsitzende, Herr Professor
Dr. Dr. Hoff mann-Axthelm, hat in der Sitzung des Vorstandes unserem scheidenden Schriftleiter den aufrichtigen Dank des Vereins für seine erfolgreiche und wertvolle Tätigkeit seit
der Wiederherausgabe des Blattes im Juli 1965 ausgesprochen. Herr Dr. Lachmann wird dem
Verein auch weiterhin mit seinen reichen Erfahrungen aus der Geschichtskunde Berlins zur
"Verfügung stehen. Die Schriftleitung haben gemäß Beschluß des Vorstandes der Vorsitzende
und Herr Dr. Hans E. Pappenheim übernommen.
Unser langjähriges Vorstandsmitglied und Mitarbeiter an den Veröffentlichungen des
Vereins für die Geschichte Berlins, Herr Dr. Hans E. Pappenheim, ist nach über zwanzigjähriger Tätigkeit als Leiter der Kunstabteilung der Französischen Militär-Regierung von Berlin
mit Wirkung vom 1. Oktober 1967 in das Amt für Landesdenkmalpflege beim Senat von
Berlin eingetreten. Am gleichen Tage hat der Chef der Französischen Militär-Regierung, Herr
Divisionsgeneral Binoche, Herrn Dr. Pappenheim in Anerkennung seiner langjährigen Dienste
den Titel eines Beraters der F. M. R. von Berlin in Kunstfragen verliehen, um von seinen
Erfahrungen auch künftig Gebrauch machen zu können. Wir wünschen Herrn Dr. Pappenheim, der inzwischen auch die Schriftleitung unserer „Mitteilungen" übernommen hat, in seinem
neuen Wirkungskreis besten Erfolg.
146
Der Vorstand des Vereins übermittelte unserem Mitgliede Prinz Louis Ferdinand von
Preußen anläßlich der Vollendung des 60. Lebensjahres am 9. November 1967 die Glückwünsche des Vereins für die Geschichte Berlins.
Am 27. November 1967 feierte der Verein der Freunde und Förderer des Berlin-Museums
sein fünfjähriges Bestehen. In der festlichen Versammlung sprach unser Vorsitzender Prof.
Hoffmann-Axthelm
Herrn Prof. Redslob die Glückwünsche des Vereins für die Geschichte
Berlins aus und überreichte ein kleines Geschenk.
In Anerkennung seiner Arbeiten auf dem Gebiet der Berliner Medizingeschichte verlieh die Berliner Gesellschaft für Geschichte der Medizin e. V. unserem Mitglied Dr. phil.
Dr. med. Manfred Stürzbecher am 10. Dezember 1967 die Paul-Diepgen-Medaille. Diese
alle drei Jahre verliehene Auszeichnung trägt den Namen des bedeutenden langjährigen
Direktors des Instituts für Geschichte der Medizin der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Paul Diepgen (1878—1966), der 1936 mit seinem Institut die Mitgliedschaft in unserem
Verein erworben hatte.
Gemeinnützigkeit des Vereins
Wir weisen erneut darauf hin, daß Beiträge und Spenden unserer Mitglieder an den
Verein bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer absetzbar sind. Wir bitten in entsprechenden Fällen um eine Notiz auf dem Postscheckabschnitt od. dgl., damit die erforderliche Bescheinigung für das Finanzamt vom Schatzmeister übersandt werden kann. In Fällen,
in denen Mitglieder nach Überweisung des Jahresbeitrages Mitgliedskarten zu erhalten wünschen, bitten wir gleichfalls um eine entsprechende Notiz. Etwa noch rückständige Beiträge
1967 bitten wir auf das Postscheckkonto Berlin West 433 80 des Vereins für die Geschichte
Berlins, Berlin 21, möglichst umgehend zu überweisen.
Von unserem Jahrbuch „Der Bär" sind noch folgende Jahrgänge erhältlich:
Jahrgang
1952
1953
1955
1956
1957/58
Preis
—
4,80
—
—
4,80
Jahrgang
1959
1960
1961
1962
1963
Preis
4,80
4,80
5,80
5,80
5i80
Jahrgang
1964
1965
1966
1967
Preis
5,80
38,—
—
—
In beschränkter Zahl sind noch Bände des Jahrgangs 1951 (DM4,80) vorrätig.
Bestellungen werden mit Oberweisung des Betrages an den Kassenwart erbeten.
Im IV. Quartal 1967 haben sich folgende Damen und Herren
zur Aufnahme gemeldet:
Staatsschauspielerin Käte Haack-Schroth,
1 Berlin 19, Kuno-Fischer-Straße 3,
Tel.: 3 0 2 8 8 0 4
Prof. Dr. Ingeborg Falck, Chefarzt,
1 Berlin 41, Grillparzerstraße 2,
Tel.: 72 44 78
Ministerialrat i. R. Friedrich Hillenherms,
1 Berlin 37, Schützallee 120, Tel.: 76 34 15
Margarete Oschilewski,
1 Berlin 37, Am Fischtal 19
Ing. Konrad Lindhorst,
1 Berlin 33, Gadebuscher Weg 4/6,
Tel.: 76 44 38
Friedrich Träger, Lehrer,
1 Berlin 26, Eichenroder Ring 16
Gertrud Schroth,
1 Berlin 47, Hanne Nute 35/37
(Frau A. Hamecher)
(W. Mügel)
(Schriftführer)
(W. G. Oschilewski)
(Schriftführer)
(Prof. Dr. Dr. Harms)
(H. Hofmann)
147
Axel Springer, Verleger
1 Berlin 61, Kochstraße 50, Tel.: 6 10 82 00
Margarete Cahn,
1 Berlin 62, Badensche Straße 62
Heinrich Albertz, Bürgermeister a. D.,
1 Berlin 33, Taubertstraße 19, Tel.: 89 11 19
Friedr. Wilhelm Wentzel, Journalist,
1 Berlin 33, Berkaer Straße 6, Tel.: 89 42 98
Elisabeth Küche,
1 Berlin 20, Zeppelinstraße 44,
Tel.: 3 62 37 45
Dr. Hans Günter Schultze-Berndt, Geschäftsführer,
1 Berlin 26, Schorfheidestraße 41
Dr. Joachim Kühn, Botschafter a. D.,
2 Hamburg 20, Heilwigstraße 121
Walter Ruppel, Beamter,
1 Berlin 41, Goßlerstraße 19
Elsa Marie Kaatz,
1 Berlin 30, Bayerischer Platz 4
(Vorsitzender)
(Frau Dr. I. Reicke)
(Vorsitzender)
(Vorsitzender)
(Frau Dr. I. Hoffmann-Axthelm)
(Schriftführer)
(W. G. Oschilewski)
(Frau Koepke, H . Hofmann)
(Frau A. Hamecher)
Veranstaltungen im I.Vierteljahr 1968
1. Dienstag, 9. Januar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Vortrag des Herrn Horst Behrend „Ach, wie reich, Vaterland, ständest du in
Blüte . . . " — Berlin und seine Dichter.
2. Sonnabend, 20. Januar, (nur für Berufstätige) und Dienstag, 23. Januar, jeweils
10.00 Uhr, Besuch der Ausstellung „Dürer und seine Zeit" des Kupferstichkabinetts, 1 Berlin 33, Arnimallee 23, und Besichtigung alter Berlinansichten.
Einführung durch Herrn Direktor Prof. Dr. Hans Möhle.
Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis
13. Januar an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31,
gebeten.
3. Mittwoch, 21. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Vortrag der Frau Dr. Ilse von Hülsen-Reicke „Berlins musische Pastoren".
4. Freitag, 23. Februar, 15.00 Uhr, Führung durch die Philharmonie, 1 Berlin 30,
Matthäikirchstraße 1, unter Leitung des Intendanten, Herrn Dr. Wolfgang
Stresemann.
5. Dienstag, 19. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Lichtbildervortrag des Herrn Dr. Martin Sperlich „Berlins Baukunst im frühen
20. Jahrhunden".
6. Sonnabend, 23. März, vormittags, Exkursion mit privaten Pkw's zur Vertiefung
des vorstehend genannten Vortrages unter Leitung von Herrn Dr. Martin Sperlich.
Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung unter
Mitteilung, wieviel freie Wagenplätze ggf. zur Verfügung gestellt werden, bis
18. März an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31,
gebeten.
Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend
geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Freitag, 12. Januar, 9. Februar und 15. März zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin.
Schriftleitung: Prof.Dr.Dr.W.Horrmann-Axthelm, Berlin 21, und Dr.H.Pappenheim, Berlin 45. Zuschriften und Beitrage für die
Mitteilungen sind an die Schriftleiter zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt,
Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, 1 Berlin 65, Müllerstr. 138 d.
148
MITTEILÜW?EN
bibM
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
64. Jahrg. Nr. 12
1. April 1968
A 20377 F
Vorsitzender:Prof.Dr.Dr.W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin21 (Tierg.),Handelallee61, Ruf: 39 24 90
Schriftführer: Dir. i. R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
Das Berliner Concerthaus
Von D r . Wolfgang Medding f
Der Verfasser war der Enkel des Begründers und Leiters
des Concerthauses und stützte seine Darstellung auf den
Nachlaß im Medding'schen Familienarchiv in Oberlahnstein a. Rh., wo Dr. Medding - zuletzt Landeskonservator
der Pfalz und Leiter des Landesamts für Denkmalpflege
in Speyer - im Ruhestande lebte. Vom November 1967
bis zum 17. 1. 1968 standen die Schriftleiter der MITTEILUNGEN
im Briefwechsel mit dem Verfasser, der am
27. Januar 1968 starb. Seinem Wunsche entsprechend
bringen wir seine letzte Arbeit ungekürzt.
Es sind genau hundert Jahre her, daß das „Berliner Concerthaus" von Franz Medding
(geboren am 8. September 1835) in der Leipziger Straße am 21. Dezember 1867 mit
einem Festkonzert unter Leitung des Musikdirektors Benjamin Bilse eröffnet wurde.
Es ist in der Geschidne des Konzertlebens wohl einmalig, daß aus privater Initiative
ein großes Konzertunternehmen gegründet wurde, das bei fast täglichen Konzerten
sich über mehrere Jahrzehnte halten und die große Zahl von über 6000 Konzerten
erreichen konnte. Franz Medding war in jungen Jahren zur Vervollkommnung seiner
kaufmännischen Lehre als Buchhändler nach London geschickt worden, doch seine
ganze Liebe galt der Musik, und als er in London das erste große Musikunternehmen in Europa kennenlernte und die Aufführung von Sinfoniekonzerten mit großem Orchester erlebte, entstand bei ihm der Wunsch, etwas ähnliches für Berlin, die
werdende Reichshauptstadt, zu schaffen. Nach Berlin zurückgekehrt überredete er
seinen Vater Johann Hermann Medding, der Besitzer einer Gaststätte in der Leipziger
Straße war, das Grundstück hinter den Häusern Leipziger Straße 47-49 zu erwerben
und hier ein großes Konzerthaus zu errichten. Auf diesem Grundstück, das von den
Häuserzeilen der Leipziger Straße, des Dönhoffplatzes und der Krausenstraße umschlossen war, stand bis dahin ein großer Schuppen, die „Musenhalle" genannt, in dem
149
Medding
1 <*•"»-»
Kapellmeister
Meyder
Bilse
artistische Vorführungen und Kuriositäten geboten wurden, wie „Schreiers Affentheater", „Kreuzbergs Menagerie" und „Professor Beckers Zaubertheater". Alles Neue
und Seltene fand hier - wie es in einer zeitgenössischen Schrift heißt - Quartier, sogar
der „Demokratische Frauenklub" der Damen Marheinecke, Lucie Lenz und Luise Aston
mit ihren Frauen-Emanzipationsbestrebungen hielt hier seine Versammlungen ab.
Mit diesem allen räumte Franz Medding auf und ließ durch den mit ihm befreundeten
Baumeister A. Wesenberg das Konzerthaus mit einem riesigen Saal errichten.1' Dieser
faßte 1200 Besucher und hatte an seiner Stirnseite ein geräumiges Podium, zu beiden
Seiten je eine Orchesterloge. Die Langseiten des Saales waren in drei Geschosse aufgeteilt, zuunterst hinter sechs Arkaden mit Segmentbögen zwischen viereckigen Pfeilern
führten Gänge entlang. Darüber befand sich ein hohes Geschoß mit geräumigen Logen,
die durch schwere Vorhänge abgeschlossen werden konnten. Korinthische Pfeiler begrenzten die Logen und über diesen befanden sich in einem Mezzaningeschoß niedrigere
Logen, zwischen die über dem verkröpften Gebälk der Pfeiler Statuen aufgestellt
waren. Die Decke war sehr reich gegliedert und ornamental geschmückt, der Mittelteil
mit offenem Gebälk überhöht. Ein riesiger Kronleuchter aus Bronze und Bergkristall auf der Pariser Weltausstellung preisgekrönt - , vier kleinere Kristallüster und zahlreiche kleinere Lampen gaben dem Saal mit ihren Gasflammen eine festliche Beleuchtung.
Die Leitung des Konzerthauses hatte von Anfang an Franz Medding, obwohl zunächst
sein Vater Johann Hermann Medding als Eigentümer für die Direktion verantwortlich zeichnete. Dieser und auch ein Bruder des Franz, Hermann Medding, starben
jedoch schon in den siebziger Jahren. Als erster Dirigent wurde der Musikdirektor
Benjamin Bilse berufen. Dieser wurde am 17. August 1816 in Liegnitz in Schlesien geboren. Seinen ersten Musikunterricht erhielt er bei dem dortigen Stadtmusikus Scholz,
der ihn verschiedene Instrumente spielen lehrte. Zur, weiteren Vervollkommnung ging
Bilse nach Wien, wo er bereits in einem Orchester mitwirkte. 1842 berief ihn seine
Vaterstadt Liegnitz zurück und übertrug ihm das Amt eines „Stadtmusikus". Bilse
schuf sich dort eine Kapelle aus Berufsmusikern, mit der er in Liegnitz selbst und in
der Umgebung mit gutem Erfolg Konzerte gab. Schließlich unternahm er mit seinem
Orchester auch weitere Konzertreisen. So veranstaltete er auf Veranlassung König
Friedrich Wilhelms IV. 1846 ein Konzert in Erdmannsdorf (Riesengebirge) und 1847
in Schloß Sanssouci. 1852 leitete er - inzwischen zum Musikdirektor ernannt - das
schlesische Musikfest mit der Uraufführung des Oratoriums „Die Auferweckung des
Lazarus" von dem schlesischen Komponisten Jean Vogt. Er hat die Aufführung später
am 6. April 1882 im Berliner Konzerthaus wiederholt.
Bilse pflegte in seinen Konzerten ernste und klassische Musik, doch ließ er in seiner
schlesischen Zeit - um den Lebensunterhalt seiner Musiker zu bestreiten - diese auch in
kleineren Verbänden bei Hochzeiten oder zum Tanze aufspielen. Für diesen Zweck
gab er in den vierziger Jahren selbst komponierte Tänze heraus, in denen von der
Polonaise bis zur Quadrille alles Zeitgemäße enthalten war. Auch hat er einige Märsche
komponiert, von denen der „Cäcilienmarsch" sehr populär und später zum „Sturmmarsch" der 48er Revolution wurde.
* Eine architektonische Beschreibung des Konzerthauses in: Berlin und seine Bauten, 2. Bd. Bln.
1896 Seite 519.
151
Bei einer Soiree am 30. Oktober 1858 führte er in Liegnitz Liszt's sinfonische Dichtung
„Tasso", Schumanns d-Moll Sinfonie und den „Carneval in Rom" von Berlioz auf.
Bilse war ein großer Verehrer von Richard Wagner und Wagnerscher Musik; er ist
später nach seiner Berufung nach Berlin zum wahren Wagner-Apostel geworden. Noch
in seiner Liegnitzer Zeit hat er 1861 die Tannhäuser-Ouvertüre mit großem Erfolg in
Glogau aufgeführt. Als der Magistrat von Liegnitz ihm nach dreiundzwanzigjähriger
Tätigkeit im Amt seine Konzertreisen untersagen wollte, machte er sich selbständig
und begab sich 1867 mit seiner Kapelle zur Weltausstellung nach Paris, wo er mit
seinen Konzerten glänzende Erfolge errang. Seine Konzert-Tournee setzte er in Brüssel
und auf einer Reise den Rhein entlang und in einer Reihe namhafter deutscher Städte
fort.
Da traf ihn die Berufung durch Franz Medding zum Leiter der Konzerte und Dirigenten im neuen Konzerthaus in Berlin. Bilse sagte sofort zu, und man vereinbarte den
21. Dezember 1867 zur festlichen Eröffnung. Es gab zuletzt noch ein Wettrennen zwischen Musiker und Architekten, um den Termin einzuhalten. Erst am Vormittag des
Eröffnungstages verließen die letzten Handwerker das neue Haus, und das Konzert
unter Bilses Leitung in dem schönen neuen Konzertsaal wurde für Berlin ein großes
musikalisches Ereignis und für Bilse ein erster, von den Berlinern mit großer Begeisterung aufgenommener Erfolg. Die Bilseschen Konzerte waren in der Folgezeit außerordentlich beliebt, und Bilse selbst wie auch der Leiter des Konzerthauses Franz Medding erfreuten sich bei den Berlinern großer Volkstümlichkeit. Bilse hatte sein Liegnitzer Orchester nach Berlin mitgebracht und hat es im Laufe der Jahre immer wieder
durch begabte Musiker ergänzt. Bewährte Virtuosen holte er sich aus Berlin, Wien,
Dresden, Prag, Brüssel, Amsterdam und Paris. Sein Orchester hatte die Besetzung von
zwanzig Violinen, sechs Violen, sechs Celli, fünf Kontrabässen, einer Harfe, drei Flöten, zwei Oboen, einem Englischhorn, zwei Cornetts a Piston, fünf Trompeten, drei
Posaunen, einer Tuba und Pauke, kleiner und großer Trommel sowie Xylophon. Bei
besonderen Anlässen wurde der Klangkörper auf über hundert, ja zuweilen bis zu
130 Musikern vermehrt.
Im Laufe der Zeit hatte sich für die täglichen Konzerte ein bestimmter Wochenplan
herausgebildet, dessen Reihenfolge jedoch wechselte und bei Veranstaltungen aus besonderen Anlässen durchbrochen wurde. Im allgemeinen sah das Wochenprogramm folgendermaßen aus: Sonntag war für Sinfonien oder Solokonzerte vorgesehen, Montag
abend fanden Wagner-Konzerte statt, der Dienstag war der klassischen Musik, besonders Sinfonien gewidmet. Mittwochs war ein Liederabend, bei dem alte und neue Lieder
durch Solisten oder auch Chöre mit Orchesterbegleitung vorgetragen wurden. Der
Donnerstag war für Tanz und Geselligkeit vorgesehen. Der Freitag war Uraufführungen vorbehalten, und am Sonnabend kam wieder die leichte Muse zu ihrem Recht.
Ein zweiter kleiner Saal für kleinere Konzerte war später noch hinzugekommen, und
ein dritter Saal wurde an Vereine, meist Studentenverbindungen, vermietet. Benjamin
Bilse hat 17 Jahre lang als Kgl. Hofmusikdirektor, welchen Titel ihm der preußische
König verlieh, das Orchester geleitet und als Dirigent im Berliner Konzerthaus gewirkt.
Er hat in dieser Zeit Werke von Haydn, Mozart, Schubert, Mendelssohn, Schumann,
Liszt und Wagner aufgeführt, und bedeutende Zeitgenossen wie Richard Wagner,
Anton Rubinstein, Camille Saint-Saens haben hier ihre eigenen Werke dirigiert.
Zu besonderen Ereignissen wurden die Hofkonzerte, bei denen sämtliche Logen im
Obergeschoß für den kaiserlichen Hof reserviert wurden. Dreimal - am 4. Februar
152
1873 und am 24. und 25. April 1875 - hat Richard Wagner im Konzerthaus seine
Werke dirigiert. Eines dieser Konzerte, das am 4. Februar 1873, schildert Felix Philippi
in seinen Erinnerungen an Alt-Berlin wie folgt:
„Richard Wagner dirigierte zum Besten des Bayreuther Fonds (das Bayreuther Festspielhaus existierte zu dieser Zeit noch nicht) ein großes Konzert mit dem auf 105 Mann
verstärkten Orchester. Das Kaiserpaar war mit dem ganzen Hofe anwesend, die Preise
für damalige Zeit waren enorm, der Saal, aus dem für diesen Abend die Abonnenten
verbannt waren, überfüllt. Und ich höre noch dieses Aufrauschen durch den machtigen
Raum und den ungeheuren Beifallssturm, als unter dem Tusch des Orchesters vor dem
mit Lorbeeren geschmückten Pult der kleine große Mann erschien. Da habe ich ihn zum
erstenmal gesehen, es war ein Eindruck fürs Leben! Er stand da, bleich und erregt. Und
Blumen und Lorbeeren aus allen Logen flogen ihm zu und bedeckten das ganze Podium,
und immer wieder erhob er den Taktstock, um die Tannhäuser-Ouvertüre zu beginnen,
und immer wieder ein Blumenregen und aufschäumender brausender Jubel, der selbst
den Pilgerchor übertönte. Niemann sang in unvergleichlicher Kraft das Liebeslied aus
der ,Walküre' und die Schmiedelieder aus dem ,Siegfried', Betz's
wundervoller
Bariton schwelgte in ,Wotans Abschied'. Wagner dirigierte das Vorspiel zum ,Tristan', das Vorspiel zu den ,Meistersingern' und seinen ,Kaisermarsch'. Er ist nach
harten Mühen und Kämpfen gefeiert worden, wie selten ein Mensch, begeisterter und
reiner wohl niemals als an diesem Abend im Berliner Konzerthaus."
Wagner hat dann noch einmal, am 24. und 25. April 1875, im Berliner Konzerthaus
eigene Werke dirigiert.
Am 22. Dezember 1877 feierte das Konzerthaus unter Bilses Leitung sein lOjähriges
Bestehen. Am 26. Februar 1879 fand sich Anton Rubinstein mit eigenen Werken am
Dirigentenpult, und am 26. Februar 1879 und nochmals am 30. Januar 1880 führte der
französische Tonsetzer, Organist und Dirigent Camille Saint-Saens (1835-1921) im
Konzerthaus eigene Werke auf. Am 1. Oktober 1880 feierte Benjamin Bilse mit einem
großen Festkonzert sein 50jähriges Musiker-Jubiläum.
Bilse war ein Wegbereiter alles Modernen und scheute sich auch nicht vor der Kritik
der Presse, moderne Kompositionen aufzuführen. Es ist für uns heute besonders interessant zu erfahren, mit welchen Worten die Aufführung von Tschaikowskis Werken
aufgenommen wurde. So heißt es in einer Kritik des Deutschen Tageblatts vom
18. Oktober 1881:
„Am Sonnabend lernten wir eine Orchester-Fantasie von Tschaikowski kennen, der
,Sturm' genannt: Programm-Musik vom reinsten Salzwasser, denn es handelte sich
nicht um einen gewöhnlichen Landwind, sondern um einen veritablen Seesturm. Von
Süßwasser-Melodie keine Spur, alles ist herb, bitter, obschon der erläuternde Text auch
einige sänftiglich gehaltene Liebes-Episoden erwarten ließ. Der Komponist blieb uns
die milderen Klänge schuldig, das Wilde überwuchert in der Partitur; das Tosen,
Zischen und Brausen erinnert oft mehr an Hexenkessel, als an Meeresbrandung. Vor
dreißig Jahren hätte wohl jede Seite dieser Fantasie als Passe Partout für das Irrenhaus genügt, heutzutage schreckt uns selbst eine solche Dornen- und Distelmusik nicht
ab, zumal wenn sie gut aufgeführt wird. In dieser Beziehung haben Bilse und seine
Mannen das ihrige getan, also das Äußerste geleistet. Die enormen Schwierigkeiten
wurden mit Sicherheit und Eleganz überwunden. Nach einmaligem Hören ist ein Urteil
über den Wert dieser Novität kaum möglich."
(Sdiluß folgt!)
153
Lübars einst und jetzt
Z u r Geognostik, V o r - u n d Frühgeschichte eines der letzten „Dörfer"
des modernen Berlins.
Von H o r s t Michael, Lehrer in Lübars.
Zwei erdgeschichtliche Besonderheiten auf Lübarser Boden verdienen Beachtung: die
Rollberge, ein eiszeitliches Aufschüttungsgelände aus Sanden und Kiesen, das geologisch
als „Os" (schwedisch Äs) oder „Osrücken" aufgefaßt wird. Die Geologen glauben, daß
solche „Oser" ihre Aufschüttung Schmelzrinnen verdanken, die sich unter der gewaltigen Decke des Inlandeises gebildet hatten.
Die Rollberge sind dem Dorfe im Westen vorgelagert. Auf ihnen erhebt sich heute der
Nordrand des Märkischen Viertels. Im Lübars-Hermsdorfer Gebiet stoßen wir auf
einen Horst des tertiären Septarientons, der am Freibad bis dicht unter der Erdoberfläche ansteht. Es ist ein kalkarmer Ton. Kalkspat findet sich nur in eigenartigen, bis zu
V2 m großen Knollen. Diese werden nach den Septen oder Scheidewänden, die die,
Knollen in Kammern einteilen, Septarien genannt. Für die Trinkwasserversorgung des
Bezirks Reinickendorf spielt der Ton eine wichtige Rolle, da er das Grundwasser von
der unter ihm liegenden Salzsole trennt. Eine Bohrung in Hermsdorf ergab eine Mächtigkeit des Tons von 147 m.
An dieses Vorkommen knüpft sich die Geschichte des Freibades Lübars. In der Mitte
des vorigen Jahrhunderts wurde am Hermsdorfer Weg eine Ziegelei errichtet. Aber
schon kurz vor dem 1. Weltkrieg waren die Lübarser Ziegel wegen ihres Salpetergehaltes nicht mehr gefragt. Nach der Eingemeindung kaufte die Stadt Berlin das Gelände
der Ziegelei auf und verwandelte später den Tonstich, der sich schon vorher mit Wasser
gefüllt hatte, in ein Freibad.
Die Menschen der Steinzeit und Bronzezeit haben im Fließtal bei Lübars ihre Spuren
hinterlassen. Die in das Tal vorspringenden halbinselförmigen Werder boten den Siedlern Schutz, Wasser und Fischreichtum. Die bedeutendste Ansiedlung lag vor etwa
3000 Jahren auf einer Talsandzunge, dem Kienwerder. Die Ausgrabungen dieses
bronzezeitlichen Dorfes (1937) ergaben, vor allem was die Bauweise und die Form der
Häuser anbetrifft, eine große Übereinstimmung mit den Grabungsergebnissen von Buch.
Die keramischen Funde überwiegen, Bronzefunde sind selten. Ein Eisenstück läßt darauf schließen, daß das neue Metall bereits bekannt war. Diese Schätze ruhen heute
wohlverwahrt in den Magazinen des Museums für Vor- und Frühgeschichte.
Der Ursprung des Dorfes Lübars liegt im Dunkel. Der Name ist wendischen Ursprungs,
seine Bedeutung unbekannt. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahre
1247. Die Markgrafen verschrieben damals dem Spandauer Nonnenkloster die Honigund Wachsernte des Dorfes Lübars. Wie Dalidorf und Tegel war es ein Klosterdorf.
Nach der Reformation wurden die Lübarser vom Amt Spandau übernommen, und nun
begann für sie eine härtere Zeit. - Eine Urkunde von 1590 aus dem Erbregister des
Amtes Spandau enthält ein erstes Einwohnerverzeichnis von Lübars. Bereits hier tauchen
die Namen der Neuendorf, Müller und Rabe auf. - Verborgen hinter den Rollbergen
und abseits der Heerstraßen blieb Lübars im 30jährigen Kriege von Plünderungen verschont.
Die Wetterfahne der Kirche trägt die Jahreszahl 1793. In diesem Jahr wurde die jetzige
154
Kirche geweiht. Drei Jahre zuvor war die alte Fachwerkkirche zusammen mit sechs
Anwesen einem Brande zum Opfer gefallen.
1801 zählte das Dorf erst 136 Einwohner. 100 Jahre später waren es 1000, Lübars und
das auf dem Gebiete des Lübarser Bauernwaldes gegründete Waidmannslust zusammengenommen. Heute mögen es über 12 000 Einwohner sein, etwa zu gleichen Teilen
auf beide Orte verteilt.
tiibtlt* «III ISSC.
Wie steht es heute in Lübars?
Die Nähe der Großstadt zwingt zu Zugeständnissen. Große Flächen der Lübarser Feldmark sind zum Aufschüttungsgelände der Berliner Müllabfuhr geworden. In den
Schubladen der Planungsämter und Wohnungsbaugesellschaften liegen die Bebauungspläne für weitere landwirtschaftliche Nutzungsflächen bereit. Aber auch die Formen
der landwirtschaftlichen Produktion haben sich gewandelt. Rationalisierung und Spezialisierung zwingen dazu. So, wenn z. B. die Arbeit eines Neusiedlers nur noch aus der
Aufzucht von Junghühnern bis zur Legereife besteht (einmal in Berlin!), während der
nächste Siedler, Besitzer einer „Eierfabrik", nun von den legereifen Hühnern in
420 Tagen rund 300 Eier erwartet und die Produzenten dann in die Bundesrepublik
schickt, weil in Berlin Großschlächtereien für Geflügel fehlen.
Dieses Beispiel mag mehr als alles andere zeigen, wie stark sich die moderne landwirtschaftliche Betriebsform von unseren liebgewordenen Vorstellungen unterscheidet. Ob
v i r es begrüßen, oder ob wir zu diesen Formen kein Verhältnis mehr finden: das alte
Lübars ist jung und leistungsfähig geblieben.
Anschrift des Verfassers: Berlin 28, Zehntwerderweg 81.
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Berichte
Bericht über den Vortrag am 17. 10. 1968 von Prof. Dr. Dr. W.
Hoffmann-Axthelm:
„Die Bildungsreise und die magneto-therapeutische Kur
des märkischen Landarztes Dr. Carl Ludwig Ganzel (1799-1888)"
Es wurde über die Lebensgeschichte eines Familienmitgliedes des Referenten, des Perleberger
Landarztes Dr. Carl Ludwig Ganzel berichtet, von dem uns das Tagebuch einer Bildungsreise
nach Paris und Italien sowie die ausführliche Krankheitsgeschichte eines Fräulein Julie von
Quitzow überliefert sind.
Während seines Studiums in Berlin 1816-21 gehörte Ganzel burschenschaftlichen Kreisen an,
auch er wurde, wie der Turnvater Jahn, 1819 in der Hausvogtei festgesetzt. Nach bestandenem
Examen ging er zunächst nach Paris, wo er in den dortigen Kliniken seine Ausbildung vervollständigte. Er freundete sich hier mit dem Enkel von Nicolai, Gustav Parthey, an, der
Ganzel in seinen „Jugenderinnerungen" vielfach und ausführlich erwähnt. Dieser trat in Paris
mit vielen prominenten Persönlichkeiten, u. a. mit Alexander von Humboldt, in Kontakt.
Nach neunmonatigem Aufenthalt begab er sich, größtenteils zu Fuß, nach Südfrankreich, dann
über Genua, Florenz, Rom nach Neapel und wanderte dann wieder zurück nach Deutschland.
Lilly Parthey erwähnte ihn 1821 als Gast im Nicolaischen Hause. Dann ließ er sich in Perleberg in der Prignitz als Arzt nieder. 1825 begab sich zu ihm eine Patientin mit anscheinend
hysterischen Anfällen, bei der zunächst alle therapeutischen Bemühungen scheiterten. Erst eine
magnetische Kur brachte ihr zunächst Linderung, dann Heilung. Nicht in der Krankengeschichte
enthalten ist, daß ein halbes Jahr nach glücklich beendeter Kur Carl Ludwig Ganzel und
Julie von Quitzow, eben diese Patientin, eine mit Kindern überreich gesegnete Ehe begannen,
die erst durch den 30 Jahre danach erfolgten Tod der Gattin gelöst wurde.
Zum Vortrag wurden zahlreiche zeitgenössische Stiche und Gemälde im Lichtbild gezeigt.
Eigenreferat
Literatur: Jahrb. brandenburg. Landesgesch. 16 (1965) S. 12-59.
Besichtigung des Verlagshauses von Axel Springer
Am 10. und am 18. November 1967 hatte der Verein Gelegenheit, im Rahmen der Besichtigungen von Unternehmungen, die mit der geschichtlichen Entwicklung Berlins eng verflochten
sind, das neue Axel-Springer-Verlagshaus zu besichtigen.
Das nach siebenjähriger Gesamtbauzeit (gedruckt wird schon seit 1961) am 6. Oktober 1966
eingeweihte Haus steht in der Kochstraße, im alten historischen Zeitungsviertel. Hier, auf
dem Grundstück des im Februar 1945 vollkommen zerstörten Scherl-Hauses (bei diesen Luftangriffen fielen auch die Häuser Mosse und Ullstein in Schutt und Asche), entstand die an
Kapazität größte Zeitungsdruckerei Deutschlands, deren Stück-Produktion 70 °/o der täglich
in Westberlin erscheinenden Zeitungen ausmacht.
Der 1877 von Leopold Ullstein gegründete Zeitungsverlag mit seinen Ausgaben „BZ" und
„Berliner Morgenpost" ist der tragende Name des Hauses. Den Namen „Ullstein" wird der
Besucher schon gewahr, wenn er beim Betreten der großen Empfangshalle vom Wahrzeichen
dieses Verlages, der Eule, in zweifacher Ausführung begrüßt wird. Diese zwei Eulen sind
beinahe die einzigen Originalstücke, welche die Zerstörung des alten Gebäudes überlebt haben
und nach der Bergung aus den Trümmern 1957 wieder Zeugnis eines großen Verlages geben.
Anders das Tafelrelief, welches nur eine Kopie des zerstörten Originals ist, und die vier
Grundlagen des Zeitungsgewerbes zeigt. Zu den Zeitungen des Ullstein-Verlages kommen noch
„Bild", aus dem Springer-Verlag, „Die Welt" und „Welt am Sonntag", eigener Verlag sowie
die „Bauwelt" von Ullstein. Auch der Propyläen-Verlag, der zur Ullstein-Verlagsgesellschaft
gehört, hat hier sein neues Domizil gefunden. Eine Reihe von Illustrierten und Fachzeitschriften
rundet das Programm ab.
Nach einigen liebenswürdigen Worten des Empfanges in der großen Halle vor dem Gemälde
von Oskar Kokoschka, das einen Blick vom Dach des Hochhauses über Berlin festhält, und
einer kurzen Demonstration des von aller Welt geschätzten Ullstein-Bildarchivs - es konnte
zum großen Teil die Kriegswirren überstehen - ging es zu einem Empfang im JournalistenClub im 18. Stockwerk. Welch herrlicher und dennoch wehmütiger Blick über unsere ganze
Stadt Berlin.
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Auch hier im Club erinnern Bilder an die Familie Ullstein. Ein kurzer Film zeigte uns die
kulturelle Bedeutung des Berlin der zwanziger Jahre, welche Sinnlosigkeit folgte und mit
welchem Mut und Willen ein neuer Aufbau begann. In einem zweiten Film sahen wir den
Künstler O. Kokoschka beim Schaffen des Gemäldes.
Die nun beginnende Führung leitete uns zunächst durch die einzelnen Redaktionen. Hier bekommen die aus aller Welt einlaufenden Nachrichten ihren journalistischen Schliff und die
Zeitung damit ihr geistiges Gepräge. Schriftliches und Bildliches wandern dann in die Setzerei
oder Chemigrafie, wo aus beschriebenen Blättern oder belichteten Filmen mittels Setzmaschine,
Kamera, Säure in kürzester Zeit Druckelemente entstehen. Staunend standen wir dann vor
den in ihren Ausmaßen riesigen Rotationsmaschinen und beobachteten den Andruck der
farbigen Sonntagsbeilage der „Berliner Morgenpost" - 20 000 Stück pro Stunde.
Schon während der Filmvorführung hatte Herr Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
unserem
Mitglied, Herrn Wentzel, im Namen des Vereins für die gastliche Aufnahme und sachliche
Führung gedankt und darauf hingewiesen, daß die Familie Ullstein durch treue, jahrzehntelange Mitgliedschaft ihr Interesse am Schaffen unseres Vereins gezeigt habe, eine Tradition,
die durch den Verleger Herrn Axel Springer fortgeführt wird.
Mader
Bericht über die Vorträge am 16. 12. 1967
„Das Asyl Schweizerhof in Zehlendorf und sein Begründer"
von Prof. Dr. med. Dr. h. c. Heinz Goerke und
„Weibliche Krankenpflege in Berliner Lazaretten 1870/71"
von Dr. med. Otto Winkelmann.
Der Begründer des Schweizerhofes, der aus Schlesien stammende Heinrich Laehr (1820-1905),
wandte sich nach Absolvierung der allgemeinen ärztlichen Ausbildung, vielleicht veranlaßt
durch die Geisteskrankheit eines zwei Jahre älteren Bruders, in Halle der Seelenheilkunde zu.
Als ausgebildeter Psychiater erwarb er 1853 in Zehlendorf ein Halbbauerngut, auf dem er,
beraten durch den erfahrenen Verwaltungsdirektor der Charite Karl Esse, eine private
Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke, das Asyl Schweizerhof errichtete. Die Anstalt
blühte auf, so daß bald umfangreiche Neubauten und Parkanlagen notwendig wurden. Laehrs
Erfahrungen im Anstaltsbau fanden allgemeine Anerkennung, so daß zahlreiche Neubauten
in Deutschland unter seiner Mitverantwortung entstanden. 1889 ging die Leitung auf seinen
Sohn Hans über. Nach dem ersten Weltkrieg mußte der Schweizerhof aus wirtschaftlichen
Gründen an den Provinzialverband Brandenburg verkauft werden. 1966 wurde das Hauptgebäude zugunsten eines Schulneubaues abgerissen, nur das Haus „Reil" wird, vom Amt
für Denkmalpflege erhalten, an das Asyl Schweizerhof erinnern.
Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 sind an verschiedenen Orten in Deutschland Barackenlazarette zur Versorgung der Verwundeten erbaut worden, als deren Vorbild
die ähnlichen Einrichtungen des amerikanischen Bürgerkrieges gedient hatten. In Berlin war
ein solches Lazarett auf dem Tempelhofer Feld eingerichtet worden, das ja während des
Krieges nicht als Exerzierplatz benutzt wurde. Die Krankenpflege in den Lazarettbaracken
wurde zum Teil von freiwilligen Helferinnen ausgeübt. Über diese freiwilligen Kriegskrankenpflegerinnen wurde berichtet, ihre eigenen Schilderungen von der Liebestätigkeit in
den Lazaretten wurde verglichen mit zeitgenössischen Zeitungsberichten. Die Unterschiede in
der Darstellung des Wirkens dieser freiwilligen Helferinnen wurden in dem Vortrag aufgezeigt, Unterschiede, die durch das Überwiegen von gutem Willen über sachliche Kenntnisse
bedingt waren. Patriotische Begeisterung konnte eben nicht immer eine pflegerische Ausbildung
ersetzen.
Ho-Ax
„Ach, wie reich, Vaterland, ständest du in Blüte . . . "
Berlin und seine Dichter
Über die vielen, vielen Dichterpersönlichkeiten, die durch die Jahrhunderte in Berlin und der
Mark Brandenburg wirkten, berichtete am 9. Januar im Rathaus Schöneberg unser Mitglied,
der Schriftsteller Horst Behrend.
Schon Otto IV., der Askanier, sang seiner holden Gemahlin selbstgedichtete Verse vor, als
beide über den stillen Werbellinsee fuhren. Auch Walther von der Vogelweide kannte die Mark
Brandenburg und warnte in seinen Versen vor der „wüsten Mark" bei „Toberlu" (DobrilugkKirchhain).
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Horst Behrend zeichnete die Kulturgeschichte innerhalb Brandenburgs und der größer und
größer werdenden Stadt Berlin anhand der oft recht skurilen Dichterpersönlichkeiten auf,
erinnerte an Hans Clauert, den märkischen Eulenspiegel ebenso wie an den „Frosch-MäuseKrieg" des Bernauer Bürgermeisters Rollenhagen, an den protestantischen Theologen und Dichter Paul Gerhardt wie an die Dichtungen des Pietismus oder der Romantik. Behrend gab das
schillernde Panorama der preußisch-jüdischen Salons der Romantiker Rahel Varnhagen van
Ense, Henriette Herz oder der Bettina von Arnim wieder und erinnerte an Adelbert von
Chamissos „Alte Waschfrau" ebenso wie an seinen Schlehmikl oder E. T. A. Hoffmanns Geschichten aus Lutter & Wegners Weinkeller.
Der Friedrichshagener Dichterkreis - Bölsche, Fontane und Hauptmann, Wildenbruch und
schließlich Bert Brecht ebenso wie Gottfried Benn wurden ausführlich geschildert und die
erwähnenswerte und für das heutige Berlin so beachtenswerte Tatsache mitgeteilt, daß besonders unter den Jungen (20- bis 30jährigen Schriftstellern in Berlin!) manche großartigen Könner
zu verzeichnen sind — so vor allem diejenigen, die aus der „Kreuzberger Werkstatt" kommen.
Aus seiner umfangreichen Handschriftensammlung zeigte Horst Behrend nach dem Vortrag
eine Vielzahl von Autographen alter und neuer Dichter unserer Stadt.
FvdS.
Besuch im Berliner Kupferstichkabinett
Im Rahmen der Besuche bedeutender Veranstaltungen des Berliner Kulturlebens fand am
20. Januar d. J. eine Besichtigung der Ausstellung „Dürer und seine Zeit" im Berliner Kupferstichkabinett statt.
Herr Prof. Dr. Hans Möhle, Direktor des Kabinetts, eröffnete die Führung mit einem kurzen
geschichtlichen Oberblick. Als jüngste der großen graphischen Sammlungen wurde es auf Anregung Wilhelm von Humboldts und des Freiherrn von Rumohr 1831 aus Beständen König
Friedrich Wilhelms III. gegründet und in einem Saal des von Schinkel erbauten, 1830 eröffneten Alten Museums am Lustgarten untergebracht. Schon 1835 rückte dieses kleine Kabinett
durch den Erwerb der wertvollen und sehr umfangreichen Sammlung des preußischen Generalpostmeisters und Staatsministers von Nagler in die Reihe der international bedeutenden (Paris,
London, Wien) vor. Zur gleichen Zeit überwies die Preußische Akademie der Künste ihre
gesamten Bestände an Kupferstichen dem Kabinett. Der nun herrschenden Raumnot wurde
1840 durch Übersiedlung in das Schloß Monbijou abgeholfen.
Nach dem Ankauf der Sammlung Pacetti - diese umfaßte hauptsächlich Zeichnungen italienischer Meister des 16. bis 18. Jahrhunderts - durch den ersten Direktor der Berliner Gemäldegalerie Waagen trat eine zeitweilige Stagnation ein. Erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann eine neue Blütezeit für das Berliner Kupferstichkabinett. Bedeutende Privatsammlungen wie z.B. Suermondt (1874 unter Wilhelm Bode), Posonyi und die Sammlung des
Herzogs von Hamilton (1877 und 1882 unter Friedrich Lippmann), die Sammlung von Beckerath (1902), die Goj'd-Sammlung von Felix Boix (1906 unter Max Lehrs) und die Sammlungen
Savigny (1920 unter Max J. Friedländer) sowie Ehlers und Blasius (unter Friedrich Winkler)
versetzten das Kabinett in die Lage, die verschiedenen Sammlungsbereiche aufzubauen. Schon
1848 war das Kabinett in das 2. Obergeschoß des von Stüler erbauten Neuen Museums gezogen,
wo es seine schönen Räume 1943 bei einem Bombenangriff verlor.
Die 1933 beginnende Zeit brachte dem Kabinett den Verlust seiner meisten Expressionisten
durch die Aktion gegen die sogenannte Entartete Kunst, rund 600 Blätter. Größere Verluste
durch Bombeneinwirkung blieben dem Kabinett erspart. Eine Kriegsfolgeerscheinung ist die
Zerteilung einzelner Sammlungen, von denen ein Teil jetzt in den Ostberliner Staatlichen
Museen zu besichtigen ist. Seit 1956 wurde zunächst von Friedrich Winkler, danach von Hans
Möhle die Rückführung der ausgelagerten Kostbarkeiten nach Berlin betrieben, die 1958 abgeschlossen wurde. Auch konnten entstandene Lücken z. T. aufgefüllt werden. Seit November
1967 befindet sich das Kabinett in den ehemaligen Räumen der Islamischen Abteilung in
Berlin-Dahlem.
Nach dieser Einführung führte Herr Prof. Möhle die Anwesenden an die Schätze der Ausstellung. Über 150 Blätter, davon 40 Blätter allein von Dürer, - seine Kohlezeichnung „Mutter
des Künstlers" ist das wertvollste und nie auf andere Ausstellungen verliehene Stück dieser
Sammlung - von Schongauer, Grünewald, Cranach, Baidung, den Holbeins u. v. a. geben ein
umfassendes Bild vom Schaffen der Zeit zwischen 1470 und 1530.
Anschließend erwartete die Mitglieder des Vereins eine eigens für sie im Studiensaal aufgebaute Ausstellung von Berliner Topographien. War es auch keine „Kunst" im Sinne des eben
Gesehenen, so boten doch die einzelnen Arbeiten von L. E. Lütke, W. Barth, A. Calau und
Rosenberg Anlaß, mit den Gedanken einen Spaziergang in das alte, vom Lärm der werdenden
Großstadt noch nichts ahnende Berlin zu machen.
158
Schon zuvor hatte der Vorsitzende des Vereins, Professor Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm,
unter
großem Beifall Herrn Professor Dr. Möble für die sehr eindrucksvolle Führung und die Sonderausstellung gedankt und dem Wunsche Ausdruck verliehen, daß diesem Kabinett bald eigene
Räume zur Verfügung stehen mögen.
Wegen der großen Zahl der Anmeldungen folgte am 23. Jan. eine zweite Führung durch Herrn
Oberkustos Dr. Anzelewsky.
Mader
Vortrag in der Berliner Philharmonie
Am Freitag, dem 23. Februar 1968, besichtigte der Verein unter zahlreicher Beteiligung der
Mitglieder die Philharmonie am Kemperplatz. Der Intendant, Herr Dr. Wolf gang Stresemann,
hatte freundlicherweise den einführenden Vortrag persönlich übernommen. In seinen mehr als
einstündigen Ausführungen zeigte er zunächst die Schwierigkeiten auf, die der Neuplanung,
dem Aufbau und der Innengestaltung des neuen Philharmoniegebäudes in architektonischer
und künstlerischer Hinsicht bis zur Eröffnung am 15. Oktober 1963 mit Beethovens IX. Symphonie unter Herbert von Karafan entgegengestanden haben. Der Vortrag vermittelte den
Besuchern die große und glanzvolle Vergangenheit des Berliner Philharmonischen Orchesters,
das nach seiner Gründung im Jahre 1882 seine Konzerte in der Köthener Straße begann und
später in der Bernburger Straße bis zur Zerstörung des Konzertgebäudes im Jahre 1944 fortsetzte. Hans von Bülow, Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler und Gastdirigenten von Ruf
waren die künstlerischen Leiter des Orchesters der damaligen Epoche. Nach dem Jahre 1945
begannen die Konzerte zunächst in improvisierten Sälen, dann im Titania-Palast und seit dem
Jahre 1954 im Konzertsaal der Hochschule für Musik. Das Berliner Philharmonische Orchester
setzt jetzt die große Tradition seines künstlerischen Wirkens am neuen Standort in dem
Meisterbau von Hans Scharoun unter der Leitung von Herbert von Karajan und berühmter
auswärtiger Dirigenten fort. Neben den Aufführungen am Kemperplatz haben ruhmreiche
Konzerte im In- und Auslande dazu beigetragen, den hohen und internationalen Ruf der Berliner Philharmoniker weiterhin zu festigen und zu fördern.
Ein besonderer Abschnitt des Vortrages behandelte Fragen der Akustik, der Raumgestaltung
Scharouns, die sich an Bauten und Raumgestaltung der Antike anlehnt, sowie andere mit der
administrativen und künstlerischen Leitung eines Kulturinstituts von der Größe und Bedeutung
der Berliner Philharmonie zusammenhängende Fragen. Herr Dr. Stresemann dankte neben dem
Senat dem Verein der Freunde der Berliner Philharmonie, der im Laufe der Jahre über
2 Millionen DM aufgebracht und damit die ersten finanziellen Voraussetzungen für das Werk
geschaffen habe. Worte der Anerkennung galten auch den Sachverständigen wie u. a. Prof. Dr.Ing. Lothar Krämer für die Beratung in akustischen Fragen, Prof. Fritz Winkel für musikalische und technische Beratung, neben anderen verdienten Förderern wie Präsident Gleimius,
Prof. Tiburtius und andere mehr.
Dem Vortrag folgte ein Rundgang durch den Bau für die „Unentwegten", um das sich stets
verändernde Bild des weiten Raumes in sich aufzunehmen.
Der Vorsitzende Prof. Hoffmann-Axthelm
dankte unter großem Beifall der Besucher, unter
denen sich noch Besucher der Konzerte unter Nikisch und Furtwängler befanden, für die eindrucksvollen Ausführungen.
Bullemer
Nachrichten
Am 3. Mai wird Deutschlands erster und populärster Rundfunksprecher Alfred Braun seinen
80. Geburtstag feiern. Der Verein für die Geschichte Berlins, dessen begeistertes Mitglied er ist,
dem er sich nie versagt hat, wenn die Bitte um Mitarbeit an ihm erging, beglückwünscht diese
vitale urberliner Persönlichkeit von ganzem Herzen.
Am 28. Februar 1968 starb in Berlin im Alter von 86 Jahren unser Mitglied Oberbürgermeister a . D . Dr. Hans Lohmeyer. Dr. Lohmeyer war von 1914-1919 Syndikus und Stadtrat
in der damals noch selbständigen Stadt Schöneberg vor der Eingemeindung in Berlin. Im
Jahre 1919 wurde er zum Oberbürgermeister von Königsberg (Ostpreußen) gewählt. Seit
1951 war er Vorsitzender des Vereins für Kommunalwissenschaften und später bis 1963 Leiter
der Berliner Vertretung des Deutschen Städtetages mit dem Sitz im Ernst-Reuter-Haus in
Berlin. Der Verstorbene hat in früheren Jahren an den Arbeiten des Vereins, dem er nach
Wiederaufnahme der Vereinstätigkeit beitrat, regen Anteil genommen. In seinen Vorträgen
behandelte Dr. Lohmeyer vorwiegend kommunalpolitische Fragen.
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Aus Anlaß der Obergabe der von Hugo Lederer geschaffenen Nikischbüste - ein Geschenk der
Berliner Bank - hatte der Senator für Wissenschaft und Kunst zu einer Gedenkstunde am
25. Februar d. J. in das Südfoyer der Philharmonie am Kemperplatz eingeladen. Nach Begrüßung durch den Intendanten, Herrn Dr. Wolfgang Stresemann, und Ansprache des Vorstandsmitgliedes der Berliner Bank, Dr. Jakob Kehren, dankte der Vertreter des Senators für
Wissenschaft und Kunst, Regierungsdirektor Dr. Kanter, namens des Landes Berlin und der
Philharmonie für das Geschenk. In einem anschließenden Vortrag über das Thema „Die Ära
Nikisch" würdigte Dr. Peter Wackernagel die Verdienste von Arthur Nikisch als Dirigent des
Berliner Philharmonischen Orchesters in den Jahren 1895-1922. Der Vortragende bezeichnete
in seinen Ausführungen die „Ära Nikisch" als eine für die Philharmoniker besonders glückliche
Zeit. Sätze von Beethoven und Schumann, gespielt vom Westphal-Quartett bildeten die musikalische Umrahmung der Gedenkstunde.
K. Bu.
Das vorliegende Heft 12 der „Mitteilungen" erscheint erstmalig in der Haude & Spenerschen
Verlagsbuchhandlung, der der Verein, wie früher dem Verlag E. S. Mittler & Sohn, auf Grund
eines Vorstandsbeschlusses den Verlag unseres Blattes anvertraut hat.
Die Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung ist bei weitem die älteste der in Berlin bestehenden, die drittälteste Deutschlands. Sie verdankt ihr Entstehen dem im 17. Jahrhundert das
Geisteslebens Berlins beherrschenden Gegensatz zwischen Lutheranern und Reformierten. Da
der älteste Berliner „Buchführer" Hans Werner sich geweigert hatte, calvinistische Streitschriften zu verlegen, erteilte der reformierte Kurfürst Johann Sigismund 1614 seinen „lieben und
getreuen Hansen und Samueln, den Kallen gebrüdern" das Privileg zum Verlag und Vertrieb
vor allem religiöser Schriften. 1659 verkaufte Hans Kalle das Geschäft an seinen Gehilfen
Rupert Völcker, unter dem ein erster Aufschwung eintrat. 1697 folgte sein Sohn, dann von
1700-1723 Johann Christoph Papen, der in Schwierigkeiten geriet und die Firma 1723 an
Ambrosius Haude verkaufte. Haude, der sich der besonderen Gunst Friedrichs des Großen erfreute, führte die Firma einer ersten Blütezeit entgegen. Ab 1740 gab er die „Berlinischen
Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen" heraus, auch erhielt er 1744 das alleinige Verlagsrecht der Veröffentlichungen der Akademie der Wissenschaften. Nach seinem Tode 1748
übernahm sein Schwager Johann Carl Spener den Verlag, der damit den heutigen Namen annahm. Dessen Sohn, Johann Carl Philipp Spener, eine der bedeutendsten deutschen Verlegerpersönlichkeiten, führte von 1772-1826 die von ihm selbst redigierte Zeitung auf ihren Höhepunkt, auch gliederte er der Firma eine leistungsfähige, erstmalig maschinell arbeitende
Druckerei ein. In der zweiten Jahrhunderthälfte, genauer 1864, erzielte der damalige Inhaber
Friedrich Weidling mit Georg Büchmanns „Geflügelten Worten" den größten, auch heute noch
andauernden Verlagserfolg.
In der Endphase des zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude des Verlages, der sich inzwischen
ganz unter das Signum des Dritten Reiches gestellt hatte, durch Artilleriebeschuß zerstört.
Damit erlosch die Verlagstätigkeit, bis 1958 der jetzige Inhaber, unser Vereinsmitglied Axel
W. Bluhm, einen neuen Anfang wagte.
Ho-Ax
Die Jahreshauptversammlung des Vereins findet am Mittwoch, dem 23. April 1968, um 19.30
im Ratskeller Schöneberg (nicht Vortragssaal) statt. Es wird gebeten, den Termin vorzumerken.
Buchbesprechun gen
W. M. Frhr. v. Bissing: Friedrich Wilhelm II. König von Preußen. Ein Lebensbild. Berlin:
Duncker und Humblot 1967. 187 Seiten DM 26,60.
Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, das allgemein ungünstig beurteilte Lebensbild dieses
preußischen Königs zu korrigieren und zugleich eine eingehende Darstellung seines Lebens zu
geben, die bisher in dieser Vollständigkeit nicht vorlag. Alle erreichbaren handschriftlichen und
gedruckten Quellen sind dabei durchgearbeitet worden, wenn auch das im Archiv in Merseburg
lagernde Material nicht zugänglich war. Ein Literaturverzeichnis ist angefügt.
Sehr ausführlich wird das Leben des Prinzen und Königs gezeichnet, die wenigen Vorzüge
ebenso hervorhebend wie die Schwächen und Unzulänglichkeiten, die ihm anhafteten. Dabei
wird manches erhellt, womit der Prinz von Jugend auf belastet war, das ungünstige Milieu
seines Elternhauses, die dort herrschende Sittenlosigkeit und dazu die psychologisch ungeeignete
Behandlung, die ihm durch seinen Onkel Friedrich den Großen zuteil wurde. Ein Aufenthalt
im Paris Ludwigs XV. konnte ihm schwerlich nützliche Eindrücke vermitteln. Sein Interesse
160
lag im Musischen, bei der Musik, insbesondere dem Cellospiel und der Kunst. Als Friedrich der
Große ihm befahl, die Prinzessin Friederike von Hessen - Darmstadt zu heiraten, wagte er
zwar nicht zu widersprechen, schrieb ihm jedoch: „Aber es ist nicht leicht einer Person einen
Heiratsantrag zu machen, die man nicht gesehen hat", zumal diese nach Ansicht des Ministers
Graf Schulenburg „weder hübsch, noch geistreich, noch wohlhabend" war und von Ludwig von
der Marwitz als ein „unangenehmes Frauenzimmer, von niemandem geliebt" bezeichnet wird.
Desto mehr fühlte sich Friedrich Wilhelm an seine Jugendfreundin Wilhelmine Encke, die
spätere Gräfin Lichtenau, gebunden. Seine Liebe zu ihr war sichtlich ehrlich. Nicht ohne Eindruck ist, wie der Prinz sich um die Bildung des Mädchens bemüht, ihr Unterricht erteilt und
mit ihr sogar Homer, Virgil und Shakespeare liest. Nicht minder liebte er seinen Sohn mit
Wilhelmine, den jungen, früh verstorbenen Grafen von der Mark, dem er durch Schadow das
künstlerisch bedeutsame Grabmal in der Dorotheenstädtischen Kirche setzen ließ. Wenig später
ließ er durch Langhans das Brandenburger Tor errichten, wie auch so manche prominente Baudenkmäler Berlins und Potsdams seiner Initiative in den 11 Jahren seiner Regierung ihre Entstehung verdanken. Sein geringes Interesse für die Staatsgeschäfte und sein Lebenswandel
ließen freilich schon seinen Onkel an der Fähigkeit des Neffen zum Regieren zweifeln. 1776
schreibt er: „cet animal est incorrigible." Kaiser Leopold II. spricht nach der Zusammenkunft
mit Friedrich Wilhelm II. in Pillnitz 1791 von ihm als einer „ungeheueren Fleischmaschine",
die „großen Mangel an Kenntnis der Geschäfte handgreiflich zeigt". Und selbst Freiherr von
Bissing faßt am Schluß seiner Betrachtungen sein Urteil dahin zusammen:
„Friedrich Wilhelm II. war ein König seiner Zeit ohne geistige und seelische Größe, ohne
Genialität und harten Willen, aber ehrlich bestrebt, das Beste zu leisten, gerecht zu sein und
sein Volk glücklich zu machen." Und darin wird man dem Verfasser zustimmen können, der
mit diesem Buche eine gewaltige Arbeitsleistung vollbracht hat.
/ . Lachmann
Erhard Ingwersen: Standbilder in Berlin. Berlinische Reminiszenzen Band 16. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Berlin. 1967. 107 Seiten, 55 Abb., 9,80 DM.
Endlich, nach 62 Jahren, ist wieder ein Buch über Berliner Denkmäler auf dem Markt. So lange
war Müller-Bohns „Die Denkmäler Berlins in Wort und Bild" das Standardwerk und ist es
noch heute. Erhard Ingwersens Buch „Standbilder in Berlin" bringt nur die fünfundfünfzig in
Ost- und Westberlin erhaltenen ganzfigurigen Stand- und Reiterbilder. Die Büsten, Reliefs,
Denkmäler symbolischer Art und Schmuckstandbilder fehlen. Alle Denkmäler sind in ausgezeichneten, meistens vom Verfasser selbst aufgenommenen Fotografien in sauberem Druck
wiedergegeben. Der Text hingegen erfüllt nicht alle Wünsche - zumindest nicht die der Denkmalsfreunde. Er bringt zwar manches über die dargestellten Persönlichkeiten, aber er informiert nicht über die Denkmäler. Wenn auch das Vorwort betont, daß das Thema keine kunstkritische Betrachtung sein wolle, sondern eine heimatgeschichtliche Monographie, so hätte doch
vieles genauer sein können, denn auch ein volkstümliches Buch verträgt das! So schrieb sich
z.B. der Bildhauer Schieveibein mit v und nicht mit f (S. 75 und 102). Die Statuen Blüchers,
Gneisenaus und Yorcks stehen nicht wieder am alten Platz (S. 71), sondern weit von der Straße
entfernt vor dem Magazingebäude der Staatsoper. Die halbrunde Terrasse für das Jahndenkmal wurde erst 1936 gebaut und das Standbild dort aufgestellt, vorher stand es weit näher
zur Straße hin. Das Denkmal Waldecks (S. 82) kam schon 1937 nach Reinickendorf, ebenso wie
die Denkmäler Helmholtz' und Mommsens 1936 an ihren jetzigen Standort versetzt wurden
(S. 86). Die Nebenfiguren der Denkmäler Lessings, Martin Luthers und Schulze-Delitzsch' sind
nicht von Buntmetalldieben entwendet bzw. durch Kriegseinwirkung zerstört, sondern wurden
zusammen mit fast zweihundert anderen Denkmälern oder Denkmalsteilen in den Jahren
1943/44 ,der Kriegsmetallreserve' zugeführt, d. h. eingeschmolzen. Auch die erhobene rechte
Hand Albrechts des Bären wurde nicht durch Kriegseinwirkung, sondern erst beim Transport
zur Spandauer Zitadelle abgebrochen (S. 84). Der Bronzeabguß vom Reiterstandbild des Großen Kurfürsten wurde nicht 1896 enthüllt (S. 103), er wurde bei der Eröffnung des KaiserFriedrich-Museums am 18. 10. 1904 als Ausstellungsobjekt mit übergeben.
Theodor Fontanes Denkmal hat nie seinen Platz gewechselt, aber die Stülerstraße (S. 95) ihren
Namen in Tiergartenstraße (1939). Die Karlstraße und den Karlplatz (S. 77 und 97) wird man
heute vergeblich suchen, sie tragen seit dem 1. 10. 1947 den Namen Max Reinhardts. In der
Berliner Nikolaikirche und nicht, wie auf Seite 80 erzählt wird, ,in der überfüllten Domkirche
in Berlin' wurde am 2. 11. 1539 Rat und Bürgerschaft das Abendmahl in beiderlei Gestalt
gereicht und damit der Übertritt zur neuen Lehre vollzogen. Zuletzt soll noch ergänzt werden,
daß es in Berlin nicht nur fünf (S. 90), sondern ohne Büsten, Reliefs u. ä. mitzuzählen, mindestens 21 öffentliche Standbilder Kaiser Wilhelms I. gab. Davon sind mit Sicherheit fünfzehn
nicht mehr erhalten. Wie schon am Anfang gesagt, liegt die Stärke dieses Buches in den Abbildungen. Deshalb hoffen wir auf weitere Beiträge zum Thema Denkmäler.
Hans-Werner Klünner
161
Alfred Mühr: Rund um den Gendarmenmarkt. Von Iffland bis Gründgens. Zweihundert Jahre
musisches Berlin. Oldenburg: Gerhard Stalling Verlag 1965. 400 Seiten mit sehr zahlreichen
Abbildungen. 2 8 , - DM.
Es ist ganz besonders zu begrüßen, daß sich Alfred Mühr dieser großen Aufgabe unterzogen
hat, die Geschichte des Schauspielhauses am Berliner Gendarmenmarkt zu schreiben. Durch
seine Wirksamkeit als Schauspieldirektor und stellvertretender Generalintendant dieses Theaters im letzten Jahrzehnt des Hauses und als bester Kenner der historischen Unterlagen war
er geradezu dafür prädestiniert. Dieses so unterhaltsam geschriebene Werk führt den Leser
durch die zwei Jahrhunderte eines der bedeutendsten deutschen Theater, das am schönsten Platz
des alten Berlin gelegen war.
Beginnend mit dem zwischen dem Französischen und Deutschen Dom auf dem Gendarmenmarkt gelegenen Pferdestall unter Friedrich Wilhelm I., als der Athlet Eckenberg als „Hofschauspieler" mit seiner, mehr Artisten als Komödianten zählenden Truppe auftrat, wird die
Gründung des Theaters durch Friedrich den Großen eingehend geschildert.
Der große künstlerische Aufstieg dieser Bühne setzte ein, als August Wilhelm Iffland aus
Mannheim von Friedrich Wilhelm II. als Direktor an die Spitze des Theaters im Jahre 1796
berufen wurde. Alle großen Künstlernamen erscheinen hier wie Fleck, Franz Brockemann, verschiedene Primadonnen, Ludwig Devrient, der Freund von E. T. A. Hoffmann,
Seydelmann,
Spontini und Carl Maria v. Weber. Mit seinem „Freischütz" fand die feierliche Einweihung des
Schinkelbaues, dieses architektonisch schönsten Berliner Theaters, 1821 statt.
Auf die Zeit des „Königlichen Schauspielhauses" mit seinem mehr traditionsgebundenen Repertoire folgte in der Weimarer Zeit die Ära Leopold Jessner und schließlich die Ära Gustaf
Gründgens. Alle bedeutenden Schauspieler treten auf, ob Adalbert Matkowsky oder Friedrich
Kayssler, Werner Krauss oder Paul Hartmann, Heinrich George, Lothar Müthel und Viktor
de Kowa, Hermine Körner und Maria Koppenhöfer sowie Tilla Durieux, um nur einige zu
nennen. Besonders ausführlich wird die letzte Periode behandelt mit dem großen Regisseur
Jürgen Fehling und vor allem Gustaf Gründgens, der den Verfasser in seine Position berufen
hatte und mit dem er das letzte Jahrzehnt bis zum Zusammenbruch gearbeitet hatte. In sichtlicher Verehrung geleitet Mühr dessen Lebensweg bis zu seinem plötzlichen Ende in Manila.
Wenn auch für den Verfasser freilich somit ein Hauptakzent seiner eingehenden Darstellung
auf der von ihm selbst miterlebten letzten Epoche liegt, so gibt das Ganze doch einen allumfassenden Überblick über die Geschichte dieses, neben dem Opernhause, prominentesten Berliner
Theaters. Ein großer verdienstvoller Wurf, für den man Alfred Mühr nur dankbar sein kann
und der seine Bedeutung in der Theatergeschichte Berlins behalten wird.
/ . Lachmann
Zwischen Elbe und Kurischem Haff. Vergangenheit und Gegenwart. „Eine Bücherschau"
heißt der Titel eines 64 Seiten umfassenden Kataloges mit über 600 Buchtiteln der Versandund Antiquariatsbuchhandlung Robert Fricke in Berlin 12 (Charlottenburg). Wenn es auch
nicht üblich ist, Buchhandlungskataloge zu rezensieren, so stellt doch diese bibliographische
Arbeit eine Fundgrube dar. Hingewiesen sei hier vornehmlich auf die Seiten 16-32 mit
Berlin- und Brandenburg-Literatur.
/ . Lachmann
Der Bär von
Berlin
Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins. 17. Folge — 1968. Herausgegeben von
Bruno H a r m s f u n d W a l t h e r G. Oschilewski. a r a n i - V e r l a g s - G m b H , Berlin 33 (Grunewald). Preis D M 9,80
Beiträge:
Dr. Gerhard Kutzsdi: Der Staat und die Stadt Berlin. Skizzierung ihres Verhältnisses zueinander im 19. Jahrhundert.
Dr. Monty Jacobs f: Heimstätten der Berliner Posse. Aus einem nachgelassenen Manuskript.
Dr. Joachim Kühn: Aus der Preußischen Hofgesellschaft der Biedermeierzeit. Briefe aus dem
Familienkreis des kgl. Flügeladjutanten Oberst von Below.
Erich Borkenhagen: Das Bier im alten Berlin (von der Frühzeit bis zur Gegenwart).
Bibliographie zur Geschichte Berlins für ein Jahr 1966/67
Bearbeitet von Dr. Joachim Lachmann (Gesamtredaktion), cand. phil. Ursula Mielke (Bildende
Kunst) und Werner Pasewaldt (Wirtschaft).
Karl Bullemer: Aus der Tätigkeit des Vereins im Berichtszeitraum 1967.
Walther G. Oschilewski: In memoriam Bruno Harms.
162
Im I. Vierteljahr 1968 haben
sich folgende Damen und Herren
zur Aufnahme gemeldet:
Anneliese Anderson, Sekretärin
Berlin 47, Severingstr. 39; Tel. 6 Ol 25 69
(H. Hofmann)
Liselott Gründahl, Angestellte
Berlin 31, Hektorstr. 15; Tel. 8 87 28 06
(Vorsitzender)
Eberhard Perthel, Buchdruckereibesitzer
Berlin 19, Kaiserdamm 98; Tel. 3 02 24 89
(Schatzmeister)
Berlinische
Reminiszenzen
Eine Buchreihe für die Freunde
Berlins - 19 Bände liegen vor.
Zuletzt erschienen:
Erhard Ingwersen
Standbilder in Berlin
Hellmut Kotschenreuther
Kleine Geschichte Berlins
Adelheid Rintelen, Gewerbelehrerin
Berlin 46, Reginenweg 16; Tel. 7 74 16 16
(Vorsitzender)
Thorsten Müller
Berlins Ehrenbürger
Axel Bluhm, Verleger (Haude & Spener)
Berlin 38, Terrassenstr. 55; Tel. 84 28 48
(Vorsitzender)
Georg Zivier
Berlin und der Tanz
Eberhard Schönknecht, Steueroberinspektor
Berlin 42, Gerdsmeyerweg 6 A;
Tel. 7 01 56 86
(A. W. Bluhm)
Werner Obigt, Photographenmeister i. R.
Berlin 45, Limonenstr. 24 A
(H. Hofmann)
Jeder Band etwa 100 Seiten,
mit Abbildungen,
D M 9,80
Vollständiges Verzeichnis bei Ihrem
Buchhändler oder direkt vom Verlag.
Arthur Walther, Bankkaufmann
Berlin 28, Dianastr. 26
(Dr. Schultze-Seemann)
Annemarie Neitzel
Berlin 33, Sulzaer Str. 19; Tel. 89 36 60
(Frau Doht)
Hans Schiller, Rentner
Berlin 10, Cauerstr. 26; Tel. 3 01 41 23
(K. Grave)
Ellen Brast, kaufm. Angestellte
Berlin 41, Albestr. 10; Tel. 83 21 17
(H. Hofmann)
Verein Berliner Kaufleute u. Industrieller e.V.
(F. M. Tübke)
Berlin 19, Hessenallee 12; Tel. 18 60 31
(Schriftführer)
Peter Brueckner, Oberlandwirtschaftsrat a. D.
Berlin 30, Landshuter Str. 2;
Tel. 2 1146 64
(H. Hofmann)
Dr. Kurt Haußmann, Oberregierungsrat a. D.
Berlin 38, Spanische Allee 27;
Tel. 84 29 77
(H. Hofmann)
Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister
Berlin 62, Rathaus
(Vorsitzender)
Charlotte Nydahl
Berlin 33, Meisenstr. 19; Tel. 76 71 72
(W. Rieck)
Unvergessenes Berlin
Ein dreisprachiger Bildband (deutsch,
englisch, französisch) über das alte,
unzerstörte Berlin. 78 Fotos auf
60 Seiten Kunstdruckpapier, 16 Seiten Text, Bilderläuterungen von Erich
Bohl, Leinen
D M 16,80
H
HAUDE & SPENERSCHE
Verlagsbuchhandlung GmbH.
Gegründet 1614
Berlin 12
163
Eingeführt
Wilhelm Mann, Reg.-Amtmann a. D.
Berlin 31, Nassauische Straße 3; Tel. 86 17 95
Kurt Kupey, Oberstlt. a. D.
Berlin 45, Ostpreußendamm 136; Tel. 7 73 15 36
Karl Draegert, Direktor
Berlin 33, Bitterstraße 27; Tel. 76 02 23
Irmgard Büchsenschütz
Berlin 41, Johanna-Stegen-Straße 20; Tel. 72 18 39
Rolf Pfeiffer, Steuerbevollmächtigter
Berlin 41, Albrechtstraße 59 B; Tel. 7 96 44 96
Rita Nitsch
Berlin 61, Oranienstraße 132; Tel. 61 59 94
Volker Nitsch, Pfarrer
Berlin 61, Oranienstraße 132; Tel. 61 59 94
Dr. Joachim Härtel, Apotheker
Berlin 47, Neuköllner Straße 208/10; Tel. 6 01 95 31
Walter Schaefer, Oberkreisdirektor
3352 Einbeck, Domeierstraße I I a ; Tel. 710
Gerhard Krienke, Oberlehrer
7297 Ehlenbogen, Schulhaus
Anschriftenänderung:
durch:
(H. Hofmann)
(Schriftführer)
(E. Borkenhagen)
(Dr. Pappenheim)
(Schriftführer)
(Frau Dr. Hoffmann-Axthelm)
(Frau Dr. Hoffmann-Axthelm)
(Vorsitzender)
(Vorsitzender)
Dr. med. Thomas, Berlin 30, Martin-Luther-Straße 32.
Der Vorstand bittet, Adressenänderungen sofort mitteilen zu wollen.
Veranstaltungen im II. Vierteljahr 1968
1. Dienstag, 9. April, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag
des Herrn Superintendenten Dr. Julius Rieger „Die Entwicklung der ev. Theologie in Berlin von der Reformation bis Schleiermacher".
2. Sonnabend, 20. April, 11.00 Uhr, Besichtigung ausgewählter Bestände des Landesarchivs Berlin, 1 Berlin 12, Straße des 7. Juni 112 (Ernst-Reuter-Haus). Einführung durch Herrn Archivdirektor Dr. Gerhard Kutzsch.
3. Dienstag, 23. April, 19.30 Uhr, ordentliche Mitgliederversammlung im Ratskeller
Schöneberg, Saal 1.
4. Sonntag, 12. Mai, 9.30 Uhr, Treffen vor dem Rathaus Neukölln zum „Rundgang
durch das alte Rixdorf" unter Leitung des Bezirksheimatpflegers Herrn Wilhelm*
Schmidt (Heimatmuseum Neukölln, Böhmisches Dorf, Brüdergemeine, Richardplatz, Böhmischer Gottesacker), anschließend Mittagessen im „Rixdorfer Krug"
(Rinder- oder Schweinebraten 4,80 DM).
5. Sonnabend, 18. Mai, 15.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Irmgard Wirth durch die
„Begas-Ausstellung" des Berlin-Museums, 1 Berlin 30, Stauffenbergstr. 41.
6. Mittwoch, 22. Mai, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Direktors des Hugenottenmuseums Herrn Jean de Pablo „Die Rolle der
französischen Kolonie in der Berliner Gelehrtenrepublik im 18. Jahrhundert".
7. Dienstag, 11. Juni, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm „Zur Entwicklung des Berliner Krankenhauswesens".
8. Donnerstag, 20. Juni, 15.00 Uhr, Besichtigung des Universitäts-Klinikums. Treffen
am Modell im Vestibül des Schwesternwohnhauses, 1 Berlin 45, Klingsorstr. 95 a.
Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Freitag, 19. April, 31. Mai und 28. Juni zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek
ab 17.00 Uhr.
Beilagenhinweis: Diesem Heft ist ein Prospekt der Haude & Spenersdien Verlagsbuchhandlung
als Beilage beigefügt.
Die Mineilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof.
Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30
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MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
64.Jahrg.Nr.13
1. Juli 1968
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 698 6791
Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-AUee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
Das Berliner Concerthaus
Von D r . Wolfgang Medding f
(Fortsetzung und Schluß)
Im Jahre 1882 kam es zwischen Bilse und seinen Musikern zu einem ernsthaften
Konflikt. Die strenge Disziplin, die der Dirigent zur Durchführung seiner Konzerte
für notwendig hielt, wohl auch die schlechte Bezahlung der Musiker, verbunden mit
einer finanziellen Krise des Konzerthauses führten zu einer Rebellion der Orchester-
f i i t i t i HUbbiitp,
Bcfitjcc i>es (ioncert •• ßaufcs.
«3. gilO,
Mitglieder und schließlich zur Entlassung von 54 der besten, von Bilse selbst in jahrelanger Arbeit geschulten Musiker. Diese 54 Männer schlössen sich zusammen, „verpflichteten sich durch notariellen Akt zum gegenseitigen unverbrüchlichen Zusammenhalten"
und gründeten ihr eigenes Orchester. Den Wiener Geiger Professor Ludwig von Brenner
165
wählten sie zu ihrem ersten Dirigenten. Am 17. Oktober 1882 fand in dem später als
(alte) „Philharmonie" bezeichneten Hause der ehemaligen Rollschuhbahn (CentralSkating-Rink) ihr erstes Konzert unter Leitung von Prof. von Brenner statt. Stolz
nannten sie sich „Philharmonisches Orchester (vormals Bilse'sche Kapelle)". Einige
Zeit danach wurde Hans von Bülow von den Philharmonikern zum Dirigenten gewählt, und vom 21. Oktober 1887 bis zum März 1893 leitete dieser das Orchester.
Damit war das „Berliner Philharmonische Orchester", das in der Zukunft so große
Bedeutung erlangen sollte, aus der Taufe gehoben.
Benjamin Bilse aber mußte mit dem verbleibenden Rest seiner Kapelle als Grundstock
sich ein neues Orchester aufbauen. Seiner Energie und Tatkraft gelang dies in kürzester
Zeit. Schon am 12. Dezember 1882 konnte man unter seiner Leitung das Jubiläum des
3000sten Konzertes und zugleich des 15jährigen Bestehens des Konzerthauses feiern.
Die „Conzerthaus-Zeitung", jahrelang herausgegeben von Otto Eisner, widmete aus
diesem Anlaß Benjamin Bilse zusammen mit dem Leiter des Konzerthauses Franz
Medding ein besonderes Festblatt mit den Porträts der beiden (siehe oben). Bei diesem
Konzert wurde die Ouvertüre zum „Tannhäuser" von Richard Wagner, ferner Werke
von Beethoven, Sarasate, Anton Rubinstein, Paganini und Liszt aufgeführt, und es
schloß mit eigener Komposition von Bilse.
Bilse hat während seiner 17jährigen Tätigkeit als Dirigent und Hofmusikdirektor am
Konzerthaus vorwiegend in den Sommermonaten, in denen das Konzerthaus geschlossen war, mit seinem Orchester zahlreiche auswärtige Gastspiele, auch im Ausland,
gegeben. Viermal wurde er für den Sommer unter glänzenden Bedingungen nach
St. Petersburg berufen, wo er stürmisch gefeiert wurde. 1874 gab er auf Wunsch des
Zaren Alexander II. ein Konzert vor der kaiserlichen Familie in der Sommerresidenz
Zarskoje-Selo. Wiederholt gab er auch Gastspiele in Holland und Belgien sowie in
zahlreichen deutschen Residenzen. 1872 berief ihn König Johann und 1876 König
Albert von Sachsen zu Konzerten nach Schloß Piiinitz. Mit unverdrossenem Eifer
war Bilse immer wieder bemüht, seine Kapelle zu einem immer vollkommeneren
Werkzeug der Interpretation der größten Meisterwerke zu gestalten. Benjamin Bilse,
der inzwischen fast 70 Jahre alt geworden war, schied mit dem 30. April 1885 aus
seinem Vertragsverhältnis mit dem Konzerthaus aus. Sein Abschiedskonzert war das
3566ste Konzert, das er in diesem Hause dirigierte. Bei diesem Konzert wurden die
Abschiedsworte seiner Verehrer und Freunde in Versen von dem Hofschauspieler Paul
Dehnecke vorgetragen. Bilse kehrte in seine schlesische Heimat nach Liegnitz zurück, wo
er seinen Lebensabend zu verbringen gedachte. Mit dem Besitzer des Konzerthauses
verband ihn auch weiterhin eine enge Freundschaft, und er wurde auch fürderhin bei
besonderen Anlässen zu Gastspielen nach Berlin gerufen.
Nachfolger von Bilse wurde der kgl. Musikdirektor Hermann Mannsfeld aus Dresden,
der das Orchester vom 1. Oktober 1885 bis zum 20. April 1886 leitete. Unter ihm
fand am 4. November 1885 ein großes Wohltätigkeitskonzert zum Besten der Hinterbliebenen der Besatzung der untergegangenen Corvette „Augusta" in Gegenwart des
Kaisers und des Kronprinzen Friedrich Wilhelm statt. Ein Prolog von Adolf Lasson
wurde vom Hofschauspieler Weisse vorgetragen. Aufgeführt wurden der „Kaisermarsch" von Richard Wagner und Werke von Thomas, Chopin, Scharwenka, F. Hummel u. a. Am 3. März 1886 fand unter Mannsfelds Leitung ein Extra-Konzert mit
chorischer Aufführung unter Mitwirkung der berühmten Sängerin Raffaela Pattini von
166
der Mailänder Scala statt, bei dem Werke von Klughardt, C. M. v. Weber, Thomas,
H. Hoffmann und Martin Röder geboten wurden. Aber Mannsfeld besaß nicht die
Energie und eiserne Gesundheit, die zu den täglichen Proben und Konzerten nötig war,
trat daher im Frühjahr 1886 zurück, und es war nur der Ausdauer und Umsicht von
Franz Medding zu danken, daß das Interesse des Publikums am Konzerthaus in dieser
Zeit aufrechterhalten blieb.
Als Nachfolger Mannsfelds wurde der aus Bayern stammende Kapellmeister Karl
Meyder berufen. Im Gegensatz zu dem sehr sensiblen Mannsfeld verstand er es, sein
aus zum großen Teil neu eingestellten 75 Musikern bestehendes Orchester mit Energie
und Tatkraft zu leiten. Meyder wirkte schon in früher Jugend als Opernkapellmeister
in verschiedenen Orten in Deutschland und später in Frankreich. Bei Ausbruch des
Deutsch-Französischen Krieges von 1870 wurde er aus Frankreich ausgewiesen und ging
nach England, wo er im Theater „Royal Drury Lane" sechs Jahre und im „Covent
Garden" zwei Jahre als erfolgreicher Dirigent wirkte. Dann leitete er acht Jahre lang
die Konzerte des Herzogs von Devonshire in Buxton und fand hier Gelegenheit, mit
den bedeutendsten Sängern und Instrumentalisten zu konzertieren.
Im Herbst 1886 übernahm Karl Meyder die musikalische Leitung im Konzerthaus,
und es begann wieder ein reges und wechselreiches Konzertleben. Sein vielseitiges
Programm enthielt Sinfonie-, Gesellschafts-, Virtuosen- und Komponistenkonzerte, die
in der obengezeichneten Reihenfolge wechselten. Dazwischen gaben die Geburts- und
Sterbetage großer Meister, auch geistliche Musik an kirchlichen Feiertagen und die
Gedenktage zu Ehren der verstorbenen Kaiser Anlaß zu besonderen Veranstaltungen.
So gab Meyder am 22. März 1887 zum 90. Geburtstag des alten Kaisers im Berliner
Kronprinzenpalais ein Hofkonzert, und am folgenden Vormittag führte er ebenda
zu Ehren des in Berlin weilenden Prince of Wales eine musikalische Serenade auf.
Meyder gelang es in kurzer Zeit, die gleiche Volkstümlichkeit und Beliebtheit beim
Berliner Publikum zu erlangen, wie sie der Altmeister Bilse gehabt hatte. In seinen
Opernabenden brachte Meyder manches verschollene Werk wieder in Erinnerung.
Gerne ließ er auch andere Tonsetzer oder Dirigenten im Konzerthaus wirken. So leitete
Professor Xaver Scharwenka acht Konzerte, und von jungen Komponisten ließ er
1887 Arthur Friedheim, Emil Hartmann, Gustav Schaper, Martin Roeder, Edwin
Schultz, Ludwig Heidingsfeld und Gernheim eigene Werke dirigieren. Im Juli
1887 veranstaltete die Direktion ein Preisausschreiben für junge Komponisten mit
Sinfonien, Melodramen und Orchestersuiten. Von den ca. 50 eingesandten Sinfonien
gewann Georg Schumann aus Leipzig (* 1866), der spätere Leiter der Berliner Singakademie, den ersten Preis. Ferdinand Manns erhielt den zweiten und Joseph Dente
den dritten Preis. Die Preise für die besten Orchestersuiten wurden den Komponisten
Edler von Woss und Hutschenreuyter zuerkannt.
Gleich in den Anfang seiner Dirigententätigkeit am 18. Dezember 1886 fiel das Gedächtniskonzert zum 100. Geburtstag von Carl Maria von Weher. Am 16. November
1887 gab das Konzerthaus sein 4000. Konzert. Aus diesem Anlaß war auch der Altmeister Bilse nach Berlin gekommen, und man sah die beiden Dirigenten Bilse und
Meyder am Dirigentenpult vereint. Bilse wurde vom Publikum mit stürmischem Jubel
empfangen. Einen Prolog, von Ferdinand Müller-Saalfeld verfaßt, sprach der Theaterdirektor Carl Friedrich Wittmann. Den ersten Teil des Konzertes bestritt Meyder mit
der „Tannhäuser"-Overtüre. Es folgten Werke von Gounod, Haydn, Auszüge aus
167
„Lohengrin" und von Franz Liszt. Den zweiten Teil des Konzertes bestritt Bilse mit
dem Vorspiel zum „Lohengrin" und Werken von Brahms, Beethoven, „Wotans Abschied und Feuerzauber" aus der „Walküre". Das Konzert schloß mit dem von Bilse
komponierten „Hochzeitsreigen".
Auch Arthur Nikisch, der später so berühmt gewordene Leiter des Philharmonischen
Orchesters, dirigierte bereits 1888/89 als Dreiunddreißigjähriger das Meydersche Orchester im Konzerthaus und gab dort eine Reihe bedeutender Konzerte. An berühmten
Dirigenten wirkten hier in den folgenden Jahren Fritz Steinbach aus Meiningen,
Berthold Kellermann aus München, Carl Klingworth mit seiner Faust-Sinfonie und
Georg Bloch. An Solisten traten in mehreren Konzerten die sächsische Kammersängerin Therese Malten und als Pianist Georg Schumann auf. Bei der Gedächtnisfeier
für den verstorbenen Kaiser Friedrich III., (der ein großer Freund und häufiger Besucher des Konzerthauses gewesen war), wurden in Anwesenheit des Hofes und unter
Stabführung von Karl Meyder u. a. geboten: das „Larghetto" von Mozart, das „Ave
Maria" von Bach-Gounod, „Marcia funebre" aus der „Eroica" von Beethoven, der
„Trauermarsch" von Chopin, das „Largo" von Händel, die Ouvertüre Leonore III von
Beethoven und Werke von Schubert, Schumann und der „Kaisermarsch" von Richard
Wagner. Die Programme wurden - wie auch später bei solchen Gelegenheiten - auf
Seide gedruckt. Auch das Festkonzert zum 75. Geburtstag Bismarcks am 1. April 1890
unter Meyders Leitung wurde zu einem besonderen musikalischen Ereignis mit Werken
von C. M. v. Weber, Richard Wagner, Schubert, Liszt u. a., und ein dem Kanzler
gewidmetes Gedicht von Otto von Leixner, komponiert von Wilhelm Tappen, wurde
von einem Sängerchor vorgetragen.
Am 19. Oktober 1892 wurde das 5000. Konzert unter Meyders Leitung gegeben, und
am 21. Dezember 1892 feierte man das 25jährige Jubiläum des Konzerthauses. Otto
Eisner brachte hierzu ein künstlerisch gestaltetes Festblatt heraus. Bilse widmete Franz
Medding und seiner Ehefrau eine „Jubiläums-Fanfare". Meyder komponierte einen
beiden gewidmeten „Jubiläumsmarsch". Der Altmeister Bilse war auch wieder erschienen und dirigierte einen Teil des Konzertes. Am 4. März 1893 wurde hier die Silberhochzeit des Ehepaars Medding mit einem Konzert unter Meyders Leitung mit einem
großen Kreise von Freunden und Verehrern gefeiert.
Am 12. Dezember 1894 erlag Franz Medding im Alter von 59 Jahren einem Herzschlag.
Bei der von Meyder geleiteten Gedächtnisfeier im Konzertsaal, zu der auch der
jetzt 78jährige Altmeister Benjamin Bilse nach Berlin kam, hielt der Musikschriftsteller
Wilhelm Tappert die Gedächtnisrede, und Mendelssohns „Es ist bestimmt in Gottes
Rat", der Trauermarsch aus Wagners „Götterdämmerung", sowie Chor und Solovorträge wurden aufgeführt. Die Leitung des Konzerthauses übernahm nun die Witwe
Marie Medding.
Am 1. April 1895 feierte man den 80. Geburtstag des Altreichskanzlers Otto von
Bismarck mit einem großen Festkonzert. Am 7. April 1897 fand das 6000. Konzert
unter Leitung von Meyder statt. Wieder bestritten Beethoven, Wagner, Gounod und
Grieg den Hauptteil des Konzerts, während Frau Selma Niclas-Kemptner Lieder
vortrug. Am 1. Mai 1897 fand das Abschiedskonzert unter der Direktion von Frau
Medding unter Leitung Meyders statt. Damit hatte eine Periode des Berliner Musik168
lebens ihr Ende gefunden, die charakteristisch war für die erste Kaiserzeit. Das
Konzerthaus hatte damit seine historische Aufgabe erfüllt.
Carl Meyder hat während seiner elfjährigen Dirigentenzeit am Konzerthaus in den
Sommermonaten meist mit seinem Orchester die Kurkonzerte in Bad Kreuznach geleitet oder Gastspiele im Ausland (Philharmonie Hall in Liverpool) gegeben. Das
Konzerthaus wurde im gleichen Jahr verpachtet und bestand noch zwei Jahre unter der
Direktion von Adolf Hoffmann weiter. Die letzte Vorstellung fand am 23. April 1899
statt. Im Jahre 1900 wurde das Konzerthaus mit allen umliegenden Gebäuden von
Hermann Tietz erworben, der es abreißen ließ und an seiner Stelle ein großes Warenhaus errichtete.
Zum 100. Jahrestag der Gründung des Konzerthauses (21. September 1867) sei ein
Auszug aus dem Festgedicht von Otto Eisner zur Feier des 10jährigen Bestehens
£e
ra
„Stark gegründet stehn die Mauern,
Schön geschmückt grüßt uns der Saal:
Singt ein Hoch nun den Erbauern,
Leert für sie den Festpokal!
Heut ist ein Jahrzehnt vollendet,
Reich an Freuden, reich an Mühn:
Wenn sich ein Jahrhundert wendet,
Mögen Enkel hier noch blühn."
Nicht ohne Wehmut lesen die Enkel jener Generation diese Verse. Stehen auch die
„stark gegründeten" Mauern schon seit langem nicht mehr, so empfinden wir es doch
um so mehr als Verpflichtung, nach über hundert Jahren die Erinnerung an sie wachzurufen.
Anmerkung der Schriftleitung:
Franz Medding (1834-1894) und seine Gattin Marie, geb. Dehnecke (1844-1924), ruhen auf
dem Kirchhof II der Jerusalems- und Neuen Kirche, Baruther Straße (Bez. Kreuzberg). Das
gut erhaltene und umfriedete Wandgrab trägt die Verse:
„Treu, opferwillig, allzeit ernst und unentwegt
Hast Dreißig volle Jahre Du die Musik gepflegt,
Schufst im Concerthaus ihr den festen Hort,
Dein Name lebt als ihr Beschützer dauernd fort."
Sie stehen, vor einer Lyra auf Lorbeerzweigen, auf einer kartuschenartigen Schriftrolle, die
von einem geflügelten Genius gehalten wird, das Ganze eingefaßt von zwei Säulen aus Labrador
mit korinthischen Kapitellen aus vergoldetem Zinkguß (die Basisverzierungen wurden Beute
von Buntmetalldieben), darunter aus Sandstein ein Altartisch mit aufgeschlagener Bibel und
auf dem Altartuch ein Kelch.
Der Berliner Genremaler Curt A g t h e
Zum 25. Todestage
am 3. Juli
1968
Von F r a n z Berndal
Am 3. Juli jährt sich zum 25sten Male der Todestag meines Onkels Curt Agthe, des
bekannten Berliner Genremalers und Gemälderestaurators, der im fast vollendeten
81. Jahr in Berlin-Halensee, Johann-Georg-Straße 20, verstarb. Er hatte dort seit vielen
Jahren seine Wohnung mit Atelier in Gemeinschaft mit seiner unverheirateten Schwester, meiner Tante Gertrud Agthe, und der Malerin Maria Jensen, die aus seiner Schule
169
hervorgegangen war. Vorher hatte Agthe 47 Jahre lang sein in Kunstkreisen als
romantisch geschätztes Atelier in der Lützowstraße 60. Er wohnte damals im Hause
meiner Großeltern Agthe in der Wilhelmstraße 11. Dieses Haus erwarb später Hugo
Stinnes; es wurde im letzten Kriege durch Brand zerstört. Mein Onkel wurde am
28. Juli 1862 in Berlin als Sohn des Pianofortefabrikanten Oskar Agthe geboren. Er
war ein Stiefvetter des bekannten Beckstein, stellte aber in der Werkstatt seines Hauses
eigene Instrumente her. In den letzten Jahren hatte er die Vertretung der Fa. Steinway
u. Sons. Namhafte Künstler übten und musizierten im Hause Agthe, u. a. Eugen
D'Alhert, Busoni, Rubinstein und Elly Ney. Überhaupt war dieses Haus auch schon
viele Jahre vor 1900 eine Pflegestätte der Musik-, Theaterwelt und Malerei. U. a.
verkehrten dort meine Großeltern väterlicherseits - der ehemalige Kgl. Hofschauspieler
Karl Gustav Berndal mit seiner Frau Johanna (ebenfalls Kgl. Hof Schauspielerin), die
Kammersänger Fricke und Betz, der Maler Hans Schleich und Frau (Neffe des bekannten Arztes Carl Ludwig Schleich). Auch in der Bechsteinschen Villa in Erkner trafen
diese Kreise zusammen. So konnte Agthes Vater seinem Sohne ein gediegenes Malstudium ermöglichen. Er vollendete es in den Jahren von 1880 bis 1887 an der Berliner
Akademie, die damals noch Unter den Linden lag. Agthe studierte bei Anton von
Werner, Paul Meyerheim und Hildebrandt in den verschiedenen Klassen mit Auszeichnung. Der „alte Menzel", dem Agthe seine ersten Arbeiten zeigte, sagte zu ihm:
„Sie sind sehr talentvoll, junger Mann, sehr fleißig, und Sie werden's auch bestimmt
zu 'was bringen!" - Agthe war in der Tat bis zum letzten Atemzuge unendlich fleißig
als anerkannter Genremaler und als Bilderrestaurator. Er war Seniormitglied des
Vereins Berliner Künstler. Auf Wunsch seiner Kollegen und Freunde, die an ihm seine
Menschlichkeit, seine stete Hilfsbereitschaft und seinen ihm angeborenen Berliner
Mutterwitz ungemein schätzten, gestaltete er in jungen Jahren die beliebten Berliner
Künstler- und Atelierfeste beratend und schöpferisch mit.
Agthe wirkte mit an den Mosaiken der Siegessäule, restaurierte die Wandbilder und
Bildnisse im „Alten Berliner Rathaus", u. a. das berühmte Gemälde Anton von Werners
„Der Berliner Kongreß", das den Festsaal schmückte. Ebenso restaurierte er die Wandund Deckengemälde des Ermeler-Hauses in der Breiten Straße 11, das vor einiger
Zeit leider ein Opfer der Spitzhacke geworden ist.
Noch im hohen Alter sah man meinen Onkel täglich auf der Leiter bei der Wiederherstellung der historischen Malereien im zerstörten Reichstag. Über 25 Jahre war
Agthe Mitarbeiter von „Velhagen und Klasings-Monatsheften". Wer noch alte Jahrgänge davon besitzt, wird oftmals auf seinen Namen stoßen. Im Auftrage dieses
Verlages unternahm er einige Studienreisen nach Italien. Noch später „erwanderte" er
in wahrem Sinne dieses Wortes wohl 25 mal dieses malerische Land bis nach Sizilien.
Bekannt und begehrt waren seine Motive von den Grotten Capris und von seinem
geliebten Torbole am Gardasee. Ebenso heiß liebte mein Onkel aber auch seine heimatliche Mark Brandenburg und die damals noch so urwüchsige, sein Malerauge lockende
Gegend von Zehlendorf-Mitte und Klein-Machnow mit dichtem Waldgebiet und Gestrüpp. Dorthin durfte ich ihn oft in den Schulferien zusammen mit meinem inzwischen
im ersten Weltkrieg verstorbenen Vetter hinausbegleiten, wenn er mit seiner Malschule
Studien betrieb. Agthe liebte alles, was an Schönheit Gottes Natur in Stille ihm darbot.
So schuf er herrliche, waldidyllische Ölbilder vom Schwarzwald mit seinen einsam
rauschenden Bächen und Gebirgsquellen.
170
An den mittelalterlichen kleinen Städten wie Rothenburg ob der Tauber, Marktbreit,
Pappenheim oder Dinkelsbühl hing sein Malerherz, und gerade diese Gemälde zierten
die Wände der alljährlichen Kunstausstellungen, der Sonder- und Jubiläumsausstellungen des Vereins Berliner Künstler, der
Großen Berliner Kunstausstellungen
(GROBEKA) im damaligen Moabiter
Glaspalast am Lehrter Bahnhof, ebenso die sich wiederholenden Ausstellungen in München. Von gediegener,
künstlerischer Fertigkeit zeugten seine
feinsinnigen Interieurs, seine einprägsamen kleinen Ölbilder von Tier und
Vogelstudien, oder seine charakteristischen zahlreichen Porträts und ebenso
seine präzise durchgearbeiteten Ansichten winkliger Gassen und alter
Patrizierhäuser. So gab ihm die Berliner berufene Kritik neben dem Lob
der auswärtigen Kunstbetrachtungen
das hohe Prädikat, daß seine Werke
im besten Sinne die Tradition der Berliner Malerschule des 19. Jahrhunderts
vertreten. Die Stadt Berlin kaufte
zahlreiche Gemälde an, unter anderem
„Mein Atelier" und „Der Golm" bei
Potsdam.
Im Jahre 1913 erhielt Agthe anläßlich der Jubiläumsausstellung der „GROBEKA"
die Goldene Medaille und gleichzeitig eine zweite Goldmedaille auf der Weltausstellung
in San Franzisko. Zu seinem 80. Geburtstage erhielt er später in Würdigung seiner
Verdienste auf dem Gebiete der Akt- und Landschaftsmalerei die Goethe-Medaille
für Kunst und Wissenschaft. Viele Schüler, für die er sich stets fördend einsetzte, gingen
aus seiner Malerschule hervor. Zu seinen engeren Freunden gehörte der bekannte
Maler Otto von Engel, der Tiermaler Kühnen, dessen Nachlaß er verfügungsgemäß
ordnete, ferner Professor Seeck und der bekannte Stadtbaurat Hoffmann. Der ehemalige Generaldirektor der Museen Wilhelm von Bode zog meinen Onkel oft zu Restaurierungsarbeiten und Beurteilungen wertvollster Gemälde heran. Dies geschah auch
vielfach von anderen öffentlichen Stellen.
Am 28. Juli 1962 gedachte die Berliner Presse würdigend Agthes 100. Geburtstages.
Ich selbst hielt auf Wunsch des Kunstamtes Kreuzberg aus meinen Jugenderinnerungen,
der Familienchronik und den Besprechungen einen Vortrag über Leben und Schaffen
meines Onkels.
Leider sind im letzten Weltkriege die wertvollen Gemälde und Studien (fast 400 an
der Zahl) - darunter auch die preisgekrönten Bilder - infolge der damaligen Evakuierungsmaßnahmen der Stadt Berlin auf verschiedene Schlösser Schlesiens verlagert
worden und damit für die deutsche Kunst und für eine Gedächtnisausstellung zur Zeit
nicht greifbar.
Anschrift des Verfassers: Berlin 61, Hornstraße 23.
171
Herrn Professor Dr. Dr. Walter Ho ff mann-Axthelm
zum 60. Geburtstag gewidmet
(29. April 1968)
Die Handschriften-Abteilung
der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Dahlem
Von Hans-Joachim Mey
Ein Hoffnungsblick tat sich für den am kulturellen Geschehen unserer Stadt Anteilnehmenden auf, als am 1. April 1962 die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Sammlung des seit Kriegsende verstreuten Kulturgutes ins Leben gerufen wurde. Die seither
ins Land gegangene Zeit ist nicht ungenutzt geblieben: nicht nur haben die Räumlichkeiten des Dahlemer Museums durch die umfangreichen Ergänzungsbauten kürzlich
ihren Abschluß gefunden, auch die neue Nationalgalerie am Kemperplatz, die künftig
die Galerie des 20. Jahrhunderts aufnehmen wird, kann voraussichtlich in diesem
Herbst ihrer Bestimmung übergeben werden. Ein erfreuliches und ermutigendes Bild
also, das sich im Aufbau repräsentativer Kulturpflege in Berlin heute bietet.
Indes hat nicht nur der Freund älterer und neuerer Kunst Grund zu solcher Genugtuung; auch der wissenschaftlich Interessierte und der dichterischen und literarischen
Zeugnissen sich Zuwendende findet Anlaß, sich an den ersten greifbaren Ergebnissen
zu freuen. So sind, nachdem der Grundstein für das Gebäude der „Staatsbibliothek
Preußischer Kulturbesitz" im vergangenen Herbst gelegt worden ist, über die Fundamente hinaus nunmehr die ersten Geschosse des Nordflügels im Rohbau aufgeführt.
Die inneren und äußeren Dimensionen dieses imponierenden Bibliotheksvorhabens
lassen Planer und Erbauer den Vergleich mit ähnlichen Einrichtungen früherer und
neuerer Zeit nicht scheuen. Jedoch wird die Vollendung des hier Entstehenden trotz
aller Tatkraft, mit der das Unternehmen vorangebracht wird, allen interessiert Anteilnehmenden noch einige Jahre Geduld abfordern.
Die Frist bis zur Fertigstellung des neuen Bibliotheksgebäudes ist indessen mit internen
Vorbereitungen auf die der Staatsbibliothek künftig zufallenden Aufgaben ausgefüllt.
Sind die Bücherbestände aus Raumbeschränkung im Augenblick der Öffentlichkeit noch
nicht zugänglich, so wird doch alles getan, um sie aus Marburg nach Berlin zu überführen und für die künftige Benutzung bereitzustellen. Doch schon heute sind dem
interessierten Leser und Gelehrten die Schätze der Handschriften-Abteilung wieder
zugänglich, auf deren Pflege und Vermehrung die Staatsbibliothek stets besondere
Liebe und Sorgfalt gewendet hat. Die gastweise Unterbringung dieser Abteilung in
den Räumen des Preußischen Geheimen Staatsarchivs in Dahlem bietet die Möglichkeit,
vor allem die wertvollen Bestände mittelalterlicher Handschriften, die umfangreiche
Sammlung der Wiegendrucke und die bedeutenden Bestände der Nachlässe und Autographen-Sammlungen aus den Depots in Tübingen und Marburg nach Berlin zurückzuführen und hier zu vereinigen. Der Lesesaal der Handschriftenabteilung erlaubt,
diese Bestände dem wissenschaftlich interessierten Publikum zugänglich zu machen.
Auch das Mendelssohn-Archiv und die Musikabteilung der Staatsbibliothek - beide
der Handschriften-Abteilung angeschlossen und ebenfalls in Dahlem untergebracht —
sind heute in der Lage, Kennern und wissenschaftlichen Besuchern Einblick in ihre
Schätze zu gewähren.
172
Nicht allein die Erschließung des bisherigen Besitzes, auch seine Mehrung muß den
Freund und Kenner solcher Kulturzeugnisse mit Freude erfüllen. Hierbei geht die
Staatsbibliothek nicht nur von der kontinuierlichen Mehrung des ihr seit Kriegsende
anvertrauten Grundbestandes aus, sondern berücksichtigt auch die in der ehemaligen
Preußischen Staatsbibliothek Unter den Linden in reichem Maße erhaltenen Handschriftenschätze. Im Verlaufe dieser Bemühungen wurden in den letzten beiden Jahren
fünf wertvolle Handschriften des 13. und 15. Jahrhunderts erworben. In diesen Erwerbungen kommt auf das sinnfälligste die spezifische Aufgabe der HandschriftenAbteilung - sammlungsgeschichtliche, kunstgeschichtliche und textgeschichtliche Werte
zu sichern und der Forschung zugänglich zu machen - zum Ausdruck.
Von gleichem Erfolg war das Bestreben gekrönt, den Besitz neuerer Handschriften zu
ergänzen und zu erweitern. Da es auch hier das Ziel ist, den Benutzern möglichst
vollständige Materialsammlungen zur Verfügung zu stellen, standen die Namen solcher
Persönlichkeiten im Mittelpunkt, von denen die Bibliothek bereits umfangreiche Sammlungsbestände oder Nachlässe besitzt.
Im Bereich der Nachlaßbestände bedeutender Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts
war es möglich, Briefe und andere Dokumente von Alexander von Humboldt, Moltke,
Ranke, Mommsen, Rauch, Schadow, Schinkel und anderen zu erwerben. Außerordentlich interessant sind darüber hinaus die Briefsammlungen Hugo von Tschudis, des einstigen Direktors der Berliner Nationalgalerie, und Theodor Fontanes. Eine an Umfang
und Inhalt ebenso interessante Quellensammlung kam mit dem Briefnachlaß der
Prinzessin Carolyne von Sayn-Wittgenstein an die Staatsbibliothek. Mit der Erwerbung dieser fast 3000 Briefe wurde eine in ihrer Zusammensetzung imponierende
Sammlung aus der Welt des Theaters, der Musik, der Kunst und der Wissenschaft vor
der Zerstreuung bewahrt. Von gleichem Interesse und Gewicht sind die Neuerwerbungen aus den Naturwissenschaften. Hier gelang es, schon Vorhandenem neue Briefe von
Einstein, Planck, Broglie, Butenandt, Lise Meitner und anderen hinzuzufügen. Aber
auch umfangreiche Nachlässe wie die des Naturphilosophen Felix Auerbach, des
Mathematikers Bernhard Riemann, des Geographen ^4rno Winkler, des Historikers
Kurt Breisig und des Philosophen Gerhard Lehmann stellen einen Erfolg der Bemühungen der Staatsbibliothek um die Sammlung handschriftlichen Quellenmaterials dar.
Neben der Erschließung der eigenen Handschriftenbestände bemüht sich die Handschriften-Abteilung in einem besonderen Unternehmen darum, das in den deutschen
Bibliotheken lagernde reiche Material an Autographen und Nachlässen katalogmäßig
zentral zu erfassen und damit eine, Einrichtung zu schaffen, die dem Wissenschaftler
Hinweise geben soll, an welchen Orten und Stellen einzelne Autographen oder größere
Nachlaßbestände, die seiner Forschung dienen können, aufbewahrt werden. Die Zentralkartei der Autographen wird voraussichtlich mit dem Einzug in das neue Gebäude
der Staatsbibliothek ihre Funktion in vollem Umfange aufnehmen können.
So treten zu den traditionellen Aufgaben der Staatsbibliothek neue Formen und Inhalte
ihrer Arbeit, wie sie durch die fortschreitende Ausweitung der Forschung in aller
Welt notwendig werden.
Anschrift des Verfassers: Berlin 38, Cimbernstraße 3.
173
Hans Diefenbachs Vermächtnis an Rosa Luxemburg
Von D r . Joachim Lachmann
Der aus Stuttgart stammende Medizinstudent Hans Diefenbach (geb. 1884) fand frühzeitig Fühlung mit dem Kreise um Familie Kautsky und Rosa Luxemburg (geb. 1870).
Ihn zeichnete eine musikalische und literarische Bildung aus, als Mediziner zugleich
auch eine „unübertreffliche Güte und Hilfsbereitschaft, aus der sein Bekenntnis zum
Sozialismus und sein politisches Interesse entsprangen, und er kannte keine größere
Freude, als daß er, der aus behaglichen materiellen Verhältnissen stammte, anderen
helfen konnte". So charakterisiert ihn Benedikt Kautsky in seinem Buche: „Rosa
Luxemburg. Briefe an Freunde, nach dem von Luise Kautsky fertiggestellten Manuskript." 1 Fand Diefenbach doch dafür in seiner ärztlichen Tätigkeit eine wesentliche
Befriedigung. Er wurde ein häufiger Gast und Freund Rosa Luxemburgs. Ihre zahlreichen Briefe an ihn, vornehmlich aus den Jahren 1914 bis zu seinem an der Front
erlittenen Tode 1917 spiegeln die enge geistige Freundschaft wider, die beide verband.
Darin wird die Erinnerung an die geselligen Abende in ihrer Wohnung in der Lindenstraße 2 in Südende lebendig, wo Diefenbach Goethe und andere Werke der deutschen
Literatur zur Vorlesung brachte. 2
Als er an der Westfront als Militärarzt wirkte und sich unterschiedslos Soldaten und
Zivilisten widmete, verfaßte er kurz vor seinem frühen Tode - in Ausübung seines
Dienstes traf den 33jährigen eine Granate tödlich in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober 1917 - seinen letzten Willen aus Domremy bei Charleville o. D. Er vermachte
darin Rosa Luxemburg sein Vermögen in Höhe von 50 000 Mark, das er von seinem
Vater geerbt hatte, jedoch mit einer einzigartigen Auflage, mit der die humanen und
sozialen Eigenschaften der beiden besonders gekennzeichnet sind. Das Testament ist
so charakteristisch, daß der Wortlaut für sich selbst spricht. Es fand sich in den im
Landesarchiv Berlin verwahrten Nachlaßakten betreffend Rosa Luxemburg des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg. 3
Das Testament lautet: „Meiner Freundin Dr. Rosa Luxemburg, Berlin-Südende,
Lindenstr. vermache ich 50 000 M jedoch mit einer Klausel: Die genannte Summe
soll von irgend einer entsprechenden Instanz z. B. von meiner Schwester verwaltet und
der Erbin der jährliche Zins bis zu ihrem Tode regelmäßig ausgezahlt werden. Ich
treffe diese Bestimmung, da meine ausgezeichnete Freundin in der Privatökonomie vielleicht keine ganz so geniale Meisterin ist, wie in der National-Ökonomie. Ein impulsives
Ausgeben der genannten Summe für irgend einen momentanen politischen Zweck läge
nicht im Sinne meines Vaters, des Erwerbers dieses Geldes, als dessen bloßer Verwalter
ich mich eigentlich nur fühle, nicht als dessen gemeiner Besitzer. Wohl aber bitte ich
meine Freundin Rosa Luxemburg für den Fall ihres Ablebens eine Bestimmung zu
treffen, wie die genannte Summe von 50 000 M als dann für unsere gemeinschaftlichen
großen politisch-sozialen und philanthropischen Ideale zweckentsprechend verwendet
werden sollen. Das Bestimmungsrecht hierüber soll ihr für ihr Testament vollkommen
1
Zürich, Büchergilde Gutenberg 1950, S. 16.
Vorher wohnte sie in der Cranadistraße 58 in Sdiöneberg, dann Lindenstraße 2 in Südende
(Bez. Steglitz), heute umbenannt in Biberacher Weg.
3
Rep. 50 Acc. 1014 nr. 5884 und 10065.
2
174
zustehen. D i e jährlich ausgezahlte Zinssumme bitte ich sie sorglich in meinem Sinne zu
v e r w e n d e n u n d dabei v o r allem zu berücksichtigen, d a ß nicht bloß die Gemeinschaft
unserer Ideen, sondern auch ihr eigenes körperliches Wohlergeben stets eine n a h e
Herzensangelegenheit gewesen ist. Sie soll also die jährliche R e n t e nicht bloß, wie dies
ihrem großartigen N a t ü r e l entspräche, für a n d e r e bedürftige Leute sondern in erster
Linie für sich selbst v e r w e n d e n .
gez H a n s
Diefenbadl.«
Leider k o n n t e Rosa Luxemburg
infolge ihres frühen gewaltsamen, in der N a c h t v o m
16. z u m 17. J a n u a r 1919 erlittenen Todes die Erbschaft nicht mehr antreten. Erst einige
J a h r e nach der Inflation, im J a h r e 1927, erzielten ihre Erben eine stark reduzierte
Summe.
N a c h d e m Rosa Luxemburg die Nachricht v o m T o d e ihres Freundes Diefenbadl
erhalten
h a t t e , w ü r d i g t e sie ihn in einem Kondolenzbrief an seine im Testament genannte
Schwester Gretl m i t den W o r t e n : „ H a n s übertraf alle Menschen, die ich kenne, an
innerer Noblesse, an Reinheit u n d G ü t e . D a s ist bei m i r nicht der übliche D r a n g , von
einem Toten Gutes zu sagen." U n d sie fährt d a n n fort: „Ich habe zugleich den teuersten
F r e u n d verloren, der wie kein anderer jede meiner Stimmungen, jede Empfindung
v e r s t a n d u n d m i t e m p f a n d . I n der Musik, in der Malerei wie in der Literatur, die ihm,
wie mir, Lebensluft w a r e n , h a t t e n w i r dieselben G ö t t e r und machten gemeinsame
Entdeckungen."
Anschrift des Verfassers: Berlin 41, Brentanostraße 35.
Nachrichten
Ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins am 23. April 1968
im Ratskeller Schöneberg.
Der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm,
eröffnete die Ordentliche Mitgliederversammlung um 20.00 Uhr. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedachte er der im abgelaufenen
Geschäftsjahr verstorbenen Mitglieder
Oberregierungsrat a. D. Walter Löffler, Magda Sommermeier, Prof. Dr. Helmuth Scheel, Bernhard Krösing, Ehrenmitglied Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, Lucie Becher, Hertha
Weinhold,
Dr. Ing. e. h. Jacob Dichter, Georg Kramer, Oberbürgermeister a. D. Dr. Dr. h. c. Dr. e. h.
Hans Lohmayer, Verleger Walter Titz
und widmete ihnen einen ehrenden Nachruf. Zu Ehren der Verstorbenen erhob sich die Versammlung von ihren Plätzen.
Der Tätigkeitsbericht war den Mitgliedern mit der Einladung zusammen zugeleitet worden.
Die Zahl der Mitglieder beläuft sich auf 392. Nach Ansicht des Vorsitzenden sollte sie aber
viel größer sein. Deswegen tut Werbung not, und jedes Mitglied müßte ein neues Mitglied
gewinnen, um den Mitgliederstand zu erhöhen.
Der Schatzmeister, Obermagistratsrat a. D. W. Miigel, erstattete den Kassenbericht für das
abgelaufene Vereinsjahr, der Betreuer der Bibliothek Grave den Bibliotheksbericht. Er wies
auf die Zunahme der Besucherzahl hin, und bedauerte, daß noch kein Haushaltstitel für die
Bibliothek zur Verfügung stehe, und appellierte an die Mitglieder, entbehrliche Schriften aus
der Zeit vor 1945 zu spenden, eventuell im Tausch gegen Drittexemplare.
Der Vorsitzende bedauerte, daß der Vorstand die Bibliothek stiefmütterlich behandeln mußte,
da die Mittel des Vereins durch die Herausgabe von Schriften in Anspruch genommen werden.
Der Kassenprüfer D. Brozat berichtete über die zusammen mit Frau Koepke erfolgte Kassenprüfung, die die ordnungsgemäße Führung der Kasse ergab. Er bat um Entlastung des Schatzmeisters, die einmütig erfolgte.
4
w i e 1 ^ 134-35.
175
Bibliotheksprüfer Kärger hatte die Bibliothek zusammen mit Herrn Mey geprüft und bei den
15 % der auf Vollständigkeit überprüften Fälle keine Beanstandungen festgestellt. Die Entlastung erfolgte einstimmig.
Bürgermeister a. D. Rieck wies auf andere Vereine mit ähnlichen Bestrebungen hin und fragte,
warum so viele schwache Vereine zur Pflege der Historie bestehen. Er empfahl einen Zusammenschluß unter Verzicht auf unnötigen Ehrgeiz der Einzelvereine. Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm pflichtete ihm bei, erinnerte aber an die Psyche der Deutschen im Hinblick auf das
Vereinsleben. Unser Verein habe bereits Versuche zur Annäherung unternommen, die aber
wenig Gegenliebe fanden. Direktor i. R. Bullemer verwies auf die seit 1951 zu registrierenden
Bestrebungen zur Koordinierung ähnlich strukturierter Vereine, betont aber deren andersartige
Aufgaben. Dr. Haußmann vertritt angesichts der Größe Berlins die Auffassung, man solle
die Dinge wachsen lassen und sich auf eine Koordination und einen Austausch der Veröffentlichungen beschränken.
Bürgermeister a. D. Rieck machte sich zum Fürsprecher treuer Mitglieder, indem er bedauerte,
daß die Vorträge zur Geschichte Berlins qualitativ nicht gleich wären. Es sollten Vorträge und
keine Vorlesungen sein. Vorstandsmitglied Hofmann dankte Bürgermeister Rieck für seine
Hinweise und bestätigte, daß zwei Vorträge aus dem vorletzten Jahr derart zu beanstanden
waren. Solche Ereignisse ließen sich nicht verhindern. Der Vorsitzende pflichtete ihm bei und
teilte mit, daß der Vorstand die Beanstandung zur Kenntnis nimmt.
Dr. Haußmann beantragte die Entlastung mit einem Dank an den Vorstand. Alterspräsident
Bürgermeister a. D. Rieck übernahm den Vorsitz. Bei Enthaltung des Vorstandes erfolgte die
Entlastung einstimmig. Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
dankte für das dem Vorstand ausgesprochene Vertrauen.
Der Vorsitzende teilte mit, daß der Schriftführer Direktor i. R. Karl Bullemer sein Amt aus
Altersgründen niederlege, und daß der stellvertretende Schriftführer Chefredakteur Erich
Borkenhagen, der ursprünglich sein Einverständnis zur Wahl zum Schriftführer erklärt hatte,
dieses aus familiären Gründen zurückgezogen habe. Auf Vorschlag des Vorstandes werden
Dr. Hans Günter Schultze-Berndt und Frau Ruth Koepke einstimmig zum Schriftführer bzw.
stellvertretenden Schriftführer gewählt. In gleicher Weise ist die Wahl der Herren Dieter Brozat
und Jürgen Grothe zu Kassenprüfern und der Bibliotheksprüfer Hans Joachim Mey und
Helmut Kärger einmütig.
Auf Vorschlag des Schatzmeisters bleibt der Beitrag in der bisherigen Höhe (monatlich DM 2,-,
jährlich DM 24,-) bestehen.
Ein Antrag des Mitglieds Albert Brauer (Anlage 7 zum Original der Niederschrift), der trotz
Fristüberschreitung zugelassen wurde, plädierte für einen Familienbeitrag, der eine 50%ige
Ermäßigung des Beitrages der Ehefrau vorsieht, der dafür die Mitteilungen und das Jahrbuch
nicht zugeleitet werden sollen. Der weitergehende Vorschlag von Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm, das Jahrbuch nicht, wohl aber die Mitteilungen zur Verfügung zu stellen und der
Ehefrau das Stimmrecht bei 50 % Ermäßigung des Mitgliedsbeitrages zu belassen, wird von
der Versammlung mit einer Enthaltung gutgeheißen.
Der Vorsitzende würdigte das Lebenswerk des Schriftführers, Direktor i. R. Karl Bullemer,
der dem Verein seit über vierzig Jahren angehört und seit 1958 das Amt des Schriftführers
mit Elan und Initiative verwaltet hat. Der Verein möchte seinen Dank für diese aufopferungsvolle Arbeit dadurch zum Ausdruck bringen, daß er dem bisherigen Schriftführer die Ehrenmitgliedschaft verleiht. Direktor Bullemer dankte tief bewegt für die hohe Auszeichnung und
blickte auf die Jahre seit Juni 1926 zurück, da er die Mitgliedschaft des Vereins erwarb. Er
betont die kameradschaftliche Zusammenarbeit innerhalb des Vorstandes und drückte seine
Freude über das Wiederaufleben des Vereins aus. Die Wahl von Direktor Bullemer zum Ehrenmitglied erfolgt einstimmig.
Anschließend dankte der Vorsitzende dem bisherigen stellvertretenden Schriftführer, Chefredakteur Erich Borkenhagen, für die großen Dienste, die er jahrelang dem Verein geleistet
hat, besonders durch seine Verlagsverhandlungen im letzten Jahr.
Weiter verwies der Vorsitzende darauf, daß der Archivwart des Vereins, Arthur Lessing, eines
der ältesten Mitglieder, 1969 80 Jahre alt wird. Zur Vollendung seines 80. Lebensjahres sollte
ihm die Ehrenmitgliedschaft angetragen werden. Dr. Pappenheim unterstützte diesen Vorschlag
aus seiner Erfahrung und erwähnte die Verdienste, die sich der Archivwart um die Fusion der
beiden Vereine von 1865 und von 1949 erworben hat. Gemeinsam mit dem abwesenden Vorstandsmitglied Kurt Pomplun, der ihn hierzu ermächtigt hat, spricht er sich aber dafür aus, die
Ehrenmitgliedschaft möglichst schon jetzt zu verleihen. Auch die Herren H. W, Klünner und
Obermagistratsrat a. D. Mügel plädieren für die sofortige Ernennung zum Ehrenmitglied.
Der Antrag hierfür wird von der Mitgliederversammlung einmütig gebilligt.
176
Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
bat darum, Stühle für die Bibliothek zu stiften. Auch ein
gebrauchter Kühlschrank fände dort nützliche Verwendung. Er wies auf die künftigen Veranstaltungen hin, besonders auf die Fahrt nach Einbeck und Umgebung vom 13.-15. September.
Dr. Haußmann hob die Bedeutung der Zeitgeschichte hervor, wie sie sich gegenwärtig an
Wirtschaftsproblernen, Zuständen in der Kirche usw. aufzeigt, und regte an, Material über diese
Fragen zu sammeln, in die auch das Kongreßgeschehen Berlins einbezogen werden könnte.
Dies führe sicher zu einer Verbreiterung des Interesses an der Vereinsarbeit, und es könnten
unter Umständen Mittel für diese Zwecke bereitgestellt werden. Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm dankte für die Anregung, die im Vorstand weiter besprochen werden wird.
H. W. Klünner plädierte für einen langfristigen Veranstaltungsplan, z. B. zur Vorbereitung
großer Gedenktage, etwa nach dem Beispiel des Fontane-Jahres. Der Vorsitzende bat ihn, entsprechende Daten zur Verfügung zu stellen.
Das Mitglied Klaus P. Mader erinnerte an den Druck eines Mitgliederverzeichnisses.
Der Vorsitzende dankte den Teilnehmern und schloß die Jahreshauptversammlung um
21.45 Uhr.
Unser Mitglied, Frau Dr. Ilse Reicke, bringt in Kürze im „Europäischen Verlag", Wien, einen
Gedichtband mit dem Titel: „Klang und Klage der Geschichte" in Leinen zum Preise von
DM 5 , - heraus. - Vorbestellungen wären zu richten schriftlich an Frau Ruth Koepke, 1 Berlin 61,
Mehringdamm 89, oder telefonisch unter Fernruf 66 07 91.
Buchbesprechungen
F. W. A. Bratring: Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg.
Kritisch durchgesehene und verbesserte Neuausgabe von Otto Busch und Gerd Heinrich. Mit
einer biographisch-bibliographischen Einführung und einer Obersichtskarte von Gerd Heinrich.
Groß-Oktav. XLII, 116, 1508 Seiten. 1968. Ganzleinen DM 3 2 0 - ( = Veröffentlichungen der
Historischen Kommission zu Berlin, Band 22).
Statistisch-topographisch - wie langweilig schon das Wort! Man hört Fontane über Berghaus, den
jüngeren (1854-56) „Kollegen" Bratrings, wettern: „ . . . ein erbärmliches Buch... 2000 Seiten mit
Stoff gefüllt, der in Akten, aber nicht in Bücher gehört; alles tot und ledern . . . vom RegistratorStandpunkt angesehen." So an Fr. Holtze d. Ä. am 10. 1. 1879. Das hat Bratring (1772-1829)
vorausgeahnt - die Vorrede zum letzten seiner 3 Bände (1804-1809) schließt er mit der berufsgewohnten Bescheidung des „statistischen Topographen": „Der Dichter und Belletrist finden in
ihrer Einbildungskraft Ressourcen für alle Fälle, der Geschichtsschreiber und Statistiker hingegen sind an tote Materialien gefesselt, — nur mit dem Unterschiede, daß jener ihnen ein
gefälligeres Gewand umwerfen und Lücken und Mängel durch Putz und Blumen verstecken
kann, statt daß dieser seine Schöne mit allen Blößen und Fehlern dem Publikum zur Schau
stellen muß, und kein Jota, keine Ziffer, zur Vollendung ihres Anzuges hinzusetzen darf."
Nun, die Anerkennung, die seiner Schönen bereits beim Erscheinen bekundet worden, hat
angedauert und wird heute durch den Neudruck erneuert. Diese erstaunliche Privatarbeit des
eben 30jährigen Geh.exped.Sekretärs, geschöpft aus den Akten des Generaldirektoriums und
der beiden märkischen Kammern, ersetzte geradezu ein amtliches Handbuch: ein allseitiges
„Strukturbild" der Mark um 1800 in Verwaltung, Wirtschaft und Kultur, - Landschaften,
Städte, Dörfer - gleichsam lauter kleine Baedeker, am größten der von Berlin. Kein bloßes Tabellenwerk - in Bratrings Text mit den recht kritischen Bemerkungen, in den drei Vorreden,
selbst in der Liste der Vorbesteller (Pränumeranten) spürt der Leser die aufklärungsfreudige,
zukunftsfrohe Zeit der ersten Reformversuche in Preußen. Ganz lebendig wird sie in Heinrichs
eindringender Biographie des bisher nur in Umrissen bekannten Bratring - übrigens das Muster
einer hartnäckigen, reichbelohnten Sucharbeit, an der man Forschen lernen kann. Der aus der
Altmark stammende Pastorssohn ist ein „echter Märker, für übertriebene Devotion und wetterwendische Schönrednerei nicht geschaffen, auf dessen Wort man bauen konnte" und durchdrungen vom Wert seines „Vaterlandswerks". Für Berlin hat er 1807 das erste „Allgemeine
Industrie-Adreßbuch" geschaffen.
Die Herausgeber erleichtern die Benutzung durch Hinweise und Fußnoten, durch eine zweite
durchlaufende Seitenzählung sowie durch die bis zur Gegenwart reichende Bibliographie und
eine große Übersichtskarte, beide von Heinrich. Allenthalben in den drei Teilen (Gesamtbild,
Altmark, Prignitz / Mittel- und Uckermark / Neumark) tritt Berlin als der große Verbraucher
hervor - und schon im Gesamtbild mit fast 300 Namen aus Wissenschaft, Literatur und Kunst
als geistige Mitte nicht nur der Mark. Wie Bratring genutzt werden kann, zeigt neuerdings der
Geograph Helmut Winz in dem wichtigen Beitrag zur großen „Heimatchronik Berlin" (1962);
Fortsetzung auf Seite 180
177
Im II. Vierteljahr 1968 haben sich
folgende Damen, Herren und
Institutionen zur Aufnahme gemeldet:
[IUI]
Berliner
leben
Berliner Disconto Bank
Berlin 10, Otto-Suhr-Alle 6-16
(Vorsitzender)
Helene Pelzer
Berlin 31, Landhausstr. 13 I; Tel.876991
(Vorsitzender)
Die Zeitschrift
für die
Freunde Berlins
Lucie Beckhaus
Berlin 22, Sakrower Kirchweg 35;
Tel. 3 69 82 24
(Frau A. Hamecher)
rinn
Günter Wollschläger, Werbemittler
Berlin 46, Preysingstr. 12;
Tel. 7 75 39 08
(Schriftführer)
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Adresse
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Dr. Julius Rieger, Superintendent
Berlin 62, Leberstr. 7; Tel. 71 29 40
(Vorsitzender)
Sparkasse der Stadt Berlin West
Berlin 31, Bundesallee 171
(H. Hofmann, Vorsitzender)
Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg,
Landesverband Berlin
Berlin 61, Stresemannstr. 96-102;
Tel. 18 0711
(Schriftführer)
Kurt Schulze-Danneberg, Rechtsanwalt
Berlin 19, Kaiserdamm 85;
Tel. 3 02 75 75 / 3 02 25 04
(H. Hofmann)
Lucie Brauer
Berlin 31, Blissestr. 27; Tel. 87 49 16
(A. Brauer)
Kurt Müller, Senatsangestellter
Berlin 31, Holsteinische Str. 20;
Tel. 86 40 38
(H. Hofmann)
Elisabeth Baron
Berlin 61, Mehringdamm 89;
Tel. 6 98 67 91
(R. Koepke)
Verlag BERLINER LEBEN,
1 Berlin 42, Mariendorfer Damm 1/3,
Telefon 7 02 02 07
Elise Mügel
Berlin 19, Gotha-Allee 28; Tel. 3 04 62 87
(Schatzmeister)
Eleonore Lattusseck, Verwaltungs-Angestellte
Berlin 10, Eosanderstr. 34; Tel. 34 87 89
(R. Koepke)
178
Gertrud Warzecha
Berlin 31, Bernhards«. 2; Tel. 87 73 72
(H. Wetzel)
Rudi Mücke, Verwaltungs-Angestellter
Berlin 62, Hauptstr. 50; Tel. 7 84 79 58
(H. Hofmann)
Marga Altmann, Geschäftsfrau
Berlin 31, Jenaer Str. 18; Tel. 2 13 32 15
(Frau Ch. Bullemer)
Christoph Gibian, stud. rer. nat.
Berlin 39, Bergstr. 20; Tel. 80 63 50
(K. Bullemer)
Günther Arndt, Apotheker
Berlin 33, Archivs«. 3; Tel. 76 25 35
(K. Bullemer)
Dr. Klaus J. Lemmer, i. Fa. Rembrandt-Verlag
Berlin 19, Reichssportfeldstr. 16;
Tel. 3 04 58 10
(K. Bullemer)
Georg Fränkel, Wirtschaftsprüfer
Berlin 12, Bismarckstr. 33; Tel. 34 43 33
(A. W. Bluhm)
Dr. Hartmut Fitzner, Medizinalrat
116 Berlin, Rathenaus«. 45; Tel. 63 61 43
(Vorsitzender)
Dr. Hildegard de la Chevallerie
Berlin 37, Rappoltsweiler Str. 5;
Tel. 84 35 45
(Dr. O. de la Chevallerie)
Ilse Stremlow
Berlin 45, Fontanes«. 9c; Tel. 76 65 32
(H. Hofmann)
Alexander Langenheld
Berlin 20, Südekumzeile 17c;
Tel. 3 3 6 4 2 8 1
(R. Mücke)
Frau Friedel Schwulera
Berlin 28, Maximiliankorso 8;
Tel. 4 01 41 48
(G. Schwulera)
Anschriftenänderungen:
Herbert Adam, Berlin 37, Schädes«. 7;
Tel. 80 20 04
stud. ing. Norbert Kunkel, Berlin 48,
Beyrodtstr. 50a
Archivdirektor Dr. Kutzsch, Berlin 19,
Königin-Elisabeth-Str. 10; Tel. 3 02 93 09
Subskriptions-Einladung
Nachdrucke zur deutschen u. preußischen
Geschichte und Kulturgeschichte
Subskriptionsschluß: 31. Dezember 1968
Eisenberg: Großes Biographisches
Lexikon der deutschen Bühne
im 19. Jahrhundert
Leipzig, List, 1903. 1194 Seiten. Leinen.
DM 160,Frischbier: Preußische Sprichwörter
Preußische Sprichwörter und volkstümliche Redensarten. 2 Bände. Berlin, Enslin,
1865/1876. Insgesamt 616 Seiten. Leinen.
DM 65,Kaiser Karl's IV. Landbuch der
Mark Brandenburg
Nach den handschriftlichen Quellen herausgegeben von E. Fidicin. Berlin, Guttentag, 1856. 372 Seiten. Leinen.
DM 78,Monumenta Zolierana
Urkundenbuch zur Geschichte des Hauses
Hohenzollern. Herausgegeben von Rudolph Freiherrn von Stillfried und Dr. Traugott Maercker. In 8 Bänden. Berlin, Ernst
& Korn, 1852/1866. Leinen.
DM 480,Nicolai: Beschreibung einer Reise durch
Deutschland u. die Schweiz im Jahre 1781.
In 12 Bänden. Insgesamt 3940 Seiten, mit
zahlreichen Kupferstichen, Karten, Tafeln
und Beilagen. Berlin u. Stettin 1788/1796.
Leinen.
DM 600,Einzelband DM 60,Nicolai: Beschreibung der Königlichen
Residenzstädte Berlin und Potsdam *
In 3 Bänden. Insgesamt 1534 Seiten, mit
mehreren Tafeln und Karten. Berlin, Nicolai, 1786. Leinen.
DM 225,Prutz: Die Geistlichen Ritterorden *
577 Seiten. Berlin, Mittler und Sohn, 1908.
Leinen.
DM 70,Reimann: Neuere Geschichte des
Preußischen Staates
In 2 Bänden. 722 Seiten. Gotha, Perthes,
1882/1888. Leinen.
DM98,Verlangen Sie unsere ausführlichen Subskriptionsprospekte. Die mit * gekennzeichneten Titel erscheinen im Dez. 1968.
H
HAUDE & SPENERSCHE
Verlagsbuchhandlung GmbH.
Gegründet 1614
Berlin 12
179
Fortsetzung von Seile 177
„Geschichte der äußeren Berliner Stadtteile bis zu ihrer Eingemeindung" (Geheimräte als
Büdner und Kossäten).
Der Wunsch regt sich, nun auch die wertvolle, in diese Zeit mündende Darstellung der Geschichte
Berlins (1792-99) von dem Ordensrat A, B. König (1753-1814, geborener Berliner), mindestens
für das 18. Jh., ähnlich erneuert zu sehen, mit einer ebenbürtigen Biographie dieses eigenwilligen Historikers.
Eberhard Faden
Baedekers Berlin. Kleine Ausgabe. 2. Aufl. Verlag Karl Baedeker, Freiburg 1968. Einb. in
Hochglanzkarton, Preis DM 6,80.
Während vom großen Berlin-Baedeker von 1878 bis 1966 24 Auflagen erschienen sind, kam
vom „kleinen Berlin" 1933 die erste, 1968 die zweite Auflage heraus. - Was aber liegt alles
zwischen diesen beiden Jahreszahlen!
So klein ist diese kleine Ausgabe nun wiederum gar nicht. Auf 120 Seiten hat unser Mitglied
Kurt Pomplun alles zusammengestellt, was der für kurze Zeit in unserer Stadt weilende
Besucher gesehen haben sollte. So wenigstens steht es im Vorwort. Aber der rote Band enthält
doch sehr viel mehr, und selbst der Eingesessene entdeckt beim Stöbern manchen ihm entlegenen Winkel, manches inzwischen neu erstandene Gebäude, das er aufsuchen, „entdecken"
sollte. Wie bei diesem Autor selbstverständlich, wird jedes Objekt auch aus historischer Perspektive betrachtet, es ist also ein ganz in unserem Sinne geschriebener Führer. Der Referent
ist überzeugt, daß außer den Gästen auch mancher alte und neue Berliner zu dieser wahrhaft
preiswerten Ausgabe greifen wird, um sich mit dem Baedeker in der Hand seine Stadt ganz
- soweit erlaubt - zu erobern.
W.
Hoffmann-Axthelm
Veranstaltungen im III. Vierteljahr 1968
1. Sonntag, 7. Juli, 9.30 Uhr, Spaziergang mit Kurt Pomplun durch den Schloßbereich Kleinglienicke (Jagdschloß, Kleine Neugierde, Casino, Klosterhof, Hohenzollernfriedhof). Treffen am Greifenportal, letzte Verbindung vom S-Bahnhof
Wannsee aus: Bus A 6 ab 9.24 Uhr.
2. Sonnabend, 13. Juli, 15.30 Uhr, Führung von Herrn Dr. Hans Leichter durch die
Ausstellung der Berliner Porzellan-Manufaktur „Lebendige Form in Vergangenheit und Gegenwart" im Haus am Lützowplatz, Berlin 30, Lützowplatz 9, 3. Stock.
3. Sonnabend, 20. Juli, Sommerausflug zum Evang. Johannesstift. Abfahrt um
14.00 Uhr mit Reisebussen der BVG von der Hardenbergstr. 32 (Berliner
Bank AG). Besichtigung des Johannesstiftes mit Lichtbildervortrag durch Herrn
Diakon Heinrich Wehrmann und gemeinsamer Kaffeetafel (Gedeck 2,50 DM).
Anschließend Spaziergang über den Naturpfad längs der Kuhlake, Busfahrt zum
Restaurant Schützenhof. Rückfahrt zum Bahnhof Zoo gegen 20.00 Uhr. Der bei
Fahrtbeginn zu entrichtende Preis für alle Fahrten beträgt 4,- DM je Teilnehmer.
Schriftliche Anmeldungen werden unter Bestellung der Busplätze bis zum 9. Juli
an Herrn Helmut Hof mann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, erbeten. Familienmitglieder und eingeführte Gäste sind herzlich willkommen.
4. Im Monat August finden keine Vorträge und Besichtigungen statt.
5. Freitag bis Sonntag, vom 13. bis 15. September, Studienfahrt mit Reisebussen
nach Einbeck. Besichtigung der kulturhistorischen Stätten von Höxter, Corvey
und Bad Gandersheim.
Den Mitgliedern geht die Einladung mit anhängender Antwortkarte demnächst zu.
6. Mittwoch, 18. September, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Vortrag des Herrn Prof. D. Dr. Walter Delius „Die Kirchenpolitik Kurfürst
Joachims II".
Gäste herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Freitag, 12. Juli, 30. August und 27. September zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof.
Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, HändelalJee 6 1 ; Dr, H . Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag j Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung G m b H , Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30
180
Fachabt der Denir.er Stadtbibliothek
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
64. Jahrg. Nr. 14
1. Oktober 1968
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91
Vorsitzender: Prof.Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D.W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
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Zum 200. Geburtstag von Friedrich Schleiermacher
21. November 1768
Von Diether Hoffmann-Axthelm
Wer für das geistige Leben des romantischen Berlin eine Konstante sucht, wird schließlich bei Schleiermacher stehenbleiben. In den drei Phasen, in denen sich hier die
poetische, philosophische und theologische Romantik entfaltet, ist er gegenwärtig unter
den ersten. Das gilt weiter darin, daß sich so nur das Gleichbleibende seines Wesens ausdrückt: er ist bei allem Enthusiasmus nüchtern genug, um in seiner Entfaltung ständig
mit der geistigen, gesellschaftlichen, politischen Wirklichkeit zu tun zu haben. Schließlich aber ist dieser Zusammenhang in eigentümlicher Weise eins mit Art und Gegenstand seines Denkens.
Nach belanglosen früheren Aufenthalten fällt Schleiermachers Eintritt in die Berliner
Gesellschaft in das Jahr 1796. Es ist die von der Aufklärung geprägte Gesellschaft
Nicolais und des Hofpredigers Sack - die neuen Elemente sind da, haben sich aber
weder durchgesetzt noch auch wirklich begriffen; es bedurfte erst der Kette von Begegnungen und Freundschaften, in die Schleiermacher selbst verknüpft ist, um aus dem
Zirkel um Rahel Levin, aus dem Salon der Henriette Herz die romantische Gesellschaft entstehen zu lassen. 1797 ist das Jahr der „Xenien", der Kriegserklärung zwischen Weimar und der Berliner Aufklärung, Wilhelm Meister war das Programm der
neuen Geselligkeit, der „Sympoesie", der „Mitteilung" und der „Religion". Friedrich
Schlegel traf in Berlin ein, und seine Freundschaft mit Schleiermacher wurde zur Basis
der Berliner Romantik. Gleichzeitig lernte Schlegel Tieck kennen, vor allem aber
Dorothea Veit, während die lebenslange Freundschaft zwischen Schleiermacher und
Henriette Herz ihren Anfang nahm.
Schon diese wenigen Daten zeigen Schleiermacher im Zentrum der neuen Bewegung.
Die großen Schriften dieser Zeit sind Programmschriften des neuen Lebensgefühls.
Schleiermacher ist nicht nur der Theologe der sogenannten romantischen Schule - die
„Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern" so gut wie die
nachfolgenden „Monologen" sind theologisch nur im übergreifenden Medium einer
neuen Sensibilität, das Religion heißt und als solche gelebt werden will. Sein „Katechismus der Vernunft für edle Frauen" aus dem Athenäum und die zur Verteidigung
Friedrich Schlegels geschriebenen „Vertrauten Briefe über Schlegels Lucinde" stellen
nur die praktische Strenge dieser religiösen Existenz dar und gehören ins Zentrum
dessen, was die romantische Schule unter Religion verstand. Es war folgerichtig diese
Einheit des Geforderten und Gelebten, die in kirchlichen Kreisen Anstoß erregte und
Schleiermacher schließlich 1802 ins hinterpommersche Exil trieb.
Unter veränderten Vorzeichen steht der nächste Abschnitt, der mit der Rückkehr aus
Halle im Sommer 1807 beginnt: nun ist Schleiermacher der Patriot, der sich die Vorbereitung der nationalen Erhebung gegen Napoleon zum Auftrag macht. Seine Schrift
„Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn" bereitete die aus dem
neuen Bildungsideal konzipierte Berliner Universität vor, deren erster theologischer
Dekan er 1810 wurde. Er unterstützte Stein, öffentlich und eindeutig, in seinem
Reformwerk und arbeitete auf geheimen Reisen für den Widerstand. In seinem Hause
in der heutigen Glinkastraße (damals Kanonier-, Ecke Taubenstraße) oder im Som182
merhaus an der Bendlerstraße (heute Stauffenbergstraße) verkehrten Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Niebuhr, Savigny, Eichhorn, Arndt, Alexander v. d. Marwitz und
die Brüder Gerlach. Dem Aufruf „An mein Volk" verlieh er in Berlin durch seine
Predigt beredten Nachdruck und exerzierte persönlich im sich bildenden Landsturm.
Die Zeit der Restauration wiederum sah ihn auf neue Weise in der Opposition. Verdächtigungen und polizeiliche Untersuchungen gehörten seit 1814 zu seinen ständigen
Erfahrungen. In unmittelbarer Gegnerschaft mit Hegel stand er auf der Seite der
Studenten (wie auf der der Turner) zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse. Nicht anders
hatte er auf kirchlichem und theologischen Gebiet sich gegen Konfessionalismus und
Pietismus, in denen sich hier die Restauration darstellte, zur Wehr zu setzen, während
von der anderen Seite her die theologischen Hegelianer über ihn herfielen. Wie zuvor
für die völlige Freiheit der Universität gegenüber dem Staate, kämpfte er jetzt für
diejenige der Kirche. Gleichwohl waren gegen sein Lebensende seine Predigten gesellschaftliche Ereignisse, seine Vorlesungen für ein Jahrhundert schulbildend. Seinem
Sarge sollen zwanzig- bis dreißigtausend Menschen gefolgt sein.
Eine so gleichbleibende Bedeutsamkeit ist nur verständlich aus der Konstanz eines
Wesens, das in gleicher Weise offen ist für den Wechsel der Situationen und im Stande,
sich selber in diesen Situationen durchzuhalten. Schleiermacher vermochte aus der
bloßen Kraft seiner moralischen Existenz ein Leben lang modern zu sein, ohne sich
jemals anzupassen. Fast vierzig Jahre lang ist Berlin ohne ihn nicht zu denken. Das ist
erstaunlich und erhält erst sein volles Licht dann, wenn man sich vor Augen führt,
wohin die Wege der anderen Teilhaber der romantischen Bewegung führten. Schleiermacher blieb nicht nur geographisch an seinem Platz. Er geriet weder in die Absonderung des Privaten, der Konversion, der erschöpften Vereinsamung, noch in die der
Fachwissenschaft oder des bloß persönlichen Zirkels der Überlebenden. Die Geselligkeit
seines Hauses nahm nicht ab, in allen angesehenen -Gesellschaften und Kränzchen des
geistigen Berlins von der „Mittwochsgesellschaft" (in der er einst Schlegel kennengelernt hatte) bis zur „Gesetzlosen Gesellschaft" (die ihn zum artigen Verkehr mit
Hegel zwang) war er ständiges Mitglied, ohne darüber den Kontakt zu den neuen
Kräften eines liberalen Preußens zu verlieren. Friedrich Schlegels rückwärts gewandte
Verherrlichung des ständischen Mittelalters war ihm so fremd wie Hegels Rechtfertigung des Bestehenden in seiner restaurativen Form. Preußentum war für ihn eine sehr
kritische Loyalität, die sich gleicherweise von Revolution wie Restauration entfernte.
Dieses unerhört reiche Leben identifizierte schließlich mit der gesellschaftlichen Tätigkeit, die allein genügt hätte, ein Leben überreich auszufüllen, eine umfangreiche theologische und philosophische Produktion, als sei dies nur eine andere Weise der gesellschaftlichen Tätigkeit und Verantwortung. Sieht man genau hin, so trifft eben dies zu.
Das theologische Hauptwerk, die „Glaubenslehre", in zwei Bänden 1821 und 1822
erschienen, hat in Wahrheit keinen anderen Gegenstand als die „Reden", so sehr die
literarische Geste dort, die kirchliche Formulierung und wissenschaftlich-theologische
Form hier für den Augenschein zu divergieren scheinen. Nicht nur, daß Schleiermacher
ständig aus dem Paragraphengerüst ausbricht, indem er sich voll erst in der folgenden
Anmerkung ausspricht, als sei der Paragraph ein zu amtlicher Zustand für das, was
gesagt werden sollte. Vielmehr ist ganz wie in den Jugendschriften auch hier der
Gegenstand des theologischen Redens „gesellig". Das in den „Reden", in der persönlichen Anrede der „Monologen", im geselligen Gespräch der „Weihnachtsfeier" von
183
1805 zutage liegende Gesellschaftliche ist hier nur ganz nach innen genommen, der
„christliche Gemeingeist" rechtfertigt sich in der strengen Form theologischer Wissenschaftlichkeit, statt sich im Gespräch oder in der Anrede der Predigt unmittelbar auszusprechen. So hat sich das theologische Denken selbst die Möglichkeit zur Vereinzelung
genommen: auf den Gegenstand des Glaubens, Jesu Gottesbewußtsein, antwortet kein
individualisiertes Selbstbewußtsein, sondern ein geselliges, kirchliches.
Schleiermachers Grabmal auf dem Dreifaltigkeitskirchhof II, Bergmanns». 39-41. Nach einer
Lithographie in: Gropius, Chronik der Kgl. Haupt- u. Residenzstadt Berlin für das Jahr 1837.
Berlin 1840.
In dieser Grundeigenschaft der Denkart Schleiermachers liegt wohl nicht zuletzt überhaupt die Wirksamkeit seiner Person. Denn was eben in aller Kürze für die Glaubenslehre angedeutet wurde, gilt nicht anders für seine Behandlung der Ethik oder auch
der verschiedenen philosophischen Disziplinen, über die er gelesen hat, sowie für seine
Pädagogik. Schleiermacher war zugleich derjenige, der wie kein anderer Geselligkeit
und gesellschaftliche Verantwortung zu leben wußte wie der Theoretiker einer solchen
Existenz; ein unvergleichlich Verstehender im Persönlichen und Wissenschaftlichen wie
der Begründer der modernen Hermeneutik, der wissenschaftlichen Verstehenslehre.
Dahin scheint zu deuten, wenn Bettina von Arnim, die noch in den letzten Jahren ihm
nach ihrer Art zu Füßen gesessen hatte, von ihm sagte, sie wisse nicht, ob er der größte
Mann seiner Zeit sei, wohl aber, daß er der größte Mensch sei. Derartiges mögen auch
die vielen gefühlt haben, die den Toten durch das Hallesche Tor hinaus auf den Dreifaltigkeitskirchhof begleiteten.
Anschrift des Verfassers: Berlin 21, Siegmundshof 20
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Auf Fontanes Spuren — heute
Frühlingsfahrt ins O d e r l a n d 1968
Diese Fahrt darf „Auf Fontanes Spuren" überschrieben werden, denn gerade er hat
diese Gegend in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ausführlich
beschrieben. Wer sich also noch nachträglich über die Geschichte des Oderbruchs unterrichten will, der lese unter „Das Oderbruch und seine Umgebung" folgende Abschnitte
nach: Das Oderbruch, Freienwalde, Falkenberg, Quilitz oder Neu-Hardenberg (heute
Marxwalde), Der Blumenthal, möglichst in einer älteren Ausgabe, da in Neuauflagen
vielfach Kürzungen vorgenommen wurden.
In Abänderung des vorgesehenen Tagesprogramms fahren wir nach der Frühstückspause — die wir im Bahnhofsrestaurant von Werneuchen einnehmen und dessen Wirt
bei unserem Eintreffen bereitwilligst seine Gaststätte öffnet - unmittelbar durch den
Forst Blumenthal, der an diesem Frühlingssonntag trotz der trüben und kühlen Witterung besonders reizvoll ist, direkt nach Bad Freienwalde, wo wir bereits erwartet
werden, um uns zusammen mit dem Initiator des hier in aufopfernder Kleinarbeit
entstandenen Schau- und Lehrgartens für Naturschutz und -pflege zu führen. Es
ist erstaunlich, was hier aus der Liebe zur Heimat in wenigen Jahren entstanden ist.
Man findet alle in der Mark vorkommenden Pflanzen, und es wird gezeigt, wie man
Gärten mit diesen heimatlichen Gewächsen gestalten kann. Ferner werden gutdurchdachte Futterstätten für Vögel und Musterbeispiele von Schutzhütten für Touristen
gezeigt. Es ist ein sehr interessantes Stückchen Erde, das lediglich durch die Eigeninitiative eines Idealisten hier enstanden ist. Daß es bereits Frühling geworden ist,
zeigt das Blühen der Primeln, Krokusse und Märzbecher auf diesem märkischen Boden.
Der Bus bringt uns nun anschließend nach Falkenberg, wo wir hoch über dem Städtchen auf der „Carlsburg" unser Mittagessen einnehmen. Am Nachmittag zeigt uns der
Museumsdirektor sein Oderbruchmuseum, das einstige Heimatmuseum von Bad Freienwalde. Die Gestaltung der einzelnen Räume hat in den letzten Jahren eine wesentliche
Wandlung erfahren. Sehr interessant sind die vielen Bodenfunde aus diesem Gebiet.
Als neuestes Stück der Sammlung zeigt uns nach Abschluß der Führung der Museumsleiter einen Mammutschädel, den man vor kurzem bei Ausschachtungsarbeiten in der
Umgebung von Freienwalde fand.
Unser nächstes Ziel ist der kleine Ort Zollbrücke, unmittelbar an der Oder. Je mehr
wir uns dem Fluß nähern, um so mehr wird einem bewußt, daß man sich im Grenzland befindet. Es ist vielfach verödet, Ortschaften und Dörfer sind entvölkert. Schwedt
an der Oder ist heute die große Industriestadt in diesem Raum geworden, und viele
Menschen sind nach dort abgewandert, weil man als Industriearbeiter weit mehr verdient als auf dem Lande. Hier in Zollbrücke befand sich früher eine Fähre, die die
beiden Oderufer miteinander verband. Heute ist der Weg zum Ufer mit einer dicken
Kette, an der sich ein Sperrschild befindet, abgegrenzt. Über den Fluß weht ein kühler
Wind an diesem Nachmittag. Dicht am Ufer nimmt uns eine kleine Gaststätte mit
einer freundlichen Wirtin auf, die für unsere innere Erwärmung französischen Kognak
ausschenkt und in dieser fröhlichen Stunde den Umsatz einer Woche verbuchen kann.
Weiter geht die Fahrt nach Marxwalde (früher Neu-Hardenberg), wo einst die Hardenbergs residierten. Der Weg nach hier führt uns durch Wriezen, dem früher blühenden Mittelpunkt des Oderbruchs. Diese einst pulsierende Stadt, die von dem Hinterland lebte, hat sich noch nicht von den Auswirkungen des letzten Krieges erholen
185
können. Überall stehen noch die Ruinen und Trümmer, ab und an dazwischen einige
Neubauten. Heute als Grenzstadt ist sie ihrer einstigen Funktion enthoben. Auch sie
ist zu einer toten Stadt geworden. Schwedt hat auch ihr den Raum streitig gemacht.
Das Schloß in Marxwalde, das im Auftrage der Denkmalpflege teilweise wieder restauriert wurde, dient heute dem Schulunterricht, und einige Räume werden als Lager für
Schulutensilien aller Art genutzt. Das Schloß enthielt früher viele Kunstgegenstände,
die der Minister von Hardenberg gesammelt hatte, unter anderem eine ganze Reihe
Gemälde namhafter Meister, wie z. B. Holbein, Rubens, Brueghel, Lukas Cranach,
Bosch, Teniers, Rembrandt, Gerard, Schinkel, Bardou, Benjamin West und Nikolaus
Bercbem. Man lese bei Fontane nach. - Die einst so schöne Parkanlage ist dahin.
1814 wurde Quilitz dem Staatskanzler von Hardenberg als Dotation verliehen und
ihm zu Ehren in Neu-Hardenberg umbenannt. Zu seinem 70. Geburtstag am 31. Mai
1820 gehörte auch Goethe (brieflich) mit einem Gedicht zu den Gratulanten, dessen
erste Strophe lautet:
„Wer die Körner wollte zählen,
Würde Zeit und Ziel verfehlen,
Die dem Stundenglas entrinnen,
Solchem Strome nachzusinnen."
Nach der Besichtigung des Schlosses zeigt uns der Ortspfarrer die nach Schinkelschen
Plänen in den Jahren 1816/17 restaurierte, sehr schöne Kirche. Am 13. Oktober 1817
fand im Beisein des Staatskanzlers die Einweihung des erneuerten Bauwerkes statt.
Fontane vergleicht den Bau mit dem Berliner Dom (gemeint ist der alte, der zur gleichen Zeit 1817 umgebaut wurde). Hier befindet sich, ebenfalls im Auftrage Hardenbergs von Schinkel entworfen, eine in (wahrscheinlich Berliner) Eisenguß gefertigte
Taufe. Ein zweites derartiges Stück steht in der Schloßkirche zu Wittenberg. Dort ist
auch, dem Wunsch des Bauherrn der Kirche entsprechend, im Altar das Herz des
Fürsten beigesetzt. Man zeigt es uns in einem etwas unwürdigen Rahmen, nämlich
unter einer Käseglocke. - Nach Fontane befand es sich früher auf einem Kissen liegend
von einer Glasglocke umgeben in einem Schrein, an dessen Außenseite zu lesen war:
„Des Fürsten Herz, das liebend treu geschlagen
Für seinen König und fürs Vaterland,
Das - in den schweren, blut'gen Kampfestagen,
Wo vielen auch die letzte Hoffnung schwand Durch Mut und Weisheit stark in kühnem Wagen
Des Vaterlandes Ruhm und Rettung fand,
Und nach vollbrachtem Werk gebaut dem heiligen Wort
Des Herrn den Tempel hier —, das ruht an diesem Ort."
In neuerer Zeit ging Neu-Hardenberg noch einmal in die Geschichte ein. Ein Nachfahre des Fürsten gehörte zu der Gruppe, die auf Hitler am 20. Juli 1944 den mißglückten Anschlag verübte. Die Pläne dazu wurden im Schloß von Neu-Hardenberg
gefaßt. Als die Gestapo den Grafen hier verhaften wollte, versuchte er durch Erschießen seinem Leben ein Ende zu machen. Er wurde aber nur schwer verletzt, und
so wurde seine Verhaftung herausgezögert. Er konnte nach Kriegsende wohlbehalten
das KZ Oranienburg verlassen. - Die Gräfin Hardenberg berichtete, daß nach Hardenbergs Verhaftung ihr Diener, ein Franzose, im Namen sämtlicher Kriegsgefangenen
- auch der russischen - eine Ansprache gehalten habe, in der er ihrer aller Bewunderung für den Grafen und ihre Anteilnahme für sie zum Ausdruck brachte. (Nachzulesen bei Ursula von Kardorff „Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942-1945".)
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Peter Christian Wilhelm Beuth
von D r . H a n s Heinrich Quincke
Eingangs der Straße Unter den Linden, auf dem Schinkelplatz, stand bis zum zweiten
Weltkrieg neben den Denkmälern von Schinkel und Thaer ein solches von Peter Beuth.
Es war eine Schöpfung von August Kiss (1802-1865), dem bedeutenden Schüler Rauchs;
an seinem Sockel waren von Friedrich Drake (1805-1882) gefertigte Reliefs mit den
Porträts hervorragender Zeitgenossen (Künstler, Handwerker, Fabrikanten u. a.)
angebracht. Das Standbild von Kiss wie die Reliefs von Drake werden heute im Märkischen Museum aufbewahrt. Außerhalb des Museums erinnert in Ost-Berlin - wie
auch in einigen andern Städten - noch eine Straße an Beuth, die vom Ende der Leipziger Straße, am Spittelmarkt, zur Kommandantenstraße herüberführt, und in WestBerlin die Staatliche Ingenieurakademie Beuth in der Lütticher Straße.
Peter Christian Wilhelm Beuth, Wirklicher Geheimer Rat und königlicher Staatsrat,
am 28. Dezember 1781 in Cleve als Sohn des Arztes Dr. Johann Gisbert Beuth und
seiner Ehefrau Amalie Wilhelmine, geb. Hildebrand, verwitwete Lilienthal geboren, war ein hochbedeutender und um das Allgemeinwohl hochverdienter Mann.
Er hatte in Halle Jura studiert und war dann als Assessor an der Kammer in Bayreuth
und als Regierungsrat in Potsdam tätig gewesen. 1810 durch den Freiherrn vom Stein
nach Berlin berufen, war er Leiter der Abteilung für Handel, Gewerbe und Bauwesen
im Finanzministerium und königlicher Staatsrat geworden. Die vielseitigen Aufgaben
seiner Stellung in wenigen Worten aufzuzeichnen, ist nicht einfach. Neben der Leitung
des staatlichen Bauwesens umfaßt sie etwa die Aufgaben, die heute der Wirtschaftsminister wahrzunehmen hat, freilich zu einer Zeit, da die Wirtschaft noch im Werden,
noch zu formen war. Und Beuth war in der Tat der Former und Erzieher des Handwerks und der Initiator der Industrie. Man darf sagen, daß er der Schöpfer der Berliner Industrie war, und daß Handwerk und Industrie im ganzen Staate ihm ihren
Aufschwung zu danken haben, so daß Werner v. Siemens Beuth den Vater der
preußischen Industrie nennen konnte (Lebenserinnerungen 2. Aufl. S. 279). Die
hohe Schule für Industrie und Handwerk wurde das Gewerbeinstitut, das Beuth
gegründet hat und selbst leitete. Aus dem Gewerbeinstitut ist später nach der
Vereinigung mit der gleichfalls von Beuth geleiteten Bauakademie die Technische
Hochschule hervorgegangen. Der „Vater der preußischen Industrie" ist also auch der
Vater der Technischen Universitäten. Beuth hat aber auch das erste preußische Patentamt eingerichtet und das Zollgesetz von 1818 entworfen, das die junge Industrie
schützte und Preußen zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet zusammenfaßte. Er hat
englische Schiffbauer und andere ausländische Fabrikanten ins Land geholt, und es ist
eine köstliche Geschichte, wie er den später so großen Industriellen Borsig, der sich
das zunächst garnicht zutraute, gegen seinen Willen gezwungen hat, Maschinen zu
bauen. Zum Dank hat Borsig später die erste Lokomotive, die er auf der Gewerbeausstellung vorführen konnte, auf den Namen „Beuth" getauft. Aber auch die Fabriken
von Schwartzkopff, Egells, Siemens, Kunheim und viele andere verdanken ihr Werden
Beuths fördernder Hand. „Beuth war überall", schreibt Walter Kiaulehn in seinem
Berliner Buch, „in den Schulen und Fabriken, in den Künstlerateliers und in den
Handwerkstuben. Er kannte alle Welt, stellte Verbindungen zwischen den Menschen
her, lehrte, ermahnte, wehrte ab und förderte alles, was von unten nach oben wollte.
187
In seiner Selbstlosigkeit und seiner großen sozialen Kraft war er ein Glücksfall, der
sich in dieser Klarheit leider nicht wiederholt hat." Das ist ein stolzes Lob, und doch
war Beuth mehr als der Vater von Handwerk und Industrie. Sein Name ist „aere
perennius" durch ein Verdienst, das auf ganz anderem und durchaus nicht gewerblichen
Gebiete liegt: er hat den Genius von Carl Friedrich Schinkel erkannt und seine Entfaltung mit allem, was er geben konnte, gefördert. Die Symbiose zwischen den beiden
Männern muß einzigartig gewesen sein. Paul Ortwin Rave schreibt 1935 in der Zeit-
schrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft über Beuth: „Werk und Leben
dieses Mannes erhält besondere Bedeutung durch die Art seiner Persönlichkeit, da er
ein Mensch mit hohen künstlerischen Einsichten war und ein leidenschaftlicher Kunstsammler, nicht zuletzt durch den fast lebenslangen Umgang und innigen Verkehr mit
dem „Urfreund" Schinkel. Das Zusammenwirken beider hat die schönsten Früchte
gezeitigt. Gustav Friedrich Waagen, dem wir auch die wärmste Lebensbeschreibung
Schinkels verdanken, hat im Jahr nach Beuths Tod in seiner Rede zum Schinkelfest
1854 diesem Freundschaftsbund und den daraus entspringenden Leistungen auf dem
Gebiete der Kunst ein ehrenvolles Denkmal gesetzt. Waagen urteilt, daß Beuth in
einem Grade, wie es ihm sonst nie vorgekommen, einen Scharfsinn, der ihm das genaueste Verständnis auch der schwierigsten Einzelheit in den verschiedensten Zweigen
der Industrie eröffnete, verbunden mit einer seltenen Begeisterung für die Kunst. Dies
habe ihn zu einer Sicherheit des Verständnisses geführt, daß Waagen sich nicht erinnere, von ihm je ein schiefes Kunsturteil gehört zu haben, und daß Schinkel nichts
ohne den Rat des Freundes unternahm. Aber auch die eiserne, bis zum Eigensinn
gehende Entschiedenheit Beuths war durch Schinkel, und nur durch ihn lenksam."
188
Beuths Freundeskreis - fast über ein halbes Jahrhundert reichend und in seinem Verlauf
wechselnd - war der führende Kreis des geistigen Berlin und von außergewöhnlichem
Reiz in seiner Mischung von Gelehrten, Künstlern, Beamten, Offizieren und Wirtschaftlern und mit seinen Beziehungen zu den kunstbegeisterten oder aufgeschlossenen
Mitgliedern des königlichen Hauses, namentlich dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm,
seinem Bruder Carl und beider Oheim, dem geistreichen Fürsten Anton Radziivill. Es
war ein Kreis, dessen Niveau uns fast nicht mehr vorstellbar ist, wenn wir bedenken, daß
ihm außer Beuth und Schinkel die Bildhauer Schadow, Rauch, Drake und Riss, die
Maler Blechen und Franz Krüger, der Intendant Graf Brühl wie Iffland und Devrient,
Peter Joseph Lenne und Fürst Hermann Pückler-Muskau, Zelter und sein Schüler
Felix Mendelssohn-Bartholdy, Carl Maria von Weber, Chamisso, Brentano und die
Arnims, Ludwig Tieck, Thaer, Hufeland, Hegel und Schleiermacher, die beiden Humboldts und Savigny, Josias von Bunsen, Leopold von Buch und Heinrich Dove, der
Freiherr vom Stein, die Finanzminister v. Motz und v. Maassen (der ebenfalls aus
Cleve stammte) und der Kultusminister v. Altenstein, General v. Gneisenau und Feldmarschall v. Müffling neben Siemens, Borsig, Schwartzkopff, David Hansemann und
den Gebrüdern Mendelssohn nicht nur gelegentlich zugehörten, und daß an seinem
Rande auch Goethe stand, von dem wir fünf Briefe an Beuth kennen. Aus einem
Brief Schinkels an seine Frau wissen wir auch, daß er und Beuth am 17. 4. 1826 Goethe
in Weimar besucht haben, „Herr von Goethe, welcher nicht ganz wohl war, auch
wegen einer Geschwulst am Kinnbacken Pflaster trug, hatte die Tage zuvor niemand
angenommen, und die junge Frau v. Goethe sagte mir, daß er schwerlich die Krankenstube verlassen haben würde, wenn nicht solche Gäste gekommen wären. Übrigens
unterhielt er sich zwei Stündchen sehr heiter mit uns." Rudolf v. Delbrück hat in
seinen Lebenserinnerungen ein Bild von Beuths Geselligkeit gezeichnet: „Er war wortkarg, aber jedes Wort, das er mit seiner dünnen Stimme sprach, war bestimmt und
klar. Sein Haus war Sonntag abends für einen Kreis alter und junger Freunde geöffnet,
im Winter in seiner Dienstwohnung im zweiten Stock des Gewerbehauses, im Sommer
in seiner kleinen Cottage in Schönhausen. Die Unterhaltung, welche bei der Wortkargheit des Hausherrn nicht immer leicht im Fluß zu erhalten war, bewegte sich
vorzugsweise um künstlerische Fragen und Interessen; war ein Pferdekenner anwesend,
so kamen Pferde aufs Tapet, denn Beuth hatte als alter Kavallerist ein lebhaftes Interesse für diese edlen Tiere und hielt sich stets ein auserlesenes Gespann, welches er zu
sehr liebte, um es häufig zu benutzen. Er gehörte zu den Naturen, deren wahres Wesen
nur langsam erkannt wird, er konnte anfangs durch Gleichgültigkeit, Kälte oder
Schroffheit zurückstoßen, wer ihm aber nähertrat, wurde inne, daß er Tiefe des Gemüts und Wärme des Herzens besaß."
1845 hatte König Friedrich Wilhelm IV., durch eine internationale Wirtschaftskrise
erregt, den Entschluß gefaßt, die von seinem Vater eingeführte Gewerbefreiheit wieder
einzuschränken. Beuth insistierte mit allen Mitteln, fand aber bei den Ministern und
Staatsräten nicht die notwendige Unterstützung. Nicht gewillt, an Entscheidungen,
die er für falsch hielt, mitzuwirken, nahm er seinen Abschied. Der offenbar erschreckte
König gewährte diesen dem 64jährigen, beließ ihm aber ehrenhalber Titel und Bezüge
eines Staatsrats auf Lebenszeit. Acht Jahre nach der Verabschiedung, am 27. 9. 1853,
ist Beuth gestorben. Die Sammlung von Kunstwerken aller Art, die er hinterließ, war
so bedeutend, daß Friedrich Wilhelm IV., der bekanntlich ein sehr kunstsinniger Fürst
189
w a r , drei Wochen nach Beuths T o d den Wunsch äußerte, die B e u t h - S a m m l u n g für die
königlichen Museen zu erwerben. D e r Finanzminister Freiherr v. d. Heydt, der den
Auftrag erhalten h a t t e , mit den Erben zu v e r h a n d e l n , k o n n t e sich bald mit ihnen
verständigen, u n d die S a m m l u n g w u r d e als „Beuth-Museum" dem Schinkel-Museum
angeschlossen. Die B e u t h - S a m m l u n g ist 1935 eingehend beschrieben w o r d e n durch den
damaligen Ersten Kustos des Beuth-Schinkel-Museums, Prof. D r . P . O . Rave, in der
Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft.
1821 h a t t e Beuth mit Freunden den „Verein zur F ö r d e r u n g des Gewerbefleißes" gegründet, dem sich sogleich der Freiherr vom Stein, beide Humboldts,
Gneisenau u n d
Thaer anschlössen. D e r Verein h a t bis 1945 bestanden, doch sind in jüngerer Zeit viele
seiner Aufgaben von den V e r b ä n d e n der gewerblichen Wirtschaft ü b e r n o m m e n w o r den. Alljährlich beim Stiftungsfest des Vereins erfolgte die Verleihung der BeuthMedaille, v o n der es mehrere Klassen gab, an verdiente Künstler, H a n d w e r k e r u n d
Industrielle. D i e letzte goldene Beuth-Medaille ist in den 20er J a h r e n an Krupp
von
Bohlen und Halbach verliehen w o r d e n . Seit Kriegsende r u h t die Tätigkeit des Vereins,
seine A k t e n w e r d e n in der Technischen Universität C h a r l o t t e n b u r g aufbewahrt. Aber
aus seiner M i t t e heraus ist in der Zeit der Schreckensherrschaft 1936 der „Beuth-Tisch"
ins Leben gerufen w o r d e n , der bis E n d e 1944 ein Treffpunkt freier Geister in Berlin
bleiben k o n n t e .
D a s G r a b m a l Beuths liegt auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof in Berlin und
ist nach einem E n t w u r f Schinkels
gestaltet gleich dem schräg gegenüber gelegenen G r a b Schinkels selbst, dem ein ähnlicher E n t w u r f des Meisters zu G r u n d e
gelegt ist - auf den Vorschlag Beuths, der gesagt h a t t e , m a n könne „Schinkel nichts
Besseres zu seinem D e n k m a l geben als seine eigene A r b e i t " . Beuths G r a b ist das erste
am Mittelweg des Kirchhofs, auf dem so viele bedeutende Menschen jener Epoche
die letzte R u h e gefunden haben.
Anschrift des Verfassers: 4 Düsseldorf, Camphausenstraße 14.
Nachrichten
1 5 0 J a h r e S p a r k a s s e in B e r l i n
Am 15. Juni 1818 nahm die Berliner Sparkasse als erste öffentliche Sparkasse unter Gemeindebürgschaft in Preußen ihren Geschäftsbetrieb im alten Berlinischen Rathaus, König- Ecke
Spandauer Straße auf. Ihre Aufgabe war es, den Einwohnern Gelegenheit zu geben, ihre
kleinen Ersparnisse zinsbar und sicher unterzubringen und ihnen dadurch behilflich zu sein,
sich ein Kapital zu sammeln, welches sie bei „Verheiratungen, Etablirung eines Gewerbes, im
Alter oder in Fällen der Noth" benutzen konnten. Das Statut sah Einzahlungen von 12 Groschen bis zu 50 Talern vor. Ende 1818 waren bereits 551 Sparbücher über insgesamt 13 982
Taler ausgestellt.
Die Entwicklung der Sparkasse in den vergangenen 150 Jahren war eng mit der Geschichte
Berlins verbunden. Perioden stetigen Wachstums wurden unterbrochen von starken Abhebungen und zögernden Einzahlungen in Auswirkung wirtschaftlicher und politischer Krisen und
Kriege. Mit der Bildung der Groß-Gemeinde Berlin wurden auf Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 25. November 1920 die Sparkassen der ehemals selbständigen Gemeinden
in die Berliner Sparkasse eingegliedert. 1925 wurde die Berliner Stadtbank - Girozentrale
der Stadt Berlin ins Leben gerufen.
Vor Ende des 2. Weltkrieges hatte die Sparkasse auf 2,3 Millionen Sparkonten 3,3 Milliarden
Spareinlagen verbucht. Am 15. Mai 1945 begann die Sparkasse der Stadt Berlin praktisch von
neuem. Kontensperre, Währungsreform, die Spaltung der Stadt und die Blockade erschwerten
diesen Neubeginn erheblidi. Am 30. Dezember 1948 wurde aus den in den drei westlidien
Sektoren gelegenen Zweigstellen die Sparkasse der Stadt Berlin West gebildet.
190
Bereits im November 1963 überschritten die Spareinlagen bei der Sparkasse der Stadt Berlin
West die Milliarden-DM-Grenze. Anfang März 1968 hatte die Berliner Bevölkerung auf
921 000 Sparkonten über 2 Milliarden DM bei der Sparkasse gespart.
150 Jahre nach ihrer Gründung steht die Sparkasse in Berlin heute in der Spitzengruppe der
deutschen Kreditwirtschaft. Unter den deutschen Sparkassen nimmt sie, gemessen am Geschäftsvolumen, den zweiten Platz ein.
Bericht über den Sommerausflug in das Evangelische
Johannesstift am 20. Juli 1968
Das 110jährige Jubiläum des Evangelischen Johannesstiftes gab dem Verein Anlaß, den
Sommer-Ausflug mit einer Besichtigung der Anlage zu verbinden. Trotz des kühlen und regnerischen Wetters kamen 75 Teilnehmer in BVG-Reisebussen nach Spandau. Im Gästehaus
begrüßte der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm,
die Versammelten. Nach der
gemeinsamen Kaffeetafel hielt Diakon Wehrmann im Wichernhaus einen ergreifenden Lichtbildervortrag über Geschichte und Arbeit des Stiftes.
Der 1857 vom Rauhen Haus in Hamburg von Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin gerufene
Johann Hinrich Wichern gründete auf Wunsch des Königs das Stift als eine Brüderanstalt. Die
Gründungsversammlung fand am 25. 4. 1958 in der Singakademie in Berlin statt. Die erste
Unterkunft befand sich in einer gemieteten Etage in Alt Moabit 38. Im März 1864 wurde
ein 80 Morgen großes Gelände am Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal erworben. Bereits am
19. Juni war die Grundsteinlegung für das erste Haus. Da das Gelände verkehrsgünstig lag
- an den großen Eisenbahnlinien und am Kanal - beanspruchte die ständig wachsende Reichshauptstadt das Land, um hier einen großen Binnenhafen anzulegen. 1906 wurde das Gelände
am Plötzensee an die Stadt Berlin verkauft und im gleichen Jahr 302 Morgen Land von der
Stadt Spandau im Spandauer Forst erworben. Ein Drittel der Fläche wurde in aufgelockerter
Bauweise nach den Plänen des Stiftsvorstehers Pastor Wilhelm Philipps d. Ä. mit 32 Häusern
bebaut. Das restliche Gelände blieb als Wald erhalten oder wurde landwirtschaftlich (heute
180 Morgen) genutzt. Am 18. 9. 1910 fand die Einweihung statt, an der 15 000 Menschen teilnahmen. 1955 wurde als erster Neubau nach 1910 das Gästehaus errichtet. Zu den ursprünglichen Aufgaben des Johannesstiftes, der Erziehung und Pflege Körperbehinderter und Schwererziehbarer, sind heute Pflege und Beherbergung alter Menschen sowie die Ausbildung und
Arbeit in modern ausgestatteten Werkstätten gekommen.
Dem nachfolgenden Spaziergang durch den Spandauer Forst entlang der Kuhlake unter der
Leitung des Unterzeichneten schlössen sich trotz des Regens die meisten Teilnehmer an. Besondere Heiterkeit erregte die Demonstration des sogenannten „Junggesellenteichs" am Oberjägerweg, an dem sich in jedem Frühjahr die ohne Entendamen gebliebenen Erpel treffen.
Den Abschluß bildete ein Abendessen im Schützenhaus in Hakenfelde. Der Vorsitzende wies in
einem kurzen Referat auf die Tradition und Geschichte der 1334 gegründeten Spandauer
Schützengilde hin.
Jürgen Grothe
Am 22 Juli 1968 führte unser Mitglied Walter Kuppel eine stattliche Schar in einer im Veranstaltungsprogramm nicht vorgesehenen Führung durch Friedenau. Es war erfreulich, zu sehen,
wieviel von der alten Bausubstanz dieses 1871 als selbständige Gemeinde gegründeten, seit
1920 dem Bezirk Schöneberg angehörenden Ortsteiles erhalten geblieben ist. Der Führer,
selbst gebürtiger Friedenauer, verstand es, ein lebendiges Bild über Entstehung, Wachstum und
Wandel in der sozialen Struktur dieser ursprünglich reinen Beamtensiedlung zu geben.
Am 1. 8. 1968 wurde unser Mitglied Dr. Gerd Heinrich als außerordentlicher Professor an die
Pädagogische Hochschule Berlin berufen.
Buchbesprechungen
Berlin und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Mit Beiträgen von . . . und
einer Kartenbeilage. Herausgegeben von Hans Herzfeld unter Mitwirkung von Gerd Heinrich.
Berlin: de Gruyter 1968. 1034 S. = Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin
beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Bd. 25. Bd. 3.
Seit mehreren Jahren arbeitet die Historische Kommission zu Berlin an der Herausgabe einer
dreibändigen Geschichte der Mark Brandenburg und Berlins. Der 3. Band wird als erster jetzt
vorgelegt. Sein Inhalt reicht von 1806 bis zur Gegenwart. Fünfzehn Bearbeiter haben sich
191
in die Aufgabe geteilt, die Geschichte der Stadt Berlin und der Provinz Brandenburg im Zeitabschnitt eines geradezu revolutionären Wachstums bis 1939 und der Folgezeit darzustellen.
- Im 1. Kapitel behandelt Hans Herzfeld die: Allgemeine Entwicklung und politische Geschichte. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung der Nachkriegsgeschichte in ihrer Verflechtung in weltpolitische Gegebenheiten und Abhängigkeiten gelungen. „Verfassung und
Verwaltung" von Richard Dietrich schließt sich an. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zeichnet Eberhard Schmieder nach. Es folgen die Abschnitte von Martin Schmidt über:
Christentum und Kirche im frühen 19. Jahrhundert und von Karl Kupisch über: Christlichkirchliches Leben in den letzten hundert Jahren. In den folgenden drei Kapiteln behandeln
Georg Kotowski: Das Bildungswesen, Paul Ortwin Rave: Die bildende Kunst und Werner
Bollert; Das Musikleben. Die Beiträge über: Das literarische Leben bestreiten Renate Böschenstein-Schäfer und Klaus Müller-Dyes. Das Kapitel über: Das publizistische Leben hat Emil
Dovifat geschrieben. Im Abschnitt: Theater kann sich Hans Knudsen auf die Ergebnisse vieler
Dissertationen der letzten 20 Jahre stützen. Die Abhandlungen über: Berlin und die deutsche
Filmindustrie von Peter Dittmar und: Die Leibesübungen von Peter Goeldel bilden das 11.
und 12. Kapitel. - Da nicht alle Beiträge mit einem Anmerkungsapparat versehen sind, ist das
beigegebene, sehr ausführliche, der Gliederung des Bandes folgende Literaturverzeichnis von
großem Wert. Es ist unter der Leitung von Gerd Heinrich zusammengestellt worden, der zur
Abrundung des Ganzen eine Karte: Verwaltungsgliederung und Grenzziehung 1815-1966 mit
ausführlichen Erläuterungen beigesteuert hat. Ein Namenregister erleichtert die Orientierung
durch die riesige Stoffülle.
Die einzelnen Beiträge des Sammelwerkes sind hinsichtlich der Verarbeitung des jeweiligen
Stoffes und der Qualität der Darstellung recht unterschiedlich ausgefallen. Einige sind als sehr
gut gelungen zu bezeichnen. In anderen jedoch ist oftmals zu wenig berücksichtigt worden, daß
es in erster Linie galt, eine Darstellung unter stadtgeschichtlichen Aspekten zu geben. So ist,
um Beispiele zu nennen, im Kapitel 4, Teil 2 fast nur von der staatlichen Kirchenpolitik die
Rede; vom Leben in den einzelnen Kirchengemeinden erfährt der Leser fast nichts. Oder im
5. Kapitel (Bildungswesen) wird von den Leistungen der Stadt, ihrer Stadtverordnetenversammlung und den städtischen Behörden für das Bildungswesen nicht gesprochen, um so
mehr davon, was der preußische Staat auf diesem Gebiet getan hat. In mehreren Abhandlungen kommt die Darlegung der Entwicklung in der Provinz Brandenburg zu kurz, bisweilen
fällt sie ganz weg. Stellt der Leser zusammen, was in den einzelnen Beiträgen zur Geschichte
Brandenburgs im 19. und 20. Jahrhundert gesagt worden ist, so ist das Ergebnis, wie mir
scheint, als unzulänglich zu bezeichnen. Bezüglich der zeitlichen Abgrenzung ihrer Abschnitte
verfahren die Bearbeiter unterschiedlich. Einige lassen ihre Ausführungen 1945 enden, andere
führen sie bis zur Gegenwart; auch das Jahr 1933 erscheint in einem Beitrag als Endpunkt der
Darstellung.
Jedoch sollen diese Bemerkungen die Bedeutung des vorliegenden Werkes nicht herabmindern,
dessen Kaufpreis von DM 48,- hoffentlich eine weite Verbreitung ermöglichen wird.
Konrad Kettig
Gerhard 'Walther: Das Berliner Theater in der Berliner Tagespresse 1848-1874. Theater und
Drama, Band 32. Colloqium-Verlag Otto H . Hess, Berlin, 1968. 288 Seiten. 19,-DM.
Für unseren Verein ist von Interesse, daß in dieser Schrift Louis Schneider und seine theaterhistorischen Vorträge erwähnt werden, soweit sie in den Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins abgedruckt wurden. Im übrigen befaßt sich die Dissertation mit den KassandraRufen der Tagespresse gegen die Geschäftsführung der Berliner Theater-Direktoren: „Videant
consules...", mit Billettwesen, Eintrittspreisen und Repertoire-Fragen, sie sucht die Zeitungsspalten auf, in denen Theaternachrichten zu finden sind, und berichtet auch vom „Eingesandt"
aus dem Publikum - aber eine „Theaterkritik" kommt im ganzen Buch nicht vor. Es setzt
beim Leser die konzentrierte Aufmerksamkeit eines Theaterwissenschaftlers voraus. Mit ungeheurem Fleiß hat der Verfasser aus 163 Jahrgängen der Berliner Tagespresse von vor 120
Jahren sein Material entnommen, das er sich mühsam aus den Bibliotheken in Ost und West
zusammensuchen mußte. Ein Buch für Spezialisten.
I. S.
Alfred Braun „Achtung, Achtung, Hier ist Berlin!" Band 8 der „Buchreihe des SFB", herausgegeben vom Sender Freies Berlin. Haude Sc Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12. 88 Seiten und 19 Abbildungen, büttenbezogener Pappband D M 9,80.
Unmittelbar zum 80. Geburtstag des Autors am 3. Mai erschien dieser kleine Band, sehr zur
Freude derjenigen, die die Geburtsstunde des Deutschen Rundfunks miterlebt haben. In der
geschickten Form von Frage und Antwort plaudert Alfred Braun über Erlebnisse und Begeben192
heiten aus den ersten Jahren des Rundfunks - und es sind zugleich seine eigenen. War es
Hans Bredow, der durch seine technischen Kenntnisse 1923 die Organisation geschaffen hatte,
so war es Alfred Braun als erster Hörspielregisseur und vor allem als erster Reporter des
gesprochenen Wortes, der dem neuen Medium den notwendigen Atem in den ersten Lebensjahren eingehaucht hat. Zunächst im Voxhaus in der Potsdamer Straße, dann ab 1931
im Haus des Rundfunks in der Masurenallee, bannte er die Hörer - seine Hörer - an die
Kopfhörer und Lautsprechertrichter. Seine Reportagen über Ereignisse wie z. B. die Ankunft
der Ozeanflieger und des Zeppelins, die Verleihung des Nobel-Preises an Thomas Mann sowie
die Begegnungen vor dem Mikrofon mit Persönlichkeiten der Politik, der Wissenschaft, der
Kunst und des Sportes verhalfen ihm in kurzer Zeit zu einer Popularität, die weit über die
Grenzen Deutschlands hinausging. Mit der Geschichte des Deutschen Rundfunks ist natürlich
- und das kommt auch in diesem Büchlein zum Ausdruck - ein Teil des Berliner Lebens verbunden.
Die einzelnen Bilder sowie die kleine Übersicht am Ende des Buches geben eine sinnvolle Ergänzung zum Text. Er ist vom Inhalt her eine Lektüre besonders für jene älteren Berliner,
die noch heute mit Wehmut an die zwanziger Jahre zurückdenken, als es noch hieß: Achtung,
Achtung, Hier ist Berlin.
Klaus P. Mader
Panorama Berlin. Ein Kalender für das Jahr 1969. Herausgegeben von Walther G. Oschilewski, 1968, arani-Verlags GmbH, 1 Berlin 33.
Es macht Freude, die für Berlin so typischen und doch alles andere als gängigen Gemälde und
Graphiken zu betrachten, die Walther G. Oschilewski für den Kalender zusammengetragen
hat. Teils farbig, teils schwarzweiß, zeigen sie vornehmlich das alte Berlin, aber auch zeitgenössische Ansichten. Aus den Bildunterschriften erfährt man meist die Lebensdaten der
Künstler, in vielen Fällen auch den Fundort der Kunstwerke. Wer sich vierzehntäglich ein neues
ausgesuchtes Berlinbild ins Haus holen will, dem sei zu diesem Kalender geraten.
SchB.
Georg Zivier: Berlin und der Tanz. Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH
1968. 96 Seiten m. 22 Abb. DM 9,80 („Berlinische Reminiszenzen", Band 19).
Georg Zivier, der bekannte Schriftsteller und Kritiker, bietet mit diesem Buche die erste
zusammenfassende Geschichte des Tanzes in Berlin in Verbindung mit dem höfischen Zeremoniell und der höfischen Lustentfaltung im 16. Jahrhundert, in welchem man Sänger und
Tänzer aus Italien holte. Bezeichnenderweise unterstanden diese anfangs dem Zeremonienmeister des kurfürstlich märkischen Hofes. Im Gegensatz zu diesen höfischen Tänzerinnen und
Tänzern standen die Dreh- und Stampftänze des Volkes bei kirchlichen und familiären Festen.
Für Berlin waren es die städtischen Zünfte, die Volkstänze einführten wie den „Webertanz",
„Schustertanz" oder „Müllertanz" u. dgl.
Nach dem Stillstand während des Dreißigjährigen Krieges konnte sich unter dem Großen
Kurfürsten und seinem kunstliebenden Nachfolger Friedrich I. auch die Tanzkunst weiter
entwickeln. Zur Geburtstagfeier ihres Gemahls arrangierte Königin Sophie Charlotte im
Schloß Charlottenburg ein Jahrmarktsfest mit einem „Zigeunerballett". Die Sänger und Tänzer
kamen weiterhin hauptsächlich aus Italien. Die erste eigens für Berlin verfaßte Oper war ein
vom Hofzeremonienmeister Johann von Besser ersonnenes Singspiel mit Ballett „Florences
Frühlingsfest". Seine erste bedeutende Ballettperiode erlebte Berlin unter Friedrich dem Großen.
Besonderer Gunst des Königs erfreute sich die als „Barbarina" bekannte, aus Parma stammende
Ballerina Barbara Campanini.
Beeinflußt durch die Entwicklung in der französischen Revolution konnte bald auch jedermann
die Theatervorstellungen besuchen, die vorher nur dem Adel und Hof zugänglich waren. Das
Menuett spielte in Berlin eine wesentliche Rolle, so daß es neben dem Menuett de cour und
dem Menuett de l'amour ein Menuett de Berlin gab. Berlins zweite Ballettepoche begann, nachdem bei der Neuorganisation der Königlichen Theater (1811) das Ballettpersonal in den Etat
des „Königlichen Nationaltheaters" eingereiht wurde und damit ein bis heute erhaltenes materielles Fundament erhielt. Zwei bedeutende Tanzmeister sind dabei hervorzuheben. Francois
Michel Hoguet und Paul Taglioni sowie dessen Tochter Maria.
Der Verfasser führt seine Betrachtungen bis in unsere Tage, zu Isadora Duncan, Mary Wigman,
Valeska Gert, Edith Tiirckheim, Tatjana Gsovsky, dem kürzlich verstorbenen Harald Kreutzherg, um nur einige Namen zu nennen, bis zu dem jetzigen Chefchoreographen der Deutschen
Oper, Kenneth Mac Millan. Ein vorzügliches Buch, zu dem jeder, der für dieses Gebiet Interesse
hat, stets und gern greifen wird.
/• Lachmann
Fortselznug auf Seite 196
193
Im III. Vierteljahr 1968 haben sich
Bey-Heard
Hauptstadt und
Staatsumwälzung Berlin 1919
Problematik und Scheitern der Rätebewegung in der Berliner Kommunalverwaltung
Von Dr. Frauke Bey-Heard. Mit einem
Vorwort von Prof. Dr. Hans Herzfeld
1968. Ca. 250 Seiten. Kart. DM 33,50
Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften e. V. Berlin,
Band 25
Die Zeit von 1912 bis 1920, in der die
strukturellen Probleme der großen
Stadtlandschaft zurDebatte standen,
war eines der erregendsten Kapitel
der deutschen und ganz besonders
der Berliner Kommunalpolitik.
Ihren Höhepunkt fand sie in den Versuchen der linken Arbeiterschaft, mit
den Räten nach dem Prinzip der direkten Demokratie eine Alternative
zu der repräsentativ-bürokratischen
Stadtverwaltung herkömmlicher Art
zu schaffen. Der Mißerfolg des RäteExperiments macht deutlich, welch
hohes Maß an politischer Integrationskraft und technischer Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung innewohnte.
laal
194
Kohlhammer
folgende Damen, Herren und
Institutionen zur Aufnahme gemeldet:
Lisa-Olga Müller
1 Berlin 33, Taunusstr. 1
Tel. 89 49 73
(F. Berndal)
Erich Kemnitz, Bankkaufmann i. R.
1 Berlin 33, Auguste-Viktoria-Str. 41a
Tel. 89 32 29
(H. Hofmann)
Herta Kiewitz, Ausstellungsgestalterin
u. Malerin
1 Berlin 41, Bundesallee 106
Tel. 83 16 70
(H. Hofmann)
Peter Severin, Buchhändler u. Antiquar
1 Berlin 48, Kiepertstr. 27
Tel. 7 75 42 86
(A. W. Bluhm)
Alfons Grajek, Stadtrat u. stellv. Bürgermeister von Charlottenburg
1 Berlin 19, Preußenallee 9a
Tel. 3 04 12 70
(W. Mügel)
Elisabeth Melcher
1 Berlin 37, Neuruppiner Str. 191
Tel. 84 21 35
(Frau R. Koepke)
Meierei-Zentrale G.m.b.H.
1 Berlin 44, Bergiusstr. 55-59
Tel. 68 03 41
(Frau E. Küche)
Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt
1 Berlin 30, Budapester Str. 37
Tel. 13 18 51
(A. W. Bluhm)
Martin K. Herrmann
Portland (Oregon), USA
(K. Bullemer)
Charlotte Hardow
1 Berlin 51, Becherweg 4
Tel. 4 12 66 49
( H Hofmann)
Alfred Hardow, Bankkaufmann
1 Berlin 51, Becherweg 4
Tel. 4 12 66 49
(H. Hof mann)
Emil Hess, Glasurmeister, Staatl. Porz.
Manufaktur
1 Berlin 12, Weimarer Str. 43-44
(Dr. Schultze-Berndt)
Käthe Denicke, Verwaltungsangestellte
1 Berlin 31, Hildegardstr. 9
Tel. 87 88 52
(H. Hofmann)
Neu bei Haude & Spener
Arno Wagner, Rentner
1 Berlin 42, Stolbergstr. 23
(F. Berndal)
Horst Gronau, Ministerialrat
532 Bad Godesberg, Hindenburgallee 21
Tel. 7 71 15
(Frau Dr. Hoffmann-Axthelm)
Elisabeth Runge
1 Berlin 51, Mückestr. 17
Tel. 49 94 23
(W. Mügel)
Elisabeth Rossberg
1 Berlin 51, Mittelbruchzeile 63
Tel. 49 52 68
(H. Hofmann)
Gerd Rossberg, Vers. Angestellter
1 Berlin 51, Mittelbruchzeile 63
Tel. 49 52 68
(H. Hofmann)
Heinz Fechteier, Stadtsynodalamtmann
1 Berlin 37, Oertzenweg 52
Tel. 80 1196
(Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm)
Anne Marie Behrbohm
1 Berlin 22, Kladower Damm 363
Tel. 3 6 9 7 3 1 1
(K. Pomplun)
Hildegard Klotz
1 Berlin 27, Kamener Weg 4
Tel. 43 88 78
(Frau R. Koepke)
Anschriftenänderungen:
Erich Alte, 414 Rheinhausen,
Im grünen Winkel 1
Friedrich Wilhelm Lehmann
Die „schrecklichen Berliner"
Ein buntes Pro und Kontra der Meinungen
über die Einwohner Spree-Athens
124 Seiten, mit 18 Abbildungen, Leinen
DM 12,80
Dieses Buch ist allen Berlinern gewidmet,
den geborenen und den gestorbenen, den
hiesigen und den auswärtigen, den echten
und den sonstigen; darüber hinaus allen
Freunden und allen Feinden der SpreeAthener sowie denjenigen, die - bisher - keine eigene Meinung über die
s c h r e c k l i c h e n Berliner haben.
Berlinische Reminiszenzen
Eine Buchreihe für die Freunde Berlins
- 22 Bände liegen vor.
Zuletzt erschienen:
Berliner Münzenfreunde, Berlin 20,
Burscheider Weg 24g;
per Adr. E. Heinatz
Werner Mittelbach
Fina Rothschild, Berlin 41, Baumeisterstr. 2a
Egon Jameson
Mein lachendes Spree-Athen
Dr. Herbert Spruth, Berlin 45, Rotdornweg 9
Märkische Märchen
Hermann Teske
Berlin und seine Soldaten
Da die Herausgabe eines Mitgliederverzeichnisses beabsichtigt ist, wird dringend gebeten,
der Geschäftsstelle alle Anschriftenänderungen, neue Telefonanschlüsse sowie umgeschaltete Nummern anzugeben.
0
HAUDE & SPENERSCHE
Verlagsbuchhandlung GmbH.
Gegründet 1614
Berlin 12
195
Fortsetzung von Seite 193
Helmut Kotschenreuther, Kleine Geschichte Berlins. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung,
Berlin 1967. 103S. (Berlinische Reminiszenzen 17).
Ungeachtet des jüngst erschienenen kleinen „Führers durch die Geschichte Berlins" von Werner
Vogel hat man das Bedürfnis empfunden, mit einer gleichartigen Stadthistorie en miniature
den Markt zu beschicken. Die Darstellung verharrt im Konventionellen, wichtige Dinge, die
heute ins Blickfeld der Berlin-Forschung geraten sind wie z. B. die soziale Frage in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts, wurden übergangen. Man spürt die leider schnelle und oberflächliche Kompilation des Büchleins. Soviel zum Negativen. Positiv ist zu vermerken, daß das
Buch flott geschrieben ist, so daß manch einer, der sich sonst nicht mit Stadtgeschichte beschäftigen würde, auf diese Weise mit der Historie Berlins vertraut gemacht wird.
Kutzsch
Hinweise
Der vorzeitige Versand dieser „Mitteilungen" ermöglicht es, Sie auf den im Rahmen der
Niederländischen Kulturwochen für den 26. September um 20.00 Uhr in der Eichengalerie
des Schlosses Charlottenburg angekündigten Vortrag von Herrn Prof. Ivo Schöffer, Universität Leiden, hinzuweisen: „Die Republik der Vereinigten Niederlande und das Kurfürstentum
Brandenburg - Das Problem eines Kontrastes - " .
Das Berliner Komitee für UNESCO-Arbeit veranstaltet unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters in der Zeit vom 22. September bis 10. Oktober aus Anlaß des Jahres
der Menschenrechte im Haus des Rundfunks, 1 Berlin 19, Masurenallee 8-14, eine Ausstellung
„Menschenrechte - Der Beitrag Berlins". Wir empfehlen unseren Mitgliedern den Besuch dieser
Ausstellung, die anschließend in Bonn, Stuttgart, Wiesbaden und München gezeigt werden wird.
Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1968
1. Mittwoch, 2. Oktober, 17.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Irmgard Wirth durch
die Ausstellung „Eduard Gaertner (1801-1877) Architekturmaler in Berlin" im
Berlin-Museum (Altes Kammergericht), 1 Berlin 61, Lindenstraße 14.
Besuch der dortigen Alt-Berliner Weißbierstube.
2. Donnerstag, 17. Oktober, 19.30 Uhr, im Konventssaal des Krankenhauses Bethanien, 1 Berlin 36, Mariannenplatz 1, Vortrag des Herrn Dr. Dr. Manfred
Stürzbecher „Gründung und Entwicklung der Zentraldiakonissenanstalt Bethanien". Anschließend Besichtigung der historischen Fontane-Apotheke.
3. Sonnabend, 26. Oktober, 9.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Margarete Kühn
durch die Ausstellung „Die Niederlande und Brandenburg-Preußen", ein Jahrhundert geistiger Beziehungen in der europäischen Gelehrtenrepublik.
Treffen am Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten vor dem Schloß Charlottenburg.
4. Sonnabend, 2. November, 15.00 Uhr, Führung von Herrn Jürgen Grothe durch
Alt-Spandau. Treffen vor dem Rathaus, Rundgang durch die Altstadt und den
Kolk. Besichtigung der kath. Marienkirche auf dem Behnitz.
5. Mittwoch, 13. November, 19.30 Uhr, im Logenhaus der National-Mutterloge
„Zu den drei Weltkugeln", gegr. 1740, 1 Berlin 19, Heerstraße 28, Vortrag des
Herrn Nationalgroßmeisters Dr. Julius Hadrich „Die Rolle der Freimaurer im
preußischen Staat und heute".
6. Dienstag, 10. Dezember, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
volkstümlicher Tonbildvortrag von Frau Ilse Stremlow „Im Geiste Fontanes
durch das Berlin seines 50. Todesjahres 1948".
Gäste willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller.
7. Sonnabend, 21. Dezember, 16.00 Uhr, vorweihnachtliche Feier im großen Saal
des Ratskellers Schöneberg, zu der besondere Einladungen versandt werden.
Freitag, 11. Oktober, 29. November und 13. Dezember zwangloses Treffen in der
Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Beilagenhinweis: Diesem Heft ist ein Prospekt der Haude & Spenerschen Verlagsbuchhandlung als Beilage
beigefügt.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriflleitung: Prof.
Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelaliee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude Sc Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30
196
>lioth«4
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
65. Jahrgang. Nr. 15
1. Januar 1969
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 698 67 91
Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
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Zum 300. Geburtstag der Gründerin von Charlottenburg
20. Oktober 1968
Ihre Wiege stand in keiner der großen Residenzen des deutschen Barock, sondern in
einer kleinen, aber traditionsreichen Wehrburg am Teutoburger Wald. Als Tochter
des Herzogs und nachmaligen Kurfürsten Ernst-August von Braunschweig-Lüneburg
aus dem Hause Hannover wurde Sophie Charlotte, die spätere Gemahlin König Friedrichs I. von Preußen, am 20. Oktober 1668 auf der Iburg bei Osnabrück geboren. Von
der bescheidenen Kemenate im Hof dieses abgelegenen bischöflichen Schlosses, zu
dessen Füßen noch heute der Sophie-Charlotte-Teich an sie erinnert, führte ihr Lebensweg auf den preußischen Thron. Geistig geleitet von ihrer Mutter, der Kurfürstin
Sophie von Hannover, die bereits in freundschaftlichen Beziehungen zu Leibniz stand,
empfing Sophie Charlotte als Elfjährige während eines Aufenthalts in Paris nachhaltige kulturelle Eindrücke. Eine sorgfältige Erziehung und von Leibniz mitgeförderte
Schulung schufen die Grundlage eines überdurchschnittlichen Wissens, auch um religiöse
und künstlerische Probleme der Zeit. Seit 1684 Gemahlin des letzten Kurfürsten von
Brandenburg und seit 1701 Königin, versuchte sie auf dem preußischen Thron auch
politisch zu wirken, zog sich aber nach dem Mißlingen dieser Ziele auf die Domäne
geistiger Führung zurück. In einer Zeit, in der Bildung bei Frauen, selbst auf den
Thronen Europas, Ausnahme war, hat Sophie Charlotte einen ungewöhnlichen und in
unserem Lande bis heute nachwirkenden Einfluß ausgeübt: sie veranlaßte 1700 ihren
Gatten zur Gründung der Akademie der Wissenschaften, deren erster Präsident Leibniz
wurde. Mit dem Bau des kleinen Landhauses „Lützenburg", benannt nach dem Dorf
und Gut Lützow, das der Kurfürstin mit allen Einkünften vermacht worden war,
wurde sie zur Gründerin Charlottenburgs. Aus dem Baukern dieses Schlosses von 1695,
an dem sie in tätiger Anteilnahme mitgewirkt hatte, entstand nach ihrem Tode allmählig die heutige Anlage.
In die von ihr gegründete Sommerresidenz zog sie auch Gottfried Wilhelm Leibniz,
dem sie hier Heimstatt bot. Aus den Gesprächen der Königin mit dem größten Polyhistor seiner Zeit - Adolph Menzel hat diese philosophischen Spaziergänge im Park in
einem Holzschnitt nachempfunden - erwuchs Leibniz die Anregung zu seinem Hauptwerk, der „Theodizee", der Rechtfertigung Gottes trotz allen Übels in der Welt. Die ebenso kenntnisreiche wie stets wißbegierige Monarchin erlag - erst 37jährig 1705 in Hannover einer Halserkrankung. Zum Gedenken der Gemahlin wurde Lützenburg vom König in Charlottenburg umbenannt. Die 300. Wiederkehr der Geburt
dieser preußischen Landesmutter belebt die Erinerung an sie, die auch dem nüchternen
„Spreeathener" Begriff geblieben ist. Auf der einstigen Stadtgrenze, an der den Landwehrkanal überquerenden „Charlottenburger Brücke", stehen vor dem 1908 errichteten Torbau die von Heinrich Baucke gestalteten Bronzestandbilder des Königs Friedrich I. und seiner Gemahlin mit dem Modell des Schlosses, das bis heute sprechendstes
Denkmal ihres Wirkens ist.
Hans Pappenheim
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Die Baugeschichte der Moabiter Brücke
und deren erster Bauherr, der Hofrat Pierre Baillif (Ballif)
Von Prof. D r . D r . Walter Hoffmann-Axthelm
Es ist das Verdienst des in den letzten Kriegsmonaten versdiollenen Bibliothekars des
Vereins für die Geschichte Berlins FELIX HASSELBERG, 1941 die Baugeschichte der Moabiter Brücke aufgeklärt zu haben durch die Entdeckung einer „Bekanntmachung" der
Königl. Preußischen Regierung vom 1. Februar 1820, veröffentlicht am 10. Februar in
Nr. 18 der Vossischen Zeitung. Sie sei hier, zitiert nach HASSELBERG (LV [Literaturverzeichnis] 11), im Auszug wiedergegeben:
„Um die Passage von Berlin nach Moabit zu erleichtern, soll im Laufe dieses Jahres
eine hölzerne nach dem letztern Ort führende, gegen Erlegung eines Brückengeldes zu
passierende Aufzieh- und Fahrbrücke über die Spree, desgleichen ein Brücken-Aufzieher-Haus, hinter dem Garten von Bellevue am sogenannten Kurfürstendamm erbauet, und die Ausführung dieser Baue dergestalt in Privat-Entreprise gegeben werden,
daß die Unternehmung sowohl von einem Einzelnen als auch von Jemanden,
der dazu eine Gesellschaft von Aktionairs zusammen zu bringen vermag, ausgeführt werden kann, welcher die Kosten der Erbauung und Erhaltung der Brücke, und
die Anlegung der Wege mit Einschluß der etwa nöthigen Abfindungen benachbarter
Privat-Eigenthümer, aufbringt, und welchem daher die Einnahme vom Brückengeide
überlassen wird. Das Publikum wird hiervon mit dem Bemerken in Kenntniß gesetzt,
daß die näheren diesfälligen Bedingungen in der Registratur unserer ersten Abtheilung
täglich einzusehen sind."
Der Bau solcher sogenannter „Actienbrücken" war damals durchaus üblich, auch die
Jannowitzbrücke und die abgerissene Kunowskibrücke verdanken neben anderen einer
derartigen Ausschreibung ihre Entstehung. Über den Bautermin vermag HASSELBERG
in seiner Miszelle eine genaue Zeitangabe nicht zu bieten . .. Die Anregung der Regierung scheint daher erst nach einer Reihe von Jahren Gegenliebe bei einem unternehmungslustigen Berliner gefunden zu haben. Die erste mir bekannte Erwähnung der
fertigen Brücke steht in der 1827 erschienenen, von W. Mila besorgten 6. Auflage
des Nicolaischen Wegweisers . . . (LV 11), in welchem eine, fenseits des Gartens von
Bellevue gelegene, von Privatpersonen erbaute Brücke erwähnt wird (LV 15). Dieses
Intervall zwischen 1820 und 1827 kann auf vier Jahre eingeengt werden, denn in den
Bauakten des Bezirks Tiergarten fand ich in einem am 11. April 1824 an die Polizeibehörde gerichteten Schreibens des Chirurgen CARL FERDINAND GRAEFE anläßlich des
Baues seiner Villa Finkenherd am Nordwestrande des Tiergartens als Ortsbezeichnung
die Brücke nach Moabit angegeben (LV 1). Das Zolleinnehmer-Haus entstand, wie aus
der Karte auf Abb. 1 ersichtlich ist, am nördlichen, also Moabiter Ufer der Spree. 1829
erwähnt MILA eine auf Privat-Entreprise des Hofraths und Hofzahnarztes Baillif
entstandene hölzerne Zugbrücke, Baillifbrücke genannt (LV 14), und in HELLINGS 1830
erschienenem alphabetischen „Taschenbuch von Berlin" lesen wir unter dem Stichwort Ballif-Brücke, auch Moabiter Brücke genannt, . . . eine Pfahlbrücke, auf Actien
gebaut; sie fällt jedoch im Jahre 1830 dem Staate zu und es hört das Brückengeld auf.
Dieses betrug, wie wir unter Actien-Brücken erfahren, 5 Pfennige für Fußgänger und
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Abb. 1. Karte von 1833
mit der Ballif-Brücke
und dem Zollhaus.
'••.JSÜJetr.Htyz. Xfit- *£ -
für ein Pferd 1 Silbergroschen (LV 12). Wie OEHLERT in seiner „Moabiter Chronik"
mitteilt, übernahm der Staat 1830 die hölzerne Baillifbrücke (auf Aktien), später Moabiter Brücke, das Brückengeld wurde jedoch bis 1848 weiter erhoben (LV 16).
Die von Norden auf die Brücke führende Straße erhielt 1835 anläßlich der Einweihung
der von SCHINKEL erbauten Johanniskirche den Namen Kirchstraße; der nach Süden
ursprünglich zum Großen Stern führende Schöneberger Wiesenweg, später Moabiter
Damm, bekam am 1. 12. 1832 den Namen Brückenallee und heißt, jetzt zum Hansaplatz führend, seit dem 20. 2. 1960 Bartningallee, ein für Berlin typisches Straßennamen-Schicksal (LV 21).
Die Ballifbrücke, wie sie noch in der ersten Jahrhunderthälfte hieß, wurde 1840 durch
eine größere ersetzt (Abb. 2) und 1868/69 als hölzerne Jochbrücke hochgelegt, so daß
Abb. 2. Die Moabiter Brücke nach 1840.
200
Abb. 3. Die Moabiter Brücke nach der Höherlegung (1869). Im Hintergrund die Stadtbahn.
sie von Schiffen unterfahren werden konnte (Abb. 3). 1893/94 wurde die Moabiter
Brücke in Stein aufgeführt und mit vier Bronzebären der Bildhauer CARL BEGAS, J O HANNES BÖSE, JOHANNES GOETZ und CARL PIPER geschmückt (LV 20; Abb. 4). Diese
Bären wurden während des letzten Krieges eingeschmolzen, die Brücke aber hat die
Bombennächte und den Endkampf um Berlin überdauert.
Wer aber war dieser BAILLIF, dem wir die Finanzierung des ersten Spreeübergangs von
Bellevue nach Moabit zu danken haben? - Nach den Adreßbüchern war PIERRE BAILLIF
Abb. 4. Die 1893/94 erbaute Steinbrücke.
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Hofrat, Mechanikus und Leibzahnarzt FRIEDRICH WILHELMS III. Leider wissen wir
über das Privatleben dieses interessanten und schon von seinen Zeitgenossen wegen
seiner Geschicklichkeit gepriesenen Mannes so gut wie nichts. Aus seinem Totenschein
geht hervor, daß er im Juni 1775 in Lausanne geboren wurde, doch führten intensive
Nachforschungen durch den dortigen Archivar I. P. CHAPUISAT zu keinem Ergebnis.
Selbst sein Name ist nicht eindeutig. In den Berliner Adreßkalendern lesen wir die
Schreibweise BAILLIF, ab 1827 aber BALLIF, wie er sie selbst auch auf den Titeln seiner
Schriften verwendet. In CALLISENS „Medicinischem Schriftsteller-Lexicon" von 1830
finden wir gleichfalls BALLIF mit der Bemerkung: Häufig wird er unrichtig Baillif genannt. Dies wird aber im Nachtrag von 1838 korrigiert, denn dort heißt es: Ballif
(Peter) oder Baillif (Pierre) (LV 8). - Da er im Totenregister der Berliner Französischen Gemeinde wiederum als PIERRE BAILLIF eingetragen ist, dürfen wir wohl annehmen, daß dies sein eigentlicher Name war, den er später in Berlin ein wenig der
deutschen Schreibweise angepaßt hat. Im medizinischen Schrifttum hat er dann auch in
dieser germanisierten Form Eingang gefunden.
BAILLIF gehörte, obwohl kein Refugie, der Hugenottengemeinde an, was durdiaus
möglich war, wenn der Betreffende der reformierten Glaubensrichtung angehörte, die
französische Sprache beherrschte und in guten Vermögensverhältnissen lebte, was ja
für ihn alles zutraP.
Über BALLIFS Tätigkeit bei Hofe berichtet uns 1836 der Hofzahnarzt E. BLUME: Im
Jahre 1829 hegleitete ich den Herrn etc. Ballif mehreremal auf seinen Dienstreisen zu
Sr. Majestät nach Potsdam und Charlottenburg, wo ich ersterem bei seinen Geschäften
in Gegenwart des Leibarztes Sr. Majestät des Königs Herrn etc. Dr. v. Wiebel behilflich war (LV 7).
Die erste Erwähnung des Namens im Berliner Schrifttum finden wir 1811 in dem angesehenen medizinischen Fachblatt „Hufelands Journal", in welchem eine künstliche
Hand beschrieben ist, deren Konstruktion jetzt hier in Berlin einem fremden sehr denkenden Künstler, Namens Baillif zu danken ist. Einleitend wird die eiserne Hand des
GÖTZ VON BERLICHINGEN beschrieben, deren Finger sich nur rein passiv mit der gesunden Linken in eine veränderte Stellung bringen ließen, in der sie einrasteten. BAILLIF
ist, wie RADICKE hundert Jahre später feststellte, als erster auf den Gedanken gekommen, die an dem amputierten Arm vorhandenen Muskelkräfte zur Betätigung der
Finger heranzuziehen, ein Weg, auf dem alle späteren Konstrukteure
fortgeschritten
sind (LV 17). Ein Jahr später schilderte der Chirurg GRAEFE Ballifs Hand mit Abbildungen so, daß sie von jedem geschickten Künstler wird verfertigt werden können
(LV 9), und 1818 veröffentlichte sie der Autor selbst in einer in seiner Muttersprache
abgefaßten Monographie (LV 2).
Aus der Tatsache, daß BAILLIF 1811 in Hufelands Journal als ein in Berlin Fremder
angesehen wurde, dürfte zu schließen sein, daß er damals noch nicht allzulange in der
preußischen Hauptstadt weilte. Im „Allgemeinen Straßen- und Wohnungsanzeiger"
taucht er 1812 in der Spalte der Mechanici auf, ab 1818 finden wir den Mechanikus
PIERRE BAILLIF, Kurstraße 51, auch als akademischen Künstler im Verzeichnis der
Akademie der Künste, seit 1823 erscheint er in der Schreibweise BALLIF mit dem Titel
Hof rat, Wohnung Jerusalemer Str. 6, und ab 1827 wird der königliche Leibzahnarzt
im Hofstaat Sr. Majestät des Königs unter den dem Hofmarschallamt unterstellten
1
Für diese Auskunft und die Übermittlung des Totenscheins bin ich dem Direktor des Berliner Hugenottenmuseums, Herrn JEAN DE PABLO, ZU großem Dank verpflichtet.
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Leibärzten geführt. 1826 wurde er mit dem allgemeinen Ehrenzeichen 1. Klasse dekoriert und 1830 immerhin mit dem Roten Adlerorden 4. Klasse.
Diese Auszeichnungen haben ihre Vorgeschichte: Eingelegt in ein äußerlich besonders
kostbar mit Goldbordüren ausgestattetes Exemplar von BALLIFS Schrift über die künstliche Hand und den künstlichen Fuß, erworben 1950 auf einer Auktion der Bibliothek
SAYN-WITTGENSTEIN in Schloß Hohenstein, fand P. F. C. WILLE ein französisches Gedicht, verfaßt in Alexandrinern, der anspruchsvollen Diktion der französischen Klassik,
dessen annähernd wörtliche Übersetzung folgendes sagt 2 :
Geschenk eines angebeteten Königs, kostbare Medaille!
Du überschüttest mich mit Freude, und mein Herz zittert.
Für alle seine wahren Untertanen ist das Bild eines solchen Königs
Ein geliebtes Porträt; für mich ist es ein Schatz.
Aber, liebenswerter Reichtum, wo wirst du wohnen?
Wie hast du an meine Bleibe denken können?
Holde Göttin! Dich niederzulassen
Und in einem dunklen Asyl verschlossen zu bleiben,
Das ist eine seltsame Wahl. Mit Bedauern muß ich sehen,
Daß du nur auf dem Boden einer Schublade hausen wirst.
Eine Schönheit, so reich und gar so vollendet,
Sollte nicht gemacht sein, um ihre Reize zu verbergen.
Ach! in einer Schachtel wird man dich nicht sehen,
Indessen man deine liebenswürdige Anmut verehrt.
Daß ich dir keinen schöneren Ort anbieten kann!
Um die unsterbliche Größe des Königs zu offenbaren,
Solltest du den Platz an meinem Herzen schmücken,
Dann würdest du mich auf den Gipfel des Glückes führen.
Vorausgesetzt, daß wir BALLIF als Autor dieser Verse annehmen können, dürfte es
sich hiernach um eine Medaille handeln, die man ihm überreicht hatte, wohl weil die
gesellschaftliche Stellung eines Zahnarztes damals für eine Ordensverleihung nicht als
ausreichend angesehen wurde. Wie aus dem Text hervorgeht, zeigte die Vorderseite
der Münze das Bildnis FRIEDRICH WILHELMS III., die Rückseite das einer Göttin. Von
den zahlreichen, unter diesem König geschlagenen Medaillen weist nur die Denkmünze
zur Belohnung für Kunst und Wissenschaft die gleichen Merkmale auf (LV 6; Abb. 5).
Ebenso geschickt wie unverfroren versteht es der Verfasser, mit der überschwenglichen
Bewunderung der in einer Schachtel, einem dunklen Asyl, verborgenen Medaille die
Bitte um einen Orden zu verbinden, indem er für sie einen Platz an seinem Herzen
wünscht. Beachtung verdient die Herkunft des Buches und damit auch des Poems. Ein
SAYN-WITTGENSTEIN-HOHENSTEIN wirkte seit 1819 als Minister des königlichen Hauses und war damit der für Ordensverleihungen zuständige Mann 3 .
2
Unserem langjährigen Mitglied, Herrn Dr. med. P. F. C. Wille, Hannover, schulde ich besonderen Dank für die Überlassung des Original-Manuskripts.
3
WILHELM LUDWIG GEORG Graf (später Fürst) zu SAYN-WITTGENSTEIN-HOHENSTEIN (1770
bis 1851), ab 1812 Leiter der höheren Polizei in Preußen und damit, wie auch später als Minister, die „Seele aller reaktionären Maßregeln und Verfolgungen". Der Frhr. VOM STEIN urteilte
über ihn: „W. besaß alle Eigenschaften, um ohne Kenntnisse, inneren Gehalt und Tüchtigkeit,
sich eine vorteilhafte Stellung im Leben zu verschaffen; schlau, kalt, berechnend, beharrlich,
bis zur Kriecherei biegsam;. .." (Allg. Dt. Biogr. 43, 626-629).
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Abb. 5. Denkmünze zur
Belohnung für Kunst und
Wissenschaft mit Porträt
Friedrich Wilhelms III. Auf
der Rückseite die Felicitas
publica, mit Füllhorn und
Steuerruder auf Thronsessel sitzend; neben ihr
der gekrönte preußische
Adler (LV 6).
Von 1818 bis 1826 erschienen insgesamt vier Schriften BALLIFS, unter denen jene über
die Konstruktion einer künstlichen Nase ein besonderes medizinhistorisches Interesse
verdienen dürfte (LV 4). In der im gleichen Jahre 1826 verfaßten Beschreibung einer
Rippenbandage erfahren wir, daß der Autor Besitzer eines zehn Meilen von Berlin
entfernten Landsitzes war, denn auf dem Wege dorthin stürzte sein Wagen um. Er
zog sich einen Rippenbruch zu, was zur Konstruktion des darin geschilderten Schienenverbandes führte (LV 5). Dieser wurde übrigens wegen seiner Umständlichkeit schon
von den Zeitgenossen abgelehnt.
GUIDE JOURNALIER
pour H m r
4 Fembellissement
ä la conservation des Dents
P«
PIERRE
BALLIF,
Chirurgien DeotiM« de 1* Cour royale de Prusse
et de celle de Son Atteste Suenisimn 1« Pnn ••
de Radsiwill &c. See. ei Membre de 1'Andernir
de« Beaux-Arti de Berlin.
B e r l i n 1819,
i'lmprimerie rcyale de Decker.
204
So hat BAILLIF auf
dem Gebiete der
mechanischen Orthopädie vielfach befruchtend gewirkt. Weiterhin hat er es
verstanden, seine Ideen nicht nur in die
Praxis umzusetzen, sondern auch geschickt
zu propagieren. Seine im Selbstverlag erschienenen Bücher sind kostbar ausgestattet und ungewöhnlich reich durch Kupferstiche illustriert, die darin gegebenen
Anregungen wurden vom zeitgenössischen
Schrifttum, zum Teil kritisch, wie wir
lasen, übernommen.
Am 12. Januar 1831 starb der Conseiller
de Cour et Chirurgien Dentiste du Roi,
PIERRE BAILLIF, im Alter von 56 Jahren,
7 Monaten, laut Totenschein d'une attaque
de nerfs, nach CALLISEN an einer Hirnlähmung. Am 6. Januar wurde er auf dem
Kirchhof der Französischen Gemeinde am
Oranienburger Tor beigesetzt. - War er
verheiratet, hinterließ er Nachkommen?
- Wir wissen es nicht. Im Hugenottenarchiv finden sich darüber keine Angaben,
und mit dem Todesjahr erlischt der Name
BAILLIF in den Adreßbüchern Berlins.
Literaturverzeichnis
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2.
3.
4.
5.
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Ballif, Pierre: Description d'un nez artificiel . . . Berlin 1826.
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Bolzenthal, H.: Die Denkmünzen Friedrich Wilhelms III. Berlin 1834.
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Graefe, Carl Ferdinand: Normen für die Ablösung größerer Gliedmaßen. Berlin 1812,
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Fußnote.
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Die Straßen-Brücken der Stadt Berlin. Berlin 1902, Bd. I, S. 182-184.
Vogt, Hermann: Die Straßen-Namen Berlins. Schriften des Vereins f. d. Gesch. Berlins,
H . 22, Berlin 1885, S. 14.
Wirth, Irmgard: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Bezirk Tiergarten.
Berlin 1955, S. 234 f.
Anschrift des Verfassers: 1 Berlin 21 (Tiergarten), Händelallee 61
Nachrichten
Studienfahrt nach Einbeck und ins Weserbergland
In der Wiederaufnahme einer alten Tradition der Mark-Brandenburg-Fahrten des Vereins für
die Geschichte Berlins vor dem Kriege hatte sich unser Verein zu seiner ersten Studienfahrt
nach 1945 die siebenhundertjährige Stadt Einbeck als Standquartier und die angrenzende
Weserlandschaft als Ausflugsziel ausgewählt. Es war gerade eine Omnibusladung voller Mitglieder, die am 13. September zunädist unter der Führung von Dr. Pliimer die Sehenswürdigkeiten Einbecks kennenlernte. Als Stadtarchivar machte er die Gäste mit dem mittelalterlichen
Stadtbild bekannt, das von 120 ansehnlichen Bürgerhäusern und besonders den alten Brauerhäusern mit ihren großen Torbogen und hohen Dächern geprägt ist. Folgerichtig schloß sich
diesem Rundgang eine Besichtigung der modernen Einrichtungen der Einbecker Brauhaus AG
an. Bei einem Abtrunk im Urbock-Keller, dem bemerkenswerten Brauereimuseum, zeigte unser
Schriftführer Dipl.-Br.-Ing. Dr. Schultze-Berndt dann die Entwicklung des Brauwesens in
Deutschland seit dem Mittelalter am Beispiel des Einbecker Brauhauses in lebendigen Worten
auf. Dem Einbecker Bier verdankt bekanntlidi das heutige Bockbier Charakter und Namen.
Am folgenden Sonnabend, 14. September, besiditigten die Teilnehmer nach einer Fahrt durch
den Solling Schloß und Kirche Corvey. Hier beeindruckte nicht nur das aus der alten Reichsabtei entstandene Schloß (heute Besitz der Fürsten von Ratibor und Corvey) mit seinen Sälen,
der Bibliothek und dem Hoffmann-von-Fallersleben-Museum;
am karolingisdien Westwerk der
Abteikirdie aus dem Jahre 855 mit ihrem Johannischor, der Kaiserempore, lernten die Mitglieder auch das älteste erhalten gebliebene sakrale Bauwerk Norddeutschlands kennen, das
sich nach den umfangreichen Renovierungsarbeiten in altem Zustand zeigte.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Schloßrestaurant Corvey ließen sie sich von Buchhändler Henze durch die mittelalterliche Stadt Höxter und einige sehenswerte Kirdien bis zur
Anlegestelle des Motorschiffes führen. Dieses bradite die Schaulustigen weseraufwärts nach
über dreistündiger gemächlicher Fahrt in die alte Hugenottenstadt Karlshafen, wo sie nach
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einem romantischen abendlichen Rundgang vom Bus erwartet wurden. Nach Hörensagen soll
sich im alten Einbecker „Brodhaus" noch eine recht fröhliche Runde zusammengefunden haben.
Die Rückfahrt am Sonntag, 15. September, führte zunächst über Bad Gandersheim; hier nahm
sich der Leiter der Kurverwaltung Saalmann der Gäste bei einer Führung durch den Kaisersaal, die Stadt und ihre schönen Anlagen an und schilderte die Bedeutung dieses einflußreichen
ehemaligen reichsunmittelbaren Stiftes, in dem Roswitha, die erste deutsche Dichterin zur Zeit
der Ottonen lebte. Der Domvogt rundete den Eindruck dieser alten Stadt durch eine eingehende Erklärung des über 1100 Jahre alten Domes und seiner Geschichte ab. Das Schloß
Wolfsburg, in seiner jetzigen Gestalt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammend,
östlichstes Beispiel der Weser-Renaissance, war die letzte Etappe auf der Heimfahrt nach
Berlin. Stadtführer Naucke wußte nicht nur Interessantes über Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft dieses alten Adelssitzes der Bartensieben und Schulenburg zu berichten, er stellte sich
auch allen Fragen, die über das neue Wolfsburg und sein Volkswagenwerk an ihn gerichtet
wurden.
Der Erfolg dieser Exkursion hat den Wunsch wachgerufen, im kommenden Jahr eine gleiche
inhaltsreiche Studienfahrt zu veranstalten. Die ehrwürdige Salzstadt Lüneburg mit ihren norddeutschen Backsteingiebeln bietet sich als dankbares Ausflugsziel an.
SchB.
„Akademische Palmen" für Dr. Pappenheim
Unserem Vorstandsmitglied Dr. Hans Pappenheim wurde für seine Verdienste als Kunstberater der Französischen Militär-Regierung von Berlin in den Jahren 1947-1967 nach seinem
Ausscheiden aus dieser Tätigkeit durch ein Dekret des Französischen Premierministers, vom
Minister für Nationale Erziehung Alain Peyrefitte, die Auszeichnung eines „Chevalier dans
l'Ordre des Palmes Academiques" verliehen. Die Überreichung des Ordens und der Urkunde
erfolgte in einer Feierstunde am 12. Oktober 1968 in den Amtsräumen des Ministre-Delegue
in Berlin, Jean-Louis Toffin, durch den Kulturrat der Französischen Botschaft in Bad Godesberg, Prof. Rene Cheval. Dieser dankte bei der Überreichung Dr. Pappenheim für die bisher
geleisteten Dienste und würdigte in einer längeren Ansprache dessen über zwanzigjährige erfolgreiche Arbeit. Den Glückwünschen von Prof. Cheval folgten die Gratulationen der französischen und deutschen Vertreter kultureller Verbände und Institute unserer Stadt; die des
Vereins für die Geschichte Berlins übermittelte der stellv. Vorsitzende Kurt Pomplun gemeinsam mit unserem Ehrenmitglied Karl Bullemer. Nach der Verleihung sprach Dr. Pappenheim
in seinem Dankeswort in französischer und deutscher Sprache über die Geschichte des deutschen Palmenordens des Barocks, dessen Mitglied auch der Große Kurfürst war, und des 1808,
also vor 160 Jahren von Napoleon gestifteten Ordens der „Akademischen Palmen". Es schloß
sich ein lebhafter Gedankenaustausch der Gäste des Ministers über Pflege und Förderung der
deutsch-französischen Kulturbeziehungen auf dem Boden Berlins an.
K. B.
*
Die Vereinsbibliothek dankt Herrn Dr. Schwenn und Frau Pärchen für wertvolle Bücherspenden, letzterer sowie Frau Herrmann, Frau Winckler-Bollert und Herrn Mader auch für die
Stiftung von Stühlen für unsere Bibliothekszusammenkünfte.
Buchbesprechungen
Julius Rieger, Berliner Reformation. Lettner-Verlag Berlin 1967. 213 Seiten, broschiert DM 13,80,
gebunden DM 17,80.
Nachdem vor einigen Jahren von Josef Mörsdorf eine Kirchengeschichte Berlins aus katholischer Sicht mit beachtlichem Bildschmuck erschienen ist, hat nunmehr der Schöneberger Superintendent und Herausgeber des Sonntagsblattes „Die Kirche" Dr. Julius Rieger Vom evangelischem Standort unter dem Titel „Berliner Reformation" eine Kirchengeschichte Berlins
und der Mark im 16. und 17. Jahrhundert veröffentlicht, die Mörsdorf ergänzt und z . T . berichtigt und einen beachtlichen Beitrag zur Aufhellung der Vergangenheit unserer Heimat
liefert. Leopold von Ranke hat der Geschichtsschreibung das Ziel gesetzt zu „zeigen, wie es
eigentlich gewesen ist". Diesem Ziel wird das Werk von Julius Rieger durchaus gerecht. In
lebendiger Darstellung und in flüssigem Stil entsteht ein Bild der Geschehnisse in der Reformations- und Nachreformationszeit von Martin Luther bis Paul Gerhardt vor unsern Augen.
Dabei wird der Bericht immer wieder an die noch heute erhaltenen Gedenk- und Erinnerungsstätten, an Bauten, Altertümer und Kirchen angeknüpft und so eine gegenwartsnahe und
lebendige Beziehung zum Heute erreicht. Die teilweise recht schwierigen und für den Menschen
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unserer Tage oft unverständlichen, scholastischen Gedanken der nachreformatorischen Theologen werden in ihren Grundtendenzen dargestellt und aufgelockert, daß sie auch der einfach
denkende versteht. Dabei werden auch Perioden und Ereignisse, die bisher von der Forschung
wenig beachtet wurden, behandelt, so daß auch einem Fachwissenschaftler manches Neue
geboten wird. Eine Reihe von Vignetten verleihen dem Buch, das dem Gedächtnis des Ehrenbürgers von Berlin, Bischof D. Dr. Dihelius, gewidmet ist, einen besondern Reiz. Wer das
Werden unserer Berliner Heimat, ihrer Kultur und Kirche verstehen will, der greife zu diesem
Büchlein, das sich gerade an die Menschen wendet, die nicht Fachgelehrte sind.
Karl Themel
Thorsten Müller: Berliner Ehrenbürger. Von Conrad Ribbeck bis Nelly Sachs. Berlin: Haude
& Spenersche Verlagsbuchhandlung 1968. 156 Seiten m. Abb. DM 9,80 (Berlinische Reminiszenzen, Bd. 18).
Ernst Kaeber, der 1961 verstorbene, langjährige ehemalige Direktor des einstigen Stadtarchivs
und späteren Landesarchivs Berlin, hat „Das Ehrenbürgerrecht und die Ehrenbürger Berlins"
in der Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für die Geschichte Berlins eingehend
behandelt (Heft 50 der Schriften des Vereins, Berlin 1917, S. 11-28). Auf dieser Arbeit fußen
die Ausführungen Thorsten Müllers in seinem Vorwort (S. 5-11), ohne jedoch Kaeber zu
erwähnen. Ging die Einrichtung dieser Institution auf die Städteordnung des Freiherrn
vom Stein vom 19. November 1808 zurück, mit der die städtische Selbstverwaltung geschaffen
wurde, so hatte das Ehrenbürgerrecht in der ersten Periode bis 1848 einen anderen Sinn als
den seitdem üblichen einer Ehrung auf Grund besonderer Verdienste um die Stadt. Denn
anfangs besaß das Bürgerrecht nur, wer städtischer Grund- oder Hausbesitzer war. Alle
anderen zählten als Schutzverwandte. Erwarben sie ein Grundstück, wurde ihnen das Ehrenbürgerrecht verliehen. Als z. B. Zar Nikolaus I. von Rußland das Grundstück Unter den
Linden 7 kaufte, um darauf die russische Botschaft zu errichten, wurde ihm, obwohl er sonst
keine Verdienste um Berlin hatte, das Ehrenbürgerrecht verliehen. Erst nach 1848 bekam das
Ehrenbürgerrecht den ehrenden Charakter, den es noch heute besitzt.
In dem vorliegenden Bändchen werden die Ehrenbürger der Stadt - bis jetzt 76 - biographisch
erfaßt, vom ersten Ehrenbürger, dem Propst Ribbeck an. Es handelt sich dabei um stilistisch
veränderte Ausschriften aus der einzig vorhandenen Quelle, dem im Landesarchiv Berlin verwahrten „Gedenkbuch der Ehrenbürger der Stadt Berlin seit Einführung der Städteordnung
vom 19. November 1808", ohne daß der Verfasser es für nötig gehalten hat, die Quelle überhaupt zu erwähnen. Infolgedessen enden seine biographischen Skizzen jeweils bei der Verleihung des Ehrenbürgerrechts, obwohl man manchmal gern noch etwas über das weitere
Schicksal der Ehrenbürger erfahren würde, wie z. B. bei dem Stadtverordnetenvorsteher Hugo
Heimann, der nach 1933 emigrieren mußte und unter schwierigen Verhältnissen in New York
gestorben ist.
Unter den Ehrenbürgern ragen hervor in der älteren Zeit der berühmte Hausarzt Ernst
Ludwig Heim, der erste auf Grund der Städteordnung gewählte Oberbürgermeister von Gerlach, der Schöpfer der preußischen Landwehr, General von Boyen, der Präsident der Frankfurter Nationalversammlung Heinrich von Gagern, der General von Wrangel, der große
Bildhauer Daniel Christian Rauch, Alexander von Humboldt, Oberbürgermeister Krausnick,
Bismarck und Moltke, der Stadtverordnetenvorsteher Kochhann, der Archäologe Schliemann,
der Historiker Leopold von Ranke, Robert Koch und Virchow, Adolph von Menzel, die Oberbürgermeister Hobrecht und Kirs&ner, Max Liebermann, Hindenburg und Paul Lincke. Nach
1945 erhielten u. a. die Ehrenbürgerwürde Rudolf Wisseil, Theodor Heuss, Paul Lobe, Louise
Schroeder, Jacob Kaiser, Otto Dibelius, Lucius Clay und Konrad Adenauer.
Leider sind dem Verfasser verschiedene Irrtümer unterlaufen, so z. B. erscheint bei ihm der
bekannte Oberbürgermeister Kirschner ständig als „Kirchner" (S. 110-111 und 156) oder der
Archäologe Schliemann als Entdecker des Palastes von „Tiryus" anstatt Tiryns (S. 90). Daß
versucht worden ist, Bildnisse der einzelnen Persönlichkeiten beizugeben, ist verdienstvoll,
wenn auch fünf fehlen. Indes hätten sich für so einige Ehrenbürger leicht bessere Fotos finden
lassen, wie bei Heim, Kirschner, Louise Schroeder oder Adenauer.
]. Lachmann
Herbert Krafft: Immer ging es um Geld. Einhundertfünfzig Jahre Sparkasse in Berlin. Leinen.
255 Seiten. Verlagsrecht: Sparkasse der Stadt Berlin West.
Die Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats und gelehrten Sachen weiß am 9ten
Juni 1818 zu berichten, daß „des Königs Majestät (geruhet) haben, den Banquiers Gebrüder
v. Rothschild aus Frankfurt a. M. das Prädikat als Geheime Commerzien-Räthe beizulegen,
und die Patente darüber Allerhöchsteigenhändig zu vollziehen". Gleichzeitig liest man eine
Bekanntmachung von Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königl. Residenzien, wonach die hiesige Stadtverordneten-Versammlung es zweckmäßig gefunden hat, „eine
sogenannte Sparkasse zu errichten, um den hiesigen Einwohnern Gelegenheit zu geben, ihre
207
kleinen Ersparnisse zinsbar und sicher unterzubringen und ihnen dadurch behülflich zu seyn,
sich ein Kapital zu sammeln, welches sie bei Verheirathungen, Etablirung eines Gewerbes, im
Alter oder in Fällen der Noth benutzen können*.
Der mit der Geschichte des Kreditwesens nicht sehr eng vertraute Leser erkennt aus dieser
Gegenüberstellung, daß im Vergleich zu den Banken die Sparkassen in der Tat eine weniger
weit zurückreichende Tradition haben, selbst wenn ein Alter von 150 Jahren im Wirtschaftsleben als respektable Leistung gilt. Die Gründung von Sparkassen datiert aus den Zeiten
beginnender Einsicht in die Verantwortung des Gemeinwesens für die sozial schlechter gestellten Schichten. Man kann geradezu angesichts der jahrzehntelang aufrechterhaltenen Beschränkung von Höhe und Anzahl der Einzahlungen und des Kontenstandes von einer „ArmeLeute-Kasse" sprechen. Wie sich die Sparkasse in Berlin durch all diese Auflagen und Beschränkungen (auch ihrer Anlagemöglichkeiten), durch wirtschaftliche Notzeiten und Kriege hindurch
bis zu ihrer heutigen Bedeutung entwickelt hat und wie sich dabei Berliner Wirtschaftsgeschichte
und der Aufstieg der Sparkasse wechselseitig durchdringen, geht aus dem überaus lesenswerten
Werk von Herbert Krafft hervor, das bei aller dem Gegenstand angemessenen Gewissenhaftigkeit in den Zahlenangaben den Reiz einer historischen Darstellung zu wahren wußte
und anekdotischer Elemente nicht entbehrt. So erfährt man, daß die Stadt erst 1820, also
zwei Jahre nach der Gründung der Sparkasse, das Armenwesen aus der Hand der Polizei
in ihre Obhut nahm, und daß von der Armenpflege nicht nur mittellose Bürger und Kranke,
sondern auch Asoziale und nicht in den damals bestehenden Lebensgemeinschaften verankerte
Menschen betreut wurden. In einem Magistratsbericht über die Armenpflege der Jahre 1822
bis 1825 wird von 1081 eingelieferten Personen berichtet: „3554 Vagabonden, 128 Winkelhuren, 53 Unfugtreiber, 869 Eingebrachte bis zur Ermittlung der Verhältnisse, 176 KriminalVerhaftete, 2686 Bettler, 237 freiwillig Eingetretene, 218 Hospitaliten, 200 aus der Charite
Entlassene, 960 obdachlose Familien nach Köpfen." Etwas später schreibt Friedrich List über
den „Pauperismus" der Eigentumslosen: „Ich habe Reviere gesehen, wo ein Hering, an einem
an der Zimmerdecke befestigten Faden mitten über dem Tische hängend, unter den Kartoffelessern von Hand zu Hand herumging, um jeden zu befähigen, durch Reiben an dem gemeinschaftlichen Tafelgut seiner Kartoffel Würze und Geschmack zu verleihen. Man nannte das
schon Wohlstand, denn in schweren Zeiten mußte man sich diesen Hochgenuß, ja sogar den
des Salzes, versagen." Auch noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts beanspruchte das Armenwesen fast 40 % des städtischen Etats, und 1848 hatte jeder zwölfte Einwohner eine steuerfreie Wohnung. Überhaupt zieht sich die Wohnungsfrage wie ein roter Faden durch dieses Buch,
da der starke Bevölkerungszuwachs Berlins den Wohnungsneubau hinter der Bevölkerungsentwicklung zurückbleiben ließ, zumal es weder eine städtische soziale Wohnungsbaupolitik,
noch Kapitalsammelstellen zum Aufbringen der Finanzierungsmittel gab.
Einen wesentlichen Abschnitt in der Geschichte der Sparkasse markiert das Preußische Sparkassen-Reglement von 1838, das zusammen mit dem Kreditwesengesetz von 1934 und anderen
Rechtsvorschriften bis in unsere Tage galt und in einem Teil seiner Rechtsgedanken im Berliner
Sparkassengesetz vom 13. Juli 1960 Niederschlag gefunden hat. Dieses Reglement erweiterte
die Anlagemöglichkeiten der Sparkasse und unterstellte sie zugleich der Aufsicht des Staates.
Wenn die Sparkassen, die an anderer Stelle „Kinder des industriellen Zeitalters" genannt werden, sich auch weiter um die Armen kümmern sollten, so führte der Mangel an Anlagemöglichkeiten für kleinere Geldbeträge auch andere Kreise an ihre Schalter. Erst in der neuen Satzung
von 1877 wird nicht mehr von „armen" oder „nicht bemittelten" Einwohnern gesprochen, sondern die Tür für alle Sparwilligen geöffnet.
1892 äußert sich das langjährige Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins Theodor
Fontane in einem Brief an Georg Friedländer: „ . . . G e l d besorgt alles . . . ein Glaube, der
sich beständig in meiner Seele mehr festlegt. Kunst und Wissenschaft, solange sie nur als solche
auftreten, sind lächerlich, etwa wie der Küster mit dem Klingelbeutel, der Pfennige einsammelt;
erwirbt ein Professor alljährlich 6000 Mk, (Taler natürlich noch besser), so beginnt er geachtet
zu werden nicht wegen seiner Wissenschaft, die hatte er, als er noch hungerte auch schon,
sondern einfach, weil er anfängt, einen bankierhaften Anstrich zu kriegen. Es kommt vor, daß
hochbegabte, aber erfolglose Dichter und Künstler nach ihrem Tode den Makel der Armut
überwinden und in Tagen, wo sie niemanden mehr ampumpen können, heiliggesprochen werden; bei Lebzeiten indes waren sie ein Schrecknis, kaum ein Gegenstand des Mitleids; man
wich ihnen aus, immer in A n g s t . . . Ich bin glücklich in meiner Armut, weil ich nicht das
Bedürfnis habe, in Front zu stehen und eine Rolle zu spielen; wer diesen Zug aber hat - das
sind immer 999 unter 1000 - der muß dem Golde nachjagen und sich vor dem verbeugen,
der's schon hat."
Das Buch ist gegliedert in die Kapitel: Das arme Berlin, 1818-1848 - Der industrielle Aufschwung, 1849-1870 - Von der Gründerkrise bis zum Weltkrieg, 1871-1918 - Die grauen
zwanziger Jahre, 1919-1932 - Der Weg in die Katastrophe, 1933-1945 - Vom Nullpunkt zur
Währungsreform, 1945-1948 - Sparen in Ost-Berlin - Ein modernes Kreditinstitut, 1949-1968.
208
Es schließt mit einem Nachwort, einer Statistik über 150 Jahre, einem zuverlässigen Personenverzeichnis Sowie einem umfangreichen Literaturverzeichnis. Man erfährt den Weg der Sparkasse von der Armenkasse des 19. Jahrhunderts bis in die demokratische Wirtschaft des 20.
Jahrhunderts. Heute ist die Berliner Sparkasse, eine der ältesten in Deutschland, in allen
Bankgeschäften nach dem Kreditwesengesetz, dem Sparkassengesetz und ihrer Satzung tätig.
Sie erhebt den Anspruch, der Typ eines der Gemeinde verbundenen Kreditinstituts zu sein,
das in eigener Verantwortung Geschäftspolitik treibt und in der deutschen Sparkassenorganisation weit über den Rahmen der Gemeinde hinaus wirkt. Daß die Berliner Sparkasse ihre
soziale Herkunft und Bestimmung nicht leugnet, geht nicht zuletzt aus diesem Buch hervor.
Daß ihr Herz aber nicht nur im Rahmen ihrer Satzung für die Stadt Berlin schlägt, wird aus
einer Reihe von Stiftungen ersichtlich, von denen der Erwerb des alten Botanischen Gartens,
des ehemaligen „Küchen-, Hopfen- und Zwiebelgartens" des Großen Kurfürsten in der Hauptstraße in Schöneberg die spektakulärste ist; auf diesem Gelände wurden das neue Kammergericht gebaut und der Kleist-Park geschaffen.
Dem Rezensenten ist in letzter Zeit kein Buch in die Hand gekommen, das einen gleich gediegenen, handfesten Eindruck machte. Es sei deswegen vermerkt, daß die Gesamtherstellung
bei der Firma Brüder Hartmann, Berlin, lag.
Der spätere Generalfeldmarschall Helmuth v. Moltke, der in jungen Jahren gleichfalls Kunde
der „Stadtarmenkasse" gewesen war, als er für ein Pferd sparte, schrieb 1890 an den Enkel
seines Bruders Adolf einen Brief, dessen Anfang auch das heute noch beherzigenswerte Motto
dieser vorzüglichen Geschichte der Sparkasse in Berlin sein könnte:
„Mein lieber Helmuth!
Ich habe Dir das Geld geschickt, damit Du beizeiten lernst, mit Geld umzugehen. Wenn Du
den ganzen Betrag in Deinem Sparkassenbuch anlegtest, so wärest Du ein Geizhals, wenn Du
ihn in kurzer Zeit verplappertest, so wärest Du ein Verschwender; das Richtige liegt in der
Mitte.
Wenn einem Geld geschenkt wird - später mußt Du es selbst erwerben - so ist es gerechtfertigt, sich dafür Annehmlichkeiten zu gewähren, aber klug, auch etwas für die Zukunft
zu ersparen.
Wie Du mit diesen zwanzig Mark verfährst, so wirst Du einst mit größeren Summen wirtschaften. Wer seine Einnahmen voll ausgibt, wird es zu nichts bringen, wer mehr ausgibt,
wird ein Bettler oder Schwindler . . ."
SchB.
Hermann Teske: Berlin und seine Soldaten. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH.,
Berlin 1968. 104 Seiten mit 20 Abbildungen. Pappbd. DM 9,80 („Berlinische Reminiszenzen",
Band 22).
Das Büchlein von Hermann Teske, einem bewährten Militärschriftsteller, „Berlin und seine
Soldaten", dem weiteste Verbreitung nicht nur in Berlin, sondern auch in ganz Deutschland zu
wünschen ist, will mit Recht eine Lücke in dem bisher leider nur stiefmütterlich behandelten
Schrifttum zu der interessanten Garnisongeschichte von Berlin schließen! Man merkt mit Freude
aus der Darstellung die Anhänglichkeit des Verfassers an seine alte Garnison, in der er viele
Jahre als aktiver Offizier der Reichswehr und der Wehrmacht Dienst getan hat, obwohl er
dabei den herrschenden politischen Zeitströmungen manche Zugeständnisse notgedrungen machen
muß! - Der Autor weist u. a. besonders darauf hin, daß im Berliner Straßenbild militärische
Bauten einen gewichtigen Platz einnahmen, von denen Spuren noch heute erhalten sind. Wehmütig wird dabei dem alten militärisch interessierten Berliner zumute, wenn ihm beim Durchblättern des Büchleins die Erinnerungen an das alte „Zeughaus", einst das am meisten besuchte
Museum Berlins, die „Alte Garnisonkirche", die „Große Bude" (Generalstabsgebäude) u. a.
lebendig werden. Nicht ganz stimmt der Rezensent mit der vorgetragenen Ansicht überein,
daß der Soldat in der Zeit bis 1918 keine große Rolle im öffentlichen Leben der Reichshauptstadt gespielt hat. Wenn ich dabei an meine eigene Jugend denke: Frühjahrs- und Herbstparaden zeigten Anklänge an Volksfeste, ebenso die beliebten Militärkonzerte in den damaligen großen Vergnügungsstätten. Grenadiere, Füsiliere, Dragoner beider Kavallerieregimenter
usw. beherrschten in ihren schmucken (meist) „Extrauniformen" die öffentlichen „Rennions"
(in der damaligen Soldatensprache allgemein statt des unverständlichen Wortes „Reunion"
gebraucht), auf denen das „Zivil" oft zurückstehen mußte. Jeder aufgeweckte Berliner Junge
kannte seine „Maikäfer", „Franzer" usw., die Eisenbahnbrigade war eben ein gewichtiges
Stück Alt-Schönebergs! Es wäre zu begrüßen, wenn auch im neugegründeten „Berlin-Museum"
in Form von Zinnfiguren-Dioramen die Erinnerung an die reiche militärische Vergangenheit
Berlins, wie es schon längst in der Bundesrepublik in vielen traditionsbewußten Städten geschieht, gepflegt werden würde! - Der Verfasser hätte wegen der Knappheit des ihm zur Verfügung stehenden Raumes vielleicht das ganz Allgemeinbekannte einschränken können, dafür
aber interessante Vorgänge aus Berlins Garnisongeschichte von besonderer Charakteristik herausstellen und diese durch entsprechende Bilder veranschaulichen sollen, z. B. die Wichtigkeit,
209
die dem Wachtdienst in der alten Armee bis zum Zusammenbruch von 1806 aus mancherlei
Gründen beigelegt wurde, die Erwähnung des damals weitbekannten „Weißen Saales", des
Arrestlokals der Offiziere in der „Neuen-Markt-Wache", wo es stets recht lustig und ausgelassen zuzugehen pflegte. So ist leider manches Interessante aus dem Militärleben Berlins
weggelassen worden, u. a. auch Namen von bekannten Militärs, die in Berlin längere Zeit
gelebt haben, und aus der Gegenwart die Tradition der z. Z. in Berlin ständig stationierten
alliierten Schutzmächte. - Bei der nur recht lückenhaften Aufführung des einschlägigen
Schrifttums wäre die Erwähnung der „Berlin-Bibliographie" (Berlin 1965), in der in dem
Abschnitt „Militärwesen" das Schrifttum gesammelt ist, für den militärisch interessierten Heimatforscher sicherlich von Wert gewesen! - Zusammenfassend sei gesagt, daß das schmale Büchlein von Hermann Teske seinen Platz im Berliner Schrifttum behaupten kann, daß aber die
größere wissenschaftlich fundierte Gesamtgeschichte der Berliner Garnison, zu der Leo Grünberg t in der „Zeitschrift für Heereskunde" (Jgg. 1956-1957) den Grund legen wollte, noch
aussteht, diese aber gerade wegen der Bedeutung des Militärwesens für die Vergangenheit und
Gegenwart Berlins einst geschrieben werden muß!
Hans Zopf
Egon Jameson: Mein lachendes Spree-Athen, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH.,
Berlin 1968. 100 Seiten mit 9 Abbildungen. DM 9,80 („Berlinische Reminiszenzen", Band 21).
Was für ein reizendes Buch! Der Verfasser sagt: Die Berliner hätten so gern gelacht. Leider
muß man das heute in der Konjunktivform wiederholen: Die Berliner hätten so gern gelacht wenn es was zu lachen gäbe! Aber dann braucht man ja nur diese „Berlinischen Reminiszenzen"
zu lesen! Schon der Titel ist sehr gut gewählt: Mein lachendes Spree-Athen. Aus ganz persönlicher Sicht schildert Jameson seine Begegnungen mit acht Berliner Spaßmachern, Schauspielern und Zeichnern. Jedes Kapitel ist eine abgeschlossene kleine Biographie, die in meisterhafter Sprache den Künstler, seine Zeit, seine Kollegen und den Verfasser selbst in den Mittelpunkt stellt. Man lacht in wehmütiger Erinnerung an die schöne, vergangene Zeit. Das ist so
recht ein Geschenk, wenn man einem Berliner eine Freude machen will.
/. S.
Friedrich Wilhelm Lehmann präsentiert ein buntes Pro und Kontra der Meinungen über die
Einwohner Spree-Athens.
Die schrecklichen Berliner. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH., Berlin 1968.
124 Seiten, 18 Abbildungen, Leinen DM 12,80.
Den terribles simplificateurs und dem Ugly American gesellen sich nun die schrecklichen
Berliner bei, und fast wäre zu wünschen, daß dieses Epitheton ornans nicht in den Büchmann
einginge. Da hätte es nähergelegen, die Berliner wie weiland Goethe als einen verwegenen
Menschenschlag zu bezeichnen, und nicht wenige der um eine Äußerung über die Berliner angegangenen Persönlichkeiten knüpften ihre eigenen Betrachtungen an dieses Goethe- (oder
Eckermann-)Wort. Da wird von genau 121 Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft, in der
Mehrzahl Zeitgenossen des Autors, der unter einem Pseudonym schreibt, ein Urteil über den
Berliner abgegeben, und wessen Aussage nicht wie die von Bismarck oder Fontane bereits in
die Literatur eingegangen war, der wurde ad hoc um seine Meinung befragt. Mit einer Ausnahme (Dietrich Fischer-Dieskau) sprechen alle Aussagewilligen von den Berlinern schlechthin,
selbst wenn sie ihr Urteil aus der jüngsten Zeit und aus West-Berlin herleiten; der berühmte
Sänger schränkt sein Urteil auf die West-Berliner ein.
Wer sich als Berliner bestätigt oder herausgefordert fühlen will, dem sei zu dieser Lektüre
geraten. Neben ganz wenigen ärgerlichen Zitaten (Sebastian Haffner) wird er im allgemeinen
auf nicht unfreundliche Äußerungen stoßen, und die entsprechen ja vollkommen der Sache.
Man hätte sich gewünscht, im Register neben den Namen der Persönlichkeiten auch kurze
Angaben zur Person zu finden. Der Literaturnachweis ist verdienstvoll; er wäre u.a. um
die 1937 nachgedruckte „Naturgeschichte des Berliners" von G. Langenscheidt zu ergänzen.
In der Übersetzung des bekanntesten Kennedy-Wortes hätte das lateinische Zitat Civis Romanus sum im Urtext stehengelassen werden können. Wenn sich der Verfasser über die besondere Stellung des Berliners zum Dativ und Akkusativ ausläßt, so ist er selbst auch in eine
Dativ-Falle gelaufen („. . . ungeachtet dieser Randbemerkung von Friedrich IL, des Alten
Fritzen", S. 91).
Diese lobenswerte Zusammenstellung von Urteilen über die Einwohner dieser Stadt wird ihre
Freunde nicht nur bei den geborenen, sondern auch bei den gelernten Berlinern finden, denen
der Abt Johannes Trithemius 1505 ins Stammbuch schrieb: „Die Berliner sind gut, aber zu
rauh und ungelehrt, sie lieben mehr die Schmausereien und den Trunk als die Wissenschaften.
Selten findet man einen Mann, der die Bücher liebt, sondern aus Mangel der Erziehung und
der Lebensart ziehen sie die Gesellschaften, den Müßiggang und die Pokale vor. Die Ausschweifung im Trinken wird von ihnen nicht für ein Laster gehalten; doch gibt es auch viele
unter ihnen, die sich dessen enthalten, und die Einzöglinge aus Franken und Schwaben, wie
ich oft bemerkte, sind mehr dem Soff ergeben als die Landeseinwohner."
Schß
210
Im IV. Vierteljahr 1968 haben sich
folgende Damen, Herren und
Neu bei Haude & Spener
Institutionen zur Aufnahme gemeldet:
Konrad Bohnert, Architekt
1 Berlin 30, Münchener Str. 2
Tel. 2 1172 87
(H. Hofmann)
Friedrich der Große
Ein ljcbctubild
in
Anekdoten
Lieselotte Eppner, Beamtin
1 Berlin 37, Argentinische Allee 150
Tel. 8 13 23 92
(H. Wetzel)
Franz Joseph Kahlen, Verwaltungsangestellter
1 Berlin 13, Im Heidewinkel 10c
Tel. 3 88 69 10
(H. Hofmann)
Hilde Krauss
1 Berlin 28, Sigismundkorso 42a
Tel. 4 01 21 34
(Dr. Schultze-Berndt)
Dorothea Macholz
1 Berlin 41, Büsingstr. 13
Tel. 83 66 84
(G. Warzecha)
Niethammer-Barthelmes-Heusner-Kagel,
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
1 Berlin 30, Marburger Str. 3
Tel. 2 1 1 7 0 5 1
(A. W. Bluhm)
Werner Schmicke, Omnibusunternehmer
1 Berlin 28, Martin-Luther-Str. 54
Tel. 40 68 22
(H. Hofmann)
Ingrid Zander, med. techn. Assistentin
1 Berlin 19, Bolivarallee 10a
Tel. 3 04 92 10
_
(E. Kaatz)
Günther Linke, Bezirksstadtrat
1 Berlin 21, Altonaer Str. 9
Tel. 39 32 60
(Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm)
Walter Jaroschowitz,
Bez.-Verordnetenvorsteher
1 Berlin 21, Calvinstr. 19
Tel. 39 39 25
Friedrich der Große
Ein Lebensbild in Anekdoten
124 Seiten, 8 Abbildungen, Leinen
DM 12,80
Dieser Band will ein Mosaikbild liefern,
das als Ganzes die Gestalt des großen
Preußenkönigs und seine Epoche lebendig werden läßt.
Hans-Joachim Schoeps
Das war Preußen
(W. Mügel)
Elise Lemke
1 Berlin 41, Büsingstr. 17
Tel. 83 67 42
(G. Warzecha)
Volkshochschule Zehlendorf
1 Berlin 37, Beuckestr. 29
Tel. 84 32 8 1 / 5 6 7
Dr. Peter Letkemann, Archivassessor
1 Berlin 47, Severingstr. 27
Tel. 6 03 87 99
(Dr. G. Kutzsch)
Elisabeth Neitzke
1 Berlin 41, Bundesallee 91
Tel. 83 15 96
Hans Bethge
(S. Wittke)
Zeugnisse der Jahrhunderte Eine Anthologie.
3. Auflage 266 Seiten, Leinen DM 17,80
Das Buch gibt ein Gesamtbild Preußens,
in dem auch die Schattenseiten nicht unterdrückt werden, und wirbt für Gerechtigkeit in der Urteilsbildung.
B
HAUDE & SPENERSCHE
Verlagsbuchhandlung GmbH.
Gegründet 1614
Berlin 12
211
Klaus Streu, Verwaltungsinspektor
1 Berlin 44, Reuterstr. 20
Tel. 6 21 75 18
(A. Langenheld)
Heinz-Hermann Doht, Kaufmann
1 Berlin 13, Rohrdamm 24 B
Tel. 3 88 86 33
(G. Doht)
„.
T,
Johanna (jiesemann
1 Berlin 37, Beuckestr. 16
TeL 84 44 10
(H- H ° f m a n n )
Katharina Knirsch
1 Berlin 30, Winterfeldtstr. 54
Tel. 26 24 82
(Frau G. Warzecha)
Da die Herausgabe eines Mitgliederverzeichnisses bevorsteht, wird dringend gebeten, der
Geschäftsstelle alle Anschriftenänderungen,
neue Telefonanschlüsse sowie umgeschaltete
Nummern anzugeben.
Anschriftenänderungen:
Erich
Borkenhagen, 3105 Faßberg, Uhlenflucht
Dr. Konrad Kettig,
1 Berlin 38, Krottnaurer Str. 13
E d g a r M o H t z M ä d l e r j Generalkonsul
605 Offenbach/Main, Frankfurter Str. 129
Erika Metzner, 1 Berlin 33, Ehrenbergstr. 36b
Horst Michael, 1 Berlin 28, Schluchseestr. 63
Dr.-Ing. Joachim Mollenhauer,
1 Berlin 33, Am Postfenn 5
H o r s t Nürnberg,
1 Berlin 30, Rosenheimer Str. 37
j B e r l i n 1 9 W u n d t s t r . 20
Df p c
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Dr.-Ing. Horst W. Steinfort,
Luxemburg, 15 Bd. Grand Duchesse
Charlotte
Veranstaltungen im I. Vierteljahr 1969
1. Dienstag, 14. Januar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Günter Wollschlaeger „700 Jahre Stilwandel im Berliner Kirchenbau".
2. Sonnabend, 25. Januar, 10.00 Uhr, Besichtigung der Hauptfeuerwache, 1 Berlin 13, Nikolaus-Groß-Weg (Bus A 72 und 99, außerdem A 21, 55, 62 und 65
bis Jakob-Kaiser-Platz). Einführung durch Herrn Oberbranddirektor Dipl.-Ing.
Heinz Höhne.
3. Mittwoch, 5. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag der Frau Dr. Ilse von Hülsen-Reicke „Von Sophie Charlotte über Rahel zu
Marie-Elisabeth Lüders - unsere hervorragenden Berlinerinnen!".
4. Dienstag, 11. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
„Einbeck im Film und in Lichtbildern". Bericht über die Studienfahrt vom
13.-15. September 1968 von Herrn Dr. Hans Günter Schultze-Berndt.
5. Dienstag, 25. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
volkstümlicher Tonbildvortrag von Frau Käthe Denicke „Alt-Wilmersdorf gestern und heute".
6. Dienstag, 11. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Hans-Werner Klünner „Blick über den Humboldthafen
in die Friedrich-Wilhelm-Stadt".
7. Sonnabend, 29. März, vormittags, Exkursion unter Leitung von Herrn Kurt
Pomplun mit einem Reisebus zu den Dorfkirchen Tempelhof, Britz, Buckow,
Marienfelde und Dahlem. Anschließend Mittagessen im Dahlemer „Alten Krug".
Treffpunkt und Fahrtkostenanteil werden nach schriftlicher Anmeldung, die bis
zum 15. März an Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, erbeten
wird, den Teilnehmern mitgeteilt werden.
Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend
geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Freitag, 10. Januar, 21. Februar und 21. März zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof.
Dr. Dr. W . Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 6 1 ; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude 6c Spenersche Verlagsbuchhandlung G m b H , Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung O t t o v. Holten GmbH, Berlin 30
212
f adiabt der Beniner Stadtbibliothe»
US
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
65. Jahrgang. Nr. 16
1. April 1969
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 698 67 91
Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.),Gotha-Allee28,Ruf: 30462 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
Ölgemälde von Paul Joseph Bardo
C.F.Zelter 1806.
213
Carl Friedrich Zelter
1758-1832
Von Ilse Sarneck-Goslicir"
„Mein Vater war eines Schanzgräbers Sohn aus Groß-Röhrsdorf bei Dresden" beginnt
Zelter seine Selbstbiographie und erzählt, daß der Vater, um Lesen und Schreiben zu
lernen, mit 14 Jahren als Kanzleigehilfe bei einem Rechtsanwalt eintrat. Später wurde
er Maurerlehrling, kam auf seiner Wanderschaft bis nach Berlin, legte hier die Meisterprüfung ab und heiratete die Tochter eines Bürgers und Tuchschermeisters, Anna
Dorothea Hintze. Er war ein sehr tüchtiger Baumeister und beschäftigte schließlich
60 Gesellen in seinem Geschäft, für die er rührend sorgte. Auch besaß er eine eigene
Ziegelei am Schwielowsee, an der Grelle, und es ist nicht ganz sicher, ob Zelter nicht
dort draußen am 11. Dezember 1758 geboren wurde. Geschäftliche Reisen führten
den Vater oft weit über Land. Inzwischen vertrat ihn seine Frau, so gut sie konnte.
Nur machte es ihr manchmal großen Kummer, daß sie das Schreiben nicht gelernt
hatte. Sie hätte so gern ihrem Mann einen selbstverfaßten Geschäftsbericht gesandt.
„Ach, wenn mein Hanschen noch lebte! Der hätte mich das Schreiben längst beigebracht!"
klagt sie in der Erinnerung an ihren sehr jung verstorbenen älteren Sohn. „Willst du
es nicht von mir lernen, Mutter?" erbot sich der achtjährige Carl Friedrich. Und nun
wurde jeden Tag geübt, bis die Mutter in kurzer Zeit ihren Mann aufs höchste überraschte durch einen eigenhändig verfaßten Brief. In ihrer Herzensfreude schenkte sie
ihrem Sohn einen blanken Friedrichsd'or, den er lange aufbewahrt hat.
Carl Friedrich war das jüngste von vier Kindern. Seine beiden Schwestern heirateten
früh, und der Sohn schloß sich um so inniger seiner Mutter an. Er besuchte das Gymnasium, erkrankte aber als Siebzehnjähriger sehr heftig an den Pocken und mußte,
um seine Augen zu schonen, lange Zeit im verdunkelten Zimmer bleiben. Wahrscheinlich behielt er von daher eine Augenschwäche, die ihn zwang, zeitlebens eine Brille
zu tragen. Da begann er, fleißig Klavier zu spielen, und aus der intensiven Beschäftigung mit allen ihm erreichbaren Klavier- und Kammermusiknoten erwuchs ihm eine
Begeisterung für die Musik, die ihn im Laufe eines langen Lebens immer mehr erfüllte und ihn allmählich ganz von der vorbestimmten Laufbahn abzog.
Sein Vater nämlich hatte ihn als seinen Nachfolger bestimmt und meldete ihn nach
dem Abiturium bei seinem Freunde, dem Altmeister der Berliner Maurerinnung, als
Lehrling an. Nun hieß es, Ziegel zu tragen, und mit Wehmut sah Carl Friedrich seine
gepflegten Hände hart und rissig werden. Kaum aber war Feierabend, da saß er am
Klavier, und durch allerlei Tauschgeschäfte konnte er sein Notenmaterial immer mehr
vervollständigen. Schließlich wurde er Schüler von Carl Friedrich Christian Fasch
* Die vorliegende Arbeit fußt auf dem 44. Band der Schriften der Goethe-Gesellschaft: „Carl
Friedrich Zelters Darstellungen seines Lebens. Zum ersten Male vollständig nach den Handschriften herausgegeben von Johann-Wolfgang Schottländer, Weimar 1931." - Zur Vorbereitung dieses Werkes hatte die Verfasserin das Manuskript aus Stettin von den Zelter-Erben
geholt, es abgeschrieben und bei den Zelter-Nachkommen Einzelheiten erforscht. Wir haben
Anlaß, diese jahrelange Mitarbeit unseres Mitgliedes an der Zelter-Forschung nochmals hervorzuheben.
Die Schriftleitung.
214
(1736-1800), dem Pianisten im Hausorchester Friedrichs des Großen. Kam nun der
Sommer, so folgte Fasch seinem König nach Potsdam und Sanssouci - und Zelter,
der keine Stunde versäumte, sah sich gezwungen, den weiten Weg von seiner Lehrstelle am Schlesischen Tor bis nach Potsdam jeden Samstag zu Fuß zurückzulegen.
Weder der Lehrherr noch der Vater durften etwas davon merken. Ein Freund leistete
die doppelte Arbeit für ihn; er selbst zog vor Tau und Tag von dannen, kam mittags
in Potsdam an, aß im Gasthaus zu Mittag, nahm seine Klavierstunde und marschierte
dann nach Hause, wo er spät in der Nacht eintraf. Fasch hielt ihn für einen reichen
jungen Mann, der mit dem eigenen Wagen vorfuhr - und dabei saß Zelter manchmal
im Grunewald, hatte sich verlaufen und fürchtete sich entsetzlich vor den Bäumen,
die ihn wie Gespenster umringten. Als Fasch aber durch einen Zufall entdeckte, was
der musikbeflissene Junge seiner Kunst für Opfer brachte, wollte er kein Geld mehr
für den Unterricht annehmen und blieb ihm zeitlebens ein wohlwollender Freund
und Mentor.
Inzwischen hatte Fasch aus gelegentlichen Singversuchen im Kreise seiner Bekannten
ein regelmäßiges musikalisches Kränzchen geschaffen. Aber das paßte dem Hauswirt
in der Junggesellenwohnung Unter den Linden nicht. So kam man in der Wohnung
der verwitweten Frau Generalchirurgus Voitus in der Charlottenstraße allwöchentlich
zusammen. Bald aber wurde der Raum zu eng, und Fasch entdeckte in dem seiner
Wohnung gegenüberliegenden Akademiegebäude einen leeren Saal, der zwar über
dem Marstall lag, in dem aber das viele Singen niemanden störte. Heizen durfte man
nicht, wegen der Futtervorräte für die Pferde. Wurde es gar zu kalt da oben, dann
knieten die Damen nieder, um sich besser in ihre Röcke wickeln zu können, und sangen
in Muff und Pelzmütze. Verwundert standen die Berliner vor dem Haus und fragten
sich: „Wer singt denn da in der Akademie?" So entstand der Name „Sing-Akademie".
Das Gebäude stand an der gleichen Stelle, an der später die Staatsbibliothek erbaut
wurde. Aber der Zustrom zur Singakademie wurde immer größer, niemand wollte
die Proben versäumen, und als nach Faschens Tode Zelter die Leitung übernahm und
in kurzer Zeit die Zahl seiner Chormitglieder verzehnfachte, da bat er König Friedrich
Wilhelm III., der oft die Aufführungen anhörte, um ein Grundstück, und Schinkel,
sein Kollege im Baufach, mußte ihm ein Konzerthaus bauen. Man blieb Unter den
Linden und behielt auch den alten Namen bei - und Generationen von Berlinern
und Berlinerinnen sind Mitglieder der Singakademie gewesen oder kennen doch wenigstens als Publikum das schöne Gebäude im Kastanienwäldchen von den Konzerten
namhafter Solisten.
Ein Bild zeigt Zelter 1806 mit weißen Locken, die Finger der rechten Hand taktierend
erhoben, und mit einem Ausdruck, als lausche er, ob der Einsatz auch präzise kommt
(Titelbild).
Wollten die Herren des Chors ihre Stimmen einmal allein versuchen, so trafen sie sich
im Gasthaus zum Abendessen und übten dann unter Zelters Leitung die wenigen
Männerchöre, die es damals gab. Die zuerst durch einen Zufall sich ergebende Runde
von 24 Herren wurde zur Bedingung erhoben, der Männerchor nannte sich „Liedertafel" (von der gemeinsamen Abendtafel mit anschließendem Gesang) und eines seiner
Mitglieder, ein Arzt namens Henning, stiftete einen wertvollen silbernen Pokal, der
mit Rotwein gefüllt und mit einem kleinen Holzhammer angeschlagen, ein reines
215
Kammer-A ertönen ließ. Nur an der nötigen Literatur fehlte es. Was war einfacher,
als daß der Dirigent sie komponierte? Da kamen nach der ernsten Musik dann die
sonderbarsten Texte dran. Einmal wurde kurzerhand der Entschuldigungsbrief eines
abwesenden Mitgliedes vertont („Hohohoho, der Staberow!"). Ein andermal hatte
jemand ärgerlich ausgerufen: „Ach was, der Schlegel ist ein Hans-Arsch!" „Diesen
Ausdruck verbitte ich mir! Schlegel hat keinen Arsch!" rief ein anderer empört dagegen. Ehe es zu einer Debatte kommen konnte, hatte Zelter eingegriffen und intonierte einen Kanon, in den alsbald jedermann einstimmte: „Und wenn er keinen
Hintern hat, wie mag der Edle sitzen? Wie, wie, wie?"
Das macht ja gerade den Reiz von Zelters Persönlichkeit aus: dieses Zupacken, wo sich
ihm Arbeit bietet, dieser Berliner Witz, der immer den Nagel auf den Kopf trifft,
diese flinken Augen, die alles sehen, was vorgeht, und die warmherzige, frohe Art,
im rechten Moment dem anderen zu helfen. Das war es ja, was Goethe veranlaßte
zu einer Bemerkung über die Berliner, „die Haare auf den Zähnen haben" und die
er deshalb nicht leiden konnte - mit Ausnahme von Zelter! - wie er sofort hinzufügte. Er hat sich gewiß köstlich amüsiert über Zelters Bonmots, von denen es in seinen
zahllosen Briefen nur so wimmelte, aber er wußte, daß mehr dahinter steckte: ein
aufmerksames Auge und Ohr, das zwar gelegentlich die Schwächen der Mitmenschen
bemerkte, das aber auch stets bereit war, alles Schöne zu sehen, was ihm auf seinen
Wegen begegnete. Was konnte er für lebendige Reiseberichte schreiben! Goethe schrieb
ihm einmal voller Freude: „Ich wollte, ich hätte sehr viel Geld! Dann würde ich Dich
reisen lassen, nur um mich an Deinen Briefen freuen zu können!"
Ja, Goethe sagte „Du" zu seinem Freunde Carl Friedrich - eine ganz seltene Auszeichnung, die nicht einmal Schiller zuteil wurde. Und dabei lebten sie weit voneinander
getrennt und sahen sich nur, wenn Zelter eine Sommerreise in der Postkutsche nach
Weimar oder Karlsbad unternahm. „Der weiße Schwan erwartet dich jederzeit mit
offenen Flügeln" schrieb Goethe. Und vom Fenster des Hotelzimmers aus ging schon
morgens das Grüßen und Winken, und das „Aurikelchen" (Ulrike von Pogwisch)
bedeutete ihm durch Zeichensprache, ob „der Papa" gut geschlafen habe und geneigt
sei, den Freund zu empfangen. Dann sprachen sie über des Dichters Werke und des
Freundes Kompositionen, über Goethes Studien und Zelters Theaterbesuche, über den
Hof in Weimar und Berlin, über die Kinder und Enkel. Denn Zelter war inzwischen
eine bekannte Persönlichkeit in Berlin geworden, hielt Vorlesungen über Musik in der
Universität und dirigierte den Studentenchor, regte die Schaffung der Akademie für
Kirchen- und Schulmusik an und kannte alles, was einen Namen in Wissenschaft,
Kunst und Theater hatte. Zur Zeit der Franzosenbesetzung hatte er als Stadtvater
das Haus voller Offiziere und sorgte sich um die Vorschriften der Militärregierung
und die Verpflegung der Bevölkerung. Abends saß er, wenn er nicht in der Singakademie oder Liedertafel zu tun hatte, regelmäßig im Theater, und nachts verfaßte
er lange Briefe an den Freund in Weimar, der ja lange Jahre Intendant des dortigen
Theaters war. Goethes Schüler und erster Held (für den er seine „Regeln für Schauspieler" schrieb), Pius Alexander Wolff, ging zusammen mit seiner Frau Therese,
geb. Malcolmi, ans Königliche Schauspielhaus in Berlin. Am ersten Sonntag nach seiner
Ankunft machte er Zelter seinen Besuch. Dieser wußte zwar, daß sich Goethe sehr
gekränkt hatte über die Abreise des von ihm stets bevorzugten Lieblingsschülers, aber
er nahm den Gast doch freundlich auf und berichtete nach Weimar über dessen Erfolge
216
als Schauspieler. Kam August von Goethe mit seiner Frau nach Berlin, so wohnten
„die Kinder" selbstverständlich bei Zelter, und dessen Töchter stürzten sich mit Ottilie
in den Trubel des „Großstadtlebens".
Ja, die Töchter und die Söhne
! Kinder gab es bei Zelters „immer ein rundes Dutzend". Er hatte auf Wunsch seiner Mutter 1787 mit 24 Jahren als junger Maurermeister eine junge Witwe geheiratet, die ihm vier Stiefkinder mit in die Ehe brachte.
Sie war „die schönste Frau von Berlin", fleißig und ruhig, und es wurde eine gute Ehe,
in der keiner dem anderen je ein böses Wort gab. Eleonore Flöricke, geb. Kappel
(1761-1795), war ihren Kindern eine liebevolle Mutter, aber sie starb nur allzu
jung. Zelter stand mit seinen vielen Kindern verzweifelt an ihrem Sarge. Seine gute,
alte Mutter, bald auch seine Schwiegermutter, taten ihr Bestes, aber es wurde ihnen
zuviel.
Geburtstagsständchen der Familie Zelter für die Mutter, Julie, geb. von Pappritz (1804).
Zeichnung von Johann Gottfried Schadow, Berlin, Märkisches Museum
So entschloß sich Zelter, bald nach dem Tode seiner Frau, für die er immer nur gute
Worte des Dankes fand, einer stillen Herzensneigung nachzugeben. In seiner Singakademie wirkte schon lange als Stütze des Soprans ein Fräulein Juliane von Pappritz
(1767-1806), eine Dame aus sehr guter Familie, die wegen ihrer wundervollen Stimme
Kammersängerin bei der Prinzessin Friederike von Preußen war. 1796 übernahm sie
das schwere Amt, den verwaisten Kindern die Mutter zu ersetzen, und wurde die
unendlich geliebte und bewunderte Frau des fleißigen Mannes, der noch immer tagsüber auf dem Bauplatz kommandierte und in der freien Zeit am Flügel saß.
Für seine Frau schuf er seine schönsten Lieder, und er war unsagbar stolz und glücklich, wenn sie sie mit seiner Begleitung im Freundeskreis oder auf dem Podium der
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Singakademie vortrug. Auch sie schenkte ihm drei Kinder, starb aber schon nach
kurzer Ehe bei der Geburt des dritten Kindes im Alter von 36 Jahren. Ihren Tod
konnte er nie verwinden. Er blieb allein und lebte nur noch seinen Kindern und seiner
Kunst. Die großen Töchter waren verheiratet, zwei Mädchen blieben beim Vater und
führten ihm den Haushalt. Unter ihrer Obhut wuchsen die kleinen Geschwister heran.
Aber gerade die Kinder seiner geliebten Juliane starben als eben erwachsene Menschen,
und auch von den Kindern aus erster Ehe mußte er manches hergeben. So übertrug er
allmählich seine Geschäfte auf Karl Flöricke, seinen Stiefsohn, den er zum Kaufmann
hatte ausbilden lassen. Er hatte ihn während seiner Wanderjahre auch nach Weimar
geschickt. Und nun mußte er dem Weimarer Freund Mitteilung machen, was für ein
Schlag ihn getroffen hatte durch den Tod dieses Sohnes.
Sonnabend, den 14. November 1812
„Mein ältester Sohn, den Sie kennen sollten, da Sie ihm in Weimar Gutes erzeigt
haben, hat sich diese Nacht erschossen. Warum, weiß ich noch nicht eigentlich, denn
seine Schulden sind zu decken und sein Rechnungswesen in Ordnung. Er hatte eben
angefangen, mir hülfreich zu werden, wie er denn, im Verhältnis zu den Seinigen,
konnte ein geschickter Mensch genannt werden. Und nun verläßt er mich, eben da ich
ihn recht heranzuziehen wünschte.
Sonntag, den 15. Zwei Briefe hat er am Tage vor seinem Tode geschrieben: einen
an seinen Bruder, in dessen Gegenwart er sich den Tod gegeben hat. Darin empfiehlt
er dem Bruder seine natürliche Tochter, ein Kind von drittehalb Jahren, und eine
geliebte Witwe, der er die Ehe versprochen und die schon 2 Männer tot hat. An diese
Witwe ist der 2. Brief gerichtet. Er stellt darinnen einen Ring zurück, beklagt, daß er
ihren liebevollen Ermahnungen keine Folge geleistet, und sagt Lebewohl. Auf seinem
Schreibpulte lag der ,Don Carlos' aufgeschlagen. Auf dem Blatte stand: ,So ist denn
keine Rettung? auch durch ein Verbrechen nicht? - Keine!'. . .
Sagen Sie mir ein heilendes Wort. Ich muß mich aufrichten, doch bin ich nicht mehr,
was ich vor Jahren war. Ich habe Kraft, aber zu anderen Sachen. Hier will ich gehalten sein. Seit neun Monaten habe ich meine einzige, höchst geliebte Schwester,
deren Sohn (der zugleich mein Tochtermann war) und nun diesen geliebten Frevler
verloren. Was vielen abgeht, darüber wissen viele sich nur gar zu leicht zu trösten:
was Einer verliert, darüber muß er alle entschädigen.
Ich habe mir das Kind bringen lassen; es ist von stillem und gedrängtem Wesen und
hat Augen, die den Ihrigen ähnlich sind. Ihr Bild, welches in meiner Stube hängt,
sieht sie unablässig an; ich werde es wohl zu mir nehmen, damit ich wieder zu verlieren habe. . . .
Dienstag früh. Jetzt bringen sie ihn zur Ruhe. Ich bin in der Qual und muß denken:
ich hätte es hindern können. Höchst wahrscheinlich hat sein Versprechen, die Witwe
zu heuraten, den unseligen Entschluß herbeigeführt, indem ich ihm schon vor mancher
Zeit sagte, daß, wenn er frei sei, ich wenigstens Eine ganz vorteilhafte Partie für ihn
wüßte, worauf er mir die Antwort schuldig blieb. Die Witwe ist arm, hat einen Sohn,
und er hatte sein Vermögen, das freilich nur in ein paar tausend Talern bestand,
vertan.
Nun, mein liebster Freund, Lebewohl! . . . Lassen Sie von sich hören."
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Zelter
„Dein Brief, mein geliebter Freund, der mir das große Unheil meldet, welches Deinem
Hause widerfahren, hat mich sehr gedrückt, ja gebeugt, denn er traf mich in sehr
ernsten Betrachtungen über das Leben, und ich habe mich nur an Dir selbst wieder
aufgerichtet. Du hast Dich auf dem schwarzen Probiersteine des Todes als ein echtes
und Seele durchdrungen ist, und wie schön muß ein Talent sein, das auf einem solchen
Grunde ruht!" - So antwortet Goethe am 3. Dezember 1812 und gab dem vereinsamten Vater mit dem vertrauten „Du", das er hier zum ersten Male gebraucht, in
rührender, taktvoller Freundesart einen behutsamen Fingerzeig zu neuer Hoffnung eine Gewißheit, daß ihm noch ein wahrer Freund geblieben war.
Berlin, den 24. Dezember 1812
„Mein süßer Freund und Meister! mein Geliebter, mein Bruder! Wie soll ich den
nennen, dessen Namen immer auf meiner Zunge liegt, dessen Bild sich auf alles abspiegelt, was ich liebe und verehre!
Wenn das weimarische Kuvert meine Treppe heraufwandelt, gehen meinem Hause
alle Sonnen auf. Die Kinder, die es kennen, reißen sich darum, wer von ihnen es mir
bringen soll, um des Vaters Angesicht im Lichte zu sehn, und ich halte es denn lange
uneröffnet, besehe es, ob es auch ist, was es ist, drehe es und drücke es und küsse es."
Das war Zelters Dank für das freundschaftliche Du, mit dem ein Freundschaftsbund
besiegelt war, der die beiden bis an den Tod vereinte.
„Schick mir doch bitte den neuesten Band Deiner gesammelten Werke!" schreibt Zelter
zu jedem Weihnachtsfest. Als Gegengabe sandte er Teltower Rübchen, gefrorene Hechte
und - als Packmaterial - die „Komödienzettel des vergangenen Jahres", die sich
Goethe vom Buchbinder einbinden ließ. Und dabei hatte doch Zelter jedes einzelne
Werk Goethes schon im Manuskript erhalten, ja, manche Lieder hat Zelter direkt für
seinen Chor bei Goethe bestellt. Er galt in Berlin als eine Art Goethe-Experte. Gut
beschreibt das Walter Bloem in seinem Roman „Faust in Monbijou". Dort läßt er
Zelter in sehr feiner, kluger Art die Regie führen bei einer Liebhaber-Aufführung im
Hause des Fürsten Radziwill. Immer wieder wird er respektvoll nach seiner Meinung
gefragt, da er bisher der einzige Berliner ist, der den „Faust" kennt. - Und wie verständnisvoll machte er sich Goethes Werke zu eigen! Sogar den „Benvenuto Cellini"
hat er genau studiert. Seine besondere Neigung aber galt Goethes Lyrik. Unendlich
viele seiner späten Gedichte hat er komponiert. Zum ersten Mal hörte Goethe eine
Zeltersche Komposition, als die beiden Studenten David Veit und Latrohe ihm in
Jena das Lied „Ich denke dein" von Friederike Bruns vorsangen. Goethe war davon
so entzückt, daß er den Text auf seine Art umdichtete. Ein anderer Anknüpfungspunkt zur persönlichen Bekanntschaft mit Goethe war ein Heft Zelterscher GoetheVertonungen, das die Frau des Berliner Verlegers Unger Goethe mit einem empfehlenden Briefe übersandte. Zelter hatte dem Verleger, der die C/wger-Frakturtype erfand, im Tiergarten ein Sommerhaus gebaut. Leider sind heute nur wenige Lieder
Zelters Allgemeingut der Öffentlichkeit. Sehr schön ist sein „König in Thule", am
bekanntesten wohl „Es ist ein Schuß gefallen", das heute meistens als Kinderlied mit
dem Text „Der Kuckuck und der Esel" gesungen wird. Damals fand man Zelters
Namen alljährlich im neuesten Taschenalmanach auf einer Notenbeilage, und es gab
wohl keinen Dichter seiner Zeit, dessen Verse er nicht komponiert hätte. Auf Grund
ihres regen Briefwechsels fragte Goethe denn auch regelmäßig Zelter um seine Meinung
zu den neuesten Erscheinungen des Konzertlebens. Daß da gelegentlich einmal ein
219
etwas knurriges Urteil herauskam, darf man dem alten Herrn nicht übelnehmen.
So schreibt er, obwohl er gewiß später eingesehen hat, daß er zu voreilig geurteilt
hatte, am 5. September 1821:
„Eine neue Oper: ,Der Freischütz' von Maria v. Weber, geht reißend ab. Ein einfältiger Jägerbursch (der Held des Stücks) läßt sich von Schwarzkünstlern, die ebenso
einfältig sind, verführen, vermittelst mitternächtlicher Zauberkocherei sogenannte Freikugeln zu gießen, um durch den besten Schuß seine eigene, schon mit ihm versprochene
Braut zu gewinnen, die er endlich mit solcher Kugel - erschießt? Bewahre! Auch diese
trifft er nicht. Das Mädchen fällt nur vom Knalle, steht gleich wieder auf und läßt
sich Knall und Fall heiraten. Ob nun der Treffer das letztere besser kann, ist nicht
angegeben.
Die Musik findet großen Beifall und ist in der Tat so gut, daß das Publikum den
vielen Kohlen- und Pulverdampf nicht unerträglich findet.
Von eigentlicher Leidenschaft habe vor allem Gebläse wenig gemerkt. Die Kinder und
Weiber sind toll und voll davon; Teufel schwarz, Tugend weiß, Theater belebt,
Orchester in Bewegung, und daß der Komponist kein Spinozist ist, magst Du daraus
abnehmen, daß er ein so kolossales Werk aus oben genannten nihilo erschaffen hat."
Aber ein großes Verdienst hat Zelter! Er hat den ganz in Vergessenheit geratenen
Bach wieder entdeckt. Die Partitur der Matthäuspassion für die Erstaufführung in
der Singakademie trägt Zelters Handschrift, mit der er den bezifferten Baß eintrug
und die Tempi vermerkte. Als er mitten im Proben war, kehrte sein Schüler Felix
Mendelssohn-Bartholdy von einer Reise zurück. Selbstverständlich versäumte er keine
Probe in der Singakademie. Die Generalprobe unter Zelters Leitung versprach einen
großen Erfolg. Am Tage der Aufführung erschien Zelter auf dem Podium und überreichte mit einem väterlichen Lächeln dem jungen Felix den Dirigentenstab, um in
ihm das musikalische Genie und den jugendlichen Nachfolger zu ehren. Dann nahm
er selbst im Parkett neben den überraschten Eltern Platz. Spätere Forschung nahm
an, Felix Mendelssohn habe Bach wieder entdeckt.
„Ich hätte der Musik nie solch herzliche Töne zugetraut!" sagte Goethe zu Eckcrmann
beim Anhören einer neuen Zelter-Komposition. Goethe ließ sich die Berliner Kompositionen immer von einer kleinen Musikgruppe unter der Leitung des jungen Kapellmeisters Eberwein vorspielen. Er hatte ihn sogar nach Berlin zu Zelter gesandt, damit
er sich mit dem Dirigieren der Chorliteratur vertraut machen konnte. - Zelter war
rastlos fleißig. Er feilte lange an einem Lied, ließ es immer wieder liegen und war
stets bemüht, sein Bestes zu geben. Pfuscharbeit konnte er nicht leiden. Von seinem
Kollegen Reichardt behauptete er: „Der sudelt die Noten zusammen, kackt sie auf ein
Notenblatt und schickt sie noch warm in die Presse!"
Treue und Beständigkeit waren die Grundzüge seines Wesens, und eine grenzenlose
Verehrung für den Weimarer Freund. Seine Handschrift wandelte sich völlig im Umgang mit Goethe. Schließlich konnte man beider Briefe kaum mehr unterscheiden. Mit
Goethes Tod war auch ihm jede Lebenskraft genommen. „Excellenz hatten natürlich
den Vortritt, aber ich folge Ihnen bald!" sprach er sechs Wochen nach Goethes Tod,
als er am letzten Abend seines Lebens das Wohnzimmer verließ.
Am 15. Mai 1832 folgte er 73jährig dem Freunde in die Ewigkeit.
Anschrift der Verfasserin: Berlin 61, Grimmstraße 17.
220
Nachrichten
Ehrenmitglied Arthur Lessing 80 Jahre alt
Herr Arthur Lessing hatte am 13. Februar sein 80. Lebensjahr vollendet. Ein Kreis von Mitgliedern des Vereins und Freunden des Jubilars war mit Glückwünschen und Gaben zur Stelle.
Der Vorsitzende Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
übermittelte die Glückwünsche des Vereins.
Er würdigte die großen Verdienste, die sich der Jubilar, eines unserer ältesten Mitglieder, im
Vorstand und als Archivar erworben hat, Verdienste, die der Verein mit der Verleihung der
Ehrenmitgliedschaft dankbar zum Ausdruck gebracht hat.
Der Jubilar ist seit Jahren Träger der bronzenen und silbernen Fidicin-Medaille des Vereins
für die Geschichte Berlins.
Erinnernde Gespräche der älteren Gratulanten an die glanzvollen Veranstaltungen des Vereins, insbesondere die „Domherrenfahrten" in die Mark Brandenburg, hielten den Kreis im
gastlichen Heim des Jubilars und seiner Gattin in Mariendorf noch lange zusammen.
K. Bullemer
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche Herrn Stadtbaurat a. D. Rudolf Kolwes zur seltenen Feier des 90. Geburtstages,
Frau Elisabeth Pape zum 80. und Herrn Glasurmeister Emil Hess zum 70. Geburtstag.
Herrn Prof. Dr. Rudolf Wesenberg, Bonn, und Herrn Oberstudienrat Atzrott, Fischbeck,
dankt der Verein für Bücherspenden. Stühle für die Bibliothek spendete Herr Johann Marker.
*
Von unserem Jahrbuch „Der Bär" sind noch folgende Jahrgänge erhältlich:
Jahrgang
953
957/58
959
960
Preis
Jahrgang
4,80
4,80
4,80
4,80
1961
1962
1963
1964
Preis
Jahrgang
Preis
5,80
5,80
5,80
5,80
1965
1968
1969
38,00
9,80
9,80
Von den „Mitteilungen" sind nur noch die Hefte 11-16 erhältlich.
Buchbesprechungen
Jacob Jacobson: Jüdische Trauungen in Berlin 1759-1813. Mit Ergänzungen für die Jahre
1723-1759. Mit einem Geleitwort von Hans Herzfeld. Walter de Gruyter & Co. Berlin 1968.
XLIII, 668 S. mit 18 Abb. Gl. DM 84,- (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für
Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Bd. 28. Quellenwerke
Bd. 4).
Hinter jeder nüchternen Angabe in einem Register des Personenstandes steht ein Menschenschicksal. Das Studium der sorgfältig erarbeiteten chronologischen Verzeichnisse ergibt ein
Spiegelbild der wechselvollen Haltung des preußischen Königshauses gegenüber dem Judentum.
Es gibt aber auch Lichtblicke: hier klingen bereits Namen auf, mit denen in späteren Jahren nach der Einführung der Emanzipationsgesetze von 1812 - kulturelle Leistungen verknüpft
sind, deren Bedeutung weit über die landesherrlichen Grenzen hinausging. Carl Fürstenberg
hat einmal gesagt: „Die Jetztzeit steht auf den Schultern der vergangenen Generationen."
Im „Dritten Reich" hat auch diese Sentenz ihren Sinn verloren. Die wenigen Oberlebenden
schweigen wie nach dem Erwachen aus einem bösen Traum. Unendliche Trauer verschließt
ihren Mund.
Prof. Hans Herzfeld hat in einem Geleitwort aus der Sicht des Historikers den Standort des
Werkes bestimmt.
Die Einleitung des Autors, der die Drucklegung gerade noch erleben konnte, sollte jeder lesen
- unabhängig von der Konfession. Abgesehen vom historischen Gehalt ist sie ein Muster-
221
beispiel von Akribie und offenbart den Meister in der Quellenerschließung und Kombination
der Forschungsergebnisse. Für seine Leistung gilt das Wort, das Fontane den schottischen König
Jacob sagen läßt, wenn er den vaterlandslosen Archibald Douglas im Graben der Landstraße
erblickt: „Der ist in tiefster Seele treu, der die Heimat so liebt wie Du!"
Hans Leichter
Und det jloobste? Berliner Humor seit 150 Jahren. Neu herausgegeben von Konrad Lemmer.
Mit 42 (davon 4 farbigen) Abbildungen. Rembrandt Verlag, Berlin 1968. 112 Seiten. DM 9,80
Zur Geschichte Berlins gehört unbedingt auch die Kenntnis des Humors und Dialektes des
Berliners mit seinem ihm angeborenen Mutterwitz, seiner kessen Zunge, seiner Sehlagfertigkeit,
hinter der sich oft Gemüt und warmes Herz verbergen. - So ist neben vielen Berlin-Büchern in
der Nachkriegszeit die Neuherausgabe dieses ansprechenden, in Leinen gebundenen, herzerfrischenden Bändchens von Konrad Lemmer sehr zu begrüßen. Es erinnert zugleich an seine
gemeinsam mit Adolf Heilborn, dem geistreichen Alt-Berliner Publizisten, ursprünglich 1924
herausgebrachten Sammlung, die 1934 unter den damaligen Verhältnissen zwangsweise eingestellt wurde. - Mit Schmunzeln genießt der Leser die zahlreichen Anekdoten, spritzigen
Bonmots, Urteile, Redensarten, Sprichwörter und berlinischen Beschreibungen. - Im Spiegel
von fast zwei Jahrhunderten mit bedeutenden Persönlichkeiten aus Künstler-, Maler-, Bildhauer-, Musiker-, Schauspieler-, Philosophen-, Arzt- und Militär- bis zu den Hofkreisen
leuchtet und blitzt es von genialen Improvisationen, Gedanken oder kurzen Dialogen. Auch
die längst vergessenen Berliner Schusterjungen und echten Berliner Typen kommen dabei nicht
zu kurz. - Die „I-Punkt-Flamme" des urwüchsigen Humors aus Glassbrenners, Fontanes,
Raabes, Heines und Kalischs Kladderadatsch-Zeiten sowie später aus Sammlungen Lederers
und Ostwalds entzündet von neuem die Herzen. So stößt man neben bekannten Aussprüchen
und Einfällen auch auf viele neue Entdeckungen. Sie verbinden sich ergänzend mit Bildwiedergaben nach den Originalen der großen Zeichner Dörbeck, Krüger, Scbadow, Hosemann, später
auch Simmel und dem „Pinsel-Heinrich" Zille, dem das Berlin-Museum in den Räumen des
ehemaligen Kammergerichts in der Lindenstraße vor kurzem aus Leihgaben Axel Springers
eine Gedenkausstellung widmete.
Wenn dem sorgsam zusammengestellten Buch noch ein alphabetisches Personenverzeichnis beigefügt wäre, so hätte man infolge der öfteren Wiederkehr einzelner Namen in verschiedenen
Anekdoten, denen man durch die besondere sachlich-kategorische Einteilung begegnet, die genannten Größen ohne Umstände leicht wieder herausfinden können. Das schmälert jedoch den
Gewinn des Buches keineswegs, das für jeden humorbeflissenen „Berlin-Schwärmer" eine köstliche Fundgrube ist.
Franz Berndal
Sagen und Märchen aus Berlin und der Mark Brandenburg. Neu herausgegeben von Konrad
Lemmer. Mit Illustrationen von Ingrid Schneider-Ertmer. Rembrandt Verlag, Berlin 1968.
136 Seiten. DM9,80.
Konrad Lemmer hat neben seinem Berliner-Humor-Buch „Und det jloobste" in bunter Folge
eine neue Zusammenstellung von Sagen und Märchen aus Berlin und der Mark Brandenburg
erscheinen lassen. Die Sammlung überrascht durch die Wiedererweckung vieler unbekannter
Sagen und Märchen, die seit hundert Jahren nicht mehr gedruckt wurden. Vornehmlich waren
es die Brüder Grimm, die in den Jahren 1812-1820 zuerst mit der Veröffentlichung ihrer
„Kinder- und Hausmärchen" und den „Deutschen Sagen" unserem Volk ein bleibendes Kulturvermächtnis schenkten und dem deutschen Märchengut seine bestimmende Form gaben. - Es
folgten die Kunstmärchen, die an die Namen Goethe, Musäus, Brentano, Beckstein, Andersen,
Volkmann-Leander erinnern. In der Mitte des 19. Jahrhunderts schlössen sich weitere Märchenund Sagen-Veröffentlichungen über Berlin von Albert Kuhn und Wilhelm Schwanz daran an.
Ferner erschienen bis 1870 Bücher, zumeist von Volksschullehrern aus verschiedenen Gegenden
der Mark, die Märchen, Sagen und Sprichwörter behandelten. Bei der Lektüre wurde auch
des öfteren „Fontanescher Geist" in der Mark Brandenburg wieder lebendig.
Aus solchem Füllhorn alter wichtiger Quellen konnte auch die neue Herausgabe nutzbringende
Kenntnisse schöpfen. Die fein empfundenen Illustrationen von Ingrid Schneider-Ertmer beleben
wirkungsvoll das neu erweckte Märchen- und Sagengut.
Der Schutzumschlag des in Leinen gebundenen, lesenswerten Buches erinnert mit der farbigen
Wiedergabe der Lithographie „Das Waisenkind" an den großen Theodor Hosemann, den
humorvollen, fein beobachtenden Maler und Schilderer des Berliner Klein- und Spießbürgertums.
Franz Berndal
„Das alte Berlin". 38 Stiche des 19. Jahrhunderts, mit einer Einführung von Willy Haas.
96 Seiten auf Büttenpapier, Ganzleinen. Schwarz u. Oberhoff, Wuppertal 1967. DM 29,80.
Vor dem Rezensenten liegen zwei Bücher gleichen Inhalts. In dem einen Fall handelt es sich
um das obengenannte, in dem anderen um den Band „Berlin und Potsdam in malerischen
Ansichten". Beide Ausgaben umfassen einen Großteil der gleichen Stiche von / . M. Kolb,
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/ . Poppel, Rorich u. Sohn, Umbach, G. Heisinger, um hier nur einige zu nennen. So ist man
im ersten Augenblick geneigt anzunehmen, daß hier ein Verlag den Versuch unternommen hat,
einen preiswerten Neudruck dieser hübschen Stiche herauszubringen.
Ein positives Tun, wenn man bedenkt, daß der alte Band, selbst in einschlägigen Antiquariaten,
seit Jahren nur höchst selten und dann zu ausgesprochenen Liebhaberpreisen erwerbbar ist.
So beginnt man voller Erwartung draufloszublättern - und ist enttäuscht.
Der einführende Text ist inhaltslos und die Bibliographie insuffizient. Doch noch negativer
macht sich das sehr stark zweiseitige Büttenpapier bemerkbar. Hier hätte man unbedingt
darauf achten müssen, daß stets nur die Siebseite mit den Reproduktionen bedruckt wird, deren
Qualität keineswegs die Feinheit und Exaktheit der alten Ausgabe erreicht. Zu viel Farbe ein bräunliches Schwarz wäre besser gewesen - läßt den Eindruck entstehen, als seien hier keine
feinnervigen Stiche, sondern Holzschnitte reproduziert worden. Die lichten Partien wirken
fleckig und die Tiefenzeichnung fehlt teilweise.
Schade! Wie gern hätte man diesem verlegerischen Unterfangen mehr Erfolg gewünscht, zumal
es an gutem Willen und Wollen bestimmt nicht gefehlt hat.
Für diejenigen, die sich nur an den historischen Abbildungen erfreuen wollen, mag dieses Buch
eine Gelegenheit sein, ihre Berlin-Bibliothek um einen Band zu bereichern.
Klaus P. Mader
Monica Hennig-Schefold, Inge Schäfer: Frühe Moderne in Berlin. Winterthur, Verlag Werk,
1967 (werk-Buch 1).
Zugang zur Berliner Architektur unseres Jahrhunderts zu finden, gelingt wohl am besten, mit
Rolf Raves und H. J. Knöfels 1963 zuerst veröffentlichtem Führer in der Hand, beim Durchwandern der Stadt. Wer speziell die Bauten vor 1930 kennenlernen wollte, der griff bisher zu
einem von Heinz Johannes 1931 im Deutschen Kunstverlag herausgegebenen Führer, „Neues
Bauen in Berlin", dessen topographische Ordnung ebenfalls leichte Orientierung ermöglicht.
Das Gesehene noch einmal besonders eindrücklich und nach Baugattungen gegliedert vor
Augen zu stellen, erbot sich der großartige Bildband „Berliner Architektur der Nachkriegszeit",
den E. M. Hajos und L. Zahn 1928 im Albertus Verlag erscheinen ließen.
„Frühe Moderne in Berlin" ließ also auf eine neue, ausführlichere oder eindringlichere Behandlung des Themas hoffen, zumal der Verlag, als Herausgeber der schweizerischen Architektur-Zeitschrift „Werk", einschlägig renommiert erscheinen mußte. Um so bedauerlicher ist
es, daß im vorliegenden Falle von einem Berlin-Buch einmal mehr als von einer verpaßten
Gelegenheit gesprochen werden muß.
Schon der Titel ist problematisch. Als „Moderne" gilt heute im allgemeinen die Zeit, die den
Begriff in seiner spezifischen, hier benutzten Fassung prägte, nämlich die Zeit um 1900. Das
Vorwort gibt Aufschluß, daß die Architektur unseres Jahrhunderts generell gemeint ist und
daß unter „früh" nicht die Anfänge, sondern die ersten 30 Jahre dieses Jahrhunderts verstanden werden sollen. So weit, so gut. Die abgebildeten Beispiele indessen stammen im wesentlichen aus den Jahren um 1930, nur etwa 1 8 % der behandelten Bauten wurden vor 1927
fertiggestellt.
Die Anordnung des Stoffes kann nicht anders als chaotisch empfunden werden. Die unterschiedlichsten und aus ganz verschiedenen Bereichen stammenden Gliederungsprinzipien sind in zufälliger Abfolge - herangezogen. Es werden Einzelbauten herausgestellt, wie Behrens'
AEG-Turbinenhalle oder, allein mit neun Abbildungen, das Mendelsohnsche Observatorium
in Potsdam oder die Bautengruppe am Lehniner Platz. Dazwischen stehen Beispiele für einzelne Bauaufgaben: Gewächshäuser und Industriebauten, Siedlungsbauten und Reihenhäuser.
Und schließlich gibt es - ebenfalls unzusammenhängend über das Buch verstreut - Darstellungen einzelner Bauteile: umlaufende Fensterbänder (Abb. 11-16), Treppen (Abb. 20-37 - das
heißt, 17 von insgesamt 108 Abbildungen) sowie Fenster als Gliederungselement mehr traditioneller Wohnbauten (Abb. 89-91). Damit nicht genug, sind einige Bildgruppen zur Erläuterung ästhetischer Probleme zusammengefaßt: „Dynamik und Bewegung der Großstadt-Architektur" etwa (Abb. 20-22) oder „Geometrie und Organik" (Abb. 61-64). Es gibt keine KapitelÜberschriften. Thematische Bezüglichkeiten, wie die beiden genannten, kann der Leser zeitgenössischen Äußerungen entnehmen, die, nicht immer einsichtigen Auswahlprinzipien folgend,
dem größeren Teil der Bilder zur Seite gestellt sind. Andere, von den Verfasserinnen beigesteuerte Texte bringen zu allem Überfluß auch noch stilgeschichtliche Aspekte ins Spiel, so,
wenn gelegentlich zweier Abbildungen der Terrasse des Luckhardt-Ankersdien
Landhauses
(Abb. 47-48) von Expressionismus gesprochen wird, was besser in der sonst so ausführlichen
Behandlung des Einstein-Turms von Mendelsohn (Abb. 38—46) oder auch bei der an anderer
Stelle ganz unzusammenhängend eingefügten Hogerschen Kirche am Hohenzollernplatz (Abb.
76-77) hätte geschehen können.
Die beiläufigen Texte der Verfasserinnen sind gelegentlich von Banalitäten durchsetzt, etwa,
wenn von Siedlungsbauten aus der Zeit um 1928 gesagt wird, ihre „Gestaltungsmittel" seien
„im Vergleich zur Gründerzeit stark reduziert" (S. 60). Solche Auslassungen könnten einem
223
ungebildeten Publikum wohl zugemutet werden. Andererseits setzen die vielfältig angezogenen
Zitate beim Leser die Fähigkeit voraus, ihre höchst zeitgebundene oder subjektive, meist nur
im ursprünglichen Kontex verständliche Terminologie erschließen zu können. Auch in der einfachen Beschreibung formaler Tatbestände sind die Verfasserinnen unsicher. Beispielsweise wird
auf Seite 23 von den Treppenhäusern am Sonnenhof in Lichtenberg gesagt: „Durch die liegenden Formate der Sprossenteilung und die gemauerten Brüstungsbänder wird die Vertikalbewegung des Turms weitgehend aufgehoben und das Moment der Bewegung in der horizontalen eingeschobenen Ebene ausgedrückt."
Der Gerechtigkeit halber sei nicht verschwiegen, daß viele der Abbildungen außerordentlich
anregende Perspektiven oder einfühlsam ausgewählte Details zeigen, Abbildungen, die durchaus geeignet sind, auch dem Kenner noch Anlaß zu weiterführenden Betrachtungen zu bieten.
Aber genügen die Liebe zu bestimmten Bereichen neuerer Architektur und eine gut eingesetzte
Kamera, um Publikationen, wie die vorliegende zu rechtfertigen?
Was uns fehlt ist entweder eine möglichst vollständige Bild-Dokumentation aller wichtigen
Bauten des fraglichen Zeitabschnittes, ohne unzulängliche Interpretationsversuche, oder eine
architekturgeschichtliche Durchdringung bestimmter Entwicklungsabschnitte unter Heranziehung, Erläuterung und Deutung aller zeitgenössischen Quellen. „Frühe Moderne in Berlin"
leistet weder das eine noch das andere.
Karl Heinz Schreyl
Klaus D. Wiek: Kurfürstendamm und Champs-Elysees. Geographischer Vergleich zweier Weltstraßengebiete. Verlag von Dietrich Reimer, Berlin 1967. Mit 9 Photos und 8 Kartenbeilagen.
134 Seiten. DM 30,- (Abhandlungen des 1. Geographischen Instituts der Freien Universität
Berlin, Band 11).
Der Verfasser vergleicht anhand einer umfangreichen Materialsammlung zwei bekannte Straßenzüge, von denen der eine mit seiner bebauten Länge von 1130 m und einer Breite von 70 m
eine Weltstraße ist und der andere - 3750 m lang und 53 m breit - gern eine sein möchte.
(Der Kurfürstendamm ist in seiner westlichen Hälfte - etwa von der Brandenburgischen Straße
- z. Z. geradezu schäbig.)
Kurfürst Joachim II. ließ auf teilweise sumpfigem Gelände einen Damm errichten, um vom
Berliner Schloß aus auf kürzestem Wege sein Jagdschloß „Zum grünen Wald" zu erreichen.
Königin Marie von Medici ließ die Zentralallee des Pariser Tuilerienparks verlängern, die
unter Ludwig XIV. verbreitert wurde; die Bebauung des Straßenabschnitts jenseits des Parks
erfolgte jedoch erst viel später. Im Jahre 1812 erhielt die Straße ihren heutigen Namen „Avenue
des Champs-Elysees". Die Champs-Elysees waren bereits zur überwiegenden Geschäftsstraße
aufgestiegen, als im Jahre 1883 - mit ideeller Förderung Bismarcks - die Bebauung des Kurfürstendammes eben erst begann.
Der Verfasser behandelt in flüssigem Stil eingehend Physiognomie und Geschichte der beiden
Straßen, die Struktur der Umgebung, ihre Entwicklung, ihren Verkehr usw.
Die Liebhaber vergleichender Statistik, sowohl in Form graphischer Darstellungen als auch in
Zahlenkolonnen, kommen auf ihre Kosten. Interessant sind vor allem der Passanten- und
Kraftfahrzeugverkehr und die Wirtschaftsentwicklung beider Straßen. Wir erfahren dabei,
daß es am Kurfürstendamm im Jahre 1963 z. B. weniger Betriebe des Bekleidungsgewerbes
und des Beherbergungs- und Gaststättenzweiges gab als im Jahre 1938; auch viel weniger
Ärzte und Rechtsanwälte, was durch die Kriegszerstörungen bedingt sein dürfte (54:146 und
63:202).
Ein erschöpfendes und aufschlußreiches Buch. Das „Gunstgewerbe" jedoch, das in beiden Straßen und ihrer engeren Umgebung von jeher seine Schwerpunkte hatte, läßt der Verfasser
unerwähnt.
Zum Schluß: Der Verlag sollte angesichts des respektablen Verkaufspreises der Broschüre,
deren Druck laut Impressum mit Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk, der Freien
Universität Berlin und der Berliner Industriebank erfolgte, von dem Anachronismus abgehen,
das Werk unaufgeschnitten auszuliefern.
Walter Ruppel
Otto Hahn: Mein Leben. F. Bruckmann KG. München 1968. 272 Seiten. 36 Abbildungen. Leinen DM 25,-.
Auf seinem Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erheben sollte, erreichte Nobelpreisträger Prof. Dr. Otto Hahn, den langjährigen Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für
Chemie und Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, die Nachricht von der Verleihung der
Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin. Die Vollendung seiner Memoiren, die den Untertitel
„Mensch und Wissenschaftler unserer Zeit" tragen, hat er nicht mehr erlebt.
Hahn ist kein gebürtiger Berliner; er hat den Frankfurter auch in seinem Dialekt nie verleugnen können und wollen. Seine wesentlichen wissenschaftlichen Leistungen fallen aber in die
Berliner Lebensjahre von 1906 bis 1944. Hier entdeckte er Ende 1938 gemeinsam mit Fritz
224
Straßmann die Spaltung der Elemente Uran und Thorium in je zwei mittelschwere Atomkerne, und diese Entdeckung trug ihm nicht nur den Nobelpreis für Chemie des Jahres 1944 (!)
ein, sondern leitete auch eine Epoche ein, die man vielleicht nicht ganz zutreffend „das atomare
Zeitalter" nennt.
Otto Hahn zeigt sich auch in seinen Aufzeichnungen als der bescheidene Mensch, als der er uns
in Erinnerung geblieben ist. Er macht auch von seinen Entdeckungen kein großes Aufheben,
sondern läßt z. B. die Geschichte der ersten Kernspaltung aus einer Reihe von Briefen deutlich
werden. Dabei schildert er die Vorgänge bei der Zerspaltung des Urans in so einfachen Worten, daß auch dem naturwissenschaftlich nicht vorgebildeten Leser die Zusammenhänge klar
werden. Das Beispiel einer klassischen Darstellung ist sein im Anhang abgedruckter Festvortrag
anläßlich der Nobelpreis-Verleihung am 13. Dezember 1946 in Stockholm „Von den natürlichen Umwandlungen des Urans zu seiner künstlichen Zerspaltung".
Es ist ein sehr menschliches Buch, das einen für den großen Gelehrten sehr warm einnimmt,
gerade weil es die Gewichte nach den persönlichen Eindrücken und nicht nach der Bedeutung
der Leistungen für die Wissenschaft setzt. So nimmt die Schilderung seiner neunmonatigen
Internierung ebensoviel Raum ein wie der Zeitabschnitt der Berliner Jahre 1919 bis 1944.
In einigen „Einblenden" antwortet Otto Hahn auf Fragen von Herbert L. Schrader, der auch
das Nachwort verfaßt hat. Die Fragen klingen ein wenig hausbacken („Meinen Sie nicht, daß
die Spaltbarkeit des Urankerns bis heute nicht bekanntgeworden wäre, wenn Sie sie damals
nicht entdeckt hätten?").
Das Buch endet mit dem Jahr 1960 und dem Unfalltod seines einzigen Sohnes und der Schwiegertochter. Der letzte Satz lautet: „Seit dieser Zeit fühle ich für meinen einzigen Enkel Dieter
eine besondere Verantwortung, die nach besten Kräften wahrzunehmen ich mich bemühe."
Niemand wird Otto Hahn seinen wissenschaftlichen Rang streitig machen. Sein Lebensbericht
legt Zeugnis davon ab, daß die Stadt Berlin in der Reihe ihrer Ehrenbürger mit der Wahl von
Otto Hahn auch einen großen Menschen gewürdigt hat.
H. G. Schultze-Berndt
Horst Cornelsen, Klaus Eschen: Berlin - Als die Sirenen schwiegen. Ein dokumentarischer
Bildband mit Texten von Horst Cornelsen, Harry v. Hofmann Verlag. Hamburg 1968. DM 28,-.
Die Bilder, die jeweils auf gegenüberliegenden Seiten zugeordnet sind, bringen einem die Zeit
um das Kriegsende in Berlin wieder in Erinnerung. Sie sind faszinierend, und der Fotograf
hat es verstanden, im Jahre 1968 jeweils die Blickpunkte einzunehmen, unter denen die vorhandenen Fotos der Jahre 1944/45 entstanden waren. Daß er sich nicht auf West-Berlin beschränkte, sondern den alten historischen Stadtkern mit in die Darstellung einbezog, ist ihm
hoch anzurechnen. Hieraus mag verständlich werden, warum die Bildunterschriften auch in
Englisch und Französisch wiedergegeben werden, weil ausländische Besucher im Gegensatz zu
den West-Berliner Bürgern Gelegenheit haben, auch den Wiederaufbau im anderen Teil der
Stadt kennenzulernen. Die Übersetzungen lassen manchmal wesentliche Bemerkungen aus. So
heißt es über den Berliner Dom: „Durch die notwendigsten Renovierungen wurde der Bau vor
dem restlosen Verfall geschützt. Die Zerstörungen im Inneren konnten bisher nicht beseitigt
werden." Und der verkürzte englische Text: „Makeshift repairs have been carried out to save
the cathedral." Aus einigen Bildern wird ersichtlich, daß der Zustand der Zerstörung lediglich
konserviert worden ist, so beim Französischen Dom auf dem früheren Gendarmenmarkt, dessen Schicksal die Mitglieder unseres Vereins deswegen besonders interessiert, weil es mit dem
des Deutschen Domes eng verbunden ist, in dem die Bibliothek des Vereins ein Opfer der
Flammen wurde.
Horst Cornelsen, der auf anderen Gebieten seine Verdienste hat, setzt mit weitem Atem in
seinem Vorwort bei dem Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre ein und gibt ein Resümee ihres
weiteren Werdeganges und ihres Schicksals im Krieg und in der Nachkriegszeit. Nicht jeder
wird uneingeschränkt seiner Prognose zustimmen können: „Sicherlich aber wird man in Zukunft nicht mehr die ,Goldenen Zwanziger Jahre' als die historisch bedeutsamsten für die
Entwicklung Berlins ansehen, sondern die Fünfziger und die Sechziger Jahre, die der Stadt im
Konflikt zwischen Ost und West ein unauslöschliches Gesicht gegeben haben."
Über die Entstehung der Aufnahmen und damit des Buches erfährt man leider nichts, obwohl
die Entstehungsgeschichte sicher mit einigen berichtenswerten Episoden verbunden gewesen
sein dürfte. Eine kleine fachliche Anmerkung: Es ist nicht ausgeschlossen, daß im Schöneberger
Stadtpark bei Kriegsende auch Getreide reifte, auf dem Bild handelt es sich allerdings um
Schilfgewächse.
Dies ist ein Werk, das nicht in Bibliotheken abgelagert, sondern in den Wohnungen zur Hand
genommen, betrachtet und unseren jungen Heißspornen gezeigt werden sollte. Es überwiegt
der schmerzliche Eindruck angesichts der Ruinen und Verluste gegenüber dem hier unangebrachten Gefühl: „Wir haben es schon wieder weit gebracht!"
H. G. Schultze-Berndt
225
Aljons Erb: Bernhard Lichtenberg, Dompropst von St. Hedwig zu Berlin. Morus-Verlag. Berlin 1968. 142 Seiten, 7 Abb. Leinen DM 9,80.
Vor 25 Jahren starb auf dem Transport aus der Tegeler Gefängniszelle ins Dachauer KZ der
Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg. Aus solchem Anlaß erscheint diese Chronik eines
kämpferischen Daseins in der fünften, um neue Erkenntnisse wesentlich bereicherten Auflage.
Wohl niemand wird den Band ohne Erschütterung aus der Hand legen, der Zeugnis ablegt
für den Lebensweg eines kindlich-frommen Seelsorgers und schlagfertigen Kanzel- und Diskussionsredners, eines unbeugsamen Kämpfers für Recht und Menschlichkeit und absolut selbstlosen Dieners seiner Aufgabe, seiner Mitmenschen. Nach dieser Lektüre können wir nur mit
Schauder sagen: „. . .und wir sind (alle!) dabeigewesen!"
Hoffmann-Axthelm
Berlin-Kalender 1969. Format 30 x 48 cm. Stapp-Verlag, Berlin. DM 6,80
Auf den 12 Monatsblättern werden z. T. neue und recht interessante Berlin-Motive im einfarbigen Druck gezeigt. Die neueste Aufnahme dürfte die der Nationalgalerie sein. Ein Kalender also, der sich in Art, Ausführung und Preis in den großen Rahmen der jährlich zahlreicher erscheinenden Berlin-Kalender einreiht.
Klaus P. Mader
Berlin-Buch der Neuen Rabenpresse, zusammengestellt und herausgegeben von Günter Bruno
Fuchs, mit einem Kalendarium auf das Jahr 1969, unter Mitarbeit zeitgenössischer Autoren in
Text und Grafik. Verlag Neue Rabenpresse (V. O. Stomps), 1 Berlin 41, Wielandstraße 8.
„Dieses Berlin-Buch ist kein Buch über Berlin. Eher noch ein Buch aus Berlin. Lobsprüche ,auf
diese Stadt und ihre Menschen' wird nur derjenige entdecken, der Suchbilder liebt. Und das
Kalendarium auf 1969 (im Rösselsprung) ist kaum geeignet für den üblichen Alltagsvermerk;
viele Register sind bereits angefüllt mit ,Hinweisen, Stichworten, Notizen', d. h. mit Texten
zeitgenössischer Autoren.
Nahezu alle Beiträge dieses Buches sind Originalbeiträge. Eingeladen zur Mitarbeit wurden
53 deutschsprachige Autoren; die vorliegende Sammlung enthält Beiträge von 45 Mitarbeitern,
außerdem .Extrablätter' von Johannes R. Becher, Adolf Glassbrenner, Werner Heldt, Peter
Hille, E. T. A. Hoffmann, Paul Scheerbart."
Diese Anmerkungen aus dem Buch selbst geben einen kleinen Eindruck von der recht eigenwilligen Lektüre, die einen erwartet. Vieles von dem, was die zeitgenössischen Autoren an
Texten beigesteuert oder an Grafiken veröffentlicht haben, schmeckt ein wenig bitter, aber
auch da, wo man mit den Autoren beim besten Willen nicht übereinstimmen kann, sind ihnen
guter Wille und Können nicht abzusprechen. Mit Grafiken sind vertreten u. a. Curt Mühlenhaupt, Robert Wolfgang Schnell, Ali Schindehütte, Johannes Vennekamp und der Herausgeber
G. B. Fuchs. Viele der jüngeren Autoren sind zumindest geistig in der Kreuzberger Boheme
angesiedelt (und das ist durchaus ein Qualitätsmerkmal). Von den noch renommierteren Poeten
wurden Günter Eich, Günter Grass und Christa Reinig nachgedruckt.
Wer einen Querschnitt durch einen sehr ausgeprägten, charakteristischen Teil des Berliner
Geisteslebens kennenlernen will und sich weder am Kladdenformat stört, noch sich zuweilen
zu ärgern bereit ist, sollte sich dieses auch drucktechnisch bemerkenswerte Buch sichern, dem
die Firmen Brüder Hartmann, Berlin (unlängst bei einer anderen Rezension lobend erwähnt)
und Büchergilde Gutenberg, Frankfurt (Main), großmütige Unterstützung zuteil werden ließen.
Aus einer kleinen Berliner Geschichte von Peter O. Chotjewitz stammt das folgende Motto:
„Wer nie sein Bier mit Klaren trank, der kennt Dich nicht, mein' Havelstrand."
H. G. Schultze-Berndt
Berlin-Kalender 1969; Berlin-Postkartenkalender
1969. Hans Andres Verlag Berlin. DM 5,80
bzw. DM 4,50.
Das Erfreulichste ist die Tatsache, daß der in Berlin ansässige Verlag auf unsere Bitte überhaupt reagiert hat (auch Kalender sind Zeitdokumente und werden als solche der Bibliothek
unseres Vereins einverleibt). Bei anderen Verlagsanstalten (Dr. Hans Peters Verlag, Verlag
Kunst & Bild) war man mit der Hergabe der Kalenderwerke zögernder; vielleicht mag sich
das eines Tages ändern.
Die beiden Kalender zeigen Farbfotos, zumeist konventioneller Art, aus manchmal neuen
Blickwinkeln. Auch das Steglitzer Klinikum ist vertreten. Daß es sich um Berlinmotive handelt,
erkennt man auf den ersten Blick.
H. G. Schultze-Berndt
Im I.Vierteljahr 1969 haben sich folgende Damen und Herren
zur Aufnahme gemeldet:
Hermine Pfeiffer
6243 Falkenstein, Scharderhohlweg 16
Tel. Königstein (Ts.) 40 22
(Vorsitzender)
226
Dr. Erich Hertel, Zahnarzt
1 Berlin 44, Richardplatz 5
Tel. 6 87 44 47
(Vorsitzender)
Alma Schnell
1 Berlin 31, Holsteinische Str. 32
(Schriftführer)
Dr. Karl Pfeiffer, Rechtsanwalt
5 Köln-Braunsfeld,
Friedrich-Schmidt-Str. 72
Tel. 49 40 58
(Frau H. Pfeiffer)
Neu bei Haude & Spener
Edmond Gyselinck, Antiquariat und
Buchhandlung
1 Berlin 45, Curtiusstr. 6
Tel. 73 25 92
(H. Hof mann)
Otto Penneckendorf, Rentner
1 Berlin 37, Teltower Damm 39
(H. Hofmann)
Aribert Kleine, Verw.-Angest.
1 Berlin 30, Goltzstr. 30
Tel. 26 35 51
(H. Hofmann)
Hans Georg Scharsich, Landessozialgerichtsrat a. D.
1 Berlin 33, Landauer Str. 5
Tel. 8 21 69 76
(K. Bullemer)
Rudolf Maron, Techn. Angest.
1 Berlin 41, Beckerstr. 6a
Tel. 83 23 87
Heinz Jung, Dipl.-Ing.
1 Berlin 45, Margaretenstr. 35
Tel. 76 71 82
(H. Hofmann)
Karoline Cauer
1 Berlin 48, Emilienstr. 22
Tel. 7 75 37 66
(Vorsitzender)
Gemäldegalerie Berlin
Kunstwerke aus den Staatlichen Museen
Preußischer Kulturbesitz, Band 1. Herausgegeben von Professor Dr. Robert Oertel.
148 Seiten, davon 120 Seiten Bildtafeln
mit 24 vierfarbigen und 101 einfarbigen
Gemälde-Reproduktionen. Leinen
DM 24,-
Ewald Heinze, Kfm. Angest.
1 Berlin 20, Grunewaldstr. 8b
(H. Langheim)
Helmut Grell, Lt. Regierungsdirektor a. D.
1 Berlin 37, Am Heidehof 43
Tel. 84 39 45
(Vorsitzender)
Klaus Katzur
Harald Schoelkopf, Lehrer
1 Berlin 61, Möckernstr. 94-95
Tel. 18 17 69
(H.Michael)
Berlinische Reminiszenzen Band 23
156 Seiten, Pappband
DM 9,80
Karl-Heinz Kretschmer, Beamter
1 Berlin 42, Greveweg 6
Tel. 7 01 42 78
(Schriftführer)
Hans von Arnim
Werner Müller, Referendar
1 Berlin 13, Wiersichweg 2
Tel. 38 53 49
(Kurt Müller)
Prof. Dr. Gerhard Kanig, Chemiker
67 Ludwigshafen, Saarlandstr. 40
(Dr. H . Leichter)
Eva-Maria Holzhausen, Krankenschwester
1 Berlin 33, Breitenbachplatz 12
Tel. 7 69 15 28
(Vorsitzender)
Hanna Pretzsch
4 Düsseldorf-Nord, Sermer Weg 61
Tel. 42 68 84
(Frau R. Koepke)
Berlins Straßennamen
Königin Luise
Berlinische Reminiszenzen Band 24
120 Seiten, 13 Abbildungen, Pappband
DM 9,80
HAUDE & SPENERSCHE
Verlagsbuchhandlung GmbH.
Gegründet 1614
Berlin 12
227
Luise Bucher, Abt.-Leiterin
1 Berlin 41, Schildhornstr. 46
Tel. 8 21 11 94
(Frau A. Hamecher)
Maximilian Woyda, Kaufmann
1 Berlin 31, Uhlandstr. 79
Tel. 87 39 59 u. 86 12 36 (H. Hofmann)
Anschriftenänderungen:
Dr. med. Wolfgang Meyer,
8 3 Schönbrunn-Moniberg,
Am Tannenburganger 19
Dr. Eberhard Faden,
i Berlin 45, Jungfernstieg 7
Rainer Bolle, Student
7441 Neckartenzlingen, Panoramastr. 29
Tel. (07127) 588
(Schriftführer)
Dr. Hermann Fricke,
7841 Schweighof-Badenweiler,
Altensteinmatten
Emil Poredda, Kaufmann
1 Berlin 44, Liberdastr. 11
Tel. 6 87 13 79
(G. Poredda)
Dipl.-Kfm. Wolfgang Rieckhoff,
Reg.-Oberinspektor a. D., 695 Mosbach,
Dachsbaustr. 21, Tel. (06261) 45 21
Walter Ruppel, 1 Berlin 33,
Forckenbeckstr. 97, Tel. 89 94 55
Da die Herausgabe eines Mitgliederverzeichnisses bevorsteht, wird dringend gebeten, der
Geschäftsstelle alle Anschriftenänderungen,
neue Telefonanschlüsse sowie umgeschaltete
Nummern anzugeben.
Dr
' ^anbrif.le
S ^ Ä
' Kurfurstenstr. 107
Kortrad Bohnert, 1 Berlin 31, Jenaer Str. 20
Hans Joachim Wilde,
328 Bad Pyrmont, Annenstr. 19 a
! B e r l m 30
Veranstaltungen im II. Vierteljahr 1969
1. Dienstag, 15. April, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Prof. Dr. Dr. Bernhard Stasiewski, Universität Bonn, „Beiträge
zur Geschichte der Katholischen Kirche in Berlin im 19. Jahrhundert".
2. Sonnabend, 26. April, 10.30 Uhr, in 1 Berlin 33, Peter-Lenne-Str. 28-30 (Bus
A 1 und 68, U-Bahn bis Podbielskiallee), Vortrag des Herrn Dr. Hans Bernhard
Jessen „Das Wiegandhaus des Deutschen Archäologischen Institutes, ein PeterBehrends-Bau" nebst Besichtigung.
3. Dienstag, 6. Mai, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag mit Toneinlagen der Frau Rosemarie Kirwa, M. A., „Die Komische
Oper Berlin".
4. Sonnabend, 17. Mai, 15.00 Uhr, Besichtigung des Musikinstrumentenmuseums,
1 Berlin 15, Bundesallee 1, unter der Leitung von Herrn Dr. Dieter Krickeberg.
Treffen vor dem Joachimsthalschen Gymnasium. Einführung durch Herrn Prof.
Dr. Alfred Berner.
.
5. Dienstag, 10. Juni, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag
des Herrn Prof. Dr. Wilhelm Richter „Berlin als Stadt der Schulreformen (von
Karl Friedrich von Klöden bis zu Wilhelm Blume)".
6. Sonntag, 15. Juni, Sommerausflug auf die Schulfarm Insel Scharfenberg. Abfahrt
um 10.15 Uhr mit der Reederei Lahe in Tegel von der Brücke 6. Begrüßung und
Einführung durch den Leiter der Schulfarm Herrn Dr. Wolfgang Pewesin. Führung durch Herrn Dr. Reinhard Bickerich und Herrn Dipl.-Gärtner Gerhard
Kautz. Wegen der weiteren Dispositionen wird um schriftliche Anmeldung bei
Herrn Helmut Hof mann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, bis zum 31. Mai
gebeten.
Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend
geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Freitag, 25. April, 23. Mai und 20. Juni zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek
ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof.
Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, HändelaUee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße I. Beiträge sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenereche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30
228
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< MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
65. Jahrgang. Nr. 17
1. Juli 1969
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91
Vorsitzender: Prof.Dr.Dr.W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.),Händelallee 61, Ruf: 39 24 90
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 46 44 11
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
Alexander von Humboldt
geb. 14. 9. 1769 zu Berlin, gest. 6. 5. 1859 zu Berlin
(Porträtskizz« von Franz Krüger)
Alexander v. Humboldt
1769-1969
Von Prof. D r . D r . h. c. F e r d i n a n d Friedensburg
Bürgermeister a. D., Vorsitzender der Gesellschaft für Erdkunde
Zu Berlin in der Jägerstraße ist vor zweihundert Jahren am H.September 1769
Alexander v. Humboldt als Sproß einer preußischen Offiziersfamilie zur Welt gekommen und neunzig Jahre später unweit seiner Geburtsstätte, in der Oranienburger
Straße, verstorben. Er ist also ein redner Berliner gewesen, und der Verein für die
Geschichte Berlins ersdieint in der Tat berufen, ja geradezu verpfliditet, des Geburtstages feierlidi vor der öffentlidikeit zu gedenken. Hierbei vereinigt er sich mit der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, deren Gründung vor 140 Jahren auf Alexander
v. Humboldts Anregung erfolgt ist, und die sich in unserer Zeit bemüht, die von dem
hohen Vorbild geschaffene geistige Tradition in einer veränderten Welt lebendig zu
erhalten. Im Charlottenburger Schloß werden beide Vereinigungen, gemeinsam mit
dem Senat Berlins, am Geburtstage eine Gedenkstunde abhalten, die den großen Sohn
unserer Stadt würdigen soll.
Unter den deutschen Namen, die in der Welt gelten, steht derjenige Alexander v.
Humboldts in der vordersten Reihe. Kaum zu zählen sind die geographischen Begriffe,
die Städte und Landschaften, die Flüsse und Meeresströmungen, die Gebirge und einzelnen Gipfel, die in allen Erdteilen seinen Namen tragen, und anders als bei den
meisten hervorragenden Figuren der Geschichte, entzündet die Erinnerung an ihn
keinerlei Gegnerschaft, keinerlei bittere Auseinandersetzungen. So weit er seiner Umwelt in freiheitlicher und sozialer Gesinnung und in der Kühnheit seines naturwissenschaftlichen und geographischen Denkens vorauseilte, so unheimlich seine staunenswerte Universalität den gelehrten Fachkollegen erschienen sein mag, an Respekt,
Bewunderung und Dankbarkeit hat es ihm weder zu Lebzeiten noch in der späteren
Würdigung jemals gefehlt. Ein Landsmann Alexander v. Humboldts zu sein, seine
menschliche Gesinnung zu teilen, in seinen wissenschaftlichen Bahnen zu wandeln, ist
noch heute die beste Einführung für den deutschen Forscher in fremden Ländern.
Der Verein für die Geschichte Berlins und die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
erfüllen also nicht nur eine Ehrenpflicht, sondern sie leisten auch der alten Reichshauptstadt und dem zerschlagenen und bedrängten Deutschland einen Dienst, wenn
sie das Bild dieses einzigartigen Mannes am vierzehnten September in feierlicher
Stunde lebendig werden lassen.
Die Entstehung der Berliner Wasserwerke
und der Wasserleitung - eine kulturhistorische Skizze
Von Dr. Ing. (Harry) Rutz
Auch Manuskripte haben ihre Schicksale. Als unser Ehrenmitglied Karl Bullemer bei
der Übergabe des Schriftführeramtes seinen Schreibtisch revidierte, fand er den nachfolgenden Aufsatz. Aus dem Begleitschreiben geht hervor, daß er verfaßt worden ist,
als der Autor Dr. Rutz Ende der zwanziger Jahre als Regierungsbaurat in der inge230
nieurbautechnischen Abteilung des Polizeipräsidiums tätig war. Durch Berufsumstellung nach 1933 geriet die Arbeit in Vergessenheit und wurde erst wiedergefunden, als
der Verfasser 1943 „aus Luftschutzgründen" seine Wohnung aufräumte. Er stellte ihn
dem Verein „unentgeltlich zur Verfügung", jedoch zu einem Zeitpunkt, als das Erscheinen unseres Blattes, das von 1934 bis 1943 den Namen „Zeitschrift des Vereins für die
Geschichte Berlins" trug, infolge Papiermangels eingestellt werden mußte.
Zu besonderem Dank sind wir dem Direktor der Berliner Wasserwerke, Herrn Prof.
Dr.-Ing. Hünerberg, verpflichtet, der in dem anschließenden Artikel das Thema bis
in die Gegenwart weiterführen wird.
Die Schriftleitung
Wasserwerke und Wasserleitung besitzt Berlin erst seit 1856. In den Jahrhunderten
vorher waren die Berliner — und die Cöllner - in ihrer Versorgung mit Wasser auf die
Spree und auf Brunnen angewiesen. Die Erkenntnis der Bedeutung der Brunnen für
die Gesundheit der Bevölkerung und für den Feuerschutz hatte den Markgrafen zu
Brandenburg, Friedrich Wilhelm, den Großen Kurfürsten, veranlaßt, am 14. August
1660 „die Brunnen- und Gassen-Ordnung beyder Residentz- und Haupt-Städte Berlin
und Colin an der Spree" zu erlassen, nach welcher jede Beschädigung und Verunreinigung öffentlicher und privater Brunnen streng mit Gefängnis oder Pranger bestraft
wurde. Diese Ordnung galt bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.
Mit dem Wachsen der beiden Städte, durch die Zunahme der Bevölkerung und Entwicklung des Gewerbes stiegen auch die Ansprüche an das Wasser. Die Sorge um die
Erhaltung geordneter Zustände im Gemeinwesen und die Fortschritte der Technik
ließen daher im Anfang des 19. Jahrhunderts den Plan entstehen, Berlin durch den
Bau eines Wasserwerks mit fließendem Wasser in den Straßen und Häusern zu versorgen. Damals dachte man allerdings noch nicht daran, dem durch die Wasserleitung zu
liefernden Wasser eine solche Beschaffenheit zu verleihen, daß es auch unbedenklich
als Trinkwasser benutzt werden könnte, es sollte auf den Straßen zu deren Reinigung,
insbesondere zur Spülung der mit stinkendem Unrat angefüllten Rinnsteine, für
Feuerlöschzwecke und für den Hausbedarf nur als Wirtschaftswasser dienen. Die zahlreichen Entwürfe für ein solches Unternehmen gingen meist dahin, das Wasser unmittelbar dem Spreefluß zu entnehmen und durch Rohre in die Stadt zu drücken, wo es aus
Quellbrunnen auf den Straßen ständig fließen sollte.
Besonders seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden bei den Staatsund Stadtbehörden vielfache und weitläufige Erörterungen über eine Wasserleitung
gepflogen. Der Stadt Berlin, die nach Auffassung der Staatsbehörden als erste für die
Durchführung dieses Gedankens hätte eintreten müssen, fehlte jedoch die nötige Entschlußkraft, um an das Werk selbst heranzugehen oder es zu fördern. Die Mitglieder
des Gemeinderats der Stadt hatten wohl Interesse für die Sache, man debattierte auf
das Lebhafteste und stritt sich sogar schon über die Stärke der Rohre, zum Schluß
geschah aber nichts. Der Magistrat der Stadt verhielt sich besonders wegen der der
Stadt etwa entstehenden Kosten ebenso ablehnend. Als ihm der Polizeipräsident im
Jahre 1848 einen Plan zur Wasserversorgung Berlins durch einen Aquädukt vom
Wandlitz- und Liepnitzsee her empfahl, ließ der Magistrat sich dahin aus: „daß wir
uns aber nur insofern dabei beteiligen können, als uns dadurch keine Kosten erwachsen,
231
zu deren Tragung es uns ganz an Mitteln fehlen würde". Die gleiche Auffassung
kommt im Jahre 1851 durch die Äußerung eines Magistratsrates zum Ausdruck: „daß
die Kommune sich schwerlich entschließen könne, ihre Einwilligung dazu zu geben,
daß auf diese Weise im Winter das Eis auf den Straßen und damit der Aufwand für
dessen Wegschaffung vermehrt werde." Und noch Ende 1852 erkannte der damalige
Oberbürgermeister Kraussnick wohl die Zweckmäßigkeit einer Wasserleitung für
Berlin an, jedoch nicht ihre Notwendigkeit aus gesundheitlichen Gründen, da u. a. die
zahlreichen Choleraepidemien in Berlin, welche überdies stets ausnehmend milder als
in anderen Städten aufgetreten wären, weder ihre Entstehung und noch weniger ihre
Verbreitung in der Entbehrung einer Wasserversorgungsanlage gefunden hätten.
Es ist das Verdienst des Polizeipräsidenten zu Berlin, von Hinckeldey, den Bau einer
Wasserleitung trotz aller Widerstände durchgesetzt zu haben. Von Hinckeldey hatte
aus den früheren Verhandlungen seiner Amtsvorgänger mit der Stadt Berlin und auch
aus den seinigen den Eindruck gewonnen, daß städtischerseits nicht die Absicht vorlag,
sich an der Anlage eines Wasserwerks irgendwie zu beteiligen. Er versuchte daher, inländische Kapitalisten für ein Aktienunternehmen zu diesem Zweck zu gewinnen,
jedoch ohne Erfolg. Von Hinckeldey sah sich nunmehr im Auslande um, und es gelang
ihm, mehrere englische Gesellschaften für seinen Plan zu interessieren, von denen er
mit einer Londoner in nähere Verhandlungen im Jahre 1852 eintrat. Englische Technik
und englischer Unternehmergeist waren damals noch führend, wurde Berlin doch bereits von einer englischen Gesellschaft mit Gas versorgt. Während seiner Unterhandlungen mit der Londoner Gesellschaft unterließ es der Polizeipräsident aber nicht, die
Stadt Berlin selbst - gewissermaßen in letzter Stunde - für die Durchführung des
Unternehmens zu gewinnen. Die Schwerfälligkeit der Kommunalbehörde in der Behandlung der Angelegenheit, die wohl wie in früheren Jahren aus einer inneren Abneigung gegen den Plan begründet war, ließ den Abschluß des günstigen Vertrages mit
den drängenden Engländern in Frage stellen. Um nicht wieder die Verwirklichung des
für die Wohlfahrt der Einwohnerschaft als notwendig erkannten Planes scheitern zu
sehen, ging von Hinckeldey jetzt mit aller Entschlossenheit vor. Er hielt dem Handelsminister und dem Innenminister persönlich Vortrag über seine Bemühungen, Berlin
mit fließendem Wasser zu versorgen, und erreichte damit, daß König Friedrich Wilhelm IV., dem der Bau einer Wasserleitung in Berlin ein Lieblingsprojekt war, ihn am
11. Dezember 1852 beauftragte, den Vertrag mit den englischen Unternehmern Sir
Charles Fox und Mr. Thomas Rushell Crampton abzuschließen. Die endlich am
10. Dezember 1852 erklärte Bereitwilligkeit der Stadt Berlin, aus Kommunalmitteln
1 Million Taler zur Anlage eines Wasserwerkes unter bestimmten Bedingungen für die
Ausführung und spätere Verwaltung des Werks herzugeben, fand damit ihre Erledigung. Die Stadtverwaltung fühlte sich allerdings durch das schnelle Handeln des
Polizeipräsidenten verletzt, doch glaubte sich dieser als Mann der Tat nach der jahrzehntelangen Unentschlossenheit und dem neuen Zaudern der Kommunalbehörde hierzu schließlich genötigt.
Der Vertrag zwischen dem Polizeipräsidenten von Hinckeldey und den Herren
Charles Fox und Crampton wurde am 14. Dezember 1852 abgeschlossen. Letztere
übernahmen es, auf ihre alleinigen Kosten Anlagen und Einrichtungen nach den vollkommensten und am meisten erprobten Methoden auszuführen, durch die Straßen,
Gassen und Plätze der Stadt Berlin auf 25 Jahre, welche mit Rücksicht auf die Bauzeit
232
vom 1. Juli 1856 zu laufen begannen, mit fließendem Wasser versorgt werden sollten.
Für die Speisung der Wasserleitung wurde von der Regierung die Spree zur Verfügung gestellt. Das zum Sprengen der Straßen, zur Reinigung der Rinnsteine und bei
Feuersgefahr erforderliche Wasser mußten die Unternehmer unentgeltlich liefern, die
Versorgung der Einwohnerschaft mit Wasser erfolgte jedoch gegen Bezahlung. Während der Vertragsdauer war es allein den Unternehmern gestattet, die öffentlichen
Straßen, die damals noch im Eigentum des Fiskus standen, zu gleichartigen Anlagen
zu benutzen.
In London wurde die „Berlin-Water-Works Company" gebildet, die zu ihrem Generalbevollmächtigten in Berlin den Geh. Admiralitätsrat z. D. Dr. Gaebler bestellte. Das
Anlagekapital für das Unternehmen war im Vertrage zu 1 500 000 Taler angenommen
worden. Unter der Leitung des englischen Ingenieurs Henry GUI wurde der Bau im
Jahre 1853 in Angriff genommen und die Grundsteinlegung des Wasserwerksgebäudes
kurz vor dem Stralauer Tor (oberhalb der heutigen Oberbaumbrücke) am Wege nach
Stralau am 18. Oktober 1853 in Anwesenheit des Königs und des Prinzen Wilhelm
von Preußen, des späteren Kaisers Wilhelm I., feierlich begangen (Abb. 1).
Die Gewinnung des Wassers und seine Zuleitung in das Versorgungsgebiet erfolgte
nach seinem Zweck, nur als Wirtschaftswasser zu dienen, in einfachster Weise. Das
Wasser wurde am Wasserwerk Stralauer Tor aus der Spree geschöpft, in Sandfiltern
gereinigt und durch Pumpen in das Rohrsystem der Stadt gedrückt. An Hähnen wurde
es hier auf der Straße und in den Häusern gezapft. Auf dem Windmühlenberg vor
dem Prenzlauer Tor war ein kleines Wasserreservoir zur Regelung der Bedarfsschwan-
Stralauer Allee. Wasserwerk.
Gemalt von W. Knoll
Gezeichnet von Th. Dettmers
233
kungen und ein Turm mit Standrohr zum Druckausgleich errichtet worden (Abb. 2).
Der Bau der Wasserleitung konnte in dem durch den Vertrag bestimmten Zeitraum
vollendet werden, jedoch erfreute sie sich bei den Hausbesitzern zunächst keiner Beliebtheit, die ebenso wie die Kommunalbehörde der Meinung waren, daß eine derartige Anlage für Berliner Zustände keinen Wert habe. Die Hauswirte scheuten offenbar nur die Kosten, um die Wasserleitung in ihre Häuser ziehen zu lassen, auch konnten sie es wohl nicht begreifen, für - Wasser Geld zahlen zu müssen. Selbst öffentliche
Gebäude wurden nicht angeschlossen. Im März 1857 waren erst 341 Häuser, hiervon
314 Privathäuser, mit fließendem Wasser versehen. Die geringe Abnahme von Wasser
hatte zur Folge, daß aus dem Unternehmen anfänglich kein Gewinn erzielt wurde,
von dem ein Teil zum Bau einer Kanalisation, welcher Berlin noch entbehrte, zurückgelegt werden sollte. Die Aktien der Gesellschaft waren daher zu 50 "/• ihres Nominalwertes zu kaufen. Der Aufschwung trat erst ein, als die durch die Anlage geschaffene
Bequemlichkeit allgemeine Anerkennung fand, und das Wasser infolge der Filtration
auch zum Trinken benutzt werden konnte. So warfen die Dienstmädchen bei ihren
Engagementsverhandlungen die Frage auf, „ob die Wohnung auch Wasserleitung
habe?". Die Hauswirte waren dadurch gezwungen, ihre Häuser an die Wasserleitung
anzuschließen, wenn sie nicht ihre Mieter verlieren wollten. Das Stadtbild selbst
konnte durch Springbrunnen verschönert werden, von denen je einer auf dem Alexander-, Dönhoffs-, Hausvogtei- und Belle-Allianceplatz und auf dem Neuen Markt aufgestellt wurden.
Die ständig fortschreitende Entwicklung Berlins ließ die Anforderungen an die Menge
des Leitungswassers in einem Maße anwachsen, dem die Berliner Wasserwerke nicht
gerecht wurden, auch gab die Beschaffenheit des am Stralauer Tor geschöpften Wassers
zu Bedenken Anlaß, als die Besiedlung der flußaufwärts gelegenen Spreeufer zunahm.
Bürgerschaft, Magistrat und Polizeipräsidium waren sich schon Ende der 60iger Jahre
über die Verbesserungsbedürftigkeit der Wasserversorgung einig. Man hatte allgemein
eingesehen, daß die Wasserleitung nicht nur eine Sache des Luxus war. Zwar vergrößerten die Berliner Wasserwerke das Leitungsnetz im Laufe der Jahre über ihre
vertragliche Pflicht hinaus, sie verhielten sich jedoch im weiteren Ausbau, kaufmännisch
in wohl richtiger Weise, immer zurückhaltender, je näher der 1. Juli 1881 herankam,
an dem nach dem Staatsvertrage vom 14. Dezember 1852 alle ihre Anlagen gegen
Zahlung des Taxwertes dem Staate zufallen sollten. So waren allmählich in den alten
Stadtteilen die Rohrleitungen zu eng geworden, um bei dem ansteigenden Verbrauch
genügend Wasser zuleiten zu können, und schließlich, etwa seit 1867, weigerte sich die
englische Gesellschaft überhaupt, das Leitungsnetz weiter auszudehnen, so daß die
neuen Stadtteile ohne Wasserversorgung blieben.
Wieder entsprang es der Initiative eines Berliner Polizeipräsidenten, des Herrn von
Wurmb, daß die Wasserversorgung von Berlin nunmehr auch organisatorisch eine
solche Umwandlung erfuhr, durch die sie bis zum heutigen Tage allen Ansprüchen an
die Wasserbelieferung genügen konnte. Der Magistrat hielt die Beseitigung des eingetretenen Mißstandes schon für möglich, wenn die englische Gesellschaft ihren Vertragspflichten nachkam, welche er nicht voll erfüllt wähnte. Von Wurmb hingegen sah
die befriedigende und endgültige Lösung dieser für das aufstrebende Berlin so ungeheuer wichtigen Frage nur in der Betriebsübernahme der Wasserleitung durch die
Stadtverwaltung selbst. Die Auffassung des Polizeipräsidenten drang bei der Kommu234
Gemalt von W. Knoll
Wasserreservoir auf dem Windmühlenberg.
Gezeichnet von Th. Dettmers
nalbehörde durch, und, nach eingehender Prüfung aller Möglichkeiten für eine gesicherte Wasserbelieferung, entschloß sich die Stadt Berlin unter dem Oberbürgermeister Hobrecht im Jahre 1873, die Wasserversorgungsanlage der „Berlin-WaterWorks-Company" schon vor Ablauf der Vertragszeit dieser Gesellschaft für 1,25 Millionen Pfund Sterling käuflich zu erwerben, nachdem der Staat dieses ihm aus dem
Vertrage mit den englischen Unternehmern zustehende Recht der Stadtgemeinde zu
zedieren bereit war.
Die Stadt Berlin trat am 2. Januar 1874 in die Verwaltung der nunmehr städtischen
Wasserwerke ein. Zu ihrem Direktor wurde Henry GUI bestellt, der bislang der
Betriebsdirektor der englischen Gesellschaft gewesen war. Der Ausbau der Wasserversorgungsanlage wurde tatkräftig aufgenommen. Seit dem Jahre 1877 mußte neben
dem Stralauer Werk ein zweites Wasserwerk am Tegeler See betrieben werden, und,
als im Jahre 1893 das neue, am Müggelsee errichtete Werk die Wasserförderung aufnahm, konnte das alte Wasserwerk am Stralauer Tor 1894 den Betrieb für immer einstellen.
Die Geschichte der Berliner Wasserversorgung
Von Prof. D r . - I n g . K u r t Hünerberg
Wie Dr. Rutz in den vorangegangenen Ausführungen festgestellt hatte, machte das
schnelle Ansteigen des Wasserbedarfs die Erbauung neuer, großer Werke notwendig.
Nach sorgfältigen Untersuchungen und Versuchen kam man zu dem Ergebnis, daß
Havel und Spree mit ihren Grundwasserbecken eine günstige Grundlage für die
235
Wassergewinnung Berlins darstellen. Der damals errechnete Wasserbedarf führte
dazu, weitere Wassergewinnungsanlagen am Tegeler See und später am Müggelsee
zu errichten. Das Wasser sollte jedoch nicht unmittelbar den Seen, sondern aus an
deren Ufern bis in das Grundwasser abgesenkten Brunnen entnommen werden.
Dieses Wasser sollte dann ohne jede Aufbereitung durch Schöpf- und Förderpumpen
über die in der Nähe der Stadt zu errichtenden Zwischenpumpwerke in das Stadtrohrnetz gefördert werden. Die Anlagen des neuen Wasserwerks am Tegeler See
wurden jedoch so eingerichtet und bemessen, daß notfalls auch Seewasser unmittelbar
aufbereitet und gefördert werden konnte. Sie wurden in zwei Baustufen zu je
43 000 cbm Tagesleistung an verschiedenen Stellen des Tegeler Seeufers errichtet und
im September 1877 mit der ersten Ausbaustufe in Betrieb genommen, der erst im
September 1888 die zweite folgte. Gleichzeitig wurde auf dem Hochplateau von
Westend das Zwischenpumpwerk Charlottenburg mit drei Reinwasserbehältern
erstellt. Zusammen mit dem ersten Werk am Stralauer Tor konnten nunmehr täglich
103 000 cbm Wasser gefördert werden.
Schon bald nach Inbetriebnahme des Werkes Tegel ergaben sich Schwierigkeiten dadurch, daß die im Grundwasser vorhandenen Eisenalgen auch im Rohrnetz und in
den Behältern des Pumpwerks Charlottenburg in Erscheinung traten. Man erkannte
zwar die Ursache, hatte jedoch damals noch keine Mittel zur Beseitigung des hohen
Eisengehaltes - und damit der Algen - im Wasser. Die Wasserwerke sahen sich deshalb im Herbst 1883 gezwungen, von der Grundwasserförderung zur Verwendung
von Seewasser überzugehen. Nach diesen Erfahrungen wurde auch das zweite große
Wasserwerk am Müggelsee als Oberflächenwasserwerk errichtet und am 28. Oktober
1893 offiziell eröffnet. Die Gesamtkapazität erhöhte sich auf 240 000 cbm/Tag. Mit
dieser zur Verfügung stehenden Förderleistung konnte man nun auch verschiedene
Vororte in die zentrale Wasserversorgung Berlins mit einbeziehen.
Inzwischen war es gelungen, auf einfache Weise, nämlich durch intensive Belüftung
und anschließende Filterung, das Eisen aus dem Grundwasser zu entfernen. Die
Berliner Wasserwerke kehrten daraufhin wieder zur Grundwasserförderung wegen
seiner Vorzüge dem Oberflächenwasser gegenüber zurück. Diese Umstellung wurde
vor allem auch deshalb vorgenommen, weil Spree und Havel durch eingeleitete Abwasser zunehmend verunreinigt wurden. Grundwasser stand den Berliner Wasserwerken in reichlichem Maße zur Verfügung, da sich Berlin in einem günstig ausgebildeten Talzuge, dem Warschau-Berliner Urstromtal, befindet, in dem die Eisund Zwischeneiszeiten einen sandigen Untergrund verschiedener Körnung gebildet
haben. Diese Sandschichten sind ein guter Grundwasserträger und ergeben für die
Grundwassergewinnung denkbar günstige Voraussetzungen.
Während auf dem Werk Tegel die Seewasserentnahme im Oktober 1902 gänzlich
eingestellt wurde, behielt man sie auf dem Werk Friedrichshagen zum Teil bei, weil
der oberhalb des Stadtgebietes liegende Müggelsee von größeren Abwasserzuflüssen
verschont geblieben war.
In ein neues Stadium trat die Berliner Wasserversorgung durch die am 27. April 1920
erfolgte Bildung von Groß-Berlin. Eine Reihe der damit eingemeindeten früheren
Vororte hatte bereits eine eigene zentrale Wasserversorgung, die jetzt mit der AltBerliner Wasserversorgung vereinigt wurde. Der Süden Groß-Berlins wurde durch
die Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG, die sogen. „Charlotte236
Wasser", mit Wasser versorgt. Diese am 21. 8. 1878 gegründete Gesellschaft hatte
das von der Westendgesellschaft (Abb.) im Jahre 1872/1873 gebaute Wasserwerk am
Teufelssee übernommen. Begünstigt durch das schnelle Anwachsen der Vororte,
mit denen die Gesellschaft langfristige Verträge abgeschlossen hatte, erweiterten sich
Wirkungskreis und Gesdiäftsumfang. Das Versorgungsgebiet, das sich zunächst über
die Villenkolonie Westend
erstreckte, dehnte sich im
Verlauf der letzten 20 Jahre
des vorigen Jahrhunderts auf
eine größere Anzahl der im
Süden von Berlin liegenden
Vororte bis an die Tore von
Potsdam hin aus. Zu dem
Werk am Teufelssee kamen
die neugebauten Werke Beelitzhof I (1888) und II (1893/
1894), Jungfernheide (1896)
und Johannisthai (1900)
hinzu und 1913/14 noch
das Wasserwerk Tiefwerder.
1906 wurden die Werke
Teufelssee und Jungfernheide an die Stadt Charlottenburg verkauft. Die Bemühungen der Stadt, wegen
häufig mangelhafter Wasserversorgung auf die Verwaltung der „Charlotte-Wasser", deren in privaten Händen befindliches Kapital auf
60 Millionen Mark angewachsen war, Einfluß zu geEhemaliger Germania-Wasserturm der Westendwinnen, hatten jedoch jahrGesellschaft Eschen- Ecke Plantanenallee, um 1890.
(Gesprengt 1892)
zehntelang keinen Erfolg.
Nach dem ersten Weltkrieg und den Inflationsjahren nahm Berlin einen wirtschaftlichen und industriellen Aufschwung, der ein sprunghaftes Anwachsen der Bevölkerung zur Folge hatte. Dadurch erhöhte sich der Wasserbedarf, und es mußten von
den Wasserwerken in den Jahren bis 1933 Bauten im Werte von 90 Millionen Reichsmark ausgeführt werden. Die Werke wurden auf eine Jahresleistungsfähigkeit von
190 Millionen Kubikmeter gebracht, das Rohrnetz von 2700 auf 4000 km verlängert.
1937/1938 wurde in Kladow am Westufer der Havel ein neues Werk mit einer
Kapazität von 10 000 cbm/Tag gebaut.
Zu Beginn des zweiten Weltkrieges standen 13 Förderwerke für die städtisdie
Wasserversorgung zur Verfügung, nämlich Friedrichshagen (Müggelsee), Tegel, Wuhlheide, Jungfernheide, Spandau, Triftweg I und II, Stolpe, Kaulsdorf, Köpenick,
Altglienicke, Grunewald (Teufelssee) und Kladow. Daneben bestanden die Zwischen237
und Überpumpwerke Lichtenberg, Tempelhofer Berg, Kleistpark und Westend. Mit
diesen Anlagen konnten die Berliner Wasserwerke den Bedarf an Trink- und Brauchwasser in ihrem Versorgungsgebiet decken, das 64 157 ha mit etwa 3,3 Millionen Einwohnern umfaßte. Das Verteilungsnetz hatte eine Länge von 4243 km mit 116 429
Hausanschlüssen erreicht. Der Jahresbedarf war auf 175 Millionen cbm angestiegen.
Die Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG versorgten 1939 im GroßBerliner Gebiet hauptsächlich aus ihren Werken Beelitzhof, Tiefwerder und Johannisthal eine Fläche von 24 209 ha mit mehr als einer Million Einwohnern. Das Rohrnetz dieser Gesellschaft erstreckte sich in Groß-Berlin über 1690 km mit 43 968 Hausanschlüssen; die Jahresabgabe betrug damals etwas über 54 Millionen Kubikmeter.
Vor dem zweiten Weltkrieg und während desselben wurden wegen der zunehmenden
Verknappung aller benötigten Materialien Ausbau und Instandhaltung von Werken
und Rohrnetz immer schwieriger. Zudem entstanden in den letzten Kriegsjahren
durch Bombeneinwirkungen an Werken und Rohrnetz so große Schäden, daß sie nur
noch notdürftig ausgebessert werden konnten. Trotzdem gelang es, die Wasserversorgung bis auf kurze Unterbrechungen bis zum Ende der Kampfhandlungen aufrecht
zu erhalten.
Bei Kriegsende hatten die Wasserwerke durch Kriegseinwirkungen im Stadtgebiet,
auch durch Brückensprengungen, so große Verluste erlitten, daß die zentrale Wasserversorgung sowohl bei den städtischen Wasserwerken als auch bei der Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG zum Erliegen kam. Vorsorglich waren in
den letzten Monaten vor Kriegsende Tiefbrunnen und Handschwengel in den Straßen
errichtet, an denen nun die Bevölkerung in langen Schlangen anstand, um das Wasser
eimerweise zu holen.
Die Wiederingangsetzung der Versorgung stieß auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten, insbesondere bei der Beschaffung der notwendigen Materialien. Die Vorräte
in den Lagern waren zusammengeschmolzen, und die Fertigungsstätten größtenteils
zerstört. Kohle, Treibstoff und Baumaterialien waren nur noch in ganz geringem
Umfange vorhanden; außerdem fehlte es an Transportmitteln. Hinzu kam die finanzielle Lage der Berliner Wasserwerke, die durch die Blockierung sämtlicher Konten
entstand. In der Kasse der Wasserwerke befanden sich bei der ersten Bestandsaufnahme nach dem Kriege am 1. 5. 1945 85 000 Reichsmark. Das reichte bei einem
Wirtschaftsplan von mehr als 40 Millionen Reichsmark nicht einmal aus, die durchschnittlichen Geldausgaben eines einzigen Tages zu bestreiten. Materialeinkäufe und
sonstige Beschaffungen konten nur mit den allmählich wieder eingehenden Erlösen
aus dem Wasserverkauf finanziert werden. Trotzdem gelang es, die Wasserversorgung
nach und nach wieder in Gang zu setzen.
Im August 1945 wurde der seit langem angestrebte Zusammenschluß der „Berliner
Städtische Wasserwerke" mit der in Liquidation gegangenen „Charlottenburger
Wasser- und Industriewerke AG" endlich herbeigeführt, und damit die gesamte
Wasserversorgung Berlins in die Hand eines Unternehmens, nämlich der Berliner
Wasserwerke, gelegt. Aber bereits im März 1949 teilten die politischen Verhältnisse
auch die Berliner Wasserwerke bei der Spaltung Berlins wieder in zwei Teile.
Diese Trennung der Wasserversorgung brachte für den westlichen Teil der Stadt zunächst große Schwierigkeiten mit sich. Von den 16 über das ganze Stadtgebiet verteilten Wasserwerken mit einer Gesamtkapazität von 1,2 Millionen cbm'Tag standen
238
für die Versorgung West-Berlins den Berliner Wasserwerken nur 7 Werke mit einer
Gesamtkapazität von noch nicht einmal 500 000 cbm/Tag zur Verfügung, während
2,2 Millionen von den 3,3 Millionen Einwohnern Groß-Berlins in den Westsektoren
wohnten. Nach der Spaltung mußte deshalb zunächst noch etwas Wasser aus OstBerlin nach West-Berlin geliefert werden, bis im Juli 1950 eine endgültige Trennung
des Rohrnetzes an der Sektorengrenze durch Schließen der Schieber erfolgte.
Die südlichen und südöstlichen Teile der Westsektoren, besonders das dichtbesiedelte
Neukölln, das bis dahin sein Wasser von dem im Ostsektor liegenden Wasserwerk
Johannisthai bekommen hatte, konnten nun nicht mehr ausreichend versorgt werden.
Von den in West-Berlin gelegenen Werken mußte deshalb das Wasser über eine Entfernung von mehr als 25 km in teilweise inkrustierten Rohrleitungen bis nach Neukölln transportiert werden. Druckmangelerscheinungen waren die Folge. Deshalb
wurden zunächst zwei Zwischenpumpwerke mit angeschlossenen Reinwasserbehältern
1952 in Neukölln am Columbiadamm und 1953 in Marienfelde an der Buckower
Chaussee gebaut. Die Versorgung dieser Gebiete wurde später noch weiter verbessert
durch die Neulegung von mehr als 80 km Transportleitungen bis zu 1000 mm Durchmesser.
Damit aber auch bei stärkster Spitzenabnahme in den Sommermonaten der Wasserbedarf gedeckt werden konnte, mußte schnellstens an die Erweiterung der vorhandenen Wasserwerksanlagen gegangen werden; zunächst wurde 1954 die Rohwassergewinnung für das Werk Beelitzhof durch die Anlage neuer Brunnen erhöht. 1955
folgte die Inbetriebnahme des nach neuesten Gesichtspunkten erstellten Werkes Riemeisterfenn mit einer Kapazität von 20 000 cbm/Tag. Dieses in einem Landschaftsschutzgebiet gelegene Wasserwerk wurde zu drei Vierteln unterirdisch angelegt, um
das Landschaftsbild möglichst zu erhalten. 1959 wurde dann das neue Wasserwerk
Spandau in Betrieb genommen und die alten, unwirtschaftlich arbeitenden Werksanlagen abgerissen. Dabei wurde die Kapazität dieses neuen Werkes auf 90 000 cbm/
Tag erweitert. In den Sommermonaten wird hier das Reinwasser mit elektrisch angetriebenen Kreiselpumpen in das Rohrnetz gedrückt, in den Wintermonaten durch
solche mit Dieselmotorantrieb. Bei Ausfall der öffentlichen Stromversorgung steht
ein Dieselnotstromaggregat zur Verfügung, das vollautomatisch anläuft.
Parallel zu den Bauarbeiten am Wasserwerk Spandau liefen auch die Erweiterungs-,
Neu- und Umbauten an den Werken Beelitzhof und Tiefwerder, die im Frühjahr
1961 mit einer Kapazität von 250 000 bzw. 100 000 cbm/Tag in Betrieb gehen
konnten.
1961 begann auch der völlige Neubau des Wasserwerks Jungfernheide. Dieses Werk,
das seit dem Jahr 1896 bestand, hatte zunächst eine Kapazität von 65 000 cbm/Tag
und wurde mit völlig unwirtschaftlich arbeitenden Dampfanlagen, die zum Teil noch
aus dem Jahr der Gründung des Werkes stammten, betrieben. Das neue Werk, das
im Frühjahr 1964 in Betrieb ging, hat jetzt eine Tageshöchstleistung von 150000 cbm.
Auch in diesem Werk wird das Reinwasser während des Sommers mit elektrisch
angetriebenen Kreiselpumpen und in den Wintermonaten durch solche mit Dieselmotorantrieb in das Rohrnetz gedrückt.
1965 wurde mit dem Neubau des großen Wasserwerks Tegel begonnen. Die restlos
veralteten Dampfanlagen wurden durch moderne Elektrokreisel- und Dieselpumpen
in einem neuen Maschinenhaus ersetzt. Die Aufbereitung des Rohwassers geschieht
239
hier nach Inbetriebnahme des Neubaus im Herbst 1969 nicht mehr in Rieselern und
Langsamfiltern, sondern in modernen Aufbereitungsanlagen, die von einer zentralen
Schaltwarte aus gesteuert werden.
Für die nächsten Jahre ist noch weiterhin der Neubau des kleinen aus dem Jahre
1938 stammenden Werkes Kladow geplant, dessen Kapazität dabei von 14 000 auf
50 000 cbm/Tag vergrößert werden soll.
Die Spitzenleistung der Berliner Wasserwerke beträgt zur Zeit 880 000 cbm/Tag.
Nach der für die kommenden Jahre geplanten Steigerung können sie dann einen
Kopfverbrauch von mehr als 400 1 je Tag decken. Da aber einige Zweige von Gewerbe und Industrie sich selbst mit Grundwasser aus eigenen Brunnen versorgen,
kann der tatsächliche Gesamtkopfverbrauch rund 500 1 je Tag betragen.
Hand in Hand mit dem Ausbau der Werksanlagen ist auch das Rohrnetz in Berlin
(West) beträchtlich erweitert worden. So entstanden u. a. bis heute ca. 48 km neue
Transportleitungen von N W 800 bis N W 1000 zur Verbesserung des Versorgungsdruckes in einzelnen Stadtteilen. An das über 4200 km lange Rohrnetz sind heute
mehr als 125 000 Grundstücke angeschlossen. Insgesamt wurden seit dem Jahr 1949
rund 307 Millionen DM für die Erneuerung und Erweiterung der Anlagen aufgewendet.
Die in den letzten Jahren geschaffenen Erweiterungen sowohl auf dem Gebiet der
Werksneubauten als auf dem der Rohrneulegungen werden auch in Zukunft den
ständig steigenden Anforderungen der Bevölkerung West-Berlins an das Trinkwasser
jederzeit gerecht werden.
Anschrift des Verfassers: Berlin 31, Hohenzollerndamm 45
Nachrichten
Jahreshauptversammlung
Am 23. April 1969 wurde im Saal 139 des Rathauses Schöneberg die ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins für die Gesdiichte Berlins abgehalten. Der Vorsitzende, Prof. Dr.
Dr. Walter Hoffmann-Axthelm, ehrte nach der Begrüßung der Mitglieder die seit der letzten
o. Mitgliederversammlung verstorbenen Vereinsmitglieder
Prof. Dr. Bruno Kurtze, Braunschweig, Frau Eva Neumann, Berlin, Frau Dr. Dorothea
Westpbal, Berlin, Herrn Erich Alte, Rheinhausen, Frau Rumplach, Berlin, und Herrn Hans
Potratz, Berlin.
Nach der Totenehrung wurde der Tätigkeitsbericht satzungsgemäß entgegengenommen und
der Kassenbericht neben den notwendigen Erläuterungen vom Kassenwart, Obermagistratsrat
a. D. Mügel, erstattet. Der Betreuer der Bibliothek Grave trug den Bibliotheksbericht vor,
dem sich der Bericht der Kassenprüfer (Grothe und Schönknecht anstelle von Brozat) und
der Bibliotheksprüfer (Kärger und Mey) anschloß.
Nach der zügigen Erledigung der Regularien dankte Bürgermeister a. D. Rieck für das Bemühen, die Qualität der Vorträge so sichtbar zu steigern. Insbesondere galt sein Dank dem
Vorstandsmitglied Hofmann als Leiter des Veranstaltungsausschusses. Die vom Ehrenmitglied
Bullemer vorgeschlagene Erweiterung des Umfanges der „Mitteilungen" zur vermehrten
Übernahme von Vortragsberichten läßt sich gegenwärtig nidit verwirklichen. Frau Metzner
leitete eine Diskussion über die Möglichkeiten ein, in der Öffentlichkeit stärker gegen den
Abriß historischer Bauten anzugehen. Der Vorstand wurde gebeten, sich über einen Arbeitskreis für den Schutz historischer Bauten Gedanken zu machen. Gleichfalls wird der Vorstand
auf die Anregung des Bibliotheksprüfers Kärger eingehen, Herrn Grave für seine gewissenhafte Betreuung der Bibliothek, die am 2. Oktober zehn Jahre besteht, Anerkennung zu
zollen. Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm gab den Mitgliederbestand mit 492 an und bat,
auch weiterhin für die Mitgliedschaft im Verein zu werben. Nach der von Herrn Wetzel
beantragten Entlastung des Vorstands, die die Versammlung einstimmig aussprach, leitete
Bürgermeister a. D. Rieck als Alterspräsident die Wahl des Vorstandes. Der engere Vorstand
240
wurde einmütig in der folgenden Zusammensetzung wiedergewählt: Prof. Dr. Dr. Walter
Hoffmann-Axthelm,
Vorsitzender; Dr. Gerhard Kutzsch, Direktor des Landesarchivs, 1. stellv.
Vorsitzender; Kurt Pomplun, 2. stellv. Vorsitzender; Dr. H. G. Schultze-Berndt,
Schriftführer; Frau Ruth Koepke, stellv. Schriftführer; Walter Miigel, Obermagistratsrat a. D„
Schatzmeister, und Helmut Hofmann, Reg.-Amtmann, stellv. Schatzmeister. Auch die Wahl
der Beisitzer, von denen der Archivar Dr. Leichter neugewählt wurde, erfolgte einstimmig:
Dr. Konrad Kettig, Direktor der Bibliothek der Freien Universität Berlin; Walter Jarchow,
Architekt; Frau Dr. Margarete Kühn, Direktorin der Staatl. Schlösser und Gärten; Dr. Hans
Leichter, Dipl.-Chemiker; Walter G. Oschilewski, Chefredakteur; Dr. Hans Pappenheim,
Kunsthistoriker; Dr. Rainald Stromeyer, Direktor der Senatsbibliothek Berlin, und Dr.
Gerhard Zimmermann, Direktor des Geheimen Staatsarchivs.
Die gleiche Einmütigkeit herrschte bei der Wahl der beiden Kassenprüfer Grothe und
Schönknecht und der Bibliotheksprüfer Kärger (gleichzeitig Leiter des Bildarchivs des Vereins)
und Mey. Auf Vorschlag vom Schatzmeister wird der Beitrag auf 24,- DM jährlich gehalten
(Familienmitgliedschaft 12,- DM, alleiniges Abonnement der „Mitteilungen" 10,- DM).
Unternehmen, Körperschaften usw. entrichten einen Mindestjahresbeitrag von 100,- DM.
Zum Punkt „Verschiedenes" wurde der Wunsch geäußert, dem Archiv Bilder von Veranstaltungen oder allgemein Berlin-Bilder zu spenden; eine Reihe von Mitgliedern hat hierbei
schon vorbildlich gewirkt. Zur Frage einer zweckmäßigen Werbung für die Belange des
Vereins und zu dessen Veröffentlichungen wurden wertvolle Diskussionsbeiträge geleistet.
Mit einem Dank an die Mitglieder und an die Vorstandskollegen schloß Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm als Vorsitzender die Jahreshauptversammlung, die ein gutes Zeugnis ablegte
von dem Wirken des Vereins, das künftig noch stärker in die Öffentlichkeit ausstrahlen soll.
H. G. Schultze-Berndt
Festveranstaltung anläßlich des 10jährigen Bestehens
der „Historischen Kommission zu Berlin"
Vor 10 Jahren nahm die „Historische Kommission zu Berlin" als Nachfolgerin der bei Kriegsende aufgelösten „Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin" mit einem traditionsreichen Erbe aus der Geschichte Berlins sowie mit
einem weitgesteckten Zukunftsprogramm ihre Arbeit auf. In einer Festsitzung in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses gab am 13. April 1969 Prof. Dr. Hans Herzfeld als
Vorsitzender der Öffentlichkeit Rechenschaft über die im vergangenen Jahrzehnt im Dienst
der deutschen Geschichtswissenschaft geleistete Arbeit. Hauptaufgaben seien die Quellenforschung sowie die Veröffentlichung von Darstellungen und Untersuchungen geschichtlicher
Vorgänge und Erscheinungen, die thematisch Berlin und sein brandenburgisch-preußisches
Umland im engeren und weiteren Sinne berühren, seien es Persönlichkeiten, Landschaften,
Körperschaften, Epochen, Zentren oder Teilbereiche kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen
Lebens. Von Anbeginn habe man sich nicht nur auf die politische Geschichte beschränkt,
sondern stets besonderen Wert darauf gelegt, auch soziale und wirtschaftliche Aspekte in die
wissenschaftliche Arbeit einzubeziehen. 80 Publikationen und Editionen von monographischen,
biographischen, bibliographischen und kartographischen Arbeiten seien das stolze Ergebnis der
im vergangenen Jahrzehnt geleisteten Arbeit, die sich mehrfach umfangreicher gestaltete als
geplant. Wohl sei das in den vergangenen Jahren gesteckte Ziel, die Historische Kommission
zu einem Berliner Kulturzentrum auszubauen, noch in weiter Ferne, doch wäre dank der
Stiftung Volkswagenwerk das Konsulationsprogramm für mehrere Jahre gesichert, das ausländische Gelehrte mit ihren Familien für längere Dauer zum Wissensaustausch und zur Vollendung ihrer Studien, die in die wissenschaftlichen Aufgabengebiete der Historischen Kommission fallen, nach Berlin einzuladen gestattete.
Prof. Herzfeld dankte den Vertretern des Abgeordnetenhauses von Berlin, dem Senator für
Wissenschaft und Kunst, dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, dem Bundesminister
für wissenschaftliche Forschung, der Deutschen Klassenlotterie, der Ernst-Reuter-Gesellschaft,
der Stiftung Volkswagenwerk und ganz besonders der Deutschen Forschungsgemeinschaft für
die finanzielle Förderung der Historischen Kommission. Schulsenator Evers würdigte in Vertretung des Senators für Wissenschaft und Kunst den großen Erfolg der während des ersten
Jahrzehnts ihres Bestehens geleisteten wissenschaftlichen Arbeiten. Prof. Dr. Lieber, der Prorektor der Freien Universität, nannte die ideale Zusammenarbeit zwischen der Historischen
Kommission und dem Friedrich-Meinecke-Institut als ein hervorragendes Beispiel für die
Zusammenarbeit außeruniversitärer Forschungsinstitute und der Universität. Prof. Dr. Dr.
Hoffmann-Axthelm
überbrachte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Berlins zugleich im Namen der Landesgeschichtlichen Vereinigung sowie des Vereins
für Geschichte der Mark Brandenburg die Glückwünsche der der „Historischen Kommission zu
Berlin" in gleicher Zielsetzung so eng verbundenen Berliner historischen Vereine. Zimmermann
241
Von unseren Mitgliedern:
Dr. med. Otto Winkelmann habilitierte sich für das Fach Geschichte der Medizin und wurde
am 12. 12. 1968 zum Privatdozenten an der Freien Universität ernannt.
*
Dr. phil. Konrad Kettig wurde mit Wirkung vom 12. März 1969 zum Honorarprofessor der
Freien Universität ernannt.
*
Der frühere stellvertretende Schriftführer des Vereins, Chefredakteur i. R. Erich Borkenhagen,
ehemaliger Leiter der Verlagsabteilung der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin
(VLB), ist mit der Goldenen Delbrück-Denkmünze ausgezeichnet worden. In der Verleihungsurkunde heißt es, daß ihm diese hohe Ehrung in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste um eine verantwortungsbewußte Publizistik im Braugewerbe und seines maßgeblichen
Anteils an der Entwicklung der Zeitschriften der VLB sowie in Würdigung seiner Initiative
und Arbeit auf brauhistorischem Gebiet zuteil geworden ist.
Die Herren Apotheker Dr. Joachim Härtel, Günter Poredda und Werner Teschke spendeten
für unseren Bibliotheks- und Versammlungsraum im Ernst-Reuter-Haus einen fabrikneuen
Kühlschrank, wofür ihnen herzlich gedankt sei.
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Frau Lucia Winter und Frau Elise Runge, zum 75. Geburtstag
Herrn Dr. Erich Hertel, Frau Elise Lemke, Herrn Rudolf Adrian Dietrich und zum 80. Geburtstag Herrn Hans Wetzel.
*
In Ergänzung der Aufstellung in Heft 16 teilen wir mit, daß auch unser Jahrbuch „Der Bär"
von 1951 zum Preise von 4,80 DM noch zu haben ist.
Buchbesprechungen
Heinz-Georg Klös: Von der Menagerie zum Tierparadies. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung G m b H , Berlin 12, 1969. 320 Seiten, 39 vierfarbige und 390 einfarbige Abbildungen.
Leinen 29,80 DM.
Der Referent ist zwar nicht, wie es auf den Käfigschildern heißt, „im Garten geboren", doch
hat er schon vom Kinderwagen aus seine ersten Tierbekanntschaften im Zoo geschlossen,
später wurde er dann, die Aktienkarte mit Strippe um den Hals gebunden, allein durchs damals noch offene Bärentor gesteckt. So wurde er beinahe sentimental beim Studium dieses
prächtig ausgestatteten Werkes, denn die neuen Tierhäuser mögen praktischer und den Insassen zuträglicher sein, schöner waren doch die alten Tempel und Moscheen.
Wie der Titel sagt, ist das Buch eine Historie der Tierhaltung in Berlin, die uns vom 15. Jahrhundert, vom Jagdgarten Johann Ciceros bis zur Zukunftsvision des Delphinarium führt. Wir
freuen uns, auch zwei Vereinsmitglieder erwähnt zu finden: unseren einstigen langjährigen
Vorsitzenden Richard Beringuier mit seiner 1877 erschienenen, wohl ersten Zoo-Chronik, und
unseren stellvertretenden Vorsitzenden Kurt Pomplun als historischen Berater.
Das Werk ist kein Geschichtenbuch, sondern ein Geschichtsbuch des Zoos, eingeteilt, wenn wir
von der Anamnese absehen, nach der Wirkungszeit der einzelnen Zoodirektoren, vom Initiator
Lichtenstein vor 125 Jahren bis zum Autor Klös. Es folgt der Bericht über die Aquarien Unter
den Linden und in der Budapester Straße. Der Verlag hat nichts gespart: 390 einfarbige, meist
zeitgenössische Abbildungen lassen uns die Entwicklung auch optisch miterleben, dazu geben
39 prachtvolle Farbaufnahmen ausgesuchte Exemplare des gegenwärtigen Tierbestandes wieder, dessen Vielfalt um so mehr beeindruckt, wenn wir zuvor die erschütternden Bilder nach
den Bombennächten von 1943 betrachtet haben.
Wer unseren Berliner Zoo liebt, wird dieses vorwiegend historisch aufgefaßte, sorgfältig zusammengestellte Buch besitzen wollen.
W.
Hoffmann-Axthelm
Wolf gang Scheffler: Berliner Goldschmiede. Daten - Werke - Zeichen. Verlag Bruno Hessling,
Berlin 1968. X X I I , 647 S., 137 Abb. Lwd. 182,- DM.
Wer sich bisher mit der Geschichte der Berliner Goldschmiedezunft beschäftigen wollte, war
- abgesehen von dem wertvollen Bestand geretteter Innungsarchivalien - auf das grundlegende Werk von Friedrich Sarre (1895) und auf einige bescheidene Festschriftartikel zwischen 1925 und 1955 angewiesen. Reichte Sarres Darstellung nur bis zum Jahre 1800, so
räumte auf der anderen Seite Marc Rosenberg in seinem Standardwerk „Der Goldschmiede
242
Merkzeichen" (3. Aufl. 1922) den Berliner Meistern nur einen kleinen Platz ein. Diese Lücken
sucht Schefjler mit seiner Arbeit, die er unserem Verein gewidmet hat, jetzt weitgehend zu
füllen. Der frühere Oberkustos am Berliner Kunstgewerbemuseum hat in jahrelanger und
mühevoller Kleinarbeit ein Werk geschaffen, das die bisherigen in umfassender Weise ergänzt
und erweitert. Über 3000 Namen von Goldschmieden, Münzmeistern, Steinschneidern, Graveuren, Petschierstechern, Bernstein- und Perlmuttarbeitern sind für die Zeit von 1463 bis
zur 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgeführt, durch Angaben aus Kirchen-, Bürger- und
Adreßbüchern vervollständigt und mit einer Liste sowohl der Lehrlinge wie auch der ermittelten Gold- und Silberarbeiten versehen. Sogar dem Verbleib dieser Stücke (Besitzer bzw.
Auktion) ist der Autor mit großer Sorgfalt nachgegangen. Hinzu kommen die Meister-,
Firmen- und Beschauzeichen, die in übersichtlicher Form separat zusammengestellt wurden.
Der Abbildungsteil ist unaufdringlich und dabei in seiner Vielfalt repräsentativ für die einzelnen Stilepochen und ihre namhaftesten Vertreter.
Schefflers Werk ist ein reines Handbuch. Das muß betont werden, da mancher über den
fehlenden historischen Kommentar wohl enttäuscht sein dürfte. So sehr das Bedürfnis nach
einer Darstellung der Geschichte des Goldschmiedewerks seit 1800 weiterhin besteht (worauf
auch Gerhard Gruschke-Eichendorff von der Innung in Ost-Berlin vor kurzem nachdrücklich
hinwies), so lag dieses Vorhaben doch außerhalb der Planung Schefflers, dem es nur auf das
lexikalische Erfassen der Namen und auf deren kurze biographische Skizzierung ankam.
Selbst die berühmten Vertreter der Zunft wie Männlich, Lieberkühn, Jordan, Reclam, Hossauer,
Wilm u. a., die sich der besonderen landesherrlichen Gunst erfreuten, werden nur mit knappen
äußeren Daten versehen. Die hierbei gewählte chronologische Reihenfolge der Namen ist
konsequent eingehalten und als Ordnungsprinzip unbedenklich, da sie durch einen sehr guten
Index erschlossen wird. Überhaupt ist die technische Gestaltung des Buches hervorragend, was
sich auch auf seine Handlichkeit und leichte Benutzbarkeit auswirkt.
Neben diesem positiven äußeren Erscheinungsbild gibt es jedoch eine Anzahl philologischer
Mängel, die dem wissenschaftlichen Charakter des Werkes schlecht anstehen. So sind dem
Verfasser bei der Auswertung des wichtigsten Originaldokuments, der Gründungsurkunde von
1555, zwei gravierende Fehler unterlaufen, die zweifellos auf quellenkritischer Nachlässigkeit
beruhen.
Einmal ist die Behauptung, die Urkunde sei „nicht unversehrt erhalten" (S. XII), keineswegs
zutreffend, da die aufgeklebten Siegel und Unterschriften in dieser Form sehr wohl zur
Originalausfertigung gehören; die Abweichung im Unterschriftsschema auf dem entsprechenden Faksimile bei Sarre hat lediglich drucktechnische Gründe, wie sich anhand des Originals
leicht nachweisen läßt. Zum anderen vermag Scheffler den Nachnamen des Meisters Nicklauß L.
( = Lyerch, Nr. 29) nicht zu identifizieren, löst ihn aber fälschlich als zusätzlichen Vornamen
„Jörch" des unmittelbar folgenden Meisters Bartel Virvitz (Nr. 33) auf, obwohl die Schreibung eindeutig ist und die Siegelinitialien dabeistehen!,
Bei der oft erwähnten, nicht minder wichtigen „Neujahrsadresse" von 1748 fehlt das Wesentliche: daß es sich um einen Neujahrswunsch des Amtsboten / . F. Gothe handelt, der mit einem
langen Gedicht seinen Brotgebern - nämlich den genannten 103 Goldschmiedemeistern - einen
etwas ungewöhnlichen Dank abstatten wollte. Das Literaturverzeichnis ist unvollständig (u. a.
fehlt die Festschrift 1930); die Zitierweise sowohl der Literatur wie auch der Quellen ist
durchweg unwissenschaftlich und damit stark verschwommen, weil die originale Schreibweise
der Quellen unterschiedslos in den laufenden Text einbezogen und somit im Aussagewert
erheblich herabgesetzt wird. Der Leser wird mit einer Fülle alter Namen und Begriffe konfrontiert, mit denen er nichts anfangen kann und deren Erläuterung bzw. Auflösung sinnvoller gewesen wäre als das Beharren auf einer altertümlichen Orthographie. Es ist schade,
daß ein so materialreiches und wichtiges Buch von der Konzeption her nicht allen Anforderungen zu genügen vermag.
P. Letkemann
Berlin in Photographien des 19. Jahrhunderts. Herausgegeben von Friedrich Terveen. Rembrandt Verlag Berlin 1968. 78 Seiten. 22,80 DM.
Das vorliegende Buch hat sich das doppelte Ziel gesteckt, das Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der ersten Jahre nach 1900 in hervorragenden Photographien und Bildausschnitten in die Erinnerung zurückzurufen und anhand des photographischen Werks von
Waldemar Franz Hermann Titzenthaler (1869-1937) die künstlerische Ader dieses Mannes
und die technischen Möglichkeiten des damaligen Lichtbildes aufzuzeigen. Der Leiter der
Archivabteilung in der Landesbildstelle beim Presse- und Informationsamt Berlin, Dr. F. Terveen, hat sich dazu die Mühe gemacht, die Entwicklung der Photographie von der Daguerreotypie bis zum Trockenplattenverfahren, das Titzenthaler anwendet, zu skizzieren und die aus
Titzenthalers Nachlaß in der Landesbildstelle Berlin ausgewählten Motive zu kommentieren
und auf die heutige Zeit zu beziehen. Daß ihm dabei neben anderen der Irrtum unterlaufen
ist, daß (S. 10) die Schienen nicht für die erste Pferdebahn am Mühlendamm um 1865 verlegt,
243
sondern die Geleise 1886 entfernt wurden, hat unser Vorstandsmitglied Kurt Pomplun bereits
aufgedeckt.
Nur die älteren Berliner werden noch eine lebendige Erinnerung an die Kaiserzeit haben.
Allen anderen aber zeigt der vorliegende Bilderband, welchem Wechsel das Geschick einer
Stadt unterworfen ist und wie wichtig es erscheint, sich mit der Geschichte der eigenen Stadt
zu beschäftigen. Wer hätte beispielsweise gewußt, daß in Berlin zwischen 1840 und 1860 bereits über 200 Berufsphotographen gearbeitet haben? Nach dem Amtlichen Fernsprechbranchenbuch werden für das Jahr 1968/69 204 Photographen in diesem Teil unserer Stadt registriert.
H. G. Schultze-Berndt
Kurt Pierson: Dampfzüge auf Berlins Stadt- und Ringbahn. Vergangenheit und Gegenwart
Berlins im Spiegel seiner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen. 108 Seiten, 34 Textabbildungen
und 72 Fotos auf 28 Kunstdrucktafeln. Frankhsche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1969.
16,80 DM.
Kurt Pierson, Dampfbahn-Enthusiast und versierter Kenner des Metiers, war laut Vorwort
bestrebt, die Abhandlung über die Dampflokomotiven „des abstrakten Charakters zu entkleiden, der früheren Veröffentlichungen über dies Thema anhaftete". Vor dem interessierten
Leser lebt die einzigartige Sphäre der Dampfbetriebs-Ära wieder auf, so wie sie in Berlin
einst Wirklichkeit war. Pierson läßt eine lange Reihe von Dampflokomotiven auffahren, weiß
zu sagen, wann zur Jungfern- und wann zur Henkersfahrt gestartet wurde, nennt Vor- und
Nachteile der Konstruktionen, bringt Gleispläne und Tabellen mit genauen technischen Angaben und würzt den Text des Buches mit einer Auswahl erstklassiger, teils seltener Fotos aus
dem alten Berliner Bahnbereich. Mit erhobenem Zeigefinger deute ich indessen auf einige Angaben hin, die sich als nicht hieb- und stichfest erweisen: Bhf. Gesundbrunnen gehörte nicht
zur alten Berlin-Stettiner Bahn, sondern war Ringbahnstation (S. 17), Bhf. Wilmersdorf heißt
schon seit Beginn des 3. Reiches Berlin-Wilmersdorf (S. 18). Ein Verbindungsweg für Fußgänger vom Bhf. Kolonnenstraße nach dem Potsdamer Bhf. (!) (S. 25) hätte einen halbstündigen Fußmarsch bedeutet, ich bezweifle, ob ein Gang in dieser Form jemals bestanden hat.
Pierson verlegt den Personenverkehr der Ringbahn durchgehend auf das innere und den Güterverkehr auf das äußere Gleispaar des viergleisigen Bahnkörpers (S. 25). Diese Verteilung traf
nur zu für den südlichen Teil der Ringbahn, auf dem nördlichen Abschnitt verkehrten die
Personenzüge auf den äußeren, die Güterzüge aber auf den inneren Gleisen. Ringbahnhof
Treptow wurde nicht erst 1896 (S. 37), sondern schon 1875 eröffnet, der auf S. 26 befindliche
Gleisplan stammt nicht aus dem Jahre 1888, sondern zeigt den Stand von 1896 und die Haltestelle Steglitz der Berlin-Potsdamer Eisenbahn wurde nicht erst 1869 (S. 46), sondern schon
1864 eröffnet, nachdem schon vom Jahre 1839 ab eine Haltestelle Steglitz vorübergehend
bestanden hatte. Von Seite 100 ab sinkt die Stimmung Piersons auf den Nullpunkt, denn nun
wird offenbar, daß die Tage des Dampfbetriebes gezählt sind. Die Elektrifizierung der Berliner
Stadt-, Ring- und Vorortbahn wird eingeleitet. Ich fasse zusammen: das lesenswerte Piersonsche Lok-Buch interessiert und begeistert nicht nur den Eisenbahnfreund, sondern verwandelt
auch bisher abseitsstehende Mitbürger in verspätete Dampfbahnromantiker. Ein willkommener Beitrag zur Berliner Verkehrsgeschichte.
Hans Schiller
Klaus Katzur: „Berlins Straßennamen". Berlinische Reminiszenzen Band 23. Haude & S'
nersche Verlagsbuchhandlung Berlin. 156 Seiten, Pappband 9,80 DM.
Die Ergänzung des Namens durch persönliche Daten des Namensgebers wird von der Senatsverwaltung schon seit geraumer Zeit praktiziert und sicherlich auch weiterhin beibehalten. In
dem vorliegenden Band wird nun eine übersichtliche und umfassende Deutung von etwa
2400 in Frage kommenden Namen aus beiden Teilen Berlins vorgelegt. Die meisten dieser
Personen-Straßennamen stammen aus der Zeit nach 1813. Zuvor waren es fast nur lokale
und richtungsanzeigende Bezeichnungen gewesen. Die Ehrung von Persönlichkeiten auf diese
Art und Weise hat sich bis in unsere Zeit erhalten, ja sogar wesentlich erweitert.
Wie kaum zu vermeiden, zeigt der Streifzug durch die alphabetisch geordneten Namenskolonnen einige Ungenauigkeiten, die zweifellos in einer späteren Auflage berichtigt werden
dürften. Es mag dies auf die Tatsache zurückzuführen sein, daß sich, infolge Aktenverlustes,
die eine oder andere Quelle als nicht zweifelsfrei erweist. Nun erhebt dieser Band auch nicht
den Anspruch auf Vollständigkeit, wie es ausdrücklich im Vorwort heißt, und er kann es auch
nicht. Trotzdem ist dieses Verzeichnis zu begrüßen, denn es ist nicht nur als Nachschlagewerk
für den Berlin Durchforschenden interessant und notwendig, sondern es zeichnet auch ein Abbild unserer Stadt und seiner Bewohner.
Die Einleitung informiert kurz über die üblichen Bräuche und Grundsätze, nach denen die
Namensgebung vollzogen wurde.
Klaus P. Mader
244
Werner Mittelbach: Märkische Märchen, wie sie in der Umgebung Berlins erzählt wurden.
Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH., Berlin 1968. 111 Seiten und 8 Federzeichnungen. DM 9,80 (Berlinische Reminiszenzen, Bd. 20).
Der Verfasser hat hier altes Märchengut zusammengestellt, wie es seit dem frühen 19. Jahrhundert von verschiedenen Sammlern aufgezeichnet wurde und teilweise nur noch fragmentarisch erhalten ist. Hauptsächlich sind es Havelmärchen, die um Potsdam herum entstanden
sind. Im Mittelpunkt steht der Gewittersturmgott und wandernde Müller aus Potsdam, Pumpan und sein Geschlecht. Pumpan ist eine Art Till Eulenspiegel, der von Spaßen lebt und
seine reichere Umwelt gern betrügt. Von Pumpans Urgroßvater erzählt ein Märchen, daß er
nachts an den Glienicker Berg ging und drei Rabenfedern in die Luft warf. Bei dem darauf
losbrechenden Sturm brauste der Griebnitzsee so hoch, daß seine Wellen zwischen dem Babelsberge und dem Glienicker Werder durchbrachen und in die Havel stürzten. So sei der Durchbruch vom Griebnitzsee in die Havel entstanden.
Neben den „Wichtelmännchen im Babelsberg" werden dem Leser die „Wunsch-Else", eine
Tochter einer Fischersfrau aus Caputh, der „Nix vom Schwielowsee" wie die „Waldfrau am
Schwielow" vorgeführt. Dazu kommen der „Graul" als Nebelgeist und der „Seekönig von der
Havel bei Sakrow", um nur einige zu nennen.
Für die Wiederbelebung dieses heimatlichen, in so ansprechender Form dargebotenen Märchenstoffes gebührt dem Verfasser Dank. Die acht Federzeichnungen stammen von dem jungen
Berliner Künstler Hans-Joachim Zeidler. Eine Karte zeigt das Gebiet, in dem die Märchen
spielen.
/ . Lachmann
„Aus dem märkischen Sagenschatz". Eine Auswahl von Sagen und sagenhaften Geschichten.
Neubearbeitete 2. Ausgabe von Wilhelm Tessendorff (t). Herausgegeben von Karl Malbranc.
Alfred Paetz Verlag, Berlin 1969. 86 Seiten mit 15 Zeichnungen und eine mehrfarbige Klappkarte, broschiert 4,80 DM.
Das vorliegende Bändchen, herausgegeben von einem ausgesprochenen Schulbuchverlag und
vom Hauptschulamt als Unterrichtsmittel freigegeben und befürwortet, unterscheidet sich in
Aufmachung, Preis und Inhalt wesentlich von den in letzter Zeit erschienenen Ausgaben anderer Verlage.
Der Preis und damit auch die Ausstattung passen sich dem Geldbeutel der jüngeren Käuferschicht an.
Der Inhalt, aufgeteilt in zwölf Hauptabschnitte - die Aufteilung erfolgte hier nach subjektiven Gesichtspunkten - umfaßt nicht nur Sagen aus der unmittelbaren Umgegend, sondern
auch solche aus dem Ostoderland, dem Fläming und der Niederlausitz. Natürlich sind Rückgriffe auf bewährte Ausgaben wie die von Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz gemacht
worden.
Die eingestreuten Zeichnungen und Vignetten sowie die Klappkarte am Ende des Buches entsprechen ganz den schulischen Bedürfnissen und sind teilweise von einer sehr schlichten Naivität. Auch die Erläuterungen sind auf schulische Anforderungen abgestimmt.
Ein Buch also, das auf Grund dieser Tatsachen sein Publikum in den Schulen finden muß und
auch finden wird.
Klaus P, Mader
Brunhilde Dähn, Berlin Hausvogteiplatz. 249 Seiten. Göttingen 1968.
Einen wertvollen Beitrag zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Hauptstadt bietet
B. Dähns Buch über den Hausvogteiplatz. Er ist seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts das
Zentrum der Massenherstellung praktischer, billiger Fertigkleidung, mit der sich Berlin die
zweitgrößte seiner Industrien und weltweite Handelsbeziehungen schuf. Erst mit der „Arisierung" der überwiegend von jüdischen Familien getragenen großen Firmen (Manheimer,
Gerson, Israel u. a.) kamen nach 1933 Risse in das feste Gefüge. Details mannigfaltiger Natur,
Exzerpte aus der einschlägigen Belletristik und seltene Bilder machen das Buch sehr farbig.
Zwei Kapitel sind der sozialen Frage gewidmet - diese kardinalen Probleme der Zeit allerdings hätte die Verfasserin viel kräftiger akzentuieren sollen.
G. Kutzsch
„Zeitvertreib. Zehn Kapitel Berliner Kulturgeschichte" von Walter Stengel. Walter de Gruyter
& Co., Berlin 1969. 112 Seiten mit 79 Abbildungen. Ganzleinen DM 32,-.
Dieses Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes ein kultureller Zeitvertreib, äußerst amüsant
geschrieben und von einer unglaublichen Fülle an Informationen. Versteht man sonst unter
einem populärwissenschaftlichen Werk die anschaulich vereinfachte Wiedergabe eines schwierigen Themas, so wird hier mit größter Genauigkeit betrachtet, wie, wo und womit sich der
Berliner schlechthin die Zeit vertrieb und was populär war. So liest man z. B. in den einzelnen
Kapiteln von den Maskeraden bei Hofe, der Hauskatze Lessings, die das Nathan-Manuskript
beschmutzte, von Schleiermachers Schachpartie auf der Landpfarrei, Fontanes Ballspielereien
245
während seiner Arbeitspausen, die dann im „Stechlin" auch eine der weiblichen Hauptpersonen
ausübt.
Dem Kartenspiel, dem sich auch Goethe nicht verschließen konnte, dem Gartenschmuck und
der Wachsfigurenerotik sind weitere Kapitel gewidmet, ebenso wie sich ein Kapitel mit Tierliebhabereien befaßt. Letzterem werden vor allem Ornithologen große Aufmerksamkeit schenken, berichtet es u. a. doch von den an Spießen gebratenen Leipziger Lerchen, einer Delikatesse,
auf die auch Friedrich der Große im Feld nicht verzichten wollte.
Der Autor Walter Stengel war von 1925 bis 1953 Direktor des Märkischen Museums Berlin.
Seine handschriftlichen Auszüge aus preußischen Archivalien stellte er noch selbst mit Akribie
für dieses Buch zusammen. Die Illustrationen, gut reproduziert und sich dem typografisch großzügig gestalteten Textteil einordnend, stammen ausschließlich von Objekten der Westberliner
Museen. Somit ist die Möglichkeit gegeben, die Originale bei nächster Gelegenheit in natura
zu betrachten. Ein Plus für das Buch und seinen Verlag, genau wie das umfangreiche Literaturverzeichnis, das den Leser in die Lage versetzt, seine Studien zu vertiefen.
Klaus P. Mader
Walter Krumholz: Berlin-ABC unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Oskar Kruss, Richard
Höpfner u. a. Herausgegeben im Auftrage des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin. Berlin 1968. 798 Seiten.
Von den meisten offiziösen Nachschlagewerken ist man froh, wenn man sie an einem sicheren
Ort in einer öffentlichen Bibliothek weiß, wo man sie bei Bedarf einsehen kann. Zu den wenigen Werken, die man nach Konzeption, Inhalt und Ausstattung gern selbst sein eigen nennen
möchte, gehört das jetzt in der zweiten Auflage vorliegende Berlin-ABC. Es unterrichtet, gestützt auf sehr gründliche Literaturstudien, in Stichworten über alle Fragen, die in Berlin von
öffentlichem Belang sind. Dabei wurde auch das Wissenswerte aus Ost-Berlin miteinbezogen,
obwohl das „Statistische Jahrbuch der Hauptstadt der DDR" nach 1963 nicht mehr erschienen
ist und Presseverlautbarungen häufig widersprüchlich sind. Wegen der unterschiedlichen Erhebungsmethoden sind die Daten aus dem Westen und aus dem Osten der Stadt nur bedingt
vergleichbar.
Walter Krumholz konnte sich auf eine Reihe gut informierter Mitarbeiter stützen, darunter
auf das Vorstandsmitglied unseres Vereins Kurt Pomplun. Da der 31. 12. 1966 als Redaktionsschluß vorgesehen war, konnten Angaben aus dem Jahre 1967 nur im beschränktem Umfang
berücksichtigt werden. Insofern sucht man vergeblich nach neueren Abkürzungen und Bezeichnungen. Merkwürdigerweise ist im Personenverzeichnis Propst Heinrich Gräber nicht aufgeführt, nach dem in beiden Teilen der Stadt je ein Gebäude der evangelischen Kirchenarbeit
benannt worden war.
Wer mehr über den Verein für die Geschichte Berlins und sein Jahrbuch „Der Bär von Berlin"
erfahren will, schlage an den entsprechenden Stellen nach. Weitere Stichproben erwiesen die
weitgehende Vollständigkeit und die sachliche Genauigkeit des Berlin-ABCs, etwa zum Stichwort Institut für Gärungsgewerbe (inzwischen allerdings Institut für Gärungsgewerbe und
Biotechnologie).
Register und Verweisungen bei den einzelnen Begriffen machen das Arbeiten, ja Lesen des
Buches leicht. In seiner gediegenen Ausstattung wird es auch so lange benutzbar bleiben, bis
eine dritte Auflage nötig geworden ist. Das Berlin-ABC sollte weiteste Verbreitung finden.
H. G. Schultze-Berndt
Im II. Vierteljahr haben sich folgende Damen, Herren
und Institutionen zur Aufnahme gemeldet:
Dr. Klaus-Peter Schulz, Arzt und Schriftsteller, MdB
1 Berlin 19, Eichkampstr. 16
Tel. 302 69 43
(W. Mügel)
Sabine Waringer, Bibliotheksangestellte
1 Berlin 42, Röblingstr. 33
(K. Grave)
Ludwig Schmidt, Oberstudienrat
1 Berlin 10, Fritschestr. 73
Tel. 34 75 68
(E. Holzhausen)
Dr. Fritz Heinz Witt, Verbandsdirektor a. D.
5 Köln-Ehrenfeld, Ehrenfeldgürtel 171
Tel. 51 11 73
(Vorsitzender)
246
Annemarie Mentzel, Verw.-Angestellte
1 Berlin 30, Winterfeldtstr. 59
Tel. 26 16 55
(Schriftführer)
Willy Strach, Bankkaufmann i. R.
1 Berlin 19, Gotha-Allee 23
Tel. 304 80 36
(U. Brunsing)
Fritz Max Tübke, Fabrikant
1 Berlin 19, Hessenallee 12
Tel. 304 42 26
(W. Mügel)
Wilhelm Weick, Kunst- und Antiquitätenhändler
1 Berlin 30, Eisenaeher Str. 10
Tel. 24 75 00
(Schriftführer)
Theodora von der Bank
1 Berlin 31, Mansfeider Str. 47a
Tel. 86 33 88
(Schriftführer)
Eva Tramme, Verw.-Angestellte
1 Berlin 62, Gotenstr. 81
Tel. 71 63 81
(I. Hemmers)
Neu bei Haude & Spener
Friedrich Zastrow, Verw.-Angestellter
1 Berlin 37, Deisterpfad 2
(K. Müller)
Heinz Thieme, Vorarbeiter
1 Berlin 21, Gotzkowskystr. 31
(W. Mügel)
Helene Danke, Lehrerin i. R.
1 Berlin 10, Bonhoefferufer 16
Tel. 301 17 69
(H. Hofmann)
Franz Amrehn, Rechtsanwalt und Notar
1 Berlin 37, Berliner Str. 99
Tel. 76 23 14
(Schriftführer)
Dr. Wiegand Hennicke, Bankdirektor
1 Berlin 37, Leo-Baeck-Str. 8
Tel. 80 21 69
(A. Hamecher)
Heinz-Georg Klos
Karl Neufert, Glasermeister
1 Berlin 41, Schnackenburgstr. 10
Tel. 83 87 57
(Vorsitzender)
Von der Menagerie zum Tierparadies
Feuersozietät Berlin, Vorstand
1 Berlin 30, Am Karlsbad 4-5
Tel. 13 03 11
(Schriftführer)
320 Seiten, 39 vierfarbige und 390 einfarbige Abbildungen, Leinen
DM 29,80
Prof. Dr. Dr. h. c. Ferdinand Friedensburg,
Bürgermeister a. D.
1 Berlin 33, Königin-Luise-Str. 5
Tel. 76 10 33
(Vorsitzender)
Festschrift und Chronik zugleich, ist dieses Buch ein schönes Geschenk für die
Freunde des Berliner Zoos und für alle
Tierfreunde überhaupt.
125 Jahre Zoo Berlin
Werner Sohns, Industrie-Kaufmann
1 Berlin 45, Unter den Eichen 53
Tel. 76 37 53
(H.-J. Mey)
Eva-M. Henning, Dipl.-Kosmetikerin
und Sekretärin
1 Berlin 41, Albrechtstr. 123
(A. Hamecher)
Dr. Gerhard Leutke, Zahnarzt,
Kammerpräsident a. D.
1 Berlin 45, Ostpreußendamm 70a
Tel. 73 56 64
(Vorsitzender)
Gemäldegalerie Berlin
Kunstwerke aus den Staatlichen Museen
Preußischer Kulturbesitz, Band 1. Herausgegeben von Professor Dr. Robert
Oertel. 148 Seiten, davon 120 Seiten Bildtafeln mit 24 vierfarbigen und 101 einfarbigen Gemälde-Reproduktionen, Leinen
DM 24,-
Grete Paesler
1 Berlin 41, Cranachstr. 50
(R. Koepke)
Tel. 85 77 81
Hellmut Kotschenreuther
Di . Martin Sperlich, Direktor der Verw.
Kleine Geschichte Berlins
Staatl. Schlösser und Gärten
1 Berlin 19, Eichkampstr. 46
Tel. 302 60 41
(Dr. M. Kühn)
2. Auflage, 104 Seiten, 39 z. Tl. farbige
Abbildungen, Pappband
DM 9,80
Gertrud Schultze-Berndt, Hausfrau
1 Berlin 26, Schorfheidestr. 41
Tel. 49 67 40
(Schriftführer)
HAUDE & SPENERSCHE
Paul Oeser, Techniker
1 Berlin 37, Hocksteinweg 2a
Tel. 76 23 14
(H.-J. Mey)
Verlagsbuchhandlung GmbH.
Gegründet 1614
Berlin 12
247
Martha Babula
1 Berlin 33, Caspar-Theyss-Str. 22
Tel. 887 44 90
(G. Warzecha)
Ernst.Hackemesser, Journalist. i. R.
1 Berlin 37, Reiherbeize 8
Tel. 813 33 55
(Vorsitzender)
Rosemarie Lohr, Musikpädagogin
1 Berlin 19, Insterburgallee 22d
Tel. 304 35 13
(Dr. I. Hoffmann-Axthelm)
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Ingeborg Meyer, Facharztm für Dermatologie
1 Berlin 19, Insterburgallee 22d
Tel. 304 98 73
(Dr. I. Hoffmann-Axthelm)
Dr. Dr. Peter Rudolf Zellner, Facharzt für
Chirurgie
67 Ludwigshafen-Oggersheim,
T e l T s f (M ^ *
(Vorsitzender)
Anschriftenänderungen:
Dieter Brozat
6078 Neu-Isenburg 2,
A
F o r s t h a u s Gravenbruch 26
Liselotte Gründahl
51 Aachen, Burtscheider Markt 24
Veranstaltungen im III. Vierteljahr 1969
1. Sonnabend, 5. Juli, 9.30 Uhr, Besichtigung der Goldenen Galerie, der EosanderKapelle und anderer in Restaurierung befindlicher Schloßräume unter der Leitung von Herrn Dr. Martin Sperlich. Treffen am Reiterdenkmal des Großen
Kurfürsten vor dem Schloß Charlottenburg.
2. Dienstag, 29. Juli, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Günter Wollschlaeger „Das Berliner Stadtschloß und
seine Baumeister".
Gäste sind willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein.
3. Im Monat August finden keine Vorträge und Besichtigungen statt. Die Bibliothek
bleibt am 15., 22., 29. August und 5. September geschlossen.
4. Freitag bis Sonntag, vom 5. bis 7. September, Studienfahrt mit Reisebussen nach
Lüneburg und zu den Heideklöstern. Besichtigung der kulturhistorischen Stätten
von Lüneburg, der Klöster Lüne, Medingen und Wienhausen sowie des Bardowicker Domes. Leitung: Herr Dr. H. G. Schultze-Berndt.
Den Mitgliedern geht die Einladung mit anhängender Antwortkarte demnächst
zu.
5. Sonntag, 14. September, Feier des Vereins anläßlich des 200. Geburtstages von
Alexander von Humboldt in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses,
gemeinsam mit der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, gegr. 1828. Es werden
sprechen: Herr Prof. Dr. K. Kettig über „Alexander von Humboldt im geistigen
Leben Berlins" und Herr Prof. Dr. Dr. h. c. F. Friedensburg über „Alexander
von Humboldt als Bergmann und Geologe".
Im Obergeschoß des Charlottenburger Schlosses wird von der Verwaltung der
Staatlichen Schlösser und Gärten eine Ausstellung „Alexander von Humboldt
und Berlin" vorbereitet, die im Anschluß an die Gedenkfeier eröffnet werden
soll.
Es ergehen besondere Einladungen.
Freitag, 18. Juli, 1. August und 26. September zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. SchrifUeitung: Prof.
Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin"30
248
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
65. Jahrgang. Nr. 18
1. Oktober 1969
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91
Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 46 4411
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel,! Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee28,Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
Theodor Fontane
geb. 30. 12. 1819 zu Neuruppin,- gest. 20. 9. 1898 zu Berlin
(Kreidezeichnung von Fritz Werner, 1890)
Der Dichter erwarb 1885 die Mitgliedschaft des Vereins für die Geschichte Berlins,
1890 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt.
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Zur Feier
des 25 jährigen Bestehens
des Vereins für die Geschichte Berlins
am
28. Januar 1890
(Prolog)
Zurück heut, in Erinnerung und Freude,
Blickt unser Aug' auf 25 Jahre,
Nicht des Bestehn's bloß, nein, auch fleiß'ger Arbeit,
Und seiner Arbeit, seines Fleißes, heißt es,
Darf man sich rühmen. Lessing gab den Freibrief.
Und fleißig waren wir. Auf manchem Umschlag,
Den Siegfried Mittler, jetzund Toeche-Mittler,
Hinaussandt in die Welt, sind sie verzeichnet,
Die Thaten uns'rer Arbeit. Auch die Namen
Der tapfern Kämpen. Einige nur nenn' ich:
v. Ledebur, v. Köhne, Brecht und Hoepfner,
Professor Holtze, Dr. juris Holtze,
(Wetteifernd um den Kranz stehn Sohn und Vater)
Auch unser Meyer, Brose, Stadtrath Friedel,
Und ganz in Front, abprotzend, brescheschießend,
Als war er ein Battriechef der Avantgard'
Und jeder Schuß ein Treffer: L o u i s S c h n e i d e r .
Das sind die Namen. Unsre Werkstatt aber
Lag am Gensdarmenmarkt, und freudig ruf ich's:
Gensdarmenmarkt, in deinem Prätzelthurme
Der Prätzeln viele haben wir gebacken*.
Ja viele! Doch wir wenden jetzt den Blick
(Ein bloßes Rückschaun lähmt die Kraft zum Steigen)
Auch auf die Zukunft, auf die Zeit, die kommt,
Auf daß die zweiten fünfundzwanzig Jahre
Kein Stillstand sind, kein Rückschlag, nein, Gedeihn,
Ein wachsendes Gedeihn in Lust und Liebe.
Und diese Lust und Liebe neu zu wecken,
Begehrt dies Fest. Schenkt ihm ein freudig Auge,
Freut euch an seiner Bilder bunter Reihe
Von Burggraf Friedrich bis auf Kaiser Wilhelm
Und wenn der Anblick Alt- und Neu-Berlins
Euch fühlen läßt: „Das all ist uns gemeinsam",
So werde dies belebende Gefühl
Zum Lebensquell auch unserem Vereine:
„Verein für die Geschichte von Berlin".
Th. Fontane
* In der Turmstube des Deutschen Domes auf dem Gendarmenmarkt, die von 1876 bis 1943
als Vereinslokal und Bibliothek diente, stand bis zur Zerstörung bei den internen Vereinsabenden außer der Glocke des Vorsitzenden stets ein Korb mit Brezeln auf dem Tisch.
251
Theodor Fontane in „Kreuzberg"
Zum 30. Dezember 1969
Von Dr. Hans Pappenheim
Persönlichkeit, Werk und Lebensleistung Theodor Fontanes sind in den letzten 50
Jahren als so umfassend erkannt worden, daß die Würdigung des Romanciers Berlins
zu seinem 150. Geburtstag an dieser Stelle nur unter Begrenzung auf ein Teilgebiet
Berlins geschehen soll, der Luisenstadt und der Tempelhofer Vorstadt, aus denen am
1. Oktober 1920 der heutige Bezirk Kreuzberg wurde. Dieser Bereich stand schon dem
jungen Dichter durch verschiedene Wohnungen, wichtige Ereignisse, Freundschaften
und Arbeitsbeziehungen nahe, so daß dieser Stadtteil für sein Leben und Wirken besondere Bedeutung bekommen hat. Schon seit den 1820er Jahren wohnten hier Familienmitglieder: die Adreßbücher melden für das Jahr 1820 den Großvater von
Theodor Fontane, den Kabinets-Secretair P. Fontan, Friedrichs«. 230,1824 in Pension,
ebenso 1826, aber nach der Kleinen Hamburger Str. 13 in ein eigenes Haus verzogen.
Theodor Fontane legte am 19. Dezember 1839 bei dem Kreisphysikus Dr. Natorp,
Alte Jakobstr. 109 (in der Nähe der Kommandantenstraße) die Apothekerprüfung ab.
Als er am 30. Dezember 1840 von dieser Berufstätigkeit aus Burg bei Magdeburg nach
Berlin zurückkehrte, nahm ihn sein alter Freund Fritz Hesselbacb in seine Wohnung in
derselben Alten Jakobstraße auf; hier erkrankte Fontane und lag sieben Wochen in
dieser „Chambre garnie" an Typhus darnieder, und dann erst konnte er im Frühjahr
1841 seine neue Stellung in Leipzig antreten 1 .
Um einem Irrtum vorzubeugen: Am 1. April 1844 trat Fontane als Einjährig-Freiwilliger ins 2. Bd. des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments ein, doch lag dies
damals noch in der Neuen Friedrichstraße, also am Alexanderplatz 2 ; der Neubau für
die „Franzer" entstand erst ab 1865 in der Pionierstraße, jetzt Blücherstraße.
„In Bethanien"
Anfang März 1848 hatte Pastor Ferdinand Schultz (1811-1875), ein Freund der Eltern
Fontanes, diesem angeboten, für auskömmliches Gehalt, freie Wohnung und Verpflegung im Diakonissenhaus Bethanien die pharmazeutisch-wissenschaftliche Ausbildung
von zwei Krankenschwestern zu übernehmen. Zu diesem christlichen Krankenhause,
einer Gründung Friedrich Wilhelms IV., war am 23. Juli 1843 der Grundstein gelegt,
der Bau nach den Entwürfen des Baurats Theodor Stein (1802-1876) ausgeführt und
am 10. Oktober 1847 eröffnet worden; er stand damals noch frei und wie ein italienischer Palazzo auf dem zur Bebauung vorbereiteten Köpenicker Feld zwischen dem
Luisenstädtischen Kanal und dem Mariannenplatz. Für 1^4 Jahr kam Fontane hier
- seit Juni 1848 - seiner Aufgabe nach, die ihm auch die Möglichkeit für ruhiges literarisches Schaffen gab. In seinem autobiographischen Werk „Von Zwanzig bis Dreißig" 3 hat er diese Zeit in den drei Kapiteln „Bethanien und seine Leute", „Zwei Diakonissen" und „Wie mir die bethanischen Tage vergingen" recht unterhaltsam be1
2
3
Hermann Fricke, Theodor Fontane, Chronik seines Lebens, Berlin 1960 S. 14, 21, 34 f, 40,
42,51.
Hans-Heinrich Reuter, Th. F., Grundzüge und Materialien einer historischen Biographie,
Leipzig 1969, S. 225.
Th. F., Sämtl. Werke, hrsg. von Kurt Schreinert u. Jutta Neuendorff-Fürstenau, München,
XV S. 9, 66, 174, 361-375.
252
schrieben. „Ich war nun also in Bethanien eingerückt und hatte in einem der unmittelbar
daneben gelegenen kleineren Häuser eine Wohnung bezogen. In eben diesem Hause,
dem Ärztehause, waren drei Doktoren einquartiert..." (Geheimrat Dr. Bartels, Dr.
Wald, Dr. Wilms). Fontanes Tätigkeit ist auch in der Geschichte dieses Hauses 4 , und
zwar ohne Bezugnahme auf seinen späteren Werdegang vermerkt: „. . ..Die Bereitung
der Arzeneien sollte durch eine dazu ausgebildete Diakonisse geschehen." Als solche
fungierte anfangs Schwester Pauline Jakobi seit 1847 in Bethanien, die aber ein Jahr
später krankheitshalber ausschied. Da eine ausgebildete Apothekenschwester nun fehlte,
„so wurde für die Bereitung der Arzeneien einstweilen dem Apotheker
Fontane
übergeben, welcher hierfür eine monatliche Remuneration von 60 Mark erhielt. Gleichzeitig unterwies er die Schwester Emmi Dankwerts
in seiner Kunst, und es gelang ihm, sie soweit zu bringen, daß sie am 22. November 1849 die vorgeschriebene
Prüfung zur Zufriedenheit bestand. Schwester Emmi übernahm nun die Apotheke,
und sie ist seitdem ausschließlich durch Schwestern besorgt worden."
Wir nennen auch die zweite, durch den jungen Apotheker erfolgreich zum Examen
geführte Diakonisse: Aurelie von Platen. - Als sein Auftrag am 30. 9. 1849 abgelaufen
war, gab er den Apothekerberuf offiziell auf, zog im Oktober 1949 nach der Luisenstraße 12 im Norden, heiratete am 16. Oktober 1850 und widmete sich nun ganz dem
Journalismus und der Literatur, vertrat aber seit dem 4. April 1851 fünf Wochen lang
die Apothekenschwester in Bethanien. Im Sommer und Herbst 1853 war er hier zur
Überwachung seiner Gesundheit (Tbc-Verdacht). Nach eigenem Zeugnis hat er in
seiner bewegten Jugend kaum wieder so schöne, friedvolle und poetische Zeiten gehabt wie in den VA Jahren „in Bethanien". Die Apotheke - ein „hohes Eckzimmer",
ist bis heute unverändert erhalten (s. Abb. 1) und mit einem Porträtfoto Fontanes
geschmückt.
Die Apotheke in Bethanien mit dem Rezeptiertisch.
Federzeichnung von Hans Hartmann
4
Gustav Schulze, Bethanien, Die ersten fünfzig Jahre und der gegenwärtige Stand des Diakonissenhauses Bethanien zu Berlin, 1897 S. 124; vgl. audi: Julius Rieger, Fontane in Bethanien, in: Berliner Sonntagsblatt Die Kirche, 1. Dezember 1968.
253
Mit Dr. Friedrich Robert Wilms (1824-1880), dem späteren Chefarzt von Bethanien,
blieb Fontane seit seinem Lehr-Aufenthalt in diesem Hause befreundet. Im Januar
1859 verweilte Fontanes Mutter hier zum Besuch des Predigers Schultz. Fontane schrieb
darüber an seine Gattin am 9. 1.: „Gestern früh fuhr ich nach Bethanien. Ich fand
Mutter ziemlich wohl . . ." Mit dem Geistlichen stand Fontane noch 1868 in Beziehung.
- Als Wilms am 24. September 1880 verstorben war, schrieb Fontane am 2. 11. an
seinen Verleger Wilhelm Hertr':
„ ... Über Wilms Tod sprechen wir mal mündlich. Ich hob ihn von Jugend an sehr hoch
gestellt. Er hatte die Beschränktheit der Größe und war nur scharf mit dem Messer in
der Hand. Natürlich auch ein Apothekerssohn. Alles Bedeutende wurzelt zuletzt in
Radix Ipecacuanhoe usw. ( = brasilianische Heilwurzel). Uns wenigstens kleidet dieser
Glaube." (Auch W. Hertz war der Sohn eines Apothekers).
Fontane hat Wilms als bedeutenden Chirurgen in „Effi Briest" erwähnt. Seine Büste
steht noch heute auf dem Mariannenplatz vor dem Hauptportal von Bethanien (von
Siemering)6.
Im Kuglerschen Hause, Friedrichstraße 242
1851 wohnt „Schriftsteller Th. Fontane" Puttkamerstr. 6, ist 1852 „Louisenstr. 35"
gemeldet, in denselben Jahren finden wir die Apotheker-Witwe Fontane, also seine
Mutter, Köthener Str. 37a 7 . In diese Zeit fällt Fontanes Verkehr im Hause des Kunsthistorikers und Dichters Franz Kugler (1808-1858), ein künstlerischer Mittelpunkt der
Hauptstadt, in dem Waagen, Eggers, Lübke, Burckhardt, Menzel, Drake, neben Storm,
Heyse und Geibel auch der junge Fontane aus und ein gingen. Dieser lernte hier 1852
Theodor Storm und 1854 auch Eichendorff kennen. Prof. Kuglers Haus lag am Südende der Friedrichstraße (Nr. 242) nahe am Belle-Alliance-Platz, es wurde 1861 umgebaut und 1893 abgebrochen9. - Viel Freundesliebe erfuhr Fontane auch in der Familie des Geheimrats Karl Hermann Frhr. v. Wangenheim, Lindenstr. 48, dessen
Töchter Ida und Elsy er 1853-55 unterrichtete 10 . Mit Fontane befreundet war auch
der Maler, Dichter und Kunstschriftsteller Hugo von Blomberg (1820-1871), der, seit
1848 in Berlin, um 1850 dem „Tunnel über der Spree" beitrat und 1857 dessen Mitglieder in Porträtskizzen festhielt11. Ein schweres Erlebnis (vor 1867) in seiner Familie
erschütterte Fontane noch auf lange: Hugo von Blomberg ging „gern mit seinen Kindern spazieren, am liebsten nach einem am Fuße des Kreuzbergs gelegenen Kaffeegarten, wo gute Spielplätze waren". Dabei sprang der 9jährige Sohn Hans beim Spiel
in einen Stachelbeerstrauch und zog sich eine Augenverletzung zu, die trotz ärztlicher
Hilfe nach zwei Tagen zum Tode führte 12 .
5
6
7
8
9
0
1
2
Th. F.'s Briefe (an die Familie) Erste Sammlung, l.Band, Berlin 1911, S. 34, 153, 2. Band
S. 22 f.
Hermann Müller-Bohn, Die Denkmäler Berlins in Wort und Bild, Berlin 1905, S. 97.
Allg. Adreßbuch f. Berlin, hrsg. von J. W. Boicke, Berlin 1820 ff Allg. Wohnungsanzeiger
f. Berlin auf d. Jahr 1824.
Hermann Fricke, Th. F., Chronik seines Lebens, Berlin-Grunewald 1960, S. 32.
Mi«, d. Vereins f. d. Gesch. Berlins, 25. Jg., 1908, S. 67.
Hermann Fricke, Th. F.'s Berliner Freunde, Vortrag vom 24. Febr. 1940, Beibl. z. Ztschr.
d. Vereins f. d. Gesch. Berlins Nr. 2, 1940, S. 5-7.
Brandenburgische Jahrbüdier, Band 9, Jg. 1938, S. 31, 85 - Thieme-Becker, Allg. Lexikon
d. bild. Künstler, Leipzig, Bd. 4 1910, S. 131.
Th. F., Von Zwanzig bis Dreißig, Eingel. u. m. Anmerkungen hrsg. von Chr. Coler, Leipzig
1955, S. 196, 250-255, 317 f.
254
Tempelhof er Straße 51
Nachdem er am 6. April 1859 Potsdamer Str. 33 eine Sommerwohnung bezogen hatte,
erfolgte am 29. September 1859 der Umzug nach Tempelhofer Str. 5P3 (später BelleAlliance-Straße, heute Mehringdamm 3/5), wo er bis 1863 wohnte und die Erstausgabe
seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" schrieb. Das Haus wurde 1910
abgerissen. Der auf der anderen Straßenseite (seit 1853) „trutzig mit Zinnentürmen
aufragenden früheren Kaserne des 1. Gardedragonerregiments ,Königin Victoria von
Großbritannien und Irland' setzte er im ,Stechlin' durch eine der Hauptfiguren des
Romans, den Rittmeister v. Stechlin, ein literarisches Denkmal" 14 (heute Finanzamt). Aus jenen Jahren zwei Erinnerungen Fontanes an die Bernburger Straße, die damals
erst teilbebaut war, und die beide die „Neue Preußische Kreuzzeitung" betreffen. Hier
wohnte ihr Mitredakteur, Fontanes Freund Georg Ludwig Hesekiel (1819-1874),
Dichter und Romancier, der hier zunächst mit einer ßo//eähnlichen Milchhandlung
Schiffbruch erlitten hatte. Schräg gegenüber der damals vor der Vollendung stehenden
St. Lukaskirche wohnte der Chefredakteur der Kreuz-Zeitung. Ihm stattete Fontane
einen Bewerbungsbesuch ab, der seine Mitarbeit ab 1. Juni 1860 für die folgenden
10 Jahre sicherte15.
Hirsdielstraße 14
Im April 1863 zog Fontane nach Alte Jakobstr. 171 und am 1. Oktober 1863 nach
Hirschelstr. 14 le , später Königgrätzer Str. 25, das heutige Grundstück Stresemannstraße 109, Ecke Dessauer Straße. Am 11. Februar 1896 schreibt Fontane an den Seminardirektor Ernst Gründler in Barby über die Anfänge seines Romans „Vor dem
Sturm", die in jener Wohnung während des preußisch-österreichischen Feldzuges gegen
Dänemark entstanden:
„Das Buch ist schon aus dem Winter 1863/1864, und ich schrieb abends und nachts die
ersten Kapitel - die, glaub' ich, auch die besten geblieben sind — während die österreichischen Brigaden unter meinem Fenster vorüberfuhren; und wenn zuletzt die Geschütze kamen, zitterte das ganze Haus, und ich lief ans Fenster und sah auf das
wunderbare Bild: die Lowries (= niedrige, oben offene Transportwagen, d. H.), die
Kanonen, die Leute hingestreckt auf die Lafetten, und alles von einem trüben Gaslicht
überflutet. Ich wohnte nämlich damals in der Hirschelstraße (jetzt Königgrätzer) an der
Ecke der Dessauer Straße. Die Stadtmauer (von den Jungens schon überall durchlöchert)
stand noch, und unmittelbar dahinter liefen die Stadtbahngeleise, die den Verkehr
zwischen den Bahnhöfen vermittelten (gemeint ist die alte Verbindungsbahn, die 1851
eröffnet und 1871 durch die noch bestehende Ringbahn ersetzt wurde)17. Dann lag das
Buch zwölf Jahre still, während welcher Zeit ich die Kriege von 1864, 1866 und 1870
beschrieb, und erst im Herbst 1876 nahm ich die Arbeit wieder auf. Es war eine sehr
Im Brief vom 29. März 1860 an Julius Springer gibt Th. F. diese Adresse an (Briefe,
2. Sammlung, 1. Bd., 2. Aufl., Berlin 1910).
Adolf Heilborn, Die Reise nadi Berlin, Einleitung und Ergänzung von Kurt Pomplun,
Berlin 1966, S. 59.
Th. F., Von Zwanzig bis Dreißig, a. a. O., S. 38 f, 257.
Im Brief an Herrn v. Pfuhl vom 18. Januar 1864 gibt Th. F. diese Ansdirift an (Briefe
2. Sammlung, Hrsg. von Otto Pniower und Paul Schlentber, 1. Band, 2. Aufl., 1910, S. 239).
Th. F., Briefe. 2. Band, 1910, S. 370 ff.
255
schwere Zeit für mich. Das Gedicht, das Lewin schreibt: ,Tröste dich, die Stunden eilen',
gibt meine Stimmung von damals wieder. Alles besserte sich indessen wirklich."
Unter Emilie Fontanes Hand - ein Brief an den Gatten ist „Berlin d 20t Mai 68,
25 Königgrätzerstraße" datiert - „entwickelte sich in der Hirschelstraße 14 . . . ein
recht behagliches Dichterheim" ( Fricke) l n und Fontane schreibt beim Auszug:
„Es waren neun glückliche Jahre, die wir in dieser "Wohnung zugebracht haben . .. Im
übrigen wünschen wir aufrichtigst, daß die nächsten neun Jahre nicht unglücklicher
verlaufen mögen als die Epoche von 1863-1872. Es waren, wie die besten, so auch die
interessantesten Jahre meines Lebens."
Auch Familienmitglieder zogen damals in diese Wohngegend: 1864 übersiedelten sein
Schwager Hermann Sommerfeldt und Jenny, geb. Fontane ( t 1904 als Witwe in Berlin), in die von ihnen erworbene Luisenstädtische Apotheke. - In der Nähe wohnte
auch Fontanes Tunnelgenosse, der Kunsthistoriker, später Prof. an der Kunstakademie,
Friedrich Eggers (1819-1872), und zwar, wie Heinrich Seidel berichtet, „in einem
Hinterhause der Hirschel-, später Königgrätzer Straße, 3 Treppen hoch" 19 .
Das epische Alterswerk, die Berliner Romane, entstanden in der letzten FontaneWohnung, Potsdamer Str. 134c111 (seit 1938: Potsdamer Str. 15). Der Schauplatz der
„Poggenpuhls" (1890-1895 entworfen) lag sogar in der nahen Großgörschenstraße,
umgeben von Straßen, die nach Heerführern der Freiheitskriege benannt sind, aber
die Gesprächsthemen der „Poggenpuhls" gehen ins alte Brandenburg zurück, und der
Theaterbesuch von Oheim und Neffe gilt Ernst von Wildenbruchs „Quitzows", die am
9. Februar 1888 uraufgeführt und von Fontane besprochen worden waren 20 . Die
Gegensätzlichkeit von Kgl. Schauspielhaus und Luisenstadt geht am besten aus dem
Hinweise Schreinerts21 hervor, der nachwies, daß „zu gleicher Zeit im AmericanTheater in der Dresdner Straße nahe Moritzplatz eine Parodie „Quitzows von Ernst
Zahmenbruch, Musik von Schulzenstein, verfaßt von Martin Böhm 1844-1912" gespielt wurde!
Bei Bismarck im Habsburger Hof
Zu einem besonderen Tage kehrte der Dichter einmal in die alte Wohngegend zurück:
Am 24. Februar 1891 wurde Fontane im Hotel „Habsburger Hof" Bismarck vorgestellt 22 . Dieses lag gegenüber dem Anhalter Bahnhof am Askanischen Platz an der
Ecke der Bernburger und Königgrätzer Straße (1944/45 kriegszerstört) 23 . Hier stand,
wie Herbert Roch24 (1962) in dem Kapitel „Bismarck, Borsig, Bebel" in einer politischen Analyse des Verhältnisses Fontanes zu Bismarck sagt, „dem entlassenen Deichhauptmann des Reiches anläßlich eines Empfanges gegenüber, einem grollenden, auf
seinen Stock gestützten Riesen, der die Dämme errichtet hatte, die das Ganze zusammenhielten . . . . . . . der Fürst hatte sich seiner erinnert, natürlich: der Wanderer durch
die Mark Brandenburg . . . Das schönste, bleibende Bismarck-Gedicht sollte er erst nach
18
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24
Hermann Fricke, Emilie Fontane, Rathenow 1937, S. 73, 85; Brief Nr. 121.
Schreinert, a. a. O. Bd. 15, S. 180.
Th. F., Plaudereien über Theater. Besorgt von seinen Söhnen Theodor u. Friedrich, neue
verm. Ausgabe von: Causerien über Theater, Berlin 1926 Bd. 1 S. 348-352.
Th. F., Nympenburger Ausgabe 1969, Bd. 12, S. 424.
Fricke, Chronik a. a. O., S. 80.
Abb. in: Victor Laverrenz, Grüße aus Berlin u. Umg,, Berlin-Schöneberg 1898, S. 137.
Herbert Roch, Fontane Berlin und das 19. Jahrhundert, Berlin-Schöneberg 1962, S. 269 f.
256
dem Tode des Fürsten schreiben." - Diese einzige Begegnung erfolgte 1891. In den
Jahren 1889-1894 arbeitete Fontane an „Effi Briest", Schauplatz: zum Teil Königgrätzer Straße, und hier ist auch einmal das Hotel Habsburger Hof erwähnt (s. u.).
„Kreuzberg" als Schauplatz im epischen Werk Fontanes
In dieses Gerüst von Einzeldaten unterschiedlicher Bedeutung sei nun die Frage eingefügt, wie die jahrzehntelange Anwohnerschaft Fontanes im jetzigen „Kreuzberg"
sich in den Altersromanen ausgewirkt hat. Reuter25 stellte in der jüngsten FontaneBiographie (1969) dazu grundlegend fest: „Die Exaktheit und Detailtreue von Fontanes Alterswerk zeugen Seite für Seite davon, wie er die Ergebnisse der Beobachtungen (auf täglichen Spaziergängen) zu nutzen wußte. Unermüdlich prüfte er die Richtigkeit jedes Satzes an der Wirklichkeit.. . Daß sich die Angaben in Fontanes Berliner
Romanen mit Stadtplan und Adreßbuch . .. nachkontrollieren lassen, ist nur ein Zug
unter vielen. . . . Wie waren die Wohnungen eingerichtet, die Häuser gebaut? Wie verliefen die Straßen, wie war die Umgebung? - diese und ähnliche Fragen legte sich der
Erzähler immer von neuem vor . . ."
Von 1865 bis 1880 arbeitete Fontane - immer wieder abbrechend - an dem Entwurf
eines Berliner Gesellschaftsromanes, der im ganzen unausgeführt blieb und von dem
nur Teile für andere epische Werke verwendet wurden. Er sollte den Titel „Allerlei
Glück"26 bekommen, eine Reihe von skurrilen Gestalten mit sehr verschiedenen Zielen
zeichnen und in der Dessauer Straße spielen. Das Vorbild zu den Hauptfiguren
(= Heinrich Brose), der ehemalige Apotheker Wilhelm Rose, hatte Dessauer Str. 29
seine Wohnung gehabt, sein berühmter Bruder, der Mineraloge, Nr. 27. Wie für andere
epische Arbeiten hatte Fontane auch für den Brose-Roman Situationsskizzen entworfen, u. a. für Broses späteres Wohnhaus und für die Wohnung einer weiteren hier
geplanten Gestalt, des erdachten „Registrators Pappenheim" und seiner Tochter Bertha,
die nach „Höherem" strebt und eine Schauspielschule besucht27. „Das Fragment",
schreibt Herbert Roch28 (1962) zusammenfassend, „enthält eine Fülle von liebenswürdigen Bosheiten auf die Gesellschaft der Epoche, die sich die gute dünkte und doch
nur beschränkt war." Daß Fontane 1872 in dieser Wohngegend ursprünglich bleiben
wollte, zeigt ein Brief vom 30. März an Mathilde von Rohr19:
„Meine Frau ist jetzt vor allem in Wohnungsnöthen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen
schon schrieb, daß unser Haus verkauft ist, daß die Miethen mindestens verdoppelt
werden und daß wir also alle ziehen. Eine vorzügliche Wohnung in der Dessauer
5
6
Reuter, a.a.O. S.201.
in: Julius Petersen, Fontanes erster Berliner Gesellschaftsroman, Sitzungsberichte d. Preuss_ Akademie d. Wiss., Philisoph.-Historische Klasse, Jg. 1929, S. 480-562.
7
Hans E. Pappenheim, Karten und Vermessungswesen im Sdiaffen Th. F.'s in: Jahrbudi f.
brdbg, Landesgeschichte, 4. Band 1953 S. 31.
ders.: Geographie als Rüstzeug Th. F.'s, ebenda 5. Bd. 1954 S. 95.
ders.: Karl Wilhelm Kummer, ein Globenmadier und Relief-Spezialist des alten Berlin
(t 1855) (m. 1 Abb.).
ders.: Globen und Kartenkunde im Werke Th. F.'s in: Der Globusfreund, Nr. 12 Wien
1963 S. 44-50.
R
Roch, a. a. O. S. 220-227 ß.
}
Th. F., Unbekannte Briefe, Hrsg. von Kurt Schreinert, Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Aus der zweibändigen Ausgabe der unbekannten Fontane-Korrespondenz des PropyläenVerlages Berlin 1964, S. 39.
257
Str. hat uns Tante Merckel vorgestern weggeschnappt. Ich persönlich theile übrigens
nicht die allgemeinen Ängste; wir müssen natürlich 3 Treppen hoch ziehen und 100
Thlr. mehr bezahlen; c'est tout. Dafür kriegt man aber 'was."
Dies schrieb Fontane nur wenige Gehminuten vom Hafenplatz entfernt, wohin er 1886
einen der Berliner Schauplätze von „C&ile" verlegte.
„Cecile" am Hafenplatz
Bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg (und bis zur Trockenlegung des Hafens des Landwehrkanals [1960 ff.]) bezeichnete der Straßenname „Am Hafenplatz" noch den Kai
eines wirklichen Hafenbeckens, und in diesem kurzen Straßenzuge - einer Reihe von
hochherrschaftlichen Häusern, halb Mietshaus, halb Villa - am eigentümlichsten das
„Maurische Haus" Nr. 4, Ecke Dessauer Str. 21. Im Nachbargebäude ließ Fontane
„Cecile" spielen, und zwar Ende der 1870er Jahre, als zwischen der Köthener und der
Dessauer Straße noch nicht die großen Weinkellereien lagen, sondern die Hintergärten
großbürgerlicher Häuser ineinandermündend ein grünes Inselkarree bildeten. Hier
heißt es über Oberst von St. Arnaud und seine Gattin Cecile:
„Sie werden in dem Diebitschen Hause wohnen. Etwas Alhambra, das paßt ganz zu
meiner schönen Cecile. Wahrhaftig, sie hat die Mandelaugen und den tief melancholischen Niederschlag irgendeiner Zoe oder Zuleika. Nur der Oberst, bei allem Respekt
vor ihm, stammt nicht von den Abenceragen ab, am wenigsten ist er der poetische
letzte von ihnen. Wenn ich ihn a tout prix in jenen maurischen Gegenden unterbringen
soll, so ist er entweder Abdel-Kader in Person oder ein Riffpirat von der marokkanischen Küste."
„Während Herr von Gordon noch vor sich hin plauderte, stand er vor dem St. Arnaudschen Hause, das aber, wie die Nummer jetzt auswies, nicht das Haus mit der Alhambrakuppel, sondern ein benachbartes von kaum minderer Eleganz war . . ."
Angesichts dieses Irrtums in der Hausnummer mußten die Überlegungen von Gordons
ja völlig gegenstandslos erscheinen, aber Fontane brauchte das „Maurische Haus",
nicht nur als Lokalkolorit, sondern zur Andeutung der Assoziationen: das Schicksal
des letzten Abencerragen, literaturinteressierten Lesern des 19. Jahrhunderts noch bekannt, ebenso bekannt wie Abdel-Kader und die Riffpiraten den Zeitungslesern der
1880er Jahre, bereitet schon den Tod v. Gordons im Duell vor! Wir bringen die historischen Bezüge mit dem Kommentar von Edgar Gross30: „Alhambra: Maurisches Königsschloß in Granada (13.114. Jh.). - Abencer(r)agen, edles arabisches Geschlecht in
Granada, soll von König Abdul Hassan ermordet worden sein, als er von der Liebschaft eines der Abencerragen zu seiner Schwester Zoraide erfuhr. — Abdel-Kader:
mächtiger Araberhäuptling, kämpfte gegen die Franzosen (f 1883). - Riffpirat: berüchtigte Seeräuber an der Küste von Marokko (Rif), gleichfalls gegen französische und
spanische Fremdherrschaft kämpfend."
Auch der Erbauer des „Maurischen Hauses, der Berliner Architekt Karl von Diebitsch
(geb. 1819, f 1869 in Kairo, wo er seit 1861 als Hofbaumeister des Vizekönigs von
Ägypten tätig war und als Spezialist im maurischen Stil galt 31 ; „er verstand es, die
Nymphenburger Ausgaben, Hrsg. von Edgar Gross IV S. 227 und Kurt Schreinert, 1969
S. 191; dort Nachweis der Erzählung von F. R. Vicomte de Chateaubriand (1768-1848):
Die Abenteuer des Letzten der Abencerragen, 1826.
258
maurischen Friese, Arabesken und Mosaiken in rotem Ton herzustellen und sie mit
den märkischen Backsteinen zu verbinden" 32 ), war den Berlinern im Erscheinungsjahr
von „Cecile" (1886) ein Begriff, und die Akten des Bauaufsichtsamts Kreuzberg (1852
bis 1942) erzählen noch heute von dem Gebäude. Am 9. Mai 1856 beantragte der
Architekt und Leutnant a. D. Carl Wilhelm Valentin von Diebitsch die Genehmigung
zum Bau eines „massiven Eckwohnhauses auf dem Grundstück des Gärtners de la Croix
(dieser seit 1852 Eigentümer). Nach seinem Tode 1869 verkauften die Diebitschschen
Erben (am 1. 7. 1870) das Gebäude an den Rentier Carl Andreas Zehrmann, das dann
mehrere Eigentümer wechselte, und in dem seit 1934 der „Reichsnährstand" saß. Das
„Maurische Haus" stand nicht unter Denkmalschutz, aber es gelang dem damaligen
Provinzialkonservator Dipl.-Ing. Walter Peschke im Juli 1940 den Abbruch der Kuppel zu verhindern. Mit der ganzen Straße „Am Hafenplatz" wurde auch dieses Gebäude ein Opfer des Krieges.
Die Unterhaltung der Romangestalten über die Aussicht vom Gartenbalkon lese man
bei „Cecile" nach. Wandrey33 vermerkt (1919) den Unwillen der Literaturkritik, mit
dem man die idyllischen Tage des Harzer Gebirgsaufenthaltes „schwinden sieht und
die graue, kalte Atmosphäre der Berliner Stadtwohnung als neuen Schauplatz eintauschen muß". Dies aber war die Absicht Fontanes, nämlich den Gegensatz zu den
Harztagen zu unterstreichen. Max Tau34 kritisierte (1928) gerade an diesem Beispiel
Stellen bei Fontane, „in denen sich die Darstellung erschöpft in der Anhäufung von
Bezeichnungen und Orientierungsangaben ohne jeden sinnlichen Vorstellungsgehalt
und bemängelt, daß Gordon bei seinen Besuchen im Hause St. Arnaud zwei verschiedene Wege durch die Stadt einschlägt". - Zu Unrecht, der Dichter wollte - nachdem
er im ersten Teil von „Cecile" die Wald- und Kulturkulisse des Harzes vor uns aufgebaut hatte - nun auch von der Berliner Szenerie möglichst viel bieten. Auch Wolfgang E. Rost3* beurteilt (1931) diese Frage positiv und zitiert aus den „Wanderungen" 36 jene eigenartige Wirkung von „Berliner Nähtisch und ägyptischem Fetisch" an
dem orientalisierten Künstlerheim von Wilhelm Gentz (geb. 1822 in Neuruppin,
t 1890 in Berlin), der 1861 das Feilner-Haus - Kreuzberg, Feilnerstraße 1 - ankaufte, reich ausstattete, und der als Illustrator der Werke von Georg Ebers und Pflege
dieser Kultursparte eben jene „Mischung von Berliner Nähtisch und ägyptischem Fetisch, von Ramses und Christian Friedrich Gentz" (seines Sohnes) schuf, wie sie für das
„Maurische Haus" typisch wurde.
Fontane gibt hier Straßennamen nicht nur an, um „Lokalkolorit" zu bringen, sondern
um soziale Unterschiede in der Bevölkerungsstruktur auch innerhalb eines Stadtteils
anzudeuten. Die wirtschaftlich bescheiden gestellte Malerin, Fräulein Rosa Hexel, die
in der „vornehmen" vielgestaltigen „Gesellschaft" der St. Arnauds verkehrt, wohnt
nicht im nahen Geheimratsviertel, sondern Engel-Ufer, also weiter draußen am Luisenstädtischen Kanal, wohin Herr v. Gordon sie begleiten muß und dadurch Zeit für
Tbieme-Becker, a. a. O. Band 9, 1913, S. 225.
Schreinert, Band 8, S. 191.
Conrad Wandrey, Th. F., München 1919, S. 191, 198.
Max Tau, Landschafts- und Ortsdarstellung Th. F.'s, Oldenburg i. O., 1928, S. 79.
Wolfgang E. Rost, örtlidikeit und Schauplatz in Fontanes Werken, Berlin 1931, S. 125 f,
136.
Th. F., Wanderungen durdi die Mark Brandenburg, Die Grafsdiaft Ruppin, Berlin 1892,
S. 158, 174.
259
informierende Gespräche hat. Schreinerts3' Schätzung der Entfernung des Engel-Ufers
von Ceciles Wohnung mit ca. 4 km ist richtig, doch liegen die Straßen des einstigen
Engel-Ufers (heute Engeldamm) nicht „in der Gegend des heutigen Ostbahnhofs", sondern ziehen sich von der Waldemarstraße an Bethanien vorüber bis zur Schillingbrücke
im östlichen Teil unserer Stadt!
Mit Recht zitiert Walther G. Oschilewski3* (1966) aus „Cecile":
„Auch wenn der Kreuzberg dem Vergleich mit dem Harz, der sozusagen vor den
Toren Berlins liegt, nicht standhalten kann, so sei doch an das hübsche Gespräch der
beiden Berliner im Hotel Zehnpfund in T h a l e . . . erinnert: ,Das ist also der Harz
oder das Harzgebirge. Merkwürdig ähnlich. Ein bißchen wie Tivoli, wenn die Kuhnheimsche Fabrik in Gang ist. Sieh nur, Hugo, wie der >Ozon< da drüben am Gebirge
hinstreicht. Ach, Berlin!'"
„Tivoli!
Hinter dem Schinkelschen Denkmal an der Südseite befand sich seit 1857
neben der Tivoli-, später Schultheiss-Brauerei, das volkstümliche
Vergnügungslokal
,Tivoli', in dessen schattigen Garten als größte Attraktion eine sog. russische Rutschbahn — eine Art Berg- und Talbahn - stand, und das in vielen Romanen der Zeit eine
Rolle spielte . . ."
„Tivoli" war also kein vielbesuchter „Vorort" von Berlin mit Vergnügungsrestaurants 37 , sondern der berühmte Ausschank auf dem Kreuzberg!
Das erregendste epische Werk des Dichters, das zunächst „vielfach als amoralisch abgelehnt" wurde 39 und Fontane außerdem den Zorn des deutschen Adels einbrachte,
„Irrungen - Wirrungen"
vermeidet mit den Worten Rosts35 (1931) „Längen der Lokalschilderung" und zeigt
vielmehr „sogar im einzelnen Ansätze zur Formung der örtlichkeit". - Nur einige
Beispiele für Kreuzberg-Lokalitäten, in denen in feiner sozialer Beobachtungsgabe das
Grundproblem dieses Romans - für den unbefangenen Leser unauffällig - angedeutet
worden ist, die völlig verschiedenen Lebenssphären, mit denen Baron Botho und Lene
konfrontiert werden, und die der Freiherr zunächst meistert.
In der Dörrschen Gärtnerei am Zoo plaudert er mit Lenes Pflegemutter, der „a
Wasch- und Plättfrau" Nimptsch, und erzählt ihr von einem der volkstümlichsten
dichte von Adelbert v. Chamisso (1781-1838) „mit sozialem Einschlag": „Die alte
Waschfrau". Chamisso, der neben Bürger, Uhland und Lenau, Heine und Herwegh
Fontanes literarisches Vorbild war 40 , wohnte in den Jahren 1822 bis zum Tode 1838
Friedrichstr. 235, nicht weit von der Waschfrau Schulze, die er in seinem Gedicht
besang.
Die Trennung von Botho und Lene, die in der Landgrafenstraße bzw. in der Gärtnerei
am Zoo zunächst noch „Nachbarn" geblieben waren, muß später durch einen Umzug
der Frau Nimptsch und Lenes in ein anderes Stadtviertel auch soziologisch begründet
werden: sie ziehen nach dem Luisen-Ufer, wo man „wenn auch drei Treppen hoch,
statt auf die phantastischen Türme des Elefantenhauses auf die hübsche Kuppel der
37
38
39
40
Schreinert, a. a. O., S. 182, 188, 194.
Walther G. Oschilewski, Kreuzberg. Ein Berliner Bezirk gestern und heute, Berlin 1966,
S.20.
Th. F., Sämtliche Werke, Hrsg. von Edgar Gross, München 1959, Band 3, S. 149.
Reuter, a. a. O. S. 6.
260
Michaelskirche" blickte. (Mit der Zuschüttung des Luisenstädtischen Kanals, 1925, verschwand der Name des Luisenufers, heute Legiendamm.)
Carl Koch (1827-1905): Die alte Waschfrau.
Aus: Georg Scherer, Deutscher Diditerwald,
Stuttgart u. Leipzig 1881, S. 10 ff., 552, 567.
Formung der örtlichkeit auch, als Botho seine aus Schlangenbad heimkehrende Gattin
vom Anhalter Bahnhof nach Hause fährt:
„Aber sieh doch nur, Botho, da ist ja noch der Staketenzaun und das alte Weißbierlokal mit dem komischen und etwas unanständigen Namen, über den wir in der Pension immer so schrecklich gelacht haben. Ich dachte, das Lokal wäre längst eingegangen.
Aber so was lassen sich die Berliner nicht nehmen, so was hält sich; alles muß nur einen
sonderbaren Namen haben, über den sie sich amüsieren können . . . " Gleich danach
aber passierten sie den Potsdamer Eisenbahnviadukt, über dessen Eisengebälk eben und nun eine der bekanntesten Assoziationen bei Fontane!: - ein Kurierzug hinbrauste.
Das gab ein Zittern und Donnern zugleich, und als sie die Brücke hinter sich hatten,
sagte sie: „Mir ist es immer unangenehm, gerade drunter zu sein." „Aber die drüber
261
haben es nicht besser." „Vielleicht nicht. Aber es liegt in der Vorstellung. Vorstellungen
sind überhaupt so mächtig. Meinst du nicht auch?" Und sie seufzte.
Agathe Nalli-Rutenberg41 kommentierte (1912):
„Ein bekannter Weißbiergarten am Kanäle nach dem Halleschen Tore zu (am Tempelhofer Ufer 19) war . . . der des Müllers C. L. F. Grunow (gest. 1844 oder 1845). Der
erste Besitzer dieses Grundstücks hieß Buberitz. Und dieses Wort hatten die spottlustigen Berliner in ihrer derben Weise umgeformt, indem sie aus den beiden weichen B
zwei harte P fabrizierten. Mit diesem schönen Namen wurde das Lokal ganz unverfroren oft genannt."
Und Rost36 ergänzte (1931):
„Das Weißbierlokal, dessen Bauherr Puperitz seinen Namen auf einem bei Abbruch
des Hauses im Fundament eingemauert vorgefundenen Eisenstück eingraviert haben
soll (s. Berliner Lokal-Anzeiger, 12. Juli 1927), befand sich am Tempelhofer Ufer 19,
nahe einer aus Eisen konstruierten Überführung, die von Schnellzügen der Anhalter
Bahn noch jetzt mit donnerartigem Geräusch passiert wird."
Das Weißbierlokal des Gastwirts Buberitz, Tempelhofer Ufer 19.
Aufnahme von F. Albert Sdiwartz (um 1885).
Hier müssen wir die scheinbar frivolen bösen Berliner aber in Schutz nehmen: Wie bei
mehreren Gassen der Altstadt wurden auch in den Vorstädten einige Straßenzüge mit
„Ritze" bezeichnet, und in der ehemaligen Luisenstadt spricht man im raschen Volkston noch heute z.B. von der „Naunyn-Ritze", ohne damit etwa das Andenken des
Agathe Nalli-Rutenberg, Das alte Berlin. Erinnerungen, Berlin (1912) S. 64 - zitiert bei
Schreinert, 1966, Band 9, S. 271.
262
Spezial-Kommissars für die Parzellierung des Köpenicker Feldes, Bürgermeister Reg.Rat Franz Chr. Naunyn (1799-1860), schmälern zu wollen, dessen Namen die Naunynstraße seit 1864 trägt.
Als nach dem Tode von Lenes Mutter Botho, seinem Versprechen gemäß, ihr „einen
Immortellenkranz aufs Grab zu legen" von der Landgrafenstraße in einer Pferdedroschke zum Jakobi-Friedhof am Rollkrug fährt, tätigt er seinen Ankauf noch in
„Kreuzberg". Die Weiterfahrt durch die Pionierstraße mit ihrer in den 1870er Jahren
noch schwachen Bebauung erleben wir mit Fontanes bis heute unerreichter Schilderung.
Die Polarität der Lebensverhältnisse der beiden Liebenden unterstreicht der Romancier
abschließend mit der Schilderung von Lenes Trauung mit dem Fabrikmeister Gideon
Franke in der Jacobikirche,
„deren kreuzgangartiger Vorhof auch heute von einer dichten und neugierigen Menschenmenge, meist Arbeiterfrauen . . . besetzt war . . . " . . . dann stiegen die Brautleute
„die mit einem etwas abgetretenen Teppich belegte, nur wenige Stufen zählende Steintreppe hinauf, um zunächst in den Kreuzgang und gleich danach in das Kirchenportal
einzutreten" . . . £5 folgen deprimierende Kommentare der „Vorgeschichte" dieser Ehe
von Frau Kornatzki zu einer Nachbarin. „Und so ging es noch eine Weile weiter,
während aus der Kirche schon das Präludium der Orgel hörbar wurde."
Villa Heckmann
Gebiete von Kreuzberg hat Fontane auch zum Schauplatz des Romans „Frau Jenny
Treibel" gewählt und damit - unter Namensveränderung - einem Fabrikgebäude mit
Wohnhaus ein Denkmal gesetzt, der Heckmannschen Villa. Gerade weil von dieser
baulichen Anlage am Ende der Schlesischen Straße links vor der Brücke über den Landwehrkanal seit der Kriegszerstörung nichts mehr erhalten ist als die Steinplastik eines
Hirtenknaben aus dem Garten des Geh. Kommerzienrates Carl Heckmann, ist auch die
an ihrer Stätte in aufgelockerter Bauweise neuerrichtete Fabrik noch heute Ziel von
Besuchern der Stätten kurz vor der „Mauer" vor Treptow.
Wie anders zeichnete hier in den 1870er Jahren Fontanes Gänsefeder die Anfänge
dessen, was wir heute „städtische Industrielandschaft" nennen, „die Treibeische Villa
auf einem großen Grundstück, das in bedeutender Tiefe von der Köpenicker Straße
bis an die Spree reichte". Wie Fontane mehrfach als Mieter, hatte Kommerzienrat
Treibel in der Alten Jakobstraße im eigenen Hause gewohnt, das friderizianischen
Baumeistern zugeschrieben war. Nun errichtete der Farbenfabrikant sich auf seinem
Fabrikgrundstück eine „modische Villa" „und begriff nicht, daß er es . . . so lange Zeit
hindurch in der unvornehmen und aller frischen Luft entbehrenden Alten Jakobstraße
ausgehalten habe". Liebevoll beschreibt der Erzähler Äußeres und Innenausstattung
von Treibeis neuem Wohnschlößchen, nachdem er dazu ausgedehnte örtliche Vorstudien
angestellt hatte.
Treibeis ältester Sohn hatte sich - nach Fontanes Willen - ganz in der Nähe „selbständig etabliert und am Ausgang der Köpenicker Straße, zwischen dem zur Pionierkaserne gehörigen Pontonhaus und dem Schlesischen Tor, einen Holzhof errichtet,
freilich von der höheren Observanz, denn es waren Farbehölzer, Pernambuk- und
Campecheholz, mit denen er handelte".
Der ganze Roman nahm zur Grundlage die engen Beziehungen Fontanes zu der
Luisenstadt, in der er mehrfach wohnte, und seinen gesellschaftlichen Verkehr mit der
263
Familie des Großindustriellen, Geh. Kommerzienrat Heckmann4'2. Eine der beiden
Villen, die Fontane 1892 als Vorbild für das Treibeische Haus diente, stand noch 1945
und wurde nach Kriegsbeschädigung zeitweise in ein Kino umgewandelt. In dem Roman läßt der Dichter noch andere Personen der Luisenstadt auftreten, so den Restaurateur Gustav Buggenhagen, der in der Oranienstraße seine Gaststätte hatte, und einen
Geistlichen der Thomasgemeinde, der Treibeis zur Betreuung der kleinen Lizzi eine
zuverlässige Frau empfohlen hatte 43 .
„Effi Briest" und die Christuskirche
1863-1872 wohnte der Dichter mit seiner Familie Hirschelstraße 14, später in Königgrätzer Str. 25 umbenannt 18 , Ecke Dessauer Straße. Gleichzeitig mit dem Einzug
der Fontanes war, gegenüber der Einmündung der Großbeerenstraße, die von Friedrich Adler entworfene Christuskirche im Bau, die von einer 1859 gegründeten englischen Gesellschaft für Judenmission erbaut und 1864 fertiggestellt worden war, ein
nur von einem Glockentürmchen überragter Giebelbau in spätgotischen Backsteinformen. In eines der Nachbarhäuser verlegte Fontane die sehr bescheidene Wohnung
von „Effi Briest" (erschienen 1895). Schon bei der Vorgeschichte zu dem im Dunkeln
bleibenden „Fehltritt" Effis bringt Fontane eine Erinnerung an seine Bethanienzeit
an 44 , er läßt Effi ihrer Mutter von dem neuen Landwehrbezirkskommandeur in Kessin, Major von Crampas, erzählen. Dieser hatte wegen Frauengeschichten ein Duell
mit einem Kameraden. „Der linke Arm wurde ihm dicht unter der Schulter zerschmettert, und man sieht es sofort, trotzdem die Operation . . , ich glaube, sie nennen es
Resektion, damals noch von W i 1 m s ausgeführt, als ein Meisterstück der Kunst gerühmt wurde." Rost35 fand (1931) mit Recht, daß Fontane Effis Wohnung in der
Königgrätzer Straße „knapp und trotzdem überaus anheimelnd dargestellt" habe.
Beim Einzug wurde das Hotel Habsburger Hof (s. o.) in ein Gespräch Effis mit ihrer
Hausangestellten Roswitha einbezogen, der sie versprach, nach der Einzugs„plackerei"
eine Karaffe Spatenbräu und „etwas Gutes aus dem Habsburger Hof" mitbringen zu
lassen45. Die Wohnung legte der Dichter „zwischen dem Askanischen Platz und Halleschem Tor" fest, und wir erfahren aus dem Gespräch der kranken Effi mit dem
Sanitätsrat Rumschüttel über ihre Lage und die Ausblicke zum Kreuzberg, der gerade
terrassiert wurde, und über die Nähe des Prinz Albrecht-Gartens mit Brunnenausschank. Erschütternder aber die Unterhaltung der einsamen Effi mit der treuen Roswitha über den Versuch, sich durch die Predigt des Geistlichen der Christuskirche von
ihrem Leid ablenken zu lassen. Bei diesem handelt es sich um Prof. D. Paulus Stephanus
Cassel (1821-1892), der vom jüdischen zum evangelischen Glauben übergetreten war
und neben seinem Predigtamt zahlreiche religions- und kulturgeschichtliche Abhandlungen veröffentlicht hat. Er ruht auf dem Kirchhof seiner Gemeinde vor dem Halleschen Tor. - Das erste und letzte Wiedersehen Effis mit ihrem Töchterchen wird vom
Dichter bewußt durch feine lokale Beziehungen untermalt. - Zur Christuskirche zog
es auch noch den alten Fontane, als er längst in der Potsdamer Straße wohnte, oft
42
43
44
45
Karl Groch, Geh. Kommerzienrat Carl Heckmann (1786-1878), Lebensskizze, in: Die
Luisenstadt, Ein Heimatbuch, Berlin 1927, S. 256 ff.
Schreinert, S. 18, 89, 204.
Effi Briest, Band 7, S. 449.
Effi Briest, Nymphenburger Ausgabe 1969, Band 12, S. 268, 418.
264
wieder
Mama
an die
bin um
hin. Am 25. Juli 1891 schreibt er an seine Tochter Mete 46 : „Wir leben sehr still;
rückt sich überhaupt nicht von der Stelle, ich gehe jeden Abend um neun bis
Christuskirche, umschlendere schließlich zweimal den Leipziger Platz . . . und
elf wieder zu Hause . . ."
Die Christuskirche wurde ein Opfer des letzten Krieges; ihre Tradition wird von der
neuen Christuskirche in der Hornstraße weitergetragen.
Alle diese Kreuzberg-Stätten und -gestalten ließ Dr. Mario Krammer am 6. Mai 1939
in der Domsitzung des Vereins für die Geschichte Berlins in seinem Vortrag „Theodor
Fontane als dichterischer Gestalter Berlins" 47 noch einmal aufleben und durchwanderte
an der Hand der Schilderungen aus den Werken die einzelnen Teile des damals noch
ungeteilten Berlin und so auch die Luisenstadt und „Kreuzberg": „Da wohnen Treibeis
in der Köpenicker Straße, da blickt Lene vom Luisenufer hinüber nach Sankt Michael,
da hat der Dichter selber bald in Bethanien, bald in der Alten Jakobstraße gehaust.
Mit Leopold Treibel geht es zu Zenner, mit Barbys zum Eierhaus (in Treptow), mit
Melanie und den Ihren nach Stralau. Wir genießen die Aussicht von den Müggelbergen
und freuen uns der märkischen Stille in „Hankels Ablage" mit Botho und seiner
Freundin. In der Friedrichstadt tauchen berühmte Straßen und Plätze auf. . . Bei
Kuglers in der südlichen Friedrichstraße ist abends von draußen her kein Laut zu
vernehmen . . . Als Gordon zum ersten Mal Ceciles Gärten hinter ihrem Haus am
Hafenplatz sieht, ruft er aus: „Insel der Seligen!" . . , und die arme verlassene Effi
kann nur trauernd zur epheuumrankten Christuskirche hinüberschauen."
Th. F., Briefe (An die Familie. Erste Sammlung. 1. Bd. Bln. 1911, S. 256, Brief Nr. 324.
Beiblatt z. Zeitschrift d. Vereins f. d. Gesch. Berlins, 1939, Nr. 4, S. 15.
Grabweihe
20. September 1948
Von Rudolf Danke f
Durch die Liesenstraße, nahe dem Wedding in Berlin,
weißgekleidete Frauen zum Grabe Fontanes ziehn.
Botschaft der Liebe festlich zu sagen
Kränze aus roten Rosen sie tragen.
Haben Kunde weithin vernommen.
Alle, alle sind sie gekommen:
Effi Briest, Grete Minde, Frau Jenny Treibel, Stine,
Cecile und von den Barbys Armgard und Melusine,
die Damen von Poggenpuhl samt Frideriken
und da, ein verhutzeltes Frauchen: Hoppenmarieken,
Frau von Carayon nebst Tochter - immer mehr schließen sich an,
um zu wallfahrten zu ihrem Dichtersmann.
Dichter nur? - Nein, mit Herz und Feder
gab er Leben und Seele jeder,
gab ihnen Schicksale, oft leidvoll-schwer,
daß sie einst würden unsterblich - wie er.
265
Während sie nun den Hügel umschreiten
und Kranz neben Kranz auf den Efeu breiten,
kommt schüchtern ein Mädchen, die Wangen ihm brennen,
und alle die Agnes vom alten Stechlin erkennen.
Und sie trägt eine Krone aus Blumen gewunden,
die sie auf märkischen Fluren gefunden.
Die Frauen sehen sie zaghaft stehn
und winken ihr zu, nur näher zu gehn.
Da setzt sie (und beugt sich grüßend hinab)
die Krone auf des Dichters Grab.
Die leuchtet nun über der Rosen Pracht
und hat den Schlafenden lächeln gemacht. . .
Vom Grabe Fontanes wandern voll Glück
die Frauen in Städte und Dörfer zurück,
wo sie wie in alten verklungenen Tagen
des Dichters Ruhm in die Häuser tragen.
Das Fontane-Denkmal von Max Klein im Berliner Tiergarten.
Enthüllt am 7. Mai 1910.
Foto: Ellen
266
Fontane-Miszellen
Fontane, deutsch oder französisch gesprochen?
Ein Mitglied des Vereins fragte Fontane, ob er sich preußisch Fon-ta-ne ausspreche oder französisch Fong-tahn. Darauf antwortete der Dichter: „Sonntags können Sie mich Fong-tahn
nennen, wochentags aber Fon-ta-ne."
Mitgeteilt von Vetter in der „Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins" (1940).
*
Aus dem Nachlaß unseres Mitgliedes Rudolf
Danke:
Nachruhm
Theodor Fontane nahm an einem Bankett teil, das zu Ehren von Paul Lindau, dem erfolgreichen Publizisten und Theaterleiter in den achtziger und neunziger Jahren veranstaltet wurde.
Nach mehreren Toasten auf den Gefeierten erhob sich auch Fontane zu einem Trinkspruch,
dessen letzter Vers lautete:
Und der diese Verse schreibt,
wird wohl bald vergessen schlafen.
Lindau aber, Lindau bleibt:
Lindau - Bregenz - Friedrichshafen!
Eh bien, das Herz
Als aufmerksamer Ehegatte - was aber von der Ehegattin häufig in Abrede gestellt wurde pflegte Fontane seine Frau Jahrzehnte hindurch an ihrem Geburtstag mit einem Glückwunschgedicht zu überraschen. Mehrere dieser Art sind später im Nachlaß-Band seines Werkes veröffentlicht worden. Dieses aber, das durch seinen drastischen Nachsatz zugleich die Frage aufwirft: Hat Fontane berlinert? - noch nicht.
Zum 14. November 1868
Ja, ja, Geliebte, man wird alt,
Die Nerven
ach, du lieber Gott,
Trotz Filz und Wolle hat man kalt
Die Leber wird zum Kinderspott,
An Sohlen und an Füßen.
Die Leber und der Magen.
Und ißt am Schlüsse des soupers
Doch würd" auch alles weh und wund,
Man gern noch etwas Schweizer Käs',
Eh bien, bleibt nur das Herz* gesund,
So muß man dafür büßen.
So wollen wir's ertragen.
Th. F.
* will ooeh nich mehr!
Nachrichten
Die Insel Scharfenberg ist mit 20,3 ha die größte der 7 Inseln des Tegeler Sees. Ihren Namen
hat sie von einem 9 m hohen Hügel, der sich am Nordende der Insel befindet.
Am 15. 6. d. J. unternahm der Verein für die Geschichte Berlins seinen Sommerausflug auf diese
Insel. Unter der sachkundigen Führung von Herrn Dipl.-Gärtner Kautz wurde den Besuchern
die Entwicklung und Geschichte der Insel vor Augen geführt.
Durch Ausgrabungen und Funde lassen sich auf den Inseln und am Rande des Sees Siedlungen
bis in die Steinzeit nachweisen. Auf Scharfenberg selbst wurden Feuersteingeräte und Urnenscherben vom Ende der jüngeren Eiszeit und Anfang der Bronzezeit gefunden.
Bis ins 18. Jh. gibt es über Scharfenberg keine Überlieferungen. Wahrscheinlich kam es mit dem
Verkauf des Dorfes und der Mühle Tegel durch den Cöllner Bürger Johannes Wolf 1391 an
das Benediktiner-Nonnenkloster Spandau. 1558 wurden alle Besitzungen und Einkünfte des
Klosters vom Kurfürsten eingezogen und dem königlichen Amt Spandau unterstellt.
Namentlich wird Scharfenberg zum erstenmal 1714 in einer Kirchenmatrikel genannt. In ihr
wird mitgeteilt, daß sich während des Dreißigjährigen Krieges die Bewohner der Umgebung
auf die Inseln des Sees flüchteten.
Die nun zahlreicher vorhandenen Urkunden zeugen von einem ständigen Wechsel der Besitzer
und Erbpächter. So übernahm 1752 der Kammerdiener Christian Ludwig Möhring das Gut
Tegel auf Erbpacht von der Königl. Preuß. Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer,
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allerdings mit der Auflage, 10 000 Maulbeerbäume anzupflanzen. Als Entschädigung bekam er
das Hütungsrecht auf der Insel Scharfenberg verbunden mit der Verpflichtung, dort Hopfen
anzubauen, da das Gut Brauereirecht hatte.
Im Jahre 1764 kaufte das Gut Tegel der Hauptmann Friedrich Ernst von Holwede, der mit
Marie Elisabeth Colomh verheiratet war. Ein Jahr später starb Holwede, und 1766 verheiratete
sich die Witwe mit dem Kammerherrn und Obristwachtmeister der Kavallerie, Alexander
Georg von Humboldt. Aus dieser Ehe gingen Alexander und Wilhelm von Humboldt hervor.
Erst 1822 gingen das Schloß und Gut Tegel an den Staatsminister Wilhelm von Humboldt als
freies Eigentum über. Auf der zum Gut gehörenden Insel Scharfenberg erloschen nun erst das
Hütungsrecht und die Pflicht des Hopfenanbaus.
In den folgenden Jahren wechselten laufend die Erbpächter, bis 1867 der Naturwissenschaftler
Dr. Carl Bolle die Insel von dem Landwirt Krause kaufte. Carl Bolle wurde am 21. 11. 1821
in Schöneberg geboren. Nach einem anfangs medizinischen, später naturwissenschaftlichen Studium in Berlin und Bonn unternahm er Studienfahrten bis zu den Capverdischen und Kanarischen Inseln. Nach seiner Rückkehr verwirklichte er seinen Jugendtraum und schuf auf
Scharfenberg einen dendrologischen Garten. Einen Teil der Bäume und Sträucher bezog er von
der Königlichen Baumschule in Alt-Geltow bei Potsdam, andere direkt aus dem Ausland, die
er dann auf der Insel akklimatisierte. So geht aus einer Liste von 1890 ein Bestand von 752
Pflanzenarten hervor. Einige davon sind noch heute vorhanden.
1883 ließ sich Dr. Bolle auf der Insel von einem unbekannten Baumeister eine Villa erbauen. Obwohl der Plan bestand, sie unter Denkmalschutz zu stellen, wurde sie wegen ihres schlechten
Zustandes 1958 abgerissen.
Dr. Carl Bolle starb am 19. 2. 1909. Er wurde auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg beigesetzt, 1938 mit anderen Gräbern nach Stahnsdorf-Süd umgebettet. Der Grabstein
kam auf die Insel Scharfenberg. Die Insel erbte Dr. Bolles Neffe, Adolf Bolle, der sie aber
schon 1910 an die Stadt Berlin für 800 000 Mark verkaufte. Die Humboldtschen Erben, die
noch im Besitz des Vorkaufsrechtes waren, wurden mit der Insel Lindwerder (Liebesinsel) und
125 000 Mark entschädigt.
1922 gründete der Pädagoge Wilhelm Blume, der 1969 in Frohnau seinen 85. Geburtstag feierte,
die Schulfarm Scharfenberg.
Die Schule hat heute 190 Schüler, die von 20 Lehrkräften unterrichtet werden. Nach einer
Aufnahmeprüfung werden Jungen und Mädchen in die 7. Klasse des wissenschaftlichen Zweiges
aufgenommen. Sie können bis zur Reifeprüfung geführt werden. Neben dem Unterricht müssen sich die Schüler in einer der sogenannten 9 Innungen betätigen. Diese gliedern sich in Landwirtschafts-, Gärtner-, Hauswirtschafts-, Tischler-, Schlosser-, Maler-, Weberei-, Druckereiund Fotoinnung. Jede Innung kann vom Schüler frei gewählt werden und ist Prüfungsfach.
Sehr ausgeprägt ist die Schülerselbstverwaltung. Durch sie werden Gruppen gebildet, die verantwortlich sind für täglich anfallende Arbeiten wie z. B. Fährdienst, Ordnung im Haus, Hilfe
bei den Mahlzeiten. Krönung dieser demokratischen Einrichtung ist die „Vollversammlung",
in der jeder Insulaner, Lehrer wie Schüler, gleiches Mitsprache- und Stimmrecht hat. Die Leitung der Vollversammlung liegt in den Händen des Schülerausschusses, dem ein Lehrer als
Berater zur Seite steht. Sie findet in dem großen kombinierten Theater- und Eßsaal statt, der
sich in dem 1960/61 erbauten Zentralbau befindet, der an der Stelle des alten Bolle-Hauses
errichtet wurde. Im Vorraum steht eine Skulptur von Prof. Bernhard Heiliger: ein Fährmann,
der an diese Tradition auf der Insel Scharfenberg erinnern soll.
Jürgen Grothe
Studienfahrt nach Lüneburg und zu den Heideklöstern
vom 5. bis 7. September 1969
Hatte sich im vergangenen Jahr zu der ersten Studienfahrt des Vereins nach dem Kriege eine
Gruppe von über 30 Teilnehmern gemeldet, so machte der gute Erfolg der Exkursion nach
Einbeck diesmal mehr als die doppelte Anzahl von Mitgliedern Mut, sich den beiden Omnibussen nach Lüneburg anzuvertrauen. Nach unvorhersehbarem, mehrstündigem Aufenthalt an
der Grenze war es schon Nachmittag, als die Teilnehmer in der Heiligengeiststraße in Lüneburg eintrafen, wo sich hinter Backsteintreppengiebeln die seit 1485 bestehende Lüneburger
Kronen-Brauerei AG verbirgt. Nach einer Führung durch die modernen Einrichtungen dieser
Brauerei hielt Dr. H. G. Schultze-Berndt im Rahmen eines Abtrunks in der spätgotischen Diele
der Brauerei einen Vortrag über die Geschichte des Brauwesens in Lüneburg. Der Schriftführer
zeigte auf, welche Bedeutung das Braugewerbe in dieser gewöhnlich als Salzhaus der Hanse
bezeichneten Stadt vom Mittelalter bis zum heutigen Tage gehabt hat. Der im selben Gebäudekomplex gelegene Brauereiausschank „Zur Krone" vereinte dann die inzwischen recht hungrig
gewordenen Reisegefährten.
268
Am Sonnabendvormittag führten Frau Stadtarchivarin Dr. Thierfelder und Herr Museumsdirektor Dr. Körner die beiden Gruppen durch das Rathaus als Mittelpunkt und Kleinod der
Stadt und gingen dabei auch auf die wechselvolle Geschichte Lüneburgs ein. Dr. Körner erläuterte anschließend die Baugeschichte von St. Nikolai., während Dipl.-Ing. Seemann bei dem
Rundgang, der sich nicht nur auf die Schauseiten der alten Gebäude beschränkte, Bürgerstolz
und Bürgerinitiative demonstrierte, die sich bis auf den heutigen Tag in Lüneburg erhalten
haben; mit spürbarer Liebe zeigte er seinen Gästen den alten Kran. Für den Nachmittag stand
als erstes die Besichtigung des Klosters Lüne auf dem Programm, und die Teilnehmer fühlten
sich, von Frau von Bothmer und Fräulein von Jagow, der Nichte des früheren Berliner Polizeipräsidenten, freundlich geleitet, zurückversetzt in die Welt des Mittelalters. Dieser Eindruck
hielt auch in Bardowick noch an, einstmals wichtigere Handelsstadt als das benachbarte Lüneburg. Oberstudienrat Meyer räumte im Dom mit der hartnäckig vertretenen Auffassung auf,
der Niedergang Bardowicks sei die Folge der Zerstörung dieser Stadt durch Heinrich den
Löwen. Vielmehr setzte diese Fehde nur den Schlußpunkt unter eine Entwicklung, die mit der
Verlagerung des Handels in die neu gegründete Hafenstadt Lübeck begonnen hatte. Der bekannte Lüneburger Organist Studienrat Rogge führte die Möglichkeiten der Orgel des Bardowicker Doms mit zwei Stücken von J. S. Bach vor, darunter dem Vorspiel zu dem Choral
„Wachet auf, ruft uns die Stimme" des Berliners Philipp Nicolai, als Huldigung für die Berliner Gäste gedacht. Ein Ausflug in die Heideblüte bei Egestorf-Sudermühlen bildete den Abschluß dieses ausgefüllten Tages.
Am Sonntag ging die Rückreise als erstes in das Kloster Medingen, dessen besonders freundliche Atmosphäre und in Norddeutschland eigentlich unerwartete, barocke Gestaltung vor
allem der Kirche die Besucher freudig stimmte. Nach einem gemeinsamen Mittagessen in Medingen war der Besuch des Klosters Wienhausen Schlußpunkt und vielleicht auch Höhepunkt
dieser vom Wetter so deutlich begünstigten Studienfahrt. Der Nonnenchor, die alten Teppiche
und Skulpturen verfehlten ihren Eindruck nicht. Spät erst trennten sich die Berliner von diesem
Flecken, und es war schon Mitternacht, als sie Berlin wieder erreichten. Die Auswahl der Besuchsobjekte und das verständnisvolle Mitgehen aller Teilnehmer haben dieser Exkursion zum
Erfolg verholfen und den guten Geist spüren lassen, der dem Verein für die Geschichte Berlins
innewohnt. Das nächstjährige Reiseziel ist schon ins Visier genommen: Die Rattenfängerstadt
Hameln.
H. G. Schultze-Berndt
100 Jahre „Herold"
Vom 2. bis 5. Oktober begeht „Der Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte
Wissenschaften zu Berlin, Gegründet am 3. November 1869" - in Verbindung mit dem 21.
Deutschen Genealogentage - sein lOOjähriges Bestehen. Im Dahlemer Staatsarchiv wird am
5. 10. die Ausstellung „Lebendige Heraldik - lebendige Genealogie" eröffnet. Unser Verein
hat schon im vorigen Jahrhundert enge Beziehungen zum „Herold" unterhalten und entbietet
dem jüngsten 100jährigen unserer Stadt herzliche Jubiläumsgrüße.
Hans Pappenheim
*
In der kommenden Ausgabe unseres Jahrbuches „Der Bär von Berlin" werden anläßlich des
150. Geburtstages von Theodor Fontane folgende Beiträge veröffentlicht:
Dr. Walter Heynen: Fontane-Gespräche.
Dr. Hermann Fricke: Über Fontane-Verehrung.
Hans Joachim Mey: Berlin in den Altersbriefen Theodor Fontanes.
Dr. Dr. Manfred Stürzbecher: Die Apothekenschwestern im Krankenhaus Bethanien
und Theodor Fontane.
V o n unseren
Mitgliedern:
E h r e n m i t g l i e d P r o f . D r . E d w i n R e d s l o b 85 J a h r e a l t
Am 22. September 1969 vollendete Prof. D r . Edwin Redslob sein 85. Lebensjahr,
Ehrenmitglied des Vereins für die Geschichte Berlins seit 1965, als er auf dessen
J a h r h u n d e r t f e i e r in einem glanzvollen Festvortrag das Bild unserer S t a d t im G r ü n dungsjahr des Vereins a n uns h a t t e vorüberziehen lassen.
„ Z u m Sehen geboren, z u m Schauen bestellt" w u r d e der angesehene Museumsdirektor
in Erfurt, als ihm die Reichsregierung 1920 A m t u n d W ü r d e eines Reichskunstwartes
verlieh. I m dritten Reich verlor er das A m t u n d daher nicht die W ü r d e , w a r so
nach 1945 ebenso bereit wie prädestiniert, maßgeblich am kulturellen Wiederaufbau
Berlins mitzuarbeiten. Schon 1945 w u r d e er Mitbegründer des „Tagesspiegel", 1947
269
w ä h l t e ihn der Gründungsausschuß der Volksbühne z u m ersten Vorsitzenden u n d
1948 w a r er, gemeinsam mit Friedrich Meinecke, G r ü n d u n g s r e k t o r der Freien U n i versität. Eine Fülle von Schriften w i d m e t e der in W e i m a r Geborene dem Genius
loci, aber auch seiner W a h l h e i m a t Berlin, u n d w e r einmal das Glück hatte, einer
Lesung seiner in müheloser Gebundenheit d a h i n s t r ö m e n d e n Sonette beiwohnen zu
können, durfte auch etwas von seiner D i c h t e r n a t u r erfahren. So w a r es beinahe
selbstverständlich, d a ß der J u b i l a r 1959, an seinem 75. Geburtstag, in die Reihe jener
verdienten Persönlichkeiten aufgenommen w u r d e , die die S t a d t Berlin durch die Verleihung der E r n s t - R e u t e r - P l a k e t t e zu ehren pflegt.
Ein Menschenleben schien erfüllt, ein Menschenwerk getan, da w u r d e der im biblischen Alter stehende I n i t i a t o r des Berlin-Museums, seiner Schöpfung, die er mit
unwahrscheinlichem Elan, nie versagendem Optimismus, zäher V e r h a n d l u n g s k u n s t
u n d seinem bewunderswerten Talent, M ä z e n e zu finden, zu dem fast vollendeten
Ziele führte, das wir heute im alten Kammergericht betrachten k ö n n e n .
Edwin Redslob h a t sich u m Berlin hoch verdient gemacht. Möge ihm noch lange J a h r e
die K r a f t verliehen sein, seinem Werk, uns allen, r a t e n d u n d fördernd zur Seite
zu stehen.
Walter Hoff
mann-Axthelm
D r . E b e r h a r d Faden 80 J a h r e
Unser langjähriges Vorstandsmitglied, Stadtarchivdirektor a. D. Dr. Eberhard Faden, Historiker und Chronist unserer Stadt, wurde am 1. September 1969 80 Jahre alt. Gebürtiger Berliner und Abiturient des Luisen-Gymnasiums in Moabit, studierte er an der Berliner FriedrichWilhelms-Universität Deutsch, Geschichte und Erdkunde und wurde als Leutnant vor Verdun
schwer verwundet. Seine von Otto Hintze angeregte Dissertation „Berlin im Dreißigjährigen
Kriege" erschien 1927 in Buchform und ist bis heute grundlegendes Nachschlagewerk für diese
kulturell vielfach verkannte Zeit geblieben. Seit 1919 war Dr. Faden Studienrat am Lichterfelder Schiller-Gymnasium und lehrte dort seine Fächer. An der Festschrift zur 700-Jahr-Feier
Berlins 1937 war Faden maßgeblich beteiligt. 1938 wurde er Schriftführer der Zeitschrift des
deutschen Sprachvereins, „Muttersprache". 1939-1945 war Dr. Faden Direktor des Stadtarchivs
von Berlin und wirkt noch heute als Verfasser und Mitarbeiter an zahlreichen Schriften und
historischen Kompendien zur Vergangenheit unserer Stadt. Wir wünschen dem um unsere Ziele
hochverdienten Forscher Kraft und Gesundheit zur Fortsetzung seines Schaffens auch im neunten Jahrzehnt.
Hans Pappenheim
F r a u D r . Lilly M o r i t z t
Am 20. August 1969 verstarb neun Monate nach dem Heimgang ihres Gatten unser langjähriges
Mitglied Frau Dr. Lilly Moritz, Wilmersdorf, im Alter von 71 Jahren. Die Verstorbene gehörte zu den Mitgliedern, die im Jahre 1949 nach dem 2. Weltkrieg dem Verein beitraten und
an der Wiederaufbauarbeit des Vereins für die Geschichte Berlins tätig mitwirkten. Die Entschlafene war eine erfolgreiche Förderin der Geschichts- und Heimatkunde Berlins, die auch
viele Jahre als 1. Vorsitzende den Heimatverein Wilmersdorf leitete. Eine große Trauerversammlung am 27. August d. J. im Krematorium Wilmersdorf unter Anwesenheit des Bezirksbürgermeisters von Wilmersdorf, Vertretern des Bezirksamts und von Freunden und Trauergästen bekundeten Dank und Verehrung für die selbstlose und gemeinnützige Tätigkeit der
Heimgegangenen. Als stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins würdigte Bezirksstadtrat a. D. Kollmann die Verdienste der Verstorbenen um den Heimatverein Wilmersdorf. Für
den Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, dankten der stellv. Vorsitzende, Kurt
Pomplun und unser Ehrenmitglied Karl Bullemer, den Angehörigen für die uneigennützige
Tätigkeit der Entschlafenen für die Geschichts- und Heimatkunde unserer Stadt.
Bullemer
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag an Herrn Helmut-Charles Mathieu, Frau Elisabeth Kliche, Frau
Käthe Hahn, Frau Hanna Reuter, zum 75. Geburtstag Herrn Fritz Ringer, Herrn Stadtältesten
Heinrich Kühn und Herrn Hermann
Holzhausen.
*
Unser förderndes Mitglied, das Bankhaus Hans Weber KGaA, konnte am 10. 9. 1969 auf ein
zwanzigjähriges Bestehen zurückblicken.
270
Im IV. Vierteljahr haben sich folgende Damen, Herren
und Institutionen zur Aufnahme gemeldet:
Rosemarie Becker, Dipl.-Bibliothekarin
1 Berlin 33, Schellendorffstr. 21 a
Tel. 89 32 39
(Prof. Dr. Kettig)
Bernd Raebel, Pfarrer
1 Berlin 61, Stresemannstr. 95
Tel. 18 37 33
(Dr. H. Pappenheim)
Erna Pahl
1 Berlin 44, Weserstr. 135
Tel. 6 21 58 85
(W. Obigt)
Ingeborg Dornbusch, Lehrerin
1 Berlin 10, Nordhauser Str. 29
Tel. 3 8135 33
(H.Danke)
Dr. theol. Friedrich Weichen, Pfarrer
1 Berlin 65, Nazarethkirchstr. 50
Tel. 4 62 20 50
(Vorsitzender)
Horst Kienapfel, Dipl.-Volkswirt
1 Berlin 20, Hohenzollernring 167
Tel. 37 43 71
(K. Bullemer)
Brigitta Wollschlaeger
1 Berlin 46, Preysingstr. 12
Tel. 7 75 39 08
(G. Wollschlaeger)
Ernst Dietrich, Graphiker
1 Berlin 15, Meierottostr. 1
Tel. 8 81 16 95
(R. A. Dietrich)
Dieter Kortmann, Elektroinstallateur
1 Berlin 31, Nassauische Str. 61
(E. Brast)
Hans Ströhmer, Ing.
636 Friedberg, Karlsbader Str. 25
Tel. (06031) 55 95
(R. Koepke)
Dr. Ernst Kreuzer, Kunsthistoriker
1 Berlin 37, Beerenstr. 50
Tel. 84 45 98
(H.-J. Mey)
Bruno Schremmer, Studiendirektor i. R.
3052 Bad Nenndorf, Erlengrund 18
(Dr. H . Pappenheim)
Wolfgang Hermsdorf, Verw.-Oberinspektor
1 Berlin 26, Dannenwalder Weg 176
(K. Streu)
Gottholf Hahn, Pfarrer i. R.
1 Berlin 47, Löwensteinring 5
Tel. 6 03 76 90
(Dr. Letkemann)
Susanne Hahn
1 Berlin 47, Löwensteinring 5
Tel. 6 03 76 90
(Dr. Letkemann)
Hans Lang, BVG-Verkehrsmeister i. R.
1 Berlin 47, Fritz-Erler-Allee 14
Tel. 6 03 89 05
(Dr. Letkemann)
Elisabeth v. Strubberg
1 Berlin 19, Spandauer Damm 62,
Wilhelmstift
(E. Hackemesser)
Werner Neuhaus, Lagerist
1 Berlin 42, Rumeyplan 31 (A. Mentzel)
Hans-Joachim Decker, Kaufmann
1 Berlin 26, Thiloweg 7
Tel. 4 1117 08
(H. Hofmann)
Erna Peters
1 Berlin 19, Philippistr. 1
Tel. 3 06 17 97
(E. v. Strubberg)
Hans Weber, Weberbank-Kommanditges.
a. Aktien
1 Berlin 30, Nürnberger Str. 61-62
Tel. 2 1170 91
(A. Hardow)
Rüdiger Brauer, Schüler
1 Berlin 31, Blissestr. 27
Tel. 87 49 16
(A. u. L. Brauer)
Hartmut Krölke, Techn. Angestellter
1 Berlin 47, Kornblumenring 77 a
Tel. 6 01 18 81
(H. Hofmann)
Elise Wetzel
1 Berlin 41, Holsteinische Str. 18
Tel. 83 09 39
(H. Wetzel)
Dr. Eduard Weisner, Dipl.-Kaufmann
1 Berlin 31, Ballenstedter Str. 14
Tel. 8 86 31 00
(Prof. Dr. Dr. Friedensburg)
Berliner Commerzbank AG
1 Berlin 30, Potsdamer Str. 125
Tel. 13 02 61
(H. Wetzel)
Brigitte Schilling, Chemotechnikerin
1 Berlin 48, Proellstr. 10
Tel. 7 75 25 48
(Schriftführer)
Lucie Goltz, Rentnerin
1 Berlin 19, Spandauer Damm 62,
Hs III 304
(v. Strubberg)
Agnes Meier, Fürsorgerin
1 Berlin 37, Seehofstr. 86
Tel. 84 44 58
(Schriftführer)
Helga Hoffmann, chem.-techn. Assistentin
1 Berlin 20, Grünhofer Weg 47
Tel. 37 35 78
(Schriftführer)
Dr. phil. Frido Bader, Akad. Rat
1 Berlin 41, Beckerstr. 1
Tel. 8 51 97 92
(Vorsitzender)
Paul Töpfer, Biologe
1 Berlin 33, Trabener Str. 24
Tel. 89 87 77
(E. M. Hennig)
Standard Electric Lorenz AG
7 Stuttgart-ZufFenhausen
(W. Hahn)
Hans-Joachim Bartsch, Industriefotograf
1 Berlin 19, Witzlebenstr. 41
Tel. 3 06 39 80
(Dr. Leichter)
Ingeborg Weichsel, Stenosekretärin
1 Berlin 51, Pankower Allee 77
(Dr. Schultze-Berndt)
Heimat-Archiv d. Bezirksamts Charlottenburg
1 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 100
Tel. 34 04 01 App. 155
(W. Eckler)
Adressenänderungen
Victoria-Versicherungs-Gesellschaft
1 Berlin 15, Kurfürstendamm 24
Tel. 8 89 21
Paul Schmidtsdorf
1 Berlin 41, Paulsenstr. 1
Tel. 8 221723
271
Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1969
1. Sonnabend, 11. Oktober, 15.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Margarete Kühn
durch die Ausstellung „Alexander von Humboldt in Berlin und Paris". Treffen
am Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten vor dem Schloß Charlottenburg.
2. Dienstag, 14. Oktober, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Lichtbildervortrag des Herrn Leonard Rautenberg, Numismatische Gesellschaft
Berlin, gegr. 1843, „Das Münzwesen und die Gepräge unter Friedrich Wilhelm I."
3. Freitag, 17. Oktober, 17.00 Uhr, in unserer Vereinsbibliothek, Bericht von
Herrn Karlheinz Grave „10 Jahre neue Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins". Besichtigung wertvoller Bestände und Neuzugänge.
4. Mittwoch, 29. Oktober, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
auf vielfachen Wunsch als Wiederholung: Lichtbildervortrag des Herrn Günter
Wollschlaeger „Das Berliner Stadtschloß und seine Baumeister".
5. Mittwoch, 5. November, 9.00 bis 11.00 Uhr, Besichtigung der Bundesdruckerei,
1 Berlin 61, Oranienstr. 91 (Bus A 67 und 75), in kleinen Gruppen. Wegen der
begrenzten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis zum 25. Oktober bei Herrn Helmut Hof mann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten.
6. Mittwoch, 12. November, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Vortrag des Herrn Dr. theol. Friedrich Weichen „Das Kirchenbauproblem des
19. Jahrhunderts: Der Dom am Lustgarten - die Planung".
7. Sonnabend, 22. November, 15.00 Uhr, im Institut für Zuckerindustrie, 1 Berlin
65, Amrumer Str. 32 (Bus A 16 und 89 bis Ecke Seestr.), Lichtbildervortrag des
Herrn Prof. Dr. Hermann Hirschmüller „Die Rolle Berlins in der Geschichte
des Zuckers - A. Marggraf, F. Achard, A. v. Humboldt, E. Fischer" und Führung
durch sein Institut und das Zuckermuseum. Anschließend geselliges Beisammensein im Restaurant der Hochschul-Brauerei.
8. Dienstag, 2. Dezember, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Vortrag des Herrn Hans Joachim Mey „Fontane und die Kulturströmungen des
19. Jahrhunderts in Berlin".
9. Mittwoch, 17. Dezember, 19.30 Uhr, in der Eichengalerie des Charlottenburger
Schlosses Fontane-Feier des Vereins gemeinsam mit der Historischen Gesellschaft
zu Berlin, gegr. 1872. Vortrag von Herrn Dieter Meichsner, NDR, „Theodor
Fontane und Berlin 1969. - Vom Duvenstedter Brook aus betrachtet - " . Rezitationen durch Frau Staatsschauspielerin Käthe Haack. Es ergehen besondere
Einladungen.
10. Dienstag, 30. Dezember, 11.00 Uhr, Kranzniederlegung am Fontane-Denkmal
an der Tiergartenstraße unweit der Drakestraße (Bus A 16, 24 und 69). Es
spricht Herr Dr. Walter Heynen.
Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend
geselliges Beisammensein im Ratskeller.
Freitag, 17. Oktober, 28. November und 12. Dezember zwangloses Treffen in der
Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prot.
Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude 8c Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Bertin 30
272
MS
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Fachabt der Berliner Stadtbibl.othek
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
66. Jahrgang. Nr. 19
1. Januar 1970
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91
Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 3 91 24 90
Schriftführer: Dr. H. G. Schukze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 4 65 90 11
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D.W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
J o h a n n Friedrich Eosander F r h r . G ö t h e
getauft 2 3 . 8. 1669 zu Stralsund, gestorben 22. 5. 1728 zu Dresden
(Nach einem Gemälde von A. Pesne gestochen von J. G. Wolfgang)
Johann Friedrich Eosander, ein Hofarchitekt Friedrichs I.
von G ü n t e r Wollschlaeger
Vor dreihundert Jahren wurde Johann Friedrich Nilsson Eosander, genannt Göthe,
geboren, der glänzende, weltgewandte Architekt und Hofkavalier, der nach dem Sturz
Schlüters die bestimmende Rolle in der Hofbaukunst unter Friedrich I. spielen sollte.
Die Angaben über Geburtsdatum und Geburtsort schwanken. Das Standardwerk
„Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler" von Thieme-Becker beschränkt sich
1914 auf den Hinweis „um 1670 in Dänemark oder in Livland", während die jüngere
„Neue Deutsche Biographie" in ihrem IV. Band diesen „um den 23. 8. 1669 in Stralsund" präzisieren kann. Nach dem neuesten Brockhaus ist er an diesem Tage getauft.
Der Thieme-Becker weist ihn als Angehörigen einer alten schwedischen Familie aus,
die mehrere Generationen hindurch Geistliche gestellt hatte, während die „Neue Deutsche Biographie" seine Kindheit in „Stralsund, vielleicht auch in Holstein und Dänemark" vermutet. Sie fußt hierbei auf den Forschungen Rudolf Biederstedts.
1685 wird der junge Eosander als „Conducteur in der Lehre" bei den Festungsarbeiten
in Riga erwähnt. Zwei Jahre früher war sein Vater, der Ingenieur-Kapitän Nils Israel
Eosander, der es bis zum schwedischen Generalquartiermeisterleutnant brachte, dorthin
versetzt worden.
1692 tritt der Sohn nach „Thieme-Becker" in kurfürstlich-brandenburgische Dienste
und unternimmt auf Kosten des Kurfürsten bis 1699 mehrere Studienreisen. Roswitha
Beyer dagegen weiß ihn in der „Neuen Deutschen Biographie" als Festungsconducteur
in schwedischen Diensten in Stettin und legt seine Berufung an den Berliner Hof ebenfalls in das Jahr 1699.
Diese verdankt er letztlich der Bekanntschaft des schwedischen Feldmarschalls Graf
Nils Bielcke mit dem brandenburgischen Kurfürsten und dessen Verbindung zu dem
schwedischen Baumeister Nikodemus Tessin dem Jüngeren. Er erhält als Hauptmann
und Hofarchitekt 600 Reichsthaler Gehalt und - wie allgemein üblich - freien Tisch
und freie Wohnung am Hof. Zunächst wird ihm die Dekoration der Oper - damals im
Marstall in der Breiten Straße - unterstellt, er empfängt aber unmittelbar darauf den
Auftrag zum Umbau des Grumkowschen Hauses in Schönhausen bei Berlin, das der
Landesherr zum Schloß erweitern will.
Im Jahre 1700 besucht Eosander auf einer Studienreise durch Frankreich auch Paris.
Nach seiner Rückkehr schmückt er die Königsberger Schloßkirche für die Krönungsfeierlichkeiten aus und entwirft mehrere Ehrenpforten für den Einzug des Königs
in Berlin. Anscheinend hat er sich hierbei zu eng an einen früheren Entwurf des
Architekturtheoretikers und Mathematikers Leonhard Christoph Sturm angelehnt,
den dieser dem Kurfürsten Friedrich III. anläßlich der Einweihung der Universität
Halle 1694 überreicht hatte. Jedenfalls beklagt sich Sturm darüber in seiner Autobiographie.
Als Baudirektor erhält Eosander seit 1702 verschiedene Aufgaben. Zu ihnen gehört
die Vergrößerung des Schlosses Lietzenburg, des späteren Charlottenburg, zur Dreiflügelanlage mit hierdurch bedingter Erweiterung des Corps de Logis und dem Bau
zweier Orangerien. Der Entwurfplan Eosanders hierzu ist uns erhalten. Der Tod des
274
Königs verhindert die Ausführung der östlichen Orangerie. Eichengalerie, Rotes Tressenzimmer, Porzellankabinett und die Schloßkapelle zeigen Eosanders große innendekorative Begabung in der damaligen Formensprache, auch der Außenbau trotz der
engen Anlehnung an die holländisch beeinflußte Fassadengestaltung des Neringschen
Ursprungsbaues im Corps de Logis seine Orientierung an der französischen Dreiflügelanlage. Die wunderschöne, harmonisch ausgereifte Orangerie mit ihren mehrfachen
Wandschichtungen im Mittelbau offenbart seine besonderen Fähigkeiten im ländlichen
Bereich.
Während seines Stockholmer diplomatischen Aufenthaltes in den Jahren 1703 und
1704 verarbeitet er die Erkenntnisse der Baukunst des jüngeren Nikodemus Tessin und
ist nach seiner Rückkehr neben seinen Aufgaben in Charlottenburg mit der Vergrößerung des Schlosses Oranienburg und mit der Errichtung des Schlößchens Favorite (1706
bis 1709) im dortigen Park betraut.
Gleichzeitig erbaut er auf ehemaligem Vorwerkgelände der Kurfürstinnen für den
Grafen Wartenberg die Ursprungsanlage des späteren Schlosses Monbijou. Auch hierzu ist uns sein Plan erhalten, ein anmutiger Kupferstich, typisch für die Zeit um 1700,
der zwar geballter, doch noch ganz der schemenhaften Flächenfüllung des 17. Jahrhunderts verhaftet ist:
Berceaux führen über die Grundstücksbreite vom Mittel- zu zwei Eckpavillons unter
holländischen Dächern. Beschnittene Hecken bilden in freier Symmetrie den seitlichen
Abschluß der südlichen Hälfte, die sich zum Blickpunkt Spree - mit Lustbarke öffnet. Sie laufen auf zwei weitere Pavillons am Wasser zu. Auch hier wieder holländische Dächer.
Die Beziehungen des Hofes zu den Niederlanden machen ihren Einfluß in der heimischen Kunst verständlich. Baumreihen und Kübelpflanzen begrenzen das kleine eingetiefte Parterre in der Mitte. Sie bilden mit kiesangeschütteten Beeten, deren Seiten
mit pyramidenförmigen Bäumchen abgepflanzt sind, ein Relief barocker Gartenkunst,
das die Plastik der Architektur in gestaltete Natur umsetzt. Eine Schranke, die durch
Skulpturen und Blumenkübel betont ist, schließt das Ganze zur Spree. Der Mittelpavillon gipfelt in einem Belvedere auf und zeigt lebhafte Wandbehandlung mit Pilastern, deren vertikale Kraftlinien in Skulpturen ausklingen. Hinter ihm und den
eingangs erwähnten Berceaux täuschen in der nördlichen Hälfte Salons und Fächeranlagen mit Broderien - wiederum vor zwei Pavillons - perspektivisch die räumliche
Weite des Parks vor, der in die Landschaft weiterwirkt (Abb.).
Kritisch beurteilt Eosander die architektonischen Fähigkeiten des Bildhauers Andreas
Schlüter, vor dessen mangelnden Statikkenntnissen er den König mehrfach gewarnt
hatte. Die Münzturmkatastrophe hat er vorausgesehen. Er wird daher zum Mitglied
der eingesetzten Prüfungskommission berufen, der auch der Nermg-Schüler Martin
Grünberg und der schon erwähnte Architekturtheoretiker Leonhard Christoph Sturm
aus Frankfurt an der Oder angehören. Das Gutachten, das zur Ablösung Schlüters in
der Schloßbauleitung führte, war im wesentlichen objektiv, obwohl Eosander Schlüter
im „Theatrum Europaeum" später überheblich kritisiert hat.
Als dessen Nachfolger in der Schloßbauleitung muß er sich bei der westlichen Erweiterung, um die Einheitlichkeit zu wahren, im großen und ganzen an seinen genialen Vorgänger halten, löst sich aber völlig in der Gestaltung des Westflügels von
275
Schloß Monbijou
(Nach Eosander Göthe gestochen von J. Böcklin)
ihm. In die etwas nüchterne und trockene Fassade stellt er die freie Nachbildung des
römischen Septimlus Sefer«j-Triumphbogens als einem absolutistischen Monarchen
angemessenes Portal.
Die hervorragend geplante Erneuerung des 7Vi«ro«schen Quertraktes als Trennung
der beiden Schloßhöfe wird nicht mehr ausgeführt. Auch das von ihm entworfene über
fünf Meter hohe Silberbuffet im Rittersaal und die Innendekoration der Bildergalerie
verdienen hier Erwähnung.
Als Oberbaudirektor mit einem Gehalt von 1200 Reichsthalern erhält er 1709 neben
der Aufsicht über alle Zivil- und Militärbauten auch die Bauleitung an dem 61 Jahre
später abgebrannten Schloß zu Alt-Landsberg.
Der Tod Friedrichs I. führt im Herbst 1713 zu seiner Entlassung, nachdem er die
Dekorationen für dessen Leichenbegängnis noch mitentworfen hat. Er begibt sich m
die Dienste Karls XII. von Schweden, den er von seinen diplomatischen Missionen
her kannte. Dieser König überträgt den Adel des 1712 ohne Erben verstorbenen
schwedischen Diplomaten Samuel Eosander Göthe, der ein Vatersvetter Johann Friedrichs war, auf ihn und macht ihn zum Freiherrn.
Als schwedischer Generalmajor wird Eosander zwei Jahre später in Stralsund preußischer Kriegsgefangener, kommt auf die Festung Spandau, erreicht aber bald seine
Übersiedlung nach Frankfurt am Main. Seine Frau war eine Nichte des bekannten
Verlegers Matthäus Merian des Jüngeren. Dort erschien fünfzehn Jahre nach seinem
Tod der erste Teil seines Buches „Kriegsschule oder der geübte Soldat".
276
Kostspielige H a u s h a l t u n g u n d alchemistische Versuche zwingen ihn 1722, sächsische
Dienste a n z u n e h m e n . A m 22. Mai 1728 stirbt er als sächsischer Generalleutnant, nachdem er zwei J a h r e v o r h e r das anmutige Schlößchen Uebigau bei Dresden für den
Grafen Flemming als seinen letzten Bau vollendet hat.
Mit dem Wiedererstehen von Eosanders Schöpfung C h a r l o t t e n b u r g nach den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges sind vier N a m e n auf das engste v e r k n ü p f t : Senatsdirigent D r . Robert Riedel, damals Leiter der Hochbauabteilung, der die Mittel bereitstellte, um den Wiederaufbau in Abschnitten ü b e r h a u p t zu ermöglichen. Prof. HinnerkScheper
( t 5 . 2 . 1 9 5 7 ) , einst Bauhaus-Lehrer für Farbgebung, als damaliger Landeskonservator. D r . Margarete Kühn und D r . Martin Sperlich, Direktoren der V e r w a l t u n g
Schlösser und G ä r t e n , die den Wiederaufbau bis in alle Einzelheiten überwachten.
Im Dienste Eosanders haben sie diesen von dem unberechtigten A n w u r f befreit, er sei
n u r ein nicht kongenialer Nachfolger Schlüters am Bau des Stadtschlosses gewesen.
Anschrift des Verfassers: 1 Berlin 46, Preysingstr. 12
Historische Bauten im alten S t a d t z e n t r u m
Das alte Berliner Stadtzentrum wird gegenwärtig in einer Form umgestaltet, die den Erfordernissen des modernen Verkehrs ebenso Rechnung trägt wie den Repräsentationsansprüchen. Viele
historische Gebäude mußten dem zunächst erforderlichen Kahlschlag geopfert werden. Es sei
an das Schicksal der Schinkelschen Bauakademie erinnert. Um so erfreulicher sind die Zeichen,
die für den Erhalt einiger typischen Straßenpartien und für die Restaurierung historischer Bauwerke im Rahmen der Neuplanung sprechen.
Hier ist an erster Stelle das Märkische Ufer zu nennen, das am Spreekanal in unmittelbarer
Nähe des Märkischen Museums gelegen ist und früher die Bezeichnung Neu-Kölln am Wasser
trug. Während auf der Fischerinsel fünf Hochhäuser mit je 21 Geschossen entstehen und die
Tage der Friedrichsgracht gezählt sind, wurde auf Beschluß der Bezirksverordneten von BerlinMitte das gegenüberliegende Märkische Ufer mit einem Kostenaufwand von 4 Mill. Mark
restauriert und ergänzt. So wurde das in der Breiten Straße bei deren Verbreiterung abgerissene Ermeler-Haus am Märkischen Ufer unter der Hausnummer 10 neu errichtet. Vor dem
Abbau wurde es innen und außen vermessen, gezeichnet und fotografiert, so daß der Wiederaufbau, der jetzt abgeschlossen ist, ermöglicht werden konnte. Soweit dies möglich war, wurden
die vor dem Abriß geborgenen Putten, Stuckteile, ausgesägten Deckenmalereien, Vergoldungen
und das Treppenhaus mit dem schmiedeeisernen Geländer wieder eingebaut; der historische
Tabakladen des Tabakwarengroßkaufmanns Ermeler ist im Bau berücksichtigt worden, allerdings kam er von der rechten auf die linke Seite und dient als Weinprobierstube. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Dr. Kurt Goldberg, hat am 6. Oktober mit der Überreichung
eines goldenen Schlüssels symbolisch die gastronomischen Einriditungen eröffnet. Die Räume
Haus N r . 20
Nr. IS
Nr. 16
Nr. 14
Haus Nr. 15 Ermelcr-Haus
v. Friedrichsgracht
Nr. 8
Aufbau des Märkischen Ufers
277
des Weinrestaurants im 1. Stock sind dem alten Ermeler-Haus nachgestaltet, die Originaldecken wurden wieder angebracht. Im Keller wurde eine Bierstube unter dem Namen RaabeDiele eröffnet.
Auch das nebenliegende Haus Nr. 12 ist vollendet. Hier ergibt sich das Kuriosum, daß man
schräg gegenüber in der Friedrichsgracht 15 das Vorbild noch findet, eines der hübschesten
Wohnhäuser der Stadt, das jetzt am Märkischen Ufer sozusagen spiegelverkehrt nachgebaut
worden ist. Einige Teile des Eingangs und die barocke Vortreppe sollen im Original abgebaut
und angefügt werden. Während die sich in Richtung Roßstraßenbrücke anschließenden Häuser unschöne Neubauten sind (Nr. 8 und Nr. 6), ist das Haus Nr. 14 mit seinen Geschossen aus
verschiedenen Bauepochen außen vollständig renoviert worden. Die Denkmalpflege hat sich
auch der Häuser Nr. 16 und Nr. 18, beide vom Ende des 17. Jahrhunderts, und Nr. 20 (um
1870) angenommen und die Fassaden wieder hergerichtet. Unter ihrem Leiter Dipl.-Ing. Fritz
Rothstein hat die Denkmalpflege diese Aufgabe mit Liebe und Geschick gelöst, und der Wiederaufbau des Ermeler-Hauses wäre ohne den vorangegangenen fachmännischen Abbau durch den
VEB Stuck- und Naturstein nicht möglich gewesen.
Marienkirche und
Neptunbrunnen, 1969
(Foto Schultze-Berndt)
Am Fuße des Fernsehturms und ziemlich genau zwischen dem Roten Rathaus und der Marienkirche hat der Neptunbrunnen von Reinhold Begas einen neuen Aufstellungsort gefunden. Auch
hier waren alle Teile sorgfältig aufbewahrt worden, so daß dieses Stück Alt-Berlin in der Nähe
278
des ursprünglichen Platzes eine neue Bedeutung erlangt hat. Früher einmal sagten die Berliner
vom Gott Neptun, der sich nicht gerade durch stramme Haltung auszeichnet: „Mit den Buckel
kommt der nich bei's Milletär!"
Auf dem Weg zur Straße Unter den Linden passiert man das Gebäude des ehemaligen königlichen Marstalls (1897-1900 von Ihne im Renaissance-Stil erbaut). Dort ist die Ratsbibliothek
als Fachabteilung der Berliner Stadtbibliothek in deren Räume eingezogen. Sie umfaßt rund
100 000 Bände und ist als Nachfolgerin der 1815 gegründeten Magistratsbibliothek vornehmlich eine zentrale Facheinrichtung für die Dienststellen des Berliner Magistrats. Eine BerlinAbteilung ist eine Sondersammlung der Ratsbibliothek. Ihr Bestand beläuft sich auf etwa
10 000 Bände, und die Mitarbeiter sind bestrebt, die gesamte deutschsprachige Literatur auf
historischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet zu sammeln, die die Geschichte und Entwicklung Berlins widerspiegelt. Die Berlin-Abteilung bewahrt auch Stadtpläne, Lexika, Zeitungen und Adreßbücher, von denen das älteste im Jahre 1704 erschien. Auch das Stadtarchiv
ist im Marstallgebäude untergebracht.
In die Zukunft weist die Planung der Leipziger Straße, die künftig von mehreren 25geschossigen Wohnhochhäusern und (am Spittelmarkt) einem noch höheren Bürohochhaus flankiert
werden soll. Zwischen diesem Bürohochhaus und der ersten Wohnhochhausgruppe im Südabschnitt der Leipziger Straße soll der Dönhoffplatz als Architekturplatz neu gestaltet werden.
Sein Gepräge soll der Dönhoffplatz von den neu errichteten Spittelkolonnaden von Gontard
(1776) erhalten.
Schultze-Berndt
H G
Nachrichten
Alexander von Humboldt 1769-1859
Unsere Feier in der Eichengalerie
Sonntag, 14. September 1969, Schloß Charlottenburg - die Zeiger der Turmuhr rücken auf
Zehn, Wagen fahren in den Vorplatz ein, die schwarzen Limousinen der „Offiziellen" rollen
über den Ehrenhof bis vor den Haupteingang, die geladenen Gäste einer bevorstehenden festlichen Stunde drängen sich noch in dem Rund des Foyers. Gemeinsam mit der Gesellschaft für
Erdkunde hat der Verein für die Geschichte Berlins zu .einer Feier anläßlich des 200. Geburtstages Alexander von Humboldts in der repräsentativen Eichengalerie des Schlosses eingeladen,
der Regierende Bürgermeister als „Hausherr" zu einem anschließenden Empfang.
Unser Vorstandsmitglied Prof. Dr. K. Kettig als erster Vortragender stellt den zu Ehrenden
in die geistige Situation seiner Zeit, in den Berliner Vormärz, hinein. Alexander von Humboldt
war 1827 dem Rufe in seine Heimatstadt Berlin gefolgt, wo er sehr schnell und noch brillanter
die Rolle wiederfand, die er lange Jahre hindurch im wissenschaftlichen Leben wie auf dem
Parkett der Salons von Paris gespielt hatte. Mit ihm und ganz hervorragend durch ihn wandte
sich das Erkenntnisstreben des Menschen von der Idee, der Spekulation zur Wirklichkeit, vom
universalen Denken zum Einzelnen, Singulären, zur Empirie. Schon die Aufklärung hatte den
naturwissenschaftlich-mathematischen Geist so befördert wie den individualistischen, humanitären, freiheitlichen - in ihr wurzelt Alexander von Humboldt, von hier ist sein stetes Bemühen zu verstehen, Materialien nicht nur zu sammeln, sondern auch universale Zusammenhänge zu erkennen und gedanklich zu bewältigen. Goethes Weltbild von den Urformen der
Natur und ihrem geistigen Seinsgrund berührt sich hier mit den Überzeugungen Humboldts.
In den berühmten Kosmos-Vorlesungen im Hause der Singakademie, die er schon 1827 aufnahm und die sich zu den meistbesuchten Bildungsmöglichkeiten der Stadt zählen konnten, bot
er, die romantische Naturphilosophie Schellings hinter sich lassend, naturwissenschaftliche Erkenntnis für alle: „Mit dem Wissen kommt das Denken, und das Denken verleiht dem Volk
Ernst und Macht." Nach 30jähriger Arbeit daran erschien 1845 der erste gedruckte Band der
Kosmos-Vorlesungen in der damals hohen Auflage von 15 000 Exemplaren und erregte allgemeines Aufsehen; viele Übersetzungen entstanden. Zu den Mitarbeitern gehörten die Brüder
Grimm. Berlin war eine Stätte der exakten Wissenschaften geworden, die von hier aus ihren
Weg nahmen wie ihn mit Aufklärung und Romantik schon andere geistige Bewegungen genommen hatten, und große Namen stehen neben dem Humboldts, der mit vielen dieser Männer
wissenschaftlichen Verkehr und gesellschaftlichen Umgang pflegte: mit Lichtenstein, dem Zoologen, dem Chemiker Mitscberlich, dem Physiker Erman, dem Botaniker Willdenow, dem Geographen Karl Ritter, dem Geologen von Buch und mit noch manchem anderen. Einen neuen
279
Ausgangsort hatten auch die Geisteswissenschaften in ihren bedeutenden Repräsentanten bezogen: Ranke, Savigny, Lachmann: vom Einzelobjekt, das in seiner Besonderheit zu verstehen
ist, herkommend ging ihr Forschen und Denken auf induktivem Wege hin zu den großen
obwaltenden Zusammenhängen. Wenn August Boeckh den griechischen Alltag beschrieb, saß
Alexander von Humboldt zu seinen Füßen. Auch bei Mitscherlich und Ritter hörte er. Für
Hegel freilich und dessen Metaphysik konnte er bitteren Spott parat halten. Ungeachtet des
Gegensatzes zwischen den ständisch-feudalistischen Vorstellungen König Friedrich Wilhelms IV.
und den liberalen, konstitutionellen Neigungen Humboldts bestand zwischen den beiden so
ungleichen Männern eine herzliche Freundschaft. Der König würdigte die Leistungen Humboldts durch Ernennung zum Kammerherrn und Kanzler des Ordens pour le merke. Humboldt, der Kosmopolit, verband das aufstrebende Berlin mit der Welt, die Stadt wird ihrem
größten Bürger immer Dank schuldig sein.
Eröffnung der Alexander-von-Humboldt-Ausstellung.
Von links nach rechts: Prof. Dr. Kettig, Senator Prof. Dr. Stein, Prof. Dr. Dr. Friedensburg,
der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz, Frau Dr. Kühn,
der Vorsitzende Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm.
Prof. Dr. Dr. h. c. Friedensburg, der Vorsitzer der Gesellschaft für Erdkunde, sprach sodann
über Humboldt als Bergmann und Geologe. Der 22jährige hatte seine Studienjahre an der
Bergakademie in Freiberg in Sachsen abgeschlossen, während derer er schon mit einer kleinen
Schrift über die Entstehung des Basalts am Niederrhein in eine damals aktuelle wissenschaftliche Debatte zwischen „Neptunisten" und „Vulkanisten" eingegriffen hatte. Wenn auch in der
Sache irrend, zeigen die Beobachtung der Welt der Erscheinungen und der Drang, von dem
Einzelfall zur Gesamtschau vorzudringen, viele Spuren meisterlicher Begabung. Fünf Jahre
(1792-97) wirkte Humboldt in den Bergrevieren der jüngst vom preußischen Staat erworbenen,
von Hardenberg verwalteten fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth. So jung er war,
hatte er Amt und Würde eines Oberbergmeisters inne und erhielt Gelegenheit zu weiten
Europa-Reisen. In Südamerika und Mexiko kamen ihm diese Erfahrungen der frühen Jahre
zugute als Berater der Bergwerksbesitzer und in der Sozialfürsorge. In Mexiko wurden die
Grundlagen der Vulkanologie gelegt.
280
Der Vorsitzende Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
dankte den Rednern und wies auf die Zeitbedingtheit dieses großen Lebenswerkes hin, das aber immer vom strebenden Bemühen des
lebendigen Geistes Zeugnis legen wird.
Der Feierstunde im Schloß Charlottenburg war eine Kranzniederlegung des Regierenden
Bürgermeisters und der beiden Vorsitzenden am Grabe Humboldts im Tegeler Schloßpark
vorangegangen.
Gerhard Kutzsch
Zehn Jahre neue Vereinsbibliothek
Habent sua fata libelli - Bücher haben ihre Schicksale, ein Wort, das auch für Büchereien gilt.
Was in den ersten Vereinsjahren unter dem verdienstvollen Vorstandsmitglied Stadtarchivar
Ernst Fidicin als Ergänzung der Bibliothek des neuen Rathauses begonnen hatte, konnte schon
zehn Jahre nach der Vereinsgründung ein Eigenleben in den Räumen des Deutschen Doms
unter den Betreuern Brecht und Beringuier fortführen. Als ein Bandkatalog, das 18. Heft der
„Schriften" des Vereins, erschien, war Kaufmann Alfieri der Bibliothekar, der den 2139 Nummern umfassenden Katalog mit Hilfe von Amtsgerichtssekretär Guiard zusammengestellt hatte.
Um die Bibliothek im Deutschen Dom entstanden dann die „Domabende", von denen in der
ersten Nummer der „Mitteilungen" des Vereins, 1884, Kenntnis gegeben wird. 1896 erschien
der große Bücherkatalog (Bibliothekar war inzwischen Guiard geworden), der 1907 noch durch
einen Nachtrag erweitert wurde. Als weitere Bibliothekare wirkten Magistratsrat Schultz,
Rektor Höft, Rechnungsrat Heitepriem und von 1922 bis zum Untergang der Bibliothek am
Kriegsende der Privatgelehrte Felix Hasselherg. 1939 belief sich der Gesamtbestand auf 9030
Bände. In den „Mitteilungen des Vereinsvorsitzenden" vom 20. April 1944 heißt es, daß unser
Verein sein Heim im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt und fast seine gesamte Bücherei
und das Archiv am 30. Januar 1944 verloren hat; „nur wenig hat gerettet werden können".
Der Bibliotheksschlüssel wurde, wie zahlreiche Utensilien, von unserem jetzigen Ehrenmitglied
Arthur Lessing aus den Trümmern geborgen und bildet heute eine Erinnerung an die Vereinsräume und die Bibliothek im Deutschen Dom.
Aber bereits bei der konstituierenden Sitzung des Vereins für die Geschichte Berlins am
29. April 1949 im Schöneberger Rathaus gab Dr. Kaeher Auskunft über die Restbestände der
Bibliothek, die, wie inzwischen auch an anderer Stelle nachzulesen ist, damals der Stadtbibliothek Ost-Berlins übergeben wurden. Erst 1958 machte es ein Zuschuß des Zahlenlottos möglich,
unter Mithilfe des Vorstandsmitgliedes Prof. Dr. Kettig einen neuen Bestand zu schaffen. Als
die Bibliothek in ihrem jetzigen Heim in der Senatsbibliothek am 2. Oktober 1959 eröffnet
wurde, zählte sie 1255 Bände, die in einem ersten großen Bücherverzeichnis zusammengefaßt
und für die Berlin-Bibliographie mit herangezogen wurden. Inzwischen mehrte sich der Bestand auf 4700 Nummern, zu denen noch 108 Reihen von Tauschpartnern aus beiden Teilen
Deutschlands kommen.
Die Deutsche Klassenlotterie machte anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Bibliothek eine
weitere Spende, die für das Füllen schmerzlicher Lücken verwendet werden soll. Bibliothekar
ist seit Wiederbeginn Karlheinz Grave, dem die Eingliederung der Bibliothek in den Berliner
Gesamtkatalog und die Aufstellung der Bücher nach einer systematischen Ordnung zu danken
sind. Frau Friedel Kaeher setzt sich in der besten Tradition in gleicher Weise unverdrossen für
die Bibliothek ein.
Im Rahmen einer kleinen Feierstunde am 17. Oktober dankte der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr.
W. Hoffmann-Axthelm,
dem Bibliothekar Grave und Frau Kaeher für Mühe und Sorgfalt,
die sie der Bibliothek in den zurückliegenden Jahren insgesamt und einer kleinen Ausstellung
von Büchern und Erinnerungsstücken im besonderen haben zuteil werden lassen.
H. G. Schultze-Berndt
*
Der Verein für die Geschichte Berlins dankt dem Berliner Zahlenlotto für eine Spende von
DM 15 000,- für die Vereinsbücherei. Es konnten mit diesen Mitteln bereits empfindliche Lücken
in unserer nach der Vernichtung durch Kriegseinwirkung wiederaufgebauten Berlin-Bibliothek
geschlossen werden.
Die diesen „Mitteilungen" beiliegende Glückwunschkarte (Schloß Charlottenburg, gestochen
von / . G. Wolf gang) ist, wie alljährlich, eine Spende unseres Mitgliedes Herbert Adam.
281
Von unseren Mitgliedern:
Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke hat einen Ruf als Direktor des Instituts für Geschichte der
Medizin der Universität München angenommen.
*
Dipl.-Kfm. Kurt Räder stiftete unserer Bibliothek die eingebundenen Jahrgänge 1950 bis 1968
der „Berliner Wirtschaft", mehrere Berliner Adreßbücher sowie das neueste, von ihm bearbeitete Berliner Handelsregister. Vorstand und Bibliotheksleitung danken für diese wertvolle
Spende.
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag an Herrn Ernst Hackemesser, Frau Erna von
Wolff-Hartmann,
Herrn Dr. Karl Bergerhoff, Frau Magdalena Bellee, Frau Gertrud Warzecha, Herrn Erich Kemnitz, Frau Elisabeth Baron; zum 75. Geburtstag Herrn Karl Lortzing, Herrn Dr. Hermann
Fricke und Herrn Bruno Jahnke.
*
Durch ein bedauerliches Versehen ist in der Totenliste des Mitgliederverzeichnisses die Nennung
unseres verdienstvollen, 1964 verstorbenen Mitgliedes Rudolf Danke unterblieben.
Buchbesprechungen
Franz Hessel: Spazieren in Berlin. Rogner & Bernhard, München 1968. 258 Seiten. DM 24,-.
Ein junger Münchener Verlag legt als eines der ersten Werke seiner Produktion das BerlinBuch des heute weithin vergessenen Schriftstellers und Lektors Franz Hessel vor. Gelassenheit,
ja ein Hauch von Melancholie durchzieht diese Wanderungen durch die Stadt gegen Ende der
zwanziger Jahre, deren Vergangenheit uns heute noch viel ferner scheinen will als sie tatsächlich ist. Sofern ihnen die Erstausgabe von 1929 nicht schon bekannt ist, wird das Buch alle
Freunde Berlins mit der warmen Sachlichkeit seiner Schilderungen, den vielen eingeblendeten
historischen Details, der Glätte seines Ausdrucks für sich einnehmen - ein feuilletonistisch gut
eingekleideter „Baedeker".
Q J(utzsch
Falk-Plan. Großer Spezial-Stadtplan Berlin. Patentgefaltet. 27. Auflage. Mit den Postzustellbereichen auf dem Plan. Falk-Verlag Hamburg-Berlin-Den Haag-London. DM 4,80.
Der neue Falk-Stadtplan von Berlin kann für sich in Anspruch nehmen, durch seine Faltung
und dadurch äußerst platzsparende Gestaltung als Taschenplan zu gelten. Wie seine Vorgänger
wird sich auch dieser mit seinem Straßenverzeichnis und der Liste der Behörden und Dienststellen, Verkehrseinrichtungen, Auskunftsstellen, Theater und Konzertsäle (in Berlin-West)
sowie der Sehenswürdigkeiten, Museen und Sportanlagen (in Berlin-West und in Berlin-Ost)
durchsetzen. Redaktionsschluß war Januar 1969. Insofern sind die beim Flughafen Tegel angegebenen Flugverbindungen hinfällig. Aber die Falk-Pläne haben nach Angaben des Verlages
nur eine Gültigkeit von ein bis zwei Jahren. Vielleicht kann dann der interessanten Beikarte
die eine oder andere Vergnügungsstätte hinzugefügt werden. Sie alle kennenzulernen wäre
ohnehin eine Sisyphusarbeit.
H. G. Schultze-Berndt
STEGLITZ: Ein Berliner Bezirk - gestern - heute - morgen. Herausgegeben vom Bezirksamt
Steglitz von Berlin, arani Verlags-GmbH, Berlin 33, 1968. DM 16,80.
Vor uns liegt eine Neuerscheinung, bearbeitet von Walther G. Oschilewski unter Mitwirkung
des unlängst verstorbenen Heimatforschers Max Philipp, die mit einem Vorwort des Bezirksverordnetenvorstehers Bloßfeldt und des Bezirksbürgermeisters Hoejer eingeleitet wird.
Zahlreiche Schwarzweiß-Aufnahmen und die Wiedergabe einer Federzeichnung von O. Chr.
Sahler aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts bringen mit dem Begleittext einen umfassenden
Überblick über die Geschichte und Entwicklung der alten Siedlungen Steglitz, Lankwitz, Giesensdorf und Lichterfelde, die im Jahre 1920 bei der Gründung von Groß-Berlin zum Verwaltungsbezirk Steglitz zusammengefaßt wurden.
282
Wir alle kennen das Schloß, das sich der Staatsminister von Beyme im Jahre 1804 errichten
ließ, in dem später der Generalfeldmarschall von Wrangel im Sommer wohnte und das vor
einigen Jahrzehnten durch einen Anbau an der Straßenseite verschandelt wurde. Aber wer hat
gewußt, daß im Jahre 1840 zwischen Schloß und Bahnhof Steglitz in einer 200 Personen fassenden Bretterbude ein Sommertheater eröffnet wurde, das den stolzen Namen „Schauspielhaus" führte? Im Zuschauerraum wurde sogar eine Loge für das „Königliche Haus" bereitgehalten. Die Herrlichkeit fand schon zwei Jahre später ein Ende. Nach späteren glücklosen
Theaterexperimenten in Steglitz wurde auf dem Schloßgelände im Jahre 1921 das Schloßparktheater eröffnet, und zwar das „Große Haus" und das „Kleine Haus". Das „Große Haus"
wurde später ein Kino und brannte im Kriege aus, während das „Kleine Haus" - der umgebaute Pferdestall des Schlosses - erhalten blieb und in den Nachkriegsjahren von Boleslav
Barlog zu einem der künstlerisch bedeutendsten Theater Berlins geführt wurde.
Im geschichtlichen Teil wird ferner ausführlich die Entstehung der Jugendbewegung geschildert,
die von Steglitz ausging und im Jahre 1901 im Steglitzer Ratskeller zur Gründung des Wandervogels führte.
Den größten Raum im Bilderteil nehmen die zahlreichen Neubauten der Nachkriegszeit in
Anspruch, darunter eine Luftaufnahme des größten Objekts, des Klinikums der Freien Universität Berlin.
Leider haben sich in das Werk einige Fehler eingeschlichen; z.B. ist das unter Denkmalschutz
stehende ehemalige Gutshaus in Lichterfelde (das „Camenn-Schlößchen") nicht 1299 entstanden und auch nicht 1799 ausgebaut worden, sondern es wurde um 1865, wahrscheinlich auf den
Grundmauern eines älteren Gutshauses, erbaut und 1952 restauriert.
Die ausliefernde arani Verlags-GmbH, bietet ihren Lesern etwas Neues: Ein Buch ohne Seitennumerierung.
Walter Ruppel
Adriaan von Müller: Berlin vor 800 Jahren. Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte 11, Verlag Bruno Hessling, Berlin. 128 Seiten. DM 11,80.
Jedesmal, wenn der Prähistoriker Adriaan von Müller ein neues Buch ankündigt, werden die
Fachwelt und die interessierten Liebhaber nicht enttäuscht. Nach dem vor 4 Jahren erschienenen
Werk „55 000 Jahre Mensch und Kultur im Berliner Raum", das großes Interesse erregte, liegt
uns jetzt die Neuerscheinung „Berlin vor 800 Jahren" vor.
In alphabetischer Reihenfolge werden knapp und übersichtlich alle alten Ortsteile von GroßBerlin behandelt, indem der Leser mit der Geschichte des frühen Mittelalters vertraut gemacht
und über alle bisherigen vorgeschichtlichen Funde auf dem laufenden gehalten wird. Erwähnt
werden auch die zahlreichen nicht mehr bestehenden Siedlungen im Groß-Berliner Raum, die
sogenannten Wüstungen, und die alten Teeröfen.
Das Werk enthält 27 Abbildungen, darunter einige Vergrößerungen von Ausschnitten alter
Landkarten. Ein Lageplan, Erläuterungen wichtiger heute nicht mehr gebräuchlicher Begriffe
und eine Zeittafel von 1100-1245 bilden eine sinnvolle Ergänzung.
Das Buch sei Pflichtlektüre eines jeden Lehrers, der Unterricht in Berliner Heimatkunde erteilt!
Walter Ruppel
Arne Hengsbacb: Die Anfänge des Berliner Vorortverkehrs. 32 Seiten, 7 Abbildungen, 2 Tabellen. In: Böttchers Kleine Eisenbahnschriften, Heft 32. Verlag Werner Böttcher, 46 Dortmund, Hohe Str. 57, Postfach 30. DM 5,00.
Nachweise darüber, wann, wo und warum die Heere der Römer, Griechen und Perser einander
vor zweitausend und mehr Jahren befehdeten, sind überreich vorhanden und weltweit erhalten
geblieben. Unterlagen über Anfänge und Entwicklung des Berliner Nahverkehrs hingegen
waren stets nur dünn gesät und sind durch Kriegseinwirkung im Berliner Raum weiterhin
dezimiert worden. Arne Hengsbacb fällt das Verdienst zu, nach bienenfleißigem Stöbern in den
heute oft nur schwer zugänglichen Quellen eine Kurzfassung über die Frühentwicklung des
Berliner Ringbahn- und Vorortverkehrs entworfen zu haben. Hengsbach reiht nicht Fakten
aneinander, sondern zeigt Zusammenhänge auf, er führt exakte Daten an für Erstbefahrungen
von Neubaustrecken, für Bahnhofseröffnungen und neue Zugläufe, er referiert über Fern-,
Vorort-, Ausflugs-, Berufs- und Pendelverkehr, nennt Verkehrsdichte, Fahrpläne und Tarife
und erklärt, was unter „Omnibuszügen" zu verstehen war, die vor hundert Jahren als Vorläufer unserer heutigen S-Bahn in die nähere und weitere Umgebung Berlins dampften. Der
interessierte Leser würde auf Seite 16/17 des Heftchens einer simplen Planskizze des Bahn283
bereiches allerdings erfreuter begegnen, als der Vergrößerung des auf Seite 2 schon einmal gezeigten Faksimileabdruckes des ersten Ringbahntarifes. Die Berliner Verkehrsdichte ist ein
Mosaik mit vielen Lücken. Es ist Arne Hengsbach gelungen, weitere dieser Lücken zu füllen
und die Reihe seiner bereits erschienenen, stets interessanten Reportagen über den Berliner
Nahverkehr um einen erfreulichen und belehrenden Beitrag zu vermehren.
Hans Schiller
Otto Schneidereit: Berlin wie es weint und lacht. Spaziergänge durch Berlins Operettengeschichte. VEB Lied der Zeit Musikverlag, Berlin 1968. 336 S., 20 S. Abb., Leinen DM 16,50.
Sachkundig und dabei unterhaltsam bietet dieses Buch einen Querschnitt durch das Berlin der
„leichten Muse". Es berichtet von den ersten Anfängen der Singspiele und Lokalpossen im 18.
und 19. Jh., von den dazugehörigen, manchmal recht abenteuerlichen Theatergründungen, von
den Schicksalen der Komponisten, Librettisten, Theaterdirektoren und Schauspieler bis zum
Entstehen der eigentlichen Berliner Operette, die mit den Namen Paul Lincke, Jean Gilbert und
Walter Kollo untrennbar verknüpft ist. Mit den gleichzeitigen Revuen im „Apollo"- und
„Metropol"-Theater erreicht Berlin - nach Paris und Wien - jene Weltgeltung in der Operettengeschichte, für die eine Fülle illustrer Namen in den Jahrzehnten bis zum 2. Weltkrieg
beredtes Zeugnis ablegt. Der Autor weiß viele amüsante und auch bisher unbekannte Begebenheiten aus dem Treiben vor und hinter den Kulissen zu erzählen, indem er nicht nur die Stars
und Programme, sondern auch das Lokalkolorit und das Publikum mit einbezieht. Zahlreiche
zeitgenössische Bilddokumente im Text und ein umfangreicher Bildteil machen das Werk für
denjenigen lesenswert, der die Zeitgeschichte einmal aus anderer Sicht erleben möchte.
P. Letkemann
Propst Heinrich Grüber: Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten.
1968. Leinen. 429 Seiten. DM 20,-.
Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Der Rezensent gehört (und bekennt sich auch) zur Generation der Vierzigjährigen. Da er
weder Theologe noch Historiker ist, die in den vorliegenden Lebenserinnerungen festgehaltenen
Ereignisse auch nur zum geringsten Teil selbst miterlebt hat, bedarf es beinahe einer Erklärung,
weswegen nicht ein Sachverständigerer diese Buchbesprechung übernommen hat. Sie liegt einfach darin, daß offenbar jeder Experte scheute, sich mit den Memoiren eines Mannes auseinanderzusetzen, dessen Verdienste als Leiter des Büros Grüber im Berlin des Dritten Reiches
unumstritten sind (die Schilderungen dieser Arbeit bilden eines der bemerkenswertesten Kapitel der Erinnerungen), der als Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche bei der
Regierung der DDR 1949 bis 1958 aber nicht ohne Kritik amtierte (vieles aus diesem Abschnitt
des Buches klingt nach Rechtfertigung), und der zuletzt durch sein unermüdliches Eintreten für
die Anerkennung Israels, notabene durch die Bundesrepublik Deutschland, weithin bekanntgeworden ist.
Da mag es von Interesse sein, auch von seinem übrigen Leben und Wirken zu erfahren, daß er
z. B. Kriegsfreiwilliger des Ersten Weltkrieges war, als Student in Bonn als Abstinenzler den
ersten Milchausschank in der Universität einrichtete, als Domkandidat in Berlin „Bruder Vesuvius" oder der „kleine Dryander" genannt wurde, als Zeitfreiwilliger diente und seiner
politischen Haltung wegen während der Ruhr-Besetzung 1923 als junger Pfarrer aus Dortmund
nach Berlin ausgewiesen wurde. Später beschäftigte er sich in der kirchlichen Sozialarbeit mit
dem Genossenschaftswesen, baute den Arbeitsdienst mit auf, dessen Leitung er zusammen mit
dem Staatssekretariat im Arbeitsministerium unter Franz Seldte übernehmen sollte. Aus dieser
Sozialarbeit tat er dann einen Sprung in die Hilfe für Verfolgte des NS-Regimes, insbesondere
für jüdische Mitbürger (1936 bis 1940), bis er selbst von 1940 bis 1943 in Sachsenhausen und
Dachau inhaftiert wurde. In Kaulsdorf, wo er eine Pfarrstelle hatte, wurde er nach dem Zusammenbruch Bürgermeister, dann zum Propst zu Berlin bestellt, ein neuer Titel, den er mit
Inhalt ausfüllte. Als Mitglied der Kirchenleitung hatte er Gelegenheit, mit zahlreichen Kirchenführern zusammenzuarbeiten, und seine Kritik ist oft sehr herb, besonders an Bischof Dibelius,
dessen Neigung zum episkopalen System der bruderrätlidien Richtung Grübers gegenüberstand.
Hingegen bekundet Grüber für Eugen Gerstenmaier als Mann der Bekennenden Kirche großen
Respekt (S. 208, 212, 267, 271). Daß sich Grüber mit allen Kräften gegen die Zerstörung historischer Kunstwerke wandte (S. 242), bringt ihn den Bestrebungen unseres Vereins näher.
In diese Nachkriegszeit fällt auch die Gründung der CDU, und Grüber nimmt für sich in
Anspruch, den Ausdruck „Union" vorgeschlagen zu haben, distanziert sich aber von der zusätzlichen Bezeichnung „christlich". Breiten Raum nehmen dann die Schilderungen seines Verhältnisses und des Verhältnisses der Evangelischen Kirche zur DDR ein. Daß es sich um ein „undankbares Amt" handelte (S. 402), bedarf keiner Erläuterungen. Der Verfasser zitiert einen
Leserbrief: „Wenn der Kanal zwischen Kirche und Regierung verstopft war, dann hieß es,
284
Grüber geh hinein und bring alles in Ordnung. Dort aber, wo Grüber aus dem Kanal herauskam, rümpfte man die Nase und sagte: Der Grüber stinkt." Die Enttäuschung über die von der
Regierung der DDR einseitig verfügte Beendigung seiner Tätigkeit als Bevollmächtigter ist
deutlich spürbar.
Man wird bei der Lektüre gerade dieses Abschnittes ein gewisses Gefühl des Zwiespalts nicht
recht los. Es scheint, als wolle Grüber auch Handlungen decken oder Ereignisse verharmlosen,
für die er wirklich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Auf Seite 353 schreibt er etwa,
die Zahl der Mitglieder der Jungen Gemeinde habe sich verringert, „manche waren in den
Westen gezogen". Warum reiht er den nun wahrlich liberalen Theodor Heuss unter die Kalten
Krieger ein, bloß weil er dem Eröffnungsgottesdienst des Kirchentages 1951 in der Marienkirche
nicht beiwohnte? Warum schreibt er, daß dort die Plätze für die Repräsentanten der Bundesrepublik leer blieben, obwohl doch bekannt ist, daß Hermann Ehlers, immerhin als Bundestagspräsident der zweite Mann im Staat, zugegen war? Warum dieses selektive Gedächtnis?
Ist es nur Zeichen einer gewissen menschlichen Schwäche, die etwa bei der Schilderung seiner
Rückkehr vom Eichmann-Prozeß spürbar wird, wo er sich beklagt, daß ihn in Tempelhof kein
offizieller Vertreter der Stadt empfing, und er mit den Kameramännern des DDR-Fernsehens
vorlieb nehmen mußte (S. 410)? Oder gilt ganz schlicht für ihn, was ihm während des Krieges
einst sein stellvertretender Batteriechef sagte (S. 44): „Wenn Sie später Pfarrer sind, müssen
Sie gleich einen roten Talar anziehen, damit man weiß, wes Geistes Kind Sie sind." Hierher
würde passen, daß er Widerstand nicht allgemein für gut hält, sondern auch Fälle eines verwerflichen Widerstands gegen die Staatsgewalt zitiert.
Im Vorwort schreibt Propst Grüber: „Manchen, die mein Leben verfolgten, bereitete es Schwierigkeiten, diese oder jene Äußerung von mir, diese oder jene Entscheidung zu verstehen . . .
Auch mit leeren Händen kann man schenken, auch mit gefesselten Händen kann man mittragen. Wenn ich davon der Generation der Enkel etwas bezeugt habe, so hat dieser Lebensbericht seinen Zweck erfüllt." Diese Erinnerungen sind tatsächlich ein Zeugnis, und insofern
gebührt ihnen aller Respekt.
H. G. Sdjultze-Berndt
Wilhelm Leibusch: Einer aus der Lausitzer Straße. Eine katholische Jugend in Berlin-Kreuzberg
zu Anfang des Jahrhunderts. Morus-Verlag GmbH., Berlin 1968. 251 Seiten. DM 15,-.
„Die Lausitzer Straße im Südosten von Berlin liegt zwischen der Skalitzer Straße und dem
Kottbusser Ufer; sie wird von der Wiener Straße und der Reichenberger Straße gekreuzt.
Häuser zählt sie an die fünfzig, das heißt fünfzig Häuser, die an der Straße stehen. Dahinter
stehen noch einmal fünfzig Häuser, und manchmal steht hinter einem Hinterhaus noch ein
Haus."
Dies ist die „Lage" des Schauplatzes, auf dem wir Leben und Aufstieg eines „Kreuzberger"
Kindes „Jahrgang 1902" verfolgen, das sich aus bedrückten Verhältnissen zum katholischen
Geistlichen emporarbeitet. Wir haben aus jenen Jahren Autobiographien, aber sie zeigen zumeist den Werdegang von Persönlichkeiten aus sozial gesicherten Verhältnissen. Dieser Alex
Schubart aber kommt aus dem Kleinbürgertum und muß sich - von verständnisvollen und
opferbereiten Eltern unterstützt, auf dem Luisenstädtischen Realgymnasium durch „Freischule"
und von den Lehrern gefördert - Wissen und Stellung mühsam erringen. Es ist ein Bildungsroman, dessen Abschnitte und Entwicklungsstufen auch in unserer, unterrichtsmäßig ganz
anderen Zeit vielen zum Nachdenken und zum Ansporn dienen könnten.
Zweiter Pluspunkt dieses Buches: es macht uns mit der katholischen Bevölkerung dieses rasch
besiedelten Wohngebietes und ihren Sorgen bekannt und ihrer Konfrontation mit den politisch
„linksgerichteten Anwohnern, die in Fabriken und Mittelbetrieben hart schaffen. Die Spekulation der Gründerzeit hatte auch dort jene Mietskasernen (mit zwei und drei Hinterhäusern)
aufschießen lassen, die uns noch heute große Sorge bereiten, ohne daß sie „Sanierungsgebiet"
sind. In diese Zinshäuser zogen nach 1870 die Zuwanderer aus den östlichen Provinzen des
Reiches, so daß allein in der Umgebung des Görlitzer Bahnhofes bald 18 000 Katholiken lebten.
Sie hatten zunächst nur Notkapellen in der Wrangel- und der Lausitzer Straße. Eine Stiftung
ermöglichte dort den Bau der Liebfrauenkirche (eingeweiht 1905), zu der hier das St. Marienkrankenhaus (mit Kapelle) kam, und wir erleben nun die in dieser Stadtgegend bescheidenen
Jahre bis 1914 und die verstärkte Not der Kriegs- und Nachkriegszeit mit ihren Unruhen und
starken weltanschaulichen Auseinandersetzungen. „Der Autor erzählt vom Leben der kleinen
Leute in einem Stadtteil, der sonst nicht im Mittelpunkt steht", sagt ein Vermerk auf dem von
Hans Schulze-Forster farbig gestalteten Umschlag. Wir möchten es noch positiver sagen: über
das Persönliche hinaus ist diese Lebensbeschreibung zugleich Historie eines Quartiers, das noch
keine lokal- und sozialgeschichtliche Sonderdarstellung und dann in so fesselnder Form gefunden hat, wie der Verfasser sie hier für die Jahre 1902-1922 bietet.
fjans
Pappenheim
285
Peter Demetz: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Carl Hanser Verlag, München.
(Literatur als Kunst. Eine Schriftenreihe, herausgegeben von Kurt May f und Walter Höllerer.)
Weniger den .Fontane-Liebhaber als den wissenschaftlichen Literaturbeflissenen dürfte dieses
Buch angehen und ansprechen. Es ist auch, bei allem Reichtum der Zitate, kein Werkstattbesuch
bei Fontane, sondern eher eine Instrumentariumsbesichtigung des Romanschreibers überhaupt,
insbesondere des historischen Romans, immer ausgehend von Walter Scott. Der Verfasser kennt
offenbar nicht die ausgezeichnete Arbeit aus der Oskar-Walzel-Sdmle
von Dr. Käte Friedemann, nicht „die Rolle des Erzählers in der Epik" sowie das Büchlein von Jacob Wassermann
„Die Kunst der Erzählung". Er bringt die bemerkenswerte Entwicklung von der „romance",
also der alten Abenteurer- und Rittergeschichte, zum „echt" historischen Roman, gerade auch
Fontanes. Er trennt den „historisierenden Professoren-Roman" (wohl der Dahn, Ebers, Scheffel,
Wiehert) vom zeitnahen „Gesellschaftsroman", dem „Trivialroman" und dem „Kriminalroman". Er gibt dessen Entstehungsgeschichte: ursprünglich ausgehend von den Prozeßberichten
der Kaplane am Londoner Strafgefängnis Newgate, sei er durch die drucktechnischen Errungenschaften der Jahrhundertmitte „zum Konsumartikel der lesenden Masse" geworden. Können
wir aber dem Verfasser zustimmen in seiner Meinung, Fontane sei „kein Landschaftsdichter"?
Wer „Meine Gräber", „Butterstullenwerfen", „Fehrbellin" geschrieben hat, läßt doch auch im
Roman sein Landschaftsgefühl erkennen!
Nach dem ersten Teil mit seinem methodischen Problem und der Betrachtung „Vor dem Sturm",
werden im zweiten Fontanes „Pitaval", d. h. seine kriminalistischen Werke behandelt, im dritten „der Roman der guten Gesellschaft", dann wird unter dem Stichwort „Obergang":
„Schach von Wuthenow" - als „Meisterschaft": „Unwiederbringlich" - , als „später Glanz":
„Der Stechlin" dargestellt. Ein vierter Teil untersucht mit gelehrter Genauigkeit die drei grundsätzlichen Typen der Namengebung, reizvoll, auch bei den „symbolischen Motiven" dem Verfasser zu folgen. Am Schlüsse betont der „Kritische Ausblick", Fontane zähle „zu einer mittleren Generation zwischen den literarischen Epochen: man entzieht sich dem schon leblosen Erbteil romantischer Entwicklung ohne dem naturalistischen Interesse an Physiologie und Wirtschaft
zu verfallen".
Der Verfasser, aus der Schule der modernen amerikanischen Literaturwissenschaft gekommen,
bekennt auf seiner letzten Seite, er sei Fontane „mit jener nüchternen Liebe zugetan, welche die
Grenzen ihres Gegenstandes kennt und dennoch beharrt". Sein Buch „versetze Fontane aus den
engumgrenzten Gärten der deutschen Literaturgeschichte in die Weiten der Weltliteratur", so betont die Einführung.
/ / s e Rejcke
Ernst Lemmer: Manches war doch anders. Erinnerungen eines deutschen Demokraten. Verlag
Heinrich Scheffler. Frankfurt am Main 1968. Mit 16 Bildtafeln. 400 Seiten. DM 24,-.
Ernst Lemmer, gebürtig aus Remscheid, hat die wesentlichen Jahre seines Lebens in Berlin und
zuvor in Klein-Machnow (Kreis Teltow) zugebracht. Bekannt wurde er, als er 1924 als jüngster Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei in den Reichstag einzog. Damals war
er Generalsekretär der Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften, und diese demokratische Tradition eines Gewerkschafters setzte er nach dem Zweiten Weltkrieg als 2. Vorsitzender des FDGB
fort, noch über den Zeitpunkt hinaus, da er den Vorsitz der von ihm mitbegründeten CDU
in Berlin abgeben mußte. Als Bundesminister in verschiedenen Kabinetten und als Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers für Berlin braucht er nicht vorgestellt zu werden.
Wenn er schreibt: „Von Anfang an war ich ein begeisterter Berliner. Die Impulse der Weltstadt haben manch einen, der in der Reichshauptstadt seine Lebensaufgabe fand, davor bewahrt, zum politischen Spießbürger zu werden", glaubt man es ihm aufs Wort. Ebenso seine
Aussage von der vorhergehenden Seite: „Ich bin - wie mein Lebenslauf zeigt - nicht einer von
jenen, die sich mit harten Ellenbogen ihre Positionen erworben oder die mit unfairen Mitteln
nach irgendwelchen Pöstchen gestrebt haben." Ob die Bezeichnung, die Konrad Adenauer ihm
gab, nämlich der „rabiateste Berliner" zu sein, den er kenne, zutrifft, muß mit Fug und Recht
bezweifelt werden.
Das Buch, nach Worten des Verfassers nicht besonders systematisch, aber doch wenigstens
lebendig und aufrichtig, nimmt für Lemmer ein, der von sich selbst sagt: „Nach meiner Meinung findet der Politiker dann am ehesten das notwendige Vertrauen seiner Mitmenschen,
wenn er sich so gibt, wie ihn der Herrgott nun einmal geschaffen hat, und allezeit daran
denkt, daß er ein ganz gewöhnlicher Sterblicher ist." Lemmer hat keine Auseinandersetzungen
gescheut und sich für seine Oberzeugung nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern in der rauhen
286
Wirklichkeit des politischen Lebens eingesetzt. Diese Eigenschaft, und Liebhabereien, die ihn
mit einer Vielzahl von Bürgern verbinden wie Fußballspiel, handfester Skat und gutes Bier,
haben ihn sympathisch, ja populär werden lassen. Der über siebzigjährige Autor, ein „gelernter Berliner", will auch künftig nicht von dieser Stadt lassen: „Ich lebe nun seit sechsundvierzig
Jahren in Berlin und kann, was immer auch geschehen möge, nicht mehr von dieser Stadt
lassen. In ihrer Erde werde ich neben meiner Frau meine letzte Ruhestätte auf dieser Welt
finden." Daß er seine Erinnerungen, durch eine Erkrankung bedingt, jetzt erst vorgelegt hat,
werden ihm alle hoch anrechnen, die der Zeitgeschichte verpflichtet sind.
H. G. Schultze-Berndt
Karl Silex: Mit Kommentar. Lebensbericht eines Journalisten. 300 Seiten, Ganzleinen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt 1968. DM 22,-.
Weit spannt der Autor den zeitgeschichtlichen Bogen dieses in drei Abschnitte aufgeteilten
Buches, in dem er versucht, Rechenschaft über politische Vorgänge zu geben; gleichzeitig zieht
er das Resümee seiner Erfahrungen.
Am Beispiel seiner Familie - „Sx" wurde 1896 als Pastorensohn in Stettin geboren und verlebte seine Jugend noch in der Wilhelminischen Ära - zeigt es uns ein Kapitel deutscher
Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts. Kadettenzeit, Kommandant eines Minensuchbootes im
Ersten Weltkrieg, Studium und Promotion waren Lebensabschnitte, ehe er die journalistische
Laufbahn begann. Über den „Deutschen Handelsdienst", das „Hamburger Fremdenblatt"
und das Statistische Reichsamt kam er zur „DAZ" - Deutsche Allgemeine Zeitung - , deren
Inhaber Hugo Stinnes und deren Chefredakteur Dr. Paul Lensch waren. Schon 1925 ging
er als Korrespondent der „DAZ" nach London. Hier erlebte er die Weltwirtschaftskrise, das
Scheitern der Weimarer Republik unter dem Reichskanzler Heinrich Brüning und den Regierungsantritt Hitlers. Als 1933 die „DAZ" für drei Monate verboten wurde, begann die von
ihm als „Kampfjahre" titulierte Zeit, die im zweiten Abschnitt seines Buches behandelt wird.
Um ein Wiedererscheinen der „DAZ" zu ermöglichen, übernimmt er den Posten des Chefredakteurs, den er erst nach Jahren zwangsweise mit dem Platz auf einem Minenschiff vertauscht, nachdem der Druck auf die Schriftleitungen von oben immer stärker wurde. In diesen Jahren der Gleichschaltung der Zeitungsmeldungen durch die Reichspressekonferenz gelingt es ihm, das Blatt den übelsten Eingriffen zu entziehen. Als Hauptpunkt dieses Abschnittes, ja vielleicht des ganzen Buches, muß jedoch die Auseinandersetzung mit Margret
Boveris Buch „Wir lügen alle" angesehen werden.
Nach Kriegsende gelang es ihm, zwei Zeitschriften zu gründen, von denen eine, die „Bücherkommentare", heute noch besteht. Die zweite ging zu Gunsten des „Tagesspiegels" ein. „Sx"
war Chefredakteur dieser Berliner Tageszeitung von 1955 bis 1963 und ist noch heute ihr
sonntäglicher Leitartikler.
Das vorliegende Buch - es ist sicher eines der besten des Jahres zum Thema Zeitgeschichte und die persönliche Aussage des Autors können auch jüngeren Menschen empfohlen werden,
zumal hier Fakten angesprochen werden, die in den ortsüblichen Geschichtsbüchern kaum zu
finden sind.
Klaus P. Mader
Karl H, Kuppel: Großes Berliner Theater. Neuausgabe der Kritiken über Klassikeraufführungen von 1935 bis 1942 mit vielen Künstler- und Szenenfotos. E. Friedrich Verlag, Velber bei
Hannover, 219 Seiten. DM 28,Wirklich - das war großes Theater! In einer Zeit, die unter der nationalsozialistischen Kunstdiktatur stand, gelang es Männern wie Gustaf Gründgens und Heinz Hilpert, die Autonomie
der Kunst auf ihren Klassikerbühnen zu bewahren. Ihnen zur Seite standen Jürgen Fehling,
Erich Engel, Lothar Müthel mit den hervorragenden Bühnenbildnern Rochus Gliese, Caspar
Neher, Traugott Müller - um nur einige zu nennen. Und welche Fülle großer Darsteller, beseelt von einem Ensemblegeist, der sie zu höchsten schauspielerischen Leistungen befähigte:
neben Gründgens Werner Krauss, Heinrich George, Eugen Klopfer, Paul Wegener, Ewald
Baiser, Hermine Körner, Käthe Gold, Marianne Hoppe, Käthe Dorsch und viele mehr. Die
Stückanalysen und Aufführungsbeschreibungen Ruppels sind für die Generation, die die Aufführungen jener Zeit miterleben durften, gewiß eine wehmütige Erinnerung - die heutige Generation wird sie mit fast ungläubiger Bewunderung lesen.
Alice Hamacher
287
Gemäldegalerie Berlin. Kunstwerke aus den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz. Herausgegeben von Robert Oertel, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12,
1969. 144 Seiten, davon 120 Seiten Bildtafeln mit 24 vierfarbigen und 101 einfarbigen Gemälde-Reproduktionen. Leinen DM 24,-.
Zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg ist hier ein preiswerter Bildband mit den 125
Hauptwerken der Gemäldegalerie Dahlem erschienen, zu denen Museumsdirektor Robert Oertel
neben dem beschreibenden Verzeichnis der Tafeln und einer Bibliographie über seine Abteilung
eine Einführung in die Geschichte der Berliner Gemäldegalerie und damit unserer Museen überhaupt geboten hat. Wir verfolgen die in dem „vielfach bedrängten Staatswesen der Hohenzollern" bescheidenen Anfänge seit dem 16. Jahrhundert, die planmäßige Sammlung von Kunstwerken seit dem Großen Kurfürsten in der „Kunstkammer" und der Gemäldegalerie im Berliner Schloß, die Zugänge von niederländischen Meistern durch die Oranische Erbschaft, die
von König Friedrich I. geförderte Antikensammlung, die Entstehung des von dem jungen
Friedrich II. angelegten Schatzes französischer Gemälde seiner Zeit und den Erwerb von Werken älterer Malergenerationen, für die er 1756 neben Schloß Sanssouci die noch heute bestehende „Gemäldegalerie" erbaute, das erste selbständige Galeriegebäude, das wir kennen. 1764
erwarb er die Gemmensammlung des Barons von Stosch und ließ noch 1786 „die Gallerie auf
dem Schlosse zu Berlin" für die Schüler der Kunstakademie zum Studium der Gemälde öffnen,
eine Erlaubnis, die sein Nachfolger auf die „Bildergallerie bey Sanssouci" und alle übrigen
Schlösser ausdehnte. Den Anstoß zur weiteren Erschließung der königlichen Sammlungen für
die Öffentlichkeit in einem Museum gab der Archäologe und Kunstkenner Alois Hirt (1797),
doch konnte sein von Friedrich Wilhelm III. gebilligter Vorschlag (1810), „hier in Berlin eine
öffentliche, gutgewählte Kunstsammlung anzulegen", erst nach den Freiheitskriegen realisiert
werden: 1815 Ankauf der Sammlung Giustiniani in Paris für den preußischen Staat, 1821 die
3000 Gemälde des englischen Schiffsbauholzhändlers Edward Solly, der in Berlin in der Wilhelmstraße wohnte, von denen 1150 als museumswürdig angesehen wurden. Für diesen Grundstock und die Ankäufe durch Carl Friedrich von Rumohr vollendete 1830 Schinkel seinen
Museumsbau am Kupfergraben. Die Tradition des Direktors Dr. Gustav Waagen wurde später
durch Wilhelm von Bode fortgesetzt, der von 1872 bis 1929 besonders für die Gemäldegalerie
wirkte und sie in 57jähriger Aktivität bedeutend erweiterte. - Die weiteren Schicksale der
Galerie haben wir als Zeitgenossen und Tatzeugen miterlebt. Geschichte der Museen ist auch
immer Geschichte Berlins, und so hoffen wir, daß diesem ersten Bildband der Reihe bald
weitere über die anderen Abteilungen der Staatlichen Museen folgen, die - wie der vorliegende lebendige Führer zur Kultursubstanz unserer Stadt bilden mögen.
Hans Pappenheim
Bibliographischer H i n w e i s
Unser Mitglied Egon Jameson, 58 Ossulton Way, London N 2, England, der unserem Verein
1931 beigetreten ist, hat im Lesesaal des British Museum in London unter den über 9 Millionen
Bänden eine ansehnliche Reihe alter Bücher über Berlin entdeckt. Wie der Bibliothekar versicherte, handelt es sich zu einem Teil um Unika, die seit den Kriegsverlusten in Berlin selbst
nicht mehr vorhanden sind.
Herr Jameson bietet sich an, einem Besucher Londons eine sonst nur schwierig zu erhaltende
Gastkarte für die Bibliothek des British Museum zu besorgen und ihn im Lesesaal auf die
betreffenden Werke aufmerksam zu machen. Der Besucher könnte sich eine Liste der vorhandenen Ausgaben anfertigen, die es Herrn Jameson ermöglicht, später Fotokopien herstellen zu
lassen, die binnen einer Woche aus London in Berlin sein können.
Mitglieder, die einen Besuch der britischen Hauptstadt planen, werden gebeten, sich bei Interesse
mit dem Vorstand in Verbindung zu setzen.
SchB.
288
Im IV. Vierteljahr haben sich folgende Damen, Herren
und Institutionen zur Aufnahme gemeldet:
Edeltrauc Stempel
1 Berlin 31, Brabanter Str. 24
Tel. 86 17 94
(L. Beckhaus)
Luise Möbus, Inh. der Tegeler Bücherstube
1 Berlin 28, Kurhausstr. 35
Tel. 40 29 81 u. 4 33 95 03 (R. Koepke)
Ernst Zahn, Inh. Buchhandlung-Antiquariat
Bruno Hessling
1 Berlin 30, Rankestr. 31-32
Tel. 24 34 69
(H. Hofmann)
Hans-Joachim Lunow, Dipl.-Ing.
1 Berlin 48, Beyrodtstr. 50 a
Tel. 7 751160
(N.Kunkel)
Elisabeth Bulwahn, Kauffrau
1 Berlin 30, Bamberger Str. 28
Tel. 13 26 65 u. 24 64 39 (H. Hofmann)
Heinz Amelang, Senatsrat
1 Berlin 41, Björnsonstr. 2
Tel. 8 21 26 20
(K. Bullemer)
Günter Budweg, Postangestellter
1 Berlin 27, Grußdorfstr. 3-4
Tel. 43 60 21/34
(Schriftführer)
Wolf Dietrich Scherbius, Landgerichtsrat
1 Berlin 51, Amendestr. 109
Tel. 49 01 79
(H. Hofmann)
Joachim Drogmann, MA, wiss. Angest. im
Landesarchiv Berlin
1 Berlin 33, Kissinger Str. 69
Tel. 89 97 45
(Dr. Letkemann)
Dr. Wolfgang Kloppe, Internist
1 Berlin 19, Eichenallee 19
Tel. 3 04 12 38
(Vorsitzender u. Dr. H . Leichter)
Heinz Schmidt, Dozent
1 Berlin 47, Britzer Damm 38
Tel. 6 87 13 37
(Schriftführer)
Renate Zanders
507 Bergisch Gladbach, Igelerhof
Tel. 5 05 80
(Dr. K. Pfeiffer)
Dr. med. Johannes Märten, Facharzt für
Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten
1 Berlin 37, Sundgauer Str. 33
Tel. 7 69 22 60
(F. Kaeber)
Elsa-Jette Heckel, Lehrerin i. R.
1 Berlin 41, Lauenburger Str. 4
Tel. 72 29 51
(Schriftführer)
Erika Schachinger, Studienrätin
1 Berlin 19, Reichsstr. 28 a
Tel. 3 04 97 28
(H. Hofmann)
Rainer Theobald, cand. phil.,
Theaterhistoriker
1 Berlin 28, Oppenheimer Weg 6 a
Tel. 4 01 28 02
(K. Grave)
Gerda Weber
1 Berlin 44, Weigandufer 3 a
Tel. 62 88 67
(E. Brast)
Wilhelm Quast, Ingenieur
2 Hamburg 50 (Altona), Eibchaussee 95
Tel. 38 93 50
(Wiedereintritt, H. Hofmann)
Dorothee Strube
1 Berlin 62, Münchener Str. 25
Tel. 71 90 05
(E. Küche)
Ruth Pappenheim
1 Berlin 33, Markobrunner Str. 10 a
Tel. 8 21 45 10
(Dr. Pappenheim)
Günter Martin, Fachlehrer
1 Berlin 33, Habelschwerdter Allee 7
Tel. 76 22 88
(H. Hofmann)
VolkmarDrese, Archivar im Ev. Konsistorium
Berlin-Brandenburg
1 Berlin 28, Kreuzritterstr. 6
Tel. 4 0117 00
(Dr. Weichen)
Elise Riel, Apothekenhelferin i. R.
1 Berlin 61, Stresemannstr. 95,
XIV. Stock, Whg. VII
(O. Weber u. J. Heckel)
Oskar Kruß, Dipl.-Politologe
1 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 44-46
Tel. 34 15 98
(H. Walther)
Ernst-August Poritz, Holzkaufmann
1 Berlin 19, Eichenallee 62
Tel. 3 04 57 63
(H. Hofmann)
Hildegard Holzt
3 Hannover, Jakobistr. 17 (Schriftführer)
Ernst Alberts, Architekt
1 Berlin 28, Artuswall 31
Tel. 4 01 48 25
(K. Vogelmann)
Hanni Briese
1 Berlin 19, Oldenburgallee 46 a
Tel. 3 04 59 50
(E. Küche)
289
Neu bei Haude & Spener
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Reinhard Lebe
Karl der Kahle
wirklieh
?
Über historische Beinamen
Ute Gelberg, cand. pharm.
2 Hamburg 52, Bernadottestr. 43
(H. Hofmann)
Herta Knopka
1 Berlin 30, Barbarossastr. 25 a
Tel. 24 81 25
(H. Wetzel)
Dr. Charlotte Pape, Hochsdiuldozentin
1 Berlin 42, Bayernring 26
Tel. 7 84 66 81
(Dr. Letkemann)
Gustav Vogel, Vorstand der Kontinentalen
Öl-Transport AG
1 Berlin 33, Teplitzer Str. 20
Tel. 89 65 29
(Schriftführer)
Ilse Nicolas, Journalistin
1 Berlin 45, Tulpenstr. 22 b
Tel. 76 43 56
Reinhard Lebe
War Karl der Kahle wirklich kahl?
Ober historische Beinamen
224 Seiten, 46 Abbildungen, Leinen
DM 19,80
Sie sind die Lichtblicke aller Namenregister, die Farbtupfer im Astwerk der
Stammbäume, sie schmecken nach Nordwind und Heldenschweiß, sie klingen wie
ein Bänkelgesang aus alten Zeiten, sie
sind witzig und treffend - vor allem aber
einprägsam: die Beinamen der alten Könige, Herzöge und Grafen, der Heinriche,
Friedriche und Karle. Aber stimmen die
Beinamen, sind sie charakteristisch? Und
wie sind sie entstanden?
(B. Raebel)
Liselotte Moesges, Hausverwalterin i. R.
1 Berlin 33, Sodener Str. 3
Tel. 8 22 36 93
(A. Hamecher)
Lorenz Kleber, Rentner
1 Berlin 10, Fritschestr. 30
Tel. 3 01 18 37
(Schriftführer)
Maria Frerichs
1 Berlin 33, Humboldtstr. 22
Tel. 8 87 04 20
(E. Kliche)
Otto Bunge, Ingenieur
1 Berlin 41, Menckestr. 7
Tel. 7 91 25 84
(H. Hofmann)
Renate Jaeckel, Porzellanmalerin
1 Berlin 31, Paulsborner Str. 23
Tel. 8 87 09 25
(H. Hofmann)
Lebensbilder in Anekdoten
Anekdoten charakterisieren oftmals viel
besser die historischen Ereignisse und
die mit ihnen verbundenen Persönlichkeiten als noch so ausgefeilte Darstellungen der Geschichtsschreibung.
Hans Bethge: Friedrich der Große
Hans Bethge: Napoleon
Egon Caesar Conte Corti: Maria Theresia
Egon Caesar Conte Corti: Prinz Eugen
Je Band 112 bis 148 Seiten, Abbildungen
auf Tafeln, zahlreiche Vignetten, Zeichnungen im Text und auf dem Vorsatz,
Leinen
jeder Band DM 12,80
HAUDE & SPENERSCHE
Verlagsbuchhandlung GmbH.
Gegründet 1614
Berlin 12
290
Lucia Teichmann
1 Berlin 41, Sedanstr. 4
Tel. 7 92 58 48
(H. Hofmann)
Elly Maletzki
1 Berlin 41, Hähnelstr. 15
Tel. 83 41 39
(H. Hofmann)
Horst Kintscher, Regisseur, Redakteur
1 Berlin 41, Nordmannzeile 9
Tel. 71 75 51
(Dr. Schultze-Berndt)
Luise Leichter, MTA
1 Berlin 33, Ehrenbergstr. 32
(Dr. H . Leichter)
Dr. Werner Engel, Dipl.-Chemiker u. Dozent
1 Berlin 38, Terrassenstr. 25
Tel. 84 41 44
(Dr. H. Leichter)
Rose Marie Pluta-Mende, Bildhauerin
1 Berlin 41, Birkbuschstr. 25
Tel. 72 39 71
(H. Hofmann)
Angela Gramberg, Kfm. Angestellte
1 Berlin 28, Gollanczstr. 43
Tel. 4 Ol 21 56
(I. Hemmers)
Prof. Dr. Burkhard Hofmeister
1 Berlin 19, Kranzallee 60
Tel. 3 05 36 90
(H. Hofmann)
Ruth Hofmeister, Dipl.-Geographin
1 Berlin 19, Kranzallee 60
Tel. 3 05 36 90
(H. Hofmann)
Egon Jameson, Schriftsteller
London N 2, 58 Ossulton Way
(5. 31, Wiedereintritt, R. Koepke)
Paul Sohst, Studienrat a. D. u. Schriftsteller
1 Berlin 28, Der Zwinger 3
(Schriftführer)
Erna Rugowsky, Katechetin i. R.
1 Berlin 46, Kaiser-Wilhelm-Str. 129 a
(G. Hahn)
Methner & Bürger, Älteste Berliner
Abziehbilder-Druckerei
1 Berlin 36, Schlesische Str. 29-30
(H. Hofmann)
Allianz Versicherungs-AG, Generaldirektion
8 München 22, Königinstr. 28
Tel. (0811) 3 80 03 91
(Schriftführer)
abriele Mulert, Dipl.-Bibliothekarin
1 Berlin 33, Offenbacher Str. 17 a
Tel. 8 21 83 67
(Dr. Leichter)
Adressenänderungen
Günther Grabowski
1 Berlin 19, Knobelsdorffstr. 83 I
Victoria-Versicherungs-Gesellschaft
1 Berlin 15, Kurfürstendamm 24
Tel. 8 89 21
Werner Müller
1 Berlin 37, Limastr. 16
Erna Peters
1 Berlin 19, Spandauer Damm 62
Karl Zapke
1 Berlin 49, Kirchbachstr. 17
Werner Sohns
1 Berlin 19, Steubenplatz 5
Werner Bienwald
1 Berlin 20, Losch witzer Weg 31
Anneliese Anderson
1 Berlin 47, Ulrich- von- Hassell-Weg 1
Anne Müller-Jesse
1 Berlin 33, Cunostr. 76
Dr. Martin Sperlich
1 Berlin 39, Bismarckstr. 69
Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke
8 München 71, Strähuberstr. 11
Tel. (0811)79 55 48
Privatdozent Dr. Otto Winkelmann
6 Frankfurt 1, Kronberger Str. 44
Tel. (0611)72 34 92
Dr. Schultze-Berndt
Tel. 4 15 67 40
Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
Tel. 3 91 24 90
291
Veranstaltungen im I.Vierteljahr 1970
1. Mittwoch, 7. Januar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag von Herrn Horst Behrend „Das Leben Johann Joachim Spaldings - Propst
zu Berlin unter Friedrich II. - " .
2. Sonnabend, 10. Januar, 14.00 Uhr, Führung von Herrn Hans-Werner Klünner
durch die „Theodor-Fontane-Ausstellung" in der Akademie der Künste, 1 Berlin 21, Hanseatenweg 10 (Bus A 16 und 25, U-Bahnhof Hansaplatz, S-Bahnhof
Bellevue).
3. Dienstag, 27. Januar, 19.30 Uhr, im Klubhaus am Fehrbelliner Platz, 1 Berlin 31,
Hohenzollerndamm 185 Ecke Gieselerstraße, „Eisbeinschmaus zur 105. Wiederkehr unseres Stiftungstages" im Remter der „Alten Pankgrafschaft von 1381 zu
Berlin". Es spricht Herr Horst Behrend über „Friedrich Wilhelm II. und die
Frauen".
Es ergehen besondere Einladungen auch an unsere Damen.
4. Mittwoch, 4. Februar, 11.15 Uhr, Galeriebesuch der Berliner Börse während einer
Börsenversammlung mit Einführungsvortrag von Herrn Dipl.-Volkswirt Manfred Baumann. Treffen im Foyer der Industrie- und Handelskammer zu Berlin,
1 Berlin 12, Hardenbergstraße 16/18.
Wegen der begrenzten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis zum
20. Januar bei Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31,
gebeten.
5. Mittwoch, 18. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139,
Lichtbildervortrag von Herrn Hans-Werner Klünner „Aus der Geschichte des
Köpenicker Schlosses".
6. Mittwoch, 4. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Bericht
mit Lichtbildern über die Studienfahrt vom 5. bis 7. September 1969 nach „Lüneburg und zu den Heideklöstern Lüne, Medingen und Wienhausen" von Herrn
Dr. Hans Günter Schuhze-Berndt.
7. Dienstag, 17. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag von Herrn Günter Wollschlaeger „Bauten und Gärten von Sanssouci".
Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend
geselliges Beisammensein im Ratskeller .
Freitag, 23. Januar, 13. Februar und 20. März zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prot.
Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, SÖhtstraße 1. Beitrage sind an die
Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit.
Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30
292
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Fachabt der Berliner Stadibibliothek
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
66. Jahrgang. Nr. 20
1. April 1970
A 20377 F
Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 6791
Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 3912490
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 4 65 90 11
Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D.W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87
Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr
Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21
Villa „Finkenherd" 1839 von Südosten.
Kupferstich von Fincke nach dem Gemälde von Ferdinand Gropius.
293
Die Familie von Graefe und ihre Villa Finkenherd
im Berliner Tiergarten
v o n Prof. D r . D r . med. Walter Hoffmann-Axthelm
Wenn der Berlin-Besucher im Omnibus der Stadtrundfahrt zur Besichtigung des wiederaufgebauten Hansaviertels in die Händelallee einbiegt, weist ihm der Fremdenführer zunächst zur Linken das große, 1956 nach den Plänen des Architekten WALTER
GROPIUS erbaute Wohnhaus und zeigt ihm dann zweihundert Meter weiter auf der
anderen Seite das Betongebilde der neuen Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche, errichtet
auf den Fundamenten eines durch Bomben zerstörten neugotischen Backsteinbaus
(Abb. 2). Kaum einer der vielen hundert hier täglich vorbeifahrenden Menschen aber
dürfte wissen, daß halbwegs zwischen diesen beiden Gebäuden auf der rechten, der
Tiergartenseite, dicht neben der Straße, wo jetzt die Rasenfläche durch eine Baumgruppe unterbrochen wird, einst eines der reizvollsten Landhäuser des alten Berlin
gestanden hat, 1824 erbaut nach dem Entwurf des großen Baumeisters dieser Stadt
KARL FRIEDRICH
SCHINKEL als Sommersitz für
den Chirurgen CARL
FERDINAND
GRAEFE.
Abb. 2. Das Hansaviertel.
Der königliche Generalstabsarzt der preußischen Armee und Geheime Rat Prof. Dr.
GRAEFE war damals erst 13 Jahre in Berlin. Seine Familie stammte aus Sachsen, er
aber wurde am 8. März 1787 in Warschau geboren als Sohn von CARL GOTTLIEB
GRAEFE (1752-1806), Güterverwalter eines der reichsten polnischen Magnaten, des
Krongroßmarschalls von Polen Graf MOCZYNSKI. Hier wuchs er, unterrichtet von
seiner Mutter CHRISTIANE (1759-1817), der Tochter des in Warschau tätigen, gleich294
falls sächsischen Kirchenbauers ZSCHERNIG, unter günstigen Verhältnissen in einem
Flügel des Palastes auf, mußte aber 1794 während der nationalen polnischen Erhebung
mit der Mutter in die alte Heimatstadt Pulsnitz bei Dresden fliehen, wohin diese, unter
den Kleidern verborgen, die Millionenwerte der Moscynskischen Diamanten in Sicherheit brachte. Nach der Niederschlagung des Aufstandes durch russische und preußische
Truppen verlegte der Graf auf Wunsch KATHARINAS II. den Wohnsitz auf sein in
Südrußland gelegenes Schloß Ossa bei Dolsk und übertrug Graefe, der ihm während
eines Straßenkampfes das Leben gerettet hatte, die Verwaltung des dortigen Güterkomplexes. Hier erhielt Carl Ferdinand, der sich ebenso wie später sein Sohn Albrecht,
schon früh durch ungewöhnliche Geistesgaben auszeichnete, Unterricht durch einen
deutschen Hauslehrer und den Leibarzt des Grafen, Dr. OTTO aus Meißen.
Vierzehnjährig kam Carl Ferdinand an das Gymnasium in Bautzen - von Warschau
nach dort ritt er, mit zwei Pistolen bewaffnet, allein - , und von hier wird uns auch
seine erste chirurgische Tat berichtet, und zwar 1887 von WALTER SCHWARZ in der
Berliner Zeitschrift „Der Bär", einer Art „Gartenlaube" mit lokalhistorischem Kolorit.
Was uns aber diese Quelle authentisch macht, ist die keineswegs allgemein bekannte
Tatsache, daß hinter dem Pseudonym SCHWARZ sich WANDA VON DALLWITZ verbirgt,
die jüngste Tochter CARL FERDINANDS VON GRAEFE, die auch noch mit mancher anderen Schrift an die Öffentlichkeit getreten ist1.
Lassen wir also Tochter Wanda, damals (1887) schon längst Gutsherrin auf Tornow in
der Ostprignitz, berichten: Bei einer botanisch-geognostiscken Exkursion . . . leistete
er einem Maurer, der vom Bau herabgestürzt war, durch rasches Öffnen der Ader und
umsichtige Versorgung so erfolgreiche Hülfe, daß später herbeigerufene Ärzte konstatirten: der Schwergeschädigte habe seine Erhaltung nur dem entschlossenen Einschreiten
des jungen Gymnasiasten zu verdanken. Der Fall erregte Aufsehen in der Stadt, der
strenge Gaedicke aber betrachtete die Sache von einem anderen Gesichtspunkte aus
und ließ seinen Schüler eine Strafe abbüßen, der sich dieser geduldig unterzog, wodurch
die Sympathie für ihn nur gesteigert wurde.
GRAEFE wechselte 1803 auf die Dresdner Kreuzschule über, wo er zwei Brüder vorfand, und bezog 1805 die Universität Halle bis zu deren Aufhebung durch NAPOLEON
im folgenden Jahre. Als er vernahm, daß sein Vater schwer erkrankt sei, erwarb er
ein Pferd und machte sich auf den 1400 km weiten Weg nach dem Schlosse Ossa. An
der Weichsel war der Gaul zu Tode geritten, aber auf anderem Fuhrwerk erreichte er
seinen Vater noch unter den Lebenden.
1807 beendete GRAEFE in Leipzig seine Studien mit solchem Erfolg, daß, nach dem
Bericht des Großkanzlers der Universität PLATNER, obwohl man Großes von ihm erwartet, er dennoch die kühnsten Erwartungen übertroffen hatte (Omnium exspectationem, quae haud exigua de eo fuisset, mire superaret) 2 . Nach Ablehnung der Stelle
eines gräflichen Leibarztes in Dolsk und des Rufes an eine wolhynische Universität
wurde er von seinem späteren Berliner Fakultätskollegen REIL 3 in Halle mit der Lei1
Literaturverzeichnis (LV) 28. Das Pseudonym SCHWARZ dürfte vom Namen der Großmutter ZSCHERNIG abgeleitet sein: czarny (polnisch) und cerny (tschechisch) = schwarz.
2
LV23,S.82.
.
. TI „
3
JOHANN CHRISTIAN REIL (1759-1813), seit 1788 Kliniker an der Universität Halle, wurde
1810 an die neugegründete Berliner Universität auf den Lehrstuhl für klinische Medizin
berufen.
295
tung eines Krankenhauses betraut. Noch im gleichen Jahre 1807 aber ging er nach
Ballenstedt als Leibarzt des Herzogs ALEXIUS von Anhalt-Bernburg, den er später auch
von Berlin aus alljährlich besuchte und noch 1834 auf seinem Sterbebette betreute, wie
uns Wilhelm von Kügelgen ausführlich berichtet4. Dem Zwanzigjährigen wurde die
Leitung des Gesundheitswesens im Herzogtum übertragen, er errichtete in Ballenstedt
ein Krankenhaus und gründete über einer bisher kaum beachteten Eisenquelle den Kurort Alexisbad. Der Balneologie blieb der Chirurg GRAEFE stets verbunden, noch posthum wurde eine Schrift von ihm aus diesem Gebiete veröffentlicht.
Inzwischen war man in Berlin auf den jungen Arzt aufmerksam geworden, und so
empfahl der Staatsminister WILHELM VON HUMBOLDT am 19. April 1810 den Dreiundzwanzigjährigen an den Königsberger Arzt Dr. MOTHERBY 5 : Ich bin jetzt beschäftigt,
einen guten Chirurgen und Operateur nach Königsberg zu schaffen. Gräfe aus Ballenstedt ist dazu bestimmt. . . . Ich sah ihn bei meiner neulichen Durchreise durch Halle,
wo er gerade war, bei Reil, und habe in ihm einen noch jungen und sehr liebenswürdigen Mann gefunden9. GRAEFE lehnte ab ebenso wie die Nachfolge von REIL, der nach
Berlin ging, doch dann folgte er zum Wintersemester 1810/11 dem Ruf an die neugegründete Berliner Universität als Ordinarius und Direktor des klinisch-chirurgischaugenärztlichen Instituts. Hier führte er sich sehr glücklich durch eine Operation ein,
an die sich zuvor niemand herangewagt hatte: Er entfernte einem Major VON KLEIST
mittels eines eigens dazu konstruierten Trepans ein Geschoß aus der Stirnhöhle, das
dieser seit der Schlacht von Jena, also seit fünf Jahren, dort unter Schmerzen konserviert hatte. Der gelungene Eingriff empfahl ihn gleichermaßen höchsten militärischen
wie höfischen Kreisen, und als er sich 1813 zur Befreiungsarmee meldete, wurde er von
König FRIEDRICH WILHELM III. zum Divisions-Generalchirurgus mit der Aufsicht über
das gesamte Lazarettwesen zwischen Weichsel und Weser ernannt. Eine gewaltige
organisatorische Aufgabe fiel damit auf den jungen Chirurgen und wurde von ihm
ohne Schonung seiner Person zum Heile der Verwundeten und Kranken und unter
tätigster Anteilnahme der Bevölkerung gemeistert. Als äußere Anerkennung wurde
ihm neben einem reichen Ordenssegen, darunter bemerkenswerterweise auch dem Offizierskreuz der Ehrenlegion,der Geheimratstitel zuteil, dem 1822 die Ernennung zum
3. Generalstabsarzt der Armee folgte. Es ist bezeichnend für die Mentalität im Preußen
der Befreiungskriege, daß GRAEFE die Revenuen aus seiner militärischen Tätigkeit den
Lazaretten uneingeschränkt zur Verfügung stellte.
Nach Friedensschluß reklamierte ihn die Universität und stellte ihm für seine Klinik
ein Haus in der Ziegelstraße 5-6 zur Verfügung, das von nun an für mehr als ein
Jahrhundert eine der bedeutendsten chirurgischen Lehrkanzeln der Welt beherbergen
sollte (Abb. 3). Jetzt war Graefe frei für seine großartigen Leistungen, mit denen er
die Chirurgie in Preußen zur gleichberechtigten Wissenschaft erhob und auf dem
Gebiete der plastischen Chirurgie den Weg bereitete für seine Nachfolger JOHANN
4
5
WILHELM V. KÜGELGEN (1802-1867), bekannt durch seine „Jugenderinnerungen eines alten
Mannes", lebte als Hofmaler, später als Kammerherr am Hofe des geistesschwachen Herzogs ALEXANDER CARL von Anhalt-Bernburg in Ballenstedt. - Vgl. LV 20, S. 305-306.
WILLIAM MOTHERBY (1776-1847), hochangesehener Arzt in Königsberg, der sich um die
Einführung der Pockenschutzimpfung in Ostpreußen verdient gemacht hat. Seine Frau
JOHANNA war mit W. v. HUMBOLDT und E. M. ARNDT befreundet und heiratete 1824
GRAEFES Nachfolger FRIEDRICH DIEFFENBACH.
6 LV 23, S. 84.
296
Abb. 3. Die Graefesche Klinik in der Ziegelstraße um 1825.
Stich von F. A. Schmidt nach F. A. Calau.
FRIEDRICH DIEFFENBACH und BERNHARD VON LANGENBECK. Er führte die erste Unter-
kieferresektion, die erste gelungene Gaumensegelnaht in Deutschland durch, und der
Begriff „Rhinoplastik" für den Ersatz einer Nase aus körpereigenem Material geht
auf ihn zurück. Den Unterrichtsbetrieb reformierte er, indem er die noch heute gültige
Einteilung der Studenten in Auskultanten und Praktikanten vornahm und letztere am
Patienten praktisch arbeiten ließ.
Eine umfangreiche konsultative Praxis führte ihn viel ins Ausland, vor allem, da er
die Sprachen beherrschte, nach Rußland und Polen. Schon 1814 hatte ihm Zar ALEXANDER in Paris ein glänzendes, noch des öfteren wiederholtes Angebot gemacht, in russische Dienste zu treten, aber, wie seine Tochter WANDA schreibt, Graefe hat nie daran
gedacht, Deutschland, Preußen untreu zu werden. Auch schlug ihn der polnische Senat
1825 zur Nobilitierung vor, die Zar NIKOLAUS I. 1826, bald nach seinem Regierungsantritt, vollzog, und deren Annahme dessen Schwiegervater, der preußische König,
glückwünschend genehmigte.
GRAEFE war bald in Berlin heimisch geworden. Am 16. Oktober 1814 hatte er AUGUSTE
VON ALTEN heimgeführt, jetzt bewohnte er ein schönes Haus in der Behrenstraße 48
und 1823 begannen die Vorbereitungen für den Bau eines Sommerhauses am Nordwestrande des Tiergartens neben dem Etablissement des Banquiers Schickler, den Lützower und Willmersdorfer Spree Wiesen und dem sogenannten Judenweg oder Poetensteige. Durch königliche Gunst war ihm im Dezember 1823 dieses Grundstück teils
durch Kauf, teils in Erbpacht zugesprochen worden. SCHINKEL hatte einen in dieser
Form nicht ausgeführten Vorentwurf gefertigt und der Gartendirektor PETER LENNE 7
den Plan für die gärtnerische Gestaltung aufgestellt. Es handelte sich bei diesem
12 Morgen und 16 Quadratruten großen Stück Land im wesentlichen um einen von
Wasserarmen durchzogenen Erlenbruch, der einen sich nach Osten und Norden in eine
7
PETER JOSEF LENNE (1789-1866) trat nach Ausbildung in Paris, Wien und München in
preuß. Dienste. Schöpfer der Gartenanlagen von Sanssouci u. a. Als königlichem Gartendirektor unterstand ihm auch der Tiergarten, den er aber erst 1833-1840 im englischen Stil
ausgestaltete.
297
Wiesenlandschaft eröffnenden, seit altersher „der Finkenheerd" genannten Acker umschloß. Diese Flurbezeichnung, die GRAEFE auf sein Haus übertrug, ging auf die Überlieferung zurück, daß an dieser Stelle im Hetz- und Tiergarten Kurfürst JOACHIMS IL
(1535-1571) ein Finkenherd gestanden haben soll.
Das königliche Rentamt, mit dem der Kaufvertrag ausgehandelt und am 6. April 1824
vollzogen wurde, erteilte erhebliche Auflagen: Das Grundstück muß zur Verschönerung des Tiergartens beitragen, durfte keine den freien Blick hindernde Umzäunung
erhalten und niemals als Schank- und Tanzwirtschaft dienen, auch müßten die im
Grundstück liegenden Wasserläufe vom Käufer geräumt werden. Diese letztgenannte
Bedingung gab in den Jahren 1836/37 Anlaß zu manchem Streit, wir verdanken ihr
seitenlange eigenhändige Briefe des Geheimrats an die Polizeibehörde.
ja
et
a
EJ.
Abb. 4. Bauzeichnung aus der Werkstatt Schinkels (LV 29).
Am 11. April 1824 bat GRAEFE, auch eigenhändig, Ein königliches Polizey-Präsidium
um den Erlaubnisschein, nach beiliegender Zeichnung (Abb. 4) auf sein erkauftes
Grundstück im Thiergarten an die Chaussee rechter Hand zwischen der Brücke nach
Moabit* und dem Schicklerschen Grundstück ein Wohngebäude, ein öconomie Gebäude und ein Gewächshaus zu erbauen. Selbst bei einem von der königlichen Gnadensonne beschienenen Bauherrn brauchte der Amtsschimmel seine Zeit, fast ein Dutzend
Marginalien zieren den Foliobogen mit Graefes Antrag, darunter auch die Feststellung,
daß der Maurer Mstr. Schilling hat bereits angefangen laßen das Fundament zu den
quest. Gebäuden zu graben und aufzumauern. Man fragte zurück, und etwas unwirsch
replizierte der Königliche Generalstabsarzt der Armee am 26. April: Da im übrigen,
die ganze Anlage von Sr. Majestät dem Könige bereits genehmigt ist, und da dieselbe
vom Herrn Geheimen Ober Baurath Schinkel und Herrn Director Lenne, welche die
Pläne entwarfen, ausgeführt wird, so muß ich um baldgefällige Erfüllung der Form,
welcher unter diesen Umständen füglich keine Hindernisse entgegenstehen können, um
so dringender ersuchen, als sonst die beste Bauzeit ungenutzt vorübergeht.
Bei so viel an dem Projekt beteiligter Prominenz wurde das Haus selbstverständlich im
gleichen Jahre 1824 fertig, und der stolze Bauherr ließ sich davor durch den wohl
bedeutendsten Portraitisten des Berliner Biedermeier FRANZ KRÜGER, hier meist
Pferde-Krüger genannt, der Nachwelt überliefern (Abb. 5). Während der warmen
6
Der Moabiter Brücke wurde als Aktienbrücke nach 1820 von dem orthop. Mechaniker und
Leibzahnarzt PIERRE BAILLIF (1775-1830) erbaut, der dafür 10 Jahre Brückengeld erheben
durfte. - Die von B. konstruierte künstliche Hand beschreibt Graefe ausführlich in seinem
Buch „Normen für die Ablösung größerer Gliedmaßen", Berlin 1812. - Vgl. LV 16.
298
Jahreszeit bildete der Finkenherd, wie uns GRAEFES Tochter Wanda sehr anschaulich
berichtet, bald einen gesellschaftlichen Treffpunkt der Stadt:
Das Haus war im Innern ebenso behaglich wie vornehm ausgestattet. Der sich durch
drei hohe Flügeltüren nach einem kleinen Altan hin öffnende Saal des unteren Geschosses war von dem Italiener Pelliccia in pompejanischem Geschmack ausgemalt . . . Den
Altan und die Seiten der kleinen Freitreppe, die von ihm hinunter in den Garten
führt, schmückten seltene Topfgewächse. Hohe, kugelförmig verschnittene Orangenbäume in Kübeln umgaben den Platz davor, auf dem häufig der Tee im Freien eingenommen wurde. Ausgezeichnete Persönlichkeiten versammelten sich hier und im
Saal zur angenehmsten Geselligkeit. Charlotte von Hagn, der Berliner Bühnenstern9,
hat hier deklamiert, und die Malerin Caroline Bardua (f 1864) mit den einfachsten
Requisiten wirkungsvolle, lebende Bilder gestellt. Zahlreiche Russen und Polen besuchten das gastliche Haus Graefes, der konsultierender Leibarzt des Großfürsten Konstantin, Statthalters von Polen, war. Der schon halb erblindete, kleine Prinz Georg,
später König von Hannover, bei dessen damals in Berlin lebenden Eltern, dem Herzog
und der Herzogin von Kumberland, Graefe gleichfalls Leibarzt war, spielte gern mit
dem ältesten Graefeschen Sohn [Carl] in dem schönen Finkenherd-Garten, der sich bis
zum fetzigen Sigmundshof hin erstreckte. Da sangen die Nachtigallen bei sommerlicher
Abendstille in den Kronen der Bäume, und über die frischgrünen Wiesen auf der anderen Seite des Hauses sah man in einiger Entfernung an dem damals noch ganz ländlichen, von Berlin völlig getrennten Moabit vorüber die weißen Segel der Spreekähne
lautlos dahingleiten.
Die in dieser Schilderung erwähnte Malerin CAROLINE BARDUA und ihre um 16 Jahre
jüngere Schwester WILHELMINE, der wir ein ausführliches Tagebuch verdanken, stammten aus Ballenstedt am Harz, waren Töchter des Kammerdieners und Vertrauten des
Herzogs ALEXIUS, den GRAEFE noch immer betreute, und damit ergab sich die Beziehung zum Graefeschen Hause, die sich zu einer lebenslangen Freundschaft mit den
Töchtern, besonders der ältesten OTTILIE, der späteren Frau des Staatssekretärs und
engen Mitarbeiters BISMARCKS HERMANN VON THILE, entwickelte. Während des Sommers 1835 bewohnten die Schwestern drei Monate lang den Finkenherd, wo CAROLINE,
da GRAEFES verreist waren, im großen Gartensaal ihr Atelier aufschlug. Die Bildhauer
RAUCH und DRAKE sowie der damals geschätzte Schriftsteller ERNST VON HOUWALD
waren ihre Gäste 10 , und nach der Heimkehr der Familie erteilte CAROLINE hier OTTILIE
Malunterricht.
Auch während der dunklen Sommertage des Jahres 1840 weilten die beiden Schwestern
auf dem Finkenherd. GRAEFES Gesundheit war, wie uns seine Tochter Wanda mitteilt,
schon lange nicht mehr die festeste, zumal er sich niemals Ruhe gönnte. Er litt unter
neuralgischen Beschwerden sowie an den Folgen einer Schußverletzung, die er im
Winter 1829/30 in Sizilien erlitten hatte. Damals hatte er beim Besteigen des Ätna
* CHARLOTTE VON HAGN (1809-1891) war 1833 von München nach Berlin gekommen, wo
sie ihren Ruhm begründete. 1846 heiratete sie und verließ die Bühne endgültig. - Allg. dt.
Biogr. 49, 776.
10
CHRISTIAN DANIEL RAUCH (1777-1857), neben seinem Lehrer GOTTFRIED SCHADO-W der be-
deutendste Bildhauer des Berliner Klassizismus. Sein ihm nidit kongenialer Schüler FRIEDRICH DRAKE (1805-1882) schuf u. a. 1872 die Viktoria auf der Berliner Siegessäule, die
jetzt (seit der Versetzung des Monuments im Jahre 1938 auf den Großen Stern im Tiergarten) auf das GRAEFEsdie Grundstück herabblickt.
299
dem Diener sein Gewehr übergeben, das sich, als dieser ihm vom Pferde half, entlud.
Das Geschoß durchschlug Schulter und Brust, was ein langes Krankenlager in Neapel
zur Folge hatte. Das Ende führte jetzt eine Typhus-Infektion herbei.
Abb. 5. Carl Ferdinand v. Graefe
vor dem „Finkenherd".
Stich nach dem Gemälde von Franz Krüger.
Abb. 6. Grabmal Carl Ferdinand
v. Graefe und Auguste
geb. v. Alten (1965).
Lassen wir uns über den Tod des großen Chirurgen zunächst von seiner Tochter
berichten:
Am 7. Juni 1840 starb Friedrich Wilhelm III. Graefes Gemüt wurde durch den Tod
seines geliebten Königs auf's Tiefste erschüttert. Er fühlte sich angegriffen und erschöpft, hatte aber gerade fetzt seine Anwesenheit in Hannover zugesagt, wo König
und Königin für ihren seit Jahren erblindeten Sohn - nachmaligen König Georg V. einzig noch von Graefes Hand Rettung erwarteten . . . Bereits kränker als er es sich
selber eingestand, machte er sich auf den Weg. In Hannover angekommen, konnte er
sich nicht mehr bei Hofe melden. Ein hitziges Gehirn- und Nervenfieber war zum
Ausbruch gekommen. Ausgezeichnete Ärzte wurden zu Rate gezogen; die Königin ließ
es an keiner Aufmerksamkeit
zur Pflege des Schwerkranken fehlen. Hing doch auch
ihre letzte Hoffnung für den eignen, einzigen Sohn an Graefes Erhaltung . . . Aber
von Anfang an bot Graefes Erkrankung wenig Aussicht für einen glücklichen Verlauf.
Noch konnte seine Gattin, sein ältester Sohn von Berlin nach Hannover berufen werden. Er erkannte sie nur in einzelnen lichten Momenten. Dann war das Leben abgelaufen, am 4. Juli 1840 ist Carl Ferdinand von Graefe im Britisch Hotel zu Hannover
im vierundfünfzigsten Lebensjahre gestorben. Sein Sohn Carl geleitete seine sterblichen
Überreste zurück nach dem heimischen Berlin, wo sie auf dem Neuen Jerusalemer
Kirchhofe vor dem Halleschen Thor, neben denen der ihm längst vorangegangenen,
geliebten Mutter ruhen. (Abb. 6)
Hierzu ergänzend WILHELMINE BARDUASTagebuch: Auf dem Finkenheerd,
29.6.1840.
So kommt das Unvermutete zwischen all unsere Pläne! Statt am Rhein sitzen wir nun
300
im Tiergarten auf dem schönen Finkenheerd - aber nicht mit so fröhlichem Herzen
wie sonst. Herr v. Graefe ist auf der Reise nach Hannover, wo er den Kronprinzen
operieren sollte, erkrankt und liegt dort schwer darnieder. Frau v. Graefe ist gestern
mit dem Sohne Carl zu ihm gereist und ließ uns bitten, zum Trost und Schutz für
Ottilie und Wanda herauszukommen. Wie gut war es, daß wir noch nicht fort waren.
2. 7. 1840. Heute sind die ersten Nachrichten gekommen, nicht ganz hoffnungslose,
aber auch keine, die beruhigen könnten. Wir suchen die tief erschütterte Ottilie aufzurichten. Wanda versteht den Ernst der Lage noch nicht recht; ich spiele viel mit ihr,
um sie in der allgemeinen Trübsal aufzuheitern. Das ist alles, was wir jetzt tun können
(Abb. 7).
Abb. 7. Wanda v. Graefe als Flora
vor dem „Finkenherd".
Gemälde von Julius Schoppe, 1834.
10. 7. 1840. Neben mir steht Ottilie und nimmt aus dem großen Kasten einen nach
dem anderen von den großen und kleinen Orden ihres Vaters und ordnet sie, wie sie
auf dem schwarzen Sammetkissen befestigt werden sollen. Im Gärtnerhaus steht, noch
in Wachstuch eingehüllt, der Sarg des Vaters. Am Sonnabend ist er verschieden. Wir
bekamen die Todesnachricht halb und halb schon am Sonntagabend, am Montag früh
brachte sie Carl selbst. Caroline und ich hatten die schwere Aufgabe, sie Ottilie und
den jüngeren Geschwistern zu hinterbringen - es war ein herzzerreißender Jammer.
Bald kam dann der Prediger Moliere.
Berlin, 12. 7. 40. Gestern war das Begräbnis; abends sind wir in die Stadt zurückgekehrt. Der heitere Gartensaal war in eine dunkle Trauerhalle verwandelt. Kerzen
brannten. Auf einem ausgebreiteten schwarzen Tuche stand der Sarg, schwarz beschlagen, mit Blumen bedeckt, von Grün umgeben. Studenten mit Florschärpen und Marschallstäben standen um den Sarg, so still und unbeweglich, daß man ihre Gegenwart
kaum wahrnahm. - Was soll ich weiter von dem Prunk des Todes schreiben?! Meine
Seele ist des schwarzen Treibens müde (LV 32).
(Fortsetzung in Heft 21)
301
Hans v. Helds Aufenthalt in der Berliner Hausvogtei 1801
von Prof. D r . Johannes Schultze
Es gab um das Jahr 1800 zwei Gefängnisse in Berlin: die Stadtvogtei für die unter der
Jurisdiktion des Magistrats stehende Bürgerschaft (dies Gefängnis war im Jahre 1796
vom Kaland in der Klosterstraße nach dem Molkenmarkt verlegt worden), und zweitens die Hausvogtei für eximierte Personen1. Letztere wurde um 1750 von der Unterwasserstraße auf den Friedrichswerder verlegt in ein Gebäude, das ehemals zum
„Jägerhof" gehörte. Sie gab dem Platz, vordem „Schinkenplatz" genannt, den noch
heute bestehenden Namen. Das von Johann Gädicke 1806 verfaßte „Lexikon von Berlin" bezeichnet die „innere Einrichtung" des im Hintergebäude befindlichen Gefängnisses als „sehr menschenfreundlich". Die besseren Gefangenen konnten sich hier für
ihr Geld allerhand Bequemlichkeiten verschaffen und genossen gewisse Freiheiten.
Kriminalverbrecher aus unteren Schichten wurden in den Kellerräumen untergebracht.
Nach dem Adreßkalender gab es für das Haus nur einen „Gefangenenwärter". Diesen
Posten versah 1801 der Husar Bock, dessen Lob nachstehendes Gedicht2 des hier in
Untersuchungshaft befindlichen Hans Heinrich Ludwig v. Held singt, v. Held, geboren 1764 in einem Ort bei Breslau, hatte das Pädagogium in Züllichau besucht und
an mehreren Universitäten die Rechte studiert. Seit 1793 Zollrat in Posen, widmete
er sich literarisch den Zeitvorgängen. So forderte er 1795 vor Abschluß des Baseler
Friedens den Abbruch des französischen Krieges: „Friedrich Wilhelm, ruf es wieder,
ruf dein tapferes Heer zurück." Treitschke bezeichnet ihn aus diesem Anlaß als „die
böseste Zunge der literarischen Opposition". Wegen Kritik an Minister Graf Hoym
wurde er 1797 nach Brandenburg versetzt. Es hinderte ihn nicht, in einer Schrift: „Die
wahren Jakobiner im preußischen Staat" (mit Druckort „Überall und nirgends" 1801)
die Minister Hoym und v. Goldheck erneut anzugreifen. Dies Buch, von dem der
König ein Exemplar erhielt, bekam von seinem schwarzen Schnitt und Umschlag den
Namen „das Schwarze Buch", v. Held wurde gefänglich eingezogen und Frühjahr
1801 als Untersuchungsgefangener in die Hausvogtei gebracht, wo er acht Monate
zubrachte, um nach dem gefällten Urteil IV2 Jahr Festung in Kolberg zu verbüßen.
Während des Aufenthaltes in der Hausvogtei verfaßte er noch eine Schrift über die
demoralisierten Zustände in der preußischen Verwaltung. 1803 konnte er Kolberg
verlassen. In einer Schrift an den ihm wohlgesinnten Minister Struensee (1805) prophezeite er einen baldigen Zusammenbruch. 1806 lebte er in Neuruppin und blieb
schriftstellerisch tätig, u. a. an der „Gallerie preußischer Charaktere". Auch Napoleon
blieb nicht verschont. Von 1806 datiert eine Schrift „Über und wider die vertrauten
Briefe und neuen Feuerbrände des . . . v. Colin". 1812 zog ihn Hardenberg wieder in
den Staatsdienst; er wurde „Salzfaktor" in Berlin, v. Held verfaßte noch eine Geschichte der Belagerungen Kolbergs im Siebenjährigen Kriege (gedruckt Berlin 1848).
Der Berliner Wohnungsanzeiger von 1840 verzeichnet den Kriegs-, Oberaccise- und
1
2
Eximierte: ein Personenkreis, der von bestimmten Diensten, gewissen Steuern oder auch
von dem gewöhnlichen Gerichtsstand ausgenommen war. Diese Personen hatten dadurch
besondere Vorrechte, vgl. Karl Themel, Zwei Brandenburg-Preußische Verordnungen über
„Eximierte" aus dem Jahre 1748, Jahrbuch für brdbg. Landesgeschichte, Bln. 1958 9. Bd.
S. 37 f.
Die Handschrift des Gedichtes im Besitz des Verfassers stammt aus der Sammlung des Lichterfelder Bibliophilen Carl Tancke (1853-1945) und entstand in den 1840er Jahren.
302
Zollrat und Salzfaktor H. L. H. v. Held als wohnhaft „am neuen Packhof 5". Der
daneben genannte Leutnant der Gardeartillerie C. v. H. war offenbar ein Sohn. 1842
widerfuhr ihm das Mißgeschick einer Beraubung der ihm anvertrauten Salzkasse. Da
man dem nur gering Bemittelten den Ersatz des Schadens zumutete, schied er freiwillig
aus dem Leben. Auf dem Invalidenfriedhof fand er seine Ruhestätte 3 .
Das nachstehende Gedicht, das er 1801 dem Gefangenenwärter Bock beim Abschied
von der Hausvogtei widmete, und das unbekannt sein dürfte, ist ein beredtes Zeugnis
dafür, daß die Beurteilung der „inneren Einrichtungen" der Hausvogtei als „sehr
menschenfreundlich" durch den genannten Gädicke auch für deren Gefangenenwärter
Bock zutrifft. Der Stecher Bollinger4 schuf von Hans v. Held 1801 während des Aufenthaltes in der Hausvogtei einen Kupferstich in Quart.
Anschrift des Verfassers: 1 Berlin 33, Habelschwerdter Allee 10
H a n s v. Helds Abschied aus der Berliner Hausvogtei 1801
Abschied von dem alten braven Husaren Bock, jetzigen Schließer in der Hausvogtei
zu Berlin, am Tage meiner Abreise aus diesem Gefängnis nach der Vestung Colberg.
1
Jetzt - da ich gedrückt von neuem Leide
aus dem langbewohnten Kerker 5 scheide,
dankt dir noch, du braver Mann, mein Schmerz!
Dieses Haus ist eine Lasterhöhle,
aber du hast keine Schließerseele,
und dein Wams bedeckt ein schönes Herz.
2
Viele, die auf fernen Jugendfluren
einst mit mir der Freundschaft Bund beschworen,
wohnen nah - jetzt kannten sie mich nicht.
O! da habe ich in trüben Stunden
oft den letzten Rest von Trost gefunden
nur in deinem redlichen Gesicht.
3
4
5
Günter Hintze (gefallen im letzten Weltkrieg): Der Invalidenfriedhof in Berlin. Ein Ehrenhain preußisch-deutscher Gesdiichte, Berlin 1937 S. 21 f.: „An der Ecke im Gräberfeld A
erinnert ein neueres Mal an Hans von Held (1746-1842). Der Denkstein nennt Held mit
dem friderizianischen Titel Kriegs- und Domänenrat. Held war einer der Träger der literarischen Opposition gegen den preußischen Staat in der Zeit vor Jena . . ." (Folgen die
Schriften, die ihn besonders bekannt gemacht haben.) - Wilhelm Wohlberedt, Grabstätten
bekannter und berühmter Persönlichkeiten in Groß-Berlin . . . 1934 Bd. 2 S. 124: Invalidenfriedhof, Scharnhorststr. 33: Hans v. Held (f 1842), Publizist, bekannt durch seine Schmähschriften.
Der Berliner Kupferstecher Friedrich Wilhelm Bollinger (1777-1825) war Schüler und später
Professor der Berliner Akademie. Stach trotz andauernder Kränklichkeit gegen 150 Porträts
bekannter Persönlichkeiten, meist in punktierter Manier, nach der Natur oder nach Gemälden und Zeichnungen anderer Künstler. (Vgl. Nagler, Künstlerlexikon, München 1835 Bd. 2
S. 17, und Thieme-Becker, Allg. Lexikon der bildenden Künstler, Leipzig 1910 Bd. 4
S. 246 f.)
8 Monate verbrachte er hier.
303
3
Selbst dich schien es täglich zu betrüben,
mußtest du die schweren Riegel schieben
und verschließen auswärts meine Tür.
Ja! Bei deiner eignen reinen Ehre
schwurst du, daß ich kein Verbrecher wäre.
Ehren, lieben muß ich dich dafür.
4
Immer sanft, teilnehmend und weichmütig
hingst du deine Schlösser ehrerbietig
abends in die großen Krampen ein
und erzähltest, mir die Zeit verkürzend,
wie mein Oheim Seel bei Hochkirch stürzend 6
mußte der Croaten Opfer sein.
5
Dort bei Zorndorf, Liegnitz, Torgau, Leuthen
mit dem Säbel neben Zieten streiten,
war dir Freude, tapferer Husar!
Gauner, Räuber, Taschen-, Pferdediebe
fühlen jetzt die schmerzenvollen Hiebe
deiner Peitsche, freundlicher Barbar!
6
Dich ergötzt das. Du mußt ja schlagen,
wie Herr Müller mit dem Ponceau Kragen 7
deines Armes Schwungkraft commandirt.
Du schlägst, weil du sollst! Ein Beispiel nehmen
sollten andere an dir und sich schämen,
daß sie ihren Kant so schlecht studirt.
7
Wenn doch manche, die in stolzen Wagen
bei der Hausvogtei vorüberjagen,
träfe deines Musje Lemke Hieb! 8
Nur die kleinen, die sich fangen lassen,
sitzen hier. Die Großen draußen prassen
gleich dem reichen Mann, wie Lucas schrieb.
6
7
8
Oberst v. Seel wurde bei Hochkirch in Stücke gehauen. Siehe v. Blumenthal, Leben des
Hans Joachim v. Zieten. (1797), S. 428 ff. Zieten sagte von ihm „der Mann war mehr wert
als wir alle".
Ein Polizeiassistent. Die Kragen dieser Charge in Berlin waren von ponceau-rotem Samt.
So hieß die große Karbatsche in der Hausvogtei für die Männer; für das weibliche Geschlecht diente die kleinere „Mamsel Caroline", weil man, wie Bock meinte, Respekt für den
weiblichen Busen haben müsse.
304
8
Den Polacken werd ich nie vergaessen,
dem du dreihundert mußtest messen,
bis du sprachst: kein Schinden mir gebührt!
Wie du auf den Bauch den Armen legtest
und ihn wuschest und mit Suppe pflegtest,
bis du ihn dir wieder auscuriret.
9
Nie vergeß ichs, wie von deiner Habe
oft dein Fuß mit mancher Labungsgabe
in die Keller zu Verbrechern schlich,
wie du unbezahlt sie speistest, tränktest,
ihnen Taback, Brod und Brandwein schenktest,
sprechend: Menschen sind sie ja wie ich!
10
Wie du, wenn sich einer aufgehangen,
halbe Wehmut auf den Wangen,
sprachst: Nun ist dir armer Teufel wohl!
Du, du lehrst mit Ketten in den Händen,
wie ein Mann sogar in Kerkerwänden
sich und seine Pflichten adeln soll.
11
Unser Vaterland, das dich geboren,
Schlesien ist noch immer nicht verloren,
wenn es Söhne zeugt wie dich und mich.
Schlesier sind noch immer wackre Leute,
weichen selten von der Wahrheit Seite,
sind aufrichtig, so wie du und ich.
12
Mit dem Biedersinn, der Herzensgüte
dessen, der mit heiterem Gemüte
hinter Manchas edlem Junker ritt 9 ,
mit der Bravheit, die den vielgetreuen
Huons 10 nimmer hieß Gefahren scheuen,
hält auch deine Tugend gleichen Schritt.
13
Ist ein Himmel, wo die guten Seelen
sich ergehn, ihr Leben sich erzählen,
das nur Invalidenbrod gewann,
9
10
Sancho Pansa, Knappe des edlen Junkers Don Quixote von La Mancha.
Huon von Bordeaux, Gestalt der karolingisdien Oberonsage in der Wielandsdien Fassung.
305
wo sie Erdenungemach verträumen,
da sei du einst unter grünen Bäumen
Scherasmins11 und Sanchos dritter Mann.
14
Lange wird mein Geist auf dieser Stube
ruhn. Drum sorge immer, daß kein Bube,
nein! der Unglücklichste sie bezieh.
Mög' in aller Länder Kerkerschlünden
stets das Unglück einen Schließer finden,
wie mein Schutzgeist mir in dir verlieh.
15
Dulde meinen Namen an der Türe,
die ich heut zum letztenmal berühre.
Er erinnert dich an einen Freund,
der, indem er dankbar von dir scheidet,
selbst den Abschied seiner Kinder meidet,
weil er schon vielleicht zu merklich weint.
16
Lebe wohl, mein treuer Bock! Vergelten
kann ich dir nicht, denn des Schicksals Schelten
jagt mich mit dem strengsten Donnerschlag.
Wünsche nur, wenn hin mein Wagen knarret,
daß der Platzmajor, der meiner harret,
halb so gut wie du nur denken mag.
Berlin a. 15. Oktober 1801
von Held
11
Scherasmin, Gefolgsmann des Huon.
Nachrichten
Unsere Feier anläßlich des 150. Geburtstages von Theodor Fontane
in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses
gemeinsam mit der Historischen Gesellschaft zu Berlin
„Fontane hätte sich sehr gewundert, daß sein 150. Geburtstag in einem preußischen Schloß
gefeiert werden würde, in Anwesenheit eines Oberbürgermeisters oder eines Regierenden Bürgermeisters, noch dazu eines Sozialdemokraten .. ." Mit diesen Worten deutete der Regierende
Bürgermeister Klaus Schütz in seinem Dank an die beiden Vereine für die Veranstaltung dieser
Feierstunde in der nur von Kerzen erleuchteten Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses
die Zwiespältigkeit der Beurteilung des Journalisten und des märkischen Wanderers an, für
dessen Dichtungen kein anderer Hintergrund möglich gewesen wäre als der der Mark Brandenburg.
Staatsschauspielerin Käte Haack las den Prolog, den Fontane zum 25jährigen Bestehen des
Vereins für die Geschichte Berlins verfaßt hatte (vgl. Mitt. Verein Gesch. Berlins 65 [1969]
S. 250 f).
306
Unser Vorsitzender Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm
erwähnte in seiner Begrüßungsansprache,
daß die beiden im Prolog genannten Holtzes, Vater und Sohn, nicht nur Gründungsmitglieder
der b e i d e n veranstaltenden Gesellschaften gewesen sind, sondern auch Großonkel und
Onkel von Frau Haack, die den als Erzieher der preußischen Prinzen im Schloß Charlottenburg
wohnenden Großoheim mehrfach als Kind dort besucht hat.
Prof. Hoffmann-Axthelm
begrüßte außer dem Regierenden Bürgermeister die Vertreterin von
Senator Prof. Dr. Stein, Dr. Ingeborg Sengpiel; vom Abgeordnetenhaus Dr. Ella Barowsky,
Dr. Ursula Besser und Gerd Löffler; von der Französischen Kirche in Berlin, der Fontane angehört hatte, Egon Fouquet; vom Deutschen Hugenotten-Verein Dipl.-Ing. Scheller; vom befreundeten Bund der Berliner Ernst Hackmesser; vom Berlin-Club Basel Präsident Gerher, vor
allem aber die Berliner Presse, die durch ihr Erscheinen den Zeitungsmann Fontane als einen
der ihren ehrte.
In seinem Festvortrag „Theodor Fontane und Berlin 1969 - vom Duvenstedter Brook aus
betrachtet" zeichnete Dieter Meichsner, Fernsehspielleiter des NDR, seine aus persönlichem
Bildungsgang und der Distanz des Hamburger Wirkungskreises erwachsene, literarisch verdichtete Stellung zu Fontane, zu dem ihn Thomas Manns „Glaubensartikel" über die Briefe des
Dichters geführt hatte.
Meichsner stellte den scheinbaren Zwiespalt der Fontaneseben Entwicklung vom 1848er über
die konservative Kreuz-Zeitung zum Theaterrezensenten und Romancier in den Mittelpunkt
der Deutung. Beispielhaft dessen unnachgiebige Forderung nach Exaktheit („Es muß stimmen!")
bis zu den auch im Leben immer auf den neuesten Stand gebrachten Selbstprüfungen und
-bescheidungen („Man muß sich darin fügen . . . es ist nun mal so . . . es muß auch so gehen!").
Neben dieser Selbstkritik liefen aber Fontanes scharfe Urteile über Staat, Adel, Mitmenschen,
dargestellt in den Briefen an Georg Friedlaender und Friedrich Witte, die auch die mangelnde
Würdigung seines Werkes reflektierten. Das offenbarten die meisterhaften Interpretationen in
Käte Haaks Lesungen dieser Briefe, durch die der Festvortrag eingerahmt wurde.
Für die Historische Gesellschaft stellte Prof. Dr. Schulin in seinem Dankesepilog fest, daß beide
Vereine noch niemals eine historische Persönlichkeit gemeinsam gefeiert hätten; bei dem Literaten Fontane sei dies endlich gelungen. Gleichwohl hätte man seine weitgefaßte Geistigkeit
und seine Spuren statt bei einer Feier im Schloß lieber in der Natur der Mark gefunden.
Hans Pappenheim
Kranzniederlegung am Fontane-Denkmal
Am 30. Dezember 1969, dem 150. Geburtstag Theodor Fontanes, fanden sich Mitglieder des
Vereins zu einer Kranzniederlegung am Denkmal des Dichters im Tiergarten zusammen. In
Vertretung des 1. Vorsitzenden begrüßte Archivdirektor Dr. Kutzsch die in stattlicher Zahl
erschienenen Mitglieder. Man habe nicht nötig, Fontanes zu gedenken, um ihn der Vergessenheit zu entreißen, es sei aber einmal mehr Dank abzustatten für das, was dieser Mann unseren
Großeltern schon bedeutete, was er uns gibt und gewiß auch unseren Nachfahren mit der Kunst
seiner Darstellung von allmenschlichen Schicksalen und Erfahrungen wie an Kolorit seiner Zeit
noch geben wird. Dr. H. G. Schultze-Berndt verlas darauf den Vortrag, den Dr. W. Heynen
persönlich zu halten aus gesundheitlichen Gründen leider verhindert war. Er wird an anderem
Orte in vollem Wortlaut veröffentlicht werden.
G. Kutzsch
Abriß und Rekonstruktion des Ermeler Hauses
Wie wir in Nummer 19 berichteten, ist das frühere Wohn- und Geschäftshaus des Kaufmanns
Friedrich-Wilhelm Ermeler aus der Breiten Straße nunmehr am Märkischen Ufer neu aufgebaut worden. Auf dem Dachboden, unter Fußbodendielen und in den Grundmauern waren
beim Abriß des Gebäudes zahlreiche Zeitdokumente, Schriftstücke und Gebrauchsgegenstände
gefunden worden, darunter auch zwei Tagebücher aus den Jahren 1805 und 1806. Diese Fundstücke wurden in den vergangenen Monaten im Märkischen Museum gesichtet und geordnet.
Sch-B.
Zum gleichen Thema schreibt man uns:
Seit dem Abbruch des Hauses in der Breiten Straße habe ich mich für dieses Objekt ganz besonders interessiert, nicht weniger für die Rekonstruktion des Hauses am Märkischen Ufer.
Nach Lage der Dinge entspricht der Wiederaufbau nur teilweise dem alten Haus. Lediglich die
307
Fassade erscheint in ihrer Ursprünglichkeit, aber auch hier mit Abweichungen. Der Eingang hat
jetzt eine Freitreppe, die nie bestanden hat; sie ist wahrscheinlich bedingt durch die neue
Straßenlage und den Spreekanal. Auch stimmt der Grundriß des Gebäudes nicht. Das angrenzende Haus ist in das Gaststättenobjekt mit einbezogen und bildet zusammen mit dem
ehemaligen Laden des Ermeler-Hauses eine Kaffeestube. Die andere Seite wird lediglich als
Garderobe b e n u t z t . . . Im oberen Geschoß, zu dem die alte historische Treppe mit den beiden
laternentragenden Putten führt, befindet sich das Weinrestaurant. Hier sind die Räume zum
großen Teil wieder in ihrer historischen Form rekonstruiert. Die Decke im Rosenzimmer ist
original, dagegen fehlen alle großen Wandmalereien, die angeblich während des Krieges verlagert wurden und sich in polnischem Besitz befinden sollen. Ich weiß aber, daß zwei Originalwandgemälde sich heute im Märkischen Museum befinden, und daß ich anläßlich einer Besichtigung des alten Hauses während der Restaurierung nach dem Kriege dort noch weitere derartige Gemälde gesehen habe. Das gemalte Fenster auf der Treppe ist nicht wieder eingefügt
worden.
. . . Anläßlich eines Lichtbildervortrages im neuerstandenen Ermeler Haus ergab sich eine Diskussion mit dem Architekten Rothstein, der u. a. erklärte, daß die Rekonstruktion dieses
Hauses überhaupt nur möglich war, weil es von vornherein als Gaststätte geplant wurde.
Unter solchen Umständen müssen zugunsten einer solchen Einrichtung Abwandlungen geschaffen und muß daher in vielen Fällen auf historische Momente verzichtet werden.
Von unseren Mitgliedern:
Zum Tode von Egon Jameson
Am 23. Dezember 1969 starb in London der Schriftsteller Egon Jameson, unser altes und neues
Mitglied. Bereits im Mai 1931 hatte der Redakteur Egon Jacobsohn die Mitgliedschaft erworben, die durch die erzwungene Emigration nach England unterbrochen wurde. Anläßlich eines
Berlin-Besuches kam es zu erneutem Kontakt und zum Wiedereintritt am 1. Dezember 1969.
Egon Jameson, aus der Berliner Schauspielerfamilie Hernfeld stammend, wurde am 2. Oktober
1895 mitten im Berliner Zeitungsviertel, in der Kochstraße, geboren. 1913 trat er in den Ullstein-Verlag ein und wurde Mitarbeiter, in den zwanziger Jahren Chefreporter der „B.Z. am
Mittag". Durch seine originellen Berichte machte er sich den Berlinern bald bekannt: Er wanderte zu Fuß nach Leipzig oder durchstreifte in einer alten Schutzmannsuniform die Straßen
Berlins und schilderte seine Erlebnisse. Der Start in London war nicht leicht, zumal er nie richtig
englisch gelernt hatte. Im Krieg züchtete er zunächst Kaninchen, arbeitete dann mit Seifton
Delmer im Soldatensender. Nach Kriegsende wurde er leitender Mitarbeiter der „Neuen Zeitung" und veröffentlichte mehrere Berlin-Bücher, so auch zwei besonders erfolgreiche innerhalb
der „Berlinischen Reminiszenzen".
Am 24. Januar 1970 schrieb Egon Jamesons Witwe an unseren Schriftführer, der ihm eine Einladung des Berliner Senats übermittelt hatte:
_
5
58 Ossulton Way.
Tel. 883 2181
London, N 2
Sehr geehrter Herr Dr. Schultze-Berndt!
24. 1. 1970
Dank im Namen meines verstorbenen Mannes Egon Jameson für Ihre Aufforderung und Grüße
vom Verein für die Geschichte Berlins. Es wäre sicher eine große Ehre und Freude für ihn
gewesen, aber sein Leben war am 23. Dezember zu Ende! Sein letztes Werk war das BerlinBuch und seine letzte Freude.
j ^ l t yester
Empfehlung
Welfg. Jameson
Der Verein für die Geschichte Berlins wird seinem Mitglied Egon Jameson, dem so wertvolle
Beiträge zur Kulturgeschichte unserer Stadt zu danken sind, ein treues Andenken bewahren.
Walter
Hoffmann-Axthelm
*
Bezirksstadtrat Herbert Grigcrs wurde zum Bürgermeister des Bezirks Reinickendorf gewählt.
*
Die Berliner Gesellschaft für Geschichte der Medizin e. V. wählte auf ihrer Hauptversammlung
am 10. 3. 1970 unsere Mitglieder Dr. Dr. Manfred Stürzbecher und Dr. Wolf gang Kloppe zum
1. und 2. Vorsitzenden. Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm
trat in den Beirat ein. Prof.
308
Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke hatte zuvor wegen seiner Berufung nach München den Vorsitz der
Gesellschaft niedergelegt.
*
Am 26. Februar 1970 feierte Herr Konsistorialrat a . D . Karl Themel seinen 80. Geburtstag.
Der Jubilar, der noch bis Ende 1969 das Archiv der Evangelischen Landeskirche geleitet hat,
bemühte sich in zahlreichen wertvollen Arbeiten um die Aufhellung kirchengeschichtlicher Probleme speziell des Berlin-brandenburgischen Raumes. Der Verein für die Geschichte Berlins,
dem Herr Themel seit dem Jahre 1937 angehört, beglückwünscht sein treues Mitglied von
ganzem Herzen und erhofft für es noch viele gesunde Jahre des jetzt endlich erreichten Otium
cum dignitate.
Walter
Hoffmann-Axthelm
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag an Frau Eva Paproth, Frau Elisabeth Rossberg, Herrn Dr. Dr.
Waldemar Heinrich; zum 75. Geburtstag Frau Lucie Schulze.
Buchbesprechungen
WO Jahre Deutsche Bank 187011970. Bilder aus 100 Jahren. Kunsthistorische Beratung, Zusammenstellung und Text des Kunstteils Dr. Heinz Peters, Berlin. Zusammenstellung und Text
des Bankteils Deutsche Bank AG, Frankfurt (Main), und Dr. Heinz Peters, Berlin. Grafische
Gestaltung Professor Georg Trump, München.
Ein Kunstkalender mit ausgesucht guten Reproduktionen ist seit jeher die Jahresgabe der
Deutschen Bank. In diesem Jahr, da am 10. März des hundertjährigen Bestehens der Deutschen
Bank gedacht werden kann, hat sich die Unternehmensleitung einfallen lassen, den die
100 Jahre umfassenden Abbildungen (von Adolph von Menzel bis Ernst Wilhelm Nay) jeweils
ein Blatt voranzusetzen, das die Geschichte der Deutschen Bank, ihr Werden und ihre
heutige Aufgabe schildert. Unweit des Gendarmenmarktes, in der Nähe des Deutschen Doms,
des langjährigen Sitzes unseres Vereins, wurde die Deutsche Bank vor 100 Jahren als Aktiengesellschaft (es war die erste in Berlin) gegründet. Ihre erste Anschrift lautet Berlin, Französische Straße 21. In kurzer Zeitfolge wurden über 30 weitere Aktienbanken in Berlin gegründet, deren Schicksal vielfach im Bankkrach unterging. Die Deutsche Bank hingegen übernahm die Geschäfte der Deutschen Union-Bank und des Berliner Bankvereins und verlegte
den Geschäftssitz in den Gebäudekomplex in der Behrenstraße, Französische Straße und
Mauerstraße, dessen Areal später größer war als das des Reichsgebäudes. Die verhältnismäßig
junge Bank wurde bald in das Emissionsgeschäft der Seehandlung einbezogen und beteiligte
sich maßgeblich an der Gründung der AEG 1887 aus der Deutschen Edison-Gesellschaft. 1884
wurde in der Friedrichstraße die erste Blockstation in Betrieb genommen, die die Häuser dort
und Unter den Linden als die ersten mit elektrischem Licht versorgten. Bei der 25-Jahr-Feier
der Deutschen Bank 1895 kann man auf eine sehr erfolgreiche Arbeit zurückblicken, die sich
auch in der Finanzierung von Projekten wie dem Eisenbahnbau in Übersee ausdrückte. Höhepunkt der Jubelfeier waren „lebende Bilder", wie sie auch im Verein für die Geschichte Berlins
gepflegt wurden und von denen es hier im Text heißt, „die freie, vaterländisch gesinnte Gesellschaft des 19. Jahrhunderts (habe sie) geliebt".
Unter Führung der Deutschen Bank wurde 1897 die „Gesellschaft für elektrische Hoch- und
Untergrundbahnen (Hochbahngesellschaft)" errichtet, die 1902 die erste Strecke Warschauer
Brücke-Zoologischer Garten in Betrieb nahm. Kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges nannte
die „Frankfurter Zeitung" die Deutsche Bank die erste der Welt. Aus den Schwierigkeiten
der Inflationszeit kam die Deutsche Bank mit unverminderter Schaffenskraft hervor, und ihre
14 000 Mitarbeiter waren 1927 auf 182 deutsche Plätze und 100 Stadt-Depositenkassen verteilt. Ende der zwanziger Jahre kommt es zur Fusion mit der Disconto-Gesellschaft, einem
zwanzig Jahre vor der Deutschen Bank von David Hansemann gegründeten Berliner Bankinstitut. Die neue vereinigte Bank umfaßt etwa 50 % der Geschäfte aller Berliner Großbanken
und erreicht damit den Anschluß an die Weltspitze.
Ober die folgende Zeit läßt sich wenig berichten. Als 1945 die Zentrale der Deutschen Bank
in Berlin von sowjetischen Truppen besetzt und geschlossen wird, verlagert sich der Schwerpunkt zunächst auf zehn Teilinstitute in allen Teilen der westlichen Besatzungszonen, zu denen
1949 die Berliner Disconto Bank AG tritt. 1952 schlössen sich die zehn regionalen Banken
zu drei Nachfolgeinstituten zusammen, die 1957 zur Deutschen Bank AG vereinigt wurden,
nunmehr allerdings mit Sitz in Frankfurt (Main). Über die heutige Bedeutung der Deutschen
Bank im Jubiläumsjahr, über ihre Aufgeschlossenheit und ihr modernes Image sei an dieser
309
Stelle nichts ausgesagt. Und wenn in dem kunsthistorischen Teil von der Kunst gesagt wird,
sie sei Teil der Geschichte und teile das Schicksal des menschlichen Geistes, so ließe sich dieser
Satz unschwer auf die Deutsche Bank übertragen. Im Ausblick dieses Kalenders heißt es: „Nicht
die Maschinen, die Menschen sind die Deutsche Bank. So war es gestern. So ist es heute. So
wird es künftig bleiben." - Glückauf!
H. G. Schultze-Berndt
Der Witz der Berliner. Gesammelt und aufgezeichnet von Max Baer. Landschaften des deutschen Humors. Verlag Kurt Desch GmbH, München, 1969. 56 Seiten gebunden DM 4,80.
Sammlungen von Witzen haben mit den Witzen selbst gemeinsam, daß man sie gern zur
Kenntnis nimmt, wenn sie nur gut erzählt sind, selbst wenn man sie vor Jahren schon einmal
gehört hat. Das mag auch für die vorliegende Sammlung gelten, in der neben vielen alten
Bekannten auch neu formulierte Witze enthalten sind. In einem Nachwort geht der Herausgeber auf die Eigenart des Berliner Witzes ein, den er vom selbstsicheren bayerischen und vom
selbstkritischen, tiefsinnigen (und gelegentlich schwachsinnigen) sächsischen Witz abgrenzt. Er
sagt dem Berliner Witz einen Zug von Galgenhumor neben seinem optimistischen Elan nach
und eine Prise Bitterkeit und Gelassenheit. Aus den schwierigen Jahren gewann der Berliner
Witz zur schnellen Schnoddrigkeit etwas hinzu, was mit „spröder Charme" fast schon zu unberlinerisch ausgedrückt ist.
Ganz und gar berlinerisch aber sind die folgenden beiden Beispiele, von denen das erste ohne
weiteres auf heute lebende Personen zu übertragen ist: Liebermann mochte die Expressionisten
nicht. Als vor dem ersten Weltkrieg in Berlin eine der ersten großen expressionistischen Ausstellungen eröffnet wurde, versuchte Max Slevogt seinen Freund Liebermann zu überreden,
sie zusammen mit ihm zu besuchen. „Ick jeh nich hin", sagt Liebermann, „nee, ick jeh nich
hin." „Warum denn nicht?" Liebermann lächelt: „Weil mir die Scheiße womöglich jefällt."
Der zweite Witz wird außerhalb Berlins vielleicht nicht einmal verstanden: In der Oper. Der
Tenor tönt: „Ich liebe dich, ich liebe, ich liebe dich!" Belustigte Stimme auf der Galerie:
„Dich is jut."
H. G. Schultze-Berndt
Hans von Arnim: Königin Luise. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12,
1969. 118 Seiten und 13 Abbildungen = Berlinische Reminiszenzen, Band 24. Pappband
DM 9,80.
Der verdienstvolle, ehemalige Konsistorialpräsident Hans von Arnim, der vor kurzem sein
80. Lebensjahr vollendet hat und noch heute die Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft
leitet, hat mit dieser auf historischen, zum Teil bisher nicht bekannten Quellen fundierten
Biographie der Königin Luise, der Gemahlin Friedrich Wilhelms III. und Mutter Kaiser Wilhelms I., ein schönes Denkmal gesetzt. Am 10. März 1776 als 6. Kind des Prinzen und Thronfolgers Karl von Mecklenburg-Strelitz
und der Prinzessin Friederike von Hessen geboren,
wuchs sie nach dem frühen Tode ihrer Mutter bei ihrer Großmutter, der Landgräfin Georg
von Hessen, in der fröhlichen und doch einfachen Atmosphäre des Darmstädter Hofes auf.
Hier wurde sie in französischer Sprache und Kultur und zugleich in deutscher Gesinnung erzogen. Anläßlich der Krönung der Kaiser Leopold II. und Franz II. in Frankfurt wohnten
Luise und ihre Schwester Friederike bei Goethes Mutter, was zu einem freundschaftlichen
Verhältnis führte. Einige Zeit später begegnet sie zum ersten Male ihrem zuk

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