Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1965-1970
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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1965-1970
' J i Fachabt der Berliner Stadtbibliothel« MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 Jahrgänge 1965 — 1970 Schriftleitung: 1965 — 1967 Dr. Joachim Lachmann 1968 — 1970 Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm und Dr. Hans E. Pappenheim B E R L I N 1965 — 1970 I Inhaltsverzeichnis /. Aufsätze: Berndal, Franz: Der Berliner Genremaler Curt Agthe (Abb.) 169 Friedensburg, Ferdinand: Alexander von Humboldt (Abb.) 230 Harms, Bruno: Das Moehsen-Grabmal (Abb.) . . . . 17 Hengsbach, Arne: Berliner Verkehrsprobleme vor 75 Jahren 112, 122 Französisch-Buchholz (Abb.) 352 Hoff mann-Axthelm, Diether: Hegel in Berlin 318 Zum 200. Geburtstag von Friedrich Schleiermacher (Abb.) 182 Hoffmann-Axthelm, Walter: Die Baugeschichte der Moabiter Brücke und deren erster Bauherr, der Hof rat Pierre Ballif (Abb.) . . 199 Die Familie Graefe und ihre Villa Finkenherd im Berliner Tiergarten (Abb.) 294, 322 Hünerberg, Kurt: Die Geschichte der Berliner Wasserversorgung (Abb.) 235 Klünner, Hans-Werner: Das Panorama der Straße Unter den Linden (Abb.) 2, 22, 49 Krüger, Fritz: Johann Peter Süssmilch, Zeuge einer Epoche (Abb.) 133 Kühn, Margarete: Das Charlottenburger Schloß. Zur Eröffnung wiederhergestellter Räume im Nering-Eosander-Bau (Abb.) 85 Kutzsch, Gerhard: Berlinische Geschichtsforschung heute 73 Lachmann, Joachim: Hans Diefenbachs Vermächtnis an Rosa Luxemburg 174 Adolph Menzel 1815 — 1905 9 Loock, Hans-Dietrich: Leopold v. Ranke (Abb.) 346 Medding, Wolf gang: Das Berliner Concerthaus (Abb.) 149, 165 Mey, Hans-Joachim: Die Handschriften-Abteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Dahlem 172 II Michael, Horst: Lübars einst und jetzt — zur Geognostik, Vor- und Frühgeschichte eines der letzten „Dörfer" des modernen Berlins (Abb.) 154 N.N.: Auf Fontanes Spuren — heute . . . . 185 Pappenheim, Hans E.: Der Beelitzer Jagdschirm (Abb.) . . 97 Wilhelm Humboldt und Berlin. Zum 200. Geburtstag (Abb.) 110 Zum 300. Geburtstag der Gründerin von Charlottenburg (Abb.) . . . . 198 Theodor Fontane in Kreuzberg (Abb.) 252 Quicke, Hans Heinrich: Peter Christian Wilhelm Beuth (Abb.) 187 Rutz, H a r r y : Die Entstehung der Berliner Wasserwerke und der Wasserleitung — eine kulturhistorische Skizze (Abb.) 230 Sarneck-Goslich, Ilse: Carl Friedrich Zelter, 1758—1832 (Abb.) 214 Schultze, Johannes: Hans v. Helds Aufenthalt in der Berliner Hausvogtei 302 Schultze-Berndt, Hans G.: Historische Bauten im alten Stadtzentrum (Abb.) 277 Theobald, Rainer: Ludwig Devrient als „Ewiger Jude" (Abb.) 358 Vogel, Werner: Die Schildhornsage — Überlieferung und Wirklichkeit 362 Wille, P. F. C : Unbekannte Darstellungen aus dem alten Berliner Rathaus — kurz vor dessen Abbruch (Abb.) 61 Wirth, Irmgard: Das Berlin-Museum 78 Johann Gottfried Schadow (Abb.) 20, 33 Theodor Hosemann (Abb.) 140 Wollschlaeger, Günter: Johann Friedrich Eosander — ein Hofarchitekt Friedrichs I. (Abb.) 274 //. Berichte über Vorträge: Adam, Heibert: Briefe, Kulturgeschichtliche Dokumente vom Anbeginn der Schrift bis zur Neuzeit Der Philosoph von Sanssouci . . . . Berliner Biedermeier im Spiegel der Zeit Albertz, Heinrich: 50 Jahre Einheitsgemeinde Berlin Behrend, Horst: „Ach wie reich, Vaterland, ständest du in Blüte . . ." Berlin und seine Dichter Daniel Chodowiecki Goerke, Heinz: Asyl Schweizerhof Hoffmann-Axthelm, Walter: Die Familie v. Graefe und ihre Villa Finkenherd im Berliner Tiergarten Philipp Pfaff, Hofzahnarzt Friedrichs des Gr., und Pierre Baillif, Leibzahnarzt Friedrich Wilhelms des III Die Bildungsreise und die magnetotherapeutische Kur des märkischen Landarztes Dr. Carl Ludwig Ganzel Klünner, Hans-Werner: Ein Spaziergang durch Alt-BerlinCölln im Jahre 1966 Noack, Klaus, und Heinz-Georg Klös: Der Berliner Zoologische Garten . . Konwiarz, Wolfram: Probleme der Stadtbildpflege in Berlin Moritz, Lilly: Geschichte und Entwicklung von Wilmersdorf Pomplun, Kurt: Altes und neues Spandau Reicke, Ilse: Böhmen in Berlin Scholz, Hans: Brandenburgische Geschichte aus einem Urmanuskript Stephan, Bruno: Geschichte und Gegenwart des Bezirks Wedding Waetzold, Stephan: Die Zukunft der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Winkelmann, Otto: Weibliche Krankenpflege 1870/71 12 41 103 335 157 103 157 40 191 306 307 190 91 66 279 267 91 158 39 80 117 144 127 125 26 205 268 365 156 56 281 126 156 93 42 142 115 103 11 66 IV. Nachrichten Jahreshauptversammlungen: 66, 115, 175, 240, 335 Veranstaltungskalender: 16, 32, 48, 60, 72, 84, 96, 108, 120, 132, 148, 164, 180, 196, 212, 228, 248, 272, 292, 316, 344, 372 Kleine Mitteilungen: 1, 16, 32, 48, 60, 72, 84, 93, 96, 108, 120, 131, 147, 160, 162, 190, 196, 221, 241, 269, 281, 288, 307, 336, Allgemeine Personalien: 48, 60, 108, 120, 131, 146, 159, 191, 194, 206, 221, 226, 242, 248, 269, 270, 282, 288, 315, 336, Neue Mitglieder: 119, 132, 147, 163, 178, 194, 211, 226, 246, 271, 289, 314, 343, 366 344 370 67 V. 143 157 / / / . Berichte über Besichtigungen und Führungen: Berliner Philharmonie Berliner Post- und Fernmeldemuseum Evangelisches Johannisstift Fontane-Feier Fontane-Feier: Kranzniederlegung . . Friedenau Geheimes Staatsarchiv Gipsformerei der Staatl. Museen . . . . Humboldt-Feier, Alexander v Insel Scharfenberg Institut für Gärungsgewerbe Kupferstichkabinett Landesbildstelle Lübars und Tegel Meierei C. Bolle Schultheiss-Brauerei Spandauer Zitadelle Staatliche Porzellan-Manufaktur . . . . Stolpe und seine Stüler-Kirche Studienfahrten: Einbeck Lüneburg Hameln Verlagshaus Axel Springer Wilhelm-Foerster-Sternwarte Zehn Jahre neue Vereinsbibliothek . . 159 92 Nachrufe: Bruno Harms Fritz Härtung Egon Jameson Bernhard Kroesing Hans Lohmeyer Lilly Moritz ' Johannes Müller Carl Nagel VI. Literaturhinweise: 121 146 308 132 159 270 146 60 13, 30 III VII. Buchbesprechungen: 14, 31, 42, 57, 68, 82, 94, 104, 117, 128, 145, 160, 177, 191, 206, 221, 242, 282, 309, 336, VIII. Abbildungen: Portraits: Agthe, Curt Beuth, Peter Christian Wilhelm . . Bilse, Benjamin 150, Eosander, Frhr. v. Göthe, Johann Friedrich Fontane, Theodor Graefe, Albrecht 324, 326, 328, — Carl Ferdinand — Wanda Harms, Bruno Hegel, Georg Wilhelm Friedrich . . Hosemann, Theodor Humboldt, Alexander v — Wilhelm v Medding, Franz 150, Meyder, Karl Ranke, Leopold v Sophie Charlotte, Königin Süssmilch, Johann Peter Schadow, Johann Gottfried Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst Zelter, Carl Friedrich Gebäude, Denkmäler: Apotheke in Bethanien Berliner Rathaus, Altes Charlottenburger Schloß Fontane-Denkmal IV 366 63, 171 188 165 273 249 331 300 301 121 317 140 229 109 165 150 345 197 133 21 181 213 253 65 90 266 Graefe, Klinik 297, — Villa Finkenherd 293, 298, 332, — Grabmal Hansaviertel Lindenrolle 7, Lübars um 1850 Märkisches Ufer Marienkirche und Neptunbrunnen Moabit: Karte v. 1833 Moabiter Brücke 200, Moehsen-Grabmal Monbijou, Schloß Pasewaldt, Erbbraukruggut Pfaueninsel, Jagdschirm auf der . . . Schleiermacher, Grabmal Wasserreservoir auf dem Windmühlenberg Wasserturm Germania, ehem. . . . Wasserwerk Stralauer Allee Weissbierlokal des Gastwirts Buberitz Sachfotos u. ä.: Denkmünze zur Belohnung f. Kunst und Wissenschaft Devrient, Ludwig (Rollenbild, 1827) Fontane-Manuskript (Prolog 25Jahrfeier des Vereins, 1890) . . Geburtstagsständchen der Familie Zelter (Zeichn. Schadow, 1804) Gedenkblatt zum 4000. Konzert im Konzerthaus (Medding, 1887) Graefe, Geburtsanzeige 1828 . . . . Humboldt-Feier 1969 (Pressefoto) Menzel-Manuskript (Nachruf Krigar, 1880) Pferdebahn (Berlin-Buchholz) Waschfrau, die alte (Fontane) . . . . Namensregister 327 333 300 294 24 155 277 278 200 201 18 276 138 101 184 235 237 233 262 204 359 250 217 150 323 280 10 357 261 373 — 382 Ratsbibliothek Factabt, der Berliner StadtbibliotbA MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Nr. 1 Juli-September 1965 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90 Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinisches». 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 Die Mitteilungen in neuer Folge Mit dem vorliegenden Heft werden die Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, die von 1884 bis 1943 in regelmäßigen Abständen unseren Mitgliedern und Freunden sowie den mit uns im Austauschverkehr stehenden Geschichtsvereinen, Bibliotheken und ähnlichen Instituten zugestellt wurden, in neuer Folge herausgegeben. Sie werden kürzere wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte Berlins, sowie Berichte über die Vorträge, Veranstaltungen und die sonstige Tätigkeit des Vereins enthalten, wie es in den 60 Jahrgängen der alten Reihe Tradition geworden war. Allen Beteiligten sollen sie ein lebendiges Bild von der Arbeit und dem Wirken des Vereins vermitteln. Sie werden dazu beitragen, das Band zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern in Berlin und den auswärtigen Mitgliedern und Freunden unserer Stadt im In- und Auslande weitgehend zu pflegen und zu festigen. Die gesammelten Jahrgänge der Mitteilungen sollen, wie in der Vergangenheit, eine Jahresübersicht über die wissenschaftlichen Leistungen und die praktische Arbeit des Vereins vermitteln. Die Mitteilungen der früheren Jahrzehnte waren ein Bestandteil der Geschichtsschreibung unserer Stadt. Sie haben hervorragende Bedeutung als Quellenmaterial für die Geschichtskunde Berlins erlangt. Es wird das Bestreben des Vorstandes und der Schriftleitung sein, an die Tradition anzuknüpfen und in der Zukunft die Kultur- und Erinnerungsstätten Alt-Berlins in den Kreis der Berichterstattung über die mehr als 700jährige Geschichte unserer Stadt wieder einzubeziehen. Bei diesem Vorhaben bitten wir unsere Mitglieder und Freunde uns zu unterstützen. Der Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins gegründet 1865 Prof. Dr. Dr. Bruno Harms Vorsitzender Das Panorama der Straße Unter den Linden vom Jahre 1820 Erster Teil Von Hans-Werner Klünner Einem unbekannten Zeichner verdanken wir die älteste Gesamtansicht unserer Straße „Unter den Linden". Am 18. November 1820 kündigte die Haude- und Spenersche Zeitung das Erscheinen des Bildstreifens mit folgender Anzeige an: „Panorama vom Königl. Schloß bis zum Brandenburger Thore, auf der e i n e n — eben so vom Dom bis dahin auf der a n d e r n Seite, jedes Gebäude, die Perspektive der Querstraßen, die Nummern, Abzeichnungen und Benennungen der größeren Gebäude — genau angegeben. Diese fortlaufenden Darstellungen beider Seiten der Linden, welche das Brandenburger Thor schließt, sind verschiedentlich durch Figuren, Truppen, Reuter, Wagen usw. usw. und was sonst noch im täglichen Leben sich daselbst regt und bewegt, mannigfaltig staffln, und gewährt Einheimischen sowohl als Fremden eine angenehme täuschende Ansicht. Dasselbe ist auch in kleinen Camera obscura anzuwenden. Jede Seite ist von 12Vs Fuß (3,92 m, d. V.) Länge, fast 4 Zoll (10 cm) Höhe in lackirter Kapsel zum Aufrollen, schwarz zu 4 Thlr., illuminirt 9 Thlr., — und sind jederzeit — gegen postfreie Bestellung und 6 Gr. pro Emballage — zu haben in J a c o b i's Kunsthandlung, Linden Nr. 35". Es scheint, als ob der für jene Zeit hohe Preis — vier Taler erhielt z. B. ein Lohndiener für sechs Tage an Entgelt — dem Lindenfries keine allzu weite Verbreitung verschafft hat. Er war so gut wie unbekannt, als unser Verein ihn in seiner Zeitschrift (Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 25. Jahrgang 1908, Heft 4 Seite 72 ff. und Heft 5 Seite 136 ff.) erstmalig abdruckte und dadurch einer weiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Als Vorlage für die Reproduktion diente das Exemplar aus der Privatsammlung des Kunsthändlers Meder — Amsler & Ruthardt. Das Original dieser Lindenrolle — wie sie meistens genannt wird —, erwarb das Märkische Museum noch kurz vor der Eröffnung des Neubaues am 10. Juni 1908. Von diesem Stück wurde 1938 ein Faksimile angefertigt, welches jetzt im Besitz des Landesamtes für Denkmalpflege ist. Ein anderes Exemplar der Lindenrolle kam 1912 bei Henrici zur Versteigerung, wobei es den Rekordpreis von 2850 Mark erzielte. Als Wiederholung des Abdruckes in den Mitteilungen unseres Vereins veröffentlichte Erdmann Graeser unter dem Titel „Das alte Berlin" 1929 den Lindenfries noch einmal in Buchform, allerdings mit der falschen Datierung in das Jahr 1822. Schon 1923 hatte Bogdan Krieger in seinem Werk „Berlin im Wandel der Zeiten" einen Teil der Lindenrolle ohne die anschließenden Plätze in verkleinertem Maßstab abgebildet und zum Teil erläutert. Schließlich erschien noch eine verkleinerte Gesamtabbildung des Lindenfrieses in einer achtseitigen Werbeschrift des „Berliner Lokal-Anzeigers" im Sommer 1937. Weitere vollständige Abdrucke konnten nicht festgestellt werden. Der dem Buch von Claus Siebenborn „Unter den Linden 1647—1947" beigegebene Bildstreifen zeigt nicht die Lindenrolle von 1820, sondern ein späteres Panorama aus der Zeit um 1840. 2 Da die Lindenrolle — vergleichbar mit der fotografischen Momentaufnahme — nur einen Augenblick aus der Geschichte festhält, soll der folgende Überblick die Gesamtentwicklung der Straße verdeutlichen. 1647 wird auf Befehl des Kurfürsten Friedrich Wilhelm eine 250 Ruten lange „Gallerie" aus sechs Reihen Linden- und Nußbäumen als Verbindung zwischen Schloß und Tiergarten gepflanzt. Diese „Gallerie" oder „Plantage" erstreckte sich bis zur heutigen Schadowstraße. 1658 beginnt der Bau der neuen Befestigung, bei dem ein Teil der Lindenallee — zwischen Schloßbrücke und Universität — wieder abgeholzt wird. 1673 am 23. Oktober beginnt die Anlegung der Neustadt neben dem Friedrichswerder, nach dem Plan des Ingenieurs Biesendorf. Die südliche Begrenzung bildet die Lindenallee von 1647, deren Nordseite anfangs den Namen „Erste Reihe" trägt. Seit 1676 wird die Neustadt „Dorotheenstadt" genannt. 1678 wird die Südseite der Linden zur Bebauung freigegeben; sie heißt zuerst Friedrichstadt und wird erst 1681 zur Dorotheenstadt gelegt. 1681 beginnt im August der Bau der Umwallung der Dorotheenstadt im Zuge der Behren- und Schadowstraße. 1691 fertigt Johann Stridbeck seine Aquarelle von Berlin. Danach ist die Lindenallee vierreihig, während sie auf dem La Vigneschen Plan von 1685 noch sechsreihig ist; schon 1699 soll sie — nach Nicolai — wieder sechsreihig gewesen sein. 1712 erhalten die Hausbesitzer der Südseite den Wall im Zuge der Behrenstraße zur Vergrößerung ihrer Grundstücke geschenkt; sie müssen ihn aber auf eigene Kosten abtragen und mit der gewonnenen Erde den Graben zuschütten. 1734 wird die Dorotheenstadt nach Westen erweitert. Die Linden werden verlängert und das Quarree — Pariser Platz — entsteht mit dem Brandenburger Tor. Die neugewonnenen Grundstücke werden in den folgenden Jahren durch Adelspersonen und wohlhabende Bürger mit palaisähnlichen Wohnhäusern bebaut. 1741 läßt Friedrich IL die Festungswälle am Neustädtischen Tor planieren und auf dem freiwerdenden Raum durch Knobelsdorff das Opernhaus erbauen. 1748 beginnt der Bau des Palais für den Prinzen Heinrich gegenüber dem Opernhaus. Die Fertigstellung zieht sich bis 1766 hin. Nachdem Hedwigskirche und Bibliothek vollendet sind, ist die Verbindung zwischen Linden und Lustgarten im wesentlichen vollendet. 1771—1776 läßt Friedrich der Große hier 44 alte Häuser abbrechen und nach Rissen von Unger und Boumann der Ältere 33 neue Häuser bauen. 1788 wird das alte Brandenburger Tor abgebrochen und nach dem Entwurf von Carl Gotthard Langhans das noch jetzt stehende Tor erbaut, das einschließlich der Quadriga 1794 vollendet ist. 1798 erhält die Mittelpromenade anstelle der bisherigen hölzernen Barrieren neue Einfassungen nach D. Gillys Entwurf. Sie bestehen aus in Sandsteinpfeilern verankerten Eisenstangen. Auch neue Laternen für die ölbeleuchtung werden aufgestellt. 3 1806 am 27. Oktober zieht Napoleon als erster durch das Brandenburger Tor in Berlin ein; im Dezember wird die Quadriga herabgenommen und nach Paris geschafft. 1814 am 7. August zieht König Friedrich Wilhelm III. an der Spitze seiner Truppen in Berlin ein, wobei die zurückgeholte Quadriga enthüllt wird. Am 15. September wird das Quarree in Pariser Platz umbenannt. 1826 am 19. September werden die Linden als erste Straße Berlins mit Gas beleuchtet. 1846 wird Berlins erste Pferdeomnibuslinie Alexanderplatz — Unter den Linden — Bendlerstraße eingerichtet. 1851 am 31. Mai wird das von Christian Daniel Rauch geschaffene Denkmal Friedrichs des Großen feierlich enthüllt. 1878 erhalten nach Abschluß der Kanalisationsarbeiten die Fahrdämme der Linden eine neue Pflasterung. Das noch aus dem Anfang des Jahrhunderts stammende runde Katzenkopfpflaster wird auf der Nordseite durch Granitwürfelpflaster ersetzt, während 1880 die Südseite mit Ausnahme des Teiles vor dem Palais des Kaisers asphaltiert wird. Der Pariser Platz erhält ebenfalls neues Pflaster und die seitlichen Schmuckflächen mit den Springbrunnen. 1888 am 30. August wird die elektrische Beleuchtung der Linden in Betrieb genommen. Die Kandelaber entwarf Prof. Schupmann. 1902 werden die beiden äußeren — die Reitwege neben der Mittelpromenade einfassenden — Baumreihen beseitigt, der südliche Fahrdamm um den Reitweg verbreitert, während der nördliche Reitweg beibehalten, aber von 7,5 m auf 4 m verschmälert wird. Nachdem die Bürgersteige um 3 m auf der belebteren Südseite, und 2,5 m auf der Nordseite verbreitert wurden, konnten hier wieder neue Lindenbäume gepflanzt werden. Auf der Mittelpromenade werden 66 neue — nach dem Entwurf des Geheimen Baurates Emmerich gefertigt — Sitzbänke aufgestellt. 1911 erhält der Opernplatz den Namen Kaiser-Franz-Joseph-Platz. 1914 am 31. Juli wird vor dem Friedrichsdenkmal der Kriegszustand verkündet. 1916 im Dezember wird der Lindentunnel für die Straßenbahn fertig. 1922 wird auch der nördliche Reitweg entfernt und an seiner Stelle Blumenanlagen geschaffen. 1927—1928 werden wegen des starken Automobilverkehrs vor dem Opernhaus Schutzinseln als Parkplätze angelegt und auf beiden Fahrbahnen der Richtungsverkehr eingeführt. 1934 im Dezember ist der Baubeginn für den Tunnel der Nord-Süd-S-Bahn zwischen Pariser Platz und Neustädtischer Kirchstraße. Die Inbetriebnahme der Teilstrecke Unter den Linden — Stettiner Bahnhof erfolgte am 28. Juli 1936. 4 1936 am 7. Mai beginnt die Neupflanzung von ca. 350 holsteinischen Silberlinden als Ersatz für die 1935 bei der erneuten Fahrdammverbreiterung entfernten alten Bäume. Zur gleichen Zeit werden die jetzt noch vorhandenen Laternen aufgestellt. 1937 werden die Hausnummern geändert. Die Zählung beginnt jetzt an der Schloßbrücke, links mit der Kommandantur als Nr. 1 und rechts mit dem Zeughaus als Nr. 2, fortlaufend bis zum Pariser Platz, mit dem Hotel Adlon als Nr. 77 und der Länderbank als Nr. 82. Der Pariser Platz behält seine alte Numerierung. 1941 am 9./10. April fallen die ersten Bomben auf die Linden, dabei wird das Opernhaus getroffen und brennt aus. Wiederhergestellt und am 7. Dezember 1942 eröffnet, wird es am 3. Februar 1945 mit vielen anderen Gebäuden der Straße durch Brand- und Sprengbomben wiederum schwer beschädigt. 1945 nach der Kapitulation sind die Linden ein Trümmerhaufen. Die letzten noch unversehrten Häuser werden Ende April beim Kampf um das Regierungsviertel zerstört oder schwer beschädigt. 1965 ist der Wiederaufbau der Linden bis zur Wilhelmstraße im Wesentlichen vollendet. Von den 64 Gebäuden zwischen Pariser Platz und Universität sind nur 13 erhalten geblieben, davon kein auf der Lindenrolle abgebildetes. An keiner Stelle des damaligen Berlin konnte der Zeichner die Vielfalt des Lebens und Treibens einer Straße besser beobachten, als gerade ,Unter den Linden'. Die Straße begann sich in jenen Jahren von der kleinbürgerlichen Wohn- zur offiziellen Repräsentationsstraße zu wandeln. Der Wohnsitz des Königs im Palais gegenüber dem Zeughaus und die beginnende Konzentration der Behörden im Umkreis der Linden, ließen diese zum Sammelpunkt des öffentlichen Lebens werden. Hinzu kam noch die Funktion als Verbindungsstraße zur Sommerresidenz Charlottenburg und Hauptzugang zum damals einzigen Park Berlins, dem Tiergarten. Außerdem waren die Linden die einzige Straße mit einer Mittelpromenade, und mit ihren Ruhebänken der ideale und kostenlose Treffpunkt für Arm und Reich. Unser Zeichner hat das pulsierende Leben der Straße rührend getreu wiedergegeben. So erblickt man z. B. Spaziergänger, Liebespaare, debattierende Studenten, Kinder, welche mit Fahne und Trommel Soldat spielen, Kürassiere zu Fuß, Personen des ,dienenden Standes', Müßiggänger, Mütter mit Kindern, einen Trauerzug, bestehend aus acht Kutschen und dem vierspännigen Leichenwagen, einen Sprengwagen, Kavalleristen, marschierende Soldaten, Kutschen und vieles andere. Da es einen vom Fahrdamm getrennten Bürgersteig im heutigen Sinne noch nicht gab — erst nach 1825 begann man allmählich mit dem Legen von Trottoirs — bewegten sich Fahrzeuge und Fußgänger munter durcheinander. Kurz vor 1820 wurden die beiden äußeren Baumreihen vor den Häusern beseitigt, so daß nur die vier, den Mittelstreifen und die Reitwege einfassenden Baumreihen verblieben. So erklärt sich auch die gute Sicht — der Standpunkt des Zeichners war die Mittelpromenade — auf die Fassaden der Häuser. Deutlich zeigt sich 5 aber auch der Gegensatz zwischen den belebten Linden mit ihrer Breite von 60,4 m und der Weite des doppelt so breiten Pariser Platzes. Die Lindenrolle zeigt den Platz noch umstanden von dem gleichmäßig hohen, zweigeschossigen Barockpalais aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. Das Haus N r . 1 südlich neben dem Brandenburger Tor, gehörte 1820 dem Major von Stanckar, Nr. 2 der Witwe des 1819 verstorbenen „Marschall Vorwärts" der Freiheitskriege, Fürsten Blücher. Beide Häuser wurden ursprünglich zusammen 1736 auf einem Grundstück für den Grafen von Wartensleben erbaut. Anstelle des Blücherschen Palais entstand 1869—71 durch Carl Richter ein Neubau. Vor dem ersten Weltkrieg wohnte hier als Mieter Fürst Guido Henckel von Donnnersmarck, der Gründer Frohnaus. Von 1939—45 war das Haus Sitz der Botschaft der Vereinigten Staaten. Das Nachbarhaus, Nr. 3, ließ sich 1737 der Geheimrat und Hofmarschall Johann Georg von Geuder zu Rabenstein erbauen. 1792 kaufte es der General von Rohdich und bestimmte es kurz vor seinem Tode 1796 zum Legat für die Erziehung von Kindern der Angehörigen des Grenadier-Garde-Bataillons. Seit 1810 war es im Besitz der Traditionstruppe, dem 1. Garde-Regiment zu Fuß. 1820 wohnte der große Rechtslehrer Friedrich Karl von Savigny im Haus und von 1849 bis 1877 war hier die Dienstwohnung des Generals von Wrangel als Oberbefehlshaber in den Marken und Kommandierendem General des III. Armeekorps. Nach dessen Tod wurde es abgerissen und von den Architekten Kosemann und Jacob von 1878—80 ein Neubau errichtet. Einer der bekanntesten Mieter war wohl die feudale Casino-Gesellschaft, die bis 1931 im Erdgeschoß ihre Räume hatte. Zuletzt war das Haus Reichsministerium für Bewaffnung und Munition. N r . 4 war 1820 im Besitz der Gräfin Friederike von Waidenburg, geb. Wichmann, einer Lebensgefährtin des Prinzen August von Preußen. Sie war die Schwester der Bildhauer Karl und Ludwig Wichmann. Eduard Knoblauch baute das Haus 1858 für den Grafen Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg um. 1906 kaufte es der Staat für die Akademie der Künste an, die 1907 nach einem Umbau durch Ihne hier einzog. Die Ostseite des Pariser Platzes wird vom Haus Unter den Linden Nr. 1 gebildet. Von Johann Friedrich Grael 1736 für den Grafen Kameke erbaut, war es seit 1798 im Besitz des Grafen von Redern. Für dessen Sohn Wilhelm, der seit 1828 Intendant der Königlichen Schauspiele war, baute Schinkel das Haus um. Der 1833 vollendete Umbau und die Aufstockung des alten Palais war der Auftakt für die weitere Veränderung der Fronten des Pariser Platzes, die sich wieder an dem durch Schinkel gegebenen Vorbild orientierten. Von 1905—07 wurde anstelle des Redernschen Palais durch Gause und Leibnitz mit einem Kostenaufwand von über 17 Millionen Mark das Hotel Adlon erbaut. Rederns Nachbarin in Nr, 2 war 1820 die Witwe des Kammerherrn von Berg, die auch ein altes Haus aus dem Jahre 1735 bewohnte. Bis zur Zerstörung blieb es in der Form — mit der schönen Loggia im zweiten Stock — die ihm Ende und Böckmann beim Umbau 1868 gaben. Das Haus Nr. 3, an der Ostecke der Wilhelmstraße gehörte 1820 dem Oberjägermeister Grafen Moltke. Um 1840 modernisiert und aufgestockt, erhielt es sich — lange Zeit als Hotel Royal das führende Haus in Berlin — bis zur Zerstörung. Im ,Royal' stiegen vorzugsweise Fürsten und Diplomaten ab, z. B. hatte 1860 der französische Botschafter hier sein Quartier. Auf einem Trennstück von Nr. 3 wurde um 1800 das Haus Nr. 3 a erbaut. 6 Eines der größten der Straße war mit seinen ursprünglich 21 Fenstern Front das Haus Nr. 4. Um 1735 für den Kammerpräsidenten v. d. Osten gebaut, war es 1820 im Besitz des Branntweinbrenners Moritz. Nach 1830 erwarb es der Herzog Ernst August von Cumberland — seit 1837 König von Hannover. Von diesem kaufte es 1849 der preußische Staat als Dienstgebäude für das Kultusministerium. Das alte Palais wurde 1883 durch einen Neubau ersetzt, der, mehrfach erweitert, bis zur Zerstörung Sitz des Ministeriums blieb. Heute befindet sich auf den Grundstücken Nr. 3, 3 a und 4 — neue Nr. 69—73 — der Neubau des östlichen Ministeriums für Volksbildung. Von Nr. 4 wurde um 1800 ein Flügel mit fünf Fenstern Front abgebrochen und mit dem dreigeschossigen Wohnhaus Nr. 4 a bebaut. Dieses war 1820 im Besitz des Generalmajors von Schoeler. In diesem Haus wohnte Karl Friedrich Schinkel von 1821—36. Jetzt steht hier ein 1908 errichtetes Geschäftshaus mit der von der Stadt Berlin zur Erinnerung an den großen Baumeister gestifteten Gedenktafel. Ebenfalls aus der Zeit um 1735 stammen die Häuser Nr. 5 und 6, 1820 dem Medizinal-Rat Dr. Richter und der Generalswitwe v. Rietz gehörend. Anstelle der alten Häuser wurde 1891 und 1899 von Gause das Hotel Bristol erbaut. Es galt unter seinem Besitzer Konrad Uhl als das vornehmste Hotel Berlins, mußte diesen Rang aber später dem ,Adlon' abtreten. Das langgestreckte Barockpalais Nr. 7 gehörte 1820 der Prinzessin von Kurland. Im Januar 1837 kaufte es der Schwiegersohn des Königs, Zar Nikolaus I. Von Eduard Knoblauch wurde es 1840 umgebaut. Bis 1918 immer Privateigentum des Zaren, war es gleichzeitig Sitz der Russischen Botschaft. Nach dem zweiten Weltkriege entstand anstelle des alten Hauses und auf den Nachbargrundstücken Nr. 5/6 und 8—11 (neue Nr. 55—65) der Mammutbau der neuen Botschaft der UdSSR. 7 Nr. 8 und 9 sind zwei bescheidene Häuser aus der Anfangszeit der Straße. 1820 gehörte Nr. 8 dem Konditor Fuchs. Für seine berühmte Konditorei entwarf Stüler 1834 eine neue Innenausstattung. Nicht ausgeschlossen ist, daß der 1825 erfolgte Umbau nach Plänen Schinkels erfolgte. Nr. 9 ging in die Literaturgeschichte ein als Vorbild zu E. T. A. Hoffmanns Novelle „Das öde Haus". Es gehörte 1820 der Majorin v. Arnim. 1826 wurde beim Neubau des Hauses die Kleine Mauerstraße über das Grundstück gelegt. Die Häuser Nr. 10, 11 und 12 sind Immediatbauten Friedrichs des Großen. Nr. 11 stand bis 1945. Es wurde 1772 für den Hauptmann von Vigneule erbaut. Besitzer von Nr. 12 war 1820 der Staats- und Schatzminister Graf Karl von Lottum. Die Herrenschneiderei Fasskessel 8c Müntmann ließ 1890 hier durch H. Grisebach ein neues Geschäftshaus errichten. Bis in unsere Tage standen, in der Fassade modernisiert, Immediatbauten Nr. 14 und 15. Nr. 14 gehörte 1820 dem Geheimrat Bertram, 1920 befand sich hier das Kabarett „Die Fledermaus". Nr. 16, der Gräfin von Schmettow gehörend, war damals ebenso wie Nr. 13 schon 100 Jahre alt. Der 1911 durch Hans Jessen errichtete Neubau des Bankhauses Bleichröder war bereits das dritte Gebäude an dessen Stelle. Ein besonders großes Grundstück, Nr. 17/18 mit einem Doppelhaus — ebenfalls ein Immediatbau — besaß 1820 der Ingenieur-Kapitän Blesson. Es verschwand 1892 zugunsten der Baugruppe des Hotels Westminster und des Theaters Unter den Linden, das allerdings in der Behrenstraße lag. Wir kennen es als Metropol-Theater bzw. nach dem Kriege als Komische Oper. Auch die auf der Lindenrolle abgebildeten Häuser Nr. 19—21 waren bis 1945 erhalten. Nr. 19 gehörte dem Bankier Louis Berend, Nr. 20 einem Handwerker und Nr. 21, eines der schönsten Häuser der Linden, dem Buchhändler Christiani. Schon in der zweiten Fassung des Schultzschen Planes von 1688 wird das Grundstück als bebaut angegeben. Seine auf der Lindenrolle gezeigte Fassade erhielt das Haus 1789 als Immediatbau für den Generalmajor von Tempelhoff. 1834 kaufte es Graf Raczynski, der schon in diesem Hause seine Gemälde-Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machte. Von den Mietern seien nur das Cafe Opera, das Linden-Kasino und der 1903 gegründete Bühnenclub genannt. Zuletzt hatte hier der ,Werberat der Deutschen Wirtschaft' seinen Sitz. Eines der populärsten Gebäude des Vorkriegs-Berlin war die 1869—73 von Kyllmann und Heyden erbaute Passage. Aus der Reihe der Erinnerungen seien nur das Passage-Panoptikum, Kunstmaler Fischer, Cafe Keck und das Linden-Kabarett genannt. Von den 1820 hier stehenden Häusern war Nr. 22 im Besitz des Schneidermeisters Baumann und Nr. 23 im Besitz des Hof-Traiteurs Jagor. Sein Restaurant gehörte seinerzeit zu den führenden in Berlin. Hier war später des Mesersche Tanzlokal, in dessen Saal unser Verein im Januar 1866 seine erste Jahresversammlung abhielt. Auch die Modezeitschrift ,Bazar' hatte einige Jahre ihre Redaktion im Jagorschen Hause, während ihr Besitzer, Louis Schäffer-Voit, im Hause Nr. 21 wohnte, das ihm von 1866 bis 1888 gehörte. An ihn erinnert noch der Park seines Schlosses Ruhwald in Westend. Das 1763 erbaute Haus Nr. 23 hatte schon als Gasthof ,Zur Sonne' eine höhere Weihe erhalten: Goethe wohnte hier bei seinem Berlin-Besuch im Mai 1778, und Schiller im Mai 1804, als das Gasthaus .Russischer H o f hieß. 8 Adolph Menzel — 1815 - 1905 — Ausstellung des Berlin-Museums im Haus am Tiergarten anläßlich seines 150. Geburtstages Nachdem das Berlin-Museum sein erstes Heim, das im Bezirk Tiergarten in der früheren Bendler- und heutigen Stauffenbergstraße 41 gelegene „Haus am Tiergarten" Ostern 1965 mit einer Chodowiecki-Ausstellung eröffnet hatte, hat es seine jetzige Ausstellung Adolph von Menzel zu seinem 150. Geburtstag gewidmet. Diese ist von Dr. Heinrich Brauer, dem Leiter der Nationalgalerie Berlin und Dr. Irmgard Wirth vom Landesamt für Denkmalspflege und Mitglied im Beirat des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin-Museums in vorbildlicher Weise zusammengestellt worden. Zur Besichtigung der Ausstellung unter fachkundiger Führung hatten sich zahlreiche Mitglieder des Vereins für die Geschichte Berlins am 19. Juni 1965 eingefunden. Die wie ein Wunder inmitten des völlig zerstörten Tiergartenviertels unversehrt gebliebene Villa, die, von dem Berliner Baumeister Richard Wolffenstein 1907 erbaut, von 1909 bis 1940 dem Baron von Gontard gehörte, bietet einen würdigen und geschmackvollen Rahmen für diese mit viel Mühe zusammengetragene Ausstellung, die einen guten Überblick über die künstlerische Entwicklung und die außerordentliche Vielseitigkeit Menzels bietet und die bereits vorher in London und drei weiteren Städten Englands mit großem Erfolg gezeigt worden ist. Menzel ist, obwohl aus Breslau gebürtig (8. Dezember 1815), durch die bereits mit 15 Jahren erfolgte Übersiedlung in die Preußische Hauptstadt, der er seine künstlerische Entwicklung verdankt, aus dem künstlerischen Leben und der Geschichte Berlins nicht mehr wegzudenken. In den frühen lithographischen Arbeiten Menzels zeigt sich noch stark seine Herkunft von der Graphik, die er in der lithographischen Anstalt seines Vaters gelernt hatte. Hier seien seine bekannten etwa 300 Holzstiche erwähnt, die er im Auftrage des Historikers Franz Kugler zu dessen Werk „Geschichte Friedrichs des Großen" ausgeführt hat (1840). Erst allmählich beginnt der Durchbruch zu eigenem künstlerischen Schaffen und zur farbigen Technik mit breitem Pinsel. Es folgen jetzt Aufträge des Königs, z. B. das in dessen Auftrage ausgeführte Gemälde der im Jahre 1861 erfolgten Krönung Wilhelms I. in Königsberg. Erwähnenswert sind auch die weniger bekannten Kostümstudien, die Tierund Pflanzenstudien, die durch besondere Zartheit und Feinheit auffallen, vor allem die Wildtauben-Studien und die Canna-Stauden. Man lernt Menzel aber auch als Schöpfer der verschiedenartigsten Porträts und Porträtskizzen in den verschiedensten Techniken kennen, sei es beispielsweise das durch seine besonders schönen Farben hervorstechende Bild der Prinzessin Amalie oder das Porträt des berühmten Geigers Joseph Joachim. Beides sind Ölgemälde, aber daneben zeugen Zeichnungen von Szenen und Typen, aus dem täglichen Leben gegriffen und von besonderer Lebendigkeit, für die Vielseitigkeit seines Schaffens. Neben Selbstbildnissen, Bildnissen seiner Geschwister sowie von Menschen des öffentlichen Lebens, von Prinzen, 9 i r/2* ,***/$ V, '9kts**-c C*--~r< **. J ;v <i •<(---*-*- J • JV (M>-w ' K /o Künstlern und Gelehrten, wie das des General- und Leibarztes Dr. v. Lauer oder des Physiologen Emil du Bois-Reymond, sieht man so lebendige Kompositionen wie das Bild der „Badenden Kinder" voll Farbe und Lebensfreude. Nicht unbeachtet darf bleiben die Erfassung eines damals für die deutsche Malerei noch völlig neuen Stoffes durch Menzels bedeutende Arbeiten über das Eisenwalzwerk in Königshütte/Oberschlesien, von denen die Ausstellung einige charakteristische Einzelstudien bietet. Landschaften wie aus der Gegend von Kassel und Marburg wechseln ab mit Interieurs, die aufs schönste zeigen, wie genau Menzel auch die Architektur und die Atmosphäre beispielsweise einer Kirche wiedergeben konnte, wie die der Klosterkirche in Riddagshausen bei Braunschweig oder der Elisabethkirche in Marburg. Den Abschluß der Ausstellung bildet eine Sammlung von Handschriften Menzels aus verschiedenen Lebensjahren. Als interessantestes und wertvollstes Stück hiervon sei der handschriftliche Nekrolog auf seinen Schwager, den Kgl. Musikdirektor Hermann Krigar, hervorgehoben. Eine Seite hiervon ist in Photokopie angefügt, auf der Menzel wohl als erster auf die musikalische Bedeutung des tschechischen Komponisten Anton Dvorak hinweist. J. L. Böhmen in Berlin Am 24. November 1964 hielt Frau Dr. Ilse Reicke, die Tochter des bekannten früheren Berliner Bürgermeisters Dr. Reicke, einen Vortrag über „Böhmen in Berlin". Sie ging von der Zeit Kaiser Karls IV. aus, der wohl die frühesten Verbindungen zwischen Böhmen und der Mark Brandenburg geschaffen hat und dessen märkische Residenz Tangermünde war. Die Vortragende erwähnte dabei die Zeit, da die „böhmische Küche" der Kurfürsten als die vornehmste galt. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand die böhmische Einwanderung in Berlin unter dem Soldatenkönig, der offenbar sein Land zu „peuplieren" gedachte, wie es sein Großvater durch Aufnahme der Hugenotten so erfolgreich getan hatte, und der später selbst auch die Salzburger Protestanten nach Preußen holte. Das im Weltkrieg unversehrt gebliebene Bronzedenkmal Friedrich Wilhelms L, von den dankbaren Nachfahren der böhmischen Ankömmlinge errichtet, legt noch heute im böhmischen Viertel von Rixdorf — das heute Neukölln heißt — Zeugnis ab von jenem böhmischen Zustrom und Einfluß auf die preußische Hauptstadt. Noch heute kann man diesen Einfluß verfolgen, zum Beispiel in den drei böhmisch-reformierten Gottesdiensthäusern, in den Personen- und Straßennamen von Neukölln und insbesondere auf seinem besonderen Gottesacker, der — gleich dem böhmischen Friedhofsgebiet neben der Gedenkbibliothek — statt Kreuz oder Gedenkstein an einem Hügel, nichts als schwere Steinplatten auf den Gräbern trägt, schmucklose Zeichen und Bekenntnisse der Gleichheit vor der Ewigkeit. Emsiger Fleiß, eine gewisse puritanische Nüchternheit und soziale Hilfsbereitschaft wirkten sich fruchtbringend auf die Entwicklung des Berlinertums aus. So manche Ausdrucksweise stammt aus dieser Zeitepoche, wie z. B. „Det kommt mir 11 böhmisch vor" — die Ankömmlinge sprachen ja zum großen Teil noch lange tschechisch — oder „Das sind mir böhmische Dörfer", was „mir unverständlich" bedeutet, oder „Nu aber dalli, dalli, nich so pomade" — von tschechisch dale = schnell und po male = langsam. Auch in den folgenden Jahrhunderten bis in unsere Zeit wirkte eine Fülle von Menschen böhmischer Herkunft mit am künstlerischen und geistigen Leben der Stadt: Die tschechische Opernsängerin Emmy Destinn, der aus Brunn stammende Leo Slezak, die Bildhauer Ignatius Taschner, Franz Metzner, Hugo Lederer, der geniale Zeichner und Porträtist bei jeder repräsentativen Veranstaltung, Professor Emil Orlik, der geistvolle Publizist und Sprachphilosoph Fritz Mauthner — auch einer der berühmten „Zwanglosen" —, sowie der einst als Lyriker geborene Theaterkritiker und Chefredakteur des „Berliner Börsen Courier" Emil Faktor, bis zu Dr. Huder von der heutigen Akademie der Künste. So darf man wohl, sechs Jahrhunderte der Entwicklung überblickend, aussprechen, daß der biologische, psychologische, künstlerische und geistige Einfluß von Prag auf Berlin immer stärker gewesen ist als der Wiener Einfluß. Briefe, Kulturgeschichtliche Dokumente vom Anbeginn der Schrift bis zur Neuzeit Tonfilmvorführung vom 19. Januar 1965 Der Tonfilm zeigte uns an Beispielen aus der Handschriftensammlung unseres Mitgliedes Herbert Adam die kulturgeschichtliche Entwicklung des Briefes durch die Jahrtausende. Wir sahen siebentausend Jahre alte Keilschrift-Tontafelbriefe der Sumerer, der Erfinder der Schrift, die Bilderschrift der Ägypter auf Papyrus, Briefe auf Tonscherben, auf Palmblättern, in Stein geritzte Runen. Von den ersten Briefen in Deutschland wurden uns Klosterbriefe, von Nonnen geschrieben, gezeigt, aus der italienischen Renaissance formvollendet geschriebene Briefe wie die der berühmten Isabella d'Este, des Fiesco und des Aretino, aus der Reformationszeit die Martin Luthers, aus dem Dreißigjährigen Krieg Briefe des Schwedenkönigs Gustav Adolf, Wallensteins und anderer großer Heerführer. Wir sahen in Briefen von Leibnitz, Gottsched und Geliert die Bemühungen um die Verbesserung der deutschen Sprache und die Hebung des deutschen Briefstils, dazu erläuternd gezeigt Originalausgaben ihrer „Sprach"- und „Briefbücher". Auch die Briefform Goethes und seiner Zeitgenossen trat an Beispielen vor unsere Augen, wie auch Briefe der Zeitgenossen der Sturm- und Drangperiode, des Grafen Stolberg und Fouques. Die Königin Luise eröffnete mit ihren hübschen farbigen Briefbogen den Reigen der damals in Mode gekommenen reizvollen Blättchen der gemütvollen Biedermeierzeit. An treffenden Beispielen wurde sichtbar, wie in unserem Jahrhundert der handgeschriebene Brief immer mehr durch den mit Schreibmaschine geschriebenen verdrängt wurde. So sahen wir Albert Einsteins Briefe mit seiner Hand geschrieben, bis auch ihn, den viel beschäftigten Forscher, die ständig steigende Menge der Korrespondenz zwang, 12 die Schreibmaschine zu Hilfe zu nehmen. Als Ausklang ließ uns der Film einen modernen Druckautomaten betrachten, wie er uns hilft, die im heutigen Wirtschaftsleben erforderlichen ständig steigenden Briefmengen zu bewältigen. Zu Beginn des Films sahen wir den Handschriftensammler die Schriftbeispiele auswählen, anschließend hörten wir die Übertragung seines selbstgesprochenen Kommentars. So hat uns die Filmtechnik Gelegenheit gegeben Ongma/-Dokumente zu betrachten, die sonst nur in Museen und Archiven besichtigt werden können. Die Kulturgeschichte des Briefes in sieben Jahrtausenden — lebendig und fesselnd gestaltet an Hand von zum Teil seltenen Originalen — ist uns in einer knappen Stunde dargeboten worden. Neuerscheinungen Eine vollständige Übersicht über die im Laufe des verflossenen Jahres herausgegebenen Neuerscheinungen an Literatur zur Geschichte Berlins erfolgt, wie alljährlich, im nächsten Bande des Jahrbuchs des Vereins „Der Bär von Berlin". Hier seien aus der sehr zahlreichen Literatur nur folgende Publikationen hervorgehoben: Berlin-Bibliographie bis 1960. Bearbeitet von Hans Zopf und Gerd Heinrich unter Verwendung des von Waldemar Kuhn gesammelten Materials. Mit Vorwort von Hans Herzfeld und Rainald Stromeyer, Berlin: de Gruyter 1965. X X X , 1012 Seiten mit Personen- und Sachregister. — Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Band 15, 1 —. Berlin, Quellen und Dokumente 1945—1951. Zwei Halbbände, herausgegeben im Auftrage des Senats von Berlin, bearbeitet durch Hans J.Reichardt, Hanns M. Treutier, Albrecht Lampe vom Landesarchiv Berlin — Abteilung Zeitgeschichte. Berlin: Heinz Spitzing Verlag 1964. 2172 Seiten mit 1175 Dokumenten. Johannes Schultze: Die Mark Brandenburg. Vierter Band: Von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden (1535—1648). Berlin: Duncker & Humblot 1964, 322 Seiten. Erwin Redslob: Bekenntnisse zu Berlin. Reden und Aufsätze. Berlin: StappVerlag 1964. 239 Seiten und ein Titelbild. Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1963, herausgegeben im Auftrage des Stiftungsrates vom Kurator der Stiftung Hans-Georg Wormit. Köln und Berlin: G. Grotesche Verlagsbuchhandlung K. G. 1964, 256 Seiten mit 4 vierfarbigen und 40 einfarbigen Abbildungen auf Tafeln sowie zwei Textabbildungen. Inhalt: Die Organe der Stiftung — Georg Anders: Probleme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz — Hans-Georg Wormit: Erstrebtes — Erreichtes — Erlebtes. Die ersten beiden Arbeitsjahre der Stiftung — Leopold Reidemeister: Museum und Öffentlichkeit — Adolf Greifenhagen: Erfahrungsbericht — Grundsätze zur Museumsarbeit — Peter Krieger: Jugend im Museum — Herbert von Einem: Karl Friedrich Schinkel — Georg Swarzenski: Der Weifenschatz — Irene Kühnel-Kunze: 13 El Greco, Mater Dolorosa — Kurt Schreinert: Die Fontane-Neuerwerbung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz — Kurt Erdmann: Die Teppichsammlung der Berliner Museen — Werner Kaiser: Ein neues Werk der Amarnazeit — Herbert Härtel: Das künftige „Haus der Asiatischen Kunst" — Roger Goepper: Gedanken zum Wiederaufbau der Ostasiatischen Kunstabteilung — Walter Gebhardt: Die Neuerwerbungen des Tübinger Depots der Staatsbibliothek 1959—1963 — Max F. Schneider: Felix Mendelsohn Bartholdy — Herkommen und Jugendzeit in Berlin — Arno Schönherger: Kunstgewerbe und Kunstgewerbemuseum — Stephan Waetzoldt: Die Ornamentenstich-Sammlung der Kunstbibliothek — Lothar Pretzell: Zum Wiederaufbau des Museums für Deutsdie Volkskunde — Hans Lohmeyer: Die Sammlung der Brüder Boisseree — Hans-Georg Wormit: James Simon als Mäzen der Berliner Museen — Kurt Krieger: Das Museum für Völkerkunde, Aspekte und Probleme — Gerd Koch: Forschungsreise nach dem Gilbert-Archipel — Hans-Georg Wormit: 200 Jahre Porzellanmanufaktur — Rolf Arndt: Rede zur Eröffnung der neuen Philharmonie Berlin. Georg Zivier: Ernst Deutsch und das deutsche Theater. Fünf Jahrzehnte deutsche Theatergeschichte. Der Lebensweg eines großen Schauspielers. Berlin: Haude & Spener 1964. 188 Seiten, 99 Fotos auf Tafeln. J. L. Buchbesprechung Jacob Jacobson, Die Judenbürgerbiicher der Stadt Berlin 1809—1851 Mit Ergänzungen für die Jahre 1791—1809. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1962. VII, 725 Seiten mit 29 Bildtafeln, gebunden 58 — D M . ( = Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim FriedrichMeinedce-Institut der Freien Universität Berlin Band 4, Quellenwerke Band 1). Im Jahre 1962 erschien in Jerusalem — Verlag Rubin Mass — die umfangreiche Edition des Protokollbuches der Jüdischen Gemeinde Berlins von 1723 bis 1854, die Josef Meisl herausgegeben hat (LXXXII Seiten und 544 Seiten). An diese Arbeit reiht sich würdig an die für die Geschichte Berlins und seines jüdischen Bevölkerungsteils noch bedeutendere im gleichen Jahr erschienene Edition von Jacob Jacobson „Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809—1851. Mit Ergänzungen für die Jahre 1791—1809". Bereits 1938 hatte Jacobson die „Jüdischen Trauungen in Berlin 1723—1759" herausgegeben (Jos. Jastrow, Jüdischer Buchverlag Berlin 1938. 126 Seiten). Damals bereits arbeitete er seit langem an der Sammlung des Materials für seine Publikation der Berliner Judenbürgerbücher, die für die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Berlins wie auch für die Gesamtgeschichte der Stadt eine einzigartige Standardquelle geworden ist. Sie läßt sichtbar werden, welchen nicht unbeträchtlichen Platz die jüdische Gemeinde Berlins, die durch das Edikt des Großen Kurfürsten vom 21. 5. 1671 zu neuem Leben erwacht war, an der Entwicklung des wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und wissenschaftlichen Lebens der „preußischen Hauptstadt" eingenommen hat. Anders als in anderen Städten Deutschlands war sie nicht auf ein Ghetto beschränkt, sodaß sie insbesondere seit 14 dem Erlaß des Emanzipationsgesetzes vom 11. 3. 1812 durch Friedrich Wilhelm III, wonach die Juden preußische Staatsbürger werden konnten, sich schneller assimilieren und am öffentlichen Leben der Stadt teilhaben und teilnehmen konnten. Seitdem war der jüdische Volksteil zu einem nicht unbedeutenden Faktor des öffentlichen Lebens geworden, bis zu seinem tragischen Ende in der nationalsozialistischen Epoche. Jacobson, der Leiter des Gesamtarchivs der deutschen Juden war, hat seinerzeit die heute nicht mehr erhaltenen 40 Bände Berliner Judenbürgerbücher im alten Berliner Stadtarchiv sowie die Personenstandsregister der Berliner Jüdischen Gemeinde durchgearbeitet. In der Einleitung gibt er einen wissenschaftlich gehaltenen, historischen Überblick über die Entwicklung der jüdischen Gemeinde in der Neuzeit, vornehmlich seit der Emanzipation und ihrer Assimilation mit dem deutschen Bürgertum. Als erster erhielt damals der Hofbankier Daniel Itzig bereits unter dem 2. 5. 1791 sein Naturalisationspatent. Welchen Ansehens sich gerade diese Familie erfreute, zeigt die Tatsache, daß für die spätere Königin Luise, als sie mit ihrer Schwester 1795 von Mecklenburg-Strelitz nach Berlin kam, das Itzig'sche Haus in der Schöneberger Hauptstraße zur Vorbereitung für ihren festlichen Einzug durch das Brandenburger Tor ausgewählt war. Die Publikation Jacobsons umfaßt im ersten Teil chronologische Verzeichnisse der jüdischen Bürger mit Bürgerrecht, zunächst auf Grund des der Familie des Daniel Itzig erteilten Naturalisationspatentes, sodann auf Grund der Städteordnung vom 19. 11. 1808. Diese zählen insgesamt 3128 Eintragungen — Seite 51—553 —. Es folgt ein Verzeichnis der jüdischen Bürger, deren Väter ebenfalls das Bürgerrecht von Berlin besaßen. Der zweite Teil bringt alphabetische Verzeichnisse der in den Judenburgerbüchern aufgeführten jüdischen Bürgern mit Angabe ihrer Geburtsorte sowie jüdischer Verwandter von jüdischen Bürgern — Seite 559—668 —. Ein geographisches Verzeichnis nach Geburtsorten schließt sich an. Daraus geht hervor, daß die Mehrzahl dieser jüdischen Bürger aus Berlin und der Mark Brandenburg stammten; es folgen anteilmäßig solche aus den Provinzen Posen, Westpreußen und Schlesien. Trotz des erhöhten Zuzugs aus den Ostprovinzen hat sich jedoch der prozentuale Anteil der Juden in der Berliner Bevölkerung nur wenig vermehrt. Das zu Westpreußen gehörige Städtchen Märkisch-Friedland weist die verhältnismäßig hohe Zahl von 133 Zuwanderern auf. Aus dieser Stadt kamen sowohl die Familie von Max Liebermann wie der Preußische Justizminister Heinrich von Friedberg und der bekannte Autographensammler Joseph Stargard, unter dessen Namen die Firma noch heute in Marburg/Lahn im Besitze der Familie Mecklenburg besteht. Aus Prenzlau kam Moses — später Moritz — Rathenau, der Vater von Emil Rathenau, dem Begründer der AEG, und Großvater Walter Rathenaus. — Als Ergänzung zum Text bringt Jacobson im Anhang Reproduktionen von Schriftstücken und Porträts, insbesondere von Bürgerbriefen und Naturalisationspatenten sowie der von Moses Mendelssohn verfaßten Ermahnungsformel beim Judeneide. Mit dieser mühevollen Arbeit, die der Verfasser in den zwanziger Jahren begann und mit äußerster Sorgfalt und Zuverlässigkeit auf Grund seiner eingehenden Kenntnisse der Quellen durchgeführt hat, bis seine Einweisung in das Kon- 15 ' zentrationslager Theresienstadt ihm eine Fortsetzung unmöglich machte, hat er sich ein bleibendes Verdienst erworben, nicht zuletzt dadurch, daß er nach den schweren Jahren bald nach 1945 in England das von seiner Familie dorthin gerettete Material zu dieser umfangreichen Publikation zusammengestellt hat. Ein unentbehrliches Quellenwerk ist dadurch geschaffen worden, das infolge des Verlustes der meisten Originalquellen durch den zweiten Weltkrieg einen besonderen Wert besitzt. J. L. Eine kulturhistorische Ausstellung Eine kulturhistorische Ausstellung von hohem Wert veranstaltet die „Berliner Bank" gemeinsam mit dem uns befreundeten „Verein Berliner Münzenfreunde E. V." in den Räumen der Depositenkasse Budapester Straße 50, an der Gedächtniskirche unter dem Titel „Der Berliner und sein Geld". In Schaukästen und auf großen Schautafeln vermittelt die sehenswerte Ausstellung ein eindrucksvolles Bild von der Entwicklung des Münzwesens, der Geldscheine und anderer Zeugnisse des Geldverkehrs von den frühesten Zeiten bis zur Gegenwart. Die Ausstellung ist bei freiem Eintritt geöffnet: von montags bis freitags von 9—20 Uhr; am Sonnabend und Sonntag von 10—20 Uhr. Vorankündigung für die Monate September - Dezember 1965 Für die Monate nach der Sommerpause sind folgende Vorträge und Veranstaltungen in Aussicht genommen: Monat September: Vortrag des Herrn Dr. Gerd Heinrich, Mitarbeiter bei der Historischen Kommission zu Berlin Monat Oktober: Vortrag des Herrn Professor Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm Monat November: Alfred Braun Vortrag des Schriftstellers und Rundfunkpioniers Herrn Anfang Dezember: Vortrag des wissenschaftlichen Direktors des Zoologischen Gartens, Herrn Dr. Heinz-Georg Klös Mitte Dezember: Vorweihnachtliche Feier im Ratskeller Schöneberg Einladungen mit Angabe des Zeitpunktes und der Vortragsthemen folgen besonders. Die Vorträge finden im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, die vorweihnachtliche Feier wie im Vorjahre im Ratskeller Schöneberg statt. Der Vorstand Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichre Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber tu richten. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. Graphische Gestaltung: Klaus Mader, Berlin. Katäbibliothek Fachabt. der Berliner SiadtbibliöAafe MITTEILUNGEN * DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 2 Oktober-Dezember 1965 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30,Ruf:847890 Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 Das Moehsen-Grabmal Von Prof. Dr. Dr. Bruno Harms*) Eins der schönsten Grabmäler auf den Friedhöfen am Blücherplatz ist das Grabmal des Arztes Dr. Johann Carl Wilhelm Moehsen; es zählt zu den besten Arbeiten der Altberliner Grabmalkunst. Es muß schon ein Mann von hohem Ansehen gewesen sein, dem seine Angehörigen und Freunde ein so prachtvolles und würdiges Grabmal errichten ließen. In der Tat nahm Moehsen unter seinen Zeitgenossen eine besonders geachtete Stellung ein.1) Er war ein vielbeschäftigter Arzt und bekleidete zahlreiche öffentliche Ämter; er war Arzt des Joachimsthalschen Gymnasiums, des Königl. Kadettenkorps, der adligen Ritterakademie; er war Mitglied des Obercollegium Medicum und des Obercollegium Sanitatis; er war Leibarzt des Königs, Kreisarzt des Kreises Teltow und Mitglied der Königl. Preußischen Akademie der Wissenschaften. Vor allem zeichnete er sich aus durch seine Arbeiten und Werke auf derafcGebiet der Medizingeschichte, der Heimatgeschichte und der Kunstwissenschaft, sowie durch seine große Bibliothek und seine umfangreichen Sammlungen. 2 ). Er wurde am 9. Mai 1722 in Berlin geboren und starb daselbst am 22. September 1795. Von dem Grabmal finden sich Beschreibungen und Abbildungen in verschiedenen Werken über Berliner Kunstdenkmäler, besonders der Friedhofskunst. 3 ) So *) Frau Dr. Edna Crantz danke ich herzlich für ihre wertvolle Unterstützung. *) B. Harms, Carl Johann Wilhelm Moehsen ein gelehrter Arzt des friederizianischen Berlin. Med. Monatsschr. 1956, 5 S. 318—320. 2 ) B. Harms, Johann Carl Wilhelm Moehsen als Sammler und Schriftsteller. Das Antiquariat 1961 Nr. 3/4. s ) Borrmann, R.: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin. Berlin 1893 S. 399. Hörn, Curt: Die vor uns gewesen sind. Ein Bild Altberliner Kulturgeschichte gesehen von den Friedhöfen am Hallischen Tor im Jahre ihres 200jährigen Bestehens. Berlin 1936 S. 61. gibt Hörn folgende Beschreibung von dem Grabmal: „In einer Wandnische steht der Sarkophag mit der Namensinschrift (D. Joh. Carl Wilhelm Moehsen Königl. Preuss. Würckl. Leibarzt). Auf dem Sargdeckel ruht in prachtvoll durchgebildeter Haltung die Hygiea, die der um den linken Unterarm gewundenen Schlange die Trinkschale darbietet. Die Knie sind leicht angezogen, der Oberkörper auf dem linken Oberarm aufgestützt. Hier ist reine klassizistische Formgebung. Das römische Gesichtsideal mit scharfgeschnittenem Profil der schönen Frau, die im Haar den römischen Schmuck trägt, verrät die völlige Umwandlung des Geschmacks zur strengen Form." Das Grabmal stellt somit eine prachtvolle Allegorie auf den Beruf des Verstorbenen dar. Foto: B. Harms Über den Schöpfer des Grabmals und den Zeitpunkt der Errichtung ist nichts bekannt; es findet sich auf demselben keine Angabe, weder ein Name, noch ein Datum. Aber Borrmann gibt in seinem Werke 4 ) einen Hinweis auf Christian Bernhard Rode (1725—1797), den bekannten Direktor der Berliner Akademie und Maler und Radierer Friedrichs des Großen. Borrmann gibt an, daß von Rode eine Radierung des Grabmals vorhanden ist und daß von ihm vielleicht auch der Schoenichen, Walther: Geweihte Stätten der Weltstadt. Grabdenkmäler Berlins und was sie uns künden. Berlin-Leipzig (1928) S. 148. Voss, Georg: Grabdenkmäler in Berlin und Potsdam. Berlin 1905. Taf. 3. 4 ) loc. cit. S. 399 Anmerkung. 18 Entwurf des Monuments herrührt. Tatsächlich erwähnt die „Kartei der Stecher" in den ehemals Staatlichen Museen in Berlin-Dahlem einen Stich von Rode aus dem Jahr 1796, ein Jahr nach dem Tode von Moehsen, der ein Portrait von Moehsen und Sarg mit Allegorie der Medizin darstellt. 5 ) Von Rode gibt es auch sonst noch einen bekannten Portraitstich von Moehsen aus dem Jahre 1771. Borrmann vermutet nun, daß auch der Entwurf des Grabmonuments von Rode herrührt. Diese Annahme stützt sich auf die künstlerische Arbeitsweise, die aus der Zeit allgemein und aus dem Leben Rodes bekannt ist. Man muß ferner beachten, daß die damaligen Bildhauer sehr oft Handwerker waren, die nach Entwürfen von Malern und Graphikern arbeiteten. Dies trifft auch für Rode zu, von dem bekannt ist, daß er beispielsweise für den figürlichen Schmuck der Deutschen Kirche am Gendarmenmarkt Vorzeichnungen herstellte, nach denen die Skulpturen von Bildhauern ausgeführt wurden. Auch von eigenen Arbeiten, so von den gemalten Epithaphien für die Helden des siebenjährigen Krieges, hat Rode zum Zweck der Vervielfältigung nochmals Radierungen hergestellt. In allen diesen Ausführungen gelangt immer wieder die weibliche Allegorie zur Darstellung in der gefälligen klassizistisch geprägten Form, wie sie für das Grabmal Moehsens beispielhaft ist. Es spricht also vieles dafür, daß der Entwurf des herrlichen Grabmals von Rode stammt, daß das Grabmal selbst unter seiner Anleitung von einem sehr geschickten, handwerklichen Bildhauer gefertigt wurde, wofür auch spricht, daß in unserem Fall, wie auch sonst wo, die Namen der Bildhauer nirgends genannt sind. Auch über den Zeitpunkt der Aufstellung des Grabmals können nur Vermutungen angestellt werden. Moehsen starb am 22. September 1795, verwitwet, ohne leibliche Erben zu hinterlassen und wurde am 27. September „auf dem Hallischen Kirchhof" beerdigt. Als Universalerben hatte er seinen Neffen, Christoph Wilhelm Horch, eingesetzt, der wohl in Verbindung mit dem Nicolaischen Freundeskreis, dem Moehsen angehörte, die Anfertigung und Aufstellung des Grabmals veranlaßte. Welch großer Hochachtung und Wertschätzung sich auch Moehsen noch in späteren Jahren erfreute, geht daraus hervor, daß bei einer Instandsetzung des Grabmals, das jetzt vom Bezirksamt Kreuzberg pfleglich betreut wird, im Jahre 1864 auf der Vorderseite oberhalb der Wandnische eine von einem Eichenkranz umrahmte Tafel aus Eisenguß angebracht wurde mit den ehrenden Worten „Moehsen, des großen Königs würdiger Zeitgenosse". 5 ) das Blatt ist z. Zt. nicht einzusehen, da es wahrscheinlich in Ost-Berlin verblieb. 19 Johann Gottfried Schadow Erster Teil Von Dr. Irmgard Wirth Resume eines Vortrags im Verein für die Geschichte Berlins am 23. 2. 1965 Die Nationalgalerie in Ost-Berlin ehrte in einer mehrmonatigen umfassenden und würdigen Ausstellung (mit 223 Nummern und einem ausführlichen Katalog) den Berliner Bildhauer Gottfried Schadow, dessen Geburtstag sich am 20. Mai 1964 zum zweihundertsten Male gejährt hatte. West-Berlin, das Werke Schadows nur in sehr geringem Umfang besitzt, vermochte an den Menschen und Künstler lediglich in Wort und Schrift zu erinnern. Unter dem Eindruck, den die von überall her zusammengebrachten Werke Schadows in der Nationalgalerie von seinen schöpferischen Leistungen in der Bildnerei und Zeichenkunst haben vermitteln können, wurde der Versuch unternommen, die Persönlichkeit und das Schaffen des großen Berliners in knappen Umrissen vor Augen zu führen. Schauplatz seines langen, reichen, in Enttäuschung endenden Lebens war fast ausschließlich Berlin. Die zeitliche Spannweite seiner Existenz veranschaulicht der geschichtliche Hintergrund. Nach Beendigung der Schiefischen Kriege und dem Friedensschluß zu Hubertusburg von 1763, also ein Jahr vor Schadows Geburt, hatte Friedrich IL den Beinamen „der Große" erhalten; als er 1786 die Augen schloß, weilte der junge Bildhauer Schadow in Rom, wo er im Juni jenes Jahres seine erste Auszeichnung für eine eigene Arbeit „Perseus befreit Andromeda" im Concorso di Balestra erhielt. Während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IL, also in jungen Jahren, schuf er seine bedeutendsten bildnerischen Werke, zu denen das Grabmal des Grafen von der Mark, die Plastik am neu errichteten Brandenburger Tor mit der bekrönenden Quadriga, das Denkmal Zietens auf dem Wilhelmplatz, die Prinzessinnengruppe und wichtige Bildnisbüsten zählen. Sein Wirken nach außen hingegen entfaltete sich erst völlig unter Friedrich Wilhelm III. in dessen Regierungszeit Schadow in allen offiziellen Kunstfragen als Direktor der Berliner Akademie an der Spitze der Berliner Künstler stand. Von dem Zeitpunkt der Annahme jenes Amtes im Jahre 1815 an aber war sein Ruhm als Bildhauer bereits durch einen Jüngeren in den Schatten gestellt, der ein Jahr lang sein Schüler an der Akademie gewesen war. Der aufgehende Stern am Berliner Kunsthimmel war Christian Daniel Rauch; er entsprach in seiner idealistischen Kunstauffassung dem Architekten Schinkel und damit dem König im Grunde besser als der realistischere Schadow, der als Weggenosse von Erdmannsdorff und Langhans vom spätbarocken Klassizismus ausgehend, näher zur schlichten Wiedergabe der Natur gefunden hatte. Porträtbüsten, Denk- und Grabmäler waren nun seine Hauptaufgaben. 1826 schuf er als letzte Marmorarbeit „Das Ruhende Mädchen". Als Friedrich Wilhelm IV. 1840 die Zügel des Staates ergriff, war der schon länger in seiner Sehkraft geschwächte Schadow fast nur noch als Akademiedirektor tätig. 1844 beendete er seine bildhauerischen Arbeiten mit der Gruppe „Die Weinsbergerin" für die Porzellanmanufaktur, die diese in Biskuitporzellan herstellte. Schadow schrieb etwas später darüber an seine Tochter Lida: „Eine Gruppe in Thon, probably meine 20 letzte Arbeit der Art hab ich der Königlichen porcellan Manufaktur übergeben, weil ich da, retour d'Italie, zuerst angestellt war. Diese Entreprise ist mir recht sauer geworden . . ." x) Das graphische Schaffen hatte bei Schadow allmählich die Oberhand gewonnen, wichtige theoretische Werke nahmen ihn seit 1830 in Anspruch, es blieben zum Schluß, wie er selbst äußerte, „die Aufsicht und die Schreiberei, welche mein Amt al? Director [der Akademie] veranlasst". Die zahlreichen ihm zugedachten Ehrungen vermochten nicht darüber hinwegzutäuschen, daß man, dem veränderten Zeitgeschmack entsprechend, seine Kunst für eine "Weile beiseitegeschoben hatte und daß „der alte Schadow" mit seiner Schirmmütze bei vielen Berlinern nur noch als „Original" betrachtet wurde. In seine letzten Lebensjahre fiel — ihn wohl kaum noch berührend — die Revolution von 1848. Eine neue Zeit schien sich in noch unbestimmter Ferne abzuzeichnen. 1850, im Todesjahre Schadows, schuf der noch junge Menzel, den der Meister sechzehn Jahre zuvor gewissermaßen entdeckt und mit dem er dann einst die Klinge gekreuzt hatte, als eins der großen gemalten Friedrichsbilder die „Tafelrunde in Sanssouci". Die Welt des Rokoko und den 21 König, den Schadow noch lebend gekannt hatte, gestaltete der Maler allein aus der Kraft der Phantasie, allerdings auf der soliden Grundlage exakten Studiums aller für das Verständnis jener Epoche und die Darstellung wichtigen Details. Fortsetzung folgt Das Panorama der Straße Unter den Linden vom Jahre 1820 Zweiter Teil Von Hans-Werner Klünner Nun folgt noch bis zur Friedrichstraße das Haus von Gerold, an welchem die Lindenrolle das Schild des Restaurants von Camilli zeigt, und das Eckhaus des Kriegsrates Priem, in dem Gerold sein Delikateßwarengeschäft hatte. 1825 eröffnete Johann Georg Kranzler hier seine Konditorei, die zu einem Begriff für Berlin geworden ist. Das 1834 durch Stüler umgebaute Haus wurde zusammen mit Nr. 24 bei einem Luftangriff im Mai 1944 zerstört. Auch die Südost-Ecke der Friedrichstraße Sehenswürdigkeiten vor dem ersten Weltkrieg. aus dem alten Haus, welches die Lindenrolle zeigt, umgebaut. Dem Schneidermeister Freitag bescheidene Bau mußte 1885 dem pompösen Hopfenblüte und Bar Riche, weichen. mit dem Cafe Bauer war eine der Ende und Böckmann hatten es 1878 im Besitz der Witwe Sommerbrodt gehörte 1820 das Haus Nr. 27. Der Bierpalast der Kaiserhallen, später Neben den schmalbrüstigen Häusern des Zinngießers Sierks und des Rentiers Meyer zeigt die Lindenrolle die altbekannte Habeische Weinhandlung. Dieses Aussehen bekam das Haus im Jahre 1801 und behielt es bis zur Zerstörung. Ein Immediatbau war Nr. 31, mit dem renommierten Hotel de Petersbourg. Es fiel 1908 dem Geschäftshausneubau des Juweliers Marcus zum Opfer, ebenso wie das CarltonHotel den einst durch Unger errichteten Immediatbau Nr. 32 an der Ecke der Charlottenstraße verdrängte. 1820 hatten die Kaufleute Sala & Tarone hier ihr Delikateßwarengeschäft und Restaurant, später war hier Meinhardts Hotel. Das 1902 von Gause erbaute Carlton-Hotel ist allein von der Vorkriegsbebauung zwischen Friedrich- und Charlottenstraße übrig geblieben. Zur Zeit ist hieran anschließend bis zur Friedrichstraße ein großer Gaststättenkomplex im Bau. Nr. 33, das andere Eckhaus der Charlottenstraße, ist 1820 im Besitz der Kneiselschen Erben, deren Großvater es zusammen mit Nr. 34 um 1750 erbaut hatte. In Kneisels Haus war schon 1820 das Cafe Royal, welches auch E. T. A. Hoffmanns Stammlokal war. Es ist für unsere Vereinsgeschichte von Bedeutung, denn hier wurde am 28. Januar 1865 der Verein für die Geschichte Berlins gegründet. Von 1820 bis 1885 hatte hier auch Berlins ältestes Optikergeschäft von Eduard Petitpierre seine Räume. Nachdem das Haus 1871 durch einen Neubau von Ende und Böckmann ersetzt wurde, war in der sogenannten Beletage das Restaurant de l'Europe, welches unter seinem Besitzer Poppenberg einen guten Ruf genoß. Nr. 34 gehörte 1820 der Geheimrätin Cäsar, kam aber 1823 in den Besitz des 22 Buch- und Musikalienhändlers Adolf Martin Schlesinger, der sein Geschäft schon einige Jahre vorher im Hause hatte. In Schlesingers Musikalienhandlung, die Weltruf hatte, erschien u.a. Webers Freischütz. 1871 erwarb die Central-Boden-CreditBank das Gebäude und ließ durch W. Neumann einen Bankpalast errichten. 50 Jahre später, 1922, mußten Nr. 33 und 34 dem Erweiterungsbau der Disconto-Gesellschaft von Bielenberg und Moser weichen. Nachdem die Disconto-Gesellschaft 1929 mit der Deutschen Bank fusioniert wurde, wurde der Gebäudeteil Unter den Linden nach 1933 vom Reichsarbeitsministerium und der Teil in der Behrenstraße vom Reichswirtschaftsministerium benutzt. Die im Kriege nur wenig beschädigten Gebäude Unter den Linden sind jetzt ,Haus der Gewerkschaften'. Zwischen den Häusern Nr. 34 und 35 erkennt man auf der Lindenrolle einen Zwischenraum, der als Lindengasse bis 1925 bestand. Nr. 35 war mit Nr. 36 einst ein Grundstück. 1755 wurde es geteilt und mit zwei gleich großen Häusern nach dem Entwurf von Andreas Krüger bebaut. Das letztere gehörte 1820 dem König Wilhelm der Niederlande, einem Schwager Friedrich Wilhelms III. Durch Erbgang kam es 1870 wieder an das preußische Königshaus und gehörte seit 1882 als Nebenbau zum Palais des Kaisers. Anstelle des zerstörten Niederländischen Palais wurde 1963 ein Neubau errichtet, an welchem der Fassadenschmuck vom ehemaligen Gouverneurshaus aus der Königstraße angebracht wurde. Nr. 35 besaß seit 1814 der Bankier Samuel Berend. Er war mit seinem schon als Besitzer von Nr. 19 erwähnten Bruder Louis in den Jahren 1806—15 einer der bedeutendsten Heereslieferanten. Die Brüder hatten unter anderem in der Neuen Friedrichstraße eine vom Chemiker Hermbstädt eingerichtete Zuckersiederei. Zusammen mit Heinrich Kunheim gründeten sie am Molkenmarkt 1826 eine chemische Fabrik. Sie war seit 1829 im Alleinbesitz Kunheims und wurde 1835 zum Kreuzberg verlegt. Ein Enkel S. Berends, der Rittergutsbesitzer Hermann Ludwig Berend, war von 1871—95 Mitglied unseres Vereins. In Nr. 35 war auch die Jacobische Kunsthandlung, welche die Lindenrolle verkaufte. Von 1843 bis zum Abbruch war das Haus ,Hotel du Nord'. Ende und Böckmann bauten hier das Direktionsgebäude der Disconto-Gesellschaft, das heute noch steht. Als ,Generalkommando' bezeichnet die Lindenrolle das Haus Nr. 37. Es hatte noch die Gestalt, die es beim Umbau durch Hildebrand 1750 bekam. Der General von Tauentzien bewohnte es als Kommandierender General des III. Armeekorps. Sein Nachfolger, Prinz Wilhelm von Preußen, bezog das Haus 1829. Von 1834—37 ließ er sich durch Karl Ferdinand Langhans das neue Palais erbauen, in dem er auch als König und Kaiser bis zu seinem Tode wohnen blieb. Es wurde nach ihm ,Kaiser-Wilhelm-Palais' genannt und trägt jetzt die offizielle Bezeichnung ,Altes Palais'. Nach dem 1963 beendeten Wiederaufbau wurde es der Pädagogischen Fakultät der Humboldt-Universität übergeben. Am Kaiser-Wilhelm-Palais erweitern sich die Linden zum „Forum Fridericianum" — offiziell „Platz am Opernhaus" — und dem anschließenden „Platz am Zeughaus". Obwohl im Gegensatz zu den Linden die meisten Gebäude an diesen Plätzen erhalten bzw. wiederaufgebaut sind, wird der Betrachter der Lindenrolle manche Veränderung zwischen 1820 und dem Vorkriegszustand feststellen können. 23 So sehen wir den Opernplatz noch in seiner alten, schlichten Gestaltung, bei der die Wohnhäuser auf der Südseite der Behrenstraße sich den Bauten von Opernhaus, Hedwigskirche und Bibliothek bescheiden unterordnen. Dieses wohlabgewogene Verhältnis störte später die Dresdener Bank und besonders ihre maßstablose Aufstockung im Jahre 1922. Beim Wiederaufbau ist 1955 durch Abbruch der zwei oberen Stockwerke und Zurücknahme eines weiteren, das Platzbild etwas verbessert worden. Das Äußere des Opernhauses ist noch so, wie es Knobelsdorff gebaut hatte. Die ersten Veränderungen geschahen nach dem Brand von 1843 bei der Wiederherstellung durch Langhans. Wesentlich selbständiger wirkt auch die Bibliothek, die fast frei steht und das benachbarte Tauentziensche Haus um zwei Stockwerke überragt, während sie uns heute wie ein Seitenflügel des fast gleich hohen Kaiser-Wilhelm-Palais erscheint. Wie sehr die Plätze damals mitten im Alltagsleben standen, zeigt die Tatsache, daß sogar ein Zirkus auf dem Opernplatz spielen durfte. Es war der damals berühmte „Circus Gymnasticus" von Christoph de Bach aus Wien, der von Juli bis Oktober 1816 hier einen leichten Holzbau errichtet hatte. Dem Opernhaus benachbart ist das Prinzessinnenpalais, neben welchem der Festungs- oder Grüne Graben fließt. Er wurde 1816 wegen des Neubaues der Königswache in der Breite des Platzes überwölbt, so daß er auf der Lindenrolle nicht mehr zu sehen ist. Die üblen Gerüche, die er mitunter ausströmte, veranlaßten den Kronprinzen, an seine hier wohnende Schwester zu schreiben „wohnhaft am stinkrigen Graben". 1820 wohnten die zwei noch unverheirateten Töchter 24 des Königs, die Prinzessinnen Alexandrine und Luise im Palais. Es bestand ursprünglich aus mehreren Privathäusern, die 1733 von Dieterichs umgebaut wurden. 1811 schuf Gentz den Kopf bau nach den Linden zu, der durch einen Schwibbogen über die Oberwallstraße mit dem Palais des Königs verbunden war. Auch dieses war zuerst ein Privathaus, dann von 1706—1732 Dienst- und Wohngebäude des Gouverneurs. 1733 wurde es nach Umbau und Erweiterung durch Gerlach vom Kronprinzen Friedrich bezogen. Dieser schenkte es 1742 seinem Bruder August Wilhelm und seit 1794 bewohnte es dessen Enkel Friedrich Wilhelm III. als Kronprinz, bzw. seit 1797 als König, bis zu seinem Tode. Sein letztbekanntes Aussehen erhielt das Palais 1857 beim Umbau durch Strack. Für den Gouverneur wurde 1732 das Haus des Ministers v. Katsch in der Königstraße 19 (jetzt Rathausstraße) erworben. Es diente als Gouverneurshaus bis 1808 und ist — verändert — noch erhalten, soll aber zur Verbreiterung der Rathausstraße abgerissen werden. Der plastische Schmuck der Fassade ist deshalb an den oben erwähnten Neubau anstelle des Niederländischen Palais übertragen worden. Die Berichte hierüber bezeichnen das Haus immer als Kommandantenhaus in fälschlicher Gleichsetzung von Kommandant und Gouverneur. Beide waren jedoch zwei verschiedene Funktionen, die immer nebeneinander bestanden. Gouverneur war 1820 Blüchers „Kopf", General Neithardt v. Gneisenau; er wohnte dem Prinzessinnenpalais benachbart in der Oberwallstraße 4. Dienst- und Wohngebäude des Kommandanten — 1820 Generalleutnant v. Brauchitsch — war seit 1799 die Kommandantur gegenüber dem Zeughaus. Seine auf der Lindenrolle gezeigte Form hatte das Haus 1792 bei einem Umbau durch Titel bekommen. Gern hätten wir gewußt, wie es ursprünglich aussah, denn es war das älteste Gebäude der Straße, das sich Johann Gregor Memhardt 1653 als Wohnhaus erbaut hatte. Die Straßen links und rechts von der Kommandantur sind die Niederlage- und Niederlage-Wall-Straße. Sie führten zur Warenniederlage auf dem Alten Packhof an der Spree gegenüber der Schloßfreiheit. Kommandantur und Kronprinzenpalais sind zerstört. An ihrer Stelle ist ein Neubau für das östliche Außenministerium im Entstehen. Seit 1817 hatte Schinkel Pläne für die städtebauliche Verbesserung des königl. Palais gemacht. Bei deren Verwirklichung wurde von 1821—24 die auf der Lindenrolle gezeigte hölzerne Hundebrücke durch eine neue ersetzt, die den Namen „Schloßbrücke" bekam. Auch die neben der Brücke sichtbaren unschönen Speicher wurden entfernt. Der Schlußpunkt dieser Planungen war die Fertigstellung der Bauakademie auf dem ehemaligen Packhof im Jahre 1836. Das Ostufer des Spreegrabens wird von den Häusern der Schloßfreiheit gesäumt, die — obwohl zum Teil viergeschossig — mit ihren bescheidenen Fassaden die monumentale Wucht des Stadtschlosses noch steigern. Der Zeichner der Lindenrolle hat die Schloßfassade stark schematisiert wiedergegeben, so daß z. B. der Unterschied zwischen dem von Schlüter erbauten Portal V und dem von Eosander stammenden Portal IV rechts davon nicht erkennbar, und die von Schlüter gewollte Wirkung der Lustgartenseite als heitere, leichte Gartenfront ganz verlorengegangen ist. Der Risalit mit dem Portal IV ist als Rudiment des 1950 abgebrochenen Schlosses in das neue Staatsratsgebäude eingebaut worden. 25 Den Schluß des Streifens bildet ein Teil der von Lynar 1585 erbauten Hofapotheke. Sie stand ursprünglich frei und wurde erst einige Jahre später mit dem Schloß verbunden. Hier sollte der Hofapotheker Michael Aschenbrenner nicht nur Arzneien herstellen, sonderen auch als Alchimist den Wahn seines Kurfürsten Johann Georg, künstlich Gold machen zu können, Wirklichkeit werden lassen. Das auf allen Exemplaren der Lindenrolle fehlende mehr oder weniger große Stück der Hofapotheke ging für die Befestigung der Holzstäbe als Griffe zum Herausziehen der Streifen aus der Kapsel verloren. Fortsetzung folgt Stolpe und seine Stüler Kirche Von Dr. Carl Nagel Während des diesjährigen Sommerausfluges am 24. Juli fuhren die ca. 140 Teilnehmer in drei BVG-Sonderbussen und zahlreichen Privatwagen zunächst nach der Kirche in Wannsee-Stolpe. Vor der Kirche begrüßte der Vorsitzende Prof. Harms die Teilnehmer und wies auf den zweifachen Zweck der Ausflüge hin, die einmal dem Besuche historischer Stätten und der Belehrung, zum anderen der Unterhaltung und der Pflege der Geselligkeit dienen sollen. Danach sprach in der Kirche Superintendent i. R. Dr. Nagel über die Geschichte und den Bau der Kirche, sowie über das Kleistgrab am Kleinen Wannsee, das nach einem Abstecher zur Glienicker Brücke besucht wurde. Die Fahrt wurde mit einem geselligen Beisammensein auf der Havelinsel Lindwerder beschlossen, von wo die Teilnehmer mit den Autobussen in die Stadt zurückfuhren. In seinen „Fünf Schlössern" behandelt Theodor Fontane als letztes Dreilinden, das 1957 abgerissene Jagdhaus des Prinzen Friedrich Carl. Dabei beschreibt er auch ausführlich dessen Umgebung mit den Gräbern von Bensch und Kleist sowie Nikolskoe und das alte Dorf Stolpe1) am Stölpchensee mit seiner Stüler-Kirche. Mit liebenswürdigem Vorbehalt übernimmt er dabei aus dem Landbuche von Berghaus2) die Behauptung, daß dieses Stolpe das älteste Dorf des Teltow sei. Mit seiner Erwähnung im Jahre 1197 sei es der in der Geschichte zuerst genannte Ort des Landes Teltow, wofür die alte Brandenburger Stiftshistorie von Lentz 3 ) als Quelle angegeben wird. Gerne werden wir Berghaus zustimmen, wenn er von Stolpe sagt: „seine Lage am Fuße des Schäferberges im tiefen Tal und in der Nähe klarer Seespiegel ist eine der romantischsten in der Gegend von Potsdam." Den mythologischen Schlüssen aber, die er aus dem Ortsnamen Stolpe zieht, werden wir kaum folgen können. Er knüpft an das Wort Stolpe, das allgemein als „Säule" erklärt zu werden pflegt, die Behauptung, diese Säule sei dem alten Wendengott Woloss geweiht gewesen, der ein Gott der Hirten war und der „Schäferberg" bei Stolpe halte die Erinnerung wach an den altslavischen Pan. Heute nimmt man an, daß dieses Wort Stolpe4) mancherlei Bedeutung haben kann, daß es aber bei Orten, die an Gewässern liegen, eine „Vorrichtung im Fluß zum Fischfang" bezeichne. Die älteste uns bekannte Urkunde 6 ), die von unserm kleinen Dorfe Stolpe redet, ist vom 11. April 1299. In ihr überläßt der Markgraf Hermann dem Bischof Volrad von Brandenburg das Städtchen Teltow und sieben in dessen Nähe gelegene Dörfer für 300 Mark Silber wiederkäuflich für eine Bürgschaft, die der Bischof unter Pfandeinsatz seines Schlosses Ziesar für den Markgrafen gegenüber den Brüdern 26 Heinrich und Friedrich von Alvensleben geleistet hatte. Fünf dieser Dörfer haben deutsche Namen: Giesensdorf, Heinersdorf, Ruhlsdorf, Stahnsdorf und Schönow. Stahnsdorf wird doppelt als deutsches und als slavisches Dorf angeführt. Hier war also schon neben das alte Wendendorf eine neue deutsche Kolonisten-Siedlung gesetzt. Als letztes wird Stolpe genannt und als „villa slavica" bezeichnet. Wie alt dieses Wendendorf damals schon war, kann natürlich nicht mehr festgestellt werden. 1299 also wurde Stolpe bischöflicher Besitz und ist es bis zur Reformation geblieben. Im Landbuch6) von 1375 steht es im Ortsverzeichnis der Mittelmark unter der Bezeichnung „Stolpiken" und als „Stolp" im Verzeichnis der Güter des Brandenburger Bischofs als dessen Tafelgut. (mensae episcopali appropriata) mit 16 Hufen. Das Schloßregister7) 1450 redet von der Fischerei im Dorfe und einer von den Stolpern betriebenen Zeidelweide. Fischfang und Waldbienenzucht sind von den Wenden gerne geübte Gewerbe. Gerade in den Wäldern rings um Berlin wurde die Zeidlerei sehr eingehend betrieben. In der alten Krünitzschen Oekonomischen Encyklopädie 8 ), wo die Technik der Waldbienenzucht ausführlich beschrieben ist, handelt ein langer Abschnitt „von der wilden Bienenzucht und Zeidlergesellschaft in der Churmark", wobei auch über die seltsamen Gebräuche des Zeidlergerichtes von Kienbaum berichtet wird. Als in der Reformation die bischöflichen Güter vom Staate eingezogen wurden, kam Stolpe zuerst zum kurfürstlichen Amte Ziesar und dann zum Amte Potsdam. Im Visitationsbescheid vom 10. Mai 1541 wird unser kleines Stolpe als Filia von Potsdam angeführt. Das Dorf hat nur eine Kapelle, in der nicht getauft wird. Alle vier Wochen ist darin Gottesdienst. Pfarrer und Küster bekommen dabei die Mahlzeit, letzterer außerdem noch 3 Pfennige in bar. Scheffelkorn und Vierzeitengeld sind abzuliefern und zwar in Potsdam, wofür der Pfarrer den Bauern eine Mahlzeit und eine halbe Tonne Bier zu geben verpflichtet ist. Das Kirchengerät ist aus Kupfer. Auch das spricht für die Armut der Gemeinde und ihrer gewiß sehr bescheidenen Kapelle. Der dreißigjährige Krieg hat Stolpe wie alle Dörfer um Berlin stark verwüstet. Zwei Bauern und vier Kossäten blieben übrig. In dem schönen Atlas von Sucholetz aus dem Jahre 1683 hat Stolpe ein besonderes Blatt. Zu dem Dorfe gehört die Feldmark eines wüst gewordenen Dorfes Damsdorf östlich der Dorflage. Eingezeichnet ist der Teerofen und dicht bei ihm die Kohlhasenbrücke und der Schlagbaum. Beim Dorf sind Weinberge, die „Steinstücken" erscheinen als Flurname. Das 18. Jahrhundert bringt im Zuge der „Peuplierung" in Stolpe die Ansetzung von Kossäten, die 1764 die Erblichmachung ihrer Höfe beantragen. Büsching9) kommt 1775 auf seiner Reise nach Rekahn durch Stolpe und macht genaue Angaben über Steuern und Abgaben. Von der Dorfkirche sagt er, sie sei klein und von Fachwerk erbaut, und von den Teltower Rübchen, „welche hier in großer Menge gebaut werden", weiß er zu berichten, daß sie „den Teltowschen an Geschmack und Güte nichts nachgeben, aber nicht so dauerhaft seien und deshalb nicht verschickt werden könnten." 27 In der Geschichte der kleinen Stolper Kirche wurde das Jahr 1779 wichtig. Erstlich dadurch, daß in diesem Jahre sich die Gemeinde an den Ober- KonsistorialPräsidenten wandte mit der Klage, sie hätte zu wenig Gottesdienste. Der Potsdamer Superintendent Junge wurde daraufhin vom Konsistorium beauftragt, für die Vermehrung und Ordnung der Gottesdienste zu sorgen, damit „die Stolpesche Gemeinde je eher je lieber klaglos gestellt werde". Das andere Ereignis des Jahres war der Ankauf des Grabgewölbes unter der Kirche, das der Witwe des Finanzrates Heidenreich gehörte, durch den Hofgärtner Ludwig Heydert. Dieser stellte den Antrag, in der Kirche ein großes Epitaph errichten zu dürfen. Der Superintendent Junge wurde zu einem Bericht aufgefordert, ob der Kirche dadurch Schaden geschehe. Dieser Bericht macht sehr anschauliche Angaben über die kleine Stolper Dorfkirche. Es heißt da, sie sei eine alte schwache Kirche, die aus dünn gemauertem Fachwerk besteht. Der Altar sei ein unförmlicher Klumpen, der viel Raum einnehme, und auf der Kanzel könne man nicht mehr stehen. Die Kirche sei viel zu klein und viel zu dunkel. Heydert verpflichtete sich, die Kirche etwas zu verlängern, die Fenster zu vergrößern und einen neuen Kanzelaltar zu stiften. Dazu vermachte er noch ein Legat in bar. Die so erneuerte Fachwerkkirche stand bis 1854. Sie war nun so baufällig geworden, daß ihr Einsturz zu befürchten stand. Das Kgl. Rent- und Polizei-Amt in Potsdam erließ am 17. März 1854 die Verfügung, die Kirche zu schließen. Die Gemeinde versuchte eine Aufhebung dieser Verfügung, da sie sich von ihrer alten Kirche nicht trennen wollte. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Kirche wurde abgerissen. Mit dem Entwurf eines Neubaus wurde der Bauinspektor Gärtner beauftragt. Sein Plan wurde dem Könige Friedrich Wilhelm IV. vorgelegt und fand nicht dessen Billigung. „Allerhöchstdieselben haben jedoch die Ausführung des Baus nach einem von dem Geheimen Ober-Baurat Stüler neu aufgestellten Plane zu befehlen geruht", der an die Regierung zu weiterer Veranlassung ging. Bereits am 18. Juni 1859 wurde der Grundstein gelegt, und schon am 1. Advent 1859 konnte die Kirche eingeweiht werden. Mehrmals hatte sich der König persönlich vom Fortgange der Bauarbeiten überzeugt. Die Rosette über dem Westeingang hat er selbst in den Stülerschen Plan eingezeichnet. Friedrich August Stüler, seit 1842 „Architekt des Königs", dessen Todestag sich in diesem Jahre zum 100. Male jährt, (f 18. März 1865), hat die Kirche mit feinem Empfinden in das Bild der Landschaft eingefügt. Er errichtete den Bau auf dem Grundriß eines lateinischen Kreuzes in romanischen Stilformen aus gelbem Backstein, wobei er die Flächen durch rote waagerechte Ziegelschichten vorsichtig aufgliederte. Über der Vierung errichtete er einen breiten quadratischen Turm dessen Schwere durch gotische Fialtürmchen an den vier Ecken des flachen Pyramidendaches aufgelockert wird. Wir haben in Berlin und in der Mark viele Kirchen von Stüler, diese in Stolpe ist eine seiner schönsten. Auch innen ist die Raumwirkung großartig, nachdem die Kirche 1956 verständnisvoll erneuert wurde. Die hochgestellte Kanzel hat als plastischen Schmuck Apostelgestalten, der Altar ist schlicht, das Heydertsche Epitaph ein barockes Kunstdenkmal von besonderem Rang. Das hohe Mittelfeld des dreiteiligen Sandstein-Aufbaus krönt eine Urne, die beiden niedrigeren Seitenfelder verspielte Putten, während Chronos und Klage auf den Pfeilern des mit Liederversen bedeckten Sockels sitzen. Der Hofgärtner Joachim Ludwig Heydert 28 setzte dieses Denkmal seinem Vater (f 1728) und seiner ersten Ehefrau Maria Margarete geb. Krook (f 1777 in Potsdam) von der es hier heißt: „sie endete ihr ruhmvolles Leben in christlicher Aussicht zur Ewigkeit", und sich selbst. Er verstarb 1794. Im Jahre 1934 wurden in der Nordapsis Bilder der Reformatoren Luther und Melanchthon aufgehängt. Es waren Kartons für Fresken, mit denen 1856 Gottfried Pfannschmidt die von seinem Landsmann Stüler — beide stammen aus Mühlhausen i. Th. — erbaute Schweriner Hofkapelle ausgemalt hatte. Die beiden Bilder10) sind leider bei der Auslagerung im Kriege verloren gegangen. 1930 erhielt die Kirche ein Glockenspiel, das 1958 erneuert wurde. Im Jahre 1898 wurde Stolpe mit Wannsee zusammengeschlossen und gab damit seinen Namen auf. 1920 wurde es in Groß-Berlin einbezogen. Fontane hat auch das Grab von Kleist beschrieben. Er sagt von der Grabstelle, daß sie seitab und einsam im Schatten lag und „denselben düsteren Charakter zeigte wie das Leben, das hier zuende ging" und damals zwei Gedenksteine trug. Das Kirchenbuch von Stahnsdorf bringt die Beurkundung vom Tode Kleists und der Frau Vogel, die übrigens nie auf seinem Grabstein erwähnt worden ist, in folgendem Wortlaut: „Am 21. November 1811 erschoß in der Machnowschen Heide nahe an der Berliner Chaussee Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist die Ehefrau des General-Rendanten der Chur-Märkischen Land-Feuer-Societät und LandschaftsBuchhalters Friedrich Ludwig Vogel, Adolfine Henriette geb. Keber alt 31 Jahr, und dann sich selbst in seinem 34. Jahre. Beide sind auf der Stelle, wo der Mord und Selbstmord geschah, in zwei Särge gelegt und in ein Grab gelegt worden. O tempora, o mores." Für die zeitgenössische Beurteilung des Kleistschen Todes ist aufschlußreich, was Wilhelm von Gerlach in einem Briefe vom 28. Januar 1812 an Friedrich Meier schrieb11). Die jetzt sehr würdig hergerichtete und gepflegte Umgebung läßt den Stein frei stehen. Seine Inschrift gibt die Lebensdaten an und trägt das Wort aus dem letzten Akt des „Prinzen von Homburg": NUN UNSTERBLICHKEIT BIST DU GANZ MEIN ') Schrifttum zur Geschichte des Dorfes und seiner Kirche: Fidicin, E., Territorien. Bd. 1, Berlin 1857 S. 135 — Kritzinger, Wilhelm, Geschichte der Parochie Klein-Glienicke 1887 (Stolpe war von 1837—1901 Tochterkirche von Klein-Glienicke) — Spatz,W., Teltow III Berlin 1912 S. 227 — Schulze, Hans, Zur Geschichte des Grundbesitzes des Bistums Brandenburg. Jahrb. f. Brandb. Kirchengeschichte XI und XII Berlin 1914, S. 20 ff. — Brasch, Georg, Das Wannseebuch. Wannsee 1925, S. 25—41 (mit einem guten Bilde von Altstolpe 1860) — Thiel, Gert Hermann, Stolpe. Potsdamer Jahresschau 1931, S. 72—77 (mit 2 Federzeichnungen) — Thiel, Wulf, Die alte Kirche zu Wannsee. Berlin-Wannsee 1939 (mit guten Bildern) — Pett, Ernst, Stolpe und sein Gotteshaus im Wandel der Jahrhunderte. Berlin-Wannsee 1959 (mit Abdruck von Pfarrakten). — Pomplun, Kurt, Berli ns alte Dorfkirchen. Berlin 1962, S. 70 ff (mit Grundriß). 8 ) Berghaus, Heinrich, Landbuch der Mark Brandenburg. I.Brandenburg 1854 S. 477 f, 488. ) Lentz, S., Diplomatische Stiftshistorie von Brandenburg. Halle 1750. Auf der von Berghaus angeführten Seite von Lentz steht nichts von 1197, sondern die Urkunde von 1299. 29 4 ) Trautmann, Reinhold, Die alt- und ostslavischen Ortsnamen (Abh. d. Deutschen Akad. d. Wissensch.) Band II. Berlin 1949 S. 70. «) Riedel Cod. dipl. Br., A XI S. 205. e ) Schultze, Joh., Das Landbuch der Mark Brandenburg. Berlin 1940 S. 69 u. 190. 7 ) Fidicin a. a. O. 8 ) Krünitz, Joh. Georg, Oekonomische Encyklopädie. Neue Aufl., Berlin 1783, S. 417—816. *) Büsching, Anton Friedrich, Eeschreibung seiner Reise nach Rekahn. Berlin 1775 S. 54 f. 10 ) Abgebildet bei Wulf Thiel a. a. O. 11 ) Schoeps, Hans Joachim, Aus den Jahren preußischer Not und Erneuerung. Berlin 1963 S. 488. Neuerscheinungen Eine vollständige Übersicht über die im letzten Jahre herausgegebenen Neuerscheinungen an Literatur zur Geschichte Berlins erfolgt, wie bereits im ersten Heft erwähnt, im nächsten Bande des Jahrbuchs des Vereins „Der Bär von Berlin". Aus der sehr zahlreichen Literatur seien hier nur folgende Veröffentlichungen hervorgehoben. Neudruck des Schleuenschen Planes von ca. 1750. der königlich-Preußischen Residenzstadt Berlin. Der Plan zeigt an den Rändern 41 Ansichten von öffentlichen Gebäuden und Kirchen. Format: des Planes 52 X 32 cm, des ganzen Blattes mit Ansichten 72 X 68 cm. Kolorierter Neudruck: 1965. Der Plan ist bei der Buchhandlung Hans Pels-Leusden, Berlin 15, Kurfürstendamm 59/60 erhältlich. Walter Krumholz: Berlin-ABC, herausgegeben im Auftrage des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Richard Hopf ner u. a. Berlin: A. Heenemann KG. 1965, 586 Seiten (ein praktisches Berlin-Lexikon). Doch das Zeugnis lebt fort. Der jüdische Beitrag zu unserem Leben. Berlin u. Frankfurt/M. Annedore Leber-Verlag 19S5. 378 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Intus: Der jüdische Beitrag seit 1800 (S. 55—272) — Zum Schicksal der deutschen Juden 1933 bis 1945 mit Zeittafel zur Geschichte der Verfolgung (S. 275—291) sowie biographische Skizzen in alphabetischer Reihenfolge (S. 297—372). Berliner Arzte. Selbstzeugnisse. Ausgew. und herausgeg. v. Heinz Goerke. Berlin: Berlin-Verlag Arno Spitz 1965. 308 Seiten m. Abb. (Schriften großer Berliner). Intus: Die Berliner Medizin vor Rudolf Virchow — Die Charite und das Klinikum in der Ziegelstraße — Rudolf Virchow — Albrecht von Graefe — Ernst Leyden — Ernst von Bergmann — Robert Koch — Otto Heubner — August Bier — Albert Moll — Walter Stoeckel. Paul Ortwin Rave: Kunst in Berlin. Betrachtungen aus drei Jahrzehnten mit einem Lebensbericht des Verfassers von Alfred Hentzen. Berlin: Staneck-Verlag 1965. 200 u. XVI Seiten m. 20 Abb. Agnes von Zahn-Haniack: Schriften und Reden 1914 bis 1950, hrsg. i. Auftr. des Deutschen Akademikerinnenbundes durch Marga Anders und Ilse Reicke, mit einem Lebensbild Agnes von Zahn-Harnacks. Tübingen: Hopfer 1964, 207 Seiten m. Bildnis. Georg Tietz: Hermann Tietz. Geschichte einer Familie und ihrer Warenhäuser. Stuttgart: Dt. Verlagsanstalt 1965. 212 S. u. 5 Tafeln. Wilhelm Furtwängler; Briefe. Wiesbaden: F. A. Brockhaus Verl. 1964. 327 Seiten. Wolfgang Franke: Der Theaterkritiker Ludwig Verl. 1964. 170 S. (Theater und Drama, Band 26). Rellstab. Berlin-Dahlem: Kolloquium- Joachim Werner Preuss: Tilla Durieux. Berlin: Rembrandt-Verlag 1965. 120 Seiten u. 93 Abb. Peter Cürlis u. Rolf Opprower: Im Spitznamen des Volkes. Berliner Bauten — mit Spreewasser getauft. 30. bis 60. Tausend. München: Laokoon-Verlag 1965. 64 Seiten m. zahlr. Abb. 30 Buchbesprechung Berlin-Bibliographie bis 1960. In der Senatsbibliothek Berlin bearbeitet von Hans Zopf und Gerd Heinrich unter Verwendung des von Waldemar Kuhn gesammelten Materials. Mit Vorwort von Hans Herzfeld und Rainald Stromeyer (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Band 15, 1). Berlin: Walter de Gruyter & Co 1965. X X X I , 1012 Seiten mit Personen- und Sachregister. Eine fundamentale langersehnte Publikation ist mit diesem 1012 Seiten umfassenden Werke dem Lande Berlin geschenkt worden. Zwar gab es zuvor etliche kleinere BerlinBibliographien. Erwähnt sei hier die vom Fachausschuß Heimatkunde der Diesterweg-Hochschule und der Heimatkundlichen Vereinigung des Berliner Lehrervereins im Jahre 1931 herausgegebene, damals sehr nützliche Bibliographie „Berlin im Buch. Ein Führer durch das Groß-Berliner Heimatschrifttum" mit 186 Seiten. Im Jubiläumsjahr der Stadt Berlin 1937 erschienen zwei kleinere Bibliographien, eine nur 78 Seiten zählende unter dem Titel „700 Jahre Berlin. Ein besprechendes Bücherverzeichnis mit Abbildungen", die im Auftrage des Oberbürgermeisters die Berliner Volksbüchereien herausgaben, sowie ein AntiquariatsKatalog der Buchhandlung „Der Bücherwurm" mit dem Titel „Berlin und die Mark Brandenburg. Ein kleiner Beitrag zur 700 Jahrfeier der Stadt Berlin" mit immerhin 1623 Berlin betreffenden Büchertiteln. Besonders hervorzuheben ist jedoch die von Ministerialrat i. R. Dr.-Ing. Waldemar Kuhn zusammengestellte Bibliographie, die unter dem Titel „Berlin. Stadt und Land. Handbuch des Schrifttums" im Auftrage des Senators für Bau- und Wohnungswesen im Jahre 1952 mit 344 Seiten im arani-Verlag erschienen ist und die einen ersten bedeutenden Anfang zu einer Gesamt-Bibliographie dargestellt, durch die die jetzige Arbeit vielfach erleichtert wurde. Zu nennen ist noch die die Jahre 1941 —1956 umfassende „Bibliographie zur Geschichte der Mark Brandenburg und der Stadt Berlin" mit 210 Seiten, die von der Arbeitsgruppe Bibliographie im Institut für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1961 herausgegeben worden ist. Das von Luther-Friesenhahn bearbeitete „Land und Leute in deutscher Erzählung. Ein bibliographisches Literaturlexikon", das in dritter Auflage 1954 in Stuttgrat erschien, behandelt Berlin auf den Seiten 28—49. Für das letzte Jahrzehnt sind die jährlichen Bibliographien zur Geschichte Berlins anzuführen, die seit dem Jahre 1954 von Dr. Joachim Lachmann, Dr. Margarete Kühn (Bildende Kunst) und Werner Pasewaldt (Wirtschaft) bearbeitet werden und im „Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins" regelmäßig im arani-Verlag erscheinen. Durch die jetzige Publikation ist es dank jahrelanger mühevollster Arbeit, die ohne einen größeren Mitarbeiterstab nicht hätte bewältigt werden können, gelungen, das überall verstreute Schrifttum über die deutsche Hauptstadt, Land und Stadt Berlin, auf allen Gebieten wie z. B. auch Zeitschriftenaufsätze, Beiträge zu Sammelwerken und Festschriften bibliographisch zu erfassen und damit ein unentbehrliches Hilfsmittel zu schaffen für alle, die an der Geschichte Berlins interessiert sind. Die preußischen Instruktionen bilden die Grundlagen für die Titelaufnahme. Das Inhaltsverzeichnis ist nach einer Dezimalklassifikation bearbeitet und so angelegt, daß der Benutzer auf ein bestimmtes Sachgebiet hingewiesen wird. Mittels zahlreicher Hinweise kann man zur kleinsten Detailliteratur vordringen. Der Inhalt ist derart gegliedert, daß nach der Aufführung allgemeiner Bibliographien, Bibliothekskataloge und Nachschlagewerke ein Abschnitt das wichtigste Schrifttum über Brandenburg-Preußen behandelt. Dann beginnt der Hauptteil, der Berlin betrifft und in neun Gruppen aufgeteilt ist. Es sind dies: Allgemeines — Ortskunde und Beschreibung — Statistik — Geschichte — Kulturgeschichte — Berlin als Behördenstadt — Wirtschaft — Natur sowie Vororte und Verwaltungsbezirke. Besonders umfangreich ist der Abschnitt Kulturgeschichte (S. 328—568) sowie der dem Abschnitt Geschichte angegliederte biographische Teil (S. 125—328). Dieser enthält die Literatur über alle in Berlin geborenen oder in Berlin tätig gewesenen bzw. noch tätigen Persönlichkeiten, deren Lebensdaten angefügt sind. Die Bibliographie umfaßt alle wesentlichen Titel — selbständige und unselbständige — vom 16. Jahrhundert an bis zum Jahre 1960, die auf Stadt und Land Berlin irgendeinen Bezug haben. Dazu kommen kartographische Werke, sowohl amtliche wie private Karten und Pläne. 31 Ein Personenregister (S. 813—976) führt alle Verfasser sowie die Namen der besprochenen Personen auf. Die Schriften der Verfasser sind jeweils unter dem Namen alphabetisch vermerkt. Das Sachregister (S. 977—1012) besteht aus Schlag- und Stichwörtern. Bemerkenswerte Veröffentlichungen der Jahre 1961—1964 sind nachgetragen, obwohl Supplementbände für die Jahre von 1961 ab geplant sind. Eine solche Bibliographie kann naturgemäß nicht vollständig sein. So fehlen z. B. leider die anonymen Schriften, die für die ältere Zeit oft von wesentlicher Bedeutung sind. Auch hätten die Angaben über Karten und Pläne mit Hilfe der Kartenabteilung des Landesarchivs Berlin leicht vervollständigt werden können. Mit dieser Berlin-Bibliograpie ist, wie bereits gesagt, ein epochales Nachschlagewerk zustande gekommen, das trotz einiger Unvollständigkeiten seine Bedeutung immer behalten wird und dessen sich alle Benutzer stets gern bedienen werden. Ein besonderer Dank gebührt den beiden Hauptbearbeitern, Bibliotheksrat i. R. Hans Zopf und Dr. Gerd Heinrich, sowie den Direktoren der Senatsbibliothek Berlin, Dr. Konrad Kettig, der die Vorarbeiten maßgeblich geleitet und beeinflußt hat, und Dr. Reinald Stromeyer für die Fertigstellung des bedeutenden Werkes. Dr. Lachmann Kleine Mitteilungen Der Vorstand hat in einem Schreiben an den Senator für Bau- und Wohnungswesen vom 12. Juli sich für die Erhaltung der kleinen Orangerie am Schloß Charlottenburg eingesetzt, die infolge der Verkehrsplanung abgerissen werden sollte. Die Direktion der Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG) hat dem Verein 150 Exemplare der Festschrift „100 Jahre Straßenbahn in Berlin" zur Verteilung an die Mitglieder zur Verfügung gestellt. Am 8. September fand das Richtfest für das wiederaufgebaute alte Kollegienhaus (Kammergericht) in der Lindenstraße statt. Das Haus wurde unter der Regierung Friedrich Wilhelms I. 1734 von dem Baumeister Gerlach erbaut und im IL Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstört. Mit der endgültigen Wiederherstellung ist etwa in einem Jahr zu rechnen. Das Haus ist für die Unterbringung des Berlin-Museums bestimmt; es sind ferner darin Räume für unseren Verein vorgesehen (Bibliotheksraum, Lesezimmer, Geschäftszimmer). Die Vortragsabende des Vereins, sowie die sonstigen Sitzungen würden dann im Vortragssaal des Berlin-Museums stattfinden. Vorankündigungen Am Dienstag, den 26. Oktober um 19.30 Uhr, spricht im Rathaus Schöneberg Vortragssaal 139 Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm über „Die Familie Graefe und ihre Villa Finkenherd im Berliner Tiergarten". (Mit Lichtbildern). In einer Veranstaltung zum 150. Geburtstag von Adolph Menzel am 16. November 1965 um 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg Vortragssaal 139 zeigt Herbert Adam seinen Tonfilm „Der Philosoph von Sanssouci", Friedrich der Große in seinen Briefen, mit Zeichnungen von Adolph Menzel. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. Graphische Gestaltung: Klaus Mader, Berlin. Fachobt der Berliner Stadibibliothek MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 3 1. Januar 1966 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf),Katharinenstr. 30, Ruf: 8478 90 Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee 28, Ruf: 94 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 WÜNSCHEN ALLEN MITGLIEDERN U N D FREUNDEN EIN GUTES, NEUES JAHR, GESUNDHEIT UND WOHLERGEHEN! DER VORSTAND Johann Gottfried Schadow Zweiter Teil Von Dr. Irmgard Wirth W ä h r e n d der Zeit der französischen Besatzung in Berlin u n d in seinem H a u s h a t Schadow mit biographischen Aufzeichnungen begonnen. 2 ) V o r allem seine frühe/i J a h r e k ö n n t e n nicht besser geschildert w e r d e n als durch seine eigene Feder. Einige für sein Leben u n d Schaffen besonders wichtige Abschnitte seien d a h e r hier zitiert. I n der d a m a l s noch nicht lange bebauten L i n d e n s t r a ß e v o r dem Halleschen T o r h a t t e Schadow das Licht der W e l t erblickt. E r e r z ä h l t — stets in der dritten Person — v o n seiner J u g e n d : „Der Bildhauer Gottfried Schadow ist geboren zu Berlin den 20. Mai 1764. Seine Eltern waren zwar von Bauernabkunft, aber sein Vater als Schneidermeister ansässig . . . Unser Schadow hatte mehrere Geschwister und obwohl die Eltern fleissig waren, so gabs doch nur so viel, eine kleine Wohnung und dünne Kost zu bestreiten. Er und sein Bruder wurden in die Schule nach dem grauen Kloster gebracht, weil das wenig kostete. Außer den gewöhnlichen Lehrstunden gab es da auch eine im Zeichnen, der er nicht beiwohnen konnte, weil sie besonders bezahlt wurde. Er betrachtete diese Schüler als vornehme junge Leute und war froh nur zuweilen zusehen zu dürfen. In der Rechenstunde dagegen, wo jeder Schüler eine A 20377 F Schiefertafel hatte, zeichnete er kleine Pferde mit solchem Beifall, daß die anderen Schüler ihm ihre Tafeln zuschoben und ihm unterdessen sein Rechenexempel machten. In der breiten Straße im königlichen Marstall hatte ein Italiener seine Kupferstiche ausgestellt und da vertrödelte er mit seine angenehmsten Stunden, verdarb aber seine Augen, weil die Blätter mehrenteils von der vollen Sonne beleuchtet waren. Als Schadow 11 Jahre alt war, kam der Bildhauer Tassaert nach Berlin, den König Friedrich der Große sich aus Paris verschrieben hatte. Dieser hatte noch sieben bis acht pensionierte Bildhauer unter sich und das ganze Etablissement mit den Emolumenten und Gehalten war gewiß eines der splendidesten in Europa." M a d a m e Tassaert, die G a t t i n des Bildhauers, unterwies den jungen Schadow, der schon bei einem verschuldeten K u n d e n seines Vaters, einem Bildhauer, u n entgeltlichen Zeichenunterricht gehabt h a t t e , weiter im Zeichnen, doch zog es ihn mit aller Macht als A d e p t e n in die B i l d h a u e r w e r k s t a t t . Seine bescheidenen Anfänge schilderte er mit viel H u m o r : „Nach Gips zeichnen, T h o n kneten, bossieren, F o r m e n in Gips ausgießen, reparieren, in M a r m o r ebauchieren, schleifen, dazwischen ausfegen, einheizen, Frühstück holen w a r nun sein T a g e w e r k . " Sehr bald schon gewann Schadow den W e r k e n Tassaerts gegenüber ein k r i tisches Urteilsvermögen u n d sehnte sich nach Freiheit u n d neuen Anregungen. D i e Aussicht auf eine H e i r a t mit der Tochter Felicite Tassaert m u ß wenig verlockend gewesen sein; denn a n s t a t t endgültig seßhaft zu w e r d e n u n d versorgt zu sein, flüditete er mit einer Fremden, der schönen M a r i a n n e Devidels, nach Wien, um sie d o r t zu ehelichen. U n t e r s t ü t z t von seinem Schwiegervater, machte er sich mit seiner jungen F r a u nach Italien auf. M a n h a t Schadow mit einer später absichtlich p r o v o z i e r e n d vorgetragenen anekdotenhaften Ä u ß e r u n g im Gespräch mit F o n t a n e in seinem anscheinend negativen U r t e i l über Italien festlegen wollen, die w a h r e n Eindrücke aber w e r d e n eher durch seine Schilderung in der Selbstbiographie über seine erste Zeit in Florenz u n d R o m erhellt: „Als er nach Florenz kam und die kolossalen Arbeiten des Michelangelo und Giovan di Bologna auf offenem Platze sah, liefs ihm eiskalt über den Rücken. Dies war die erste und heftigste Erschütterung, welche aus Bewunderung für die Schönheiten der Kunst in ihm erregt wurde. Beim Anblick der vielen Antiken sah er die Entfernung, in der er davon abstand und zugleich die Annehmlichkeiten, die der Weg, dahin zu gelangen, darbot. In Rom 1785 angekommen, hielt Schadow sich die ersten Monate in der Werkstatt des Bildhauers Trippel auf, eines Schweizers, der ein guter Marmorarbeiter war. Die Deutschen räumten ihm den Präzeptorrang ein unter seiner Leitung stand das Studium nach dem lebenden Modell. Die Gipsabgüsse waren in der französichen Akademie im Corso besser beleuchtet, als die Marmors in den Museen, und der Direktor Lagrenee gab uns andern, wenn man darum anhielt, die Erlaubnis, da zu zeichnen und zu modellieren; welches Schadow mehrere Monate hindurch benutzte. Die vollständigen Abgüsse der Colonna Trajana waren noch vorhanden, welche König Ludwig XIV. hatte machen lassen. Im Museum des Capitols modellierte er eine Kopie nach der Gruppe Amor und Psyche. Ein Zeichenbuch hatte er stets bei sich und wurde so geübt, daß er sitzend oder stehend allerorten darin zeichnen konnte, und hat er so eine Folge von Reliefs und Statuen traciert. Ein halbes Jahr hat er fortwährend im Vatikan zugebracht. Darin war die reichste Sammlung von Skulpturen, mehr als ein Mensch aufzufassen vermag. Zudem eine Menge von Tierabbildungen . . . " N e u e r e Forschungen haben ergeben, d a ß Schadow nicht allein die d a m a l s bek a n n t e n und beliebten a n t i k e n Statuen der römischen S a m m l u n g e n gesehen u n d b e w u n d e r t h a t , sondern eben auch verborgenere, oder noch k a u m gewürdigte A n - 34 tiken, vor allem Reliefs in den vatikanischen Sammlungen aufstöberte und daß auch diese einen Niederschlag in einigen seiner eigenen Werke gefunden haben. 3 ) Er, der spater als nüchterner Berliner und Realist angesehen wurde, hat in Rom echten archäologischen Spürsinn entwickelt und auch in vorgerücktem Alter als Mitbegründer und Mitglied der Berliner Archäologischen Gesellschaft dieser frühen Neigungen beibehalten, obwohl er sich in seinem Kunstwollen weitgehend gewandult hatte. Der Jahrhundertbeginn sah ihn in Berlin, trotz äußerer politischer Bedrängnis sogar in einem stattlichen, noch heute erhaltenen Haus in der Kleinen Wallstraße, die seit langem seinen Namen trägt. In seinen Wänden herrschte ein harmonisches Familienleben und in seiner Werkstatt beschäftigte er zahlreiche Gehilfen. In seinen Aufzeichnungen hat er bei sich selbst einen „Hang zum Splendiden" konstatiert, den er aber, wie um sich zu entschuldigen, bei den Berlinern allgemein anzutreffen meinte. Im Jahre der Ernennung zum Direktor der Akademie der Künste verlor Schadow seine erste Frau. Aus dieser Ehe stammten die künstlerisch begabten Söhne Ridolfo, der Bildhauer, und Wilhelm, der Maler. Der lebensbejahende Künstler heiratete zwei Jahre später Henriette Rosenstiel, Tochter des damaligen Direktors der Berliner Porzellanmanufaktur. Sie schenkte ihm mehrere Kinder, von denen eines bereits 1818, im Jahre seiner Geburt, starb. Der Sohn Felix wurde später Maler. Das gute häusliche Leben tröstete ihn aber nicht darüber hinweg, daß er sich als Künstler zurückgesetzt fühlte. In dem Entwurf für einen offiziellen Bericht vom Dezember 1820 machte der erst Sechsundfünf zigjährige seinem enttäuschten und verbitterten Herzen in ergreifenden Worten Luft: „Nach dem ich früher vielfache Gnade von dem Könige genossen, bin ich von Allerhöchstdemselben nachher gewissermaßen vergessen worden; daraus kann ich die Zurücksetzung herleiten, die man mich erdulden lässt. . . Was hilft es mir, wenn ich Mitglied so vieler auswärtiger Akademien bin, wenn ich in meinem Vaterlande vergessen werde, während ich, Gott sei Dank! eine Fülle der Gesundheit genieße, die mir in meinem Kunstfache thätig zu sein wohl noch gestattet." 4 ) 1822 verlor er seinen erstgeborenen Sohn Ridolfo, der als Bildhauer in Rom gelebt hatte. Trotz mancherlei äußerer Unbill konnte er dennoch 1824 von sich und seiner Lebensaufgabe schreiben: „Er lebt in dem Wahne, in einem der bestverwalteten Länder zu wohnen, in der schönsten Stadt zwar nicht das größte, aber das schönste Haus zu besitzen, welches er und sein Sohn mit Frauen und Kindern bewohnen, hält seine ziemlich weitläufige Familie für die sittsamste und geistreichste, bildet sich ein die besten Schüler der Sculptur gezogen oder doch zur Stiftung einer guten Schule beigetragen zu haben, und wenn er mit Neid das Beste der Arbeiten seiner Nachfolger ansieht, so erhebt ihn der Gedanke, daß er daran Theil habe, und wenn er der hohen Schule zu Rom die beste Ausführung einräumt für die höchsten Aufgaben in der Kunst, so beschränkt er dies auf Imitation und glaubt, daß für Aufgaben aus der wirklichen Welt die unter seinen Augen entstandenen Künstler mit mehr Originalität ausgestattete Werke liefern werden. Alle ihm widerfahrenen Ehrenbezeugungen auswärtiger Akademien erkennt er mit Dank und ist der Meinung, daß es ihm gerecht ergangen sei und vielleicht über Verdienst." 35 Doch schon bald trafen ihn wiederum harte Schicksalsschläge: Sein jüngster Sohn Julius wurde, erst drei Jahre alt, 1827 zu Grabe getragen, ihm folgte fünf Jahre später Schadows Gattin Henriette. Um den vereinsamten Künstler wurde es still. Als eine Art Vermächtnis an alle Lernenden entstanden in den Jahren zwischen 1830 und 1849 seine auf eingehenden Einzelstudien basierenden Schriften, für die er zahlreiche Zeichnungen schuf.5) Auch viele Vorträge hat Schadow vor wissenschaftlichen und Künstler-Vereinen gehalten. Ein Jahr vor seinem Tode erschien sein aus der Erinnerung und seinen Schreibkalendern zusammengestelltes, die Jahre von 1780 bis 1845 umfassendes Buch „Kunstwerke und Kunstansichten", eine trotz gewisser Irrtümer und Fehlurteile unerschöpfliche Quelle für die Berliner Kunst, vor allem für wichtige Akademie-Ausstellungen, die Schadow als ausgezeichneter Beobachter und Chronist schilderte. Schadows Stellung innerhalb der Berliner und der deutschen Bildhauerkunst kann auf beschränktem Raum nur skizziert werden. Durch Hans Mackowsky ist sein bildnerisches und graphisches Gesamtwerk erfaßt und bearbeitet worden und daher trotz mancher Kriegsverluste theoretisch vollständig überschaubar.6) Seine Anfänge fielen in das verklingende Rokoko, den Zopf, in eine Zeit, in der Berlin arm war an bildhauerischen Talenten und im wesentlichen nur Architektur- und Gartenplastik geschaffen wurde. Bei Tassaert, dessen flämisch schwere Art Französisches nicht eben glücklich zu assimilieren suchte, lernte Schadow nicht viel mehr als das Handwerk. In Italien sah er sich dann plötzlich den größten Meistern der Bildhauerkunst gegenüber, wurde von dem großen Atem gepackt, der alle diese Schöpfungen beseelt. Aber wenn er sie auch sorgfältig studierte und kopierte und vom hellenistischen Geschmack mit der Forschung zeitlich weiter zurück zur reinen Klassik fand, so war er doch kein bloßer Nachahmer. Von Anfang an bemühte er sich, ganz nahe an die Natur heranzukommen, sie wurde ihm, wie dem einst in Berlin ansässig gewordenen Zeichner und Kupferstecher Daniel Chodowiecki, das größte und bleibende Vorbild. Mochten auch die Themen seiner damals entstandenen Arbeiten meist aus der antiken Mythologie entlehnt, von antiken Bildwerken beeinflußt sein, so war doch ein neuer Zugriff unverkennbar. Nicht idealische Ferne und Verklärung, klassische Vollendung und Kühle, sondern warmes Leben, Unmittelbarkeit kennzeichnete die von ihm gebildeten Geschöpfe, die in ihrer Grazie und unbefangenen Sinnlichkeit zugleich auch das Erbe des Dixhuitieme nicht verleugneten. Nach der Rückkehr an die Spree bildeten seine frühen Meisterleistungen eine vollendete Synthese aus klassisch klarem Umriß der plastischen Form, überraschender Beobachtungsgabe und Naturwahrheit. Das Grabmal des Grafen von der Mark und die Gruppe der Prinzessinnen Luise und Friederike bleiben hierfür die sprechendsten Zeugnisse: Die antikisch streng aufgefaßten Parzen und der schlummernde entschlummerte Knabe in seinem kindlichen Liebreiz, oder die in Charakter und Temperament verschiedenen und doch sich ähnlichen Schwestern in ihrem Adel und ihrer mädchenhaften Anmut sind in ihrer Auffassung Gipfelpunkte nicht nur der berlinisch-preußischen, sondern der deutschen Bildhauerkunst vor 1800. 36 Hatte Schadow in Schloß- oder Wohnräumen Reliefschmuck zu schaffen, blieb er auch bei generellen Abwandlungen in der Auffassung stets der Antike näher, während in den Bildnissen selbstverständlich die realistischen Züge überwogen. Für die genaue Erfassung des menschlichen Körperbaues und des Physiognomischen hatte er selbst mit den erwähnten theoretischen Bemühungen gründliche Vorarbeit geleistet. Wie sehr ihn übrigens Physiognomik beschäftigte, zeigen auch die gezeichneten Geschwister-Porträts, die jeweils die Familienähnlichkeit wie auch die aus dein Charakter erwachsene Eigenart, das Einmalige des Individuums, zu erfassen suchten. Ebenso gern hielt er die Eigentümlichkeiten fremder Rassen in möglichster Genauigkeit zeichnerisch fest. In seiner Heimatstadt war Schadow, der sich auch gern berlinisch gab, Wirklichkeitskünstler, Realist, geworden, hat aber die sensualistische Feinnervigkeit seiner noch vom 18. Jahrhundert bestimmten Frühzeit und die durch die Antike gewonnenen Einsichten und Maßstäbe nie verloren; sie blieben auch im Unterbewußten die Grundlage seiner Kunst. Wie sehr seine Art und sein Schaffen Mißverständnissen ausgesetzt sein konnten, offenbart sein Verhältnis zu Goethe, das mit der berühmten Kontroverse, mit Goethes abfälligen Äußerungen über die prosaisch-berlinische Kunst in den Propyläen von 1801 und Schadows mutiger Erwiderung begonnen und im Zusammenwirken beider für das 1819 vollendete Blücher-Denkmal in Rostock sich zum Guten gewendet hatte. Die Goethe-Medaille von 1816 und die nach der von Schadow überarbeiteten Weißerschen Gesichtsmaske von 1807 entstandene Goethe-Büste aus dem Jahre 1823 sind sichtbare und bleibende Zeichen dieser Versöhnung. Das BlücherDenkmal wirkt jedoch zwiespältig in dem Versuch, in der Gestalt des Feldmarschalls die Realistik seiner Gesichtszüge und Einzelheiten seines Anzuges, wie die langen Beinkleider und Stiefel, mit einer „heroisch-dichterischen Tracht" zu vereinen. Trotz Rauch war Schadow nach Schlüter der stärkste Eckpfeiler der berlinischen Bildhauerkunst; er schlug den weiten Bogen vom 18. zum Realismus des 19. Jahrhunderts, obwohl er vor der Jahrhundertwende mit Langhans und Gilly zugleich auch entscheidend am Beginn des preußischen Klassizismus gestanden hatte. Überraschend, weil im Bewußtsein seiner Bewunderer weniger lebendig, ist Schadows immenses graphisches Werk, das viel selbständiger, viel mehr ist als etwa nur zeichnerische Vorbereitung für sein bildnerisches Schaffen. Gäbe es den Bildhauer nicht, hätte auch der Zeichner und Karikaturist Schadow in der Kunst des 19. Jahrhunderts ein gewichtiges Wort mitzureden. Von Gelegenheitsarbeiten, reizenden Familienszenen zu glänzend erfaßten Bewegungsstudien (Tänzerpaar Vigano) und überzeugenden Bildnissen reicht die Skala seiner zeichnerischen Fähigkeiten. Auch beherrschte er die verschiedenen druckgraphischen Techniken. Seine Karikaturen sind allerdings fast nur noch von der damaligen politischen Situation her zu begreifen, also in gewisser Weise zeitgebunden. Und sein berlinisch-trockener Humor wirkte am treffendsten in der leicht karikierenden Erfassung und Übersteigerung einzelner Menschentypen. In wenigen, fast naditwandlerisdi sicheren Strichen vermochte er mit der Genauigkeit 37 seines Blickes u n d seiner eminenten zeichnerischen Begabung das Wesentliche auf höchst a m ü s a n t e A r t äugen- u n d sinnfällig zu machen. U n t e r den K ü n s t l e r n Berlins einer der wenigen G r o ß e n , gehört Gottfried Schadow mit seinem W e r k auch in dem umfassenderen Bereich der deutschen B i l d h a u e r k u n s t seiner Zeit in die erste Reihe, mit den frühen Schöpfungen an der Schwelle des Klassizismus aber auf den ersten Platz. Anmerkungen ') Hans Mackowsky, Die Bildwerke Gottfried Schadows. Mit einer Einleitung von Paul Ortwin Rave, Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1951, Nr. 293, S. 260. 2 ) Gottfried Sdiadow, Aufsätze und Briefe (und Selbstbiographie), herausgegeben von Julius Friedlaender mit einem Verzeichnis seiner Werke von Heinrich Wittich, Düsseldorf 1864 und Stuttgart 1890. 3 ) Gottfried Schadow und die Antike. Vortrag von Heinz Ladendorf, Köln, in der Berliner Archäologischen Gesellschaft am 28. Januar 1965. 4 ) Mackowsky, 6 Bildwerke, S. 96 f. ) Die wichtigsten sind: Lehre von den Knochen und Muskeln, von den Verhältnissen des menschlichen Körpers und von den Verkürzungen, 1830. Polyclet oder von den Maßen der Menschen nach Geschlecht und Alter, 1834. National-Physiognomieen oder Beobachtungen über den Unterschied der Gesichtszüge und die äußere Gestaltung des menschlichen Kopfes (Fortsetzung des Polyclet), 1835. Thorvaldsens Ehrenfeier, 1844. Ferner, Aufsätze, Briefe, Tagebücher, Schreibkalender sowie Selbstbiographie, vgl. Anm. 2. Zu erwähnen ist noch die mit mehreren Mitarbeitern unter Schadows Leitung unternommene Veröffentlichung: Wittenbergs Denkmäler der Bildnerei, Baukunst und M a l e r e i . . . , 1825. 6 ) Das Verzeichnis aller bildhauerischen Arbeiten hat Hans Mackowsky vgl. Anm. 1, ebenso den Werkkatalog der Graphik: zusammengestellt, vgl. Anm. 1, ebenso den Werkkatalog der Graphik: Hans Mackowsky, Schadows Graphik, Forschungen zur Deutschen Kunstgeschichte, XIX, herausgegeben vom Deutschen Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1936. In beiden grundlegenden Werken auch die SchadowLiteratur. Ferner: Heinrich Ragaller, Skizzen und Zeichnungen von J. G. Schadow im Berliner Kupferstichkabinett. In: Jahrbuch der Berliner Museen, 2, 1960, S. 116—171. 38 Film- und Bildarchivierung zur Geschichte Berlins Die letzte Sitzung vor der Sommerpause führte uns in die Landesbildstelle Berlin in der Altonaer Straße, wo der Leiter der Archiv-Abteilung der Landesbildstelle, Wissenschaftl. Rat Dr. Fritz Terveen, den Aufbau und die Aufgaben der Landesbildstelle erläuterte und durch Lichtbilder anregend ergänzte. Danach wurde im Jahre 1949 in der Landesbildstelle Berlin mit der Sammlung und Aufbewahrung von Filmen und Photographien aus Vergangenheit und Gegenwart der Stadt begonnen. Diese Aufgabe wird von einer besonderen Archivabteilung wahrgenommen, deren Arbeit ihren Niederschlag in den umfangreichen Sammlungen des Landesbildarchivs und des Landesfilmarchivs findet. Das Landesbildarchiv umfaßt heute rund 150 000 Original-Photonegative historischer und aktueller Aufnahmen aus Politik, Wirtschaft und Kulturleben, sowie von Bauten, Straßen und Plätzen Berlins, ferner ein umfangreiches Archiv von Porträts historischer und zeitgenössischer Persönlichkeiten. Der gesamte Bestand an Aufnahmen, überwiegend in schwarz-weiß, seit einigen Jahren zunehmend auch in Farbe (Farbnegative), ist sorgfältig identifiziert und betextet. Das Bildarchiv ist öffentlich zugänglich. Alle Aufnahmen sind Eigentum der Landesbildstelle Berlin. Nur in wenigen Ausnahmefällen verfügt die Landesbildstelle lediglich über Teilrechte. Das Gros der Bildbestände reicht von 1890 bis zur Gegenwart. Die weiter zurückliegende Zeit ist in photographischen Reproduktionen nach Stichen, Gemälden, Zeichnungen und Daguerreotypien — allerdings nur sporadisch — erfaßt. Hier wird man dann häufig auf das Landesarchiv Berlin, das erheblich ältere Bestände besitzt, sowie auf bezirkliche Heimatarchive und Museen usw. zurückgreifen müssen. Das Porträtarchiv wird als besondere Gruppe geführt und reicht inhaltlich zum Teil auch über den engeren Berliner Raum hinaus. Eine weitere Sondergruppe bildet die Sammlung zeitgeschichtlicher Aufnahmen von 1900 bis 1945. Hier sind historische Photos zusammengefaßt zur politischen Geschichte der ehemaligen Reichshauptstadt, jedoch findet man unter dieser Rubrik auch Aufnahmen zur deutschen Geschichte jener Jahre überhaupt, so etwa Bilder aus dem ersten und zweiten Weltkrieg. Nach Möglichkeit ist auch hier darauf gesehen worden, daß ein Bezug zur Geschichte Berlins gewahrt bleibt. Für die Herstellung der Aufnahmen verfügt die Landesbildstelle über einen eigenen Aufnahmedienst. Das Landesfilmarchiv enthält rund 350 000 m an dokumentarischen Filmaufnahmen. Dieses Material ist überwiegend hervorgegangen aus eigener Aufnahmetätigkeit der Landesbildstelle, ergänzt durch Ankäufe oder sonstige Übernahmen von Wochenschau- und Dokumentarfilmen, ganz oder in Ausschnitten, die Berlin betreffen. Ein nicht geringer Prozentsatz solcher Erwerbungen erstreckt sich naturgemäß auf Filmmaterial, in dem Berliner Persönlichkeiten, örtlichkeiten, Ereignisse usw. aus früheren Jahren, namentlich zwischen 1895 und 1945 festgehalten worden sind. Die Thematik der Filmaufnahmen erstreckt sich, ähnlich wie im Bildarchiv, auf alle 39 Gebiete des städtischen Lebens. Auch hier nimmt die aktuelle Berichterstattung einen breiten Raum ein, wobei dann auch der Hauptteil der Tonfilmaufnahmen anfällt. Besondere Aufmerksamkeit wird bei der Herstellung von Archivaufnahmen seit einigen Jahren der Gewinnung von sogenannten „Persönlichkeitsaufnahmen" gewidmet. Hier handelt es sich um kurze Tonfilmaufnahmen solcher Zeitgenossen, die für oder in Berlin auf wissenschaftlichem, künstlerischem, politischem oder wirtschaftlichem Gebiet Bedeutendes geleistet haben. Zur Zeit liegen derartige Tonfilmaufnahmen vor u. a. von Rudolf Wissell, Marie Elisabeth Lüders, Ferdinand Friedensburg, Theodor Heuss, Willy Brandt, Hans Scharoun, Max Taut, Hugo Härtung, Boleslaw Barlog, Bernhard Heiliger, Friedrich Hollaender, Joachim Tiburtius, Otto Dibelius, Lucius D. Clay, John F. Kennedy, Günther Grass. Mit Hilfe der hier geschilderten Einrichtungen und Möglichkeiten ist die Landesbildstelle Berlin in der Lage, eine umfassende und regelmäßige Film- und Bilddokumentation über das Land Berlin durchzuführen, die in dieser Geschlossenheit und Intensität, auch in ihrer systematischen Konzentrierung auf eine begrenzte Stadtlandschaft in der vielfältigen Fülle ihrer Lebensregungen, sicherlich ihresgleichen sucht. Damit konnte hier ein schon seit vielen Jahren — im Grunde schon seit Erfindung der Photographie und Kinematographie — immer wieder von Archivaren, Historikern und Kommunalpolitikern ausgesprochener Wunsch verwirklicht werden. Die Familie v. Graefe und ihre Villa Finkenherd im Berliner Tiergarten war das Thema eines Vortrages von Prof. Dr. Dr. Walter am 26. Oktober 1965. Hoffmann-Axthelm Der Vortragende schilderte zunächst die im zweiten Weltkrieg zerstörte und nicht wieder aufgebaute Villa Finkenherd im Tiergarten, die sich der Chirurg Carl Ferdinand v. Graefe 1824 nach einem Entwurf von Schinkel am Nordwestrande des Parks gegenüber dem heutigen Hansaviertel hatte erbauen lassen. Der Lebenslauf des Bauherrn, der 1810 im Alter von nur 23 Jahren als erster Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik berufen worden war und das berühmte Klinikum in der Ziegelstraße begründete, wurde kurz dargelegt. Sodann wurde ausführlich berichtet über die Baugeschichte der Villa und anhand zeitgenössischer Quellen über das reiche kulturelle Leben, das bald die Mauern des Finkenherds erfüllte. 1828 wurde hier der große Augenarzt Albrecht v. Graefe geboren, 1840 sein Vater Carl Ferdinand aufgebahrt. Bald aber zog mit der nachfolgenden Generation wieder junges Leben in das Haus: Ottilie v. Graefe versammelte hier einen literarisch eingestellten Freundeskreis, dem u. a. die Bettina-Töchter, die Olfers-Töchter und die Schwestern Bardua angehörten, und um Albrecht scharte sich ein fröhlicher Studentenkreis. 40 1854 wurde die Villa von der Familie verkauft, sie ging von Hand zu Hand, bis sich in ihr auf Wunsch der Kronprinzessin Viktoria 1880 die Gastwirtschaft Charlottenhof etablierte. In dieser Form ging das Haus unter in den Bombennächten des 22. und 23. November 1943. Der Vortrag, der durch ein zahlreiches Bildmaterial erläutert wurde, soll in einer Schrift unseres Vereins in extenso veröffentlicht werden. Der Philosoph von Sanssouci In einer Veranstaltung zum Gedenken an den 150. Geburtstag Adolf von Menzels (8. Dezember) führte unser Mitglied Herbert Adam am 16. November den von ihm selbst angefertigten Farb-Ton-Film „Der Philosoph von Sanssouci" in unserem überfüllten Vortragssaal vor. Aus der großen Anzahl von Briefen Friedrichs des Großen seiner bekannten Autographen-Sammlung hatte er 32 Briefe und Dokumente und einige andere Schriftstücke ausgewählt und diese mit 71 Zeichnungen von Menzel, zumeist aus dem bekannten Werk von Kugler, Geschichte Friedrichs des Großen, sowie Reproduktionen von 3 Gemälden, 1 Goldmünze und einem Buch aus dem Besitz des Freundes Friedrichs, Katte, zu einem sehr eindrucksvollen Film vereinigt. Der Lebensweg Friedrichs des Großen zog an uns vorüber von der frühen Jugend bis zu seinem Tode. Der erste Brief des Kronprinzen an seinen geliebten Lehrer Duhan vom 20. Juni 1727, in dem er ihm verspricht, jährlich 2400 Taler zu geben, sobald er sein eigenes Geld in Händen habe, verfehlte nicht seine Wirkung, ebenso wie die nachfolgenden Briefe, besonders die an seinen Kammerdiener Fredersdorf, die als einzige in deutsch und zwar in einem sehr unbeholfenen geschrieben, aber sehr gut gemeint waren. „. . . lasse Dir man guht Seindt — Gott bewahr Dihr", so lautete der Schluß eines solchen Briefes. Menzels bekannte Ölgemälde, die Tafelrunde in Sanssouci und das Flötenkonzert kamen sehr gut heraus und erstrahlten in einem selten schönen Glanz. Die Darstellung des Lebensabends des großen König machte auf die Zuschauer einen besonders tiefen Eindruck. Der alte König auf der Terrasse in der Sonne sitzend und die ersten warmen Frühlingstage genießend, war ein ergreifendes Bild in Verbindung mit einem Schreiben an seinen Bruder Heinrich: „Es ist so mein lieber Bruder, daß man ständig schwächer wird und daß die Leiden dazu bestimmt sind, die Folge unserer Tage zu verkürzen. Wenn sie bis zum Ende sich unaufhörlich verstärken, erledigen sie uns ganz und gar." Der Film klang aus mit der Schlußvignette von Menzel und dem Erscheinen und allmählichen Verklingen der Totenmaske, aus der Würde und ruhig sinnender Ernst zu sprechen schien. Mit dem Film „Der Philosoph von Sanssouci", dem als Begleitmusik Kompositionen des Königs, gespielt von dem Kammerorchester des Generalmusikdirektors von Benda, eines Nachkommen des Konzertmeisters Friedrich des Großen, beigegeben war, hat unser Mitglied Herbert Adam eine großartige Leistung vollbracht, für welche ihm auch noch an dieser Stelle der herzlichste Dank des Vereins ausgesprochen sein möge. Hs. 41 Der Berliner Zoologische Garten In einem prachtvollen Farbtonfilm von Klaus Noack führte am 2. Dezember der Direktor des Zoologischen Gartens, Dr. Heinz-Georg Klös, die Geschichte und den gegenwärtigen Zustand des Berliner Zoo vor, der in der Tat eine Oase im Herzen der Weltstadt bildet. Er wurde eröffnet am 1. August 1844 und ist somit der älteste Tiergarten in Deutschland; Vorgänger hatte er, wenn man von den Tierhaltungen in antiker Zeit absieht, in London (1828), Dublin (1830), Bristol (1835), Manchester (1836), Amsterdam (1838) und Antwerpen (1843). Den Grundstock für den Garten bildeten die Fasanerie im Tiergarten und der Tierpark auf der Pfaueninsel des Königs Friedrich Wilhelms IV., der die Schaffung des Zoos sehr begünstigte. Einen besonderen Aufschwung nahm der Garten unter der Leitung des volkstümlichen Prof. Dr. Ludwig Heck, der im Jahre 1888 zum Direktor gewählt wurde und dieses Amt 1932 seinem Sohne, Dr. Lutz Heck, übergab, unter dessen Leitung eine weitgehende Modernisierung vorgenommen wurde. Im zweiten Weltkrieg wurde der Zoo durch einen Bombenangriff am 13. November 1943 und im Januar 1944 fast völlig verwüstet, auch das zum Zoo gehörende Aquarium wurde vernichtet. Der reichhaltige Tierbestand fiel bis auf 91 Tiere den Bomben zum Opfer. Nach Kriegsende mußte mit dem Aufbau neu angefangen werden. Jetzt steht der Zoo, schöner denn je, den Berlinern wieder zur Verfügung. Die alten im fremdländischen Stil erbauten Tierhäuser wurden durch moderne, allen hygienischen Anforderungen entsprechende Zweckbauten ersetzt, die den Aufgaben des Zoos, neben der Schaustellung der Tiere auch der Züchtung und Erhaltung seltener oder ausgestorbener Tierarten zu dienen, besser gerecht werden als die alten Tierhäuser. So bildet der Zoologische Garten in Berlin, der als einer der wenigen sich noch im Privatbesitz, des Aktienvereins, befindet, wieder einen attraktiven, kulturellen Mittelpunkt der früheren Reichshauptstadt; er liegt mitten im Zentrum Berlins und ist, wie der vorgeführte Film sehr anschaulich zeigte, wirklich eine Oase in der Großstadt, die für die Berliner in hohem Maße eine Stätte der Belehrung, der Erholung und der Unterhaltung darstellt. Hs. Buchbesprechungen Berühmte Deutsche in Berlin. Herausgegeben von Walther G. Oschilewski. arani-Verlags G.m.b.H. Berlin 1965. 199 S. Gzln. DM 16,80. Aus den zahlreichen großen Deutschen in Berlin hat der Herausgeber vierzehn ausgewählt und läßt sie in Erlebnisberichten, Bekenntnissen, Darstellungen und dergl. ihr Urteil über Berlin, das nicht ihre Geburtsstadt ist, abgeben. In einer kurzen biographischen Skizze, die jedem Kapitel vorangestellt ist, erfahren wir das Wichtigste über ihren Aufenthalt in Berlin, die Gründe der Reise, die Beschäftigung, die Beziehungen zum Theater, zur Kunst und Wissenschaft u. a. m. Ihre Eindrücke und Schilderungen geben uns wertvolle Aufschlüsse über die damaligen Zustände in Berlin, die politischen und sozialen Verhältnisse, die Theater, das literarische Leben, die Gesellschaft. Das Buch mit seinem reichen Inhalt ist ein wertvoller Beitrag zur Kulturgeschichte Berlins. Hs. 42 Selbstzeugnisse Berliner Ärzte. Ausgewählt und herausgegeben von Prof. Dr. Heinz Goerke. Berlin Verlag 1965. 308 Seiten. Gzln. DM 22,50. In einer neuen Schriften-Reihe „Schriften großer Berliner" will der Verlag bedeutende Persönlichkeiten Berlins der verschiedensten Berufe und Stellungen in Selbstzeugnissen, Briefen und sonstigen Berichten den Lesern nahe bringen. In dem vorliegenden Buch über Berliner Ärzte ist des dem Herausgeber bestens gelungen. Er hat neun hervorragende Mitglieder der Berliner Ärzteschaft sorgfältig ausgewählt, die wesentlich zum Ansehen der Berliner Medizin im vorigen Jahrhundert, in dem Berlin als das internationale Zentrum der wissenschaftlichen medizinischen Forschung galt, und über ihren Lebensgang durch eine kurze biographische Einleitung berichtet. Wir erfahren viel Interessantes über ihr Leben und ihre Arbeit in Berlin, über ihr Urteil über die Stadt, in welcher sie zwar nicht geboren waren, aber doch infolge ihres Berufs einen großen Teil ihres Lebens verbrachten. Bei dem gegenwärtigen großen Interesse für Berlin wird auch dieses Buch viele Leser nicht nur unter den Ärzten, sondern auch unter den Nichtärzten finden. Ergänzt wird der Text durch ein sorgfältig bearbeitetes Namensregister, sowie durch ein Quellenverzeichnis und Literaturhinweise, die zu weiterem Studium anregen. Hs. Selbstzeugnisse Berliner Maler. Menzel, Liebermann, Slevogt, Corintb. von Irmgard Wirth. Berlin-Verlag 1964. 298 S. Gzln. DM 22,50. Herausgegeben Für die Buchreihe „Schriften großer Berliner" hat Irmgard Wirth mit liebevollem Verständnis und großer Sachkenntnis die vier obengenannten Maler ausgewählt, ihr Leben und Wirken in der von ihr bekannten hervorragenden Weise geschildert, sowie ihre Stellung in der deutschen Malerei erläutert. Diese vier Maler waren die ausgezeichneten Repräsentanten der Berliner Malerei von 1840 bis 1930 und spiegeln in ihren Briefen, Reden und Schriften das künstlerische Leben in Berlin der genannten Zeit am besten wieder. Aber auch die politischen Ereignisse in Berlin werden in den Kreis der Betrachtung gezogen und bilden eine notwendige Ergänzung zu den künstlerischen und gesellschaftlichen Schilderungen. Das Buch stellt einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Berlinertums, nicht allein von der künstlerischen Seite dar. Hs. Panorama Berlin. Kalender 1966. Arani-Verlag Berlin 1965. Preis DM 6,20. Ein sehr schöner Wandkalender in Großformat, der auf 28 Tafeln auf Kunstdruckpapier vielfach farbige Abbildungen und Zeichnungen nicht nur der älteren Künstler bringt, sondern auch moderne Maler wie Hans Baluschek, Ernst Ludwig Kirchner, Hans Stein, Werner Heldt, Otto Pippel, Karl Schmidt-Rottluff, Gustav Wunderwald, Bernhard Klein, Erich Heckel u. a. berücksichtigt. Hs. Unvergessenes Berlin. Kalender 1966. Haude & Spener Verlag Berlin. Preis DM 5,80. Ein einfach gehaltener Bildkalender, der in 12 Schwarz-Weiß-Aufnahmen besonders eindrucksvolle Bilder aus dem alten, uns nicht mehr zugänglichen Berlin bringt. Die Bilder sollen uns Teile unserer geteilten Stadt vor Augen führen, die wir nicht vergessen sollen und die uns mahnen, daß Berlin eine unteilbare Stadt, die Hauptstadt des ganzen Deutschlands ist. Hs. Ina Seidel: Berlin, ich vergesse Dich nicht! Berlin, Staneck-Verlag 1962. 72 S. m. zahlr. Zeichnungen u. Aquarellen. DM 7,80. Wer ein schönes Geschenk sucht, der greife zu diesem kulturhistorischen Bilderbuch Ina Seidels, die am 15. September 1965 ihren 80. Geburtstag in Starnberg am See feiern konnte. Obwohl schon mehr als ein Vierteljahrhundert nicht mehr in Berlin ansässig, vereinigt sie hier in lebhaft abwechslungsreichen, oft humorvollen Schilderungen all ihre Erinnerungen an ihre Berliner Jahre, die mit Unterbrechungen von der Jahrhundertwende bis in die Dreißiger Jahre reichten mit den künstlerischen und geistigen Höhepunkten sowie ihren Begegnungen mit so manchen prominenten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens dieser Epoche. Sie erzählt fesselnd von ihren beiden Onkeln, Heinrich Seidel, dem Verfasser des Romans „Leberecht Hühnchen", und Paul Seidel, dem Betreuer der Berliner und Potsdamer Schlösser sowie Herausgeber des Hohenzollern-Jahrbuches. Ferner berichtet 43 sie von den Erlebnissen in den Berliner Gemeinden ihres Mannes, der, ihr Vetter und Sohn von Heinrich Seidel, anfangs Seelsorger am Lazarus-Krankenhaus im dichtbevölkerten Norden Berlins und später Pfarrer am Neuen Dom am Gendarmenmarkt gewesen ist. Selten hat ein Buch auf so knappem Raum die Berliner Atmosphäre so anschaulich und treffend eingefangen. Nicht unerwähnt seien die Zeichnungen und Aquarelle von Gabriele Albeshausen, Kurt Heiligenstaedt, Marga Karlson und Friedrich P. von Zglinicki. J.L. Eugen Paunel: Die Staatsbibliothek zu Berlin. Ihre Geschichte und Organisation während der ersten zwei Jahrhunderte seit ihrer Eröffnung, 1661 bis 1871. Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1965, 420 S. u. 64 Abb. DM 98,—. Es entbehrt nicht eines gewissen Reizes, daß der Verfasser der Geschichte der Preuß. Staatsbibliothek in Berlin weder ein Preuße noch ein Berliner, sondern ein aus Wien stammender Österreicher ist, der als Direktor der Bibliothek in Czernowitz erst im Zuge der durch den zweiten Weltkrieg verursachten Umsiedlungen 1941 an die Preuß. Staatsbibliothek nach Berlin kam und zuletzt als Abteilungsdirektor an der öffentlich Wissenschaftl. Bibliothek, wie sie nach 1945 hieß, bis 1954 tätig war. Paunel hat das große Verdienst, eine grundlegende Darstellung der Geschichte der Preuß. Staatsbibliothek in Berlin geschaffen und damit eine Lücke geschlossen zu haben. Es ist deshalb notwendig, an dieser Stelle etwas näher darauf einzugehen. Hatten doch die beiden anderen großen Berliner Institutionen früher bereits ihre Würdigung gefunden: Die Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften anläßlich ihres 200jährigen Bestehens im Jahre 1900 durch Adolf v. H a r nack und die 1810 gegründete Königl. Friedrich-Wilhelms-Üniversität durch Max Lenz in den Jahren 1910—1918. Die älteste der drei Berliner Institutionen ist jedoch die Preuß. Staatsbibliothek. Ihr Ursprung geht in die Regierungszeit des Großen Kurfürsten zurück, als dieser nach dem Dreißigjährigen Kriege beschloß, „seine Schloßbibliothek weitgehend zu organisieren und öffentlich zugänglich zu machen". Mit dieser Aufgabe betraute er 1658 den in Berlin gebürtigen Professor am Joachimsthalschen Gymnasium und Schulinspektor in der Mark Brandenburg Johann Raue (Ravius). Der Umzug der Sammlungen aus dem Dachgeschoß des Schlosses in das vom Festungsbaumeister Memhardt hergerichtete 1. Stockwerk des Apothekenflügels sowie die Anlage eines alphabetischen Katalogs verzögerten die Eröffnung, die 1661 erfolgte. Um die Arbeiten für den unentbehrlichen, alle Bestände umfassenden Realkatalog zu beschleunigen, wurde der Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Johann Vorstius, zum zweiten Bibliothekar nebenamtlich bestellt (1662). Dazu kamen bald die Brüder Christof und Peter Hendreich, die beide in Frankfurt/Oder studiert hatten, an der Christof seit 1664 Professor des öffentlichen Rechts und der Geschichte war. Kurfürst Friedrich III., der spätere König Friedrich L, war an dem Aufbau der Bibliothek weniger interessiert. Von 1699 datiert seine Verfügung, die den Verlegern nach französischem Vorbild auferlegt, zwei Pflichtexemplare der in ihrem Verlage erscheinenden Bücher an die Kurfürstliche Bibliothek unentgeltlich abzuliefern. Unter der Regierung König Fxiedrich Wilhelms I. trat eine Zeit des Stillstandes in der Entwicklung der Bibliothek ein, zumal die Etatmittel wesentlich verkürzt wurden. Unter den Bibliothekaren dieser Zeit seien erwähnt der aus Heidelberg kommende Bibliothekar Lorenz Berger sowie Mathurin Veyssiere de la Croze aus Nantes in der Bretagne, ein allgemein anerkannter bedeutender Gelehrter und Professor der Philosophie am Berliner College francais. Friedrich IL als Kronprinz nennt ihn in einem Briefe an Voltaire 1739 »l'homme le plus savant de Berlin, le repertoire de tous les savants d'Allemagne, un vrai magazin de sciences«. Zunächst war Friedrich IL jedoch mehr an der Akademie der Wissenschaften interessiert, erst später wandte er sich der Förderung der Bibliothek zu, dabei angeregt durch den damaligen Kapitän, späteren Obersten Charles Theophile Guichard, vom König „Quintus Icilius" genannt. Wie sehr die Bibliothek bald zu großem Ansehen gelangt war, zeigt Friedrich Nicolais Äußerung in seiner „Beschreibung der königl. Residenzstädte Berlin und Potsdam" von 1786: „Die königliche Bibliothek ist eine der ansehnlichsten in Europa". Dies zeigen auch die — wenn auch vergeblichen — Bewerbungen von Lessing und Winckelmann. In diese Zeit fällt die Errichtung eines neuen Gebäudes für die Bibliothek am Opernplatz von Georg Friedrich Boumann d. J. erbaut. Der König legte zugrunde den nichtausgeführten Plan zum Michaeiertrakt der Wiener Hofburg, den Josef Emanuel Fischer von Erlach d. J. 1724 gezeichnet hatte. Der Bau dauerte von 1775 bis 1780; der Umzug der Bücherbestände konnte im Dezember 1780 beginnen. Dazu kam das Eckgebäude Beh- 44 renstraße 40 mit einer „Lesekammer", viel später wurde auch das Haus Behrenstraße 41 mit der Bibliothek vereinigt. In diesem Gebäude, der sogenannten „Alten Kommode", ist die Staatsbibliothek 130 Jahre geblieben, bis sie in das von Ihne gebaute große Bibliotheksgebäude Unter den Linden zog. Adolf von Harnack, der spätere Generaldirektor der Königl. Bibliothek bezeichnete einmal die „Alte Kommode" als ein „prächtiges und zugleich anmutiges Bibliotheksgebäude." Mit dem Umzug der Bibliothek war auf königliche Veranlassung auch eine Neuordnung ihrer Verwaltung verbunden. Unter den Bibliothekaren dieser Zeit ist hervorzuheben Friedrich Wilhelm Stosch, der vor seiner Berufung Ratsmann des Magistrats der Stadt Berlin gewesen war; seine drei Brüder waren bedeutende Theologen. Weniger glücklich war die Berufung des Benediktinermönchs Anton Joseph Pernety aus der Pariser Kongregation S. Maur; seine eigenwilligen religiösen Auffassungen machten ihm ein längeres Verweilen in Berlin unmöglich. Sein Nachfolger wurde Dr. jur. Johann Erich Biester, ein Freund Nicolais, der eine wesentliche reformatorische Tätigkeit in der Bibliothek ausgeübt hat und bald die Leitung der Bibliothek übernahm, die er von 1794 bis zu seinem Tode 1816 innehatte. Er war auch der Herausgeber der „Berlinischen Monatsschrift", des Hauptorgans der Aufklärung in Berlin. Unter seiner Leitung glückten der Bibliothek zwei beachtliche Neuerwerbungen: Die Bibliothek des Predigers an der Berliner Jerusalemer Kirche, Friedrich Jacob Roloff sowie ein Teil der bedeutenden Bibliothek des 1795 verstorbenen Königl. Leibarztes Johann Karl Moehsen. Nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. kam die Bibliothek eine Zeitlang unter die Oberaufsicht der Akademie der Wissenschaften (1798 bis 1810), alsdann zum Geschäftskreis der Abteilung für Kultus und öffentlichen Unterricht, des späteren Kultusministeriums. Nach dem Tode Biesters wurde der Professor der Geschichte von der Universität Heidelberg und Leiter der dortigen Universitätsbibliothek Friedrich Wilken Leiter der Berliner Königl. Bibliothek. Ein neues Reglement, eine Neuaufstellung der Bücher und Herstellung eines neuen Realkatalogs sind sein besonderes Verdienst. Bei der Errichtung der Berliner Universität war für die Wahl des Ortes maßgebend gewesen, daß die Königl. Bibliothek hier ihren Sitz hatte. Zunächst hat sie auch die Funktionen einer Universitäts-Bibliothek miterfüllen müssen, was sich jedoch bald als undurchführbar erwies und zur Gründung einer eigenen Universitätsbibliothek im Jahre 1831 geführt hat. Welchen Einfluß der Historiker Leopold von Ranke schon damals besaß, zeigte sich darin, daß er als Nachfolger Wilkens den Archivar und Bibliothekar an der Königl. Bibliothek zu Hannover, Georg Heinrich Pertz, durchsetzte, damit Pertz zugleich die Leitung jener berühmten Quellensammlung, der „Monumenta Germaniae historica", in die Preußische Hauptstadt bringen konnte. Pertz, der von 1842—1873 in Berlin gewirkt hat, verkehrte viel in den Berliner gelehrten Kreisen, so beispielsweise mit den Brüdern Grimm, Savigny, Lepsius, Schelling, Ranke und Helmholtz. Unter den damals neu erworbenen Bibliotheken verdienen besonders hervorgehoben zu werden: Die Bücherei des Grafen ßtienne Mejan sowie die noch umfangreicheren berühmten Kollektionen des Freiherrn Gregor von Meusebach mit 25 000 Werken in ca. 38 000 Bänden, die das deutsche Schrifttum vom Ende des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in seltener Vollkommenheit umfaßte. Die Sammlung des Generals Josef Maria von Radowitz erbrachte als Geschenk Friedrich Wilhelms IV. 13 000 Autographen. Damals gelangte auch die berühmte Hundshagen'sche, mit Miniaturen gezierte Nibelungenhandschrift in die Staatsbibliothek. Auf Pertz, der die Bibliothek mit Umsicht und Erfolg verwaltet hatte, folgte in der Leitung der große Ägyptologe Carl Richard Lepsius (1873 bis 1884), der bei der Einweihung des Suez-Kanals als erster mit einer Gesellschaft auf dem Nil bis Assuan aufwärts gefahren war. Während seiner Amtszeit sind drei bedeutende Sammlungen größeren Umfangs in die Bibliothek gelangt: die von Louis Schneider zusammengestellte „Sammlung aller auf den Krieg 1870/71 bezüglichen Schriften und Bilder" als Geschenk Kaiser Wilhelms I., ferner der literarische Nachlaß von Karl August Varnhagen von Ense und die Handschriften des schottischen Herzogs Alexander Hamilton. Lepsius war nicht nur ein großer Gelehrter, sondern zugleich auch als Organisator für die Bibliothek bedeutend. Am Ende seiner Amtsführung liegt der Beginn einer neuen, modernen Periode des deutschen Bibliothekswesens, die durch die Wirksamkeit des großen Reformators der deutschen Bibliotheken, Friedrich Althoff, eingeleitet wurde und bestimmend geblieben ist. Der zweite Band der Geschichte der Staatsbibliothek, den Paunel bereits in Vorbereitung hat, soll das Wirken von Althoff, Adolf von Harnack und Fritz Milkau schildern und die Ausweitung der Bibliothek als deutsche Zentralbibliothek. 45 Möge dem verdienten Verfasser dieser vorzüglichen, gründlichen Arbeit, die er auf Grund aller noch verfügbaren, durch den zweiten Weltkrieg leider sehr verminderten Quellen geleistet hat, eine baldige Vollendung dieses zweiten Bandes vergönnt sein! J-L. Kreuzberg. Ein Berliner Bezirk gestern und heute. Dargestellt von Walther G. Oschileivski. Aufnahmen von Alois Bankhardt und Winfried Zellmann. Herausgegeben v. Bezirksamt Kreuzberg von Berlin, arani Verlags-GmbH. Berlin 1965. 59 Seiten. 43 Abbildungen. Pbd. DM7,80. In anschaulicher Weise, unterstützt durch gut gelungene Aufnahmen, werden hier die Geschichte, der gegenwärtige Zustand und die besonderen Merkmale des Bezirks Kreuzberg zur Darstellung gebracht. Mit liebevoller Sorgfalt hat der Verf. alles zusammengetragen, was zur guten Kenntnis des Bezirks notwendig ist. Wir teilen seine Ansicht, daß hier ein neuer Stadtteil im Werden ist, dem in jeder Weise eine aussichtsreiche Zukunft beschieden sein wird. Hs. Hellmuth Günther Dahms: Vom Kaiserreich zum Bundeshaus. 50 Jahre deutsche Geschichte in Berlin. Berlin: Staneck-Verlag 1964. 243 S., davon 32 S. Text. DM 29,80. Nach einem historischen Überblick bietet der Verfasser eine sehr eindrucksvolle Bilddokumentation, bekannte und unbekannte Fotos, die das gesamte politische Geschehen in Berlin von 1913 bis 1963 in großer Vollständigkeit an uns vorüber ziehen lassen mit allen Höhepunkten und Tiefpunkten dieser Epoche, von der einst viel bewunderten Hauptstadt des Deutschen Reiches bis zum bitteren Ende. Erschütternde Aufnahmen demonstrieren die Entwicklung, die zwangsläufig zur Tragödie führen mußte. Mit dem Besuch von Präsident Kennedy in Berlin schließt das Buch. J. L. Waltber-Rathenau-Schriften, ausgewählt und eingeleitet von Arnold Härtung, Günther Jenne, Max Ruland, Eberhard Schmieder, mit einem Beitrag von Golo Mann. Berlin Verlag 1965. 416 S. Gzln. DM 25,—. Die Schriften Walther Rathenaus gehören unbedingt in die Sammlung „Schriften großer Berliner" hinein, sie bilden einen wesentlichen Bestandteil der Geschichte der letzten Jahre des kaiserlichen Deutschlands. Walther Rathenau hat sein Leben in Berlin verbracht und hier seine Arbeit in der Wirtschaft und Politik geleistet. Die geschickte Auswahl aus seinen Briefen und Schriften und nicht zuletzt die Äußerungen führender Persönlichkeiten über ihn vermitteln uns ein ausgezeichnetes Bild vom Wesen, Wirken und Denken dieses großen Deutschen. Ein ausführliches Namensregister zeigt uns die Menschen seiner Umwelt, eine sorgfältige Bibliographie seine Werke und sonstigen Veröffentlichungen. Hs. Hannes Schwenger: Berlin im Widerstand. Berlin: Staneck-Verlag 1965. 134 S. DM8,80. Mit den Beiträgen, die der Band enthält, will der Herausgeber die Erinnerung an den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus von neuem wachrufen, wenn auch diese zum großen Teil bereits bekannte Tatsachen bringen oder literarisch umgestaltet sind. So behandelt der 1963 verstorbene Karl Brammer das erschütternde Schicksal des Prof. Dr. Arndt vom Zoologischen Museum der Berliner Universität, der der Denunziation einer Jugendfreundin zum Opfer fiel. Ilse Rewald bringt ihre „Berliner Aufzeichnungen 1940—1945. Zwischen Angst und Hoffnung"; Rolf Hochhuth, der bekannte Verfasser des „Stellvertreters", erzählt die Geschichte von der Berliner Antigone, dem Mädchen, das zum Tode verurteilt wird, weil es den Leichnam des erschossenen Bruders aus der Anatomie entfernt und in einem Grabe beigesetzt hat. Hinzu kommen Berichte über den Berliner Domprobst Bernhard Lichtenberg von Kurtmartin Magira, über Martin Niemöller von Prof. Lic. Günther Härder sowie über die „Rote Kapelle" von Günther Weisenborn. An der Spitze der Beiträge steht ein Aufsatz von Egbert Höhl über Carl von Ossietzky und die „Weltbühne"; der Band schließt mit einem Bericht von Stefan Brant über den Aufstand des 17. Juni 1953. Zur Wiederkehr des 20. Juli 1944 schrieb eine Schweizer Zeitung: „Die Auseinandersetzungen um den Widerstand können als Reifegrad für die politische Einsicht in Deutschland gewertet werden". In diesem Sinne will das Buch gelesen, gewertet und verstanden sein. J. L. 46 Klaus-Peter Schulz: Berlin zwischen Freiheit und Diktatur. Berlin: Staneck-Verlag 1962. 576 S. DM 24,80. Klaus-Peter Schulz, Berliner Schriftsteller und Rundfunkautor, Mitarbeiter von Ernst Reuter und Willy Brandt, hat der ersten Berliner Stadtverwaltung nach 1945 angehört. Auf Grund seiner dadurch gewonnenen genaueren Kenntnisse und zuverlässigen Quellen hat er die schwierige Aufgabe übernommen, die Geschichte Berlins von der Besetzung der Stadt durch die Alliierten im Mai 1945 bis zur Errichtung der Mauer darzustellen. Er gibt einen kritischen, eingehenden Überblick über die Berliner Nachkriegsgeschichte mit vielen Einzelheiten, die bisher unbekannt waren. Die Persönlichkeit Ernst Reuters tritt dabei oft in den Vordergrund. Dank der lebhaften, flüssigen und unterhaltsamen Darstellungsweise dürfte es ein vielgelesenes und vieldiskutiertes Buch werden, das zugleich als historisches Nachschlagewerk seine Bedeutung haben wird. J. L. Der richtige Berliner in Worten und Redensarten, verfaßt von Hans Meyer, weiland Professor am Grauen Kloster zu Berlin, fortgeführt von Dr. Siegfried Mauermann und für die zehnte Auflage bearbeitet und ergänzt von Walther Kiaulehn. Neu aufgelegt beim Biederstein Verlag in München & Berlin. 1965. 264 Seiten. Ln. DM 16,80. Das erstmalig 1878 erschienene Wörterbuch der berlinischen Sprache erfreute sich in Fach- und Laienkreisen stets einer besonderen Wertschätzung. Dafür zeugen die vielen Auflagen, die das Buch erlebte; 1880 erschien bereits eine dritte, 1904 eine sechste; die siebente im Jahre 1911 besorgte nach dem Tode des Verfassers Dr. Mauermann. Immer wurden Ergänzungen und Verbesserungen vorgenommen, da immer neue Ausdrücke und Redensarten bei der Bevölkerung Eingang fanden. Nun liegt die zehnte Auflage vor, von Walther Kiaulehn mit liebevoller Hingabe und großem Verständnis bearbeitet. Ein völlig neues Buch ist entstanden, das auf diesem Gebiet einzigartig und unerreicht ist; aber es ist mehr als ein bloßes Wörterbuch und Verzeichnis von Redensarten. Diese bilden mit den Berliner Texten nur den zweiten und dritten Teil des Buches. Wichtig zum Verständnis des Berlinischen ist der erste Teil, der einen prachtvollen Diskurs über die Sprache und den Witz des Berliners enthält. Die Sprache gibt den Charakter des Berliners wieder, seine Derbheit, seiner Gutmütigkeit, seinen ironischen Humor; ohne diese Eigenschaften würde er die schweren Nachkriegsjahre nicht überstanden haben und auch weiterhin überstehen. Das Buch wird viel Freude machen; es wird aber auch, wie ein Nachwort sagt, ein Mittler zwischen den Berlinern in Berlin und den Berlinern, die durch die Nöte der Zeit gezwungen wurden, außerhalb der Stadt ihren Wohnsitz zu nehmen. Daß sie auch weiterhin mit ganzem Herzen an ihrem Berlin hängen, dafür gibt es fast täglich die rührendsten Beweise. „Der richtige Berliner" wird sie in ihrer Haltung stärken und ihnen ihr geliebtes Berlin noch vertrauter, noch liebenswerter machen, als es bisher der Fall ist. Hs. Verzeichnis der Bibliotheken in Berlin (West). Herausgegeben im Auftrage des Senats von Berlin von Hildegard Lullies. Heinz Spitzing Verlag, Berlin. 1966. 315 Seiten. Gzln. DM 24,90. Mit der Zusammenstellung und Herausgabe des vorliegenden Bibliotheken-Verzeichnisses hat die Herausgeberin eine für die Bibliothekspraxis wertvolle und anerkennenswerte Arbeit geleistet. Ein derartiges Verzeichnis, das sämtliche gegenwärtig in Westberlin vorhandenen 612 Bibliotheken enthält, fehlte bis jetzt und stellte einen offensichtlichen Mangel dar. Jetzt liegt nunmehr ein Nachschlagewerk vor, das durch seine praktische Gestaltung und seine Übersichtlichkeit allen Anforderungen gerecht wird. Neben der Angabe der Zentralkataloge sind die Bibliotheken nach den Trägern geordnet, ein Sachregister und verschiedene andere Register bilden den Abschluß des sicher von allen Beteiligten freudig begrüßten Werkes. Hs. Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengescloichte. 40. Jahrgang 1965. Herausgegeben im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte von Dr. Hans von Arnim und Prof. D. Dr. Walter Delius. Christlicher Zeitschriftenverlag Berlin. 187 S., kart. DM 8,50. Das diesjährige Jahrbuch enthält ausschließlich Beiträge zur Reformationsgeschichte der Mark Brandenburg und bringt unter Verwendung von bisher nicht berücksichtigten Quellen die alte Streitfrage, ob in Berlin oder Spandau im Jahre 1539 die Einführung der Kirchenordnung des Kurfürsten Joachims II. erfolgte, vorläufig zum Abschluß; das Jahrbuch leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Kirchengeschichtsforschung des Gebietes BerlinBrandenburg. Hs. 47 Kleine Mitteilungen Der Senator für Bau- und Wohnungswesen hat auf das Schreiben des Vorsitzenden vom 11. August betr. Erhaltung der kleinen Orangerie des Schlosses Charlottenburg am 7. Oktober geantwortet, daß er sich bei den Beratungen über die neue, erweiterte Liste der unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke dafür einsetzen wird, daß auch die Kleine Orangerie in diese Liste aufgenommen wird. Die Kunsthandlung H . Sagert & Co., Berlin, die anläßlich ihres einhundertjährigen Bestehens im Oktober d. J. eine Ausstellung „Berlin im Bild" veranstaltete, konnte aus Privatbesitz ein Originalstück der Lindenrolle aus dem Jahr 1820 erwerben. Dieses Stück dürfte das einzige Originalexemplar in Westberlin sein. Ein weiteres Stück befindet sich im Märkischen Museum in Ostberlin. Anläßlich der 260-Jahrfeier von Charlottenburg wurde eine Heimatschau „Das alte und das neue Charlottenburg" (1705 bis 1965) mit einer Sonderschau „Alt-Berlin" am 9. November 1965 im Rathaus Charlottenburg unter zahlreicher Beteiligung von Vertretern des öffentlichen Lebens eröffnet. Die umfangreiche Ausstellung, an deren Gestaltung neben verschiedenen Instituten auch das Landesarchiv Berlin sowie Mitglieder unseres Vereins mitgewirkt haben, vermittelte ein aufschlußreiches Bild von der Geschichte und Entwicklung der früheren Residenzstadt und des jetzigen Bezirks Charlottenburg. Am 19. November fand im großen Hörsaal des Botanischen Museums zu Berlin-Dahlem eine Gedenkfeier anläßlich der zweihundertsten Wiederkehr des Geburtstages des großen Berliner Botanikers und Direktors des Botanischen Gartens, Carl Ludwig Willdenow (1765—1812), und anläßlich des 150jährigen Bestehens des Botanischen Museums statt. Den Festvortrag hielt der gegenwärtige Direktor des Botanischen Museums und Gartens, Prof. Dr. Theo Eckardt. An der Veranstaltung nahmen auch verschiedene Mitglieder unseres Vereins teil. Unser langjähriges, jetzt im Ausland wohnendes Mitglied Frau Dr. Gläser hat die bisher dem Verein leihweise überlassenen ca. 150 Berlin-Bände ihrer Bibliothek uns jetzt zum Geschenk gemacht. Hierfür sei ihr auch an dieser Stelle der herzlichste Dank ausgesprochen. Personalien Am 28. Oktober beging unser Mitglied Herr Bezirksbürgermeister a. D. Walther Rieck seinen 80. Geburtstag. R. war von Mai 1945 bis Dezember 1946 Stadtrat für Volksbildung des Verwaltungsbezirks Wilmersdorf und von Dezember 1946 bis Mai 1951 Bürgermeister dieses Bezirks. Er hat sich um den Aufbau des Bezirks Wilmersdorf sehr verdient gemacht. Am 2. Januar 1966 vollendet unser hochverdienter Schriftführer, Herr Verbandsdirektor a . D . Karl Bullemer, sein 80. Lebensjahr. B. gehört seit 1926 unserem Verein als Mitglied an und hat sich große Verdienste um den Wiederaufbau des Vereins nach dem zweiten Weltkrieg, besonders um die Verschmelzung des Vereins von 1949 mit dem alten Verein von 1865, erworben. Beiden Jubilaren wünschen wir noch viele schöne Jahre voller Gesundheit und Wohlergehen und eine Bewahrung ihres Interesses an der Arbeit und den Bestrebungen unseres Vereins. Vorankündigungen Am Sonnabend, dem 22. Januar 1966 um 11 Uhr spricht im Planetarium Berlin 41, Munsterdamm 90 (Insulaner) der Vorsitzende des Vereins „Wilhelm Foerster-Sternwarte e. V." Herr B. Brenske über „Die Geschichte der Astronomie in Berlin" mit anschließenden Planetariums-Vorführungen. Am Dienstag, dem 22. Februar 1966 um 19.30 Uhr spricht im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Dr. Adrian von Müller über „Das bronzezeitliche Dorf von Berlin-Lichterfelde" (mit Lichtbildern). Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. Foehobt der Berliner StadtbiblicXh«». MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 4 1. April 1966 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90 Schriftführer: Dir. i. R. K. BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Magistratsrat W.Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 Das Panorama der Straße Unter den Linden im Jahre 1820 Dritter Teil Von Hans-Werner Klünner Der zweite Streifen des Lindenpanoramas beginnt mit dem restlichen Teil des Hofapothekengebäudes, an dessen Nordgiebel ein fünfachsiger, eingeschossiger Anbau zu erkennen ist, der fast den ganzen Raum bis zur Domkirche einnimmt. Es war ein Teil des durch den Großen Kurfürsten 1687 begonnenen, aber durch seinen Nachfolger nicht fertiggestellten Bibliotheksgebäudes. Einen Hinweis auf die Entstehung der Lindenrolle gibt uns das Aussehen des Domes im Lustgarten: Als Johann Boumann ihn 1747—1750 als Ersatz für die baufällig gewordene Domkirche auf dem Schloßplatz erbaute, hatte er nach damaliger Art rundbogig geschlossene Fenster mit verzierten Schlußsteinen. Bei dem 1816 bis 1817 nach K. F. Schinkels Entwurf durchgeführten Umbau des Inneren bekamen die Fenster einen geraden Abschluß, so wie man sie auf der Lindenrolle sieht. Somit entstand mindestens dieser Teil des Panoramas wahrscheinlich schon 1819, denn der ebenfalls nach Schinkels Plänen erfolgende Umbau des Äußeren begann im April 1820 und war im September 1821 beendet. Neben dem Dom sieht man die 1802 erbaute Börse und im Hintergrund den ,Neuen Packhof' in der ehem. Orangerie des Lustgartens. Dieser war seit 1715 kein Garten mehr, sondern Exerzierplatz der Berliner Garnison. Um die Eintönigheit der weiten Sandfläche zu mildem, wurde sie 1798 nach einem Vorschlag David Gillys mit Rasen besät und mit einer Doppelreihe von Pappeln umpflanzt. In der Mitte der Pappelreihe, dem Schloß gegenüber, stand seit dem 29. November 1800 das von Schadow geschaffene Denkmal des ,Alten Dessauers', neben dem ein Posten über das Verbot, den Exerzierplatz zu betreten, wachte. Als im Frühjahr 1824 der Bau des Museums begann, diente die Hälfte des Lustgartens als Bauplatz. 1828, nach Fertigstellung des Museums, begann, wieder nach Schinkels Plänen, die Um- A 20377 F gestaltung des Lustgartens zu einem Schmuckplatz, wobei das Denkmal des ,Alten Dessauers' auf den Wilhelmplatz versetzt wurde. Jenseits der Hundebrücke sehen wir das Zeughaus, welches mit Kommandantur und Königl. Palais sowie einigen anderen Dienststellen in der Nähe, das Zentrum des militärischen Berlin bildete. Der Zeichner der Lindenrolle hat den militärischen Charakter dieses Platzes noch durch eine große Zahl paradierender Soldaten betont. Inmitten des sich zwischen Zeughaus und Universität erstrickenden Kastanienwäldchens steht die 1817/18 von Schinkel erbaute Neue oder Königs-Wache. Die Lindenrolle zeigt hier schon die geplanten — aber erst 1822 aufgestellten — Denkmäler Scharnhorsts und Bülows von Rauchs Meisterhand. Rechts neben der KönigsWache erkennt man zwischen den Bäumen die französischen Beutegeschütze aus dem Jahre 1814 und im Hintergrund das Dienstgebäude des Finanzministeriums, während man links zum Haus Bauhof 3 hinüberblickt. Die Stadt Berlin ließ hier 1903 eine Gedenktafel für den Arzt Christoph Wilhelm Hufeland anbringen, der von 1S04 bis zu seinem Tode 1836 hier gewohnt haben sollte. Leider befindet sich die — 1957 erneuerte — Tafel am falschen Ort, denn Hufelands Wohnhaus war auf dem Grundstück Dorotheenstraße 7 Ecke Universitätsstraße, welches damals die Nr. 3 hatte und erst bei der Mitte der vierziger Jahre erfolgten Umnumerierung die Nr. 6 (seit etwa 1910 Nr. 7) bekam. Das Kastanienwäldchen setzt sich fort im Universitätsgarten an der Letztem Straße (so hieß die Dorotheenstraße bis 1822), von dem ein Teil als Botanischer Garten genutzt wurde. Der weite Ehrenhof der Universität — ein wesentlicher Bestandteil des Friedrichforums — war noch nicht durch Grünanlagen zerstückelt. An der Universitätsstraße beginnt die Nordseite der Linden mit dem Akademiugebäude. Der Zeichner gestattet uns einen Blick in die Straße nach Norden, wo wir im Hintergrund deutlich das Wohnhaus Hufelands erkennen. Die Lindenrolle zeigt das Akademiegebäude schon mit der neuen Fassade, die es mit dem 1820 beendeten Umbau durch Bauinspektor Rabe erhalten hatte. Man erkennt auch im Mitteifenster des großen Sitzungssaales die von Möllinger geschaffene Uhr, welche damals d i e Normal-Uhr war, nach der alle Uhren in Berlin gestellt wurden. (Sie befindet sich jetzt im Märkischen Museum.) Das Gebäude war im Kern noch dasselbe, welches Nering 1687/88 als Marstall erbaut hatte und dessen Lindenflügel 1696 für die Akademie der Künste aufgestockt worden war. Für die im Jahre 1700 gestiftete Societät der Wissenschaften wurde der Häuserblock, der bis dahin nur die Hälfte seines späteren Umfanges gehabt hatte, unter Martin Grünbergs Leitung nach Norden erweitert. Auch der Erweiterungsbau wurde im Erdgeschoß durch Stallungen in Anspruch genommen, während die Societät der Wissenschaften 1711 in dem turmartigen Bau der Sternwarte an der Dorotheenstraße ihre Räume bezog. Die ungewöhnliche Kombination von Stallungen und Musensitz ließ den Berliner Volksmund später, in Anlehnung an die Widmungsinschrift des Opernhauses, .Apollini et musis', für das Akademiegebäude die Widmung ,Mulis et musis' finden. Am Gebäude selbst war die Inschrift nicht angebracht. Der Akademietrakt U. d. Linden brannte mit seinen unersetzlichen Sammlungen 1743 aus. Nach dem 1748 erfolgten Wiederaufbau durch Johann Boumann wurde 50 der Westteil des Obergeschosses der Akademie der "Wissenschaften zur Verfügung gestellt. Die Akademie der Künste konnte ihre Räume erst 1768 wieder beziehen. Im Hauptsaal der Akademie hielt seit 1793 der von Fasch gegründete Verein zur Pflege des Chorgesangs seine Übungen ab, wonach er sich später .Singakademie' nannte. Das eigene Haus im Kastanienwäldchen bezog die Singakademie erst im Jahre 1827. Für das Akademieviertel, das mit dem Marstall, den Ställen der Gardedukorps, der Sternwarte usw. den ganzen Raum zwischen Linden-, Charlottenstraße — Letzte Straße und Universitätsstraße einnahm, lagen weitgehende Umbaupläne vor, weil hier das seit langem geplante Museum eingerichtet werden sollte. Ein Schwibbogen, ähnlich dem am gegenüberliegenden Palais des Königs, sollte Museum und Universität verbinden. Die 1816 begonnenen Umbauten Rabes waren die Vorarbeiten hierzu, die aber als unzulänglich empfunden wurden, so daß Schinkel neue, umfassende Entwürfe anfertigen mußte. Doch davon kam nichts zur Ausführung, weil inzwischen der Plan für das Museum am Lustgarten feste Gestalt angenommen hatte. Die von Rabe fertiggestellten Räume im Erdgeschoß des Lindenflügels und im südlichen Universitätsstraßenflügel wurden den beiden Akademien zur Verfügung gestellt. Nach über 200jährigem Bestehen begann 1904 der Abbruch der alten Gebäude, die dem Riesenbau der Staatsbibliothek Platz machten, den Kaiser Wilhelm IL am 22. März 1914 mit einem Festakt einweihte. Jenseits der Charlottenstraße, die auf der Lindenrolle etwas zu breit wiedergegeben ist, beginnt mit dem Gasthof ,Stadt Rom' die Reihe der Immediatbauten, die Georg Christian Unger zur Verschönerung der Linden schuf. Wenn es ihm auch nicht gelang, alle alten Häuser durch Neubauten zu ersetzen, so konnte er doch, und zwar auf der Nordseite der Linden besser, als auf der immer für vornehmer geltenden Südseite, seine künstlerische Idee durchführen. Obwohl jedes Haus in der Gestaltung seiner Fassade anders ist, ordnen sich alle einer gemeinsamen Linie unter. Von der Charlottenstraße über die Friedrichstraße bjs zur Neustädter Kirchgasse sind die Häuser viergeschossig. Dann beginnt eine Zone dreigeschossiger Bauten, die über die Kleine Wallstraße (seit 1836 Schadowstraße) hinweg bis zum Pontonhof U. d. Linden 74 reicht, wo eine zweigeschossige Zone beginnt, die in die Umbauung des Pariser Platzes überleitet. Ähnliches scheint auch für die Südseite der Linden geplant gewesen zu sein, ist dort aber in diesem Umfang nicht ausgeführt worden. Ladengeschäfte in der uns geläufigen Form gibt es um 1820 fast gar nicht; die meisten Kaufleute weisen nur mit einem bescheidenen Firmenschild auf das Vorhandensein ihrer Geschäfte hin, die in der Regel im Erdgeschoß der Häuser liegen, in das von der Straße oft eine kleine Freitreppe hinaufführt. So auch am Hause des ungef. seit 1775 bestehenden Gasthofs ,Stadt Rom'. Sein Besitzer Kersten verkaufte ihn 1821 an den Hotelier Saust und dieser wieder Ende der 50er Jahre an Adolf Mühling. Unter dessen Leitung wurde er als ,Grand-Hotel de Rome' nach dem 1865 und 1875/76 von Ende & Böckmann durchgeführten Neuund Umbauten, der zeitweilig berühmteste Gasthof Berlins. Berühmt war auch der Festsaal, in dem der Verein Berliner Presse am 1. Februar 1879 seinen zweiten Presseball und die folgenden abhielt, bis man 1886 in den Wintergarten zog. Daß Kaiser Wilhelm I. sich aus der ,Stadt Rom' seine Badewanne ausgeliehen haben soll, ist nicht einwandfrei überliefert. Der altrenommierte Gasthof, dem inzwischen andere 51 Häuser den Rang abgelaufen hatten, schloß im Oktober 1910 seine Pforten. An seiner Stelle wurde das jetzt noch stehende Geschäftshaus ,Römischer H o f von A. F. M. Lange und K. Berndt erbaut. So wie das Hotel de Rome, gehörten alle im Laufe der Jahrzehnte in den Linden entstandenen und verschwundenen Gasthöfe zu den ersten der Stadt, die in jedem Reiseführer oder Verzeichnis an der Spitze aufgeführt werden. Sie trugen viel zu dem unnachahmlichen Fluidum der Straße bei. In diesem Abschnitt zwischen Charlotten- und Friedrichstraße sieht man noch zwei ganz kleine Häuser aus der Anfangszeit der Dorotheenstadt, welche die benachbarten Immediatbauten wie Türme erscheinen lassen. Es sind die Häuser Nr. 40 und 42, die 1820 im Besitz des Rentiers Discher und des Partikliers Dösing sind. Nr. 40 wurde 1876 durch Boethke für den Juwelier Friedberg umgebaut und um zwei Stockwerke erhöht. Zusammen mit Nr. 41, das 1820 dem Schwerdtfeger Keitel gehörte, wurde es 1909 abgerissen und hier durch Max Grünfeld ein Wohn- und Geschäftshaus erbaut, das ebenfalls den Krieg überdauert hat. Die Häuser Nr. 42—46 sind zerstört. An ihrer Stelle ist — unter Berücksichtigung der Verbreiterung der Friedrichstraße — zur Zeit ein Hotel im Bau, das 1966 fertig sein soll. Anstelle des auf der Lindenrolle abgebildeten Hauses Nr. 42 entstand 1858 nach August Stülers Entwurf ein Wohnhaus für den Hof-Juwelier Friedeberg. Mit unveränderter Fassade war hingegen das 1820 im Besitz der Geschwister Radidke gezeigte Haus Nr. 43 erhalten, bis es 1912 durch A. Oppenheim modernisiert wurde. Das stattliche Haus Nr. 44 besitzt 1820 der Gutsbesitzer Landefeld. Ende der 50er Jahre wurde es für ,Arnims Hotel' erweitert. Sein von Eduard Titz geschaffener Festsaal galt seinerzeit als ein Meisterwerk der Innenarchitektur. Max Reinhardt ließ ihn 1901 für sein Kabarett ,Schall und Rauch' umbauen, aus dem schon im Herbst 1902 das ,Kleine Theater' wurde. Hier feierte Reinhardt mit Gorkis »Nachtasyl' seine ersten Triumphe. In dem schönen klassizistischen Haus des Konditors Ebecke ist 1820 im Erdgeschoß das ,Cafe Gundelach'. In unserer Zeit setzte sich diese Tradition fort, als hier in dem ehem. Geschäftshaus der Hellerschen Lampenfabrik das ,Cafe Schön' war. Bis auf die Laden- und Restauranteinbauten war auch Nr. 46 an der Friedrichstraßen-Ecke — das Viktoria-Hotel und -Cafe — bis zuletzt erhalten. Es war das Wohnhaus des 1812 verstorbenen Direktor des Botanischen Gartens, C. L. Willdenow und ist 1820 im Besitz seiner Witwe. Außer einer Konditorei und einem Uhrengeschäft war auch das Lohnlakaien-Vermittlungsbüro in diesem Haus. Unter den Linden 47, das andere Eckhaus, besitzt der Handschuhfabrikant Wernicke. Es ist später um zwei Stockwerke erhöht und in der Fassade verändert worden. Seit 1936 steht an seiner Stelle das von E. Meyer-Appenzell erbaute ,Haus der Schweiz'. Das Nachbarhaus Nr. 48/49 ist eines der Häuser, die hinter einer Fassade zwei Grundstücke verbergen. Die Besitzer pflegten das oft durch verschiedenfarbigen Anstrich ihrer Hausteile zu unterstreichen. Nr. 48 gehört dem Bäcker Lejeune, der sich später Jung nannte, und Nr. 49 dem Uhrmacher Schunigk. Jung vereinigte später beide Teile und ließ 1864 einen Neubau errichten, der durch das jetzt noch stehende, 1914 von Bielenberg & Moser erbaute Haus der ehem. Preußischen-CentralBoden-Kredit-AG verdrängt wurde. Auch Nr. 50/51 ist ein Doppelhaus. Der größere Teil, Nr. 50, gehört dem Cafetier Soksien, dessen Nachfolger 1850 Spargnapani 52 wurde. Seine Konditorei war als .Hauptquartier der Zeitungstiger' bekannt. In diesen Räumen eröffnete anfangs der 70er Jahre Rudolf Dressel sein berühmt gewordenes Restaurant. Es blieb auch im Neubau des Mercedeshauses, den Klingenberg & Beyer errichteten. Der kleinere Hausteil Nr. 51 gehörte 1820 dem Oberkirchen Vorsteher der Dorotheenstädtischen Kirche Berner, der im Erdgeschoß ein Galanteriewarengeschäft unterhielt. In Nr. 52 war damals die Tichysche Weinstube; das Haus stand als einziges dieser Reihe bis zur Zerstörung in seiner alten Form, nur mit verändertem Erdgeschoß — zuletzt von der Hanomag-Vertretung benutzt. Die Ruine war vor einigen Jahren noch zu sehen. Sie mußte mit den Resten von Nr. 53 einem modernen Bürohaus weichen, das die Lücke zwischen den erhaltenen Vorkriegsbauten schließt. Nr. 53 war 1820 die ,Apotheke zum Roten Adler'. Im Hause Nr. 54/55 an der Kleinen Kirchgasse, starb 1867 Wilhelm Stolze, der Meister der deutschen Kurzschrift, wie früher eine Gedenktafel verkündete. Ende der 60er Jahre erbaute Eduard Titz für den Bankier Lion ein neues Haus, das 1938 für den Erweiterungsbau des Bürohauses ,Zollernhof abgerissen wurde. Dabei verschwand auch die Kleine Kirchgasse. Der Zollernhof, nach dem Entwurf von Bruno Paul 1911 erbaut, war bereits das vierte Haus an dieser Stelle. Das zweite zeigt die Lindenrolle. Es gehört dem Kriminalkommissar Gemmel. Als Mieter wohnte hier der Flügeladjudant des Königs und frühere Adjudant Blüchers, Oberst Graf v. Nostitz. Ein Schild am Haus weist auf den Laden des Kleidermachers Held hin. Seit den 50er Jahren war hier bis zum Abbruch das ,British-Hotel'. Im ehem. Bürohaus Zollernhof (jetzige Nr. 36—38) hat nach Behebung der Kriegsschäden der Zentralrat der FDJ seinen Sitz genommen. Das Doppelhaus Nr. 57/58 gehörte dem Leihbibliothekar Meinhard und dem Kaufmann Behm. 1855 wurden beide in einer Hand vereinigt. Als 1907 der Abriß drohte, erhob sich großer Protest, der aber den schönen Ungerschen Bau nicht retten konnte. A. F. M. Lange und K. Berndt schufen das aufwendige Geschäftshaus der Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft, das fast unbeschädigt den Krieg überstanden hat. Nr. 59, das Eckhaus an der Neustädter Kirchgasse, besitzt 1820 der Friseur Garcke, der ehrenamtlicher Bezirksvorsteher war. Er hatte das Haus von der Witwe des Chirurgen Voitus gekauft. In deren Wohnung gründete Carl Friedrich Fasch am 24. Mai 1791 den Chor, aus dem die Singakademie hervorging. Auch dieses Haus existiert nicht mehr, der spätere Bau — mit der bekannten Buchhandlung von Asher & Co. — ist zerstört. Von den Häusern zwischen Neustädter Kirchgasse und Kleine Wallstraße, welche die Lindenrolle zeigt, war vor Kriegsausbruch keines mehr erhalten, auch die späteren Bauten fielen dem Krieg zum Opfer. Jetzt steht hier ein einziges Gebäude: das Ministerium für Innen- und Außenhandel (neue Nr. 44—60). Das Eckhaus Nr. 59a/60 besaß 1820 der Archivar der Akademie d. Wissenschaften Frentzel, das Doppelhaus Nr. 61/62 der Kaufmann Voigt sowie der Buch- und Kunsthändler Hasselberg und das Doppelhaus Nr. 63/64 der Sattler Strahler und der Bäckermeister Schleuse. Als 1864 auf den Grundstücken Nr. 62/63 der Neubau für Dr. Epenstein entstand, mußten auch bald die Haushälften Nr. 61 und 64 neugebaut werden. In Nr. 62/63 war später das Restaurant von Hiller. Die Häuser Nr. 59a—63 wurden 1935 für den Bau der Nord-Süd-S-Bahn abgerissen. Am längsten hatte sich von den 53 alten Häusern der dem Rentier Kerwitz gehörende Immediatbau Nr. 65 gehalten. Aber auch dieser wurde nach dem ersten Weltkrieg unschön modernisiert. Zusammen mit Nr. 64 stand er noch bis 1961. Nr. 66 und Nr. 67 wurden 1866 und 1892 durch Neubauten ersetzt. Das Eckhaus an der Kleinen Wallstraße mußte 1876 einem Neubau weichen. In dem alten Haus hatte Giacomo Meyerbeer von 1842—45 während seiner Amtszeit als Generalmusikdirektor gewohnt. Leider kann man nicht in die Kleine Wallstraße hineinblicken. Sonst würde man auf der Westseite das Wohnhaus Schadows in seiner Gestalt vor dem Umbau von 1850 sehen. Es steht auf dem Gebäude des Walles, der sich von der Behrenstraße bis zur Spree hier entlangzog. Nur ein einfacher Durchlaß mit einer Zugbrücke verband die Linden mit dem Tiergarten. Bei der Erweiterung der Dorotheenstadt nach Westen wurden Wall und Brücke beseitigt, nur der Graben bestand als kleines Rinnsal noch bis nach 1800. Das westliche Eckhaus an der Kleinen Wallstraße gehörte 1820 noch zu deren Nr. 14 und wurde als Nr. 68a der Linden erst abgetrennt, als W. Lüer 1867—96 auf dem Hintergelände das Aquarium erbaute und nach den Angaben Alfred Brehms einrichtete. Nachdem es 1910 aufgelöst worden war, kamen die Tiere in das neue Aquarium am Zoo. Anstelle des alten Vorderhauses hatte C. Gause 1890 das ,Hotel Minerva' errichtet. Zur gleichen Zeit schuf Wilhelm Walther anstelle des — 1820 der Frau v. Salviati gehörenden — Nachbarhauses Nr. 69 das Wohn- und Geschäftshaus des Dr. Freund. Bald nach der Stadterweiterung von 1734 entstanden die Häuser Nr. 70 und 71. Ersteres, 1820 im Besitz des Geh.-Leg.-Rates v. Gaulthier, war in einem Umbau des Jahres 1877 erhalten. Ebenso, mit leicht veränderter Fassade, einem Erker statt des Balkons und Läden im Erdgeschoß, auch Nr. 71. Es gehörte dem Rentier Benjamin du Titre, dem Schwager der stadtbekannten Madame du Titre. Der Philosoph F. W. J. v. Schelling wohnte hier von 1843 bis zu seinem Tode 1854. Anstelle dieser Häuser ist 1964 der Neubau der Außenhandelsgesellschaft .Wiratex' (neue Nr. 62—68) fertiggestellt worden. Hieran anschließend entstehen zur Zeit ein Botschaftsgebäude mit noch unbekannter Bestimmung, und bis zur Ecke der Neuen Wilhelmstraße (jetzt Otto-Grotewohl-Straße) die Ungarische Botschaft. Die Lindenrolle zeigt hier zwei Immediatbauten, Nr. 72, welches dem Stadtgerichts-Direktor Beelitz gehörte, und das besonders stattliche Haus Nr. 73 des Kriegsrates Frentzel. Dessen Mieter war der Englische Gesandte, Baron v. Rose; auch die Büros der Gesandtschaft befanden sich hier. Nachdem der Staat im Jahre 1840 bereits Nr. 73 als Dienstgebäude für das Innenministerium erworben hatte, wurde unter Einbeziehung von Nr. 72, in den Jahren 1873—76 als Umbau der alten Häuser von Reg.-Bmstr. Emmerich der charaktervolle Bau geschaffen, der als Ruine bis 1964 stand. Besonders gut ist auf der Lindenrolle die Front des Pontonhofes zu erkennen, dessen Mittelbau 1736 entstand. Es ist wahrscheinlich die erste und letzte vollständige Abbildung des Gebäudes, denn 1822 wurde an seiner Stelle nach Schinkels Entwurf die Artillerie- und Ingenieurschule erbaut. Das angrenzende barocke Wohnhaus Nr. 75 besaß der Generalmajor v. Schwerin. Wir kennen hier das 1905 von Messel erbaute Haus der Kunsthandlung Schulte. Das Haus Nr. 76, das die Lindenrolle noch zeigt, war 1819 aus dem Besitz des Fürsten v. Schönburg vom Fiskus erworben worden, um für die geplante Verlange- 54 rung der Wiihelmstraße zum Schiffbauerdamm und zur Charite abgerissen zu werden. Zu dieser Zeit wohnte hier Achim v. Arnim zur Miete. 1821 erfolgte der Abbruch und 1822 war der von Schinkel entworfene Neubau durch den Besitzer, den Maurermeister Adler, fertiggestellt. Ein Saal überbrückte die neue Straße und verband die Bauteile rechts und links derselben. In den Jahren 1839—1854 war in diesem ,Adlerschen Saal' die Universitätsbibliothek untergebracht. Aus ,Verkehrsrücksichten' wurde das schöne Gebäude schon 1867 fast ganz abgerissen, nur die westliche Seite stand bis 1938. Im gleichen Jahr verschwand auch das schöne Wohnhaus Nr. 77, welches wir mit anderer Fassade auf der Lindenrolle im Besitz des Rentiers Hüot sehen. 1855 erhielt es durch Hahnemann sein letztbekanntes Aussehen. Es war 1938 im Besitz der IG-Farben, die den ganzen Häuserblock bis zur Dorotheenstraße zum Verwaltungsgebäude ausbauen wollte. Kernstück dazu war das Eckhaus U. d. Linden 78 am Pariser Platz, das Mebes 1922/23 für die Deutsche Länderbank umgebaut und aufgestockt hatte. Ursprünglich war es nach Graels Entwurf 1736 für den Konsistorial-Präsidenten v. Reichenbach erbaut worden. 1820 gehörte es der Witwe des Generals v. Saldern, die eine Tochter des Vorbesitzers v. Borck war. Ein Schilderhaus mit Wachtposten neben der Toreinfahrt verrät uns, daß hier der Generalleutnant v. Schlieffen, Direktor des Invaliden-Departements im Kriegsministerium, wohnte. 1836 erwarb es der Schwiegersohn der Madame du Titre, Bankier W. Gh. Benecke v. Gröditzberg. Er ließ das Barockpalais 1838 umbauen und aufstocken, so daß es in seinen Umrissen dem kurz vorher von Schinkel umgebauten Redernschen Palais angeglichen war. In dem großen Haus wohnten meist Angehörige des Hohen Adels zur Miete. Die Häuser der Nordseite des Pariser Platzes präsentieren sich 1820 noch wie zur Zeit ihrer Erbauung um 1735. Nr. 5 gehörte der Gräfin v. Hagen. Nicolai erwähnt in diesem Haus (1786, Bd. II, S. 786 und S. 841) die Bibliothek und Kunstsammlung des Vorbesitzers, des Kriegsrates Koppen. Als Mieter wohnte hier bis 1820 der erste preußische Kultusminister, Karl Freiherr v. Altenstein. (Hier, wie auch bei anderen Häusern, sind oft andere Eigentümer oder Mieter genannt, als bei der Erstveröffentlichung der Lindenrolle in den Mitteilungen des Vereins 1908. Das beruht darauf, daß die damaligen Verfasser ein späteres Adreßbuch für ihre Arbeit benutzten.) Nachdem Nr. 5 später im Besitz des Branntweinbrenners Möwes und 1853 des Kommerzienrates Carl war, erwarb es 1860 die Regierung Frankreichs als Botschaftsgebäude. Schon August Stüler hatte 1850 das Haus umgebaut, die Fassade modernisiert und statt der Freitreppe die Rampe vorgelegt. Ein französischer Architekt gab 1880 dem Haus bei einem erneuten Umbau dann das Aussehen, welches es bis zur Zerstörung hatte. Breit lagert sich mit seinen 19 Fenstern Front das Nachbarhaus Nr. 6, zu dem auch das Haus Nr. 7 neben dem Brandenburger Tor gehört. Das große Grundstück erstreckte sich nach Norden bis zur Spree und im Westen bis zur Stadtmauer. Der Berliner Stadtpräsident Adam v. Neuendorf hatte sich 1735 die Häuser erbauen lassen. 1759 richtete der Baumwollfabrikant Johann Georg Sieburg hier seine Weberei und Druckerei ein, die eine der führenden Manufakturen in Berlin wurde. Eine Tochter Sieburgs, die Witwe des Obersten v. Schölten, war 1820 Besitzerin der Häuser. 1842 erwarb diese, sowie Pariser Platz 1, der Stadtrat und Zimmermeister C. A. H . Sommer. Mögen auch spekulative Gründe für den Erwerb maßgebend 55 gewesen sein, so bleibt Sommer doch das Verdienst, die einheitliche Gestaltung des Pariser Platzes maßgeblich beeinflußt zu haben, indem er August Stüler mit dem Entwurf für die Neubauten und Umbauten der alten Häuser betraute. Durch die Parzellierung seines Grundstückes ermöglichte er auch die Durchlegung der Dorotheenstraße bis zur Stadtmauer, weshalb die Kasernenstraße 1859 den Namen Sommerstraße bekam. Nach Sommers Tod kam Pariser Platz 6 in den Besitz zweier Bankiers, bis es 1895 der ,Kohlenhändler' Fritz v. Friedländer-Fuld erwarb. Er teilte hiervon das Grundstück Nr. 5a ab, auf dem der Hofarchitekt v. Ihne in Durchbrechung der einheitlichen Platzwand einen protzigen Neubau errichtete. 1844 teilte Sommer von Nr. 6 das Haus Nr. 6a ab. Eine Gedenktafel erinnerte früher daran, daß Giacomo Meyerbeer von 1848—1862 hier (als Mieter) wohnte. Zu diesem Haus gehörte auch Sommerstraße 2, das Haus mit dem bekannten Turmaufbau, den Ihne bis 1917 bewohnte. Vom Haus Nr. 7 zeigt die Lindenrolle nur das Walmdach, welches das seitliche Wachtgebäude am Brandenburger Tor überragt. Aus dem Besitz Sommers, der es nach Stülers Entwurf 1846 umgebaut hatte, erwarb es der Kaufmann Louis Liebermann, der Vater des großen Malers. Max Liebermann schuf im Atelier auf dem Dach des Hauses viele seiner Meisterwerke. Das Brandenburger Tor, das sich an das Wachtgebäude anschließen müßte, ist nicht abgebildet. Es befand sich auf der Kapsel, in welche die Streifen hineingerollt wurden und bildet so den Mittelpunkt des Panoramas und den Abschluß unserer Betrachtung der Straße Unter den Linden im Jahre 1820. Bericht Die Geschichte der Astronomie in Berlin Die Geschichte der Astronomie in Berlin beginnt, wie der Direktor der Wilhelm-Foerster-Sternwarte in Berlin Dr. Brenske, in einem Vortrag in dem neuen Planetarium der Stadt Berlin am 22. Januar d. 1. ausführte, mit der Entsendung einer kurbrandenburgisdien Flotte im Jahre 1680 auf Befehl des Großen Kurfürsten nach der Küste von Guinea, um dort eine Kolonie anzulegen. Zwei Jahre später fuhr der Major Otto v. d. Groeben mit zwei Schiffen dorthin und erbaute das Fort Groß-Friedrichsburg. Um eine Navigation auf See durchzuführen, war die Kenntnis der Gestirne und ihrer Bewegungen unerläßlich und ein Unterricht in der Himmelskunde erwies sich als notwendig und stieß auf das Interesse weiterer Bevölkerungskreise. Während in anderen europäischen Städten längst Sternwarten errichtet waren, so in Paris 1671, Greenwich 1676, konnte in Berlin eine solche wegen der schlechten finanziellen Lage des preußischen Staates erst viel später eröffnet werden. Das größte Verdienst hieran hatte der Philosoph Leibniz, der bei seinen Plänen die Unterstützung des Kurfürsten Friedrich III., des späteren Königs Friedrich I., und der Königin Sophie-Charlotte fand. So wurde zugleich mit der Akademie der Wissenschaften eine Sternwarte am 11. Juni 1700 gegründet, aber erst am 19. Januar 1711 konnte dieselbe eröffnet werden; der bereits im Jahre 1700 zum ersten Direktor ernannte Gottfried Kirch war 1708 gestorben. Die Sternwarte war in einem turmartigen Gebäude untergebracht, das in der Dorotheenstraße etwa am Eingang der heutigen Universitätsbibliothek errichtet worden war. Kirch hatte trotz der großen örtlichen Schwierigkeiten wertvolle Arbeit geleistet. Eine Aufwärtsentwicklung erfuhr die Sternwarte, als 1772 Johann Eiert Bode (1747—1826) nach Berlin berufen wurde; er hatte den Auftrag, ein jährlich erscheinendes astronomisches Werk herauszugeben, das alle Himmelserscheinungen vorausberechnen sollte. Dieses Bodesche „Berliner Astronomische Jahrbuch" wurde für die Astronomen der ganzen Welt ein unentbehrliches Hilfsmittel. Seit 1776 gab Bode fünfzig 56 lahrgänge selbst heraus; seine Nachfolger setzten seine Arbeit bis 1960 fort. Trotz seiner hervorragenden Arbeiten wurde Bode erst 1787 zum Leiter der Sternwarte als Nachfolger Johann Bernoullis ernannt. 1825 trat er von seinem Amt zurück und wurde durch den damals schon bekannten Astronomen Franz Encke ersetzt. Dieser setzte mit Unterstützung Alexander von Humboldts den Bau eines neuen Observatoriums an der südlichen Friedrichstraße durch (Enckestraße). Das alte Haus in der Dorotheenstraße wurde später abgerissen und machte dem Bau der Staatsbibliothek Platz. Durch Enckes ausgezeichnete theoretische Arbeiten über viele Gebiete der Astronomie erlangte die Berliner Sternwarte ein hohes Ansehen in der ganzen Welt. Sein Mitarbeiter Galle entdeckte 1846 den Planeten Neptun. Zum Nachfolger Enckes wurde 1863 sein langjähriger Mitarbeiter Wilhelm Foerster ernannt, der mit Alexander von Humboldt zusammengearbeitet hatte und sich für eine Popularisierung der astronomischen Wissenschaft einsetzte; ihm zu Ehren trägt die jetzige Berliner Sternwarte den Namen „Wilhelm-Foerster-Sternwarte". Während seiner Amtszeit wurde das Observatorium von der Akademie der Wissenschaften verwaltungsgemäß abgetrennt und erhielt als „Königliche Sternwarte" den Status eines selbständigen Instituts. Da die atmosphärischen Störungen inmitten der wachsenden Großstadt einwandfreie Beobachtungen nicht mehr zuließen, wurde die Sternwarte 1913 unter ihrem Leiter Karl Hermann Struve nach Babelsberg bei Potsdam verlegt. Eine eigene Sternwarte gründete 1896 Archenhold, die durch das 21 Meter lange Fernrohr, das längste der Welt sowie durch dessen kuppellose Aufstellung bemerkenswert ist. Daneben bestand noch ein kleines astronomisches Observatorium der „Urania" auf dem Gelände des Ausstellungsparkes am Lehrter Bahnhof. Nach dem zweiten Weltkrieg gingen Liebhaber-Astronomen 1947 daran, aus Trümmern (Bamberg-Refraktor) eine neue Berliner Sternwarte aufzubauen, die später mit Unterstützung öffentlicher Mittel in die modernen Räume auf dem Insulaner in Schöneberg verlegt wurde und hier im Sinne Wilhelm Foersters als Volkssternwarte mit dem Ziel der Belehrung weiter Volkskreise tätig ist. Das später errichtete Planetarium am Fuß des Insulaners bildet nunmehr mit der Sternwarte eine zusammengehörige Einrichtung des Vereins „WilhelmFoerster-Sternwarte". Nach dem Vortag fanden durch den Vortragenden astronomische Vorführungen des Berliner Sternenhimmels in dem herrlichen Planetarium statt, die die Zuhörer begeisterten und einen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Hs. Buchbesprechungen Walter Kiaulehn, Berlin: Schicksal einer Weltstadt. Biederstein-Verlag, München—Berlin, 1959. gr. 8' 595 S. Gzln. D M 27,50. Das Buch fand bei seinem Erscheinen vor acht Jahren viel Beifall und Lob; und dies mit Recht. Hier hat der Autor, geborener Berliner, mit großer Liebe und Leidenschaft für seine Vaterschaft e<n Bild unserer Stadt entworfen, wie es eindrucksvoller und umfassender nicht gedacht werden kann. Vor unseren Augen entsteht das Berlin unserer Väter wieder mit seinen Schönheiten und Eigenheiten, mit seinen gesellschaftlichen Zuständen und seinen künstlerischen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Aber noch mehr; in zweiundzwanzig Kapiteln gibt der Verfasser einen Überblick über die Entwicklung und das Schicksal unserer Stadt, seinen Aufstieg seit der Reichsgründung im Jahre 1871 und seinen Niedergang im zweiten Weltkrieg. Man kann das Buch immer wieder empfehlen; seit seinem Erscheinen ist kein besseres mit ähnlichem Ziel erschienen. Es ist wert, daß man es immer wieder liest; sein Charme ist einzig, der Humor und die Lebhaftigkeit, mit denen es geschrieben ist, sind unübertrefflich. Kurz: eines der besten Berlin-Bücher, die je erschienen sind. Hs. Ineeborg Drewitz: Berliner Salons. Gesellschaft und Literatur zwischen Aufklärung und Industriezeitalter. Berlin: Haude u. Spenersche Verlagsbuchhandlung, 1965. 112 S. u. 8 Abb. (Berlinische Reminiszenzen 7) DM 9,80. Der Verfasserin ist in ihren wirkungsvollen Essays gelungen, die Entstehung der aus dem Geiste der Aufklärung geborenen literarischen Salons in Berlin als ein Vorspiel zur Emanzipation der Frau treffend und plastisch zu schildern. Dabei will sie im besonderen den „Aufbruch der Frau in der Neuzeit" an den markantesten Beispielen demonstrieren, an Henriette Herz und ihrem Freundeskreis sowie an Rahel Varnhagen von Ense. Ein Abschnitt ist dem 57 „Salon zwischen Reaktion und Revolution" gewidmet, in dem Frauen wie Fanny Lewald, Hedwig Olfers und vornehmlich Bettina von Arnim gewürdigt werden. Die Stadt Berlin war mit diesen literarischen Salons der Zeit weit voraus, zumal in den Provinzen noch die Männer in der Gesellschaft allein tonangebend waren. Das mit Bibliographie und Register versehene Buch, das die Atmosphäre der damaligen Zeitepoche gut widerspiegelt, kann bestens empfohlen werden. J. L. Ursula von K.-.rdorff: Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942 bis 1945, München: Biederstein Verlag, 1962. 342 S. DM 12,80. Mit diesem Zeitdokument hat die Verfasserin, Mitarbeiterin der „Deutschen Allgemeinen Zeitung", Enkelin des langjährigen Reichstagsabgeordneten und Vertrauten Bismarcks, Wilhelm von Kardorff, und Nichte des in der Weimarer Zeit bekannten Reichstagsabgeordneten Siegfried von Kardorff eine unschätzbar wertvolle historische Quelle zur Geschichte Berlins in der Nazizeit, insbesondere in den Schreckensjahren 1942 bis 1945 mit allen ihren Bedrückungen und Bedrohungen gegeben, aber auch zur deutschen Geschichte dieser Jahre schlechthin. Es sind Aufzeichnungen auf Grund von Tagebucheintragungen, Notizen in Taschenkalendern und Briefen, die bald nach Kriegsende von ihr zusammengefaßt und durch später Erfahrenes ergänzt worden sind und nüchtern und illusionslos wiedergegeben, die Erlebnisse in lebendiger und fesselnder Darstellung an uns vorüberziehen lassen. Ihr gesellschaftlicher Verkehr mit verschiedenen sozialen Schichten sowie die tiefe seelische Einfühlung in das Miterlebte erhöhen den Wert des Werkes. Zugleich ist es ein schönes ehrendes Denkmal für den in Berlin lebenden und verkehrenden preußischen Adel in seinem unerschrockenen und unermüdlichen Widerstandswillen gegen den Nationalsozialismus bis zur letzten Phase der preußischen Geschichte. Der Historiker kann Ursula von Kardorff für dieses Buch nur dankbar sein. J. L. Walter G. Oschilewski: Freie Volksbühne Berlin. Berlin: Strapp Verlag, 1965. 64 S. 48 Abbildungen ( = Berlin. Gestalt und Geist, Bd. 6) DM 7,80. Der verdienstvolle Verfasser bringt einen historischen Überblick über die Entwicklung der Freien Volksbühne Berlin, ihre Vorgeschichte und Entstehung, der Gründungsversammlung am 29.7. 1890 im Böhmischen Brauhaus in der Landsberger Allee und ihrer sozialen Funktion in der Gesellschaft. Man erfährt alle Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatte, ihre ersten Veranstaltungen im ehemaligen Ostend-, späteren Rose-Theater in der Großen Frankfurter Straße mit Ibsens „Stützen der Gesellschaft" und Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang" sowie die Periode der Spaltung in „Freie Volksbühne Berlin" und „Neue Freie Volksbühne". Das Hauptziel, ein eigenes Theater zuerlangen, führte zunächst zur Pachtung des Theaters in der Köpenicker Straße als „Neues Volkstheater". Um jedoch einen eigenen Theaterneubau zu erreichen, fanden sich die „Neue Freie Volksbühne" und die „Freie Volksbühne Berlin" nach 20jährigem Nebeneinander wieder zusammen in einem „Verband der Freien Volksbühnen". In der Volksbühne am Bülowplatz (jetzt Luxemburgplatz) entstand das damals größte und modernste Theater Berlins, das am 30. Dezember 1914 feierlich eingeweiht wurde. Im April 1920 kam es dann zur endgültigen Verschmelzung der beiden Vereine zur „Volksbühne E. V.", deren Generalsekretär Dr. Siegfried Nestriepke wurde. Die große Bedeutung Dr. Nestriepkes, der seitdem die führende Kraft bis zu seinem Tode geblieben ist, wird vom Verfasser gebührend gewürdigt. Sein Verdienst ist auch die Wiederbegründung der „Volksbühne" nach 1945 in den Westsektoren. Der Wunsch nach einer eige-en Spielstätte, nachdem die in Ostberlin gelegene, durch Bomben teilweise zerstörte Volksbühne am Bülowplatz nicht mehr in Fraee kam, führte zunächst zur Übernahme des Theaters am Kurfürstendamm im September 1949, bis schließlich 1963 der von Dr. Nestriepke propagierte Theaterneubau in der Schaperstraße mit 1047 Plätzen realis : ert werden konnte, das heute zu den schönsten Berliner Theatern gehört. J. L. Willi Finper-Hain: Gräber unserer Großen in Berlin. Christian Wolff Verlag Flensburg, 1965. 180S./4 mit 154 Bildern. Gzln. DM 28,—. Die umfanereiche Literatur über Berliner Grabstätten wird durch den hervorragend ausgestatteten Bildband in wertvoller We'se ergänzt und bereichert. In alphabetischer Reihenfolge werden die Bildnisse und Grabdenkmäler bedeutender Männer Berlins unter Beigabe einer kurzen Biographie und des Namenszuges dargestellt, wobei die verschiedensten Friedhöfe Berlins, auch die im Ostsektor gelegenen, berücksichtigt werden. Die Reihe der Darstellungen erstreckt sich vom 18. Jahrhundert bis in die neuste Zeit und umfaßt alle Berufe. So finden wir, um nur einise herauszugreifen, die Grabmale von Brecht, Chamisso, Chodowiecki, Fichte, Fontane, Wilhelm und Jacob Grimm, E. T. A. Hoffmann, Hufeland, die Gebrüder Humboldt, Kleist, Kugler, Heinrich Mann, Moses Mendelssohn, 58 Menzel, Mommsen, Ranke, Rathenau, Ernst Reuter, Schadow, Sdünkel, Stresemann, Virchow, sämtlich Berliner, die in der Entwicklung unserer Stadt, in ihrem gesellschaftlichen und geistigen Leben eine bedeutende Rolle gespielt haben; sie ziehen an unserem Auge vorüber und geben Zeugnis von der Größe und Bedeutung unserer Stadt. Ein Buch der Erinnerung und des Nachdenkens liegt vor uns, wie es würdiger und einprägsamer nicht gedacht sein kann. Hs. Walter Krumholz: Berlin-ABC unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Richard Höpfner u. a. herausgegeben im Auftrage des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, 1965. 586 S. Ein derart inhaltsreiches, sorgfältig bearbeitetes Nachschlage- und Auskunftsbuch für Berlin fehlte schon lange; es ähnelt nach Inhalt und Aufmachung dem 1806 erschienenen „Lexicon von Berlin und der umliegenden Gegend" von Joh. Christian Gädicke, in welchem man ebenfalls „alles Merkwürdige und Wissenswerthe von dieser Königsstadt und deren Gegend" finden konnte. Aber wie sehr hat sich Berlin seit dieser Zeit verändert. Umfang und Aufgaben der Stadt sind unermeßlich gewachsen und ein einzelner findet sich ohne Hilfe in der Vielheit Berlins nicht zurecht. In dem „Berlin-ABC" findet er eine wirkliche Hilfe und zuverlässige Stütze, was auch immer er wissen will. Das Buch ist schlechthin unerschöpflich und darum besonders wertvoll. Der Herausgeber erbittet Kritik und Ergänzungen, und wir werden ihn darin gern freudig unterstützen. Hs. Paul Otwin Rave: Kunst in Berlin. Betrachtungen aus drei Jahrzehnten. Staneck Verlag Berlin, 1963. 200 S., 16 Taf. Gzln. DM 12,80. Der bekannte, vor wenigen Jahren verstorbene Kunsthistoriker Paul Ortwin Rave, ein gebürtiger Rheinländer, der als junger Doktor der Kunstgeschichte von Ludwig Justi an die Nationalgalerie in Berlin geholt worden war, hat sich in der Stadt an der Spree schneller als geahnt heimisch gefühlt und ihrer bildenden Kunst und Architektur bald den überwiegenden Teil seines Schaffens gewidmet. Durch seine Tätigkeit an der Nationalgalerie lagen seine Hauptinteressen selbstverständlich im 19. Jahrhundert, doch hat er sich auch mit einzelnen großen Gestalten weiter zurückliegender Epochen befaßt. So reicht denn auch die Thematik der in dem vorliegenden Bande vereinigten Aufsätze und Vorträge zeitlich von Andreas Schlüter, dem genialen Baumeister und Bildhauer des Barock, über die bedeutendsten Künstler oder für die Kunst wesentlichen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts bis zu van Gogh und Munch. Dann Rave hat unter Justi auch die großen der Kunst des 20. Jahrhunderts gewidmeten Ausstellungen im Kronprinzenpalais mitgestaltet, jener Neuen Abteilung der Nationalgalerie, die durch die Aktion „Entartete Kunst" nach der gewaltsamen Entfernung ihrer besten Werke stillgelegt wurde. Seine umfangreicheren Forschungen und kunstschriftstellerischen Werke widmete Rave vorwiegend den Großen der klassisch-romantischen Epoche, allen voran Schinkel, Blechen und Wilhelm von Humboldt. Damit legte er zugleich das solide Fundament für seine vielen kleineren Arbeiten. Auch seine kürzeren Aufsätze und Vonräge sind deshalb fast jedesmal ein Konzentrat der Veranschaulichung vielfältiger kultureller Verwobenheiten und Wechselbeziehungen; mit flüssiger Feder, oft sogar in poetischer Überhöhung abgefaßt, vermitteln sie, ohne jemals lehrhaft zu wirken, stets so etwas wie ein geistesgeschichtliches Panorama einer bestimmten Zeit, auch dort noch, wo Einzelbiographien, künstlerische Teilgebiete oder gar nur einzelne Kunstwerke Anlaß zu wertender Betrachtung und feinsinniger Deurung waren. Alle Kenner und Liebhaber berlinischer Kunst und Geschichte werden daher auch diese Aufsätze Raves, denen ein Lebensbericht über den Autor von dessen langjährigem Freund Alfred Hentzen, dem heutigen Direktor der Hamburger Kunsthalle angefügt ist, mit Gewinn lesen. I. W. Georg Zivier: Das Romanische Cafe. Berlinische Reminiszenzen 9. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1965. 102 Seiten mit 11 Abbildungen. Pbd. DM 9,80. Das Romanische Cafe war in dem Berlin der zwanziger Jahre der Mittelpunkt des geistigen Berlins rund um die Gedächtniskirche, wo sich alle die vielen Dichter, Künstler, Maler, Musiker, Journalisten und Filmleute zu lebhafter Unterhaltung und regem Gedankenaustausch trafen. Georg Zivier gehörte zu ihnen und schildert spannend und humorvoll das Leben und Treiben in diesem berühmtesten Cafe Berlins und weckt damit die Erinnerung an eine von dem damaligen Berlin nicht fortzudenkende Stätte des kulturellen Lebens. In der Schilderung des eigenen Erlebens, das uns packt und mitreißt, liegt der Wert des kleinen Buches. Das Romanische Cafe ist in dem neu.n Europazentrum wiederentstanden, aber ob dieses neue Cafe die gleiche Bedeutung für Berlin erlangen wird, wie das alte, bleibt zweifelhaft. Hs. 59 Kleine Mitteilungen Unsere Bibliothek wurde gegen Ende des Jahres 1965 neu aufgestellt. Während bisher die vorhandenen Bände nach dem Eingang fortlaufend in die Regale gestellt wurden, erfolgt jetzt die Aufstellung nach Sachgebieten unseres systematischen Kataloges. Eine Katalogübersicht sowie eine genaue Beschilderung der Regale erleichtern den Benutzern wesentlich das Auffinden der gesuchten Bände. Die Bibliothek im Ernst-Reuter-Haus Zimmer 147 ist wie bisher geöffnet Freitags von 16—19 Uhr. Personalien Am 8. Februar 1966 ist unser Mitglied, Superintendent i. R. Dr. phil. Carl Nagel im 77. Lebensjahr plötzlich verschieden. Wir verloren mit ihm ein sehr verdienstvolles, treues Mitglied; er wird durch seine wissenschaftlichen Aufsätze, durch seine Vorträge und Ansprachen allen Mitgliedern in ehrender Erinnerung bleiben. Am 13. Mai 1966 begeht unser Ehrenmitglied, Herr Prof. Dr. Johannes Schultze, in BerlinDahlem in voller Frische seinen 85. Geburtstag. Wir wünschen dem Jubilar noch viele Jahre in Gesundheit und Wohlergehen. Nächste Veranstaltungen 1. Am Dienstag, dem 26. April 1966 um 19 Uhr, findet im Ratskeller Schöneberg die ordentliche Mitgliederversammlung statt. Einladungen sind gesondert ergangen; jedes Mitglied müßte sich verpflichtet fühlen, an dieser wichtigen Veranstaltung teilzunehmen. 2. Am Donnerstag, dem 12. Mai 1966, findet um 14 Uhr eine Besichtigung der Gipsformerei der Staatlichen Museen in Charlottenburg, Sophie-Charlotte-Straße 17 bis 18 statt. Treffpunkt vor dem Eingang des Hauses. 3. Am Dienstag, dem 24. Mai 1966 um 19.30 Uhr, spricht im Vortragssaal 139 des Rathauses Schöneberg Frau Dr. Ingeborg Drewitz über „Berlins literarische Salons" . 4. Am Dienstag, dem 14. Juni 1966 um 19.30 Uhr, hält im Vortragssaal 139 des Rathauses Schöneberg Herr Bruno Stephan, Leiter des Heimatarchivs des Verw.Bezirks Wedding, einen Vortrag mit Lichtbildern über „Blick in die Geschichte und Zukunft des Bezirks Wedding". 5. Für den diesjährigen Sommerausflug mit Besuch historischer Stätten im Juli oder August dieses Jahres ergehen besondere Einladungen. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. RafebibHcrthek MITTEILUNG'EKT DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 5 1. Juli 1966 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90 Schriftführer: Dir. i.R. K.BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Magistratsrat W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charlottenburg), Gotha-Allee 28, Ruf: 94 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 Unbekannte Darstellungen aus dem alten Berliner Rathaus kurz vor dessen Abbruch Dr. P. F. C. Wille „So sehr man auch die Verdienste anerkennen muß, welche sich unsere Altvorderen um das Wohl der Stadt erwarben, so könnte man doch fast mit ihnen rechten, daß sie es versäumten, die geschichtlichen Tatsachen ihrer Zeit für die Nachkommen aufzuzeichnen. Sie dachten in ihrem nur den praktischen Interessen ihrer Zeit sich zuneigendem Sinne nicht daran, daß die Geschichte die beste Lehrmeisterin noch für die fernsten Geschlechter und ihre Aufbewahrung daher eine durch die Nothwendigkeit gebotene Pflicht sei."1) Diese beherzigenswerten Worte, mit welchen Berlins damaliger Oberbürgermeister Krausnick im Jahre 1861 seine Denkschrift zur Grundsteinlegung für das neue Rathaus in der Königstraße einleitete, haben offenbar das Interesse an der Geschichte und Tradition einer zum Selbstbewußtsein erwachten großen Stadt erneut geweckt und vielleicht auch indirekt einen Einfluß auf die Gründung unseres Vereins (1865) gehabt. Dieser Mahnung sollten wir uns erinnern, denn sie hat trotz der dazwischen liegenden hundert Jahre nichts an Aktualität für unsere Zeit verloren. Es kann indessen nicht allein unsere Aufgabe sein, die auf uns gekommene geschichtliche Tradition unserer Stadt zu pflegen und durch Wort und Schrift an eine jüngere Generation weiterzugeben, sondern wir sollten darüber hinaus bemüht sein, verschüttete, aber noch erkennbare Quellen unserer Geschichtsforschung freizulegen und bisher unbekannt Gebliebenes der Allgemeinheit zugänglich zu machen. In der erwähnten Denkschrift wird der Versuch unternommen, die geschichtliche Entwicklung des alten Berliner Rathauses, soweit das nachträglich noch möglich war, nachzuzeichnen. Dieser Bau, dessen Beginn um 1270 anzusetzen ist2), lag genau an der Grenze zwischen der alten und der neuen Stadt im Winkel, den die Spandauerund die Oderbergerstraße (später Königstraße) bildete. A 20377 F Die in der genannten Schrift mitgeteilten bau- und kunstgeschichtlichen Notizen beruhen auf eingehenden Untersuchungen, welche der damalige Berliner Baumeister Adler an den noch vorhandenen Überresten des alten Rathauses vorgenommen hat. 8 ) Dieser Bau ließ nach einer genauen bautechnischen Prüfung der Fundamente zwei Teile erkennen, nämlich den fast quadratischen Vorbau in der Spandauerstraße und einen oblongen größeren Bau dahinter. In diesem Vorbau, zweifellos dem interessantesten Teil des alten Hauses, befand sich die bekannte Gerichtslaube (lobium). In ihr sind Reste altgotischer Baukunst, welche noch ältere romanische Bauformen erkennen lassen, enthalten. Indessen ist dieser merkwürdige Bau des öfteren in der berlinischen Literatur besprochen und dargestellt worden, so daß hier auf diese verwiesen werden kann. 4 ) Nach dem Brande im Jahre 1380 wurde ein „Seigerthurm" (Uhrturm), welcher die Schöffenlaube nach Norden abschloß, errichtet und gleichzeitig „ein bedeutender Flur- und Saalbau" an der Hinterfront des Hauses angebaut. Krausnick fährt fort: „Doch ist von dieser stattlichen Bauanlage jetzt nichts mehr mit Sicherheit zu erkennen als die Hälfte der ausgedehnten Kelleranlage nach dem Hofe zu und die lange Frontmauer unmittelbar darüber. An dieser Frontmauer, welche in Backsteinen großen Formats erbaut worden ist, zeigen sich wiederkehrend einfache spitzbogige Blendarkaden ohne weitere Kunstformen, welche der einzige Schmuck des Erdgeschosses gewesen zu sein scheint. Von Fenster- oder Thürformen, die ein spezielles Urtheil über Werth und Eigenthümlichkeit dieses Baues verstatten würden, hat sich nichts vorgefunden. Dagegen lassen die Gewölbe des weitgedehnten Kellergeschosses, welche auf viereckigen Pfeilern ruhen, bei aller Schlichtheit der Anlage, durch ihre sehr derben Diagonalrippen in abgeflachten Rundprofilen, deutliche eine Ausführung erkennen, welche nur dem Schlüsse des 14. Jahrhunderts angehören kann". 5 ) Auch von den Kellergewölben der noch älteren Teile des Rathauses, also der Gerichtslaube und des oblongen Baues dahinter, liegt uns — offenbar durch Adler — eine eingehende Beschreibung vor: „Unter beiden Teilen befindet sich eine geräumige, trefflich überwölbte Kelleranlage von 12 Jochen, welche unter dem Vorbau mit sehr starken Pfeilern und schmalen, gangartigen Nischen beendet ist. Die schweren, spitzbogigen Kreuzgewölbe ruhen auf Gurtbogen und Rippen von gleichem Profile, welches theils viereckig theils abgeschrägt ist. Die Gewölbe sind nach dem Scheitel hin gestochen, besitzen aber keine Schlußsteine und ihre Kappen sind ohne Busen emporgewölbt." 6 ) Das verwendete Baumaterial bestand aus Backsteinen mittelgroßen Formats ähnlich denen an den ältesten Teilen der Klosterkirche. N u r die an der Spandauerstraße belegenen Kellerpfeiler waren auf behauenen Granitquadern fundamentiert. Es bleibt hierbei die Frage offen, ob diese großartigen Kellerräume gleich ursprünglich, wie später, zur Trinkstube der Stadt, oder zu welchen anderen Zwecken noch gedient haben könnten. In der genannten Denkschrift werden auch Abbildungen aus dem alten Rathaus gebracht, darunter eine Gesamtansicht nach einem Stich vom Anfang des 18. Jahrhunderts 7 ), ferner maßgerechte Grundrisse der verschiedenen Bau-Epochen und eine Lithographie von der Gerichtslaube und dem Ratsstuhl mit interessanten Detailzeichnungen. 8 ) Freilich war das Rathaus, welches weniger der Repraesentation als der Verwaltungsarbeit diente, arm an kunstgeschichtlich eindrucksvollen Blickpunkten. Trotzdem vermissen wir es sehr, daß uns keine Ansichten von den Innenräumen des Gebäudes bekannt geworden sind. Eine Ausnahme hiervon macht lediglich die Gerichtslaube, welche 62 V f. Gang im Erdgeschoß. Kreuzgewölbe mit seitlichen spitzbogigen Blendarkaden. (Nach einer Orig.-Zeichnung von F. W. Kloß aus der Slg. des Verf.) h., Erdgeschoß. Tonnengewölbe mit Seitenstidikappen. (Nach einer Orig.-Zeichnung von F. W. Kloß aus der Slg. des Verf.) offenbar das Malerauge mehr gereizt hat. Carl Graeb9), der liebenswerte Architekturmaler Berlins aus der Biedermeierzeit, hat „den alten Ratsstuhl" und „den alten Schöffenstuhl" — also die untere und obere Etage der alten Gerichtslaube — gemalt. Beide Gemälde befanden sich früher im Besitz der Stadt Berlin.10) Ob sie erhalten geblieben sind, vermag ich nicht zu sagen. Ein Zeitgenosse von Graeb, F. W. Kloß, ist nun derjenige, von dessen Zeichnungen im folgenden die Rede sein soll. Dieser Maler hat uns eine Reihe von Aquarellen und Skizzen aus dem alten Berlin hinterlassen, von denen Bogdan Krieger in seinem schönen Buch „Berlin im Wandel der Zeiten" zwei Ansichten und zwar vom Akademiegebäude mit der Sternwarte und vom Lustgarten mit dem alten Dom und dem Schloß im Farbdruck erhalten hat. 11 ) Einige Skizzenbücher von Kloß mit bisher unbekannt gebliebenen Zeichnungen sind nach dem Ersten Weltkrieg auf Kunstauktionen angeboten worden. Eines dieser Zeichenhefte konnte ich ca. 1925 erwerben. Darin befinden sich etwa 40 bisher nicht veröffentlichte Ansichten von Berlin und seiner Umgebung. Unter diesen sind drei Skizzen, welche uns einen Einblick in das Innere des alten Rathauses erlauben. Ein Irrtum über die Topographie ist durch die ausdrückliche Bezeichnung des Künstlers: „Im alten Rathaus (Berlin)" ausgeschaltet. Der Augenschein lehrt weiter, daß es sich bei allen Bildern um Baulichkeiten aus dem Erdgeschoß handelt. Die bautechnische Beschreibung des Keller- und Erdgeschosses, welche die Denkschrift bringt, habe ich deshalb ausführlich zitiert, weil sie die Möglichkeit bietet, hiernach die Kloß'schen Skizzen sicherer deuten zu können. Indessen scheint diese Gegebenheit nur für die erste Abbildung zu passen, wo von einer Frontmauer mit sich wiederkehrenden 63 einfachen, spitzbogigen Blendarkaden die Rede ist. Wir sehen auf diesem Bild in einen langen Gang, der offenbar durch ein Tor in eine Straße mit Blickrichtung auf ein gegenüberliegendes Haus mündet. Dieser Gang wird nach oben durch ein Kreuzgewölbe, welches auf hohen Konsolen ruht, abgeschlossen. Die einzelnen Joche sind durch je einen Rundbogen unterbrochen. Der letzte Bogen ist im Oberteil durch eine senkrechte Wand abgeschlossen, so daß hier eine hohe viereckige Tür eingefügt werden konnte. Rechts und links an den Seitenwänden sehen wir die oben erwähnten langen Frontmauern mit den spitzbogigen, sich wiederkehrenden, sonst schmucklosen Blendarkaden, deren Anlage nach Adler gegen Ende des 14. Jahrhunderts anzusetzen ist. Eine andere Baukonstruktion zeigt die zweite Abbildung. Hier finden wir statt des Kreuzgewölbes ein Tonnengewölbe. Der Gang ist offenbar breiter oder er wirkt jedenfalls so. Die seitlichen Frontmauern sind völlig glatt. Durch einschneidende Seitenstichkappen werden die einzelnen Joche abgegrenzt. Das Architekturbild wird auf diese Weise aufgelockert. Die Scheitelpunkte der Gewölbebogen sind durch einen Mittelstein markiert. Der Gang, welcher auf eine Straße oder einen Hof führt, ist nicht bis zum Ende gewölbt, sondern hier durch eine waagerechte, offenbar kassettierte Decke (?) abgeschlossen. Eine breite viereckige Tür führt ins Freie. Die dritte Skizze erinnert durch das Kreuzgewölbe an die erste Abbildung, doch fehlen hier die Blendarkaden. Konsolsteine, auf denen das Gewölbe ruht, sind nicht erkennbar. Der dargestellte Gang wird auch hier von hohen Frontmauern seitlich begrenzt. In der Mitte ist er durch einen schmalen Hof, der einen Lichteinfall gestattet, unterbrochen. Jenseits dieses Hofes setzt sich der durch einen Rundbogen begrenzte dunkle Gang fort. Eine vom Gewölbe herabhängende Laterne wird wohl zur besseren Beleuchtung erforderlich gewesen sein. Von den sonst so gerne angebrachten schmückenden Schlußsteinen an den Kreuzgewölben ist auf unserer Zeichnung nichts zu erkennen. Auch in den Kellergewölben der alten Gerichtslaube fehlten diese, wie wir von Adler wissen. Kloß hat die vorliegenden Zeichnungen, welche uns einen Einblick in Gebäudeteile erlauben, die noch aus dem 14. Jahrhundert stammen, anscheinend kurz vor dem Abbruch des alten Rathauses geschaffen. Wahrscheinlich hatte er nur zu diesem Erdgeschoß noch Zutritt. Die Kellergewölbe, welche keine Lichtöffnung hatten, waren von vornherein wegen fehlender Beleuchtung zeichnerisch nicht darstellbar. Berlin hatte bereits damals keinen großen Reichtum an alten Bauten. Um so bedauerlicher ist es, daß man nicht versucht hat, etwas von diesen Räumen zu erhalten. Hier zeigt sich, daß die eingangs zitierten Worte Krausnicks bei seinen Zeitgenossen doch nicht genügend Echo gefunden haben. Und doch hatten sich damals auch mahnende Stimmen erhoben in der Absicht, wenigstens die alte Gerichtslaube zu erhalten. Allerdings war dieses bauliche Kleinod aus dem 13. Jahrhundert durch häßliche Verkleidung und Vernachlässigung schon lange nicht mehr als solches erkennbar. So mag es zu klären sein, daß man nicht recht wußte, was man mit diesem Rest des zum größten Teil bereits abgerissenen Hauses anfangen sollte. Woltmann faßt in seiner 1872 erschienenen „Baugeschichte Berlins" die öffentliche Meinung der damaligen Zeit wohl ganz richtig zusammen, wenn er sagt:12) „Erst in neuester Zeit wurden in der Presse dankenswerthe Versuche gemacht, das Publikum 64 Durchgang im Erdgeschoß mit einfachem Kreuzgewölbe, durch einen Hof unterbrochen. (Nach einer Orig.-Zeichnung von F. W. Kloß aus der Slg. des Verf.) über den Werth der Gerichtslaube aufzuklären, ihm zu sagen, daß in dieser unansehnlichen K a p s e l . . . ein vollständig erhaltener Kern stecke, der künstlerisch wie geschichtlich merkwürdig sei. Die früheren Spitzbogenhallen sollten auf allen vier Seiten wieder geöffnet werden und so sollte die untere Halle nun als öffentlicher Durchgang bestehen. . . . Dann hätte Berlin eine solche offene Halle mit einem Mittelpfeiler gehabt, wie sie besonders in England gewöhnlich sind. . . . Gerade Berlin . . . hätte bei seiner Armuth an älteren Denkmälern sich freuen müssen, dieses Monument des Bürgerthums erhalten zu sehen." — Indessen war bereits zu diesem Zeitpunkt das älteste Gebäude Berlins der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Die Werksteine waren jedoch so sorgfältig bewahrt, daß ein Wiederaufbau, jedoch fern vom genius loci und völlig zweckentfremdet, im Park von Babelsberg später erfolgen konnte. Das ist nun beinahe hundert Jahre her! Hier drängt sich zum Schluß von selbst die Frage auf, warum eigentlich bisher niemand auf den Gedanken gekommen ist, nachdem Berlin weiter so schwere und unersetzliche Verluste an historischen Bauten hat hinnehmen müssen, die alte Gerichtslaube zurückzuholen und ihr den alten Platz wieder anzuweisen? ') (Krausnick): Das berliner Rathaus. Denkschrift zur Grundsteinlegung für das neue Rathaus am 11. Juni 1861, Bln. 1861 S. 1 — Sowohl Kuhn (Berlin Stadt und Land, Bln. 1953) als auch Zopf und Heinrich (Berlin-Bibliographie, Bln. 1965) nennen als Autor den Archivar Fidicin. Dieser ist aber weder auf dem Titelblatt noch im Text erwähnt. Dagegen unterzeichnet am Schluß im Namen des Magistrats der Oberbürgermeister Krausnick. s ) Wir wissen heute, daß ein noch älteres Rathaus sich einst am Molkenmarkt befunden hat. 65 3 ) Krausnick, 1. c. S. 2 Fußnote 2 4 5 ) Woltmann, Alfred: Die Baugeschichte Berlins bis auf die Gegenwart. Berlin, 1872, S. 19—23 u. Abb. 9. — Ferner: Berlin und seine Bauten, Berlin 1877, herausgegeben vom Architekten-Verein, S. 284 (mit Holzschnitt). — Borrmann: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin. Bln. 1893 S. 364—366. ) Krausnick 1. c. S. 8 6 7 ) I.e. S. 3 ) Lithographie von Loeillot nach einem Stich der ösfeld'schen Sammlung in der ehem. Kgl. Bibliothek Berlin vom Anfang des 18. Jahrhunderts. 8) 1. c. Tafel I—VII e ) Carl Graeb 1816—1884; vergl. Weiglin, Paul: Berliner Biedermeier, 2. Aufl. Bln. o. J. (1942) S. 74 10 ) nach handschriftlichen Notizen des Verf. H ) Krieger, Bogdan: Berlin im Wandel der Zeiten, Bln.-Grunewald o. J. (1923). Bildtafel vor dem Titel und nach S. 64, nach dem Original in der damaligen Schloßbibliothek Berlin. 12 ) Woltmann, I.e. S. 22/23 Berichte Feinen besonderen Höhepunkt unserer Sitzungen brachte am 29. März 1966 der Vortragsabend des bekannten Berliner Schriftstellers und Fontane-Preisträgers Hans Scholz, der aus einem Urmanuskript über Brandenburgische Geschichte wesentliche Teile zu Gehör brachte. Der Vortragende bot in anschaulicher und fesselnder Weise einen Universalüberblick über alle Epochen der Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Hauptstadt Berlin, vornehmlich in kultureller und politischer Hinsicht, von der Vorgeschichte ausgehend bis zu der heutigen schwierigen Situation in seltener Vollkommenheit und stilistisch wohlgefeilter Darstellung. J. L. Die Gl}'Sformerei der Staatl. Museen wurde am 12. Mai von zahlreichen, interessierten Mitgliedern besichtigt. Das nüchterne Gebäude in der Sophie-Charlotte-Straße in Charlottenburg ließ nicht ahnen, welche Fülle von wertvollen Gipsabdrücken es im Inneren barg. Die Zahl der vorhandenen Abgüsse von den kleinsten Elfenbeinarbeiten bis zum überlebensgroßen Reiter vom Magdeburger Marktplatz beträgt etwas 7 000, die durch naturgetreue Übermalung kaum von den Originalen zu unterscheiden sind. Die Abgüsse werden von den verschiedensten Standplätzen und Museen aller Länder durch besondere Beauftragte des Museums abgenommen und hier in Berlin-Charlottenburg fertiggestellt. Sie stellen nicht nur Verkaufsobjekte dar, sondern sehr begehrte Austellungsstücke, besonders wenn die Originale zerstört oder nicht mehr vorhanden sind. Das gegenwärtige Gebäude in der Sophie-Charlotte-Straße, das keine Kriegsschäden erlitten hat, wurde um 1890 errichtet und enthält nur unzureichende Lagerräume und Werkstätten; es wäre zu wünschen, daß es auch einmal einem Gebäude, das neuzeitlichen Ansprüchen entspricht, Platz machen würde. Hs. Die Jahreshauptversammlung des Vereins fand am Dienstag, dem 26. April 1966, im Ratskeller Schöneberg statt. Der Vorsitzende Professor Dr. Dr. Harms gedachte vor Eintritt in die Tagesordnung des Ablebens der seit dem Vorjahre verstorbenen Mitglieder, denen er heizliche Worte des Gedenkens widmete. Zu Ehren der Verstorbenen erhob sich die Versammlung von den Plätzen. Nach einigen Hinweisen des Vorsitzenden auf hervorragende Ereignisse des Geschäftsjahres 1965 gab der stellv. Schriftführer, Herr Borkenhagen, den Tätigkeitsbericht für das abgelaufene Jahr in Vertretung des am Erscheinen verhinderten Schriftführers. Das Vereinsjahr 1965 nahm als Jubiläumsjahr in der Geschichte des Vereins einen besonderen Platz ein. Der Verein konnte mit den Jubiläumsveranstaltungen ein eindrucksvolles Bild seiner hundertjährigen Arbeit und seiner Verbundenheit mit der wechselvollen Geschichte unserer Stadt vermitteln. Der Verlauf der Festsitzung am 30. Januar 1965 im Abgeordnetensaal 66 des Rathauses Schöneberg fand ebenso wie das ehrenvolle Grußwort des Herrn Bundespräsidenten großen Widerhall. Festsitzung und anschließender Empfang in der historischen Brandenburghalle erfreuten sich großer Beteiligung von Vertretern des öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens Berlins. Presse, Rundfunk und Fernsehen nahmen lebhaft Anteil an diesen Veranstaltungen. Am i.April 1965 führte der Verein im Einvernehmen mit dem Senat von Berlin eine Gedenkfeier anläßlich der 150jährigen Wiederkehr des Geburtstages Otto von Bismarcks in zwei Sälen der Kongreßhalle durch. Nahezu 500 Personen waren der Einladung gefolgt. Die Begrüßungsworte von Bürgermeister Albertz und die Festrede des Ordinarius für Geschichte an der Universität Bochum, Professor Dr. Rudolf Vierhaus, fanden weitgehende Beachtung. Über beide Veranstaltungen ist im Jahrbuch 1966 ausführlich berichtet worden. Der Berichterstatter behandelte sodann organisatorische Fragen der Vereinsarbeit, berichtete über die Mitgliederbewegung des Vereins im abgelaufenen Geschäftsjahr und verband hiermit eindringliche Worte, neue Mitglieder zu werben, um der Vereinsarbeit eine breitere Grundlage zu geben. An den Bericht schloß sich eine lebhafte Aussprache an. Herr Schulrat M ü l l e r schlug vor, die Beziehungen zu den Schulen Berlins enger zu gestalten und machte zu diesem Zweck verschiedene Vorschläge. Herr Prof. Dr. Dr. H o f f m a n n - Axthelm empfahl die Gründung einer Jugendgruppe und setzte sich für eine wirkungsvolle Werbung zu Gunsten des Vereins ein. Der Schatzmeister, Herr M ü g e 1 , erläuterte sodann den im Druck vorgelegten Kassenbericht und hob hervor, daß der Preis für die noch vohandenen alten Jahrbücher auf DM 5,80, für die neuen Jahrbücher auf DM 7,80 festgesetzt worden ist. In Vertretung des verhinderten Kassenprüfers erstattete Herr B o r k e n h a g e n den schriftlich vorliegenden Prüfungsbericht. Herr Prof. Dr. Dr. H o f f m a n n - Axthelm berichtete über die Bibliothek, in welcher ehrenamtlich Herr G r a v e , Frau K a e b e r und Frau L a h r tätig sind, denen der Vorsitzende für ihre Arbeit seinen besonderen Dank aussprach. Die Bibliothek, die neu aufgestellt wurde, habe im Berichtsjahr wertvolle Schenkungen erhalten, darunter eine solche von unserem Mitglied Frau Dr. G l ä s e r von 450 Büchern, darunter 150 Werken Berlin betreffend. Sodann berichtete der Vorsitzende kurz über den gegenwärtigen Stand des Berlin-Museums und die in Aussicht genommene Unterbringung unserer Bibliothek und unserer Geschäftsräume in dem Gebäude des alten Kammergerichts, der zukünftigen Heimstätte des Museums. Dem Vorstand wurde einstimmig Entlastung erteilt. Der Antrag des Vorstandes, den Mitgliedsbeitrag ab. 1. Januar 1967 auf DM 24,— jährlich zu erhöhen, wurde nach kurzer Aussprache mit einigen Gegenstimmen angenommen. Nach der Erledigung der Regularien erfolgte eine weitere Aussprache, in der Anregungen für die künftige Vereinsarbeit, Ausgestaltung der Mitteilungen u. a. m. gegeben wurden. Auf Vorschlag von Herrn Dr. K u t z s c h sollen künftig die Eingänge der Bibliothek in der Bibliographie des Jahrbuchs besonders gekennzeichnet werden. Mit Worten des Dankes für die rege Teilnahme schloß der Vorsitzende die gut besuchte Jahreshauptversammlung. F R k h Die Geschichte und Gegenwart des Bezirks Wedding behandelte in einem Lichtbilder-Vonrag der Leiter des Heimatarchivs des Bezirks Wedding Bruno S t e p h a n am 14. Juni 1966. Der Wedding hat eine bemerkenswerte Geschichte. Die erste Urkunde, die erhalten ist, wurde von dem Markgraf Johann I. im Jahre 1251 in Spandau ausgefertigt; Nonnen aus Spandau kauften eine Mühle an der Panke in dem Gebiet des Dorfes, welches Wedding geheißen hatte, aber nicht mehr vorhanden war. Später erhielten die Berliner von dem Markgrafen Otto V., dem Langen, im Jahre 1289 die Feldmark „up deme weddinge" in Oberlehnseigentum übertragen; es war eine wüste Feldmark mit einem Gutshof, einer Mühle, einer Kirche und einigen Bauernhäusern. 1601 entstand ein neuer Hof durch den Präsidenten des Geheimen Rates, Hieronymus Schlick, der den Hof auf Bitten des Kurfürsten diesem überließ; der Kurfürst schenkte darauf den Hof seiner zweiten Gemahlin, 67 Eleonora von Preußen. Nach ihr gelangte der Weddinghof in den Besitz ihrer Schwester Anna und deren Schwiegertochter Elisabeth-Charlotte von der Pfalz. Später wurde aus dem lehnsfreien Grundbesitz (allodium) eine Domäne, bis dieselbe 1766 als Erbzinsgut in den Besitz von Dr. Behm, dem Schöpfer des Bades Gesundbrunnen, gelangte. Als Bad und Heilquelle spielte der Gesundbrunnen für die Berliner viele Jahre lang eine bedeutsame Rolle. Mit der einsetzenden Bebauung hörte das ländliche Bild des Weddings allmählich auf; es entstanden die Hauptstraße, die Müllerstraße, eine Kirche, eine Schule und ein Friedhof, aus welchem nach Schinkels Entwürfen die Nazarethkirche hervorging. Bedeutungsvoll war der Bau der Stettiner Bahn und der Ringbahn. 1861 wurde der Wedding in Berlin eingemeindet; durch das Gesetz über die Bildung der Stadtgemeinde vom 1. April 1920 wurde der Verwaltungsbezirk Wedding, einer der volksreichsten Berlins, geschaffen. Heute ist dieser Bezirk eine Großstadt mit modernen Siedlungsbauten, Hochhäusern, Schulen, großen Krankenhäusern, mustergültigen Parkanlagen (Humboldthain, Volkspark Rehberge, Schillerpark), Industriebauten und Warenhäusern. Die modernste U-Bahn-Linie (Spichernstraße-Leopoldplatz) verbindet den Wedding mit der inneren Stadt. Trotzdem ist dieser sehenswerte Stadtteil vielen Berlinern unbekannt. Der Wedding entspricht nicht mehr seinem früheren ungünstigen Ruf; er schließt sich den arideren Verwaltungsbezirken ebenbürtig an. B. Harms Buchbesprechungen Alfred Schinz: Stadtschicksal und Städtebau. Georg Westermann Verlag Braunschweig, Berlin, Hamburg, München, Kiel, Darmstadt 1964. 264 Seiten mit 129 Karten, Plänen und Vogelschauen nach Zeichnungen des Verfassers. Lex.-Okt. Gzln. DM 39,—. Das hervorragend ausgestattete Werk ist das Ergebnis einer fünfzehnjährigen Erforschung der baulichen Entwicklung Berlins. Der Verfasser, Schüler von Scharoun und mehrere Jahre lang Leiter des Planungsamtes Wolfsburg, geht aus von dem Stadtgrundriß, den er auf Grund alter Karten für die Jahre 1400, 1650, 1688, 1712, 1786 und 1860 rekonstruiert und versucht, wie er sagt, „die städtebauliche Gestalt einer Stadt mit ihrem geschichtlichen Schicksal so in Beziehung zu setzen, daß daraus sowohl der Sinn dieser Gestalt, wie auch diese selbst als ein wesentlicher Bestandteil unseres eigenen, geschichtlich gewordnenen, heutigen Daseins erkennbar wird." Leider geht er dabei nicht auf die Quellen zurück, sondern stützt sich auf frühere Werke mit der gleichen Zielsetzung. Immerhin wird uns in drei großen Abschnitten, die Hansestadt, die Residenzstadt, die Stadtlandschaft, die städtebauliche Entwicklung Berlins von den Anfängen bis zur heute geteilten Stadt recht anschaulich vor Augen geführt, wobei die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Einflüsse auf die unumgänglich notwendigen Faktoren beschränkt bleiben. Aber dabei muß man vielen Behauptungen und Feststellungen die Anerkennung versagen, besonders was die Vor- und Frühgeschichte, so die Gründung der Schwesterstädte Berlin und Colin angeht. Über solche Fehler muß man bei der Gesamtbeurteilung des Werkes hinwegsehen und anerkennen, daß es nicht nur eine wertvolle Ergänzung früher erschienener Werke darstellt, sondern eine neuzeitliche, großzügige Darstellung der Entwicklung unserer Stadt bedeutet. Wenn bei einer evtl. zweiten Auflage die zahlreichen Irrtümer und falschen Auffassungen beseitigt werden, wird das Werk eine wertvolle und wichtige Bereicherung der baugeschichtlichen Literatur Berlins sein. B. H a r m s Manfred Stürzbecher: Berlins alte Apotheken. Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte Bd. 7. Verlag Bruno Hessling Berlin 1965. 87 Seiten mit 23 Abb. kart. DM 9,80. Mit großer Sachlichkeit und Gründlichkeit hat der Verf. alle Quellen durchforscht und alles Wissenswerte zusammengetragen, welches zu einer geschichtlichen Darstellung der Berliner Apotheken beitragen konnte. Das Ergebnis seiner Forschungen liegt in dem gut ausgestatteten Bändchen vor, das uns mit der geschichtlichen Entwicklung des Apothekenwesens in Berlin bekannt macht. Die Anfänge desselben sind nicht mit Sicherheit festzustellen, gehen aber auf das 15. Jahrhundert zurück, aus dem entsprechende Urkunden vorliegen. Dann ging die Entwicklung vorwärts und für das 16. Jahrhundert konnten mehrere Apotheken namhaft aufgezählt werden. Für das 17. Jahrhundert werden die Lebensbeschreibungen einiger Apotheker mitgeteilt, die vielfach sehr unternehmende H a n delsleute waren. Der Wandel des Apothekerstandes und der Ausbau der Apotheken, die 68 sich häufig zu industriellen Betrieben entwickelten, erfahren eine eingehende Darstellung. So erhalten wir einen ausgezeichneten Überblick über die Berliner Apothekengeschichte mit vielen wissenswerten Feststellungen, unterstützt durch anschauliche Abbildungen. B. H a r m s Adriaan von Müller: Berlins Urgeschichte. 55000 Jahre Mensch und Kultur im Berliner Raum. Verlag Bruno Hessling Berlin 1964. 64 Seiten mit 10 Rekonstruktionszeichnungen und 13 Zeichnungen im Text von Friedrich Dreyer-Tamura und 34 Abbildungen, kart. DM 9,80. Die reich bebilderte Schrift gibt als Einleitung einen Überblick über die archäologische Forschung in Berlin, die zunächst jede planmäßige Arbeit vermissen ließ. Erst in den letzten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Versäumte nachgeholt und fachliche Ausgrabungen betrieben. Es folgt dann eine Beschreibung der Berliner Fundstellen mit den zum Teil überraschenden Funden, die wichtige Schlüsse auf die Ureinwohner Berlins, ihre Lebensgewohnheiten und ihre Stammeszugehörigkeit zuließen. Ein erstaunlich reichhaltiges Material ist in dem kleinen Buch zusammengetragen und in sehr geschickter Weise erläutert. Die Literaturhinweise und ein Verzeichnis der Fundstellen am Schluß regen zu weiterem Studium an. B. H a r m s Herzogin Viktoria Luise: Ein Leben als Tochter des Kaisers. Göttinger Verlagsanstalt 1964. 381 Seiten mit 58 Illustrationen. Gzln. DM 24,—. Die Lebenserinnerungen der Herzogin Victoria Luise rufen bei allen alten Berlinern wehmütige Erinnerungen an das alte kaiserliche Berlin mit seinem Glanz und seinem Prunk, an schwere Zeiten des ersten Weltkrieges mit seinen Folgen und dann auch an die unheilvolle Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft hervor. Wir sehen die von allen geliebte Prinzessin in ihrem Elternhaus, und verfolgen ihren wechselvollen Lebensweg mit aufrichtiger Anteilnahme, ihre Heirat mit dem Weifenherzog Ernst August, ihr glückliches Familienleben in Gmunden und Braunschweig, die schwere Zeit während der Naziherrschaft. Gewiß, ihr Leben war nicht einfach und verlief nicht in ruhigen Bahnen. Auf Jahre des Glücks folgten solche des Unglücks, des schweren Kampfes ums Dasein. Aber immer nahm diese tapfere Frau den Kampf um die Erhaltung ihrerselbst und ihrer Familie mutig und verbissen auf und verdient deswegen unsere Hochachtung und Anerkennung. Besonders beeindruckt uns ihre Stellung zu ihrem Vater, an dem sie mit großer Liebe und Verehrung hing. Hier geben ihre Erinnerungen unter Benutzung von zahlreichen bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen vielfach ein neues Bild von dem oft geschmähten Kaiser. Die Erinnerungen, die mit großer Aufgeschlossenheit, und anerkennenswerter Offenheit geschrieben sind, werden mit Recht auf ein großes Interesse breiter Bevölkerungskreise stoßen; sie sind mehr als eine bloße Lebensbeschreibung; sie sind ein kulturgeschichtliches und weltpolitisches Dokument von hohem Wert und gehören zu den besten Autobiographien, die in unserer Zeit geschrieben worden sind. B. H a r m s Hermann Conrad: Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des Fridericianischen Staates. Berlin: Walter de Gruyter & C 1965, 28 Seiten. DM 7,20 (== Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 22). Der Verfasser, ordentlicher Professor der Rechte an der Universität Bonn, der dieses Thema vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 25. Juni 1965 behandelt hat, geht darin aus von den Anfängen der preußischen Rechtskodifikation unter der Regierung Friedrich Wilhelms I., auf dessen Veranlassung das 1620 verkündete, in den Jahren 1665 bis 1685 revidierte Landrecht des Herzogstums Preußen neu bearbeitet und 1721 als „Verbessertes Landrecht des Königsreich Preußen" neu verkündet wurde. Conrad zeigt in seinen Ausführungen, wie es zum „Allgemeinen Landrecht" von 1794 gekommen ist und welche Schwierigkeiten dabei zu überwinden waren. Unter Friedrich dem Großen wurde der Plan einer Kodifikation für den gesamten Bereich der preußischen Monarchie aufgenommen und der Großkanzler Samuel von Cocceji 1746 vom König mit der Justizreform und Gesetzeserneuerung betraut. Ohne jedoch die Arbeiten vollenden zu können, starb Cocceji, wodurch das Reformwerk ins Stocken geriet. Mit der Kabinetsorder Friedrichs des Großen vom 14. April 1780 beginnt dann die zweite Periode der Justiz- und Gesetzesreform, mit deren Durchführung der bisherige schlesische Justizminister, Großkanzler von Carmer beauftragt wurde, der Svarez aus Schlesien zur Mitarbeit berief, der nach einer Äußerung Savignys die Seele des Gesetzeswerkes gewesen ist. Vom Geist der Aufkläausgehend, wollte Friedrich der Große eine Vereinfachung der Gesetze, die dem gemeinen 69 Mann verständlich sein sollten, und das noch vorherrschende recipierte Römische Recht zurückgedrängt wissen. Nachdem 1781 eine Gesetzeskommisson eingesetzt war, begann man mit der Reform des Zivilprozeßrechts, das 1793 mit der „Revidierten Gerichts- und Prozeßordnung" abgeschlossen wurde, während das Strafprozeßrecht erst mit der Kriminalordnung von 1805 eine abschließende Regelung fand. Das von Carmer und Svarez bearbeitete Landrecht wurde dann durch Publikationspatent vom 20. 3. 1791 als „Allgemeines Gesetzbuch für die preußischen Staaten" mit Gesetzeskraft vom 1.6. 1792 zwar verkündet, jedoch wegen der zu aufgeklärten Haltung des Gesetzeswerkes von Friedrich Wilhelm II. am 18.4. 1792 suspendiert. Nach einer Umarbeitung der Anstoß erregenden Stellen gelang es Carmer und Svarez, den König dazu zu bewegen, am 5. 2. 1794 das Gesetzeswerk als „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten" mit Wirkung vom 1.6. 1794 neu zu verkünden. Als Grundgesetz des preußischen Staates war es während des ganzen 19. Jahrhunderts in Gültigkeit. J. Lachmann Fritz Moser: Die Amerika-Gedenkbibliothek Berlin. Entstehung, Gestalt und Wirken einer öffentlichen Zentralbibliothek. Wiesbaden: Verl. Otto Harrassowitz 1964. X, 161 S. m. mehreren Abb. sowie 8 S. Tafeln. Brosch. DM 36,— (Beitr. zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 13). Mit diesem den amerikanischen Freunden gewidmeten Buch gibt der Direktor der Amerika-Gedenkbibliothek eine ausführliche Darstellung der Entstehung dieser für Berlin so bedeutenden und unentbehrlich gewordenen Institution, der Gebäude und Einrichtung sowie der Bestände und ihrer Erschließung. Ein Kapitel ist der Benutzung gewidmet. Er geht aus von der Gründung der ersten öffentlichen Bücherei in Berlin im Jahre 1850 durch den Staatsminister und Historiker Friedrich von Raumer, der auf seiner AmerikaReise 1841 nachhaltige Eindrücke von den in den dortigen Staaten bereits weit verbreiteten public libraries empfangen hatte. Die ersten vier städtischen Volksbüchereien Deutschlands entstanden in Berlin, wie auch Berlin weiterhin mit seinen Volksbüchereien und Lesehallen zahlenmäßig an der Spitze der Entwicklung auf deutschem Boden liegt. Die 1901 von den Stadtverordneten beschlossene, 1907 eröffnete Berliner Stadtbibliothek sollte dem Bildungsbedürfnis der weitesten Volkskreise dienen und als Zentrale für die einzelnen Volksbibliotheken aufgebaut werden. Infolge der finanziellen Schwierigkeiten nach dem ersten Weltkriege und der hohen Benutzungsfrequenz, auch zu wissenschaftlichen Zwecken, wurde die Stadtbibliothek unter der Direktion von Gottlieb Fritz zu einem rein wissenschaftlichen Oberbau der Volksbüchereien umgewandelt. Nach dem zweiten Weltkriege und seinen katastrophalen Folgen für die Volksbüchereien wie für die wissenschaftlichen Bibliotheken ging man nach der Spaltung der Stadt zunächst nur an die Gründung einer „Wissenschaftlichen Zentralbibliothek" in Dahlem. Dr. Moser behandelt dann eingehend, wie es 1950 dank des amerikanischen Angebots des Hohen Kommissars Mc. Cloy, Berlin einen neuen kulturellen Mittelpunkt zu geben, und dank des Geschenks des amerikanischen Volkes möglich wurde, eine große public library für Berlin zu errichten. Nachdem man sich über die Grundstückswahl am Blücherplatz im Bezirk Kreuzberg einig war, konnte am 29.6. 1952 die Grundsteinlegung in Anwesenheit des amerikanischen Außenministers Dean Acheson erfolgen, der in seiner Rede das unantastbare Recht der Amerikaner auf ihr Verbleiben in Berlin bis zur völligen Gewißheit der gesicherten Freiheit der Stadt hervorhob. Zwei Jahre später, am 17. 9. 1954 fand dann die feierliche Einweihung der Bibliothek statt. Die „Wissenschaftliche Zentralbibliothek" war bereits im Mai des gleichen Jahres geschlossen worden, ihre Bestände gingen in die Bestände der Amerika-Gedenkbibliothek über. Seitdem ist diese zu einem beachtlichen und allseits beachteten Kulturzentrum Berlins geworden, das alle Gebiete des Bibliothekswesens umfaßt, der Geisteswissenschaften wie der Naturwissenschaften, der Technik, der Sozialwissenschaften, der Kunst, der Musik, der Diskothek, der Jugendschriften und Kinder-Abteilung sowie einer BerlinAbteilung. Dazu treten Sondersammlungen, als Leihgabe die Bücherei und Sammlung der „Landesgeschichtlichen Vereinigung der Mark Brandenburg e. V." ferner die bedeutende Heinrich von Kleist-Sammlung des bekannten Kleist-Forschers Dr. Minde-Pouet, die Willibald Alexis-Sammlung aus dem Nachlaß des Steglitzer Oberstudiendirektors Dr. Ewert sowie das Arno Holz-Archiv, das seine Entstehung dem einstigen Berliner Stadtamtmann Max Wagner verdankt. Die Freihandaufstellung spielte bei dem organisatorischen Aufbau der Bibliothek eine dominierende Rolle. Heute steht Berlin mit seinen Bibliotheks-Neubauten, Buchbeständen und Ausleihzahlen wieder an der Spitze der deutschen Großstädte. J. Lachmann 70 Ilja Mieck: Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806—1844. Veröffentlichungen Historischen Kommisson zu Berlin Bd. 20. Berlin 1965. 276 S. D M 38,—. der Aus einer Dissertation ging erheblich erweitert das jetzt unter die Ägide der Historischen Kommission erschienene Buch von I. Mieck „Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806—1844" hervor. Preußen war damals in Wirtschaft und Industrie gegenüber Westeuropa ein „unterentwickeltes Land". An den Namen des Vortrag. Rates im Finanzministerium, Beuth, knüpften sich die staatlichen Maßnahmen, die die Gewerbetreibenden in den Stand setzten sollten, sich in einer liberalen Wirtschaft zu behaupten. Es galt, sie konkurrenzfähig zu machen, ideell durch Erweckung privater Initiative und Erziehung zur Selbständigkeit, praktisch durch Mechanisierung der Fabriken. Beuth bediente sich der beratenden „Technischen Deputation für Gewerbe" für sein nationalpädagogisches Ziel, er sorgte für finanzielle Unterstützungen, Beschaffung von Maschinen, für Prämien und Preise, Werbung ausländischer Fachleute und anderes mehr. Viele der staatlichen Förderungsmaßnahmen tragen noch merkantilistisches Gepräge, ihre Praktizierung war aber die einzige für die Zukunft der preußischen Industrie Erfolg versprechende Möglichkeit. Auch die Preuß. Staatsbank (Seehandlung) stellte sich mit Beteiligungen, sogar Übernahmen auf eigene Rechnung, in den Dienst der neuen Gewerbeentfaltung. Sie verknüpfte freilich ihre eigenen Interessen damit, gewann, verlor und stieß um die Jahrhundertmitte alle Eigenbetriebe im Berliner Raum wieder ab. Auch hier waren merkantilistische und liberale Prinzipien Hand in Hand gegangen. Das letzte Kapitel des Buches befaßt sich mit den Widerständen der Fabrikanten gegen die staatliche Wirtschaftspolitik, die weniger der Gewerbefreiheit als dem Freihandel galten. Bedrohte Fabrikationszweige sicherte die Regierung durch Prohibitivzölle auf Zeit ab. Quellenmäßig bestens fundiert, umsomehr als Vf. die seltene Gelegenheit hatte, in der Ostzone lagernde Akten einzusehen, ist die Untersuchung vortrefflich aufgebaut und gut geschrieben. G. Kutzsch Erich Achterberg: Berliner Hochfinanz. Kaiser, Fürsten, Millionäre um 1900. Frankfurt/ Main: Fritz Knapp Verlag 1965. 240 Seiten mit 21 Bildern. Leinen: DM 29.80, Halbleder: DM 32,80. Die umfangreiche, gründliche Darstellung beginnt mit einem geschichtlichen Abriß der Berliner Börse. Ihre Grundsteinlegung erlebte die erste Berliner Börse im Jahre 1800 und ihre feierliche Einweihung am 5. August 1805. Betrug die Zahl der Korporations-Mitglieder im Jahre 1800 noch 906, war sie 1856 auf 1562 und bei der Grundsteinlegung der neuen Börse im Jahre 1861 auf 2050 mit 1610 Firmen gestiegen. Für diesen Zweck erwarb man das gegenüberliegende, alte Daniel Itzig'sche Grundstück an der Burgstraße 25 unter Hinzunahme des daneben liegenden Hauses Nr. 26 und der Grundstücke in der Neuen Friedrichstraße 51—54. Der Erbauer war Baurat Hitzig; prominente Bankiers wie der Geh. Kommerzienrat Eduard Conrad als Vorsitzender, David Hansemann und Alexander Mendelssohn gehörten der Baukommission an. Am 28. Sept. 1863 wurde das monumentale Haus eingeweiht und am 5. Oktober fand dann die erste Börsenversammlung darin statt. Der Verfasser läßt dann Essays über mehrere Persönlichkeiten folgen, die zur „Haute Finance" zählten. Bei den Angaben über das Vermögen derselben stützt sich Achterberg, selbst ein Berliner, hauptsächlich auf Rudolf Martins „Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre in Berlin", das 1913 erschien. Die privaten Einzelvermögen lagen damals nicht wesentlich über 40 Millionen Mark. Nur Kaiser Wilhelm II. schreibt Martin ein Vermögen von über 100 Millionen Mark zu. Besonders eingehend werden 8 prominente bedeutende Persönlichkeiten behandelt: der Inhaber der Firma „S. Bleichröder" in Berlin, Gerson von Bleicbröder, der Preußische Finanzminister und Geschäftsinhaber der „Disconto-Gesellschaft", Johannes von Miquel, der Mitbegründer der „Deutschen Bank", Hermann Wallich, der Spiritus rector der „Dresdner Bank", Eugen Gutmann, der ihre Transferierung nach Berlin veranlaßte, der Geschäftsinhaber der „Berliner Handelsgesellschaft" Carl Fürstenberg, der im In- und Ausland um die Jahrhundertwende am meisten bekannt gewordene Berliner Bankier, ferner der Präsident der A. E. G. Walther Rathenau, der als Außenminister der Weimarer Republik den Vertrag von Rapallo schloß, und das Vorstandsmitglied in der „Bank für Handel und Industrie" Bernhard Dernburg, der unter dem Kaiser Kolonialminister und nach 1918 Finanzminister gewesen ist, sowie schließlich das Vorstandmitglied der „Deutschen Bank", Karl Helfferich, der, Staatssekretär des Reichsschatzamtes sowie des Innern, sich um die Regelung des Geldwesens in den deutschen Kolonien sowie als Begründer der deutschen Rentenmark und der „Deutschen Rentenbank" 1923 zur Überwindung der Inflation große Verdienste erworben hat. — Literatur-, Namens- und Bildquellenverzeichnis beschließen das verdienstvolle Buch. J. Lachmann 71 Kleine Mitteilungen In unserer Bibliothek haben sich in den letzten Monaten jeweils am 3. Freitag nach dem Vortragsabend auch jüngere Mitglieder zu anregenden Gesprächen im Anschluß an die Bibliotheksbesuchzeit zusammengefunden. Wir würden uns freuen, wenn sich dieser Kreis künftig erweitern würde. Trotz lebhafter Proteste der Öffentlichkeit wurde der Abriß des bekannten Ermeler Hauses Breitestr. 11 beschlossen. Mit dem Abriß ist bereits begonnen worden. Was aus der schönen Treppe und den Ornamenten im Innern wird, ist noch ungewiß. Die Decke des großen Saales im ersten Stock soll in dem wiederherzurichtenden Schlößchen im Friedrichsfelder Park Verwendung finden. Das ebenfalls im 18. Jahrhundert erbaute NicolaiHaus, Brüderstraße 13, bleibt erhalten. Das Märkische Museum ist wegen baulicher Renovierung und Erweiterung z. Zt. geschlossen. Dem Museum wurde der Nachlaß von Heinrich Zille als Dauerleihgabe überwiesen. An dem Festakt anl. der 12. Jahreshauptversammlung des Bundes der Berliner und Freunde Berlins e. V. im Plenarsal des Berliner Abgeordnetenhauses am 21. Mai nahm als Vertreter unseres Vereins der Vorsitzende Prof. H a r m s teil. Nächste Veranstaltungen 1. Am Sonnabend, dem 20. August 1966, findet der diesjährige traditionelle Sommerausflug des Vereins nach Lübars und Umgebung statt. Abfahrt der Teilnehmer mit Sonderbussen der BVG (Reisebusse) von der Jebenstraße, Ecke Hardenbergstraße, gegenüber Bahnhof Zoo (Nordseite), um 14.15 Uhr. Die Busse stehen ab 14.00 Uhr zum Einsteigen bereit. Die Fahrt geht zunächst nach Lübars zur Besichtigung der Dorfkirche mit dem früheren Altar aus der Gertraudenkirche am Spittelmarkt; Vortrag und geschichtliche Erläuterungen durch unser Mitglied Horst Michael, Lehrer in Lübars. Weiterfahrt an den Tegeler See. Eintreffen um 16.30 Uhr im Restaurant „Seeterrassen Tegel", wo für uns Plätze im Saal der 1. Etage mit Aussicht auf den See reserviert sind. Gelegenheit zu Spaziergängen in den gepflegten Uferanlagen sowie zu kurzen Dampferrundfahrten auf dem Tegeler See. Rückfahrt der Busse zum Bhf. Zoo um 20.00 Uhr. Anmeldungen zur Teilnahme an der Busfahrt fernmündlich oder schriftlich ab 27. Juli bis spätestens 15. August 1966 an Frau Gertrud D o h t, Berlin 62 (Schöneberg), Grunewaldstraße 65, Tel. Nr. 71 15 60, erbeten. Die Teilnehmergebühr für Hin- und Rückfahrt beträgt DM 3,50; sie wird in den Reisebussen erhoben. Wir bitten um zahlreiche Beteiligung der Mitglieder und ihrer Familien; eingeführte Gäste sind herzlich willkommen. 2. Der Verein eröffnet das Vortrags- und Veranstaltungs-Programm für das Winterhalbjahr 1966/67 am Montag, dem 26. September um 15 Uhr mit einer Besichtigung der wiederhergestellten Räumlichkeiten des S&losses Charlottenburg und seiner Kunstschätze. Einführender Vortrag durch: Frau Dr. Margarete Kühn, Direktorin der staatl. Berliner Schlösser und Gärten. Treffpunkt gegen 15 Uhr vor dem Haupteingang des Schlosses Charlottenburg. Nach der Besichtigung Zusammensein im Cafe vor dem Schloß. 3. Während der Sommerpause des Monats Juli finden keine Vorträge und Veranstaltungen statt. Das Veranstaltungs-Programm für das Quartal OktoberDezember wird im Oktoberheft der „Mitteilungen" bekanntgegeben. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. Fachobt dar Berliner Stadtbiblioth*» MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 6 1. Oktober 1966 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90 Schriftführer: Dir. i.R. K.Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D.W.Mügel, 1 Berlinl9(Charlbg.),Gotha-Allee28,Ruf: 94 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 Berlinische Geschichtsforschung heute Dr. Gerhard Kutzsch In den jüngsten Jahren hat sich ein immer breiter gewordener Strom von Berlin-Literatur auf den Büchermarkt ergossen, verursacht und genährt durch das eigenartige Schicksal dieser Stadt in Kriegs- und Nachkriegszeiten: Zerstörung, Viermächtebesetzung, Spaltung, Mauerbau. Unversehens wurde Berlin nicht nur ein Brennpunkt deutschen Geschehens, es wurde der Mittelpunkt einer Weltkonstellation. Zahllose Bücher persönlicher Erinnerungen ihrer Verfasser, auch Bildbände, erschienen, von vergangenen Tagen schöner Ganzheit mehr oder weniger elegisch berichtend. Äußerlich wohl ein wenig inkommodiert, innerlich um so unbeschwerter, konnte man mit der Pferdedroschke vom Kupfergraben nach Charlottenburg rumpeln oder den Pfingstausflug von Rixdorf in die Wuhlheide machen. Politiker, Wissenschaftler und Journalisten sind die Autoren der andern großen Gruppe moderner Berlin-Literatur, zu der auch eine Reihe amerikanischer Publikationen gehört und die bemüht ist, die schwierige und an Spannungen reiche jüngste Vergangenheit und die Situation der Gegenwart transparent zu machen. Es wurden auch mehrere Quellenbände veröffentlicht, Dokumentationen, die wissenschaftlich-kritisch für immer festhalten, „wie es wirklich war". Die besagte Literatur der Erinnerungen tendiert ohnehin zum Belletristischen und auch ihre überquellende Fülle sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es um ernste wissenschaftlich-methodische Forschungsarbeit zur Geschichte der alten Hauptstadt von ihren Anfängen bis 1945 in West-Berlin zur Zeit nicht gut bestellt ist. Die Köpfe sind da, die etwas leisten wollen, es fehlen aber die Dokumente der Vergangenheit. Für Historiker in Ost-Berlin sieht die Lage aus Gründen, die sich der folgenden Darstellung entnehmen lassen, etwas günstiger aus. Berlin ist seit jeher mit schriftlichen Zeugnissen seiner Geschichte nicht allzu reich ausgestattet gewesen. Im ostelbischen Kolonialland 1237 gegründet, ist es eine verhältnismäßig junge Stadt, gemessen am Alter linkselbischer oder linksrheinischer Siedlungen. Die ältesten Urkunden der Stadt, sofern sie gesammelt worden sind, dürften beim großen Stadtbrand von 1380 verloren gegangen sein. „Nicht alle, aber A 20377 F die damals für wichtig gehaltenen Dokumente sind in das Berliner Stadtbuch vom Ende des 14. Jahrhunderts eingetragen worden. Die dort verzeichneten Originale haben bis in die jüngste Zeit sich im Stadtarchive befunden". 1 ) Dieser Codex*), eine Gesetz- und Urkundensammlung Berlins für die Zeit von 1272 bis 1489, während des 2. Weltkrieges nach dem Wallensteinschen Schloß ins böhmische Friedland ausgelagert, wurde 1955 an das Ost-Berliner Stadtarchiv zurückgegeben. Hatte die Sorge um das kostbare Objekt dieses sein Geschick in unseren Zeitläuften bedingt, so ist dessen Odyssee im 17. und 18. Jahrhundert gewiß eine Folge stadtbehördlicher Leichtfertigkeit gewesen. Die genauen Umstände sind unbekannt. Der Präsident des Qberappellationsgerichts, Herr v. Plotho, scheint es ausgeliehen und nicht zurückgegeben zu haben. Es wanderte über einen Händler in die Bibliothek des Kanzlers der Universität Halle und kam nach dessen Tode (1743) unter den Hammer. Im Jahre 1806 erstand es jedenfalls der Bremer Syndikus J. F. Gildemeister für wenig mehr als 2 Taler, 1812 die dortige Stadtbibliothek. Der Senat der Hansestadt schenkte das Buch dann 1836 der Stadt Berlin. Ähnlich erging es hundert älteren rathäuslichen Urkunden, die ein Gelehrter für private Arbeiten erhielt, von dessen Erben sie 1718 auf dem Wege über eine Versteigerung der preußische Staat für sein Geheimes Archiv erwarb. Das „Urkundenbuch zur Berlinischen Chronik", 1869 vom Verein für die Geschichte Berlins herausgegeben, das vollständig zu sein beansprucht, zählt ungefähr 200 Originalurkunden zum Besitz des Stadtarchivs; Clauswitz gibt im Verwaltungsbericht der Stadt 1882 bis 1888 die Zahl mit 300 an. Wo sind sie aber verblieben, wenn in einem Bericht über das Archiv von 1935 der Bestand mit nur noch etwa 50 vermerkt wird? Heute besitzt das Stadtarchiv im sowjetischen Sektor 57 Urkunden.') Ernst Kaeber (a. a. O., S. 24) zählt andere Verluste auf: so verschwanden im 18. Jahrhundert ein zweiteiliges Kopiar der Berliner Urkunden, 1716/17 angefertigt, und das Coellner Bürgerbuch 1612 bis 1688, das Küster für den IV. Teil seiner Berlin-Chronik 1769 noch benutzt hatte. Die Überlieferung der Zwillingsstadt Coelln, die 1709 mit Berlin vereinigt wurde, ist noch dürftiger als die Berlins, dessen Magistrat 1733 keine Unterlagen über seine „Schwester" besaß. Das Stadtbuch 1442, das Coellner Bürgerbuch 1508—16114), ein Lagerbuch von 1687 und Rechnungen aus dem 17. Jahrhundert sind immerhin auf uns gekommen (Stadtarchiv im sowjet. Sektor). In den Jahren 1484 und 1581 zerstörten Brände des Berliner Rathauses wiederum wertvolle historische Quellen. „Durch den letzteren sind vor allem Kämmereirechnungen vernichtet worden, wie wir aus einer aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammenden Aktennotiz erfahren" (Kaeber, a. a. O., S. 22). In Ost-Berlin befindet sich heute ein sehr lückenhafter Bestand an Amtsbüchern von etwa 20 lfd. Metern, beginnend in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts und bis in die Anfänge des 19. reichend (Lagerbücher, Zinsregister, Rechnungen, Kaufbriefe, Privilegien, Abschiede, Rats- und Gerichtsprotokolle). Aufs ganze gesehen ist das nicht viel für eine Stadt von der Bedeutung Berlins, auch wenn berücksichtigt wird, daß nach Angaben der Archivare im Ost-Sektor noch nicht alle Archivalien aus der Zeit vor 1809 erfaßt sind, da sich — wie man drüben dialektisch sagt — „die Fragen der Bestandsbildung und Bestandsabgrenzung im Prozeß der Klärung befinden".5) Kaeber (a. a. O., S. 19/20) erwähnt seinen und des Studienrats Dr. Jahn Plan einer Bearbei- 74 tung der 1567 einsetzenden Steuerlisten (Schoßregister) für ein Berliner Häuserbuch, den der 2. Weltkrieg zunichte machte. Auch die Schoßregister dürften jüngst verloren gegangen sein. Das Landesarchiv verfügt freilich für die Zeit von 1740 an über die Kataster der Berlinischen Feuersozietät, die die Besitzverhältnisse der Stadtgrundstücke nennen, deren baulichen Zustand u. a. m. beschreiben und als Häuserbuch benutzbar sind. Auf das „Zeitalter der Amtsbücher" folgt das der Akten. Aber statt Tiefe und Breite zu gewinnen, wird der Fluß des Schriftguts im Rathaus flacher und enger. Der absolute Staat beschneidet alte städtische Freiheiten, die „Kriegs- und Steuerkommissare" des Großen Kurfürsten treiben seit 1641 die Verbrauchssteuer der Akzise ein und nehmen die Polizeiaufsicht wahr, ohne damit jedoch Vorgesetzte des Magistrats zu sein. Bis zur großen Behördenreform von 1723 bestand zwischen dem Magistrat und dem Monarchen keine Zwischeninstanz. Friedrich Wilhelm I. ordnete die städtische Obrigkeit seiner Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer unter. Gewiß hat jene erwähnte verlustträchtige Geringschätzung städtischen Schriftguts in dieser Wende der historischen Situation eine ihrer Wurzeln. Schon 1714, dann 1723, hatte der König Kommissionen zur Prüfung der Stadtrechnungen eingesetzt, in den 30er Jahren wurden diese ad hoc geschaffenen Institutionen mit noch umfassenderen Aufgaben betraut. Friedrich der Große nahm die Polizei Verwaltung ganz aus den Händen des Magistrats (1742) und das Rathäusliche Reglement von 1747 machte diesen eher zu einer Staatsbehörde, die die kommunalen Angelegenheiten besorgte, als daß es ihn Organ einer sich selbst verwaltenden Körperschaft sein ließ. Sicherheit auf den Straßen, Straßenreinigung, -beleuchtung und -pflasterung, Feuerlöschwesen, Lebensmittelversorgung, -Überwachung und -Preisfestsetzung, Gewerbezulassungen und -inspektion, Schanklizenzen, Marktverkehr, Gesindeangelegenheiten gehörten zu den sehr umfangreichen polizeilichen Obliegenheiten, deren Ausgliederung aus staatlicher Administration und Rückkehr in kommunale Selbstverwaltung nach der Steinschen Reform von 1808 noch fast das ganze 19. Jahrhundert beanspruchte. Und jedenfalls sah die städtische Obrigkeit seit 1747 bis zum Ende des Ancien regime „selbst in den ihr verbliebenen Wirkungskreisen der Rechtspflege, der Kämmerei, der Kirchen- und Schulverwaltung, ihre Befugnisse fortschreitend durch die Staatsbehörden eingeschränkt".6) Kurz, der interessanteste Teil hauptstädtischer Geschichte im Absolutismus schlug sich in staatlichen Akten nieder, die sich heute im Deutschen Zentralarchiv II in Merseburg und im Staatsarchiv Potsdam befinden, kaum erreichbar für West-Berliner: General-Direktorium (Abt. 14: Kurmark), Rep. 9 (Allg. Verwaltung), Rep. 21 (Brandenburgische Städte . . . ) , Pr. Br. Rep. 2 (Kurmärk. Kriegs- u. Domänenkammer, 1. und 2. Städteregistratur). 7 ) Von diesen letztgenannten Kammerakten sind um 1820 in Zusammenhang mit der kurzlebigen Berliner Regierung (1816—1821) wertvolle Teilbestände kassiert worden. 8 ) Das preußische Reformwerk gab auch den Städten 1808 Selbstverwaltung und Eigenleben zurück. Jetzt schwoll der Aktenfluß im Rathaus wirklich an. Schriftgut des Magistrats selbst, der Deputationen und der Stadtverordneten erwuchs, und parallel hierzu vergrößerten sich die Berlin und die Staatsaufsicht über die Hauptund Residenzstadt betreffenden Registraturen beim Regierung«- und Oberpräsidenten. Wer über Berlin im 19. Jahrhundert arbeiten will, benötigt unabdingbar dieses Material, das in den Archiven der Sowjetzone lagert: Rep. 74 (Staatskanzleramt), 75 Rep. 77 (Ministerium des Innern), Rep. 83 C Kurmark (Oberpräsidium von Brandenburg/Pommern), Rep. 151 (Finanzministerium), Pr. Br. Rep. 1 (Oberpräsidium der Prov. Brandenburg), Pr. Br. Rep. 2 (Regierung zu Potsdam), Pr. Br. Rep. 30 (Staatl. Polizeibehörden [30 B: Regierung zu Berlin]), Pr. Br. Rep. 42 (Ministerial-, Militär- und Baukommission) u. a. m. Die besagten rathäuslichen Registraturen kamen zu gegebener Zeit ins Archiv der Stadt 9 ) — oder auch nicht, denn noch im historisierenden 19. Jahrhundert wurde hier von verantwortlicher Seite des öfteren wider die Grundsätze archivischen Bewahrens arg gefehlt. Auf dem Registraturboden des alten Berliner Rathauses standen zwei Spinde mit Pergamenten und anderen „losen Piecen" zur Stadtgeschichte, als der Magistrat 1816 sein Augenmerk auf dieses „Archiv" richtete, alle vorhandenen Urkunden sammeln ließ und 11 Jahre später (1827) einen Archivar im Nebenberuf bestellte. Dieser Rendant Zander ordnete das Material nach „Anciennität", verzeichnete es notdürftig und verwahrte es weiter in einem Spind. In einem längeren Bericht beklagt er 1843 die desolaten Verhältnisse. Er dachte dabei zunächst an die Art der Unterbringung des Materials und an die beengte Räumlichkeit eines Saales der Stadthauptkasse. Sein Nachfolger, Fidicin, dessen Namen heute eine Straße im Bezirk Kreuzberg trägt, hat sich um die Berliner Geschichtsschreibung verdient gemacht und gewisse Ordnungsarbeiten durchgeführt, aber „merkwürdigerweise hat sich der ehemalige Registratur nicht um die Hereinnahme der abgelegten Registraturen in das Stadtarchiv bemüht" (Kaeber, a. a. O., S. 27). Als die GeldbewilligungsDeputation 1859 aufgehoben wurde, kassierte man unverständlicherweise ihre Akten, wodurch eine ganz besonders reichfließende Quelle für die kommunale Geschichte für immer verschüttet wurde. Wie schon Zander, klagt auch Stadtarchivar Clauswitz (tätig 1878—1912) über große Raumnot und macht sie für den Mangel an guten Aktenbeständen verantwortlich. Ein Teil der ohnehin an Zahl bescheidenen Zugänge mußte Platz in sehr unzweckmäßigen Schränken der Magistratsbibliothek finden. („Eine Übereignung jener Akten [einzelner Deputationen und Verwaltungszweige] und somit eine Sammlung hier auf einer Stelle, ließ sich bis jetzt noch nidit anbahnen, weil die Räume des Archivs zu klein bemessen sind, um überhaupt irgendwelche Akten aufnehmen und ordnungsmäßig verwahren zu können"). 10 ) Es nimmt daher nicht Wunder, wenn Clauswitz im Verwaltungsbericht 1882—1888 feststellt, daß „der größte Teil der Benutzer eine übertriebene Vorstellung von dem Umfang des Archivs und seinem Werte als Unterlage für die Darstellung der Stadtgeschichte zeigt".11) Wiewohl 82 Jahre seit Einführung der Städteordnung dahingegangen waren, befand sich nach 1890 noch kaum ein nach 1808 erwachsener Aktenband im städtischen Archiv. Und die Überreste aus der Zeit von 1500 bis 1800 — Verträge, Markt- und Polizeiordnungen, Spezialia über die Kämmereigüter, Steuersachen, Personalia der Beamten — deklariert Clauswitz als Bruchstücke, die ihre Erhaltung dem Zufall verdanken. Er hielt denn auch angesichts dieser Lage nicht für zweckmäßig, Bestandsverzeichnisse nach dem Provenienz- oder Herkunftsprinzip anzulegen, sondern schuf ein nach sachlichen Gesichtspunkten gegliedertes Gesamtrepertorium (Findbuch). Erst Ernst Kaeber, seit 1913 Stadtarchivar, fühlte sich gedrungen, sein Institut „zu einem der Reichshauptstadt wenigstens einigermaßen würdigen" auszubauen ( a . a . O . , S. 21). Sein Aufsatz verdeutlicht die ungeheuren Schwierigkeiten, mit denen auch er hinsichtlich Geld-, Personal- und Raumnot jahrzehntelang 76 zu kämpfen hatte. Unter seiner Leitung gelangten wenigstens die Akten der Gewerbe-Deputation, der Grundeigentums-Deputation und der Armen-Direktion ins Stadtarchiv, die heute in Ost-Berlin wieder verfügbar sind. Gemessen an den vielen Deputationen, deren sich die Berliner Selbstverwaltung in 125 Jahren (18C8 bis 1933) bediente, ist diese Dreizahl kümmerlich. Aus der Zeit der Weimarer Republik scheinen größere Bestände an Akten der Hauptverwaltung zu fehlen, doch blieb umfangreiches Material einzelner Bezirke erhalten (Charlottenburg, Köpenick, Pankow, Treptow, Lichtenberg, Weißensee). Die Protokolle der Stadtverordnetenversammlungen des 19. Jahrhunderts befinden sich ebenfalls jenseits des Brandenburger Tores. Auch der größte Teil der Magistratsregistraturen der NS-Zeit dürfte entweder bei Luftangriffen verbrannt oder kurz vor Kriegsende vorsätzlich vernichtet worden sein.18) Nach der Spaltung der Stadt am 30. 11. 1948 begann die archivische Arbeit in West-Berlin gleichsam am Nullpunkt. An Akten zur Stadtgeschichte besitzt das Landesarchiv heute qualitativ gute Bestände der alten Preußischen Bau- und Finanzdirektion, die Stenogr. Berichte der Stadtverordnetenversammlung von 1878 an13), die schon erwähnten Amtsbücher der Feuersozietät, Testamentsakten, Grundakten, Bauakten aus den Bezirken und andere kleinere Fonds. Mit diesem Material lassen sich freilich nur partielle Fragestellungen klären. Wer sich weiter ausgreifende Probleme stellt, ohne auf das in der Zone oder im Sowjetsektor lagernde Schrifttum rechnen zu dürfen, kann sich vielleicht noch an das eine oder andere Bezirksamt wenden oder auch an das Staatsarchiv in Dahlem, im übrigen muß er Scharfsinn wie Phantasie walten lassen, um weitere Möglichkeiten lokaler Überlieferung zu erkunden (Kirchen-, Partei-, Firmen-, Pressearchive, Heimatvereine, evtl. auch bestimmte Körperschaften des öffentlichen Rechts usw.). Wo Primärquellen — Akten — fehlen, steigt wie nach dem physikalischen Gesetz der kommunizierenden Röhren die Bedeutung sekundärer Quellen (Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter, Stenograph. Berichte, Protokolle). Hier kann die Bibliothek des Landesarchivs, die größte Berolinensien-Fachbücherei mit dem umfangreichsten Zeitungsbestand in West-Berlin, dem Suchenden wertvolle Hilfestellungen bieten. Darüber hinaus verfügt das Landesarchiv über Tausende von Karten, Plänen und Bildern aus vielen Jahrhunderten bewegten Lebens der Hauptstadt. ') Kaeber, Ernst: Erinnerungen an das Stadtarchiv Berlin. Jhb. d. Vereins f. d. Geschichte Berlins 1961, S. 7—51. *) Von P. Clauswitz 1883 neu ediert. s ) Beiträge, Dokumente, Informationen. Schriftenreihe des Stadtarchivs Berlin (Ost!), Heft 2/1964, S. 70. Alle Angaben über die Archivalien-Bestände in Ost-Berlin sind diesem Heft entnommen. 4 ) Von P. v. Gebhardt 1930 herausgegeben. ) Ob dieser hintergründige Satz eine euphemistische Umschreibung für die Tatsache sein soll, daß noch nicht alle Bestände des alten Stadtarchivs aus Polen zurückgekehrt sind?? 6 ) Clauswitz, Paul in der Einleitung zu R. Borrmann, Die Bau- und Kunstdenkmäler zu Berlin. Berlin 1893, S. 90. 7 ) Reposituren des Preußischen Geh. Staatsarchivs bzw. des Brandenburgischen Provinzialarchivs (X. Hauptabteilung des Preuß. Geh. St.-A. s). 8) Schrader, Kurt: Die Verwaltung Berlins . . . Diss. Berlin-Ost 1963, 1. Teil, S. 164 ff. ") In diesem Falle müßten sie sich heute in Ost-Berlin befinden. 5 77 10 ) Bericht üb. d. Gemeinde-Vwltg. d. Stadt Berlin i. d. Jahren 1877—1881, III. Teil, S. 143. n ) Bericht üb. d. Gemeinde-Vwltg. d. Stadt Berlin i. d. Jahren 1882—1888, III. Teil, S. 151. ls ) Über die derzeitigen Bestände „drüben" gibt die Schriftenreihe des Stadtarchivs „Beiträge, Dokumente, Informationen" Auskunft (bisher je 2 Hefte aus 1964 und 1965). ") Die Stenogr. Berichte wurden 1874 erstmalig gedruckt. Das Berlin-Museum Eine Zwischenbilanz Dr. Irmgard Wirth Eine der zur Besichtigung durch die Berliner Bevölkerung freigegebenen Baustellen der Berliner Bauwochen im September 1966 war das Alte Kammergericht in der Lindenstraße. Nicht nur die im Bau befindliche Schöneberger Schwimmhalle, das Fernsehzentrum am Theodor-Heuss-Platz oder Teilstrecken und Bauwerke der Stadtautobahn oder U-Bahn erregten als Baustellen die Neugier der Berliner, auch der historische Bau des Kammergerichts zog unerwartet große Besucherscharen an. (An zwei Wochenenden wurden insgesamt 1505 Besucher gezählt.) Zwischen altersgrauen Miethäusern oder Ruinen in den benachbarten Straßen, zwischen dem Hochhaus des neuen Pressezentrums in der Kochstraße und den modernen Wohnsiedlungen des Bezirks Kreuzberg liegt der Dreiflügelbau in dem warmen Ockerton seines neuen Putzes mit den weißen architektonischen Gliederungen und dem roten Mansarddach wie ein Juwel und leuchtet sogar über die Mauer bis in den Ostsektor hinüber. Doch hat er nicht immer so schmuck ausgesehen. Der Senator für Bau- und Wohnungswesen, Abteilung Hochbau, hat in Zusammenarbeit mit dem Amt für Denkmalpflege unter Landeskonservator Dr. Seeleke nach langen Bemühungen um die Erhaltung des Hauses für die schon sein Vorgänger, Professor Scheper, plädiert hatte, das im letzten Krieg schwer mitgenommene Gebäude von 1734/1735 mit großer Sorgfalt in seiner ursprünglichen Form wiederhergestellt. Die späteren Erweiterungen seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert wurden glücklicherweise nicht berücksichtigt, sondern ihre Reste entfernt. Damit ist Berlin und seinen Bewohnern ein bedeutender Barockbau wiedergeschenkt worden. Dem von Philipp Gerlach errichteten ehemaligen Collegienhaus kommt überdies in dem an Bauten der Barockzeit sehr armen WestBerlin nach dem Schloß Charlottenburg ein besonderer Rang zu. Am äußeren des Gebäudes in der Lindenstraße bleibt nun nicht mehr viel zu tun: die für manche Bauten Gerlachs und seine Zeit typische Rampe, das Portal mit seiner Eichentür, der kleine Balkon im Obergeschoß, die seitlich angrenzende linke Durchfahrt können aus den vorhandenen Mitteln jetzt noch fertiggestellt werden, auch die Haupttreppe im Innern wird noch dazu gehören. Für den weiteren inneren Ausbau aber fehlt das Geld. Das Berlin-Museum als künftiger Nutzer muß also noch warten und zunächst mit allem Nachdruck versuchen, die Frage der Weiterfinanzierung des Baues zu klären. Trotz dieser finanziell bedingten Schatten ist man überall zuversichtlich. Es wäre auf keinen Fall zu verantworten und fast einem Schildbürgerstreich vergleichbar, wenn die auf den Kammergerichts-Bau verwendete Initiative und Arbeitskraft, wenn vor allem auch die bereits aufgebrachten Gelder in eine halbe, gar ausweglose Sache gesteckt worden wären, wenn also das nur außen fertiggestellte Gebäude ohne die Möglichkeiten der baldigen Fortführung der Bauarbeiten zwangsläufig allmählich 78 vorkommen müßte. Daher sind schnellstens Mittel und Wege zu finden, das Haus ohne Unterbrechung auch im Innern zu vollenden. Die Baustellen-Besucher konnten in einem Teil des Kammergerichts bis hinauf in den Dachstuhl einen Rundgang unternehmen und dabei auch einen noch unverputzten Raum im Obergeschoß besichtigen, in dem das Berlin-Museum mit Hilfe der Bauverwaltung, gleichsam in einer symbolischen „Landnahme", einige Objekte aus seinen Beständen im Haus am Tiergarten ausgestellt hatte. Blicken wir an dieser Stelle einmal kurz zurück: Dreieinhalb Jahre zuvor hatte Professor Dr. Edwin Redslob als 1. Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer des Berlin-Museums in einer Gründungs-Ausstellung einen Querschnitt durch die wichtigsten Sammelgebiete des künftigen stadtgeschichtlichen Berlin-Museums gegeben; eigene Objekte besaß das Museum damals nur in geringer Zahl, dafür erhielt es zum Zwecke dieser Demonstration von allen Seiten umso mehr Leihgaben. Heute — nur drei Jahre später — reicht der Raum in dem vorläufigen Domizil des Berlin-Museums, im Haus am Tiergarten, bei weitem nicht mehr aus. Die vorübergehende „Filiale" des Museums während der Baustellentage im Kammergericht machte sich in den Museumsbeständen kaum bemerkbar, zeigte zugleich aber in aller Deutlichkeit, daß der historisch wertvolle Bau durch das Berlin-Museum erst eigentlich erschlossen wird. Die gute Disposition des Innern, die zum Teil noch gewölbten hohen Räume werden durch die Nutzung als Museum allen Interessierten zugänglich sein und den würdigen Rahmen für die Stadt- und kulturgeschichtlichen Sammlungen Berlins bilden. Der Weg bis zu jenem Tage ist zwar noch weit, dürfte wohl auch zuweilen nicht ohne Hindernisse sein, doch gibt der Rückblick auf die ersten Jahre des Bestehens des jungen Museums berechtigte Hoffnung, wenn nicht gar die Gewißheit, daß das angestrebte Ziel erreicht werden wird. Bei der Eröffnung der Gründungs-Ausstellung im Haus am Lützowplatz hatte der Regierende Bürgermeister von Seiten des Senats keine großen Versprechungen gemacht, sondern zunächst die Initiative der Bürger Berlins angesprochen. Ein kleiner — künftig hoffentlich wachsender — Etat als Zuschuß gab und gibt trotzdem eine gewisse Starthilfe und Unterstützung. Der Verein als rechtlicher Träger des Museums ist in vergleichsweise kurzer Zeit auf rund 300 Mitglieder angewachsen. Der Etat und die Mitgliederbeiträge aber hätten kaum zu schaffen vermocht, was heute die Besucher im Museum wenigstens teilweise ausgestellt finden: eine auf einzelnen Gebieten bereits erstaunlich vielfältige und gute Sammlung, die in Gemälden, Plastik und Graphik eine Porträtgalerie, eine Abteilung mit Stadtansichten und Plänen aber auch andere Zweige, wie das Theater oder das Kunsthandwerk mit Silber, Eisenkunstguß, Porzellan, Fayence oder Glas umfaßt. Einen kulturgeschichtlichen Einblick in die Lebensweise unserer Vorfahren vermitteln drei alt-Berliner Wohnräume, denen das besondere Interesse der Besucher gilt. „Hinter den Kulissen" warten mancherlei Objekte auf ausreichende Räume, um gezeigt werden zu können. Alle diese Sammlungsgegenstände des Berlin-Museums aber bilden eine Substanz, ein Stück vermehrten Volksvermögens, das nicht mehr übersehen werden kann, nicht vernachlässigt oder verstreut werden darf. Wie aber kam es zu einem so erstaunlich raschen Wachstum? Zwei Komponenten vereinigten sich auf überaus glückliche Weise: das wache Interesse und die private Initiative der Bürger Berlins, die ihr bürgerliches Berlin-Museum „wollen" und 79 als Stiftungen herbeibringen, was in ihrem Besitz die Zeiten überdauerte, mehr aber noch die Dynamik, die Arbeits- und Willenskraft eines Mannes, der mit dem Verein als dem notwendigen Fundament aller Unternehmungen vom ersten Tage an große Stifter suchte und fand und „Patronate" für mancherlei Sammelgebiete vergab: es ist der erste Vorsitzende des Vereins und Gründer des Museums, Professor Dr. Edwin Redslob. Mit seinem reichen Wissen und seinen jahrzehntelangen Erfahrungen, nicht weniger auch mit seinen glänzenden Beziehungen vermochte er sehr bald schon den Beweis zu erbringen, daß auch noch jetzt, gewissermaßen in letzter Stunde, die Schaffung eines für West-Berlin dringend notwendigen und schon lange geforderten stadtgeschichtlichen Museums möglich ist. Ein solches Museum für Berlin scheint nicht weniger wichtig als andere kulturelle Institutionen, die hier nach der Spaltung der Stadt neu errichtet wurden. Wie das Echo in der Berliner und der bundesdeutschen Bevölkerung es zeigt, ist es in vergleichsweise kurzer Zeit über unsere Stadt hinaus bereits zu einem festen Begriff geworden. Die ersten Jahre des Berlin-Museums können daher trotz mancher Schwierigkeiten die sie mit sich brachten, dennoch als überaus erfolgreich angesehen werden. Für sein weiteres Bestehen und Wachsen kommt es jetzt vor allem darauf an, die große finanzielle Klippe beim Ausbau des Kammergerichts zu überwinden, um dem Museum das dauernde Heim zu schaffen, das, wie Professor Redslob immer wieder betont, zugleich „Sammlungsobjekt Nr. 1" ist. Damit wird nicht nur für die Berliner, sondern auch für die Besucher der Stadt ein weiterer Anziehungspunkt geschaffen, der zweifellos ein Gewinn sein dürfte. Alle Beteiligten und noch zu Beteiligenden aber sollten sich darüber im klaren sein, daß auch hier, wie überall, ein Stillstand beim Weiterbau und der Einrichtung des Hauses zum Museum in gewisser Weise einen Rückgang bedeutet und eine Unternehmung in Frage stellen würde, die mit berlinischer Tatkraft, mit Optimismus und Gebefreudigkeit von vielen Seiten begonnen und gefördert wurde. Der kleine Etat, der nun zum größten Teil für die notwendige Verwaltung und Erhaltung des Museums verwendet werden muß, erlaubt jährlich nur noch ganz wenige Ankäufe. Die ständige Vermehrung und Komplettierung der Sammlungen bleibt jedoch die zweite wichtige Aufgabe des Museums und seiner Freunde. Hierbei zu helfen und die gute Sache zu unterstützen sind alle aufgerufen, insbesondere die historisch interessierten Berliner. Jeder sollte die Augen offen halten, wo sich Möglichkeiten der Stiftung oder der Erwerbe bieten, jeder möge mitsuchen, mitfinden. Nicht nur der Verein der Freunde und Förderer des Berlin-Museums mit seinem Vorstand und Beirat, nicht die unmittelbar Beteiligten, die ganze Berliner Bevölkerung, jeder Bürger sollte weiter das Seine tun, „sein" Museum in einem der Hauptstadt Berlin und ihrer Geschichte angemessenen Umfang und entsprechendem Niveau zu verwirklichen. Eine große und schöne Aufgabe, deren Erfüllung zugleich ein Zeugnis für die Menschen ist bleiben wird, die zu dieser Stadt gehören. Berichte Lübars u n d Tegel Unser diesjähriger Sommerausflug am 20. August führte die ca. 90 Teilnehmer in zwei BVG-Sonderbussen nach dem Norden Berlins, zunächst in das noch ziemlich abgeschiedene L ü b a r s , das seinen dörflichen Charakter noch gut bewahrt 80 hat. In der schlichten Dorfkirche inmitten des Dorfangers begrüßte der Vorsitzende die Teilnehmer und sprach den Mitgliedern des Veranstaltungsausschusses seinen Dank aus für die Arbeit und Mühe, die sie mit der Vorbereitung dieses Ausfluges gehabt hätten; denn es ist nicht leicht, für unsere Ausflüge, die der Geselligkeit und der Besichtigung historischer Stätten dienen, noch geeignetes Gelände in Westberlin ausfindig zu machen. Dann sprach der ortsansässige Lehrer M i c h a e l über die Geschichte, die Entstehung, die gegenwärtige Lage und die Zukunft des Dorfes Lübars. Eine erste Urkunde aus dem Jahre 1247 enthält den Namen Lübars, der wohl aus dem Slawischen stammt. Das Dorf gehörte ursprünglich zu Spandau und in der erwähnten Urkunde vermachten die Nonnen von Spandau die Honigernte dem Landesherrn, Markgraf Johann. Zunächst war Lübars eine selbständige Pfarre, wurde aber wegen der niedrigen Einkünfte des Pfarrers 1471 eine Tochtergemeinde von Dalldorf, dem heutigen Wittenau. Die erste, im Dorf erbaute Kirche war ein strohgedecktes Fachwerkgebäude, das 1790 niederbrannte. Gerettet wurde lediglich die Kirchentruhe zur Aufbewahrung des Kirchenschatzes und der Kirchenbücher, das Kruzifix und die beiden Leuchter, die noch heute in dem 1793 im Langhans-Stil erbauten Gotteshaus aufgestellt sind. Eine besondere Sehenswürdigkeit der Kirche ist der barocke Kanzelaltar, den ursprünglich König Friedrich Wilhelm I. 1739 der St. Gertraud-Kirche auf dem Spittelmarkt gestiftet hatte und der nach Abriß dieser Kirche wegen Baufälligkeit im Jahre 1881 auf Umwegen 1956 auf Veranlassung des damaligen Denkmalspfleger Prof. Sc h e p e r in die Dorfkirche von Lübars gelangte. Auf dem Kirchhof um die Kirche fanden 1932 die letzten Beerdigungen statt; einige Grabsteine alter Lübarser Familien stehen noch heute, unter ihnen der Grabstein des Försters B o n d i c k , der vor 75 Jahren den Ortsteil Waidmannslust gründete. Eine botanische Sehenswürdigkeit bilden die beiden Maulbeerbäume aus friedrizianischer Zeit, die vor dem Nebeneingang der Kirche und an der Nordostecke des alten Kirchhofs stehen. An die Besichtigung der Kirche schloß sich ein Spaziergang durch das Dorf an, wobei man mit Wohlgefallen die alten Bauernhäuser, den alten Gasthof „Zum fröhlidien Finken" betrachten und einen Ausblick auf das hübsche Fließtal genießen konnte. Das Tegeler Fließ bildet hier die Zonengrenze. Aber bald wird es mit der Abgeschiedenheit und der ländlichen Stille von Lübars vorbei sein. Die Großstadt schiebt sich immer näher heran, neue Wohnsiedlungen entstehen, ein Idyll verschwindet wie so häufig in unserer hastigen, von Industrie und Verkehr beherrschten Zeit! Von Lübars ging die Fahrt nach Tegel, dem durch Wilhelm von Humboldt berühmt gewordenen Vorort von Berlin. Welch ein Unterschied gegenüber dem ländlichen Lübars! Ein von Menschen und Lärm erfüllter Stadtteil ist aus dem einst so ruhigen Tegel geworden. Wer es einige Jahre lang nicht gesehen hat, erkennt es kaum wieder. Der See, die Perle von Tegel, ist ein unruhiges Gewässer geworden, erfüllt von großen modernen Motorschiffen, Schnellbooten, Segelbooten und dergl. Die schöne Uferpromenade hat durch die Errichtung von Wohnhochhäusern ihren einstigen Charakter verloren. Mit einem Motorboot machte unsere Gesellschaft nach dem Kaffee in dem neuen, sehr schönen Restaurant „Seeterrassen" eine Fahrt auf dem Tegeler See, vorüber an den Inseln Reiswerder, Baumwerder, Maienwerder, an Saatwinkel vorbei in die Havel hinein; Tegelort, wo wir 1963 an dem heißesten Tag des Jahres waren, 81 K o n r a d s h ö h e , Sandhausen blieben rechts liegen. Überall bebautes Gelände, Bootshäuser, Anlegestege, kein Fleckchen N a t u r mehr. In Heiligensee wendete unser „ K e h r wieder" zur Rückfahrt. J e t z t sahen w i r deutlich das gegenseitige östliche Ufer; eine u n heimliche Stille lag vor unseren Augen, kein Mensch w a r zu sehen; der Stacheldraht w a r deutlich zu erkennen. N a c h einer zweistündigen F a h r t landeten w i r wieder in Tegel, zu spät, um noch eine Abendmahlzeit einnehmen zu können. D i e w a r t e n d e n Busse sollten u m 20.15 U h r die Rückfahrt antreten. D a s allgemeine U r t e i l : es w a r doch ein schöner N a c h m i t t a g voller neuer nachhaltiger Eindrücke; w i r hatten zwei sehr gegensätzliche Teile v o n Berlin gesehen, die unser Erstaunen weckten u n d uns z u m N a c h d e n k e n anhielten. Hs. Buchbesprechungen Agnes von Zahn-Harnack: Schriften und Reden 1914 bis 1950. Herausgegeben im Auftrag des Deutschen Akademikerinnenbundes durch Dr. Marga Anders und Dr. Ilse Reicke mit einem Lebensbild Agnes von Zahn-Harnacks von Dr. Ilse Reicke. Hopfer Verlag Tübingen 1964. Kart. DM 22,—, La. DM 27,—. Die Herausgabe der gesammelten Schriften und Reden Agnes von Zahn-Harnacks, der feinsinnigen, gottesfürchtigen Tochter des großen Theologen und Gelehrten Adolf v. Harnack, ist eine begrüßenswerte Tat; lernen wir doch dadurch das Wirken einer Frau kennen, die als Führerin der Frauenbewegung der zwanziger Jahre an hervorragender Stelle stand und der im Geistesleben Berlins ein besondere Rolle zukam. Ihre besondere Lebensaufgabe sah sie in der Abfassung der Biographie ihres berühmten Vaters, die ungeteilte Anerkennung fand. Das von Ilse Reicke gezeichnete Lebensbild der Verfasserin gibt uns einen tiefen Einblick in ihren Werdegang, in ihre geistige Entwicklung, die bestimmt war durch den gelehrten Vater, ein vorbildliches Familienleben, eine ernste Lebensauffassung und eine vorbildliche Tätigkeit als Lehrende und im öffentlichen Leben Wirkende. B. Harms Katharina von Kardorff-Oheimb, Politik und Lebensbeichte. Herausgegeben von Dr. Ilse Reicke. Hopfer-Verlag Tübingen o. J. 256 Seiten, 32 Bildtafeln. Gzln. DM 19,50. Mit Recht nennt die Verf. ihre Erinnerungen „Politik und Lebensbeichte", stand doch die Politik im Mittelpunkt ihres Lebens und Wirkens; sie war ihr mit Leidenschaft ergeben und hat in den Tagen der Weimarer Republik als Reichstagsabgeordnete auf viele Entscheidungen den besten Einfluß ausgeübt. Ihr warmes soziales Empfinden, ihre glühende Vaterlandsliebe zeichneten sie von jeher aus. Mit den führenden Persönlichkeiten der Weimarer Republik verband sie eine echte Freundschaft, so mit Rathenau, Stresemann, Ebert u. a. Von letzterem schreibt sie: „Es ist eine der großen Beglückungen meines Lebens gewesen, mit diesem wahrhaften Staatsmann nahe befreundet gewesen zu sein." Sie war eine große Gesellschaftsdame im besten Sinne und hat durch ihre privaten gesellschaftlichen Veranstaltungen auf dem Gebiet der Politik oft mehr erreicht als durch die offizielle politische Arbeit. Die nationalsozialistische Herrschaft bereitete ihrem Wirken ein Ende und zwang sie zur Flucht vor der Gestapo, doch nach dem Ende des zweiten Weltkrieges widmete sie sich wieder mit Leidenschaft der Politik und trat entschieden für die Wiedervereinigung Deutschlands ein. Ein sehr lesenswertes Buch einer echten Patriotin und Menschenfreundin von großem Verantwortungsbewußtsein, sozialem Empfinden und leidenschaftlidier Vaterlandsliebe. B. Harms Paul Weiglin: Berlin im Glanz. Bilderbuch der Reichshauptstadt von 1888 bis 1918. Berlin: Albert Nauck & Co., O. J. 287 S. mit zahlr. Abbildungen. DM 9,20. Unverwüstliches Berlin. Bilderbuch der Reichshauptstadt seit 1919. Zürich: Scientia A. G. 1955. 318 S. mit zahlr. Abbildungen. DM 10,20. Obwohl der Verfasser seine Bücher Bilderbücher nennt, sind sie doch weit mehr eine umfassende, nicht unkritische Darstellung sowohl der Glanzperiode von 1888 bis zum Zusammenbruch des Kaiserreichs mit all ihren Höhepunkten und zugleich großen Schwächen und Unterlassungen wie auch der Epoche der Weimarer Republik und der des Nationalsozialismus. Der letzte Abschnitt ist der Zeit von 1945 und des Wiederaufbaues gewidmet. Alle Gebiete des politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebens werden in ansprechenden Schilderungen nahegebracht. Besonders eingehend werden Theater, Musik und die Unterhaltung der Zeit behandelt. Bilder illustrieren in belebender Weise beide Bände. J. Lachmann 82 Eduard Spranger: Berliner Geist. Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins 1966. 223 Seiten. DM 16,80. Die Aufsätze, Reden und Aufzeichnungen, bekannte und unbekannte, die das Buch umfaßt, sind aus verschiedenen Quellen zusammengestellt. Sie stellen einerseits eine Autobiographie des großen Berliner Philosophen, Pädagogen und Historikers und Mitglieds der Akademie der Wissenschaften dar, darüber hinausgehend jedoch eine umfassende historische Würdigung des Berliner Geisteslebens. Von der „Chronik der Friedrichstraße", in der Spranger geboren wurde, zieht die Zeitepoche seines Lebens sowie sein Leben selbst an dem Leser vorüber: die Entwicklung Berlins von der preußischen Hauptstadt zur Weltstadt, die er mit der Gewerbeausstellung im Treptower Park 1896 beginnen läßt, das geistige Berlin mit dem „Tunnel unter der Spree" bis zur Epoche des zweiten Weltkrieges, seine Bekanntschaft mit Generaloberst Ludwig Beck und sein Zusammentreffen mit dem Grafen Stauffenberg sowie anderen maßgeblichen Vertretern der Widerstandsbewegung, die Zeit seiner Inhaftierung in Moabit 1944, seine Amtstätigkeit als letzter Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität, seine Gefangennahme durch die Amerikaner und die Beschlagnahme seiner Dahlemer Wohnung in der Fabeckstraße. Ein Abschnitt behandelt die 1863 gegründete Mittwochsgesellschaft, an deren 1000. Sitzung im Schloß Brüningslinden Spranger wie auch Ludwig Beck teilnahmen, der 1939 als Nachfolger des verstorbenen Generals Groener zum Mitglied gewählt worden war. Den wesentlichsten Teil des Buches enthalten die Aufsätze über „Berlin als Sitz weltgestaltender Philosophie", in dem er Leibniz, Friedrich den Großen, die bürgerliche Aufklärung und den spekulativen Idealismus würdigt, über „Die Geisteswissenschaften in Berlin" sowie über „Die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin". Daran schließt sich eine Betrachtung über das Historismusproblem, Wilhelm Dilthey, Ernst Troeltsch und Friedrich Meinecke. Seinem Einsegnungspfarrer D. Kirmss von der Neuen Kirche am Gendarmen-Markt, dem Gemeindeleben dieser Kirche sowie der religiösen Situation in Berlin überhaupt ist ein besonderer Abschnitt gewidmet. In jeder Hinsicht ein Buch, das die so zahlreiche und vielseitige Berlin-Literatur unserer Tage weit überragt und das für die spätere Geschichtsforschung eine sehr beachtliche Quelle bleiben wird. J. Lachmann Werner Schwippes: Otto Lilienthals Flugversuche. Berlin: Haude- u. Spenersche Verlagsbuchhandlung. 1966. 99 Seiten, m. 35 wenig bekannten Abb. ( = Berlinische Reminiszenzen Bd. 11) DM 9,80. Der Verfasser selbst Segelflieger und in Lichterfelde ansässig, gibt, über den Titel seines Buches hinausgehend, in anschaulicher Schilderung eine vollständige Biographie Otto Lilienthals und seiner Familie. In der Köpenicker Sraße 113 errichtete der Ingenieur Otto Lilienthal (1848—1898) eine Maschinenfabrik, im Hause Nr. 126 wohnte er mit seiner Frau, bis er 1886 nach Groß-Lichterfelde in ein eigenes Haus in der Boothstraße 17 zog. Von der Erforschung des Vogelfluges und insbesondere dem der Störche ausgehend, konstruierte er, dabei unterstützt von seinem Bruder Gustav, das erste Flugzeug. 1889 erscheint sein Buch über den „Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik". Vier Jahre später erhält er das Reichspatent auf seinen Gleitflugapparat. Auf die ersten Sprungübungen in seinem Garten folgten die Flugversuche auf dem Rauhen Berg in Steglitz, der Steglitzer Maien-Höhe und seinem Fluggelände auf der Giesensdorfer Feldmark in Lichterfelde-Ost, wo später die bekannte Gedenkstätte für ihn errichtet wurde. Sein Hauptübungsplatz lag in den Rhinower Bergen im Westhavelland, wo er am 9. August 1898 abstürzte. Sein Grab befindet sich auf dem alten Lichterfelder Friedhof in der Langestraße. Ein mit Hilfe von Nachlässen, Dokumenten sowie Berichten von Augenzeugen sorgfältig verfaßtes und fesselnd geschriebenes Büchlein, das als Geschenk bestens zu empfehlen ist. J. Lachmann Hans von Arnim: Louis Ferdinand Prinz von Preußen. Berlin: Haude- u. Spenersche Verlagsbuchhandlung. 1966. 107 S. m. 9 Abb. ( = Berlinische Reminiszenzen Bd. 10) DM 9,80. Als zehnter Band der Buchreihe „Berlinische Reminiszenzen" legt Hans von Arnim, der durch seine ebenfalls in dieser Reihe erschienene Arbeit über Bettina von Arnim bekannt geworden ist, einen Band über den Prinzen Louis Ferdinand vor (1772—1806). Als Neffe Friedrichs des Großen eilte er in seinen Ideen seiner Zeit und Umgebung weit voraus, vornehmlich auch in seinen Vorstellungen zur Schaffung eines deutschen Nationalstaates. Viel zu früh ereilte ihn der Tod im Gefecht von Saalfeld. Seine hohe künstlerische und speziell musikalische Begabung hat ihm viel über die politisch für ihn so unerfreuliche Zeit hinweggeholfen. Mit innerer Anteilnahme zeichnet der Verfasser das Bild seines Helden, dem damit ein neuer Denkstein gesetzt ist. J. Lachmann 83 Kleine Mitteilungen An der Gedenkfeier aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des Robert-Koch-Instituts zu Berlin am 1. Juli d. J. nahm als Vertreter des Vereins Prof. Dr. Hoff mann-Axthelm teil. Am 1. Juli 1891 wurde das Institut in dem zur Charite gehörenden Gebäudekomplex, dem sog. Triangel, eröffnet; im Juli 1900 wurde das Institut in das neu errichtete, noch heute bestehende Gebäude am Nordufer, Eingang Föhrerstraße verlegt. Während des XX. Internationalen Kongresses für Geschichte der Medizin, der vom 22. bis 27. August in Berlin stattfand, wurden eine Ausstellung „Berliner Medizin" im HenryFord-Bau der Freien Universität und eine Ausstellung „Medizingeschichte in Berlin" im Institut für Geschichte der Medizin der F. U. gezeigt. Im Rahmen der Berliner Bauwochen wurde am 6. September in den Räumen der Mensa der Technischen Universität eine sehr sehenswerte Ausstellung „Berlin vor 20 Jahren — Berlin heute" eröffnet. Die Ausstellung ist bis zum 2. Oktober zu besichtigen. Aus Anlaß des 175jährigen Bestehens der Berliner Singakademie fand am 20. September unter der Schirmherrschaft und in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten ein Festkonzert in der Philharmonie statt. Eine Ausstellung wurde am 24. September im Haus am Tiergarten eröffnet. Die Bibliothek des Vereins ist wegen der Weihnachtstage vom 16. Dezember bis zum 5. Januar geschlossen. Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1966 1. Am Sonnabend, dem 15. Oktober 1966, 15 Uhr. Besichtigung des Geheimen Staatsarchivs Berlin-Dahlem, Archivstraße 12—14. Einleitender Vortrag und Führung: Direktor Dr. Gerhard Zimmermann. Treffpunkt 15 Uhr am Eingang. Anschließend Zusammensein im Restaurant „Alter Krug Dahlem", nahe U-Bhf. Dahlem-Dorf, Verbindung: U-Bahn bis Podbielskiallee oder Dahlem-Dorf Autobus 1, 10, 68. 2. Am Mittwoch, dem 26. Oktober 1966, 15 Uhr. Besichtigung des Instituts für Gärungsgewerbe mit seinen technischen Versuchs-Anlagen. Treffpunkt 15 Uhr Eingang Seestraße 13. Anschließend Zusammensein und Probetrunk im Restaurant der Hochschulbrauerei Amrumer Str. 31. Verbindung: U-Bahn bis Amrumer Straße (Virchow-Krhs.) oder Müllerstraße, Ecke Seestraße. Autobus 16, 89. 3. Am Sonnabend, dem 12. November, 11 Uhr. Besichtigung des neueröffneten Postmuseums (Vortrag, Rundgang, Filmvorführung) Berlin 30, Kleiststraße 10 im Urania-Haus. Treffpunkt 10.45 Uhr in der Eingangshalle der Urania (Dauer etwa 2 Stunden). 4. Am Montag, dem 21. November 1966, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139. Lichtbilder-Vortrag unseres Mitgliedes Hans-Werner K 1 ü n n e r „Ein Spaziergang durch Alt-Berlin-Cölln im Jahre 1966". Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller Schöneberg. 5. Am Freitag, dem 16. Dezember 1966, 16 Uhr. Adventskränzchen im Ratskeller Schöneberg. Gedeck DM 3,50. Von Mitgliedern eingeführte Gäste sind herzlich willkommen. Schriftliche Anmeldungen bis zum 6. Dezember an Frau Gertrud D o h t , Berlin 62, Grunewaldstraße 64. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber u n d Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beitrage für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei. Berlin. Fachabt dsr Berliner Stcdlbibliothek MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 7 1. Januar 1967 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf),Katharinenstr. 30, Ruf :84 7890 Schriftführer: Dir. i.R. K.Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 8748 39 Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D.W.Mügel, 1 Berlinl9 (Charlbg.), Gotha-Allee28, Ruf: 94 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 rrllen Mitgliedern und Freunden des Vereins die besten Glück- und Segenswünsche für das Jahr 1967 DER VORSTAND Das Charlottenburger Schloß Z u r Eröffnung wiederhergestellter R ä u m e im Nering-Eosander-Bau Dr. Margarete Kühn Das Charlottenburger Schloß, das zu den bedeutendsten Bauten des Barock im norddeutschen Raum gehört, hatte im Krieg schweren Schaden erlitten. Der mittlere Bau von Johann Arnold Nering und der größte Teil des Neuen Flügels von Georg Wenzeslaus von KnobelsdorfF brannten bis auf geringe Reste der Dekorationen aus; die Kuppel stürzte ein. Die Räume der Erweiterungsbauten Eosanders blieben größtenteils erhalten, jedoch nicht unversehrt. Die Arbeiten zur Sicherung der Substanz wurden schon bald nach Kriegsende in Angriff genommen und bis 1956 mit Mitteln des Berliner Haushaltes durdigeführt. In diesem Jahr war der äußere Wiederaufbau des Hauptgebäudes von Nering und Eosander sowie des Neuen Flügels im wesentlichen abgesdilossen. Die Kuppel krönt seither eine Fortuna von der Meisterhand Richard Scheibes, die — gleich der ursprünglichen — die Richtung der Winde anzeigt. Seit 1956 wird die Wiederherstellung des Schlosses im Rahmen des damals begründeten Aufbauplanes für Berlin aus besonderen Bundeszuschüssen finanziert. Vom Nering-Eosander-Bau ist zunächst die weniger beschädigt gewesene östliche Hälfte fertiggestellt und im November 1959 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Die westliche Hälfte und das Obergeschoß des Neringbaues konnten am 21. Mai 1966 für die Besichtigung freigegeben werden. Lediglich die am Ende gelegene Kapelle, die bis auf die Süd- und Westwand zerstört war, harrt noch der völligen Wiederherstellung, zu der auch der Neubau, d. h. die klangliche Rekonstruktion der alten Orgel gehört, die mit gutem Grund mit dem Namen des berühmten Orgelbauers Arp Schnitger in Verbindung gebracht wird. Damit präsentiert sich heute die Sommerresidenz Sophie Charlottes, der „philosophischen Königin" und Freundin von Leibniz, und König Friedrichs I., der sich nach dem Tode seiner Gemahlin dem weiteren Ausbau des Schlosses mit Hingabe widmete, nicht nur im Äußeren, sondern auch in der inneren dekorativen Ausgestaltung weitgehend in der uns bis zum letzten Krieg überlieferten Gestalt. Während der Neue Flügel, der Friedrich dem Großen als Residenz dienen sollte, in klassizistischer Zeit in großen Teilen innen umgestaltet worden war, ist der ältere Bau von Nering und Eosander nach dem Tode Friedrichs I. nie einem Umbau unterzogen worden. Ihm eignet daher für die Zeit des Barock ein hoher geschichtlicher und künstlerischer Aussagewert. Dieser beginnt mit den sehr bemerkenswerten städtebaulichen Bezügen, in die das Schloß hineingestellt ist, d. h. die gleichzeitig mit dem Schloß konzipiert worden waren. Mit der Erschließung des Obergeschosses — es ist seit der Verstaatlichung des Schlosses nach dem I. Weltkrieg jetzt zum erstenmal der Öffentlichkeit zugänglich — wird dieses städtebauliche Bezugssystem dem Besucher des Schlosses deutlicher als bisher. Vom oberen runden Saal zieht die breite mehrreihige Lindenallee der Schloßstraße den Blick an: sie ist die repräsentative Auffahrtsavenue zu dem hoheitlichen Schloßbereich. Der heutige Sophie-Charlotte-Platz, an dem sie beginnt, ist zugleich als Bezugspunkt eines auf das Schloß ausgerichteten Koordinatensystems gedacht, dessen zweite Achslinie durch die via triumphalis des alten Berlin, die Straße „Unter den Linden", bestimmt ist, so daß beide Schlösser, die Hauptresidenz in der Stadt, deren Umbau damals schon ins Auge gefaßt war, und die neue villa suburbana hinter dem Tiergarten durch eine strenge geometrische Ordnung in Beziehung zueinander gesetzt sind. Der Sog, den die Schloßallee für den Betrachter, der sich im oberen Vestibül des Schlosses befindet, besitzt, erlaubt es, sich den parallel laufenden Spandauer Damm, der erst später entstanden ist und der dem städtebaulichen System des Schlosses durchaus widerspricht, fortzudenken und sich das Schloß so vorzustellen, wie es als Schöpfung eines absolutistischen Bauwillens verstanden werden muß, als den beherrschenden Mittelpunkt eines strahlenförmigen Systems von Sicht- und Perspektivlinien, die in dem heutigen Straßengefüge, auch des weiteren Umraumes, noch rudimentär vorhanden sind. Dieses außerordentlich großräumige Ordnungssystem war in den Grundzügen schon von Nering konzipiert worden, aber erst das von Eosander erweiterte Schloß bietet die architektonische Entsprechung zu jenem barocken Gedanken der allseitigen Ausstrahlung des Schlosses. Es ist bestimmt durch die beiden gestaffelten Höfe in der Tiefenachse, die jenseits des Baues über den Garten hinaus ins Unendliche weiter zu führen schien, durch die nach vorn und den Seiten weit ausgreifenden Flügelarme, vor allem aber durch den hohen Kuppelturm, in dem die absolutistische Gesinnung des Königs am stärksten zum Ausdruck kommt. In dieser gleichsam sakralen Überhöhung des Baues mochte er die Verkörperung seines Königstums von Gottes Gnaden sehen. Im Innern liegt der Schwerpunkt des räumlichen Organismus nicht an der Hofund Stadtseite, sondern an der Gartenseite. Diese Ausrichtung ist durch den Neringbau bedingt. Als Sommerresidenz war er auf den Garten bezogen, der von Anfang an sehr weiträumig und nach den Gesichtspunkten der modernen französischen Gartenkunst Lenotres angelegt war. Hier, an der Gartenseite, springt ein ovaler Pavillon zur Hälfte in die Gartenterrasse vor, eine Freiräumlichkeit von erstaunlicher Modernität der baukünstlerischen Gesinnung. Eine niedrige Kuppel sollte seine architektonische Eigenständigkeit und Geschlossenheit betonen. Sie war wahrscheinlich schon begonnen, 86 als Eosander seine neuen großartigeren Pläne entwickelte und statt der gartenseitigen Kuppel den oben genannten hohen Kuppelturm an der Hofseite errichtete. Innen wird der Pavillon von zwei übereinanderliegenden Sälen eingenommen, von denen der obere den Hauptfestsaal des Schlosses bildet. Wahrscheinlich unter Eosander im oberen Teil verändert und erhöht, umfängt der weite und lichte Raum den Besucher mit einer heiteren Würde, die schon Wesenszüge des Rokoko vorwegzunehmen scheint. Die inneren fünf Arkaden sind verspiegelt, ein beliebtes Dekorationsprinzip barocker Raumkunst, welche die gärtnerischen Schmuckanlagen und den Himmel gern im Innern widerspiegeln ließ. Die Verspiegelung war im Laufe des 18. Jahrhunderts beseitigt worden, sie konnte aber auf Grund der Angaben eines im Jahre 1705 sogleich nach dem Tod Sophie Charlottes aufgestellten Inventarverzeichnisses, das auch ausführliche Raumbeschreibungen gibt, rekonstruiert werden. Hinter einer der Spiegelflächen ist eine Vitrine eingebaut worden, in der die preußischen Kroninsignien, die sich früher im Schloß Monbijou befanden, ausgestellt sind. Es sind dies: die Carcassen der Königs- und Königinkrone von 1701 (die Steine und Perlen hatte Friedrich der Große 1741 herausnehmen lassen und seiner Gemahlin zur anderweitigen Verwendung übergeben), Szepter, Reichsapfel und Reichssiegel, der für das Leichenbegängnis des Großen Kurfürsten angefertigte Totenhelm, ferner das sog. Kurschwert, ein Zeremonialschwert, das Papst Pius IL (Aeneas Sylvius Piccolomini) dem Markgrafen Albrecht, späteren Kurfürsten Albrecht Achilles, für die Unterstützung seiner Kreuzzugspläne am 6. Januar 1460 auf dem Konzil zu Mantua überreicht hatte, und das von Jobst Freudner aus Ulm in Königsberg angefertigte Reichsschwert des Herzogs Albrecht, das Schwert „von der Preußischen Souverainität". Der obere ovale Saal bietet auch den besten Blick auf den Garten: das Parterre ist gut übersehbar, ohne daß das für einen Barockgarten so wesentliche kräftige Relief der Broderien und der mit Blumen und Stauden locker aber rhythmisch bepflanzten Einfassungen der Kompartimente in der geringen Aufsicht verschwindet. Die architektonische Bedeutung des durch den Hauptfestsaal ausgezeichneten Obergeschosses erforderte auch eine entsprechende Ausbildung des Treppenhauses. Es ist nach längerem Hin- und Herplanen erst um 1704 entstanden. Friedrich I. nannte es später mit Recht — in einem Brief an die Kurfürstin von Hannover — „das schönste Ornament vom ganzen Haus". Der Raum ist von angenehmen Verhältnissen, licht, weit und durch plastischen Dekor, der Embleme der Künste und Jahreszeiten zeigt, auf das reizvollste ausgeschmückt. Architektonisch besonders bemerkenswert ist, daß die Treppenläufe — nach Art der Treppen in französischen Adelshotels — ä jour behandelt, d. h. freitragend konstruiert sind und dies offenbar zum ersten Mal in Deutschland. Dieses System ist zunächst auch ohne Nachfolge geblieben, da die Baugesinnung 'des deutschen Barock zu monumentaleren Anlagen drängte. Erst das intimere Raumgefühl des Rokoko hat bei uns ähnliche Anlagen entstehen lassen. So ist in Charlottenburg selbst die Treppenanlage Knobelsdorffs im Neuen Flügel typologisdi engstens verwandt. Obwohl das Obergeschoß den Hauptfestsaal enthält und auch außen durch eine Kolossalordnung von Halbsäulen als Hauptgeschoß gekennzeichnet und hervorgehoben ist, muß -das Erdgeschoß insofern als das piano nobile gelten, als es die Wohnungen Sophie Charlottes und Friedrichs I. enthielt. Hier hat Eosander an der Gartenseite die Verlängerung des Mittelbaues auf etwa das Dreifache geschickt benutzt, um das im Barock so beliebte Monumentalmotiv der Enfilade zu entfalten. Vom mittleren ovalen Saal aus gleitet der Blick nach links und rechts durch alle — insgesamt dreizehn — Räume bis in das Ende der Flügel, wo er durch Fenster weiter ins Freie gelenkt 87 wird. Diese Raumflucht durchschreitend, gewahrt man eine überlegte der Risalitbildung der langen Gartenfront entsprechende Rhythmisierung der Räume nach Form und Größe, die zugleich auch ihrem verschiedenen Zweck und Rang Rechnung trägt. Ursprünglich hatten alle Räume dieser Front bis auf den Boden reichende Schiebefenster, so daß man von ihnen unmittelbar auf die Gartenterrasse gelangen konnte. Es wäre zu wünschen, daß dieses für den ursprünglichen Charakter des Sommerschlosses wichtige und das architektonische Gesamtbild wesentlich mitbestimmende Fenstersystem wiederhergestellt würde. Während die Enfilade die beiden Phasen des Schloßbaues geschickt überspielt, wird bei näherem Zusehen in dem System der dekorativen Ausgestaltung ein Umbruch deutlich spürbar. Die Wohnräume des Neringbaues haben flache Decken, diejenigen aus der Zeit Eosanders sind gewölbt, an der Gartenseite sogar so hoch, daß für ein Obergeschoß kein Raum blieb und die Fenster der zweiten Etage verblendet werden mußten. An der Hofseite, wo ein echtes zweites Geschoß erhalten bleiben sollte, sind die Decken Eosanders nur leicht muldenförmig gewölbt, aber die Dekoration, die sich hier besonders gut erhalten hat, ist völlig neuer Art. Während im Neringbau kräftiges stuckiertes Akanthusblattwerk, die Bildfelder aussparend, den Grund der Decke überzieht, finden wir in diesen nur um wenige Jahre jüngeren Räumen eine elegante, graziöse, die ganze Decke überspielende ornamentale Malerei im Stil der französischen Dekorationsmaler Berain und Audran. Sie zeigt, mit welcher Aufgeschlossenheit Eosander, der im Jahre 1700, als er die Bauleitung des Charlottenburger Schlosses übernahm, zu einer Studienreise nach Frankreich geschickt worden war, dort die modernen Dekorationsprinzipien aufgenommen hatte. Auch die übrige Ausgestaltung dieser und der anderen Räume Eosanders läßt den Fortschritt in der raumkünstlerischen Gesinnung erkennen, der mit der Übernahme der Bauleitung durch Eosander eingetreten war. Von diesem stilistischen Gefälle der beiden Bauphasen abgesehen, zeichnet in gleich anspruchsvoller Weise eine reiche typologische Abwandlung den gesamten Raumkomplex aus. Es gibt meist als Wohnräume dienende getäfelte und textil behandelte Räume, die jeweils wieder wirkungsvoll variiert sind. Während sich die getäfelten Räume meist erhalten haben, sind die empfindlichen Seidenbespannungen im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts mehrfach erneuert, z. T. auch durch Papiertapeten ersetzt worden. Bei der jetzigen Wiederherstellung haben die meisten dieser Räume neue Seidenbespannungen erhalten, die nach zeitgenössischen Vorbildern fadengenau in den überlieferten Farben nachgewebt worden sind. Den künstlerischen Höhepunkt bildet das Porzellankabinett, mit dem Eosander den Raumtypus des wohnlich eingerichteten Spiegelkabinetts, wie es auch der Bau Nerings noch besaß, zu einem nur dem ästhetischen Genuß dienenden Raumkunstwerk erhoben hat. Die Lage am (westlichen) Ende des Gartenflügels erlaubte es, den Raum von zwei Seiten durch je drei Fenster zu erhellen und ihm damit eine besondere Lichtfülle zu geben. Die Wände waren meist verspiegelt, so daß sie das bunte Bild der ostasiatischen Porzellane vielfältig gebrochen zurückwerfen und das „Gesicht wird um so mehr surpreniert, indem man zu gleicher Zeit den Prospekt des Parterres und der Alleen des Gartens in denen Spiegeln entdecket" (Eosander im Theatrum Europäum). Das Barocke in der barocken Kunst hat in solchen Porzellankabinetten wohl seine apartesten Blüten getrieben. Daß der Raum, der den größten Teil seiner Porzellane durch die Nachkriegswirren eingebüßt hatte, wieder weitgehend mit chinesischem Porzellan — meist der Kang-hsi-Zeit — ausgestattet werden konnte, ist der großzügigen Unterstützung der Deuschen Klassenlotterie Berlin zu verdanken. 88 Das Schloß sollte noch einen zweiten Prunkraum erhalten: einen ganz mit Bernstein inkrustierten Raum. Wir vermuten, daß dieser Schmuck für das spätere Rote Tressenzimmer bestimmt war. Auf Grund einer Rechnung darf angenommen werden, daß die Arbeiten 1711 im wesentlichen fertiggestellt waren. Zum Einbau ist es aber offenbar nicht mehr gekommen. 1717 schenkte Friedrich Wilhelm I. die kostbare Dekoration dem Zaren Peter dem Großen. Im letzten Krieg wurde sie von deutschen Kunstschutzoffizieren aus dem unter Beschuß gelegenen Schloß Zarskoje Sselo, in dem es die Zarin Katharina hatte einbauen lassen, nach Schloß Königsberg verbracht. Mit dem Kriegsende verlieren sich leider die Spuren dieses im gesamten deutschen Schloßbau einzigartigen Raumschmuckes. Die Ausstattung des Schlosses zur Zeit Sophie Charlottes und Friedrichs I. mit beweglichem Kunstgut, die durch Inventarverzeichnisse weitgehend überliefert ist, weist natürlich große Lücken auf. Doch ist genügend Inventar erhalten, um von dem Wohnstil jener Zeit des preußischen Barock gültige Eindrücke vermitteln zu können. Ja, Charlottenburg nimmt wohl im Hinblick auf die Erhaltung des räumlichen Ensemble unter den deutschen Barockschlössern einen besonderen Platz ein. Zunächst ist •die durch das genannte Inventar von 1705 bezeugte große Vorliebe für die ostasiatische Kunst heute noch deutlich zu verspüren. Holländische Lackkabinette wie auch europäische Möbel, die die chinesische Lackmalerei nachahmen — es sind teils Berliner, teils auch holländische und englische Arbeiten — sind noch in größerer Zahl im Schloß vorhanden. Daneben gibt es eine Anzahl naturfarbener Möbel (meist Nußbaum) mit vorzüglicher Einlegearbeit. Zu den wertvollsten Ausstattungsstücken, um die Friedrich der Große das Schloß seiner Großmutter bereicherte, gehören die Wirkteppiche der Berliner Manufaktur Charles Vigne, mit denen er das Vorzimmer westlich des ovalen Saales und die anschließende Audienzkammer Sophie Charlottes ausschmückte, dessen chinesische Seidentapeten, auf denen „gelackte indianische Portraits" hingen, offenbar nicht mehr erhalten waren. Nach diesem Krieg sind noch weitere Wandteppiche der Manufaktur von Vigne hinzugekommen, die aus anderen Schlössern stammen oder hinzuerworben werden konnten. Unter den Bildern sind diejenigen aus dem Besitz Sophie Charlottes besonders bemerkenswert, nicht nur wegen ihrer Qualität, sondern auch als Zeugnisse der geistigen und künstlerischen Interessen dieser hervorragenden Frau. Besonders schätzte sie Anthonie Schoonjans, der 1702 einige Monate an ihrem Hof war und in dieser Zeit eine außerordentlich fruchtbare Tätigkeit entfaltet hat. Daß der Künstler seinen eleganten Eklektizismus mit physiognomischer Lebendigkeit zu verbinden wußte, mochte die Vorliebe Sophie Charlottes für seine Kunst begründen. Das große Bild ihres Sohnes als David mit der Schleuder, das jetzt wieder an seinen angestammten Platz in ihrem Schlafzimmer zurückgekehrt ist, und das Bildnis eines russischen Erzbischofs, des Metropolitan von Philippopel, der mehrere Jahre in Berlin gewesen war, gehören zu den besten Gemälden der Sammlung. Das in ihrem Besitz befindlich gewesene Bildnis von Leibniz hat sich leider nicht erhalten. Die Porträts italienischer Musiker — Buononcini, Ariosti, Pasquini, Corelli — bezeugen die große Vorliebe der Königin für die italienische Musik, der sie erstmals in Berlin eine Pflegestätte bereitete. Von ihnen ist Ariosti mehrere Jahre, Buononcini, der sie im Tonsatz unterrichtete, nur kurze Zeit am Lietzenburger Hof gewesen. Der sehr reduzierte Gemäldebestand ist seit der Verstaatlichung des Schlosses nach dem I. Weltkrieg durch die „Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten", die einstige preußische wie die jetzige Berliner Schlösserverwaltung, vor allem um Werke von Antoine Pesne, dem Hofmaler Friedrichs L, Friedrich Wilhelms I. und — vor allem — Friedrichs des Großen, wesentlich ergänzt worden. Unter den Neuerwerbungen befinden sich etliche 89 Arbeiten seiner Frühzeit, die sich durch die Verbindung einer geschönten Darstellung des Menschen mit physiognomischer Lebendigkeit jenen vorerwähnten Bildern von Schoonjans natürlich anfügen. Die ehemaligen Wohnräume des Obergeschosses sind im Krieg völlig vernichtet worden und konnten aus Mangel an dokumentarischen Unterlagen nicht in ihrem ursprünglichen Zustand wiederhergestellt werden. Sie wurden mit Kunstwerken ausgestattet, die sich auf den Großen Kurfürsten beziehen, auf den der Besucher des Schlosses schon durch das Reiterdenkmal im Ehrenhof hingewiesen wird, in dem Andreas Schlüter Wesen und Persönlichkeit dieses Begründers des brandenburg-preußischen Staates großartig und gültig zum Ausdruck gebracht hat. Unter den ausgestellten Kunstwerken verdienen die Wirkteppiche der Berliner Manufaktur von Mercier, die die Siege des Großen Kurfürsten gegen die Schweden darstellen, besondere Beachtung. Das bedeutendste Gemälde dieser Schau ist die Apotheose des Großen Kurfürsten (1682 )von Michael Willmann, einem der virtuosesten und eigenwilligsten Maler des deutschen Barock, der — in Königsberg geboren — auch einige Jahre (etwa 1658 bis 1661) am brandenburgischen Hof tätig gewesen war. Der oranischen Allianz des Großen Kurfürsten ist ein Raum mit Bildnissen von Willem van Honthorst, Jan Mytens und Mathias Czwiczek gewidmet. Schließlich gilt eine kleine Sammlung von Gemälden und Zeichnungen dem Gedächtnis des Berliner Schlosses. Diese Schau soll vor allem denjenigen Besuchern, die das einzigartige Bauwerk nicht gekannt haben, einen Eindruck von seiner bildnerischen Kraft und eigenwilligen Größe vermitteln. So reicht die Spanne des heute in dem wiederhergestellten Nering-Eosander-Bau dem Besucher Dargebotenen vom originalen Schloßraum bis zum neuen schloßgemäßen Museumsraum und er erlebt das Schloß wieder als ein aus Architektur, Garten und beweglichem Kunstbesitz bestehendes Gesamtkunstwerk, das die Kunst und Kultur des brandenburg-preußischen Barock beispielhaft zu vergegenwärtigen vermag. Rotes Tressenzimmer 90 Berichte Besuch im Geheimen Staatsarchiv in Dahlem Am Sonnabend, dem 15. Oktober, empfing Direktor Dr. Zimmermann als Gastgeber unsere Mitglieder im Dahlemer Geheimen Staatsarchiv, dem einstigen preußischen Zentralarchiv. Nach fast zwei Jahrzehnten treuhänderischer Verwaltung durch das Land Berlin wurde es 1963 in die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufgenommen. Die im Kriege ausgelagerten Aktenbestände befinden sich heute in sowjetzonaler Verwahrung. Nur wenig staatlich-preußisches Schriftgut war in Berlin zurückgeblieben. Das Archiv erfaßte nach 1945 auch Aktenmaterial der ehemal. Reichsbehörden, Parteiinstanzen, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und übernahm Restmaterialien des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs sowie des Brandenburgischen Provinzialarchivs. Akten der in Berlin domizilierenden Bundesbehörden werden auftragsweise verwaltet. Die sehr wertvolle und umfangreiche Sammlung historischer Karten konnte den Zerstörungen des 2. Weltkrieges entgehen. Die Fachbibliothek wurde zum großen Teil vernichtet, aber neu aufgebaut und zählt heute bereits wieder 80 000 Bände. Dr. Zimmermann führte im Anschluß an seine einleitenden Worte über die Funktion des Institutes in Vergangenheit und Gegenwart eine große Zahl sorgfältig ausgesuchter Prachtstücke von Dokumenten vor, die von den wechselvollen Geschicken des brandenburgisch-preußischen Staates im Flusse der Zeit Zeugnis legen. Auch ihrerseits hatten viele dieser Cimelien ihre Schicksale, so die berühmten Politischen Testamente Friedrichs des Großen, die nach 1945 in die Vereinigten Staaten wanderten, durch Zufall entdeckt wurden und den Weg zurück fanden. Trotz Fehlens eines eigenen Dienstsprengeis hat sich das Geheime Staatsarchiv in den zwei Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch wieder zu einem wichtigen Träger historischer Überlieferung und zu einem bedeutenden Faktor im Berliner Kulturleben machen können. G. Kutzsch Institut für Gärungsgewerbe in Berlin Am Mittwoch, dem 26. Oktober 1966, führte unser Verein die interessierten Mitglieder zu einem Besuch ins „Institut für Gärungsgewerbe" im Norden Berlins, das der Technischen Universität Berlin angeschlossen ist. Der wissenschaftliche Direktor, Professor Dr. Dr. h. c. B. Drews, begrüßte im Namen des Instituts unsere Besuchergruppe und gab eine kurze Einführung in die Aufgaben und die Geschichte des Instituts, die später von unserem Vorstandsmitglied, dem Geschäftsführer der Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens e. V., Chefredakteur E. Borkenhagen, vertieft wurde. Das Institut für Gärungsgewerbe geht in seinen Anfängen auf die vor mehr als 100 Jahren als Gemeinschaftseinrichtung für Zwecke der Forschung und Beratung gegründete Versuchs- und Lehranstalt für Spiritusfabrikation zurück. Später folgten die Gründung der heutigen „Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei" auf gleicher Grundlage und mit gleicher Zielsetzung sowie weitere Versuchs- und Forschungsinstitute unter der Verwaltung des Instituts. Bei diesem Forschungsinstitut und Lehrbetrieb innerhalb der Fakultät für Landbau der Technischen Universität Berlin handelt es sich um ein Studium mit dem Abschluß als Dipl.-Ing. und der Möglichkeit der Promotion. Die im Laufe ihrer Geschichte bewährte Gliederung und Organisation des Instituts wirkte sehr früh zum Nutzen der beteiligten Wirtschaftszweige, der Güte und der Qualität ihrer Erzeugnisse und damit in erhöhtem Maße für die Allgemeinheit. Wichtige, allgemein verwertbare wissenschaftliche Erkenntnisse, beispielsweise auf biochemischen und mikrobiologischen Gebieten, die im Institut gewonnen wurden, konnten der Allgemeinheit dienstbar gemacht werden. 91 Besonderes Interesse fanden die Ausführungen der Vortragenden, daß hinter der Geschichte des Bieres mehr als 5000 Jahre menschlicher Kulturgeschichte stehen. Entsprechende Forschungsergebnisse und Materialsammlungen konnte die am Institut ansässige und von den Brauereien des In- und Auslandes getragene „Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens" vorlegen. Die Besucher waren überrascht über Vielheit und Umfang der wissenschaftlichen und technischen Einrichtungen, die bei der anschließenden Führung mit wachsender Anteilnahme besichtigt wurden. Der Besuch des Instituts klang aus mit einer Verkostung der Biere der mit dem Institut verbundenen Hochschul-Brauerei nebst kleinem Imbiß. Hierbei konnte der Geschäftsführer der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei, Herr Dr. Schultze-Berndt, die Gäste namens der Versuchs- und Lehranstalt und der Hochschul-Brauerei begrüßen und mit anderen Herren des Instituts weitere Auskünfte erteilen. Aus der anschließenden Erörterung seien u. a. hervorgehoben Beiträge und Mitteilungen über die gegenüber dem Institutsgelände begonnene Affäre des „Hauptmann von Köpenick", der dort die aus den Rehbergen kommende Soldatengruppe unter seinen Befehl gestellt hatte. Ergänzend sei noch bemerkt, daß er zuvor, der Überlieferung nach, im Lichthof des Instituts die damals ausgestellten Gerätschaften besichtigte, vermutlich um die Zeit zu überbrücken und die Wirkung seiner Uniform zu erproben. Bu. Berliner Post- u n d Fernmeldemuseum Der Verein besichtigte am 12. November d. J. das am 6. Juni 1966 eröffnete Post- und Fernmeldemuseum im Urania-Haus. Dieses Museum will nicht Nachfolger des Reichspostmuseums sein, das, an der Ecke der Leipziger/Mauerstraße belegen, viele alte Berliner noch kennen. Dies, eine Schöpfung des Generalpostmeisters Heinrich von Stephan, fand mit seinen wertvollen Sammlungen 1945 sein Ende. Seine Tradition wird heute vom Bundespostmuseum in Frankfurt am Main fortgesetzt. Versuche des Senats von Berlin, ein Deutsches Postmuseum in Berlin zu errichten, scheiterten 1954. Die Landespostdirektion in Berlin entschloß sich daher, in Berlin eine auf Berlin bezogene ständige Sammlung postgeschichtlicher und fernmeldegeschichtlicher Erinnerungsgegenstände zu schaffen, die zunächst im Postamt Berlin 15 in der Lietzenburger Straße eröffnet wurde. Sie schloß im Mai 1965 ihre Pforten, weil die Räume für dienstliche Zwecke gebraucht wurden. Es ergab sich inzwischen die Möglichkeit, im großen und geräumigen Urania-Haus, das bereits die Berliner Verkehrsausstellung enthält, für die postgeschichtlichen Sammlungen Berlins größere Ausstellungsräume zu mieten. Ein Besuch der Ausstellung vermittelt ein eindrucksvolles Bild über Geschichte und Entwicklung des Postwesens in Berlin gleichfalls als Bestandteil der Geschichte unserer Stadt. Ein Vortragsraum gibt die Möglichkeit, Filme über das Post- und Fernmeldewesen vorzuführen. Die Geschichte des staatlich gelenkten Postwesens in Berlin beginnt 1649, kurz nach Beendigung des 30jährigen Krieges. Das erste Postamt Berlins war im Schloß untergebracht, wo sich die Berliner ihre Post abholen mußten. Die Postlinien des Großen Kurfürsten führten nach Memel, Dresden, Leipzig, Hamburg und Cleve. Die Ausstellung führt den Besucher durch mehr als 3 Jahrhunderte Geschichte des Berliner Postwesens, aus der Post Brandenburg-Preußens über die Postverwaltung des Norddeutschen Bundes (1867), des Deutschen Reiches (1871) sowie über den Siegeszug der elektrischen Nachrichtenübermittlung mit Telegraph, Fernsprecher, Funk, Rundfunk und Fernsehen bis zur Nachrichtenübermittlung über Weltraumsatelliten; letztere wurden den Besuchern in einer Filmvorführung gezeigt. 92 Besonderes Interesse fand die Ausstellung für Postwertzeichen. Sie ist ein Geschenk der Landespostdirektion an die Philatelisten Berlins und zugleich eine Erinnerung an die berühmte Postwertzeichensammlung und -ausstellung des alten Reichspostmuseums. Der Besichtigung und Führung durch die Herren Rot und Kausch von der Gesellschaft für deutsche Postgeschichte e. V. folgte die Vorführung eines Farbfilmes über die Übermittlung von Nachrichten von einer Sendestation in den USA über einen Weltraumsatelliten zur Empfangsstation in Bayern in der Nähe des Ammersees zur weiteren Verbreitung im Deutschen Fernsehnetz. Die in Bild und Wort hervorragende Übertragung der Sendung über den Weltraumsatelliten hinterließ bei allen Besuchern einen tiefen Eindruck. Bu. Ein Spaziergang durch Alt-Berlin-Cölln im Jahre 1966 Der erste Vortragsabend in diesem Winter am 21. November 1966 war einem „Spaziergang durch Alt-Berlin-Cölln im Jahre 1966" gewidmet. Mit großem Beifall wurden die Ausführungen des Redners Hans-Werner Klünner aufgenommen, der an Hand von 75 Farblichtbildern die Reste des alten Berlin zeigte. Ausgehend von der Tradition unseres Vereins, der bis 1943 regelmäßig Führungen durch die Altstadt veranstaltete, begann die Bilderreihe in Form eines Spazierganges am Gendarmenmarkt, wo einst im Deutschen Dom das Domizil des Vereins war. Weiter sahen wir in der Mohrenstraße die 1787 von Langhans erbauten Kolonnaden, den Dönhoff platz mit dem Denkmal des Freiherrn v. Stein, den Spittelmarkt mit Gertraudenstraße und Petrikirche vor und nach deren Abbruch, die Gertraudenbrücke, die Jungfernbrücke mit Friedrichsgracht sowie die Sperlingsgasse, in der Brüderstraße das Galgenhaus und das Nicolaihaus. Die alten Häuser und Höfe in der Fischerstraße und Friedrichsgracht, Wohnhäuser des 18. Jh. am Märkischen Ufer, das Märkische Museum mit einer Herkulesgruppe von der gleichnamigen Brücke, den Wusterhausischen Bären und die jetzt als Gartenbauamt dienende, 1887 erbaute alte Volksbadeanstalt im Köllnischen Park. In der Breiten Straße sahen wir das nun auch verschwundene Ermelerhaus, Ribbeckhaus, Stadtbibliothek und das neue Zilledenkmal. Nach einem Blick über die weite Fläche des abgerissenen Schlosses zum Lustgarten wurden Zeughaus, Ehrenmal, ehem. Singakademie und ehem. preuß. Finanzministerium im Kastanienwäldchen, die Bauhofstraße mit der falschen Gedenktafel für Gottfried Keller und das Magnushaus am Kupfergraben 7 gezeigt, in dem Max Reinhardt gewohnt hat. Vom Rest der Friedrichsbrücke aus erblickten wir den schönen Turm der Sophienkirche, Heilige-Geist-Kapelle, Marienkirche, Rathaus, Jüdenhof, Molkenmarkt mit Schwerinschem Palais; Knoblauchhaus und Bilder der Nikolaikirchenruine folgten. In der Waisenstraße wurden die Reste der mittelalterlichen Stadtmauer sichtbar sowie das Lokal „Zur letzten Instanz". Es folgten in der Klosterstraße das Podewils'sche Palais und die Parochialkirche und einige Bilder von den Ruinen der Klosterkirche und des Klosters. Den Abschluß bildete der Alexanderplatz vor dem Kriege und jetzt sowie ein Blick über den Platz nach Osten zum neuen Haus des Lehrers und der Kongreßhalle. Da für viele Westberliner die Innenstadt seit Jahren unerreichbar ist und die Verwirklichung der Aufbaupläne für den Stadtkern noch manches bauliche Opfer fordern wird, wie z. B. im Fischervierel, sahen wir vieles hier Gezeigte vielleicht zum letzten Mal. Gedenkausstellung „Leibniz u n d Berlin" Anläßlich der 250. Wiederkehr des Todestages von Gottfried Wilhelm Leibniz am 14. November 1966 hat die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten dem großen Philosophen eine Gedenkausstellung „Leibniz und Berlin" gewidmet. 93 Die Schau g e w ä h r t a n h a n d von zahlreichen handschriftlichen D o k u m e n t e n (aus dem Leibniz-Nachlaß der Niedersächsischen Landesbibliothek H a n n o v e r ) , zeitgenössischen Buchausgaben sowie Bildnissen (Gemälden und Stichen) einen Einblick in das gelehrte Berlin um 1700 u n d die Bedeutung, die Leibniz für Berlin u n d die Gelehrten der Stadt wie auch der Universität H a l l e , mit denen er meist einen lebhaften Briefwechsel unterhielt, gehabt hat. Die vollständigen Texte der Handschriften können in P h o t o g r a p h i e n , die — in M a p p e n geordnet — ausliegen, eingesehen werden. Die Ausstellung ist in folgende H a u p t a b t e i l u n g e n aufgegliedert: Berlin u n d die republique des lettres, die Universität H a l l e , die Sozietät der Wissenschaften, Irenica Berolinensia, das philosophische Gespräch in Charlottenburg, die Auseinandersetzung mit Pierre Bayle und seinem berühmten Dictionnaire historique et critique, sowie mit den englischen Philosophen Hobbes, Locke und Lord Shaftesbury. D e r Bildhauer Joachim D u n k e l hat für diese Ausstellung ein bronzenes Reliefbildnis v o n Leibniz geschaffen, das den Abschluß bildet. Ein K a t a l o g ist nicht erschienen. M. K ü h n Buchbesprechungen Ilse Nicolas: Vom Potsdamer Platz zur Glienicker Brücke. Geschichte und Gegenwart eines großen Berliner Straßenzuges. Berlin: Haude- und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1966. 106 S. mit 13 Abb. („Berlinische Reminiszenzen" Bd. 13). DM 9,80. Über ihr Thema hinausgehend bietet die Verfasserin einen historischen Abriß des gesamten, durch sechs Berliner Stadtbezirke sich erstreckenden Straßenzuges vom Molkenmarkt— Mühlendamm — Gertraudenstraße — Leipziger Straße — Potsdamer Straße — Hauptstraße — Schloßstraße — bis zur Potsdamer Chaussee — Königstraße und Glienicker Brücke. Alle geschichtlichen Unterlagen sind gut zusammengetragen, die die Entwicklung dieser Straßen kennzeichnen, vom einstigen Zentrum der deutschen Hauptstadt bis an die Grenze der ehemaligen Potsdamer Residenzstadt. Ihr eigentliches Thema läßt die Verfasserin mit dem Jahre 1792 beginnen, als von Langhans, dem Erbauer des Brandenburger Tores, auf königlichen Befehl über die alten Stadtmauern hinaus die wichtigste Ausfallstraße westlich der Leipziger Straße zur ersten preußischen Chaussee umgestaltet wurde, die seit 1831 den Namen Potsdamer Straße führt. Persönlichkeiten, einzelne Gebäude, Ereignisse aus der Vergangenheit bis zur Gegenwart finden ihre gebührende Würdigung. Bekannte Gaststätten in der Potsdamer Straße und ihre prominenten Gäste wie Theodor Fontane und Adolf von Menzel, Schöneberg mit seinen Millionenbauern, die Steglitzer Schloßstraße mit ihrem jetzigen Großstadtleben werden behandelt, ohne das Wrangel-Schlößchen zu vergessen, die Mutter Mochow in Zehlendorf, die einstige Kolonie Wannsee mit Stimmings Krug und Heinrich v. Kleists tragischem Ende. Der letzte Abschnitt ist als „Preußischer Ausklang" den Glienicker Schlössern und dem Glienicker Park gewidmet. Ein sehr anschaulich geschriebenes, schönes Buch, das für jeden Berliner vielfache Erinnerungen und Anregungen ausstrahlen läßt. J. Lachmann Ernst Pett: Die Pfaueninsel. Geschichte und Geschichten zwischen Potsdam und Berlin. Berlin: Haude- und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1966. 102 Seiten und 8 Abb. („Berlinische Reminiszenzen" Bd. 12) DM 9,80. Der Verfasser, der als Pfarrer mehrere Jahre in Wannsee gewirkt und zur Hundertjahrfeier der alten Wannseer Kirche 1959 bereits eine Broschüre verfaßt hat, läßt auf Grund eingehender Kenntnis aller einschlägigen Quellen die ganze Geschichte der Pfaueninsel bis zur Jetztzeit am Leser vorübergleiten. Nach einer Betrachtung der geographischen Situation schildert Pett die Einrichtung einer Forscherwerkstatt auf der Pfaueninsel im Auftrage des Großen Kurfürsten durch den Alchimisten Johann Kunckel, der zum ersten Mal Rubinglas herstellte (1678). Der Soldatenkönig schenkte dann die Insel dem Potsdamer Waisenhause, von dem Friedrich Wilhelm II. sie 1793 wieder zurückerwarb, um das allbekannte Schloß darauf erbauen zu lassen, das Friedrich Wilhelm III., der Königin Luise und Friedrich Wilhelm IV. so oft zur Entspannung gedient hat. Die Unterredung Friedrich Wilhelms III. mit Hardenberg im Jahre 1810, die zu dessen Berufung als Staatskanzler führte, fand hier statt. Der Bau von Nikolskoe und der Peter-Pauls-Kirche, mitveranlaßt durch Friedrich Wilhelms III. Tochter Charlotte, die Gattin des Zaren Nikolaus I. werden behandelt. Anschaulich dargestellt wird der Sommerabend mit dem Auftreten der Schauspielerin Elisa Rachel in Anwesenheit des Zaren (1852). Vier Jahre vorher hatte der Prinz von Preußen auf seiner Flucht nach England hier geweilt. Auf die botanische und zoologische Bedeutung der Insel wird ebenfalls vom Verfasser eingegangen. Mit der Geschichte der nahen Halbinsel Schwa- 94 nenwerder, wo im „dritten Reich" Goebbels seine Residenz aufgeschlagen hatte, und mit einem Blick auf das tragische Geschehen im Zweiten Weltkriege klingt das lehrreiche und unterhaltsame Büchlein aus, das als Geschenk bestens empfohlen werden kann. J. Lachmann Uns kann keener. Menschen in Berlin. Herausgegeben von Walther G. Oschilewski. Berlin 33: arani-Verlags-G.m.b.H. 1966. 80 Seiten mit 64 Abbildungen. DM 16,80. Wenn auch der Titel des Buches nicht neu ist — Franz Lederer hat ihn bereits 1927 für eine Sammlung gewählt —, so beabsichtigt der Herausgeber auch nicht, bestimmte Männer und Frauen dem Leser vorzustellen, sondern „das ganze Berlin in der unverwechselbar geistigen und seelischen Physionomie seiner Menschen". So ziehen die verschiedensten Bilder und Szenen aus dem Volksleben vom 19. Jahrhundert bis in unsere Tage an uns vorüber. Hervorgehoben seien Typen wie Madame du Titre als „Urbild der Berlinerin" mit dem Text des Herausgebers, Adolf Glassbrenner mit seinem Eckensteher Nante, Paul Fechters „Göttliche Jette vom Alexanderplatz" (Henriette Sonntag) oder David Kaiisch und Alfred Kerr. Auch Heinrich Zille fehlt natürlich nicht. Die Scenen, aus denen nur einige Proben erwähnt wurden, reichen bis zur Trümmerfrau von 1945 und dem 17. Juni 1953. Ein vergnügliches, humorvolles und doch besinnliches Buch, wie es eben nur in Berlin von Berlinern, über Berliner und für Berliner geschrieben werden kann. J. Lachmann Manfred Stürzbecher: Beiträge zur Berliner Medizingeschichte (Veröffentl. d. Hist. Kommission zu Berlin Bd. 18) Verlag de Gruyter & Co. Berlin 1966. 234 S. Gzln. DM 48,—. Die Untersuchungen, die der Verfasser zur berlin-brandenburgischen Medizingeschichte vorgenommen hat, bilden eine wertvolle Ergänzung zu den Darstellungen früherer Forscher (Moehsen). Er hat zu diesem Zweck drei verschiedenartige Gebiete herausgehoben und in seiner bekannten gründlichen Art behandelt. Der erste Abschnitt betrifft die Geschichte der brandenburgischen Medizinalgesezgebung im 17. Jahrhundert, wobei dem brandenburgischen Medizinaledikt von 1685 die bedeutsamste Rolle zukommt. Es ist verständlich, daß Verf. es in seinem Wortlaut wiedergibt und sorgfältig erläutert. Der zweite Abschnitt des Buches behandelt die medizinische Versorgung der Berliner Bevölkerung im 18. Jahrhundert, die als völlig ungenügend angesehen werden muß und erst im 19. Jahrhundert einen Stand erreichte, der es ermöglichte, die Volksgesundheit wesentlich zu bessern und die bisher hohe Sterblichkeit zu senken. Ein sehr spezielles Gebiet betrifft den dritten Abschnitt des Buches, den Briefwechsel zwischen Rudolf Virchow und seinem Vorgesetzten Robert Froriep über die Zustände in der Berliner Charite zur Zeit seines Dienstantritts im Jahre 1844. Wenn auch der Inhalt des Buches vorwiegend den Medizinhistoriker interessieren dürfte, so bilden die Abhandlungen unseres Mitglieds Dr. Stürzbecher doch einen wertvollen Beitrag zur Kulturgeschichte Berlins, bei welcher noch viele Fragen offen stehen. B. Harms Hans Ludwig, Altberliner Typen von Dörbeck. Staneck Verlag Berlin 1966. 80 Seiten. Gzln. DM 12,80. Dörbeck war der heute fast vergessene, bedeutende Karikaturist des vormärzlichen Berlins, der in hunderten von Zeichnungen die Berliner in ihrem Leben und Treiben, in ihrem typischen Verhalten, in ihrem Witz und ihren Redensarten mit sarkastischem Humor darstellte. Dörbeck kam 1823 vierundzwanzig Jahre alt aus Livland nach Berlin, wo er das für ihn richtige Betätigungsfeld zu finden glaubte und auch fand. Hier konnte sich sein Talent wirkungsvoll entfalten; er wurde zum Begründer der bildlichen Karikatur, wie sie später, typisch für Berlin, Heinrich Zille vertrat. Von seinen Zeichnungen, die meist im Verlage der Gebrüder Gropius erschienen (Verzeichnis bei Otto Pniower, Alt-Berliner Humor um 1830), hat der Verf. 32 ausgewählt, die für das künstlerische Werk Dörbecks charakteristisch sind. Was das Buch besonders auszeichnet, ist die erstmalig veröffentlichte Biographie Dörbecks, über den nur wenig Lebensdaten bekannt sind. Dörbeck wurde nur 36 Jahre alt, von denen er das letzte Drittel in Berlin gelebt hat. In dieser Zeit hat er das Berliner Leben mit einer seltenen Einfühlung und mit künstlerischem Verständnis geschildert und einen wertvollen kulturgeschichtlichen Beitrag zum Verständnis Berlins und seiner Bewohner geleistet. B. Harms Panorama Berlin-Kalender 196J. 5. Folge, hrsg. v. Walther G. Oschilewski. arani-Verlag Berlin. DM 6,70. Auch für das kommende Jahr hat der arani-Verlag einen schönen Berlin-Kalender herausgegeben, der auf 28 Blättern, davon 8 farbigen, das Berlin früherer Zeiten zeigt. Für die Abbildungen wurden Gemälde und Stiche des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts verwandt, so daß ein guter Überblick über die Landschaft und die Bauten des Berlin dieser Zeit vermittelt und so ein anschaulicher Beitrag zur Heimatkunde geliefert wird. Hs. 95 Carl Nagel, Achim und Arnims Eltern in Friedenfelde. Zweihundert Jahre Geschichte eines uckermärkischen Gutes und seiner Besitzer sowie ein Inventarium des Herrenhauses aus dem Jahre 1778 (Schriften zur Familien- und Heimatgeschichte herausgegeben von Jochem von Arnim). Bochum 1966 Selbstverlag des Herausgebers. 52 Seiten, 14 Abb. Gzln. DM 7,80. Es handelt sich bei dem Buch unseres verstorbenen Mitgliedes Nagel um eine familienund ortsgeschichtliche Abhandlung, die zugleich viele andere interessante Dinge, wie z. B. Teile der Berliner Theatergeschichte unter Friedrich d. Gr. bringt. Die Geschichte des Ortes umfaßt gut zwei Jahrhunderte, von 1743 bis 1945. Die biographischen Skizzen der Besitzer ergeben ein buntes Bild, da das Gut etwa siebenmal verkauft wurde, davon dreimal an die Familie von Arnim. Besonders interessant ist das ausführlich geschilderte Inventarium von 1778. Es existieren nur wenige solcher Verzeichnisse aus märkischen Gutshäusern dieser Zeit. Die Abbildungen sind z. T. bisher so gut wie unbekannt, so z. B. das Bild des Vaters und der Mutter von Achim von Arnim und des Bruders. Eine Übersicht über die Besitzer des Gutes sowie ausführliche Register vervollständigen die Darstellung. Das Buch ist die letzte Arbeit von Carl Nagel, der sowohl als Theologe wie als Heimatforscher Bedeutendes geleistet hat. Leider hat er das Erscheinen des Buches nicht mehr erlebt. H . von Arnim Albert Reimann: Die Reimann-Schule. Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte Band 8. Bruno Hessling Verlag Berlin 1966. 100 S. mit 45 Abbildungen. Ppbd. DM 9,80. Die Reimann-Schule war vor dem Zweiten Weltkriege die bekannteste und vielbesuchte Kunst- und Kunstgewerbe-Schule Berlins. Sie wurde begründet von dem Verfasser, der als Kunsttischler ausgebildet, sich dem Studium der Kunstgeschichte widmete und dann seine Ideen des Unterrichts in den verschiedensten Zweigen des Kunstgewerbes durch Gründung einer eigenen Schule verwirklichte. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich die Schule zu einer Unterrichtsanstalt größten Formats, die Tausende von Kunstgewerblern der verschiedensten Zweige ausbildete und in die verschiedensten Länder entsandte. Einmalig waren der Lehrkörper, die verschiedensten Ateliers und Unterrichtsmittel. Im „Dritten Reich" wurde die Schule enteignet, Reimann mußte ins Ausland gehen und gründete in London eine neue „Reimann-Schule". Im Kriege wurde die Berliner Schule total ausgebombt. Es ist erstaunlich, mit welcher Frische und Lebendigkeit der nunmehr neunzigjährige Reimann den Werdegang seiner Schule von den ersten Anfängen bis zum bitteren Ende schildert. Wir glauben ihm gern, wenn er sagt, daß „man sich immer noch jung, glücklich und tatkräftig fühlt." Die Reimann-Schule ist aus dem künstlerischen Leben des Berlin vor dem Zweiten Weltkriege nicht fortzudenken; ihr Begründer und Leiter Albert Reimann hat ihr durch seinen von Humor und Ernst getragenen Bericht ein bleibendes Denkmal gesetzt. B. Harms Mitgliedsbeitrag Auf Grund des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 26. April 1966 beträgt der Mitgliedsbeitrag für das Jahr 1967 DM 24,—. Zur Vereinfachung der Kassenverwaltung wird gebeten, den Mitgliedsbeitrag ganz- oder halbjährig auf das Postscheckkonto Berlin West 433 80 einzusenden. Veranstaltungen im 1. Vierteljahr 1967 i. Am Dienstag, dem 24. Januar 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbilder-Vortrag des Leiters des Heimatmuseums Spandau, Johannes Müller „Altes und Neues Spandau mit Lichtbildern." 2. Am Dienstag, dem 21. Februar 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbilder-Vortrag bzw. Tonbildvorführungen unseres Mitgliedes, Herrn Herbert Adam, über „Berliner Biedermeier im Spiegel seiner Zeit. Briefe, Tagebücher und Dokumente erzählen von den Tagen der guten alten Zeit." 3. Am Dienstag, dem 21. März 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbilder-Vortrag von Frau Dr. L. Moritz über „Geschichte und Entwicklung von Wilmersdorf." Gäste zu allen Vorträgen herzlich willkommen. Anschließend jeweilig geselliges Beisammensein im Ratskeller. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. SchrifUeirung; Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 8 A 20377 F 1. April 1967 Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins 1 .Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, 1 Berlin 37 (Zehlendorf), Katharinenstr. 30, Ruf: 84 78 90 Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Zahlungen erbeten auf Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80 Der „Beelitzer Jagdschirm" Z u m 170 jährigen Bestehen des Borkenhäuschens auf der Pfaueninsel 1 ) Von Dr. Hans Pappenheim Im Verwaltungsbezirk Zehlendorf liegt in der Havel, dem Forst Wannsee vorgelagert, die Pfaueninsel. Die älteste kartographische Quelle, der Plan von SUCHODOLETZ von 1683, nennt sie „Pfauen-Werder"; die Bezeichnung „Pfauenwerder" taucht noch fast zehn Jahre später in den Prozeßakten gegen Kunckel auf. Vielleicht zog man dort Pfauen für den kurfürstlichen Hof (als Ziervögel oder für Schaugerichte), oder der Name entstand, weil die Pfauen aus dem Berliner Lustgarten hier ausgesetzt wurden. Um 1683 ließ der Große Kurfürst hier ein Kaninchenhegerhaus erbauen und Kaninchenzucht treiben. Seitdem hieß die Insel bis zur Zeit Friedrich Wilhelms II. auch „der Kaninchenwerder". 1679 hatte der Große Kurfürst die ganze Insel dem Chemiker Johannes KUNCKEL zum Aufenthalte angewiesen: nur der Gelehrte und seine Gesellen durften außer dem Kurfürsten die Insel betreten, und bald umgab das einsame Haveleiland der Nimbus, KUNCKEL sei Alchimist, im Besitze des „Steins der Weisen" und mache hier Gold. Auf dem Nordostteil dieses Gebietes (zwischen den späteren Standorten des „Jagdschirmes" und der Meierei) legte KUNCKEL seine Versuchsstation an, baute SpezialÖfen und machte in völliger Abgeschlossenheit seine Versuche zur Kristallglasfabrikation. Man hat noch vor einigen Jahren hier Glasschlacke und Scherben von Retorten gefunden, Restbestände seiner chemischen Arbeiten. Bei diesen verbesserte er das Verfahren zur Ergänzung des schon erfundenen Goldpurpurs (Rubinglas) und des ebenfalls schon bekannten Harnphosphors. Gold hat auch KUNCKEL nicht entwickeln können. Seine Glashütte brannte 1689 ab, und Kurfürst Friedrich III., später König Friedrich I., ließ ihm wegen angeblicher Veruntreuungen den Prozeß machen. 1692 wurde der Forscher von König Karl XL nach Schweden berufen, zum Kgl. Bergrat ernannt und später wegen seiner Verdienste als „Kunckel von Löwenstern" geadelt. Die Pfaueninsel kam nach seiner Zeit in den Besitz des Gutes Bornstedt und 1734 in den des Potsdamer Militär-Waisenhauses, das hier die Holznutzung hatte. Da wurde nach dem Tode Friedrichs des Großen sein Nachfolger, der auch für die Jagd begeisterte Friedrich Wilhelm IL (1786—1797) auf den „Kaninchenwerder" aufmerksam, dessen Schilfgürtel Tausende von Wasservögeln belebten. Der König, ein großer Liebhaber der Niederjagd, übernahm 1793 die Insel, nach der er häufig vom Marmorpalais aus Gondelfahrten unternommen hatte; es ist von Anfang an seine Geliebte, Wilhelmine ENCKE-RITZ, die spätere Gräfin LICHTENAU, die ihn bei der baulichen Ausgestaltung auch der Pfaueninsel beriet, auf der er ebenfalls ein Schlösschen besitzen wollte. Ein BOUMANNscher Entwurf (für den Pfmgstberg) im gotischen Stil wurde zugrundegelegt, aber unter dem Einfluß Wilhelmines 1794 in eine römische Kastellruine verwandelt „entsprechend Vorbildern in französischen und englischen Stichwerken der Zeit, in Ruinenform, dreigeschossig".2) Die beiden Wohn-Etagen mit zwei durch eine Brücke verbundenen Türmen sind mit ihrer gewählten Inneneinrichtung bis heute erhalten. Die Ausführung hatte 1794 der Potsdamer Hof-Zimmermeister BRENDEL. Der Bau wurde „mit Eichenbohlen quaderartig ummantelt und sandsteinartig verputzt", (erst 1909—1911 mit einer Betonschale verkleidet). „Ursprünglich sollte das ganze Gebäude mit Baumrinde verkleidet werden". 3 ) Ein solcher, wenn auch kleinerer Bau entstand aber am entgegengesetzten Ufer der Pfaueninsel, das „Borkenhäuschen", auch dieses von BRENDEL errichtet oder vielmehr 1796 hierher verpflanzt und wiederaufgestellt; denn es wurde aus den Jagdgründen des damaligen Herrscherhauses im „Zauchischen Kreise", den Forsten um Beelitz, hierher übertragen. Über die jagdliche Bedeutung der Beelitzer Heide für den Berliner Hof seit dem 16. Jahrhundert vgl. den Vorbericht. 1 ) Von den königlichen Jagden in diesem Revier im 19. Jahrhundert erzählt das Denkmal im Kaisergrund bei Lehnin.4) Friedrich Wilhelm IL scheint am Verbleib des „Jagdschirmes" im Forst Beelitz nicht mehr interessiert gewesen zu sein und ihn vielmehr dazu ausersehen zu haben, die Reihe der kleineren Bauten auf der Pfaueninsel nach der Mode der Zeit des Landschaftsparkes um ein weiteres Bauwerk zu vervollständigen. So kam es zur Verpflanzung des Gebäudes an die südöstliche Spitze der Insel, nahe der einstigen Stätte von KUNCKELS „Labor", dem „Alten Hof". Zunächst die „amtliche" Baugeschichte: Als erster beschrieb es HORVATH 5 ) (1798) zwei Jahre nach der Aufstellung: „Ein Jagdschirm stehet in der Gegend, so der alte Hof genannt wird, und ward vom Könige zu einer Jagd bey Beliz gebraucht. Er ist von BRENDEL gebauet und hier aufgestellet worden, hat 28 Fuß Länge und 18 Fuß Tiefe, ein Souterrain und belle Etage, ist von Fachwerk verbunden mit Brettern beschalt und von außen mit Borke dekoriert. Das Dach ist mit Kreuzblech bedeckt". Diese Beschreibung übernahm der Maler, Dichter und Volkskundler August KOPISCH (1799—1853), Entdecker der Blauen Grotte bei Capri und DANTE-Übersetzer. Seine „Schlösser und Gärten zu Potsdam" 6 ) erschienen ein Jahr nach seinem Tode; sie erwähnen auch den „Jagdschirm". Nur einen Teil der Gebäude der Pfaueninsel erwähnt (1833) SPIKER 7 ) für die Jahre 1794—1797: „Nach den Zeichnungen des Hof-Zimmermeisters BRENDEL wurden nun auch einige Bauten unternommen, welche dem Könige zur Aufnahme dienen sollten, wenn er bei seinen Wasserfahrten auf der Havel hier landen sollte." Stilmerkmale beweisen, daß der Jagdschirm aus der Zeit Friedrich Wilhelm IL stammt und dieser ihn schon zu Jagden bei Beelitz hatte errichten lassen, vielleicht durch denselben BRENDEL, den er später bei der Neuaufstellung auf der Pfaueninsel wieder zuzog, übrigens kein pilzförmiger „Schirm", sondern ein „Schutz", die 98 Bezeichnung für leichte Jagdhütten, aus oder hinter denen der Jäger schoß: wir kennen die Formen des erhöht aufgestellten und überdachten Rundbaus oder einer Verkleidung aus geflochtenem Reisig mit geraden Wänden oder aber ein mit dunkelgrün und braun getarnter Zeltplane überdecktes Gestell. Der „Jagdschirm" der Pfaueninsel ist ein eingeschossiger kleiner Saal auf rechteckigem Grundriß, dessen Fassade durch angedeutete Pfeiler zwischen den Rundbogenfenstern in einfacher Form gegliedert ist. Die Außenwände sind durchgehend mit Borke verkleidet. Eine Treppe führt zehn Stufen zur Tür des Mittelgeschosses empor, das Ganze ein massives Muster für jene kleinen höfischen Jagdbauten des deutschen Barock, wie sie gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in so vielen fürstlichen Waid- und Waldrevieren mit einfachen Mitteln und — auf Zeit berechnet — rasch errichtet wurden und bald wieder verfielen. Auch das Beelitzer „Borkenhäuschen" wäre ohne die Transplantation auf die Pfaueninsel spurlos verschwunden. Die Übertragung erfolgte auf eine zur Entenjagd besonders geeignete örtlichkeit, eine durch einen Graben von der Pfaueninsel selbst abgetrennte Uferhöhe, die also wieder eine Insel für sich bildet. Die älteste Darstellung des „Jagdschirmes" zeigt die Gouache eines unbekannten Künstlers um 1800; sie stammt aus einer Serie von Wiedergaben größerer und kleinerer Schloßbauten, die in Potsdamer Schlössern die Wände schmückten (s. Abbildung l). 8 ) Das Borkenhäuschen war damals noch nicht von Uferbäumen umgeben, sondern stand frei vor dem weiten Blick über Havel und die bewaldeten Höhen der Forst Wannsee, so daß seine baulichen Abmessungen besser zur Geltung kamen als heute. — Auf dem Plan der Insel von L. HUMBERT, um 1810 ist auch „Ein Jagd-Schirm" eingetragen. Ihn zeigt ein ähnlicher „Plan der Pfaueninsel mit den Ansichten ihrer Gebäude", der nach Zeichnungen von W. v. MÖLLENDORF (vor 1829) entstanden ist.9) Die ausführlichste Behandlung des Jagdschirms bringt die Dissertation von Karl BREUER (1922) 10 ): „Von König Friedrich Wilhelm II. und seiner Geliebten, der Gräfin Lichtenau, waren die Parkanlagen ins Leben gerufen und die Insel zum Schauplatz galanter Abenteuer der Hofgesellschaft gemacht worden, ein letzter Ausschlag der Schäferzeit.11) Doch nicht lange währten jene Tage, der frühe Tod Friedrich Wilhelms II. machte allem ein Ende." Über „die Bauten des Jahres 1796" schreibt BREUER: „der sogenannte Belitzer Jagdschirm, ein kleines Borkenhäuschen, hatte seinen Namen daher, weil er ursprünglich als Jagdhütte in der Nähe von Belitz Verwendung gefunden hatte. Auf Wunsch des Königs wurde dieser Jagdschirm abgebrochen, um auf der Pfaueninsel Aufstellung zu finden, die ja damals noch zum großen Teil Jagdrevier war, da nur die Westseite und der Nordzipfel der Insel eigentliche Parkanlagen erhalten hatten. — Man entschloß sich für den Südostzipfel der Insel, der bei Hochwasser eine eigene kleine Insel für sich bildet. BÖHME [— Potsdamer Maurermeister, d. H.) errichtete ein Fundament aus Bruchsteinen, auf das ein Sockelgeschoß aus Rathenower Ziegeln kam. Hierauf baut sich das kleine Gartenhäuschen auf, ein Fachwerkbau, der durch Pilaster architektonisch gegliedert ist. Das Ganze wurde mit Borke bekleidet. Auf die Attika setzte man Vasen auf, die ebenfalls mit Borke verkleidet wurden. Die genaue Bauzeit des Ganzen läßt sich aus den Rechnungen nicht ersehen, im Spätherbst war es jedoch vollständig fertig." Der von BREUER mitgeteilte „Entwurf zu dem Inventarium des Schlosses auf der Pfaueninsel" ist (1798) vermutlich an Hand von HORVATHs Beschreibung5) aufgestellt worden, endet für den Jagdschirm mit den Worten: „übrigens ist derselbe von inwendig nicht neu decorirt worden". Die Wiederaufstellung des Jagdschirms kostete 913 Thaler, 22 Groschen, 1 Pfennig. Mit dem beiläufigen Hinweis auf die „galanten Abenteuer der Hofgesellschaft" auf der Pfaueninsel hatte BREUER (1922) das Stichwort gegeben, das nun von literarischen Bearbeitern der Insel aufgenommen wurde. Wohl auf örtlichen Potsdamer 99 Überlieferungen fußend hat STERNAUX 12 ) (1926) auch das Borkenhäuschen in sein Zeitbild eingepaßt, vielleicht dichterisch allzu frei, aber doch so, wie es gewesen sein kann: „Bald steht am Ufer ein „Jagdschirm", ein kleiner Pavillon aus Borke, tief im Schilf und Rohr versteckt. Und hier liegt nicht nur der Jäger auf der Lauer, bis die Viecher, die Enten steigen, nein, auch Schäferstündchen werden hier gefeiert, wo man so wundervoll geschützt vor unberufenen Augen. Denn natürlich schleppt der Prinz auch die Freundin Wilhelmine und manch andere hierher, für die sein Herz gerade entflammt .. ." Fest steht demgegenüber lediglich, daß das Borkenhäuschen (1796) nicht aus der Kronprinzenzeit des Königs stammt und nicht das erste königliche Bauwerk der Insel ist, sondern das Schlößchen schon 1794 stand! Auch STICHEL 13 ) rechnet (1927) die Wiederaufrichtung des Jagdschirms unter die nach 1795 entstandenen Ergänzungsbauten, und eine Stimme aus Potsdam vom Jahre 192814) beschränkt sich auch nur auf die allgemeinere Feststellung, Friedrich Wilhelm IL habe auf dem verrufenen Kaninchenwerder einen Pavillon von Borke errichten lassen, „und seine schöne Freundin Wilhelmine, die spätere Gräfin Lichtenau, begleitete ihn häufiger auf seinen Jagdausflügen". Da die Berliner und Potsdamer, denen seit 1821 die Pfaueninsel an manchen Tagen zur Besichtigung freigegeben war, sich die Gründe für den Bau des Borkenhäuschens — wie wir es in so vielen Landschaftsparken des 18. Jahrhunderts finden — nicht mehr erklären konnten, lag es nahe, die noch unvergessene Favoritin unter den Freundinnen Friedrich Wilhelms IL mit diesem Bau in Beziehung zu bringen. Die Architektur-Anregungen dieser Frau in allen Ehren! Aber gegen unberechtigte oder unbegründete LICHTENAU-Zuschreibungen hat sich Verfasser schon bei einem anderen Pavillon jener Zeit mit weitem Blick auf die Havel (Bez. Charlottenburg) wenden müssen.15) Wir sprechen in solchen Fällen von „aitiologischen Sagen", wo der legendenbildende Volksmund für Ungeklärtes „Ursachen" sucht. Von den vielen „Borkenhäuschen" fürstlicher Parks des 18. Jahrhunderts sei wenigstens das bekannteste, etwa gleichzeitig entstandene erwähnt, das ebenfalls noch erhalten ist: im Park von W e i m a r führt die „Naturbrücke" zum „Borkenhäuschen", das auf GOETHEs Anregung und unter seiner Leitung als Überraschung zum Namenstage der Herzogin Luise 1778 innerhalb von drei Tagen erbaut wurde, daher auch „Luisenkloster" oder „Klause" genannt, wo GOETHE und CARL AUGUST gern frühstückten, und wo der Landesherr zuweilen auch wohnte. Zurück zur Pfaueninsel! Wie schon die Tradition des Beelitzer Jagdschirmes zeigt, war er zu waidmännischen Zwecken angelegt worden eben an einer der einsamsten Uferstellen der Insel, die — als „Kaninchenwerder" der Zeit nach der Episode KUNCKELs verwildert — vom König anläßlich einer Entenjagd von Potsdam aus „entdeckt" worden sein soll. So sagt auch PETT 16 ) in der jüngsten Monographie der Insel (1966): „Für den königlichen Entenjäger wurde schließlich ein Borkenhäuschen, auch Beelitzer Jagdschirm genannt, herbeigeschafft. Diesen eigenartigen hölzernen Quadratbau (? Der Grundriß ist rechteckig! D. H.) mit seinen Schießlöchern an allen Seiten kann man heute noch auf der Pfaueninsel besichtigen . .." Neben dem jagdbaren Niederwild spielten aber auch im 19. Jahrhundert Tiere auf der Insel eine erhebliche Rolle! Neben der Pflege der Pfauen entstand unter Friedrich Wilhelm III. hier eine ganze Menagerie, die später die Keimzelle des Berliner ZOO wurde. Dazu gehörte auch eine „Biberbucht", und für den „Biberbau" hatte man (noch 1883) keinen besseren Platz als — neben dem „Beelitzer Jagdschirm" im Uferschilf der Havel, wo einst Friedrich Wilhelm „der Gute" Enten gejagt. . . 100 Der „Jagdschirm" auf der Pfaueninsel. Gouache eines unbekannten Künstlers um 1800. Mit freundlicher Genehmigung der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten. Das Borkenhäuschen blieb aber nicht das einzige Bauwerk, das aus einer anderen Gegend auf die Pfaueninsel verpflanzt wurde: 1825 baute SCHINKEL hier in das „Kavalierhaus" die reiche spätgotische Werksteinfront vlämischen Charakters ein, die (entgegen früher verbreiteten irrigen Überlieferungen in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts in Danzig entstand, dort mit dem Hause vom Verfall bedroht 1824 vom Hofmarschallamt angekauft und auf die Pfaueninsel geschafft wurde: noch heute die Fassade des „Danziger Hauses". Weiter wurde 1828—1829 die erste Form des Mausoleums für die Königin Luise (t 1810) aus dem Charlottenburger Schloßpark von Heinrich GENTZ (1766—1811) und Schinkels dorischen Säulen der Vorhalle (in leicht zu bearbeitendem Sandstein) durch dunkelroten Granit ersetzt, der Sandsteinvorbau auf die Pfaueninsel verbracht und dort als „Luisen-Denkmal" aufgestellt17), und zwar nahe der Stätte von KUNCKELs „Altem Hof", mit dem Blick auf die Meierei.18) Teile eines vierten auf die Pfaueninsel verpflanzten Baudenkmals sind wieder in Verlust gegangen: als SCHADOW und SCHINKEL 1829—1831 hier das „Palmenhaus" errichteten, verwendeten sie „für die Dekoration Zieraten eines birmanischen Kiosks, die durch Vermittlung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. von einem englischen General aus Bengalen nach Europa gebracht und angekauft worden waren 2 ), „eine Pagode aus birmanischem Marmor". Diese „asiatische Bautrophäe" (PETT) 16 ) wurde im Jahre 1880 mit dem Brand des Palmenhauses vernichtet. Wenn auch das Borkenhäuschen keine so stolze Überlieferung wie diese Objekte aufzuweisen hat, so erzählt doch auch dieser kleine Bau ein Stück Geschichte unserer engeren Heimat bis in unsere Zeit: Nach dem 2. Weltkrieg lag auch er arg verfallen, besonders durch die Schuld dort widerrechtlich anlegender Wasserwanderer; noch 1949 zeigte WEINSHEIMER 1 9 ) in einem bebilderten Aufsatz aus der Zeit, als auf der Insel 600 Berliner Jugendliche Zeltlager bezogen hatten: „Der „Jagdschirm", das Borkenhäuschen, ist mutwillig beschädigt worden, Dielen, Balken, Fenster und Türen wurden herausgerissen." Nach der Blockade ward auch der „Jagdschirm" wieder 101 instandgesetzt und h a t auch in den jüngsten B A E D E K E R n A u f n a h m e gefunden. 2 0 ) W e n n er auch n u r die T r a d i t i o n der J a g d der H o h e n z o l l e r n um Beelitz seit 400 J a h ren auf Westberliner Boden fortsetzt, so blickt dieses D e n k m a l doch heute auf sein 170jähriges Bestehen auf der Pfaueninsel zurück! ') Vgl. den Vorbericht: Hans PAPPENHEIM, Der Beelitzer Jagdschirm, Märkischer Anzeiger (Beelitz, Brück und Beizig) 26. Februar 1944 — Verfasser betrat als 8jähriger, im Kriegssommer 1916, erstmalig die Pfaueninsel. Zur 50jährigen Wiederkehr der Bekanntschaft, auch mit dem Borkenhäuschen, soll der vorstehende Beitrag ein kleines Dankeszeichen an ihre Betreuer sein! ! ) Georg POENSGEN, Walter EFFENBERGER, Die Pfaueninsel, 2. Aufl. Berlin 1940 S. 15; 7. Aufl. Berlin 1965 S. 8, 10 f., Abb 14. • 3 ) G r e t e K Ü H N , P r e u ß i s c h e Schlösser in d e r Zeit v o m G r o ß e n K u r f ü r s t e n bis zu Friedrich W i l h e l m I V . , Berlin 1934, S. 5 3 . 4 ) H a n s P A P P E N H E I M , Ein vergessenes J a g d d e n k m a l im F o r s t L e h n i n , W I L D U N D H U N D , F ü r s J ä g e r h a u s , 1936 N r . 56 S. 235 f. (m. Abb.) u n d ders., K r e i s k a l e n d e r 1937 für d e n Kreis Z a u c h - B e l z i g . Historische Streifzüge d u r c h d e n Kreis Zauch-Belzig, N r . I I I (m. Abb.) 5 ) C a r l C h r i s t i a n H O R V A T H , P o t s d a m s M e r k w ü r d i g k e i t e n . . . P o t s d a m 1798, S. 235 ( d a s selbe 1802) 6 ) A u g u s t K O P I S C H , D i e K g l . Schlösser u n d G ä r t e n zu P o t s d a m , Berlin 1854, S. 157 ' ) S. H . S P I K E R , Berlin u n d seine U m g e b u n g e n im 19. J a h r h u n d e r t , Berlin 1 8 3 3 , S. 150. 9 ) Bei P O E N S G E N 1965 a. a. O . A b b . 14. 9 ) S a m m l u n g d e r V e r w a l t u n g der S t a a t l . Schlösser u n d G ä r t e n , Berlin 19. 10 u ) E d u a r d V E H S E , Illustrierte Geschichte des p r e u ß i s c h e n H o f e s , des Adels u n d der D i p l o m a t i e , S t u t t g a r t 1 9 0 1 — 1 9 0 2 , B d . I I , S. 1—65. 12 ,3 ) K a r l B R E U E R , D i e Pfaueninsel bei P o t s d a m . E i n e Schöpfung Friedrich W i l h e l m s I L u n d Friedrich W i l h e l m s I I I . , Diss. der T H B e r l i n - C h a r l o t t e n b u r g 1923. P h o t o k o p i e bei d e r V e r w a l t u n g d e r S t a a t l . Schlösser u n d G ä r t e n , B e r l i n 19, S. 2, 9, 58, 154, 176, 2 0 2 u n d T a f e l n 12, 38. ) L u d w i g S T E R N A U X , D a s u n b e k a n n t e P o t s d a m , Berlin 1926, S. 69 ff., 87. ) W o l f g a n g S T I C H E L D i e Pfaueninsel. Ein F ü h r e r d u r c h Geschichte u n d N a t u r , BerlinH e r m s d o r f 1927, S. 17, 8 1 . ») Die Pfaueninsel. POTSDAMER STADT-NACHRICHTEN, Nr. 194, 18. August 1928. ,5 ) Hans PAPPENHEIM, Das Belvedere auf dem Picheisberg. Ein Beitrag zur Geschichte der Berliner Gartenpavillons im 18. Jahrhundert, Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 1956, 7. Bd. S. 27. 16 ) E r n s t P E T T , D i e P f a u e n i n s e l , Geschichte u n d Geschichten zwischen P o t s d a m u n d Berlin, Berlinische R e m i n i s z e n z e n 12, Berlin 1966, S. 2 9 — 3 0 , 62, 82. 17 ) P a u l O r t w i n R A V E , D a s M a u s o l e u m z u C h a r l o t t e n b u r g , Berlin 1953, S. 8. 18 ) H a n s P A P P E N H E I M , V e r p f l a n z t e B a u d e n k m ä l e r , Sitzungsberichte der lichen Gesellschaft zu Berlin, 10. M a i 1957, S. 15 f. 19 ) A l b e r t W E I N S H E I M E R , D i e v e r b o t e n e Insel. Zerstörtes u n d B e w a h r t e s auf der eninsel, D E R T A G E S S P I E G E L , 5. A u g u s t 1949. 20 ) K a r l B A E D E K E R . Berlin, 22. A u f l . H a m b u r g 1954, S. 177 — 2 3 . A u f l . F r e i b u r g i. Br. 1964, S. 232. — Fehlt a b e r in d e n ebenfalls ausführlichen P f a u e n i n s e l - K a p i t e l n bei G R I E B E N , B d . 6, M ü n c h e n 1960, S. 138 f. 21 ) Zu den Instandsetzungen wurde Borke benötigt und zwar nicht abgestorbene Teile von Baumrinden, sondern geschälte Rinde von lebenden Bäumen. Diese ließ sich nach längeren vergeblichen Bemühungen nur aus — Portugal beschaffen. — H . Dr. Herbert SUKOPP vom Institut für Angewandte Botanik der T U Berlin (Steglitz) teilte im Anschluß an seinen Vortrag im Botanischen Verein (21. Januar 1967) über „Flora und Vegetation der Pfaueninsel" dem Verfasser freundlichst mit: „Auf dem Kork, der vor einigen Jahren zur Ausbesserung des Borkenhäuschens . . . importiert wurde, fanden sich nach Beobachtungen von H . Dr. G R U M M A N N folgende Flechten: Pertusaria amara (Ach.) Nyl., Parmelia caperata (L.) Ach. var. cyliphora Ach., Ramalina cf. pollinaria (Liljebl.) Ach. — Diese Arten sind in unserem Gebiet nur als Ephemerophyten (Gäste) zu betrachten. Sie dürften vermutlich einen kalten Winter hier nicht überleben." 102 KunstgeschichtPfau- Berichte Unser Adventskränzchen im Ratskeller Schöneberg am 16. Dezember 1966 erfreute sich wie alljährlich einer sehr großen Beteiligung von Mitgliedern und Gästen. Wenn auch das gesellige Zusammensein bei Kaffee und Kuchen im Vordergrund stand, so kam auch das heimatgeschichtliche Interesse nicht zu kurz. Herr Horst Behrend gab in einem mit großem Beifall aufgenommenen Lichtbildervortrag einen interessanten Oberblick über Leben und Wirken des bekannten Berliner Kupferstechers, Radierers und Malers Daniel Chodowiecki (1726—1801). Aus Danzig gebürtig, fühlte er sich ebenso als Pole wie auch als Preuße und Berliner, nachdem er seit seinem siebzehnten Lebensjahr in Berlin heimisch geworden war und in der französischen Refugiesgemeinde eine engere Heimat gefunden hatte. Er behrrschte in gleicher Weise Deutsch wie Polnisch und Französisch. Hervorgehoben seien die 108 Zeichnungen, die in seinem Skizzen-Tagebuch von seiner Reise in das heimatliche Danzig unter dem Titel „Eine Künstlerfahrt nach Danzig" (1773) enthalten sind. Die Blätter und Darstellungen, die Chodowiecki im Laufe seines Lebens radiert hat, belaufen sich auf 2075. Von den berühmtesten Einzeldarstellungen seien erwähnt „Die Betteljungen", „Die Wachtparade in Potsdam" und „Die Folgen zu Lessings „Minna von Barnhelm". Der bekannte Berliner Buchhändler und Verleger Friedrich Nicolai war der erste Sammler von Chodowieckis Blättern. Er besaß den größten Teil der 1857 von Engelmann beschriebenen Gesamtwerke des Meisters. L Lichtbildervortrag: „Altes und Neues Spandau" Bei der ersten Veranstaltung in diesem Jahre am 24. Januar hielt in Vertretung des erkrankten Leiters des Spandauer Heimatmuseums H. Joh. Müller H. Kurt Pomplun einen mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag über „Altes und Neues Spandau mit Lichbildern". An der Hand von zahlreichen schwarz-weißen und farbigen Lichtbildern gab er in seiner lebendigen und humorvollen Weise einen historischen Überblick über diese älteste Stadt im Berliner Raum, insbesondere über die architektonisch bedeutsamen Baulichkeiten Spandaus, wie die St. Nicolaikirche und die Zitadelle mit Würdigung der maßgeblichen Persönlichkeiten wie des Baumeisters Graf Rochus zu Lynar. Aber auch das heutige Spandau mit seinen Neubauten kam zu seinem Recht. Sehr interessierten auch die Aufnahmen von den Hochhäusern auf dem Falkenhagener Feld. L Berliner Biedermeier im Spiegel seiner Zeit Wieder einmal hat uns unser Mitglied Herbert A d a m am 22. Februar 1967 einen genußreichen Abend verschafft durch Vorführung seines neuen Farbtonfilms „Berliner Biedermeier im Spiegel seiner Zeit". In mühevoller, sorgfältiger Arbeit stellt Herr A d a m seine Filme selbst her. Diesmal hat er aus seiner bekannten umfangreichen Sammlung von Schriften, Briefen und Dokumenten die für die Biedermeierzeit charakteristischen ausgewählt und diese mit treffenden Bildern, Stichen, Portraits zu einer filmischen Darstellung vereinigt, die uns das Wesen, die Bauten, die einfache Lebensführung und die bedeutenden Persönlichkeiten dieser Epoche anschaulich vor Augen führte. Wir sahen die Straßen und Plätze des vormärzlichen Berlin, die hervorragenden Bauten, die Wohnungseinrichtungen in ihrer Einfachheit, die sparsame Lebenshaltung der Familien, kurzum alles, was für das Biedermeier, die Nachfolgezeit des Empire, bestimmend ist. 103 Von den vielen bedeutenden Persönlichkeiten dieser Zeit zeigte der Film uns Briefe und Dokumente, so von den beiden bedeutenden Ärzten Hufeland und Heim, von den Malern Hosemann und Franz Krüger, von dem literarischen Salon der Henriette Herz, der Gattin des bekannten Arztes Marcus Herz, von Caroline von Humboldt, der Gattin Wilhelm von Humboldts, in deren Schloß Tegel sich die geistig hochstehenden Personen wie von Arnim, Rauch, Schleiermacher, Hardenberg trafen. In den Abendgesellschaften wurde musiziert und aus der neuesten Literatur vorgelesen, während die Damen sich der Kreuzstich-Stickerei, oft nach Entwürfen von Schinkel, hingaben. Der Freundschaftkult stand in hoher Blüte. Stammbücher und Patenbriefe erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit. Die Berliner der Biedermeierzeit waren ein theaterfreudiges Publikum, die Theater waren immer gefüllt. Henriette Sonntag, die jöttliche Jette, begeisterte in Rossinis „Italienerin" die Berliner, von Berlin aus nahm Jenni Lind, „die schwedische Nachtigall", ihren Ruhmeszug durch die Welt. Hochangesehen war das Ballet; die Geschwister Fanny und Therese Eisler wurden mit Beifall überschüttet. Carl Maria von Weber's Oper der „Freischütz" war die erste deutsche Oper, die in dem Schinkelschen Neubau aufgeführt wurde; ihre Melodien, besonders der „Jungfernkranz" wurden bald volkstümlich. Als Dichterin fand Henriette von Paalzow große Anerkennung und begeisterte mit ihren Romanen den Kronprinzen Friedrich Wilhelm; in ihrem Haus gegenüber dem Schloß Monbijou trafen sich alle Persönlichkeiten des geistigen Berlins. Der Journalist Adolf Glasbrenner, in Berlin geboren, schildert unter dem Pseudonym Adolf Brennglas in seinen Schriften „Berlin wie es ist und trinkt" alle Berliner Volkstypen; sein Eckensteher Nante wurde eine stadtbekannte Figur. Viel über Berlin erfährt man aus dem Schreibkalender eines Berliner Handlungsgehilfen, der alle Geschehnisse sorgfältig aufzeichnete; über Schleiermachers Predigten in der Dreifaltigkeitskirche, über den großen Brand der Petrikirche von 1809 und vieles mehr. Stadtbekannte Persönlichkeiten waren der Oberbürgermeister Krausnick, der Buchdrucker und Verleger Ernst Litfass, der Erfinder der Litfassäule, der Kaufmann Wilhelm Ferdinand Ermeler, der Baumeister Carl Friedrich Schinkel, der berühmte Gartengestalter Peter Joseph Lenne, der Bildhauer Drake, der Schöpfer der Viktoria auf der Siegessäule, sowie der Ingenieur Peter Beuth. Der ausgezeichnete Film gab uns ein eindrucksvolles Bild von dem Leben und Treiben der damaligen Hauptstadt Berlin. Der große Beifall zeigte dem Hersteller die Anerkennung der zahlreich erschienenen Zuhörer. Hs. Buchbesprechungen Die Sing-Akademie zu Berlin. Festschrifl zum ij tfäbrigen Besteben, herausgegeben von Werner Bollert. Berlin: Rembrandt-Verlag 1966. 144 Seiten mit 40 Abb. u. Facsimiles. DM 19,80. Nach den Festschriften von Hinrich Lichtenstein (1843), v o n Martin Blumner zum 100jährigen Jubiläum 1891 und von Georg Schünemann zum 150jährigen Jubiläum der SingAkademie 1941 ist nunmehr die vom Berliner Senat und der Notgemeinschaft der Deutschen Kunst geförderte, reich bebilderte Festschrift von 1966 zu ihrem 175jährigen Geburtstage erschienen. Wenn auch den Bearbeitern nicht mehr alle von Schünemann noch benützten, durch den Krieg zugrundegegangenen, primären Quellen zur Verfügung standen, so verfolgt ihre Arbeit weniger eine historische Aufgabe, als vielmehr den Zweck, „bestimmte Aspekte in den Vorgrund zu rücken, die den Sinn und zugleich die geistige Bedeutung dieser ehrwürdigen Gründung von 1791 auch noch für unsere Zeit erhellen sollen." Nach Geleitworten von Bundespräsident Lübke und des Senators für Wissenschaft und Kunst, Professor Stein, sowie einem Vorwort des Herausgebers gibt Friedrich Herzfeld unter dem Titel „Sing-Akademischer Alltag" einen allgemeinen Überblick über die Geschichte dieser Institution. Bei der großen Bedeutung der Sing-Akademie für das Kulturleben Berlins erscheint es angebracht, hier etwas näher auf ihre Entwicklung einzugehen. Aus kleinsten An- 104 fangen gelang es Karl Friedrich Christian Fasch, dem eigentlichen Begründer, im Laufe von Jahren immer mehr Sangesfreudige für seine Singübungen zu gewinnen. Als diese Singstunden in das Haus der Frau Gereral-Chirurgus Voitus, Unter den Linden, verlegt wurden, fanden sich 27 Personen im Frühling 1791 zusammen; der neue Chor ließ sich dann bald zum ersten Mal in der Marienkirche hören. Der 24. Mai 1791, an dem die Einführung einer ständigen Präsenzliste beschlossen wurde, gilt seitdem als der Geburtstag der Singvereinigung. Die Liste enthält im Juni 1796 die Eintragung „Herr van Beethoven, Klavierspieler aus Wien, war so gefällig, uns eine Fantasie hören zu lassen." Als die Zahl der Sänger auf 43 gestiegen war, fand man einen geeigneten, wenn auch nicht heizbaren Saal in der Akademie der Künste Unter den Linden. Nach dem Tode von Fasch wurde der Freund Goethes, Carl Friedrich Zelter, sein Nachfolger. Unter ihm, der zunächst das Maurerhandwerk erlernt hatte, stieg die Mitgliederzahl erheblich. Hatte die Sing-Akademie beim Tode von Fasch 147 singende Mitglieder, waren es bei Zelters Tod 359 und zugleich 119 Bewerber im Vorbereitungschor. Zelter gründete auch die Ripien-Schule (1807) und die Berliner Liedertafel (1809). Im Jahre 1816 erhielt die Sing-Akademie eine Verfassung, deren Neudruck in der Festschrift enthalten ist. Danach standen an der Spitze neben dem Direktor, der allein für alle künstlerischen Fragen zu entscheiden hatte, 4 Vorsteherinnen und 4 Vorsteher. Durch Mehrheitsbeschluß wählte sich der Chor seinen Direktor selber. An diesem Wahlmodus hat sich bis heute nichts geändert, wenn auch die Verfassung mehrfach geändert und erweitert worden ist, zuletzt 1953. Als das Akademie-Gebäude 1818 umgebaut wurde, wurde der langersehnte Plan eines eigenen Gebäudes akut. Durch Vermittlung des Geh. Oberfinanzrats Beuth, der selbst Mitglied war, fand sich als Bauplatz das Gelände hinter dem neuen Wachhause gegenüber der Oper. Der Platz wurde ihr von Friedrich Wilhelm III. am 27. April 1821 als Schenkung zugesprochen. Zelters Freund Schinkel, dessen Gattin in der Sing-Akademie mitsang, entwarf dafür einen Plan. Infolge finanzieller Schwierigkeiten mußte jedoch der Plan Schinkels durch den Braunschweigischen Hofbaumeister Ottner auf ein tragbares Maß verknappt werden. Erst am 30. Juni 1825 konnte dann der Grundstein gelegt werden. Als Meister seines Handwerks tat Zelter den ersten Hammerschlag, indem er den Grundstein zu Ehren von Carl Fasch weihte. Nachdem das Richtfest im November dieses Jahres gefeiert werden konnte, konnte am 8. April 1827 die feierliche Einweihung erfolgen. Ein Höhepunkt war die erste Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion, deren Leitung Zelter dem 20jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy übertragen hatte (1829). Damit begann zugleich eine Wiederbelebung der Bachschen Werke. Seinem Freund Goethe folgte Zelter bald in den Tod (15. Mai 1832). Sein Nachfolger war Carl Friedrich Rungenhagen. Zu den Mitgliedern der Sing-Akademie gehörten außer Mendelssohn die Komponisten Meyerbeer und Nicolai, ferner Schleiermacher für Tenor und Otto von Bismarck für Bass. Dazu trat ein großer Freundeskreis wie Chamisso, Hegel, Wilhelm von Humboldt, Körner, Rauch, Schadow, Schiller, Schlegel, Spontini, Carl Maria von Weber und nicht zuletzt war es Goethe selbst gewesen, der für Zelter so manche Texte verfaßt hatte. Bald stand die Sing-Akademie neben der Oper an der Spitze des Berliner Musiklebens. Die finanzielle Not war überwunden. Durch die Gründung des Berliner Philharmonischen Orchesters entstand 1882 eine konkurrierende Institution, mit dem sich jedoch bald die SingAkademie verband, indem sie es in der nächsten Spielzeit für 12 Konzerte verpflichtete. War dies für die Philharmoniker eine wertvolle finanzielle Hilfe, so war für die Sing-Akademie mit diesem hochrangigen Orchester endlich die Not mit den Instrumentalbegleitungen zu Ende. Durch ihre Konzerteinnahmen trug die Sing-Akademie u. a. auch zum Erwerb des BachHauses in Eisenach bei. Reisen führten sie mehrfach ins Ausland, nach ihrem Beispiel entstanden überall in Deutschland und Europa gemischte Chorgesangs vereine. Ihre höchste Blüte erreichte sie unter Martin Blumner mit 649 Mitgliedern (1882) sowie während der langen Amtsführung Georg Scliumanns, der in künstlerischer Hinsicht den Höhepunkt darstellte. Im Zweiten Weltkrieg wurde ihr Haus im Kastanienwäldchen bei einem der schweren Luftangriffe im November 1943 aufs schwerste beschädigt, und ihre nach Schlesien verlagerten Kostbarkeiten gingen zugrunde. Gerettet wurde nur, was im Lichterfelder Haus von Georg Schumann verwahrt war. Nach schwierigen Jahren steht der Sing-Akademie heute unter der Leitung von Mathieu Lange der Chorsaal der „Neuen Philharmonie" zur Verfügung. Unter Langes Leitung fand dort auch das Festkonzert zur Feier des 175jährigen Bestehens statt mit der Uraufführung der zu diesem Anlaß komponierten „Musen Siziliens" von Hans Werner Henze. Am 22. September 1963 erfolgte auch eine Neugründung der Sing-Akademie im Ostsektor Berlins im ApolloSaal der Deutschen Staatsoper, deren Direktor Helmut Koch ist. Verschiedene Aufsätze tragen zur Bereicherung des Buches bei. Davon sei erwähnt Peter Wackernagels Rückschau auf denkwürdige Aufführungen vergangener Zeit. Friedrich Welter behandelt ihre Musik-Bibliothek, Wilhelm Bollert die Händelpflege unter Zelter und Rungenhagen, Max F. Schneider die Trauermusik der Sing-Akademie für den in der Schlacht von Saalfeld gefallenen Prinzen Louis Ferdinand mit drei bisher unveröffentlichten Briefen der Mutter des Prinzen an Zelter. Cornelia Auerbach-Schröder würdigt die Frauen, die in 105 der Geschichte der Sing-Akademie eine Rolle gespielt haben, wie Juliane Pappritz, eine jüngere Schwester der Frau Voitus und die Frau Zelters oder Constanze Blanck und Friederike Koch, die beide das seltene Fest der fünfzigjährigen Mitgliedschaft feiern konnten, ferner die Töchter des Justizrats Sebald, Amalie und Auguste, Henriette Rosenstiel, die spätere Frau Schadows und Lilly Parthey oder Anna Milder, Beethovens erste Leonore. Das Wirken nach 1945 unter ihrem heutigen Dirigenten Mathieu Lange behandelt Erwin Kroll in einem besonderen Abschnitt. Angeschlossen sind dem Buche eine Zusammenstellung der Hauptdaten aus ihrer Geschichte, Verzeichnisse der Vorsteher und Vorsteherinnen, der Veranstaltungen zu so manchen wohltätigen Zwecken sowie aller öffentlich aufgeführten Werke. Ein vorzügliches, mit allen noch zugänglichen Quellen bearbeitetes Buch, das auch in der Zukunft von der historischen Bedeutung Berlins als Musikstadt zeugen wird. J. Lachmann Klaus Schultzenstein: Berlin seit der Zeit Albrechts des Bären. Eigen-Verlag des Verfassers. Berlin 1966. 54 S. 8 Abb. br. DM 5,—. Die neuen Ausgrabungsfunde in der Nikolai-Kirche gaben dem Verfasser Veranlassung diese Befunde genau zu analysieren und die bisherige Gründungsgeschichte Berlins zu überprüfen. Er ist dabei sehr genau vorgegangen und hat auch die einschlägige Literatur auf das sorgfältigste studiert. Seine Ausführungen sind überzeugend und seine Annahme, daß die Nikolai-Kirche mit den sie ringförmig umschließenden Häusern das Gründungszentrum des alten Berlin war, erscheint bewiesen. Danach fällt die Gründung Berlins in einen weit früheren Zeitraum als bisher angenommen, etwa in das Jahr 1140. Die Berlin-Forscher werden nicht umhin können, sich mit den Forschungen und Schlußfolgerungen des Verfassers zu beschäftigen und ihnen eine gebührende Achtung zu schenken. B. Harms Karl Baedeker, Berlin, Reisehandbuch 24. Aufl. 380 S. mit 27 Karten und Plänen und 137 Zeichnungen. Karl Baedeker Verlag, Freiburg 1966, Gzln. DM 21,50. Bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen der 23. Auflage war die Ausgabe einer neuen Auflage notwendig, gewiß ein Zeichen für die Güte und Beliebtheit des Buches. In der Tat gibt es wohl kein Buch, was uns mit der Gestaltung, den Sehenswürdigkeiten und den historischen Begebenheiten unserer Stadt besser vertraut macht, als der Baedeker. Unser Freund P o m p 1 u n, der für die Herausgabe dieser wie der vorigen Auflage zeichnet, hat unter Mitwirkung von Dr. Ilse Wolff, der Leiterin des Verkehrsamtes, den Text neu gefaßt und alles, was über die Stadt zu sagen ist, nach dem gegenwärtigen Zustand zusammengetragen und hinsichtlich einer Stadtbeschreibung eine mustergültige Arbeit geleistet. Diese Arbeit bezieht sich nicht nur auf den westlichen Teil unserer Heimatstadt, sondern auch auf den östlichen, der uns Westberlinern nicht mehr zugänglich ist. Aber für die Ausländer und die Bürger aus der Bundesrepublik, die Berlin besuchen, ist auch die Beschreibung dieses Teils von Berlin wichtig und interessant. Für uns alte Berliner bietet seine Lektüre ein wehmütiges Versinken in Erinnerungen einer vergangenen Zeit. Das Buch enthält mehr als ein bloßer Städteführer; durch das sorgfältige Eingehen auf die historischen Ereignisse und die liebevolle Schilderung der Sehenswürdigkeiten in den einzelnen Bezirken ist dieser neue Baedeker zu einem Buch der Freude und der Besinnung geworden. Die 25. Jubiläumsauflage wird gewiß nicht lange auf sich warten lassen. B. Harms Werner Vogel, Führer durch die Geschichte Berlins. 200 Seiten mit 40 Abbildungen, Rembrandt Verlag Berlin 1966. Gzln. DM 9,80. Mit seinem „Führer durch die Geschichte Berlins" hat der Verf. den Freunden der Berliner Geschichte einen ganz ausgezeichneten Leitfaden der Berliner Geschichte übergeben, wie er bisher nicht vorhanden, aber dringend notwendig war. Ausgestattet mit einer umfassenden Kenntnis der Berliner Geschichte und einer großen Belesenheit schildert der Verf. die geschichtliche Entwicklung Berlins auf allen Gebieten von den ersten Anfängen an bis auf die gegenwärtige Zeit. Dabei legt er, besonders was die Frühgeschichte betrifft, die neuesten Forschungsergebnisse auf Grund der Ausgrabungsbefunde in der St. Nikolai-Kirche, der ältesten Kirche Berlins, zu Grunde und widerlegt die so weit verbreitete Annahme, daß Berlin aus einem Fischerdorf hervorgegangen sei. Tatsache ist, daß das älteste Berlin eine Handelsniederlassung an einer günstigen Verkehrskreuzung und an einem ebensolchen Flußübergang war. Was Verf. über den Berliner Raum vor der Stadtentstehung sagt, ist überzeugend ebenso wie seine Ausführungen über die Gründung und den Aufstieg Berlins im Mittelalter. Aber auch die nächsten Abschnitte „Berlin unter den Kurfürsten", „Berlin wird Königliche Residenz", „Hauptstadt des Kaiserreiches" und „Von der Bildung Großberlins bis zur Spaltung der Stadt" fesseln uns durch die Exaktheit der Darstellung und die Klarheit und Flüssigkeit der Sprache. Man liest das Buch mit Genuß und kann viel aus ihm lernen; denn, wie gesagt, behandelt Verf. nicht nur die Entstehung Berlins, sondern berück- 106 sichtigt alle bemerkenswerten Gebiete seiner Geschichte, das Bauwesen, die Literatur, die Kunst, die Musik, die Wissenschaften u. a. m. Vogels Führer ist eine ausgezeichnete Schrift, ein Muster einer kurzen, doch umfassenden Geschichtsschreibung. Jeder Berliner, der Sinn und Interesse für die Geschichte seiner Stadt hat, müßte es besitzen und würde es immer wieder zur Hand nehmen, um neue Kenntnisse daraus zu entnehmen und alte aufzufrischen. Einige kleine Mängel, die bei einer gewiß bald fälligen Neuauflage zu berücksichtigen wären, sind das Fehlen eines Inhaltsverzeichnisses und eines Registers; auch wäre es wohl zweckmäßig, die langen Abschnitte in kürzere Kapitel aufzuteilen. Aber diese kleinen Beanstandungen setzen den Wert des Buches nicht herab. B. Harms Fred Hildenbrandt: . . . ich soll dich grüßen von Berlin. 1922—1932. Berliner Erinnerungen ganz und gar unpolitisch. Post mortem herausgegeben von zwei Freunden. München, Ehrenwirth Verlag 1966. 266 S., D M 16,80. Fred Hildenbrandt, in den zwanziger Jahren Chef des Feuilletons bei Theodor Wolff am „Berliner Tageblatt", Schriftsteller und Filmautor, veranschaulicht treffend in unterhaltenden, netten kleinen Essays die künstlerische Glanzzeit Berlins in den „goldenen" zwanziger Jahren. Am Leser ziehen Schilderungen denkwürdiger Begegnungen mit berühmten und populären Persönlichkeiten dieser Epoche vorüber. Erwähnt seien Alfred Kerr, der König der Kritiker, Fürstin Mechthild Lidinowsky, Ringelnatz, das Ehepaar Henny Porten und Dr. v. Kaufmann, Marlene Dietrich und der Salon der Betty Stern, Renate Müller, das Monstrum Heinrich George, Richard Tauber, Lilian Harvey, Max Reinhardt und Helene Thimig, Klabund und Carola Neher, die Palucca, Mary Wigman und Pater Muckermann, Hans Albers, Valeska Gert oder Greta Garbo. Alles in der Berliner Kulturgeschichte unvergeßliche Namen aus einer unvergeßlichen Zeit. Nicht nur die jene Glanzzeit miterlebt haben, jeder wird seine Freude an der Lektüre dieses amüsanten Buches haben. Man kann den ungenannten Freunden des Verfassers für dieses schöne Geschenk dankbar sein, das sie mit der Edition dieser Aufzeichnungen uns allen gemacht haben. J. Lachmann Karl Heinz Katsch: Berlin. Struktur und Entwicklung. Stuttgart: W.Kohlhammer Verlag und Dt. Gemeindeverlag 1966. X I I u. 202 Seiten sowie 21 Schaubilder (Zahl + Leben, herausgeg. v. Klaus Szameitat, Heft 5) DM 28,—. Von allen deutschen Großstädten hat Berlin die Nachwirkungen des zweiten Weltkrieges am meisten zu spüren bekommen. Auf der Grundlage der Statistik zeigt der Verfasser, Direktor des Statistischen Landesamtes Berlin, wie die Stadt trotz aller durch ihre isolierte Lage bedingten Schwierigkeiten im letzten Jahrzehnt dank ihrer Leistungen vorangekommen ist und vor welchen strukturellen Problemen und Aufgaben Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten steht. Das Buch beginnt mit einer graphischen Darstellung, die demonstriert, daß München, Frankfurt und Stuttgart zusammen nicht den Flächeninhalt Berlins erreichen. In sieben Abschnitten sind die Ausführungen aufgegliedert: die Weltstadt — Lage und Ausschau —, das kirchliche Leben, die Erwerbstätigkeit, die Wirtschaft und ihre Bereiche, Gesundheitswesen, Unterricht, Kultur, Kriminalität. Ein achter Abschnitt bietet Pläne für die Zukunft. Der Anhang bringt 165 Tabellen. Ein streng sachlich gehaltenes, auf Grund zuverlässiger statistischer Forschungen bearbeitetes Buch, das allen Interessierten eingehende Auskunft gibt. J. Lachmann Georg Nowottnik: Humor um Berliner Gelehrte. Berlin, Duncker & Humblott 1966. 261 S. mit Bildern. DM 15,60. Eine amüsante Lektüre, die manchen Spaß machen dürfte, stellen die Anekdoten und hurmorvollen Histörchen um Berliner Gelehrte dar, die der Verfasser eingefangen hat. Sie stammen aus der Biedermeierzeit, in der man daran Vergnügen hatte, und aus den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, in denen die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität besonders reich an wissenschaftlicher Prominenz gewesen ist. Alle Fachdisziplinen sind vertreten: Philosophen und Pädagogen von Fichte bis Spranger, Theologen von Schleiermacher über Harnack bis zu Dibelius und Weskamp, Philologen von den Gebrüdern Grimm bis zu Erich Schmidt und Wilamowitz-Möllendorff, Historiker von Curtius bis zu Ranke und Meinecke, der Kunsthistoriker Bode, Naturwissenschaftler und Mathematiker von Alexander von Humboldt bis zu Planck und Einstein, Volkswirtschaftler von Thaer bis zu Schmoller und Sombart, Juristen von Savigny bis zu Brunner und Stammler sowie Mediziner von Heim, Hufeland und Graefe bis zu Virchow, Bergmann und Sauerbruch, um nur einige Namen zu nennen. Die Anekdoten entsprechen — wenn auch oft zweifelhaft, ob sie wahr sind — doch im Ganzen der Wesensart der betreffenden Gelehrten, denen man sie in den Mund gelegt hat. Und das ist es ja, was man von einer Anekdote verlangt. J. Lachmann 107 Jaques Hartz: Sehnsucht nach Berlin. Ein Bildband. Mit Einführung von Marianne Eichholz sowie Beiträgen von Wolf gang Neuß und Wolf Biermann. Hamburg: Marion von Schröder Verlag 1966. 350 Abbildungen mit Text. DM 24,80. Nicht, wie der Titel lautet, Sehnsucht nach Berlin, sondern Berlin, wie es wirklich heute ist, würde den Inhalt des Bilderbandes zutreffender charakterisieren. Denn in den Bildern zieht das Leben der Stadt in West und Ost an uns vorüber mit all seinen Licht- und Schattenseiten. Sie führen uns zu den kulturellen Stätten, Museen, Theater und Film, zu den Baudenkmälern, in das Leben und Treiben der Weltstadt bei Tag und bei Nacht mit den verschiedensten, durch die Zeit geprägten Situationen und sozialen Nöten in West und Ost. Ein reichhaltiges Bilderwerk, das mit viel Umsicht zusammengestellt ist. J. Lachmann Kleine Mitteilungen Herr Architekt Walter Michaelis, Berlin-Wilmersdorf, feierte am 12. Januar d. J. die Vollendung seines 80. Lebensjahres. Der Vorsitzende des Vereins, Herr Professor Dr.B.Harms, übermittelte unserem Mitglied, der an unseren Arbeiten lebhaften Anteil nimmt und regelmäßiger Besucher unserer Veranstaltungen ist, die Glückwünsche des Vereins. Unser Vorstandsmitglied, Herr Architekt Walter Jarchow, konnte am 26. Januar d. J. gleichfalls auf die Vollendung seines 80. Lebensjahres zurückblicken. Mit den Glückwünschen des Vorstandes verband der Vorsitzende den Dank des Vereins für die bisherige Mitarbeit und tatkräftige Förderung der Vereinsaufgaben. Herr Jarchow ist neben seiner sonstigen ehrenamtlichen Tätigkeit Mitglied der „Schinkel-Komission" in Berlin, der die alljährliche Verleihung des Schinkelpreises in Deutschland obliegt. Anläßlich des 80. Geburtstages wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Berlin verliehen. Die „Berliner Liedertafel", begründet im Jahre 1809 von Zelter, unternimmt vom 9. bis 23. Mai eine Konzertreise nach den USA, wo sie 5 Konzerte geben wird. Die Berliner Liedertafel steht mit dem Verein für die Geschichte Berlins im Schriftenaustausch und freundschaftlicher Zusammenarbeit. Veranstaltungen im IL Vierteljahr 1967 1. Jahreshauptversammlung. Die diesjährige ordentliche Mitgliederversammlung findet am Dienstag, dem 25. April 1967 um 19.30 im Ratskeller Schöneberg statt. Von einem Vortrag wird an diesem Abend abgesehen. Einladungen ergehen besonders. 2. Am Donnerstag, dem 11. Mai 1967, 9.30 Uhr, Besichtigung der Betriebsanlagen der Meierei Bolle, Alt Moabit 98/104, mit anschließendem Vortrag. Treffpunkt im Vorraum des Verwaltungsgebäudes Alt Moabit Nr. 98. Anmeldungen schriftlich oder telefonisch bis zum 5. Mai 1967 an Frau Gertrud Doht, Berlin 62, Grunewaldstraße 64 (Tel.: 71 15 60). 3. Am Dienstag, dem 23. Mai 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Oberbaurat Dipl.-Ing. Konwiarz über: „Probleme der Stadtbildpflege in Berlin." 4. Am Dienstag, dem 6. Juni 1967, vormittags 10.00 Uhr Besichtigung der Staatlichen Porzellanmanufaktur Berlin, Berlin 12, Wegely Str. 1, mit Vortrag über „Geschichte und Entwicklung der Staatlichen Porzellanmanufaktur". Anmeldungen schriftlich oder telefonisch bis zum 1. Juni 1967 an Frau Gertrud Doht, Berlin 62, Grunewaldstraße 64 (Tel. 71 15 60). 5. Am Dienstag, dem 20. Juni 1967, 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm über „Philipp Pfaff, Hofzahnarzt Friedrichs des Großen, und Pierre Baillif, Leibzahnarzt Friedrich Wilhelms III. Gäste zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg, Saal 139 sind herzlich willkommen. Anschließend jeweilig geselliges Beisammensein im Ratskeller. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beitrage für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, Berlin. Fachabt der Berliner Stadtbibliothek MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 9 1. Juli 1967 A 20377 F Herausgeber: Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins Vorsitzender: Prof.Dr.Dr. W.Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61,Ruf: 392490 Schriftführer: Dir. i.R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charlottenburg), Straße des 17. Juni 112. Zimmer 147 Zahlungen erbeten auf das Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80, 1 Berlin 21 Zeichnung: Joseph SchmeHcr 1825 tDtlbdm von ^umbolbt J767-I835 Wilhelm von Humboldt und Berlin Zum 200. Geburtstage Die 200. Wiederkehr des Gebunstages Wilhelm von Humboldts am 22. Juni 1967 ist auch für unseren Verein verpflichtender Anlaß, einmal die engen Lebens- und Arbeitsbeziehungen dieses bedeutenden Staatsmannes und vielseitigsten Gelehrten der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert zu unserer Stadt in Erinnerung zu bringen. Der spätere Schloßherr von Tegel wurde zwar in Potsdam geboren (sein Bruder Alexander 1769 in Berlin im Colombschen Hause Jägerstr. 22),1) aber dem Vater, dem preuß. Major a. D. und Kammerherrn Alexander Georg von Humboldt (1720—1779) hatte seine Gattin Marie-Elisabeth Colomb, verwitwete von Holwede, das Schloßgut Tegel in die Ehe eingebracht; die Eltern bezogen es 1769 für den größten Teil des Jahres, und hier verlebten die Söhne ihre Jugendjahre. Von den Hauslehrern ist der spätere Staatsrat Gottlob Johann Christian Kunth (1757—1829) zu erwähnen, der 1777—1789 den Brüdern erste Bildungsgrundlagen vermittelte, und der seit 1830 im Park von Tegel ruht. Eigenarbeit und Universitätsstudien in Frankfurt (Oder) und Göttingen (Rechts-, Staats- und Altertumswissenschaften) gaben Wilhelm die Basis für sein Wirken an hervorragenden Stellen des Innen- und Außendienstes seines Landes, von denen er immer wieder nach Tegel zurückkehrte. In den „Salons" des Berlins der Aufklärung und im „Tugendbund" — hier lernte Wilhelm die künftige Gattin Caroline von Dacheröden kennen — war der aussichtsreiche junge Jurist ein auch literarisch lernbegieriger Gesellschafter. Nach einigen Bildungsreisen ins Ausland arbeitete er 1790—1791 als Referendar am Berliner Kammergericht, schied aber als Assessor aus dem Staatdienst aus und lebte nun wissenschaftlichen Arbeiten auf den Gütern seiner Frau bei Mansfeld und in Thüringen, dann in Jena selbst, wo er seit 1794 enge freundschaftliche Beziehungen zu Schiller, Goethe und ihrem Kreise gewann. Auf erste staatspolitische Veröffentlichungen2) folgten nach Reisen (Spanien und Paris) sprachkundliche Studien im Tegeler Hause, das seit 1802 Alleinbesitz Wilhelms war, nachdem Alexander bei der Erbteilung 22 000 Taler erhalten und u. a. damit seine südamerikanischen Forschungsreisen bestritt, die ihn zum anerkanntesten Naturforscher seiner Zeit machten. — Ende 1802 übernahm Wilhelm die Vertretung Preußens beim Heiligen Stuhl, die er bis 1808 wahrnahm. Neben dieser Wirksamkeit in Rom, die durch die Zeitverhältnisse (territoriale Veränderungen in Deutschland nach 1803) von besonderer Bedeutung war, erwarb er als Kunstsammler jene Antiken, von denen ein Teil noch heute Schloß Tegel schmückt, und bestellte bei Thorwaldsen die Statue der „Hoffnung" für die Familienruhestätte im Park. 1809 berief der Freiherr vom Stein den preußischen Gesandten zum Leiter der Kultus- und Unterrichtsabteilung ins Innenministerium. Auch hier leistete der Gelehrte und Vexwaltungsmann Außerordentliches: „Humboldts größte Tat ist die Gründung der Universität Berlin" (Spranger).3) Unter den Linden haben seit 1883 die Denkmäler der Brüder ihren Platz: die Statue Wilhelms von Paul Otto, die Alexanders von Reinhold Begas. Die Universität trägt heute den Namen der Humboldts. — Daneben liefen seine 110 Arbeiten zur Schulreform, bei der den Berliner Gymnasien seine besondere Liebe galt: Humboldt ist der Schöpfer des neuhumanistischen Gymnasiums, und so trägt auch das viertälteste Gymnasium Berlins seinen Namen. — Diese ministerielle Tätigkeit, zunächst in Königsberg, dann in Berlin selbst, erfolgte wohlgemerkt nicht draußen in Tegel: im Herbst und Winter wohnten Wilhelm, Caroline und die Kinder in ihrem Stadthause, Behren- Ecke Charlottenstraße, „später sehr vornehm eine Treppe hoch am Gendarmenmarkt, Französische Straße 42" (Rave).1) An diplomatische Missionen in Wien, auf dem Pariser Friedenskongreß, auf dem Wiener Kongreß (1814—1815) und in London schloß sich 1819 sein Ministeramt unter dem Staatskanzler Hardenberg an: von Jugend auf von liberalen Gedanken, einer „Humanitätsidee", getragen und der Förderung und Eigenentwicklung des Individuums, suchte Humboldt auch jetzt nach einer f r e i h e i t l i c h e n Lösung der Verfassungsfrage, lehnte daher den Entwurf des Kanzlers ab und stellte sich auch gegen die Pressebeschränkung durch die rückschrittlichen Karlsbader Beschlüsse. So kam es zum 31. Dezember 1819 erneut zu seiner Entlassung aus dem Staatsdienst. Wirtschaftlich unabhängig — er verzichtete sogar auf die Ministerpension — hatte er nun jenes „otium cum dignitate" für seine Forschungen: dem Schlößchen in Tegel, aus dem Weingut eines kurfürstlichen Hofsekretärs des 16. Jahrhunderts entstanden, ließ er 1822—1824 durch Carl Friedrich Schinkel im klassizistischen Stil die heutige Form geben; hier fanden nun endlich die römischen Antiken, Abgüsse und Gemälde ihren Platz, die das Ehepaar 20 Jahre zuvor gesammelt hatte, im Atrium auch die Brunnenmündung aus der Kirche San Calisto in Trastevere 4 ), hier wurden seine sprachgeschichtlichen Studien fortgesetzt, und bis zum Tode seiner Gattin (1829) war auch das Tegeler Buonretiro ein gesellschaftlicher Mittelpunkt für Künstler, Wissenschaftler und Staatsmänner, wie es sein Haus in Rom gewesen war. — Doch nicht nur den eigenen Kunstschätzen, die er vom Tiber zum Tegelsee verpflanzt hatte, galt seine Betreuung: er übernahm 1830 den Vorsitz der Kommission für den Bau des (Alten) Museums im Lustgarten. Der Gegensatz zu seinem Bruder Alexander, der stärker auf publicity bedacht war, zeigte sich in einer kritischen Stimme des damaligen Berlin: Varnhagen schrieb am 23. Februar 1830 an Goethe:5) „Von Berlin mochte ich gern manches Bemerkenswerte und Erfreuliche hier anfügen . . . Mit Herrn Alexander von Humboldt ist ein stärkerer Wellenschlag in die Flut der gebildetvornehmen Welt zurückgekehrt. Der Herr Minister von Humboldt brütet dagegen in der Winterruhe zu Tegel über eigenen Studienaufgaben; die von ihm geräus&los geleitete Einriditung unserer Kunsthallen ist inzwischen rasch vorgesdiritten, und zum Frühjahr dürften diese Schätze, mit deren Eröffnung für Berlin eine neue Lebensepoche anhebt, allgemein zu sehen sein." . . . Seinen Musen- und Alterssitz verließ Wilhelm von Humboldt nur noch selten; täglich ging er zum Grabe der Gattin über die langgestreckte Wiese im Park, dessen Gestaltung ihm stets ein Anliegen gewesen war. „Die Liberalität des Besitzers hat den freien Eintritt in den Garten gestattet, dessen mannigfaltige Spaziergänge die schönsten Punkte für den Genuß der Landschaft berühren", schrieb Schinkel in der Erläuterung seines Bauplans 1824.1) — Durch den Tod Carolines vereinsamt, in den letzten Jahren kränkelnd, starb Wilhelm am 8. April 1835 und wurde im Park beigesetzt, zu Füßen des jetzt bewaldeten, einstigen Weinbergs, an den sich auch das Grab des Hauslehrers Kunth lehnt, mit der Inschrift: Grata quiescentem cultorem arbusta loquuntur ( = Dankbare Baumgärten sprechen von dem hier ruhenden Pfleger). 111 Auch unsere Zeit hat den Brüdern Humboldt — und zwar unabhängig von ihren Centenar-Feiern — mannigfache Ehrungen bezeigt, die augenfälligste: die 40-Pfg.-Sonderbriefmarke der Deutschen Post Berlin mit dem Portrait Wilhelms. Die Deutsche Bundesbank bereitet Prägung eines 5-Markstückes mit den Bildnissen der Gebrüder vor. pappenheim Dr Hans ') Paul Ortwin Rave, Wilhelm von Humboldt und das Schloß zu Tegel, Leipzig 1950, Berlin 1956. ) Jüngste Auswahl der Schriften von Wilhelm von Humboldt, eingeleitet von Walter Flemmer. (Goldmanns Gelbe Tasdienbücher, Band 1492/93) München 1964. 3 ) Eduard Spranger, Wilhelm von Humboldt und die Reform des Bildungswesens, Tübingen 1960. 4 ) Hans Pappenheim, Wilhelm von Humboldts „Brunnen des Calixtus", Die Antike, Zeitschrift für Kunst und Kultur des klassischen Altertums, Berlin 1940, 16, S. 227—242. 3 ) Erna Arnhold. Goethes Berliner Beziehungen. Gotha 1925, S. 345. 2 Berliner Verkehrsprobleme vor 75 Jahren von Arne Hengsbach Das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts, in dem Berlin Weltstadt wurde und von 964 000 auf 1 885 000 Einwohner anwuchs, ließ zum ersten Male die Probleme des Straßenverkehrs in den Gesichtskreis der Zeitgenossen treten. Noch in den sechziger Jahren lagen die meisten Straßen Berlins ziemlich still und leer da. Nur Droschken, Roll- oder Lieferwagen und Omnibusse rumpelten hin und wieder über das Kopfsteinpflaster. Straßen mit lebhafterem Verkehr waren allenfalls der Mühlendamm und die Königstraße, die 1868 in den 13 Stunden von 7 bis 20 Uhr in beiden Richtungen von 4930 bzw. 4350 Wagen befahren wurden. Die Königstraße war damals die „Hauptschlagader des Gesamtverkehrs", nach der Schilderung von Isidor Kastan herrschte zu gewissen Tageszeiten „hier ein sinnverwirrendes Treiben. Hochbeladene Lastwagen aller Art rollten dann in dicht aufeinander gedrängten Reihen über das entsetzliche Pflaster . . .* Auch Felix Philippi erinnert sich, daß dort in der Königstraße die Rollwagen der großen Manufakturwarenhäuser über das nicht ganz einwandfreie Pflaster „knatterten" und dem großen Posthof zustrebten. Etwa 20 Jahre später hatte sich das, von Ausnahmen abgesehen, sehr geruhsame Straßenbild erheblich verändert. Zu den Fracht- und Lieferwagen, den Droschken und den doppelstöckigen Pferdeomnibussen waren die Pferdebahnen getreten. Dieses Verkehrsmittel beherrschte jetzt in zunehmendem Maße die Straßenzüge der Kernstadt und gab dem Stadtbild seine besondere Prägung: Berlin war eine Straßenbahnstadt geworden. Die vielen Wagen der Pferdebahnen, die auf dem engmaschigen, allmählich auf fast 40 km Länge angewachsenen innerstädtischen Netz unablässig hin- und herfuhren, sich kreuzten, zu langen Ketten vereinigten und wieder trennten, brachten eine außerordentliche Verdichtung im Straßenverkehr. Dazu einige statistische Angaben, die allerdings in den Einzelheiten z. T. widersprüchlich sind, was seinen Grund in den abweichenden Zählzeiten und der ungenauen Aufbereitung des Materials haben mag. Außerordentlich schnell entwickelte sich der Pferdebahnverkehr in der Leipziger Straße. Auf der 1880 dem Verkehr übergebenen, 1700 m langen Strecke zwischen Spittelmarkt und Potsdamer Platz, die in etwa 10 Minuten durchmessen wurde, fuhren im Jahre 1881 im Tagesdurchschnitt etwa 900 Wagen, im Sommer 1882 waren es bereits ca. 1760; an der Kreuzung der Leipziger mit der Charlottenstraße, die ebenfalls mit mehreren Linien besetzt war, verkehrten im Jahre 1882 etwa 3250 1 12 Wagen, die Kreuzung wurde alle 18 Sekunden von einem Wagen berührt. Nach einer Aufstellung aus dem Jahre 1887 wurde für die erwähnte Kreuzung wiederum die Belastung von 3250 Wagen angegeben, an zweiter Stelle stand der Spittelmarkt, über den alle 21 Sekunden ein Wagen fuhr, am Tage passierten ihn rund 2750 Wagen. An dritter Stelle folgte der Potsdamer Platz, wo sich die Wagen in 22 Sekunden Abstand folgten, was einer täglichen Belastung von rund 2600 Wagen entspricht. Eine Zeitungsnachricht vom 1. 5. 1888 bringt abweichende Werte: „Der am stärksten in Anspruch genommene Pferdebahnknotenpunkt in Berlin ist seit der Durchlegung der Linien über den Mühlendamm der Molkenmarkt. Dieser kleine Platz wird täglich von 2780 Pferdebahnwagen berührt. Die nächstgrößere Strecke des Verkehrs findet an der Ecke der Leipziger- und Charlottenstraße statt. Dort kreuzen sich 10 Pferdebahnlinien. Täglich wird diese Stelle von 2736 Wagen passiert. Ziemlich gleich stark ist der Verkehr auf dem Spittelmarkt, wo 12 verschiedene Linien ihren Berührungspunkt haben und 2619 Wagen verkehren. Der Potsdamer Platz wird von 8 Linien mit täglich 2367 Wagen durchschnitten . . ." Im Jahre 1889 wurden als tägliche Belastung im Durchschnitt für den Potsdamer Platz 3311, die Kreuzung CharlottenLeipziger Straße 3840 und den Spittelmarkt 3616 Pferdebahnwagen errechnet. In den neunziger Jahren nahm die Verkehrsdichte weiter zu, 1895 z. B. verkehrten auf dem Potsdamer Platz in der Stunde 244, mithin am Tage rund 4000 Wagen, auf dem Mühlendamm 204 Wagen pro Stunde oder rund 3300 am Tage, während die Leipziger Straße zwischen Spittelmarkt und Jerusalemer Straße eine Frequenz von 172 Wagen in der Stunde = 2800 am Tage aufwies. Der Berliner Polizeipräsident hatte in seinem Verwaltungsbericht für die Jahre 1871 bis 1880 gesagt: „Die Nachteile, welche durch den Betrieb der Pferdebahnen verursacht werden, insbesondere die Verengung der Fahrstraßen für das andere Straßenfuhrwerk und die Beschädigungen, welche die Pferdebahnwagen hin und wieder anderen Wagen . .. verursachen, können gegenüber den vielen Vorteilen derselben nicht in Betracht kommen . . . Jedenfalls haben die Pferdebahnen wesentlich zur Regelung des Fahrverkehrs auf den Straßen, insbesondere zur Befolgung der Vorschriften des Rechtsfahrens beigetragen. Sehr bedeutend ist durch sie auch der Verkehr der Hauptstraßen entlastet worden, indem sie die gleichzeitige Beförderung zahlreicher Personen bewirken, die sich sonst vieler Droschken bedient haben würden". Zehn Jahre später, nach dem Ausbau des Pferdebahnnetzes, hatte der Polizeipräsident seine Ansichten schon geändert. In dem Berichte für die Jahre 1881 bis 1890 heißt es: „Gegenüber der Tatsache, daß die schnelle Aufeinanderfolge der Pferdebahnwagen, insbesondere auf den Kreuzungspunkten der Hauptverkehrsstraßen ohne Schädigung der Bequemlichkeit und Sicherheit des übrigen Wagenverkehrs nur bis zu einer gewissen Grenze durchführbar sein wird,. .. werden sich die Pferdebahn-Gesellschaften fernerhin der Erkenntnis nicht verschließen können, daß in nicht allzu ferner Zukunft an Stelle der Pferde vielleicht Elektrizität in den Dienst des öffentlichen Fuhrwesens wird gestellt werden müssen, um den Raum, den die Wagen mit Gespann jetzt einnehmen, möglichst verringern zu können". In einem Aufsatz über „Berlins Verkehrsentwicklung", der am 20. 7. 1889 in der Vossischen Zeitung erschien, wurden weitere Argumente gegen die Pferdebahn gebracht: „Wir wollen den Verwaltungen unserer Pferdebahnen nicht zu nahe treten und erkennen willig an, daß ihre Wagen wenig zu wünschen übrig lassen, daß dieselben verhältnismäßig rascher (9 Kilomtr. in der Stunde) fahren, als z. B. die Pariser, daß der Betrieb sich mit der erforderlichen Pünktlichkeit vollzieht, solange nicht etwa 113 ein Rollwagen auf dem Gleise die Achse bricht oder eine Brücke aufgezogen wird . . . Es wird ein noch so vorzüglich geleitetes Pferdebahnnetz niemals den Anforderungen an den Verkehr in einer Weltstadt genügen. Die Wagen fassen höchstens 30 Personen . . ., sie sind Sonntags und zu gewissen Tagesstunden der Woche derart überfüllt, daß an ein Mitkommen auf Zwischenstationen nicht zu denken ist, es genügt, wie gesagt, das geringste Hindernis auf dem Gleise, um den Verkehr einer Linie in die größte Unordnung zu bringen . .." Pferde als Zugmittel hätten sich vollständig überlebt, diese Wahrnehmung dränge sich jedem, der diese Dinge in Amerika verfolge, auf, dort werde die Elektrizität in kurzer Zeit die Erbschaft des Vierfüßlers antreten. „Pferde werden die erforderliche Geschwindigkeit von 12 — 15 km in der Stunde nie erreichen, sie nehmen einen großen Raum vor dem Wagen ein, beschmutzen die Straßen, fallen durch ihr Getrampel lästig und . . . sie kommen um 30 — 40 Prozent teurer zu stehen als der mechanische Betrieb." Und schließlich sei aus den Erläuterungen, die die Firma Siemens & Halske im Jahre 1892 zu ihren Schnellbahnprojekten gab, zitiert: „Die in Berlin für den Stadtverkehr zur Verfügung stehenden Bahnen (Stadtbahn und Pferdebahnen) genügen schon heute nicht mehr den Anforderungen, welcher der in gewaltiger Fortenwicklung begriffene Stadtverkehr zu gewissen Tageszeiten und an einzelnen Tagen stellt. . . Andererseits machen die Behinderungen, welche durch die Pferdebahnwagen, besonders an den Straßenkreuzungen, dem Fuhrwerk- und Fußgängerverkehr erwachsen, sich nicht selten schon unangenehm bemerkbar." Zweierlei bemängelten also die Zeitgenossen: Die Unzulänglichkeit der Pferdebahnen an sich und die Beeinträchtigung des übrigen Straßenverkehrs durch die Pfer-, debahnen bzw. umgekehrt die Behinderung des Bahnbetriebes durch die anderen Fahrzeuge, z. B. durch langsam auf den Schienen dahin fahrende Lastwagen. Indes hielten sich diese gegenseitigen Störungen immer noch in verhältnismäßig erträglichen Grenzen, die meisten der Berliner Straßen waren trotz des riesigen Pferdebahnverkehrs noch nicht voll ausgelastet. Die Struktur des Stadtverkehrs jener Zeit kann mit unseren heutigen Verhältnissen kaum verglichen werden. Einen Individualverkehr gab es kaum in Ansätzen, nur die öffentlichen Verkehrsmittel, Pferdebahnen, Pferdeomnibusse und Tausende von Droschken, dazu die Liefer- und Frachtwagen verschiedenster Typen und Größen belebten die Straßen. Da die Pferdebahnen eine etwas größere Geschwindigkeit entwickelten als die übrigen Straßenfahrzeuge, behinderten sie diese also nicht etwa durch langsamere Fortbewegung, eher konnten, wie oben geschildert, gemächlich auf den Schienen fahrende Frachtwagen den Bahnverkehr beeinträchtigen. Gewichtiger als derartige Bedenken, der vorhandene Verkehrsraum in den Straßen könne nicht mehr aufnahmebereit für die anwachsende Menge der bespannten Fahrzeuge sein, waren jene anderen Befürchtungen, die sich auf Überlegungen über die Struktur des Pferdebahnbetriebes an sich gründeten. Der innerstädtische Pferdebahnverkehr war an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt. Die von den Zugmitteln, den Pferden, erreichte Geschwindigkeit konnte ohnehin nicht überschritten werden, sie wurde nach und nach immer stärker als unzulänglich empfunden. Dazu kam, daß trotz der außerordentlichen Verdichtung der Wagenfolge auf den Hauptsträngen die Kapazität nicht mehr voll ausreichte; eine weitere Vermehrung der Betriebsmittel zur Verstärkung des Platzangebotes aber war kaum noch sinnvoll, die Pferdebahnen hätten sich dann selbst gestört. Jede Behinderung der Schienenwege mußte die nicht abreißende Reihe einander folgender Wagen an den Straßenkreuzungen oder auf der Strecke selbst stauen und zu Stockungen im Betriebe führen. Fortsetzung im Heft 10 114 Berichte In ihrem Vortrag „Geschichte und Entwicklung von Wilmersdorf gab am 21. März Frau Dr. Lilly M o r i t z , die Vorsitzende des Heimatvereins Wilmersdorf, an Hand von zahlreichen Lichtbildern einen kurzen Oberblick über die geschichtliche Entwicklung des früheren Dorfes Wilmersdorf zur späteren Großstadt, wobei sie die Ortsteile Schmargendorf und die Kolonie Grunewald unberücksichtigt ließ. Urkunden und Lagepläne sind erst seit dem 16. Jahrhundert vorhanden. Sie zeigen eine Dorfaue, die heutige Wilhelmsaue, um die sich die Kirche, das Pfarrhaus und die Bauernhäuser gruppieren. Hinter den Bauernhöfen lagen die streifenförmig angeordneten Äcker. Mit fortschreitender Zeit wurden auch größere Häuser und neue Straßen errichtet, wobei die Bauern, ähnlich wie in anderen Berliner Nachbargemeinden, durch Verkauf ihrer Äcker großen Reichtum erwarben und sich prächtige Landhäuser errichteten. Heute ist von dem einst so romantischen Dorf Wilmersdorf mit seinem fischreichen See nichts mehr vorhanden. Der See wurde zugeschüttet, das an ihm gelegene, bekannte Restaurant „Seebad Wilmersdorf" abgebrochen und auf dem Gelände des Sees ein Sportplatz errichtet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs Wilmersdorf zur Großstadt heran und wurde 1920 durch das Gesetz über die Bildung der Stadtgemeinde Berlin in diese eingemeindet und zu einem der zwanzig Berliner Verwaltungsbezirke gestaltet. Hs. Jahreshauptversammlung des Vereins Die diesjährige gut besuchte Jahreshauptversammlung des Vereins für die Geschichte Berlins fand am 25. April d. J. im Ratskeller Berlin-Schöneberg, statt. Der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. B. Harms eröffnete die Sitzung um 19.45 Uhr. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedachte der Vorsitzende in ehrenden Worten der im abgelaufenen Vereinsjahr verstorbenen Mitglieder des Vereins. Die Versammlung ehrte das Andenken an die Verstorbenen durch Erheben von den Plätzen. Der im Druck vorliegende Geschäftsbericht, der wiederum von einer erfreulichen Entwicklung des Vereins im abgelaufenen Geschäftsjahr Kenntnis gab, wurde vom Schriftführer, Herrn Bullemer erläutert. Der Schatzmeister, Herr Mügel, erstattete sodann den Kassenbericht, der im Druck der Versammlung vorlag und in Einnahmen und Ausgaben mit D M 1 8 987,47 zum 31. Dezember 1966 abschließt. Herr Borkenhagen berichtete über den von den Kassenprüfern schriftlich erstatteten Prüfungsbericht. Nach dem von Herrn Grave erstatteten Bibliotheksbericht gab Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm den Bericht der Bibliotheksprüfer bekannt. Hierbei sprach Prof. Hoff mann-Axthelm Herrn Grave, Frau Kaeber und Frau Köpke, sowie der inzwischen ausgeschiedenen Frau Lahr herzlichen Dank für die im abgelaufenen Jahr in der Vereinsbibliothek geleistete umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit aus. Den Berichten folgte eine lebhafte Aussprache, in der verschiedene Anregungen für die künftige Vereins- und Vortrags-Tätigkeit sowie die Arbeiten für die Bibliothek gegeben wurden, die dem Vorstand zur weiteren Beratung und Beschlußfassung überwiesen wurden. Dem Vorstand und dem Schatzmeister wurden auf Antrag des Herrn Herbert Kiewer einstimmig Entlastung erteilt. Zu Beginn der Neuwahl des Vorstandes erklärte der bisherige Vorsitzende Prof. Dr. Dr. B. Harms, daß er infolge seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr kandidieren könne. Er dankte den Mitgliedern des Vorstandes und des Vereins für die gute Zusammenarbeit und drückte sein Bedauern darüber aus, daß er sich zu diesem Entschluß genötigt sähe. Der stellv. Vorsitzende, Archivdirektor Dr. Kutzsch, dankte dem scheidenden Vorsitzenden: „Wir bedauern diesen Entschluß, aber wir respektieren ihn." Das Amt des Vorsitzenden sei eine Würde, aber auch eine Bürde. Prof. Harms sei seit 44 Jahren unser Mitglied und seit 1961 Vorsitzender des Vereins. Er sei stets der erste Diener unserer Gemeinschaft gewesen und habe sich in guten wie in schlechten Zeiten für sie eingesetzt. Er habe am Wiederaufbau mitgewirkt und dazu beigetragen, den Geschichtsverein wieder zu dem zu machen, was er heute ist. Hierfür dankt ihm der Verein. Der Vorstand empfehle, diesen Dank dadurch abzustatten, daß der Verein Prof. Harms zu seinem Ehrenmitglied ernennt. Die nach § 6 der Satzung erforderliche Zustimmung hierfür wurde einstimmig unter großem Beifall erteilt. Prof. Harms dankte bewegt für die ihm zuteil gewordene Ehrung und gab die Versicherung ab, daß er seine Tätigkeit für den Verein nicht ganz einstellen werde. Er werde weiterhin bei der Herausgabe des Jahrbuches und bei der Gestaltung der Mitteilungen sich betätigen. Bei der folgenden Neuwahl des Vorstandes unter Leitung des Alterspräsidenten, Bürgermeister a. D. Rieck, schlug Dr. Kutzsch im Namen des Vorstandes vor, Herrn Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm zum 1. Vorsitzenden zu wählen. Die Wahl erfolgte einstimmig. 115 Nachdem Prof. Dr. Hoffmann-Axthelm den Vorsitz mit Worten des Dankes für das bewiesene Vertrauen übernommen hatte, wurden die übrigen Mitglieder des Vorstandes gewählt. Die bisherigen Mitglieder des „Geschäftsführenden Vorstandes" wurden einstimmig wiedergewählt. Die Beisitzer des Vorstandes wurden ebenfalls einstimmig wiedergewählt, mit Ausnahme von Herrn Dr. de la Chevallerie, der gebeten hatte, von seiner Wiederwahl Abstand zu nehmen. An seiner Stelle wurde der Direktor der Bibliothek der Freien Universität, Dr. Konrad Kettig, gewählt, der früher bereits Mitglied des Vorstandes war. Der Vorsitzende stellte darauf fest, daß der Vorstand des Vereins für die nächste zweijährige Wahlperiode sich wie folgt zusammensetzt: Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm stellv. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Direktor des Landesarchivs stellv. Vorsitzender: Kurt Pomplun Schriftführer: Karl Bullemer, Direktor i. R. stellv. Schriftführer: Erich Borkenhagen, Chefredakteur Schatzmeister: Walter Mügel, Obermagistratsrat a . D . stellv. Schatzmeister: Helmut Hof mann. Reg.-Amtmann Beisitzer: Dr. Konrad Kettig, Direktor der Bibliothek der Freien Universität Berlin; Dr. Paul Haber, Rechtsanwalt und Notar; Walter Jarchow, Architekt; Frau Dr. Margarete Kühn, Museumsdirektorin; Walter G. Oschilewski, Chefredakteur; Dr. Hans Pappenheim, Kunsthistoriker; Dr. Rainald Stromeyer, Direktor der Senatsbibliothek Berlin; Dr. Gerhard Zimmermann, Direktor des Geheimen Staatsarchivs. Vorsitzender Prof. Dr. Hoffmann-Axthelm, der den scheidenden Herren Prof. Harms und Dr. de la Chevallerie nochmals den Dank des Vereins ausdrückte, versprach mit der Wahl des neuen Vorstandes den Beginn einer weiteren arbeitsfreudigen Periode des Vereins. Er trat für die Beibehaltung der guten Beziehungen zum Museumsverein und zur Landesgeschichtlichen Vereinigung der Mark Brandenburg ein. Auf Vorschläge des Vorstandes und aus der Jahreshauptversammlung erfolgte sodann eine Umbildung und Neubesetzung der Ausschüsse. Der Redaktionsausschuß, der anläßlich der 100-Jahrfeier gebildet wurde, wird aufgelöst. Die Arbeiten dieses Ausschusses werden mit den Aufgaben des wissenschaftlichen Ausschusses unter gleichzeitiger Ergänzung des Ausschusses verbunden. Dem wissenschaftlichen Ausschuß gehören künftig an: Vorsitzender: Prof. Dr. Johannes Schultze, stellv. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. B. Harms, Archivdirektor Dr. Gerhard Kutzsch; Dr. Hans Pappenheim; Kurt Pomplun; Archivdirektor Dr. Gerhard Zimmermann. Der Veranstaltungsausschuß setzt sich auf Grund der Empfehlungen des Vorstandes und der Vorschläge aus der Versammlung künftig wie folgt zusammen: Helmut Hofmann, Vorsitzender, Frau Gertrud Doht, Frau Irmgard Herrmann, Frau Margarete Hoffmann, Frau A. Hamecher, Herrn Grave, Lehrer Michael, Helmut Kärger, Walter Mügel, Frau R. Köpke, Architekt Zapke. Ergänzungen der Ausschüsse durch Berufung bleiben vorbehalten. Frau Gertrud Doht wurde für ihre langjährige Tätigkeit als Vorsitzende des Veranstaltungsausschusses der Dank des Vereins ausgesprochen; sie wird weiterhin im Ausschuß tätig sein. Da die bisherigen beiden Kassenprüfer ihr Amt niedergelegt haben, wurden Frau Ruth Köpke und Herr Brozat einstimmig zu Kassenprüfern gewählt. Zu Bibliotheksprüfern wurden die Herren Kärger und Hans Joachim May einstimmig gewählt. Der Vorschlag des Schatzmeisters, es bei dem bisherigen Mitgliedsbeitrag zu belassen, wurde angenommen. Unter Verschiedenes schlug unser Ehrenmitglied, Prof. Dr. Dr. Harms vor, anläßlich der Umbenennung des Kaiserdamms in Adenauerdamm aus grundsätzlichen Erwägungen sich gegen die fortgesetzten Änderungen geschichtlicher und überlieferter Straßennamen und Bezeichnungen in Berlin auszusprechen. Nach lebhafter Aussprache wurde die nachstehende vom stellvertretenden Schriftführer abschließend formulierte E n t s c h l i e ß u n g bei 3 Stimmenthaltungen und einer Gegenstimme angenommen: „Der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, hat sich in seiner gestrigen Jahreshauptversammlung mit der in Berlin üblich gewordenen Neigung, alte, überlieferte Straßennamen zu ändern, befaßt. Er hält seine grundsätzliche Forderung, alles geschichtlich Gewordene in unserer Stadt zu bewahren, auch unter dem Eindruck des Todes von Konrad Adenauer und in tiefem Respekt vor seiner staatsmännischen Leistung aufrecht." 116 Die Entschließung wurde am nächsten Morgen der Tagespresse und behördlichen Stellen übergeben und hat überall starke Beachtung gefunden. Mit dem Ausdruck des Dankes an die Teilnehmer der Versammlung schloß der Vorsitzende die Jahreshauptversammlung um 22.15 Uhr. „ , , r " Borkenhagen Besichtigung der Meierei C. Bolle Im Rahmen der Besichtigung wirtschaftlicher und industrieller Unternehmungen, die mit der Geschichte und der Entwicklung unserer Stadt eng verbunden sind, besichtigte der Verein am 11. Mai d. J. die traditionsreiche Meierei Bolle. Das Unternehmen wurde auf den Grundstücken Lützowufer 31 und Wichmannstr. 5 am 28. Februar 1881 mit drei Verkaufswagen (Tagesumsatz ca. 1 500 Ltr.) für die Milchversorgung Berlins eröffnet. Gründer des Unternehmens war Carl Bolle, geb. 1.9. 1832. C. Bolle erwarb sich das Vertrauen seiner Kunden vor allem durch sein Bemühen, das Leistungsprinzip an Güte und Qualität hochzuhalten, eine Tatsache, die ihm die Sympathien der Berliner Hausfrauen einbrachte und zu einem schnellen Aufstieg des Unternehmens führte. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, wurde die damalige Zentralmolkerei A. G. dem Bollebetrieb eingegliedert. Der Gesamtbetrieb wurde im Jahre 1887 nach dem heutigen Grundstück Alt-Moabit 98—103 verlegt. Den Zeitgenossen sind im Stadtbild von Berlin die bekannten Bollewagen in guter Erinnerung. Sie fuhren nach einem bestimmten Fahrplan und machten ihre Ankunft mit der bekannten „Bolle-Bimmel" bemerkbar. Das Unternehmen hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem Musterbetrieb für die gesamte Milchwirtschaft Berlins entwickelt. Anstelle der Verkaufswagen, deren Anzahl bis Anfang des 1. Weltkrieges auf über 230 Wagen mit Pferdegespann gestiegen war, sind inzwischen moderne Lastwagen getreten. Zur Zeit werden mehr als 800 Verkaufsstellen des britischen Sektors mit Milch und Meierei-Produkten versorgt, wobei bemerkt wird, daß die Firma Bolle z. Zt. in WestBerlin 93 Verkaufsstellen besitzt. Während in früheren Jahrzehnten die Milchversorgung zum großen Teil noch durch Bezüge aus den landwirtschaftlichen Betrieben Berlins und der Umgebung erfolgte, wird heute die Milch, Buttermilch und Sahne aus der Bundesrepublik eingeführt. Es sind im Durchschnitt zehn moderne Tankwagen mit einem durchschnittlichen Fassungsvermögen von 20 000 Ltr. unterwegs, gilt es doch an Spitzentagen bis zu 190 000 Ltr. Milch und Buttermilch über den Einzelhandel an den Verbraucher abzugeben. Neben der Meierei hat Bolle noch eine eigene Kaffee-Rösterei, eine Weinkellerei, eine bedeutende Großfleischerei, eine ausgedehnte Margarine- und Eiscremefabrikation. Die eingehende Besichtigung der Betriebsanlagen unter Führung des Herrn Weissebach vermittelte den Besuchern einen interessanten Einblick in die technischen, auf den höchsten Stand der Hygiene gebrachten Einrichtungen eines modernen Betriebes. Daneben fanden besonderes Interesse die sozialpolitischen Leistungen und Wohlfahrtseinrichtungen des Unternehmens, die bereits bis in die Gründerjahre der Meierei Bolle zurückreichen. Der Besichtigung folgte auf Einladung der Betriebsleitung ein Imbiß im Vortragssaal des Betriebes. Hierbei gaben Direktor Herold und Herr Weissebach weitere wertvolle Erläuterungen über die umfangreichen technischen und organisatorischen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Bevölkerung dieser Weltstadt mit Milch und Milcherzeugnissen zu versorgen. Der Vorsitzende des Vereins, Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm, dankte namens des Vereins für die Geschichte Berlins den genannten Herren für die gastliche Aufnahme, Führung und Erläuterungen. T. Buchbesprechungen Schnittpunkte. Eine Dokumentation der Berlin-Stiftung für Sprache und Literatur. Herausgeber: Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie. Propyläen Verlag Darmstadt 1966. 296 S. u. 10 Abb. auf 10 Tafelseiten, br. DM 12,80. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich nicht um eins der üblichen Berlin-Bücher, die in mehr oder weniger sachlicher Darstellung die Besonderheiten Berlins, den Aufbau der Stadt oder ihre politische Lage schildern, sondern es ist eine Gemeinschaftsarbeit von neunzehn meist jüngeren Autoren, die durch ihre Eindrücke, Erinnerungen, durch Skizzen, Essays und Gedichte ein Bild des so gegensätzlichen und widersprüchlichen Berlin zu geben versuchen. Angeschlossen sind dem Buch eine Anzahl von Niederschriften von Vorträgen über literatur- und sprachwissenschaftliche Themen, die von dem Kulturkreis im Bundesverband der deutschen Industrie in den Jahren 1962 bis 1965 veranstaltet wurden. B i_r arm ,. 117 Die Berliner Stadtbibliothek. 20 Seiten mit 4 färb. Tafeln. Festgabe zur Eröffnung ihres Neubaues im Oktober 1966. In einer reizenden Festschrift gibt die Ostberliner Stadtbibliothek anläßlich der Eröffnung ihres Neubaues einen anschaulichen Bericht über die Entwicklung und den gegenwärtigen Zustand dieser zweiten großen Bibliothek in dem anderen Teile unserer Stadt. Bereits am 6. Juni 1901 hatte die Stadtverordnetenversammlung von Berlin die Gründung und Ausgestaltung einer Stadtbibliothek beschlossen, aber es hat Jahrzehnte gedauert, bis dieser Beschluß verwirklicht werden konnte. Immer wieder mußte die aus privaten Schenkungen und Vermächtnissen hervorgegangene Bibliothek in unzureichenden Räumen untergebracht werden. Trotzdem die Berliner Stadtverordnetenversammlung bereits am 25. Juni 1914 die Errichtung eines eigenen Gebäudes für die Stadtbibliothek beschlossen hatte, konnte erst in unseren Tagen im Marstallkomplex die neue Stadtbibliothek errichtet werden; sie wurde im Oktober 1966 eröffnet. Das neue sehr repräsentative Gebäude entspricht allen Anforderungen, die man an einen modernen Bibliotheksbau stellt; mit diesem Neubau beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der Stadtbibliothek. Der Stadtbibliothek wurde im Jahre 1955 die Ratsbibliothek mit 150 000 Bänden angeschlossen und jetzt zu einer besonderen Fachabteilung gestaltet. Das Gleiche geschah 1953 mit der 1949 als Bibliothek der Abteilung Gesundheitswesen des Magistrats gegründeten Berliner Ärztebibliothek, die gegenwärtig einen Bestand von 20 000 Bänden aufweist. Von den Sondersammlungen seien nur erwähnt die 1953 übernommenen Sammlungen der Bibliothek des Grauen Klosters, die 1674 gegründet wurde und heute etwa 15 000 Bände umfaßt. In ihr sind die früheren Berliner Druckereien reich vertreten, besonders Drucke Leonhard Thurneyssers. So bietet sich die Berliner Stadtbibliothek als eine Bibliothek von höchstem Range dar. Es ist nur zu bedauern, daß dieselbe Westberliner Forschern für wissenschaftliche Arbeiten nicht zugänglich ist. „ D " b B. Harms Rachel, Hugo — Papmz, Johannes — Wallich, Paul: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten. Neu herausgegeben, ergänzt und bibliographisch erweitert von Johannes Schnitze, Henry C. Wallich und Gerd Heinrich. Berlin: Walter de Gruyter & Co 1967. Bd. I: XLI und 415 Seiten, DM 58,— ; Bd. I I : VII und 578 Seiten. DM 64,— ; Bd. I I I : 336 Seiten. DM 48,—. Alle drei Bände mit Register und Stammtafeln (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, Bd. 32, 33 und 34). Selten ist eine Neuauflage so zu begrüßen wie bei diesem Standardwerk über die Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, dessen erster Band im Jahre 1934 erstmalig erschien und die Zeit bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges umfaßt. Der 1938 erschienene zweite Band sowie der 1939 gedruckte dritte Band werden manchen Lesern vielleicht bisher unbekannt geblieben sein, da diese seinerzeit unter nationalsozialistischem Zwang nur in ganz geringer Anzahl und nicht für den Handel bestimmten Exemplaren als Handschrift gedruckt werden durften. Der zweite Band behandelt die Zeit des Merkantilismus (1648 bis 1806), der dritte die Übergangszeit zum Hochkapitalismus (1806 bis 1856). Neu angefügt ist diesem Bande ein von Gerd Heinrich bearbeitetes Quellen- und Literaturverzeichnis zum Gesamtwerk einschließlich Ergänzungs-Bibliographie. Die große Bedeutung dieses für die Berliner Wirtschaftsgeschichte wichtigen Werkes ist heute genau so unumstritten wie bei seinem ersten Erscheinen. . T T J. Lachmann Florian Kienzl: Die Berliner und ihr Theater. Berlin: Haude und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1967. 96 Seiten u. 21 Abb. DM 9,80. (Berlinische Reminiszenzen Bd. 14). Florian Kienzl, der aus Graz stammende, seit Jahrzehnten in Berlin ansässige Schriftsteller und Theaterkritiker will in diesem Buche keine Berliner Theatergeschichte geben, vielmehr mit einigen charakteristischen Momenten dartun, welche Rolle das Berliner Publikum als Zuhörerschaft gespielt hat und wie es trotz aller Wandlungen im Laufe von zwei Jahrhunderten seinen grundeigenen Zug bewahrt hat. Hatte schon Goethe in dieser Hinsicht die Berliner als ein „gefährliches Geschlecht" bezeichnet, so hat Theodor Fontane sich über das kritische Publikum lustig gemacht, indem der Berliner es als sein Theatervergnügen ansah, wenn er Fehler der Schauspieler feststellen konnte. Und Friedrich Hebbel betrachtet diese Kritteleisucht in der „Metropole deutscher Intelligenz" als eine Art Grundeigenschaft des Berliners. Anders allerdings Curt Goetz, der das Berliner Publikum für das beste hält, das ihm begegnet sei. Der Verfasser durchleuchtet so das Berliner Theaterpublikum von der Aufklärung an bis in unsere Tage in unterhaltender und amüsanter Weise. • T T • J. Lachmann Egon Jameson: Am Flügel: Rudolf Nelson. Berlin: Haude und Spenersche Verlagsbuchhandlung 1967. 109 Seiten und 14 Abb. DM 9,80. („Berlinische Reminiszenzen" Bd. 15). Bei den zahlreichen Kleinkunstbühnen, die Berlin im ersten Drittel unseres Jahrhunderts bot — wie z. B. das „Kabarett der Komiker" oder die „Katakombe" — war es nicht leicht, 118 sich durchzusetzen. Dem Berliner Rudolf Nelson gelang es jedoch dank seiner Persönlichkeit und seiner Fähigkeit, stets ein geeignetes Ensemble zusammenzustellen, die meisten Konkurrenten bald zu übertrumpfen. Der einstige Reporter der „Berliner Morgenpost" und langjährige Verehrer des Komponisten Egon Jameson berichtet in fesselnder und amüsanter Weise, wie es Nelson möglich war, zu seinem Ruhme aufzusteigen. Der Bericht — und dies ist daran das Wertvolle — ist eigentlich eine Autobiographie, die der Künstler dem Reporter während seiner Londoner Jahre gesprächsweise diktiert hat und die die Entwicklung Nelsons vom musikalischen Wunderkind zum prominenten Künstler und seine große Zeit in Berlin umfaßt. Durch Nelson ist die „Kleinkunst" als Kunstform zu besonderer Blüte entwickelt worden. Seine Kompositionen leben noch heute fort. Als er nach Krieg und Emigration nach Berlin zurückkehrte, bereitete ihm seine Heimatstadt einen begeisterten Empfang. Wer an einer Geschichte der Kleinkunst interessiert ist, der greife zu diesem sehr netten und bebilderten Buch. J. Lachmann Seit Beginn des Jahres können wir folgende Damen und Herren als neue Mitglieder begrüßen: Eingeführt durch: Fabrikant Wilhelm Dreusicke, 1 Berlin 33, Furtwänglerstraße 4 (Schriftführer) Brauereidirektor Dr. Franz Röseneder, 7 Stuttgart — O, Neckarstraße 60—62 (Frau M. Hoffmann) Lotte Fröhlich, 1 Berlin 62, Freiherr-von-Stein-Straße 6 a (Schriftführer) Buchhändler Klaus Schultzenstein, 1 Berlin 30, Elßholzstraße 8 (Prof. Harms) Paul-Michael Matern, Versicherungskaufmann, 5 Köln, Eifelstraße 11 Dipl.-Ing. Gerhart Ammerlahn, 1 Berlin 45, Undinestraße 7 Hans-Joachim Mey, 1 Berlin 38, Cimbernstraße 3 Reg.-Ober-Inspektor Hans-Wolfgang Rieckhoff, 1 Berlin 37, Lupsteiner Weg 70 a (Prof. Hoffmann-Axthelm) Regierungsamtmann Kurt Mulack, 1 Berlin 61, Alexandrinenstraße 42 Medizinalrätin i. R. Gertrud Franke, 1 Berlin 21, Altonaer Straße 3 Versicherungskaufmann Ernst Heidenreich, 1 Berlin 37, Am Vierling 14 Dr. med. Otto Winkelmann, 1 Berlin 61, Dudenstraße 17 Christa Müller-Hartwich, 1 Berlin 45, Gardeschützenweg 127 Prof. Dr. med. Dr. h. c. Heinz Goerke, Direktor d. Instituts für Geschichte d. Medizin der Freien Universität 1 Berlin 37, Kösterstraße 1 a (Schriftführer) (Prof. Hoffmann-Axthelm) (Prof. Hoffmann-Axthelm) (Prof. Hoffmann-Axthelm) Ilse Sarneck, 1 Berlin 61, Grimmstraße 17 (Herrn Hoßmann) Edit Bojar, 1 Berlin 37, Berlepschstraße 70 (Prof. Hoffmann-Axthelm) Marianne Leupold, 1 Berlin 27, Gorkistraße 63 (Prof. Hoffmann-Axthelm) Dr. Fritz Schultze-Seemann, Facharzt für Urologie, 1 Berlin 28, Münchener Straße 22 (Frau Müller-Hartwich) Karen Johannsen, Dipl.-Bibliothekarin, 1 Berlin 45, Unter den Eichen 106 (Prof. Hoffmann-Axthelm) 119 Kleine Mitteilungen Wir bitten, davon Kenntnis zu nehmen, daß auf Grund der Neuwahlen in der Jahreshauptversammlung vom 25. April d. J. die Geschäftsstelle des Vereins von Berlin 37, Katharinenstraße 30, nach 1 Berlin 21, Händelallee 61, Telefon: 39 24 90 verlegt worden ist. Unser Mitglied, Herr Dr. Wilhelm Bormann, Berlin-Wilmersdorf, konnte am 8. Mai d. J. in Rüstigkeit und Frische sein 75. Lebensjahr vollenden. Der Vorsitzende des Vereins übermittelte unserem Mitgliede, das an unseren Arbeiten regen und tätigen Anteil nimmt, zu seinem hohen Ehrentag herzliche Glückwünsche des Vereins, die wir auch an dieser Stelle wiederholen. Der Verein der Freunde und Förderer des Berlin-Museums hielt unter der Leitung seines Vorsitzenden, Prof. Dr. Edwin Redslob, am 24. Mai d. J. im Haus am Tiergarten seine diesjährige Jahreshauptversammlung ab. Der erstattete Jahresbericht vermittelte eine umfangreiche und erfolgreiche Tätigkeit des Vereins für den Ausbau des „Berlin-Museums", dessen Übersiedlung in das historische Kammergerichtsgebäude in der Lindenstraße nach endgültiger Fertigstellung der Renovierungsarbeiten in Aussicht genommen ist. An Stelle des ausscheidenden stellvertretenden Vorsitzenden, Prof. Dr. Dr. Harms, wurde Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Die beiden weiteren stellvertretenden Vorsitzenden, die Herren Gerhard Küchler, und Dr. Gerhard Zimmermann wurden einstimmig wiedergewählt. Veranstaltungen im III. Vierteljahr 1967 1. Sommerausflug. Der diesjährige Sommerausflug des Vereins findet am Sonnabend, dem 29. Juli d. J., zum Besuch der wiederhergestellten historischen „Zitadelle Spandau" statt. Abfahrt am 29. Julid. J.um 14.00 Uhr mit Sonderbussen (Reisebussen) der BVG vom Bahnhof Zoo (Nordseite) an der Jebensstraße. Besichtigung der Zitadelle unter Führung von Herrn Dr. Hans P a p p e n h e i m . Anschließend Kaffeetafel in Wilhelmshöhe am Stößensee. Rückfahrt abends 20 Uhr. Fahrpreis für Hin- und Rückfahrt DM 3,— je Teilnehmer. Der Fahrpreis wird im Bus erhoben. Anmeldung schriftlich oder telefonisch bis zum 20. Juli d. J. an Frau Gertrud D o h t, Berlin 62, Grunewaldstraße 64, (Tel. 71 15 60) erbeten. Familienmitglieder und eingeführte Gäste herzlich willkommen. 2. Im Monat August finden keine Vorträge und Veranstaltungen statt. 3. Die Vortragsfolge des Vereins im Winterhalbjahr 1967/68 beginnen wir am Dienstag, dem 12. September 1967 um 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Saal 139, mit einem Vortrag des Generaldirektors der Staatlichen Museen in Berlin Herrn Dr. Stephan W a e t z o l d t über: Die Zukunft der Berliner Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wir dürfen uns angesichts der in Aufbau und Entwicklung befindlichen Museumsbauten in Berlin einen besonders aufschlußreichen Vortragsabend versprechen. Gäste sind herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller Schöneberg. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, 1 Berlin 65, Müllerstr. 138d. fewfeefet der berliner jtoaivjiDü1 MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 Neue Folge Nr. 10 1. Oktober 1967 A 20377 F Vorsitzender: Prof.Dr.Dr. W.Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin21 (Tierg.),Händelallee 61, Ruf: 39 2409 Schriftführer: Dir. i. R. K. BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Zahlungen erbeten auf das Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80, 1 Berlin 21 Am 1. August 1967 hat unser Ehrenmitglied Prof. Dr. phil. Dr. med. BRUNO HARMS in seiner Vaterstadt Berlin die Augen für immer geschlossen. Ein um das Gesundheitswesen unserer Stadt hochverdienter Mann hat uns verlassen. Daß diese Persönlichkeit jahrzehntelang Mitglied unseres Vereins gewesen ist, erfüllt uns mit besonderer Genugtuung. BRUNO HARMS entstammte einer Familie, die seit Generationen in Berlin ansässig war. Am 23. März 1890 im Norden der Stadt geboren, widmete HARMS sich zunächst zoologischen, chemischen und physikalischen Studien, die er mit dem Examen für das höhere Lehramt und dem Dr. phil. abschloß. Sodann wandte er sich dem Studium der Medizin zu, das er bald nach dem 1. Weltkrieg beendigte. Diese breite naturwissenschaftliche Basis erweiterte er noch durch eine Ausbildung am Sozialhygienischen Universitätsinstitut von GROTJAHN, so daß er sich wohlbereitet um das Amt des ersten Stadtarztes im neugeschaffenen Bezirk Tiergarten bewerben konnte, das er 1922 übernahm. Hier schuf er beinahe aus dem Nichts in kurzer Zeit ein vorbildliches Gesundheitsamt mit den entsprechenden Institutionen, richtete Fürsorgestellen ein und erweiterte das ihm unterstehende Krankenhaus Moabit. Von den Nationalsozialisten aus dem Amt entlassen, betätigte sich Harms als praktischer Arzt und während des 2. Weltkrieges als Leiter der Sanitäts-Lehranstalt. So war es nicht erstaunlich, daß man nach Kriegsende auf diesen erfahrenen Medizinalbeamten zurückgriff und ihn 1946 zum Stadtrat und Leiter des Gesundheitswesens beim Berliner Magistrat ernannte. Die ungeheure Aufgabe des Wiederaufbaus der von Grund auf zerstörten Gesundheitseinrichtungen unserer Stadt, die Seuchenbekämpfung unter einer ausgehungerten, zum Teil obdachlosen Bevölkerung, die Versorgung der Kriegsbeschädigten fiel damit auf ihn. Nachdem 1948 das Schlimmste überstanden war, legte HARMS wegen parteiinterner Differenzen sein Amt als Stadtrat nieder, doch schon 1949 wurde er zum Präsidenten des Zentralinstitutes für Hygiene und Gesundheitswesen gewählt, das einige frühere Reichsanstalten, darunter auch das Robert-Koch-Institut, umfaßte. Durch die Wiederüberführung dieser Einrichtungen in Bundesbesitz wurde das Amt hinfällig, so daß HARMS 1953 in den Ruhestand trat. Bereits 1950 war ihm durch Magistratsbeschluß die Amtsbezeichnung Professor verliehen worden, 1965 wurde er anläßlich seines 75. Geburtstages mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Ruhe konnte es für diesen regen Geist nicht geben. HARMS wandte sich medizinhistorischen Studien zu, wofür ihm seine umfassende Bibliothek, überreich an alten Drucken und kostbaren Berolinensien, die Grundlagen im eigenen Hause gab. Seine Arbeiten über den vielgewandten THURNEYSSER und den friderizianischen Arzt und Sammler MOEHSEN schlugen sich auch im Schrifttum unseres Vereins nieder. Bei der rechtlich schwierigen Zusammenfassung der in der Nachkriegszeit entstandenen beiden Vereine für die Geschichte Berlins spielte BRUNO HARMS eine bedeutende Rolle. Er war als Nachfolger von ERNST KAEBER zum stellvertretenden Vorsitzenden des neukonstituierten, von Prof. LANDSBERG geleiteten Vereins von 1949 gewählt worden und wurde 1960 zum Zwecke der Zusammenführung zum Vorsitzenden des Vereins von 1865 gekürt, in welchem sich die meisten alten Mitglieder zusammengefunden hatten und in den er selbst schon 1923 eingetreten war. Nach der Vereinigung im Jahre 1961 leiteten LANDSBERG und HARMS den Verein gemeinsam, bis mit dem Tode des ersteren 1964 der alleinige Vorsitz auf ihn fiel. So war es ihm vergönnt, als Vorsitzender der glanzvollen Jahrhundertfeier unseres Vereins im Festsaal des Schöneberger Rathauses zu präsidieren. Obgleich sein Gesundheitszustand schon stark reduziert war, leitete er bis zu seiner Amtsniederlegung im Frühjahr fast jede Veranstaltung. Nun, wo er für immer aus unserem Kreis entschwunden ist, werden wir oft genug seinen stets klaren und bestimmten Rat, seine mit Energie vertretenen Vorschläge vermissen. Prof. Dr. Dr. BRUNO HARMS hat sich um den Verein für die Geschichte Berlins hohes Verdienst erworben. In Dankbarkeit verneigen wir uns vor unserem Ehrenmitglied, stolz darauf, daß dieser Mann mit ganzem Herzen der unsere war. W. HOFFMANN-AXTHELM Berliner Verkehrsprobleme vor 75 Jahren Von Arne Hengsbach Fortsetzung von Heft 9 Auch die Anfälligkeit gegen sonstige Störungen machte sich bei ansteigendem Verkehrsbedürfnis immer mißlicher bemerkbar. Besonders im Winter zeigte es sich stets wieder, wie wenig die Pferdebahnen ungünstigen Betriebsverhältnissen ge- 122 wachsen waren. Bei stärkeren Schneefällen kam der Fahrplan regelmäßig durcheinander, trotz der Kolonnen, die den Schnee von den Gleisen schippten und der Salzwagen, von denen aus Viehsalz zum Auftauen gestreut wurde. Dann konnten nur kleine Wagen mit doppelter Bespannung verkehren und auch die nur mühsam und unregelmäßig, während auf weniger befahrenen Strecken der Verkehr ganz zum Erliegen kam. Diese Entwicklung des Pferdebahnwesens barg bereits Ansätze zu ihrer künftigen Überwindung. Ende der achtziger Jahre wurden Überlegungen angestellt, welche neuen Beförderungsmittel man an Stelle der in ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr zu steigernden Pferdebahn einführen könne. Man beschäftigte sich mit den Möglichkeiten, die der elektrische Strom als Förderungsmittel neuer aufnahmefähigerer und schnellerer Verkehrsmittel zu bieten schien, nachdem sich die Verwendung der Elektrizität im Straßenbahnbetrieb in den Vereinigten Staaten immer erfolgreicher bewähne. Zwar wurde auch in Berlin die Anlegung elektrischer Straßenbahnen erörtert und projektiert, das Hauptinteresse aber galt seit 1891 der Herstellung elektrischer Schnellbahnen, die als Hoch- und Untergrundbahnen geplant wurden. Die Beschäftigung mit diesen Bahnen war so rege, daß es zuweilen den Anschein hatte, als wolle man von der Pferdebahn sofort zum Bau von Hoch- und U-Bahnen übergehen und die Einrichtung elektrischer Straßenbahnen überspringen. Bereits im Jahre 1888 hatte der damalige Verkehrsexperte, Professor Dietndo von der Berliner Technischen Hochschule angeregt, eine Hochbahn auf Säulen ungefähr im Zuge der Ringbahnlinie der Pferdebahn anzulegen, wobei er noch an Dampfbetrieb dachte. Während die Konstruktion der New-Yorker — mit Dampflokomotiven befahrenen — Hochbahnen Werner von Siemens bei seinen Vorschlägen für elektrische Stadtbahnen beeinflußt hatte, waren es die Londoner Untergrundbahnen, besonders die 1890 eröffnete erste elektrisch betriebene Strecke der City- und Südlondonbahn, die den Befürwortern und Planverfassern Berliner „Tief"- oder Untergrundbahnen zum Vorbild dienten. Das Siemenssche Projekt einer elektrischen Hochbahn, die als Ergänzung der Stadtbahn von der Warschauer Brücke zum Zoologischen Garten durch die südöstlichen, südlichen und westlichen Stadtteile führen sollte, wurde schon 1891 vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten als dringend wünschenswert erachtet und für im „hohen Grade beachtenswert" gehalten. Im gleichen Jahre 1891 kam auch die AEG mit ihren ersten U-Bahnplanungen heraus, die u. a. eine Nord-Süd-Bahn vom Wedding durch die Chaussee- und Friedrichstraße bis zum Kreuzberg, eine Ost-West-Linie vom Viehhof durch die Leipziger Straße nach Schöneberg sowie Ringstrecken vorsahen. Jeder Zug, aus elektrisch angetriebener Lokomotive und drei Wagen bestehend, sollte 120 Personen mit 25 km/h befördern. Allerdings konnte die Firma mit ihren Projekten von Röhrenbahnen nach Londoner Muster, die in 9 bis 13 m Tiefe im Schildvortrieb angelegt werden sollten, nicht zum Zuge kommen. Die Bauverwaltungen bezweifelten nämlich, daß diese Bauweise im Berliner Untergrund mit seinem hohen Grundwasserstande auszuführen sei. Nur der ehemalige Spreetunnel von Stralau nach Treptow entstand in den Jahren 1895/99 als Versuchsstrecke, um die von der AEG vorgesehene Tunnelbauweise als praktisch durchführbar zu beweisen. Einer der unermüdlichsten, aber völlig erfolglosen Verfechter des U-Bahngedankens war der Hauptmann a. D. und Ingenieur Immedienberg. Auch er hatte seit 1891 verschiedene Projekte eingereicht, u. a. zur Entlastung der Friedrichstraße, auch er bewarb sich wie die AEG um die Erbauung 123 ;ines Probeaunnels unter der Spree hindurch, um die Anwendbarkeit seines Tiefbahnsystems darlegen zu können, allerdings vergeblich. Er schlug sogar eine U-Straßenbahn vor, die die „Linden", die zu dieser Zeit noch nicht von Pferdebahnen gekreuzt werden durfte, zu unterqueren. So ein Lindentunnel war übrigens als Behelf für die nicht zu erlangende Überschreitung der Prachtstraße mit Pferdebahnen schon einmal im Jahre 1889 in der Presse erörtert worden. In einer Zeitungsnotiz vom 7. 10. 1892 heißt es: „ . . . Zu den Plänen des Ingenieurs Immeckenberg bezüglich der Berliner Untergrundbahnen gesellt sich auch ein Plan, welcher die Unterführung der Linden im Zuge der Charlottenstraße ins Auge faßt. Augenblicklich ist Baumeister A. Böhm mit der Herstellung der zugehörigen Hochbauentwürfe beschäftigt. Das Projekt besteht in einer für den Pferdebahn- bzw. den elektrischen Betrieb bestimmten Untergrundbahnstrecke von 910 Metern. Dieselbe soll am Gendarmenmarkt, Ecke der Charlotten- und Jägerstraße ihren Anfang nehmen und unfern der Weidendammer Brücke münden. Die Strecke wird gebildet durch zwei nebeneinander gelegte Tunnels von je 3,50 m Durchmesser, deren Sohle 7,50 m unter dem Niveau der Straße liegt. An der vorerwähnten Ecke des Gendarmenmarktes ist eine Wartehalle für das Publikum von 55 Metern Länge und 8 m Breite geplant, welche zugleich die Ein- und Ausfahrt der Wagen in die Tunnels überdacht. Mit einer Neigung von 1 : 10 fahren die Wagen hier in den Tunnel hinein, um am Weidendamm mit einer Steigung von 1 : 10 wieder ans Tageslicht zu kommen. Hier würde über der Ausfahrt ein gewaltiger, für Wohn- und Geschäftszwecke bestimmter Bau mit den notwendigen Ein- und Ausgängen für das Publikum errichtet werden. Die Halle am Gendarmenmarkt ist im flotten Barockstil entworfen". Immeckenberg hatte auch die Absicht, U-Bahnstrecken als „Tiefbahnen", bei denen mit Tiefbohrmaschinen gearbeitet werden sollte, zu bauen. 1891 suchte auch der Bergingenieur Poetsch in Magdeburg beim Magistrat die Genehmigung zum Bau einer Tiefbahn nach, die entweder mit elektromagnetischer Kraft, durch Druckluft oder mittels Wasserdruck betrieben werden sollte. Die 60 Einsteigschächte zu der in etwa 20 m unter Niveau anzulegenden Bahn wollte Poetsch unter Anwendung des Gefrierverfahrens herstellen. Noch manche anderen Projekte, darunter die Schwebebahnentwürfe des Geheimen Kommerzienrates Langen bewegten im Jahr 1894 die Öffentlichkeit. Die Vorteile einer Schwebebahn in den Straßen Berlins sah Langen u. a. in der Schnelligkeit der Beförderung und der Möglichkeit, selbst sehr scharfe Krümmungen ohne Änderung der Geschwindigkeit mit Sicherheit durchfahren zu können, wobei noch weniger Raum für die Träger als bei der eigentlichen Hochbahn in Anspruch genommen zu werden brauchte. Ein Ausschuß der Berliner Stadtverordneten besuchte die von Langen in Köln-Deutz errichtete Versuchsstrecke, und die Versammlung ersuchte den Magistrat, in einer gemachten Deputation eine zu der bevorstehenden Gewerbeausstellung in Treptow führende Linie zu beraten. Aber von all den zahlreichen frühen Plänen und Vorlagen wurde schließlich nur das Siemenssdie Projekt der Hochbahn von der Warschauer Brücke bis zum Zoo, wenn auch mit erheblichen Änderungen ausgeführt. Die reservierte abwartende, wenn auch nicht von vornherein ablehnende Haltung der staatlichen und städtischen Bauverwaltungen gegenüber den z. T. doch recht phantastischen Entwürfen war verständlich, zumal man kaum praktische Vorbilder hatte, abgesehen von den Londoner Tubes, die unter völlig anderen geologischen Voraussetzungen gebaut worden waren. Immerhin 124 haben die von der Pferdebahn ausgelösten Verkehrsprobleme die Entstehung und anfänglich sogar etwas üppige Entfaltung eines neuen Fachgebietes, das der Planung neuer städtischer Schnellverkehrsmittel, binnen kurzer Zeit in erheblichem Maße angeregt. Berichte Besichtigung der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin Am Dienstag, dem 6. Juni d. J., besichtigte der Verein die Betriebsanlagen und Ausstellungsräume der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin in der Wegelvstraße im Tiergartenviertel Berlins. Die Besichtigung wurde eingeleitet durch eine interessante geschichtliche Einführung des Herrn Grönland über Entstehung und Entwicklung der Keramiken und der Porzellane von den Uranfängen an im alten China, im Orient und in Ägypten vor unserer Zeitrechnung bis zum Vordringen in den europäischen Raum und zur Gegenwart. Der Vortragende kennzeichnete die zwischenzeitlichen Epochen in der Entwicklung und Herstellung der Keramiken und Porzellane und gab im Rahmen dieser Entwicklung ein anschauliches Bild von der späteren Porzellanherstellung in ihren Anfängen in Brandenburg und Preußen, wo — nach verschiedenen bereits seit 1740 vergeblichen Versuchen Friedrichs des Großen, eine Porzellanfabrik in Preußen zu errichten — der Wollzeug-Fabrikant Wilhelm Caspar Wegely im Jahre 1751 diesem langgehegten Wunsch Friedrichs des Großen nachkam und — mit Ausnahme einer weniger bedeutsamen Porzellanfabrik in Plaue an der Havel (1713) — die erste Porzellanfabrik Preußens in der Neuen Friedrichstraße, unweit des heutigen Bahnhofs Alexanderplatz, gründete. Die Porzellane aus der Wegelyschen Ära sind heutzutage nicht allein wegen ihrer Seltenheit von Kennern und Liebhabern geschätzte Erzeugnisse. Nach der zwangsläufigen Unterbrechung, die durch den Beginn des 7jährigen Krieges bedingt war, errichtete — noch während des Krieges — der Kaufmann Joh. Ernst Gotzkowsky im Jahre 1761 in der Leipziger Straße die zweite preußische Porzellanfabrik in Berlin. Trotz aller Bemühungen blieb dieser Gründung der wirtschaftliche Erfolg versagt, so daß Friedrich der Große die Gotzkowskysche Fabrik für 225 000 Taler erwerben mußte, weil sonst die Fortführung seines ihm liebgewordenen Planes nicht möglich gewesen wäre. Der Kaufvertrag mit dem Kaufmann Gotzkowsky vom 8. September 1763 sowie die Kabinettsorder mit der eigenhändigen Unterschrift Friedrichs des Großen vom 19. September 1763 (die beiden Originale liegen wohlverwahrt im Panzerschrank der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin) waren die formelle Bestätigung der Geburt der nunmehr „Königlichen Porzellan-Manufaktur". Während die Porzellane aus der Zeit Wegelys mit einem blauen „W" und die aus der Zeit Gotzkowskys mit einem blauen „G" gekennzeichnet waren, erhielten die Porzellane seit 1763 als Fabrikmarkenzeichen ein blaues Zepter und — soweit es sich um bemalte Porzellane handelte — seit 1832 zusätzlich das Zeichen des Reichsapfels mit „KPM". Die Königliche Porzellan-Manufaktur wird ohne Unterbrechung seit 1763 geführt (seit 1918 als Staatliche Porzellan-Manufaktur Berlin und nach 1945 als Eigenbetrieb des Landes Berlin). Die jetzigen Werkstätten und der werkeigene Verkaufsraum in der Wegelystraße haben ihren Standort bereits seit 1871, da durch den 125 Bau des preußischen Herren- und Abgeordnetenhauses um 1870 die Verlegung an die gegenwärtige Stätte notwendig wurde. Anstelle der repräsentativen und weltbekannten Ausstellungs- und Verkaufsräume in der Leipziger Straße wurden vorerst der werkeigene Verkaufsraum in der Wegelystraße (1955) und eine Verkaufsstelle in der Budapester Straße 47 (1957) gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eingerichtet. Infolge einer fast 80°/oigen Zerstörung der Werkanlagen im Jahre 1943 mußte die Manufaktur ihre Produktion in Selb (Oberfranken) bis zum Wiederaufbau der Berliner Betriebsstätte fortführen. Die Besichtigung der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin machte die Besucher mit dem Ablauf der Produktion vertraut und gab einen Überblick über die Vielseitigkeit der Manufaktur-Erzeugnisse. Während im Bereich der Geschirr- und Zierporzellane nach wie vor die bewährten Formen und Dekore der historischen Service gefertigt werden, wird in werkeigenen Studios nach gültigen Formen gesucht, die dem gediegenen Geschmack der neuen Zeit gerecht werden. Daneben hat die Erzeugung technischer Porzellane ebenfalls beachtliche Bedeutung und dient der Befriedigung hoher Ansprüche der Elektro-, Tuch- und Laborindustrie. Als eine besonders charakteristische Leistung konnte ein Duplikat der historischen Stutzuhr, die der englischen Königin anläßlich ihres Besuches in Berlin im Jahre 1965 von der Bundesregierung überreicht wurde, besichtigt werden. Als nicht weniger interessant und überzeugend wurde die Leistung derjenigen Betriebsabteilungen empfunden, die mit ihrer Handmalerei — besonders auf dem Gebiet der naturalistisch gestalteten Blumen — den Ruf der „KPM" mitbegründen halfen. Alles in allem vermittelte die Besichtigung der traditionsreichen Berliner Porzellan-Manufaktur ein eindrucksvolles Bild der künstlerisch und technisch hochwertigen Produktion dieses Unternehmens. Im Namen des Vorstandes des Vereins und der Teilnehmer an der Besichtigung sprach Herr Bullemer der Geschäftsleitung der Manufaktur seinen aufrichtigen Dank aus. Vortrag mit Lichtbildern „Philipp PFAFF, Hofzahnarzt Friedrichs des Großen, u n d Pierre BAILLIF, Leibzahnarzt Friedrich Wilhelms III.", am 20. 6. 1967 von Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm. Philipp PFAFF wurde 1711 wahrscheinlich in Berlin geboren, da sein Vater hier seit 1710 aktenkundig ist. Über diesen Vater wird berichtet, daß er, 1689 bei der Zerstörung Heidelbergs entführt, wegen seiner Geschicklichkeit in Languedoc zum Chirurgen ausgebildet wurde und später in Montpellier als Prosektor tätig war. Sein Sohn Philipp wandte sich unter dem „Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. zunächst der Laufbahn eines Feldschers zu, schied aber unter dem jungen Friedrich II. aus der Armee aus und eröffnete 1744 auf der Fischerbrücke eine Barbierstube, in der sich der ausgebildete Chirurg vornehmlich der Zahnheilkunde zuwandte. 1756 wurde er zum Hofzahnarzt ernannt, im gleichen Jahre erschien bei Haude & Spener seine „Abhandlung von den Zähnen des menschlichen Körpers und deren Krankheiten" als erstes deutschsprachiges Buch dieses Faches von Bedeutung. Es wird darin zum ersten Male überhaupt die noch heute übliche Abdruckmethode zur Anfertigung von Zahnersatz 126 empfohlen. 1764 zum Hofrat ernannt, starb BAILLIF zwei Jahre darauf in seinem Hause, dem Schwarzen Adler auf der Fischerbrücke. Der 1775 in Lausanne geborene Mechaniker Pierre BAILLIF (auch Peter BALLIF) dürfte innerhalb des 1. Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts in Berlin eingewandert sein. Er begründete 1811 seinen Ruf mit einer künstlichen Hand, dem ersten Fortschritt seit Goetzens Eiserner. Auf BAILLIFs Prinzip beruhen auch noch unsere heutigen Prothesen. Es folgten Konstruktionen von Fußprothesen, künstlichen Nasen u. ä. 1823 wurde er Hof rat, 1827 Leibzahnarzt des Königs. Mit geschickten Schmeicheleien bewarb er sich erfolgreich um eine Ordensdekoration. 1830 starb BAILLIF als wohlhabender Mann, nachdem er noch Berlin um eine sogenannte Aktienbrücke über die Spree, für die ihm 10 Jahre die Zolleinnahmen zustanden, bereichert hatte. Diese Brücke, die heutige Moabiter Brücke, trug noch Jahrzehnte den Namen Ballifbrücke. Autorreferat Studienfahrt zur Zitadelle in Spandau Bereits am 1. August 1964 war die Spandauer Zitadelle Ziel einer Studienfahrt des Vereins. Die seit 1962 vom Berliner Denkmalspflegeamt planmäßig eingeleiteten Instandsetzungs- und Restaurierungsarbeiten waren damals schon voll im Gange; sie sind inzwischen an der Bastion König und am Juliusturm weitgehend abgeschlossen und erbrachten baugeschichtlich wichtige Ergebnisse. Es schien daher lohnend, der Zitadelle einen erneuten Besuch abzustatten. Dr. Hans Pappenheim, der sich bereits im ersten Studiensemester durch seine gründlichen Quellenstudien zur Geschichte der Spandauer Zitadelle die ersten wissenschaftlichen Sporen verdient hatte, war den über 120 Teilnehmern der Sommerfahrt vom 29. Juli 1967 der sachkundige Führer: Ob er uns an der Seitenfront des Pallas, der heute das Spandauer Heimatmuseum birgt, an seinen baugeschichtlichen Studien über die ältere Burganlage teilnehmen ließ oder uns die jüdischen Grabsteine in der südlichen Pallasmauer demonstrierte, die zu den ältesten mittelalterlichen Zeugnissen der Spandauer Geschichte zählen. Der Juliusturm, der stabilste Restteil der alten askanischen Burg, dessen Innentreppe aus Eichenholz, ein handwerkliches Meisterwerk der in der Zitadelle beheimateten Bauhandwerkerschule zur erst 1964 gebauten Aussichtsplattform führt, erlaubte bei schönster Sicht Ausblicke in das nahe Spandau, aber auch hin zu den Neubauten am Falkenhagener Feld und im Märkischen Viertel. Besonders reizvoll und romantisch verlief schließlich unter Führung des Herrn Müller vom Kunstamt Spandau und unseres Mitgliedes Herrn Groth die Wanderung durch die in den letzten Jahren freigelegten Kasematten der Bastion König. Gerade die unteren Feuergalerien zeigen noch deutlich die Schwierigkeiten auf, die bei der Fundamentierung der Grundmauern auf dem sumpfigen Gelände zu überwinden waren. Grundwasserabsenkungen ließen schon einst die „360 Schock" Eichenpfähle faulen und die darauf gesetzen Grundmauern absacken. Es sind die gleichen Schwierigkeiten, die auch heute noch die Instandsetzungsarbeiten behindern und zu größter Wachsamkeit zwingen. Die uns immer wieder begegnenden Gipsmarkierungen an den Grundmauerrissen zeugen davon. Leider reichte die Zeit nach dem langen Treppauf-treppab durch die unterirdischen Gänge nicht mehr aus, um das sehenswerte und für einen späteren privaten Besuch zu empfehlende Heimatmuseum im Pallas selbst noch aufzusuchen. Mit einer Kaffeetafel in Wilhelmshöhe am Stößensee fand der von schönstem Wetter begünstigte Sommerausflug einen gemütlichen Ausklang. G. Zimmermann 127 Buchbesprechungen Gernot Schley: Die Freie Bühne in Berlin. Der Vorläufer der Volksbühnenbewegung. Ein Beitrag zur Theatergeschichte in Deutschland. Berlin: Haude u. Spenersche Verlagsbuchhandlung 1967. 163 Seiten. DM 10,80. Es ist außerordentlich zu begrüßen, daß die „Freie Bühne" in Berlin, der Vorläufer der Volksbühnenbewegung, eine theaterwissenschaftliche Darstellung gefunden hat. Wenn es auch schon so manche, auch eingehende Abhandlungen darüber gab, so liegt hier eine vom Verfasser, einem Schüler von Professor Knudsen, auf Grund allen verfügbaren Quellenmaterials bestens fundierte Arbeit vor, die alle Details in die Betrachtung einbezieht, jede Aufführung einzeln behandelt und dadurch ein interessantes Bild des kulturellen Lebens in Berlin zur Zeit der Jahrhundertwende vermittelt. Nachlässe bzw. Teilnachlässe wie z. B. von Ludwig Fulda, den Gebrüdern Julius und Heinrich Hart, Gerhart Hauptmann, Paul Schienther, Maximilian Harden, Fritz Mauthner und Philipp Stein sowie das Archiv des Verlags S. Fischer wurden dafür, zum guten Teil erstmalig, ausgewertet. Die bornierte Theaterzensur in Berlin vor 1889 hatte die Veranlassung zur Gründung der „Freien Bühne" gegeben, wobei den Gründern als Vorbild das Pariser „theätre libre" des Andre Antoine vorschwebte, das damals ausschließlich noch ungespielte Stücke zeitgenössischer Autoren aufführen ließ. In einer Weinstube bei Kempinski fand die erste Besprechung über die Gründung eines derartigen Theaters für Berlin am 5. März 1889 statt, an der Theodor Wolf, Maximilian Harden, Otto Brahm, Paul Schienther, die Gebrüder Hart, der Verleger Samuel Fischer, Julius Stettenheim, Rechtsanwalt Paul Jonas und der Theateragent Stockhausen teilnahmen. Diese Zehn gründeten dann am 5. April den Theaterverein „Freie Bühne" mit Otto Brahm als Vorsitzenden. (Sie zählten als aktive Mitglieder, alle anderen gegen Zahlung eines Beitrages als passive Mitglieder, die jährlich 10 Theateraufführungen geboten bekamen.) Bereits im Juni 1890 waren es über 1000 Mitglieder, sodaß der Verein keine finanziellen Sorgen hatte. Die Namenliste zeigt, daß fast alle Schriftsteller, Dichter und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens von Rang und Namen Mitglieder waren wie Barnay, Blumenthal, l'Arronge oder Ibsen, Fontane, Fulda, Sudermann und Anzengruber, sowie auch Schauspieler wie Josef Kainz und Agnes Sorma. So konnte die „Freie Bühne" schnell im Theater- und Kulturleben Berlins Fuß fassen, zumal da ein so einflußreicher Verleger wie Samuel Fischer ihr Schatzmeister war. Dabei war nicht ohne Bedeutung, daß alle von der „Freien Bühne" aufgeführten Stücke zugleich im Verlag S. Fischer erschienen. Ihre Hauptaufgabe war, naturalistische, realistische und soziale Dramen zu bringen, die bisher von der Bühne verbannt waren. Mit Ibsens „Gespenster" wurde am 29. Sept. 1889 die „Freie Bühne" eröffnet. Kurz darauf, am 20. Oktober 1889 folgte die Aufführung von Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang", die für den Theaterverein von besonderer Bedeutung wurde. Dabei war Theodor Fontane einer der ersten Fürsprecher für Hauptmann. Als 5. Stück erschien Tolstois „Macht der Finsternis", als 9. Hauptmanns „Friedensfest", als 12. seine „Einsame Menschen" und als 17. am 26. Februar 1893 „Die Weber". Im Verein blieben Meinungsverschiedenheiten nicht aus; Otto Brahm behielt jedoch als Vorsitzender die Zügel in der Hand, bis er 1894 Intendant des „Deutschen Theaters" wurde und Paul Schienther den Vorsitz übernahm. Als dieser 1898 nach Wien ging, folgte ihm Ludwig Fulda in der Leitung. Nachfolger der „Freien Bühne" wurde dann die „Freie Volksbühne", mit der ein neues Kapitel Berliner Theatergeschichte beginnt. — J- Lachmann Adolf Heilborn: Die Reise nach Berlin. Einleitung und Ergänzung von Kurt Pomplun. Berlin: Rembrandt-Verlag, Neuauflage 1966. 119 Seiten mit Zeichnungen von Walter Wellenstein und Bildtafeln. D M 9,80. Nachdem Adolf Heilborn im Jahre 1921 die ersten Kapitel seiner „Reise nach Berlin" ebenso wie seine „Museumssnaziergän^e" in der Presse veröffentlicht hatte, erschien 1925 der Erstdruck des Büchleins, das bald die Anerkennung der Berliner fand und seinerzeit geradezu eine Art Bestseller für alle heimatgeschichtlich interessierten Leser wurde. Desto erfreulicher ist das Wiedererscheinen, das nicht nur eine Neuauflage darstellt, sondern jedes Kapitel ist von dem Fachmann Kurt Pomplun bis auf unsere Tage tortgeführt und vervollständigt worden. Und dadurch ist der Wert dieses reizend geschriebenen Buches erheblich vermehrt. Es ist auch heute ein „romantischer Baedeker und Führer aus dem neuen Berlin ins alte", wie Heilborn selbst es genannt hat. J. Lachmann Georg Hermann: Spaziergang in Potsdam. Vorwort von Friedrich Mielke. Zeichnungen von Walter Wellenstein, Bildtafeln von Max Baur. Berlin: Rembrandt-Verlag, Neuauflage 1966. 139 Seiten. DM9,80. Beim Erscheinen der Erstauflage des beliebten Buches im Jahre 1929 erstrahlte die Havelresidenz noch in alter Pracht. Wenn jetzt unter völlig veränderten Verhältnissen eine Neu- 128 aufläge dieses unterhaltsam geschriebenen und nett ausgestatteten Büchleins erfolgte, so ist dies doch gerechtfertigt. Führt es uns doch von neuem auch zu den alten, lieben Stätten, die heute nicht mehr sind, und hält damit die Erinnerung an die große Zeit Potsdams wach, nicht zuletzt durch die Bildtafeln und Zeichnungen. J. Lachmann Karl Baedeker: Berlin-Schöneberg. Kurzer Führer mit 5 Karten und Plänen und 12 Zeichnungen. Karl BAEDEKER Verlag, Freiburg 1967. Einband: Hochglanzkarton. Preis D M 3,40. Etwas ganz Neues: Ein Bezirksführer. Aber warum eigentlich nicht? — Schließlich ist Schöneberg mit seinen 185 000 Bürgern durchaus eine Großstadt, die eine selbständige Behandlung verdient, und hatte bis 1920 eine autonome Geschichte, die vielleicht weiter zurückführt als die der im Spreetal gelegenen Kapitale. So lassen wir uns gern von unserem Mitglied Kurt POMPLUN, selbst Sohn der Schöneberger Insel, an die Hand nehmen und uns auf dem Wege durch die vertrauten Straßen soviel auch uns Unbekanntes an Altem und Neuem erzählen, daß wir am Schluß feststellen: Dies rote Büchlein mit seinen 36 Seiten ist mehr für den Einheimischen geschrieben als für den Fremden, dem meist der Überblick im großen Berlin-Baedeker genügen wird. Den Referenten als gebürtigen Friedenauer erfüllte mit besonderer Genugtuung die separate Besprechung seines Heimatdorfes, das sich 1920 ebenso ungern von Schöneberg hat erobern lassen wie dieses von Berlin. Er bezweifelt auch nicht, daß dieses erfreuliche, auf knappstem Raum eine Fülle von Wissensstoff enthaltende Bändchen seinen Weg machen wird. — Aber, Herr BAEDEKER, Berlin hat 20 Bezirke! W. Hoffmann-Axthelm Walter Bruch: Kleine Geschichte des deutschen Fernsehens. Herausgegeben vom Sender Freies Berlin (Buchreihe des SFB 6). Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Berlin, 1967. 120 Seiten, 35 Abbildungen, davon 5 vierfarbig, DM 9,80. In Berlin sind viele Entwicklungen auf technischem Gebiet durchgeführt worden. So wurde hier — unter anderem — nicht nur der Ton- oder Hör-Rundfunk (der bei seiner Inbetriebnahme am 29. 10. 1923 noch „Unterhaltungsrundfunk" hieß) für Deutschland entwikkelt, sondern auch das Fernsehen. Das vorliegende Buch entstand aus Anlaß der 25. Großen Deutschen Funkausstellung Berlin 1967, bei der das deutsche Farbfernsehen der Öffentlichkeit übergeben worden ist. Der Verfasser gibt eine Obersicht über die Entstehung des Fernsehens in Deutschland, ohne auf technische Einzelheiten einzugehen. Zunächst werden die Anfänge geschildert, wobei besonders die als Wegbereiter für ein späteres Fernsehen in Betracht kommenden Erfindungen und Gedanken der in Berlin ansässig gewesenen Paul Nipkow und Gebrüder Skladanowsky hervorgehoben werden. Nipkow erfand 1883 die nach ihm benannte Scheibe zur Bildabtastung und Max Skladanowsky zeigte 1893 in Berlin-Pankow erste Filme mit einem primitiven Projektionsapparat. Dem Berliner Publikum wurden bereits auf der Funkausstellung 1928 Fernsehapparate vorgeführt, wobei noch die mechanische Bildabtastung benutzt wurde. Eine wesentliche Verbesserung brachte dann die Fernsehelektronik, wobei das Ikonoskop besonderen Anteil hatte. Im Jahre 1930 hatte der in Berlin-Witzleben untergebrachte Fernsehsender, dessen Antenne auf dem Funkturm angebracht war, mit seinen Versuchssendungen begonnen. Eine besondere Bedeutung erlangten die Fernsehübertragungen während der Olympischen Spiele in Berlin 1936. Der Verfasser, der ab 1935 bei der Firma Telefunken tätig ist und seine Angaben seit dieser Zeit aus persönlichem Erleben heraus schildert, weist zu diesen Übertragungen mit bewegten Worten auf die Schwierigkeiten hin, die auf technischem Gebiet zu bewältigen waren. Auf der Funkausstellung 1939 wurden erstmalig Fernseh-Einheitsempfänger gezeigt, die 650 RM kosten sollten. Wegen des bevorstehenden Krieges gelangte aber nur eine geringe Stückzahl zur Fertigung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Fernsehbetrieb im Jahre 1952 wieder aufgenommen. Aufnahmeraum sowie die Sender für Bild und Ton befanden sich im Gebäude des ehemaligen Reichspostzentralamtes in Berlin-Tempelhof. In den drei letzten Kapiteln des Buches wird das Farbfernsehen behandelt, über dessen Technik es verschiedene Möglichkeiten gibt. In Amerika wurde das NTSC-System, genannt nach National Television System Comittee, entwickelt. Im europäischen Bereich gelangten zwei Verfahren zur Durchbildung: SECAM (Sequentiel ä Memoire) und PAL (Phase Alternation Line). Diese beiden Verfahren wurden auf der internationalen Konferenz in Oslo im Jahre 1966 behandelt, doch konnte keine Einigung über eines von beiden erzielt werden. Hinsichtlich des Farbfernsehens wurden die europäischen Länder in zwei Lager gespalten. In der 129 Bundesrepublik Deutschland sowie in den Ländern Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Norwegen, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Schweden ist das PAL-Verfahren gewählt worden. Einige andere europäische Länder haben sich für das SECAM-Verfahren entschieden. Dem Verfasser, der als Erfinder des PAL-Fernsehverfahrens anzusehen ist, wurde — wie aus der am Ende des Buches gebrachten Biographie hervorgeht — die Würde eines Dr.-Ing. E. h. verliehen. W. Hahn Klaus Schwarz: Bremen und Berlin (Ein geschichtlicher Rückblick) — Sonderverö'ffentlichung aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt B r e m e n , 1967. Berlin und Bremen haben seit einigen Jahren ein Abkommen, daß in jedem Jahr mehrere kulturelle Veranstaltungen mit dem Thema BERLIN in Bremen stattfinden, daß andererseits aber in jedem Jahr unter Leitung von Mitarbeitern des Senators für das Bildungswesen mehrere Gruppen aus Bremen jeweils eine Woche in Berlin kulturelle Veranstaltungen und Einrichtungen besuchen. Im Mai 1967 fand in Bremen eine vielbeachtete Berlin-Woche statt, für die Klaus Schwarz in mühevoller Kleinarbeit eine hervorragende Dokumentation über die engen Bindungen zwischen der alten Hauptstadt und der weit älteren Hansestadt verfaßt hat. Bremen hat sich durch alle Jahrhunderte die Einheitlichkeit als Republik bis auf den heutigen Tag erhalten, während Berlin seine innere Einheitlichkeit — wie Schwarz mit Recht sagt — verloren hat. Während in Berlin seit dem 15. Jahrhundert als Residenz der Hohenzollern mehr und mehr neben dem Bürgertum Hof, Bürokratie, vor allem Militär vorherrschten, während der Offiziersstand das gesamte gesellschaftliche Leben bis in die vierziger Jahre unseres Jahrhunderts beeinflußte, blieb Bremen die Stadt des königlichen Kaufmanns, in der der Adel nichts galt, der Offiziersstand zu allen Zeiten h i n t e r dem Kaufmannsstand rangierte. Doch — vieles ist beiden Städten durch die Zeiten gemeinsam geblieben: da in Bremen durch mancherlei Überschwemmungen das Land rund um die Hansestadt zerstört zu werden drohte, holte man zum Aufbau und Anbau des Landes Kolonisten aus den Niederlanden; auch Berlin und die Mark taten gleiches, siedelte doch Albrecht der Bär Niederländer an, weit um Berlin herum — so etwa zu Jerichow über die Berlin vorgelagerte Altmark bis hin nach Teltow, ja bis in die Doppelstadt Berlin/Coelln. Albrecht der Bär ist im Jahre 1139 in Bremen gewesen, wo er als Vogt des Erzbischofs während des Marktes Recht sprach. Aus den „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause" (Hermann Krabbo und Georg Winter, Berlin-Dahlem, 1955) wissen wir, daß im Jahre 1142 Albrecht der Bär tatkräftig dabei war, als nahe Bremen zwischen Ochtum und Hunte neue Siedler angesetzt wurden. Das bedeutendste Bindeglied zwischen Berlin und Bremen in alten Tagen war die gemeinsame Zugehörigkeit zur Hanse, 1358 tritt Bremen, ein Jahr später Berlin zur Hanse. Schwarz vermutet, daß schon im 13. Jahrhundert gelegentliche Zusammenkünfte zwischen Berliner und Bremer Kaufleuten stattgefunden haben werden. Meist traf man sich dazu in Hamburg. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es in Berlin eine kleine bremische Kolonie. 1696 trat diese in engere Verbindung zur alten Heimatstadt. Der Rat der Stadt Bremen wurde durch den in Bremen geborenen kurfürstlichen Hoffiskal Eberhard de Marees aus Berlin aufgesucht, um die Bremer für eine Kollekte zu Gunsten des Baus der Parochialkirche zu bitten, da „an der Spree bremische Stadtkinder in ziemlicher Anzahl wohnten." Diese vom Senat der Stadt Bremen genehmigte Kollekte erbrachte 1064 Thaler, während aus Hamburg nur 252 Thalcr eingingen. Beamte, Lehrer, Theologen aus Bremen kamen nach Berlin und wirkten hier wie etwa der Hof rat Lüder Cöper oder der Gymnasiallehrer Heinrich Meierotto, der zunächst 1696 an die Friedrichsschule in Frankfurt an der Oder ging, dort Rektor wurde, danach in Berlin das Werdersche Gymnasium, später das Joachimsthalsche Gymnasium leitete. Später hielt sich die Hansestadt in Berlin einen Beauftragten, der Aufträge für die Stadt Bremen gegen ein Entgelt zu besorgen hatte und die neuesten politischen Nachrichten aus Berlin berichten mußte. Auch das Theater war ein Bindeglied zwischen den beiden Städten, während zunächst in Bremen aus pietistischen und anderen Erwägungen das Theater von Amts wegen nicht recht anerkannt war. Nicht zuletzt durch Berliner wurde nach und nach das Theater in Bremen ausgebaut und gefördert, und wenn Iffland noch 1784 schreiben konnte: „Bremen hatte bisher Intoleranz gegen Schauspieler", so kann er 25 Jahre später sagen, daß jetzt Bremens Theaterpersonal das beste in ganz Deutschland sei. Die Beziehungen zwischen Berlin und Bremen sind stets vielfältige geblieben, sei es auf dem Gebiete der Kultur, des Handels oder des Verkehrs, doch hat man — wie Klaus Schwarz 130 besonders erwähnt — es als Fremder immer in Bremen viel schwerer gehabt als in Berlin, so daß der bremische Bürgermeister Alfred Pauli in den Erinnerungen aus seinem Leben sagt, „daß Fremde, namentlich fremde Ehepaare, trotz langen Verweilens und einwandfreier Persönlichkeiten nie haben in Bremen warm werden können", während der Dichter Rudolf Alexander Schröder, ein Bremer, von Berlin sagte, es gehöre „zu den liebenswürdigsten Zügen dieser Stadt, daß sie jeden Neuhinzugezogenen alsbald mit unbeschwerter Selbstverständlichkeit zu den ihren zählt." Wer kennt die Fülle der Wechselbeziehungen zwischen Berlin und Bremen? Wer weiß es wohl, daß das kleine Denkmal der Bremer Stadtmusikanten von Gerhard Marcks stammt, den Schwarz mit Recht Berliner nennt? Der „Bremer Weg" im Berliner Tiergarten erinnert daran, daß 30 000 Bäume als kleine Setzlinge nach Beendigung der Berlin-Blockade von Bremen gestiftet wurden? Wer weiß aber noch, daß Bremen die beiden Kirchbauten im Hansa-Viertel, die Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche durch die Spende einer Glocke und die St. Ansgar-Kirche durch einen Beitrag zur Möglichkeit der Fertigstellung der schönen Eingangspforte unterstützte? Der Bremer Scharoun baute — inzwischen Berliner geworden — die Philharmonie und beginnt in diesen Tagen mit dem Bau der Staatsbibliothek. So gehen die Fäden hin und her zwischen den beiden Städten Bremen und Berlin und zwischen den Menschen, die in ihnen wohnen. Es sollte angeregt werden, daß die als Sonderdruck herausgegebene Arbeit von Klaus Schwarz nochmals in Buchform mit Abbildungen erscheint, denn diese Arbeit ist ein außerordentlich bedeutsames Kulturdokument aus alten und jungen Tagen. Horst Behrend Mitteilungen 125 Jahre Schultheiss-Brauerei AG Die Schultheiss-Brauerei AG konnte am 22. September 1967 auf ihr 125jähriges Bestehen zurückblicken. Die Gründung im Jahre 1842 geht auf den Apotheker August Heinrich Prell zurück, der die kleine Brauerei in der Neuen Jakobstraße 26 schnell zu Ansehen und Umsatz führte. 1853 kaufte Jobst Schultbeiss den Betrieb und verstand es mit Geschick, den Namen Schultheiss in das Berliner Stadtbild einzuführen. Als der kränkelnde Jobst Schultheiß die Brauerei 1864 zum Verkauf anbot, erwarb Adolph Roesicke, der Inhaber des damals bekannten Leinengeschäftes von Goschenhofer & Roesicke in der Leipziger Straße, das Unternehmen und beauftragte seinen 19jährigen Sohn Richard mit der Leitung. Unter Richard Roesicke, der im Jahre 1903 als angesehener Wirtschaftsführer, bekannter Sozialpolitiker und Reichstagsabgeordneter starb, hatte die Brauerei ihren Ausstoß von 10 000 auf fast 1 Mill. hl. gesteigert. Roesicke und seine Nachfolger haben bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein für die Berliner Wirtschaft bedeutendes Unternehmen entwickelt, das mit seinen Brauereien und Mälzereien nicht nur im Stadtbild Berlins, sondern auch in Schlesien vertreten war und mehr als 40 Niederlassungen in Mitteldeutschland hatte. Alle Besitzungen in Mittel- und Ostdeutschland gingen nach dem Zweiten Weltkrieg verloren, so daß die Schultheiss-Brauerei insgesamt einen Verlust von über 100 Mill. RM durch den Zusammenbruch erlitt. In der Zwischenzeit hat das Unternehmen, das auch Mitglied unseres Vereins ist, unter der tatkräftigen Führung von Generaldirektor Sixtus, dem Vizepräsidenten der Berliner Industrie- und Handelskammer und Präsidenten des Deutschen Brauer-Bundes, einen Aufschwung genommen, der es wieder an die Spitze der deutschen Brauereien brachte. Neben der Stärkung der Position am Berliner Markt durch die Schultheiss-Gruppe, der auch so bedeutende Unternehmungen wie die Engelhardt-Brauerei und die Löwenbrauerei — Böhmisches Brauhaus angehören, hat sich die Schultheiss-Brauerei neue Positionen in Westdeutschland und in Obersee aufgebaut, die von unternehmerischer Tatkraft zeugen. In einer Festschrift von 232 Seiten Umfang hat der Verfasser die Geschichte des Schultheiss-Bieres in Berlin geschrieben und den Werdegang dieses bedeutenden Berliner Unternehmens in den Zusammenhang der Entwicklung der gesamten Berliner Wirtschaft gestellt. E. Borkenhagen Frau G e r t r u d D o h t 8 0 Jahre Unser langjähriges Mitglied, Frau G e r t r u d Doht, vollendete am 6. September 1967 ihr 80. Lebensjahr. Frau D o h t h a t die Tradition ihres verstorbenen Gatten, der J a h r zehnte dem Vorstand, zuletzt als stellv. Vorsitzender, angehörte, fortgesetzt; sie selbst w a r nach dem Zusammenbruch Mitglied des Vorstands u n d Vorsitzende des Veranstaltungsausschusses. D e r Vorstand übermittelte herzliche Glückwünsche des Vereins. 131 BERNHARD KROESING t Am 15. Juli 1967 starb im Alter von 69 Jahren Bernhard Kroesing, langjähriger Geschäftsführer und Ehrenmitglied des Journalisten-Verbandes Berlin. Bernhard Kroesing hat sich in zahlreichen Gremien um die soziale Frage seiner Berufskollegen verdient gemacht. Er war einer der Gründer des „Tages der offenen Tür" und Mitglied des Rundfunkrates des Senders Freies Berlin. Seit 1934 gehörte er dem Verein für die Geschichte Berlins an. Im III. Vierteljahr konnten wir folgende Damen und Herren als neue Mitglieder begrüßen: Agathe Meinecke, Dipl.-Bibliothekarin, 1 Berlin 33, Am Hirschsprung 13, Tel.: 76 13 63 Dr. Irmtraut Hoffmann-Axthelm, Fachzahnärztin, 1 Berlin 21, Händelallee 61, Tel.: 39 24 90 Dr. Gabriele Crecelius, Fachärztin für innere Krankheiten, 1 Berlin 19, Langobardenallee 1, Tel.: 3 02 34 25 Käte Hahn, 1 Berlin 37, Andreezeile 37, Tel.: 80 31 80 Dr. Hans Leichter, Diplomchemiker, 1 Berlin 33, Ehrenbergstr. 32, Tel. über: 83 03 01 Kunstamt beim Bezirksamt Charlottenburg, 1 Berlin 19, Heerstraße 12, Tel.: 3 05 13 88 Harry Richter, Bauingenieur, 1 Berlin 41, Wilseder Straße 6, Tel.: 79 55 61 Dr. phil. Gerhard Baader, 1 Berlin 45, Augustastraße 37 (Prof. Hoffmann-Axthelm) (Prof. Hoffmann-Axthelm) (Prof. Hoffmann-Axthelm) (Dipl.-Ing. Hahn) (W. Mügel) (Prof. Hoff mann-Axthelm) Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1967 1. Dienstag, 17. Oktober, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Leiters des Heimatmuseums Spandau, Herrn Johannes Müller „Vom alten und neuen Spandau". 2. Sonnabend, 28. Oktober, 15.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Irmgard wirth durch die „Theodor Hosemann-Ausstellung" des Berlin-Museums, Berlin 30, Stauffenbergstraße 41. 3. Freitag, 10. November, 18.00 Uhr, Besichtigung des Springer-Verlags- und Druckhauses, Berlin 61, Kochstraße 50, mit Filmvortrag. Für Gehbehinderte nicht geeignet. Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis spätestens 3. November an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten. 4. Mittwoch, 15. November, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139. Lichtbildervortrag des Herrn Hans-Werner Klünner „Die St. Nikolai-Kirche zu Berlin in Vergangenheit und Gegenwart". 5. Donnerstag, 30. November, 14 Uhr: Besichtigung der Schultheiß-Brauerei, Berlin 61, Methfesselstraße 28 (am Kreuzberg). Für Gehbehinderte nicht geeignet. Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis spätestens 23. November an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten. 6. Mittwoch, 6. Dezember, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139. Lichtbildervorträge der Herren Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke über „Das Asyl Schweizerhof in Zehlendorf und sein Begründer" und Dr. Otto Winkelmann über „Weibliche Krankenpflege in Berliner Lazaretten 1870/71". 7. Sonnabend, 16. Dezember, 16.00 Uhr: „Berliner Weihnachten" mit Herrn Alfred Braun im großen Saal des Ratskellers Schöneberg. Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. Freitag, 20. Oktober, 24. November und 15. Dezember zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Berlin. Schriftleitung: komm. Prot. Dr. Dr. HofTmann-Axthelm, Berlin. Zuschriften und Beiträge für die Mitteilungen sind an den Herausgeber zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, 1 Berlin 65, Müllerstr. 138d. FochoU der ücr;i,,rCtodIbibliothel« MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE G E S C H I C H T E BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 64. Jahrg. Nr. 11 1. Januar 1968 A 20377 F Vorsitzender: Prof.Dr.Dr. W.Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 2490 Schriftführer: Dir. i.R. K. BuUemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Obermagistratsrat a.D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Zahlungen erbeten auf das Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 80, 1 Berlin 21 Johann Peter Süssmilch, Zeuge einer Epoche Anläßlich seines 200. Todestages am 22. März 1967 v o n Fritz Krüger Süssmilch, Johann Peter, Pfarrer und Statistiker * Berlin 3. September 1707 t das. 22. März 1767 Sein Hauptwerk „Die göttliche Ordnung in den Verhältnissen des menschlichen Geschlechts" (1741) war für die Entwicklung der Bevölkerungsstatistik bahnbrechend. Der Neue Brockhaus, Wiesbaden 1960 Am 3. September des Jahres 1707 wurde im Zehlendorfer Krug Johann Peter Süssmilch geboren, eine Persönlichkeit, die ihre Zeit geistig beeinflußte, ein Mann, der durch Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten, durch zahlreiche wissenschaftliche Werke und durch geschäftliche Unternehmungen weit über den Rahmen seines Berufsstandes und über die Grenzen seiner Vaterstadt bekannt wurde. Auch als Propst von Berlin blieb er Besitzer des heimatlichen Dorfkruges. Sein Geburtshaus, eben dieser Krug, stand an Zehlendorfs „Historischer Ecke", Berliner Straße und Teltower Damm 1, in der sich heute ein Konfektionshaus befindet. Leider mußte das schöne alte Pasewaldtsche Haus im Jahre 1929 abgerissen werden, um dem steigenden Verkehr Platz zu machen. Schon die Geschichte seiner Vorfahren ist nicht ohne kulturhistorisches Interesse. Diese gehörten einem alten deutschen Geschlecht an, das schon Jahrhunderte in Böhmen ansässig gewesen war. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde ein Süssmilch mit dem Erbrichteramt auf dem Schlosse Tollenstein an der Lausitzer Grenze unweit Zittau belehnt. Ein anderer des Geschlechts, ein Doktor der Rechte in Leipzig, reiste 1592 in besonderer Angelegenheit in die Mark und starb in Berlin, wo er auch begraben wurde. — Das Erbrichteramt in Tollenstein blieb in der Familie bis auf Elias Süssmilch, den Urgroßvater von Johann Peter. Dessen Sohn, der auch Elias hieß, studierte an verschiedenen Universitäten. Die unselige Zeit des großen Glaubenskampfes entfremdete den Sohn seiner Familie, er floh in die Mark, wo er in das neugeschaffene Heer des Kurfürsten eintrat. Der Kurfürst nahm ihn im Jahre 1650 in die Schar seiner „Leibtrabanten" auf. Durch Pflichttreue und erwiesene Unerschrockenheit brachte er es bis zum Wachtmeisterleutnant und genoß das höchste Vertrauen seines Landesherrn, dem er 25 Jahre diente. Nach der Schlacht bei Fehrbellin 1675 trat er aus Altersgründen in den Ruhestand und wählte als Alterssitz das ländliche Zehlendorf. Im Jahre 1674 heiratete er die Witwe des früheren Besitzers des Kruges, des ehemaligen Wachtmeisters Georg Scherer. So kam der Dorfkrug in den Besitz der Familie Süssmilch. Die Inhaber dieses Erbbraukruges scheinen damals immer in besonderem Ansehen gestanden zu haben, denn im Zehlendorfer Kirchenbuch fehlt vor ihrem Namen im Gegensatz zu den anderen Eintragungen niemals die Bezeichnung „Herr". Über die erwähnte Eheschließung heißt es darin: „Anno 1674, 6. July den 3. Sonntag Trinitatis, ist der Ehrenveste, Vorachtbare, Mannhafte Herr Elias Süssmilch mit der Ehrbaren Catharina Lämbkens, Herrn Georg Scherers Widefrau nach vorhergehender Proklamation ehelich vertraut worden. Gott gebe ihnen seinen Segen." Anscheinend stand er auch mit seinen neuen Nachbarn in bestem Einvernehmen. Das Kirchenbuch nennt des öfteren die Patenschaft des Kurfürstlichen Trabanten und Gastwirts Elias Süssmilch und seiner Gattin: 1667 Anna Gericke, 1687, 21.9. Maria Lüdecke/Haupt. Auch im Ruhestand erfuhr er die Gunst seines Landesherrn. Nie versäumte dieser auf seinen Fahrten nach Potsdam in Zehlendorf bei seinem „alten Greis", wie er ihn nannte, einzukehren und ihm Beweise seiner Huld zu geben. Süssmilch hatte zwei Söhne. Nach seinem Tode 1692 verwaltete der eine von ihnen, Christoph, das Kruggut, in das er 1701 die Tochter eines Bürgers und Schneidermeisters aus Kölln an der Spree als Gattin führte. Von dem andern Sohn, der auch Elias hieß, wird berichtet, daß er eine ausgezeichnete Ausbildung erhielt, die er auf Reisen durch England, Holland, Frankreich und ganz Deutschland hatte vervollkommnen können. Nach Zehlendorf zurückgekehrt, heiratete er die Tochter Maria des angesehenen und wohlhabenden Bürgers und Schönfärbers Peter Bleu aus Brandenburg an der Havel. Mit dieser wohnte er anfangs in Zehlendorf, wo er eine Zeitlang das Kruggut führte, das wohl im Besitze der Mutter geblieben war. Doch bald zog er nach Berlin, wo sein Bruder bereits das Braugewerbe betrieb, und wo auch er als Brauer und Kornhändler 1727 das Bürgerrecht erwarb. Er wohnte erst in der Mariengemeinde, später in der Nikolaigemeinde und starb 1734. Noch vor der Übersiedlung nach Berlin wurde dem jungen Paar in Zehlendorf am 3. September 1707 ein Sohn geboren, der die Namen Johann Peter erhielt. 134 Einer der Taufpaten war der erste Landrat des Kreises Teltow Cuno Hans von Wilmersdorf auf Dahlem, dann Peter Bleu aus Brandenburg, ferner Herr Georg Schulze, Fischhändler aus Berlin und zwei achtbare Berliner Frauen, ein Zeichen des Ansehens, in dem der Zehlendorfer Krugbesitzer stand. Peters Vater verpachtete Krug und Ländereien und siedelte etwas später nach Berlin über. Dieser Umzug hatte für des kleinen Hans Peter Erziehung und Ausbildung wichtige Folgen. Bald nahmen die Großeltern ihn mit nach Brandenburg und gaben ihn dort zur Schule. Mit neun Jahren kam er auf das Gymnasium „Zum Grauen Kloster" in Berlin, wo er bis 1723 blieb. In späteren Erinnerungen gedenkt er seiner Schulzeit und erwähnt das einseitige Sprachstudium, das noch die aus den Klöstern übernommene Form hatte. Schon früh erwachte in dem Knaben das Interesse für die Naturwissenschaften. Er entdeckte auf den Feldern und in den Kiesgruben Berlins versteinerte Muscheln und andere Fossilien und brachte seine Funde, auf die niemand vorher geachtet hatte, seinem Lehrer Frisch, der den aufmerksamen Schüler jetzt über diese Funde gebührend aufklärte und ihn zu weiteren Beobachtungen anhielt. Das von König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1713 begründete „Theatrum Anatomicum", ein Institut zur Ausbildung von Militärärzten, besuchte der 17jährige erst heimlich, hörte dann mit Wissen der Eltern die Vorlesungen über Botanik, Chemie, Anatomie und Medizin und bestand sogar ein Examen in der Osteologie (Knochenlehre) mit „gut". Gern wäre er Arzt geworden, doch der Vater wollte einen Juristen aus ihm machen und schickte ihn auf die Lateinschule des Franckeschen Waisenhauses nach Halle, damit er sich für das akademische Studium vorbereitete. Anschließend bezog er dort die Universität und widmete sich mit großem Eifer dem Studium der Theologie, obgleich sein Vater einen Rechtsgelehrten wünschte. Hier in Halle wurde er besonders gefördert durch August Hermann Francke, dem bekannten Pädagogen und Begründer der Halleschen Stiftungen, bei dem er nun täglich zu Tische war. Ein Jahr darauf ging er nach Jena, wo ihn philosophische und mathematisch-physikalische Studien anzogen. Hier blieb er fünf Jahre. Seine Lehrer hofften ihn für den akademischen Lehrberuf gewinnen zu können, doch es kam anders. Der Propst Roloff von der Petrikirche in Berlin sandte ihm zwei Söhne des Feldmarschalls von Kalkstein und trug ihm die Hofmeisterstelle in dieser Familie an. Dadurch bekam sein Leben eine Wendung. Eine Reise mit seinen Zöglingen nach Holland machte ihn mit der großen Welt bekannt. Nach vierjähriger Tätigkeit im Hause von Kalkstein berief ihn der Feldmarschall 1736 zum Feldprediger bei seinem Infanterie-Regiment in Berlin, welches Amt er 1737 antrat. In diesem Jahr heiratete der junge Süssmilch die Tochter des verstorbenen Kgl. Hofgoldschmiedes und Besitzers des Hauses „Zum Neidkopf" Lieberkühn in Berlin. Nur drei Jahre war Süssmilch als Feldprediger tätig, da berief ihn das Domkapitel in Brandenburg 1740 zum Prediger in Etzin und Knoblauch, zwei kleinen Dörfern im Osthavelland bei Nauen. Da aber in diesem Jahr der erste Schlesische Krieg ausbrach und das Regiment mit ausrückte, blieb er noch ein halbes Jahr bei seinen Soldaten, ehe er das Amt eines Landpfarrers antrat. Nach der Schlacht bei Mollwitz entging er mit knapper Not den österreichischen Husaren Neippergs, die das dortige Pfarrhaus in Brand stecken sollten. Als Landpfarrer in der dörflichen Stille seines Pastorats widmete Süssmilch sich in seinen Mußestunden mit Vorliebe statistischen Studien. Schon während des Feldzuges hatte die Besetzung der schlesischen Ortschaften ihm dazu Anlaß gegeben. Er besorgte sich von den Pfarrämtern genaue Zahlenangaben über Bevölkerungsbewe- 135 gung in Stadt und Land. Diese Arbeit weckte in ihm so tiefe Gedanken, daß er 1741 eine Schrift verfaßte über „Die göttliche Ordnung in den Verhältnissen des menschlichen Geschlechts", die ein so großes allgemeines Interesse fand, daß sie fünf Auflagen erlebte. Dadurch wurden der König und die Staats- und Kirchenbehörden auf diesen „Propheten der Volkswissenschaft", der erstmalig Gesetzesmäßigkeit in der Bevölkerungsbewegung feststellte, aufmerksam, sie erregte aber nicht nur in den preußischen Gebieten, sondern in anderen Ländern ebenfalls großes Aufsehen. In Brandenburg-Preußen und damit auch in Berlin wurden Zahlen über Bewegung der Bevölkerung bis zur Bildung der Standesämter im Jahre 1874 hauptsächlich aus den Kirchenbüchern gewonnen, deren Führung in der Kurmark zum ersten Mal durch die Visitations- und Konsistorial-Ordnung von 1573 vorgeschrieben wurde. Unvollständige Angaben über die in Berlin seit 1583 Gestorbenen wies Süssmilch nach, der nun auch Zahlen über die Verheirateten, Getauften und Begrabenen seit 1712 brachte. Der junge König interessierte sich bald lebhaft für den Gelehrten und ernannte ihn 1742 zum Propst von Kölln und zum Pastor an der dortigen Petrikirche. Somit hatte seine Wirksamkeit auf dem Lande nur zwei Jahre gedauert. In Berlin erwählte ihn die Kgl. Akademie der Wissenschaften zu ihrem ordentlichen Mitglied und veranlaßte ihn, Vorlesungen über seine statistischen Forschungen zu halten. So wurde sein Name bald in der ganzen gelehrten Welt bekannt. Man sandte ihm aus dem Ausland, besonders aus Holland und England, weiteres statistisches Material, durch das er seine Arbeiten ergänzen und vertiefen konnte. Noch zwei Auflagen erschienen während seines Lebens, eine vierte und fünfte (1790) gab sein Schwiegersohn, der Pastor Jacob Baumann in Lebus heraus. Außerdem verfaßte Süssmilch noch eine Reihe anderer Bücher, z. B. eine „Abhandlung von dem schnellen Wachsen der Kgl. Residenz Berlin", vorgelegt in der Sitzung der „Akademie der Wissenschaften" am 6. Februar 1749. Süssmilch war nicht nur ein Liebhaber, sondern ein wirklicher Kenner der verschiedensten wissenschaftlichen Gebiete. Er schrieb umfangreiche philologische Arbeiten über fremde Sprachen, veröffentlichte theologische und philosophische Schriften, wandte sich eingehenden geschichtlichen Studien, u. a. über den germanischen Stamm der Heruler und den Freiheitskampf der Stedinger zu. Bahnbrechend aber ist er geworden als Begründer der neuen Wissenschaft der Bevölkerungsstatistik. Es wirkt recht zeitgemäß, wenn wir von einer seiner Dissertationen lesen, daß sie „von der Gefahr großer Städte" handelt. Auch auf pädagogischem Gebiet wirkte er, und das Berliner Schulwesen verdankt ihm manche Verbesserung. Der König ehrte den verdienstvollen Mann durch die Ernennung zum Oberkonsistorialrat am neugegründeten Oberkonsistorium, dem späteren Oberkirchenrat. Ein großes Verdienst erwarb er sich als Geistlicher dadurch, daß er sich der Protestanten in Ungarn tätig annahm. Er verwandte sich 1751 ihretwegen bei Friedrich dem Großen, welcher bei der Kaiserin Maria Theresia intervenieren ließ. Als Prediger war er in seinem Vortrag erbaulich und lehrreich, im Umgang klug und vernünftig, wodurch er sich zu einem der angesehensten Kanzelredner der großen Residenz entwickelte. Die von Süssmilch herausgegebenen Gelegenheitspredigten zeigen ihn als einen soliden und lehrreichen Pastor, der weder mit seiner Gelehrsamkeit prahlte, noch sie verleugnete. Als Mitglied des Oberkonsistoriums suchte er auf alle ihm nur mögliche Weise das Beste der Kirchen und Schulen in den preußischen Staaten zu fördern, so daß er zu manchen Verbesserungen Anlaß gegeben hat. Über Religion und Staat dachte er viel nach, um auf diese Weise Religion als Staatsklugheit zu 136 fördern. Nach dem ersten Schlaganfall 1763 konnte er nur noch selten predigen. Aber 1765 wagte er es dennoch und weihte unter außerordentlicher Rührung der Zuhörer die neue Kanzel in der Petrikirche ein. Mit dieser Predigt nahm er Abschied von seinen Gemeindegliedern und „diese beweinten mit dem empfindlichsten Mitleid die Kraftlosigkeit ihres rechtschaffenen Lehrers". Süssmilch liebte sein Vaterland, aber nicht blindlings, sondern nach seinem Maße, und er wirkte mit allem Ernst für dessen Wohl. Darum suchte er auch die Landesgeschichte näher zu bearbeiten. Er besorgte sich die geschichtlichen Urkunden zur brandenburgischen Geschichte von dem französischen Prediger Vignol, die er 1765 dem Historiker Buchholz für seine Geschichte der Churmark Brandenburg zur Verfügung stellte; damit hat er sich um die Förderung der märkischen Geschichte ungemein verdient gemacht. Leider existiert diese wertvolle Urkundensammlung nicht mehr, auch das von Buchholz zum Thema angekündigte Buch erschien nicht. Während Süssmilch Ehren und Ruhm in reicher Fülle erlangte, scheint inzwischen über dem Gut seiner Väter in Zehlendorf kein günstiger Stern gestanden zu haben, denn dieses kam in der Mitte des 18. Jahrhunderts zur gerichtlichen Versteigerung. Der Propst, der vielleicht auf ihm eine Hypothek stehen hatte, erwarb dieses für 7600 Taler. Er ist es wohl auch gewesen, der 1752 den alten Dorfkrug umbaute und dabei das ansprechende Gasthaus im friderizianischen Stil erbaute, das bis 1929 die Zierde des alten Zehlendorf war und als Station für den Pferdewechsel zwischen Berlin-Potsdam weit und breit bekannt war. Süssmilch ließ den Krug in Zehlendorf durch Pächter bewirtschaften, 1751 durch Balthasar Haupt, 1754 durch die Gastwirte Huhn und Eisholz. Mit letzterem hatte er einen Rechtsstreit wegen des Inventars. Für die Ländereien hielt er sich Verwalter. Der Propst erwies sich als unternehmender, erfolgreicher Mann. Im Dorfkrug war die Königliche Hofpost stationiert, deren Personal, Offiziere, Feldjäger, Grenadiere und Husaren, hier untergebracht wurden. Da die Königliche Post zwischen Berlin und Potsdam nur Personen und Briefe für den Hof beförderte, ward gar bald der Gedanke wach, eine derartige Einrichtung für den zivilen Bedarf zu schaffen. Da aber kein Unternehmer dieses Risiko eingehen wollte, erklärte sich Süssmilch bereit, diese täglichen Postfahrten einzurichten. Er erwies sich auch hierin als guter Kaufmann, der sich für seinen Erbkrug, in dem der Pferdewechsel stattfand, durch die zu erwartenden Fahrgäste eine gute Einnahmequelle versprach. Als weitblickender Mann hatte er den Wert des an wichtiger alter Handelsstraße und in der Mitte zwischen den beiden Residenzen gelegenen Gasthauses erkannt und war deshalb emsig bemüht, diesen sich zugute kommen zu lassen, wodurch er auch gleichzeitig für das Gesamtwohl wirkte. Mancherlei Neuerungen gehen auf seine Vorschläge zurück, so die Verlegung der Postroute von dem Königsweg auf die jetzige Potsdamer Straße und spätere Chaussee, und insbesondere die Einführung der Journalieren, jener Schnellposten, die auf der später erbauten Steinbahn, der ersten preußischen Chaussee, für die Strecke zwischen den beiden Residenzen nur vier Stunden brauchten. Vom Jahre 1754 ab ließ Süssmilch zwischen beiden Orten täglich 2 Journalieren verkehren und nahm für die Person 12 Groschen Fahrgeld. Diese Geschwindigkeit erregte Aufsehen. „Die Menschen strömten auf die Landstraße, um das neue Wunder anzustaunen". Sie wurde als eine besondere Veranstaltung betrachtet, als erste Eilpost der Kurmark mit der Bestimmung, für diese und für die Monarchie eine Probe- und Mustereinrichtung zu werden. Das gibt dem Unternehmen eine besondere, weit über die lokalen Grenzen 137 Das Erbbraukruggut Pasewaldt in Zehlendorf 1752 erbaut, 1929 abgerissen. Aufnahme um 1905 (Aus: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 10. Band, 1959, Seite 33) hinausreichende Bedeutung. Bald folgten andere Staaten dem Beispiel Preußens. Weitere Wagen mußten eingestellt werden, so daß Hin- und Rückfahrt an einem Tage möglich waren. Das war eine große Erleichterung für alle, die in Berlin oder Potsdam bei Hofe zu tun hatten oder nur diese Residenz sehen wollten, z. B. bei den Paraden des Königs. Man konnte nun in Berlin bequem einkaufen, ging es doch mit der Journal iere über 4 deutsche Meilen flott vonstatten. Die Einrichtung fand viele Freunde und entwickelte sich derart, daß der Überschuß im ersten Jahr 1400 Taler betrug. Auf 6 Jahre lief der Vertrag mit dem Generalpostmeister Graf von Gotter. Die Ordinärposten fuhren über den Königsweg, sonst ging es Königsweg, Stolpe, Klein-Glienicke nach Potsdam. 1800 ging die Journaliere 32 mal in der Woche von Berlin nach Potsdam. Mit Eröffnung der Haveleisenbahn 1838 mußten die Fahrten der Journalieren eingestellt werden. Die regelmäßige, pünktliche, rasche und täglich mehrfache Verbindung zweier Städte ging weit über den damaligen gewöhnlichen Postbetrieb hinaus und gibt bereits einen Vorgeschmack der Eisenbahnverbindung. Nach Errichtung der BerlinPotsdamer Chaussee brauchte sie sogar nur 3 Stunden, bis 1838 stieg die Zahl der täglichen Journalieren auf 6 in jeder Richtung. Lange hat Siissmilch das Kruggut in Zehlendorf, zu dessen Aufblühen er den Grund gelegt hat, nicht in Besitz gehabt, wurde er doch zu sehr dadurch in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und in seinem geistlichen Amte gehindert. Im Jahre 1754 verkaufte er es mit dem stattlichen Haus an seinen Schwager, den Stadtsekretär Schlicht, und widmete sich nun wieder mit voller Hingabe den liebgewordenen geistigen Arbeiten. 138 Aber kaum ein Jahrzehnt nach dem Rücktritt von seiner Tätigkeit für das Postwesen, im Friedensjahr 1763, wurde die Wirksamkeit des immer so rührig gewesenen Mannes — er war leider auch der Vorläufer des Managertyps unserer hektischen Zeit — stark gehemmt durch einen Schlaganfall, der seine linke Seite lähmte. Einem wiederholten Anfall am 17. März 1767 erlag er noch vor Vollendung seines 60. Lebensjahres. Süssmilch hinterließ 10 Kinder. Zwei Töchter waren mit Geistlichen verheiratet. Sein Sohn Johann Gustav wurde Oberbürgermeister von Breslau, eine Tochter hatte einen Handelsmann in Freystadt geheiratet. Der Sohn Christian Carl studierte in Frankfurt und wurde später geisteskrank. Die jüngste Tochter Helene Christiana war Kammerfräulein bei der Königin Elisabeth Christine in NiederSchönhausen, die in ihren Armen verschied. Seine Schwester, Dorothea-Louise, war mit dem Stadtsekretär Johann Christian Schlicht in Berlin verheiratet, der später das Lehnschulzen- und das Kruggut in Zehlendorf übernahm. So kamen die beiden größten Güter des Dorfes in eine Hand. Im Jahre 1764 verkaufte Scfdicht dann beide Güter an Peter Pasewaldt aus Stücken bei Potsdam. So endete das Leben eines vielseitigen Mannes, der mit seinen Gedanken seiner Zeit weit vorausgeeilt war. Erst ein Jahrhundert später fand der Bahnbrecher auf dem Gebiete der Bevölkerungsstatistik das volle Verständnis von Vertretern dieser Wissenschaft. Sie folgten der Linie, die er einst vorgezeichnet hatte. 1862 errichtete der Magistrat Berlin ein selbständiges Statistisches Bureau, das im alten Rathaus untergebracht und das 1872 als dauernde Einrichtung anerkannt wurde. Das erste Statistische Jahrbuch der Stadt Berlin erschien 1878 mit den Zahlen für das Jahr 1876. Im Jahre 1881 wurde das Statistische Bureau in Statistisches Amt der Stadt Berlin umbenannt. Es wäre nun eine Pflicht der Dankbarkeit, das Andenken von Süssmilch durch eine Erinnerungstafel in der Nähe seiner Geburtsstätte oder mindestens durch die Benennung einer Straße oder einer Schule in Zehlendorf zu ehren. Am Ort seiner alten Wohnstätte erinnert nichts an ihn. Eine Anregung dazu wurde mehrfach gegeben — fand aber keine Erwiderung. Liegt es vielleicht am Namen? Aber das „Institut National d'Etudes Demographiques" in Paris und das Institute of Economic Research Hitotsubashi University Kunitachi, Tokio, haben sein Bild erbeten. Damit wird der preußische Gelehrte aus Zehlendorf nach 200 Jahren international anerkannt. Literatur: 1. Zehlendorfer Kirchenbuch 1642—1793. 2. Christian Förster: Nachricht von dem Leben und Verdiensten des Herrn Oberkonsistorialrates Johann Peter Süssmilch, Bin 1778. 3. Oberkonsistorialrat a. D. Troscbke: Hans Peter Süssmilch, sein Leben und Wirken, Evangelisches Konsistorium Berlin-Brandenburg. 4. 100 Jahre Berliner Statistik 1862—8. Februar 1962, Kap. 14. Die göttliche Ordnung — von Johann Peter Süssmilch 1775. 5. Dr. Banniza von Bazan: Der Zehlendorfer Krüger Elias Süssmilch, seine Sippe und seine Nachkommen. Herold Bd. 2, Heft 1. 1941. 6. Julius Haeckel: Die Anfänge der Berliner Potsdamer Eisenbahn. Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams Bd. 6, Heft 1. 1927. 7. Johannes Stappenbeck: Denkwürdigkeiten bey der Kirche in Etzin und Knoblauch — J. P. Süssmilch 1773—1867. Auszug aus dem Etziner Kirchenbuch, Heimatarchiv Zehlendorf 1954. 139 Theodor Hosemann Maler und Illustrator im alten Berlin Ausstellung im Berlin - Museum v o m 21. Oktober 1967 bis 31. Januar 1968 Am 28. Oktober führte die Leiterin des Museums, Frau Dr. Irmgard Wirth, den Verein durch die eine Woche zuvor eröffnete Ausstellung. Die Aufgabe, den Museumsbesuchern den Zeichner und Maler Hosemann durch eine Ausstellung nahe zu bringen, war lohnend und schwierig zugleich. Lohnend, weil viele alte Berliner noch heute ihren Hosemann recht gut kennen und lieben und nur zu gern ein Wiedersehen mit ihm feiern, das für sie zu einem heiter-wehmütigen Ausflug in die Vergangenheit wird. Schwierig, weil es galt, auf begrenztem Ausstellungsraum in ausgewählten, charakteristischen Beispielen seinem vielseitigen Schaffen gerecht zu werden, also auch die Buchillustrationen und seine gebrauchsgraphische Tätigkeit für vielerlei Anlässe zu berücksichtigen. Der 1807 geborene, 1828 mit seinem Gönner Winckelmann nach Berlin gekommene Lithograph Theodor Hosemann wurde durch diesen, wie auch durch den Theatermaler Carl Gropius, der neben seinem Diorama einen Kunstverlag betrieb, auf die Buchillustration gewiesen. Winckelmann eröffnete eine Lithographische Anstalt und betätigte sich sogleich auch als Verleger. Der Wille, die vergleichsweise noch neue lithographische Technik in ihren künstlerischen Mitteln sich ganz zu erschließen, Fleiß, Phantasie und Einfühlungsvermögen in die literarischen Vorlagen ließen Hosemann bald in die erste Reihe der wenigen Berliner Illustratoren und an die Seite des jungen Menzel rücken. Die Zahl der bis an sein Lebensende im Jahre 1875 von ihm illustrierten Bücher und Zeitschriften — in der Mehrzahl Kinder- und Jugendschriften, Märchenbücher und Volkskalender — ist erstaunlich hoch und zeugt von seinem unermüdlichen Arbeitseifer, der freilich zum Teil durch die harte Notwendigkeit des Broterwerbs bedingt war. Eine Auswahl der besten Illustrationen in Einzelblättern 140 und Büchern, zu denen in erster Linie die zu den Werken E. T. A. Hoffmanns, zu Eugene Sue's „Die Geheimnisse von Paris", zu „Uli der Knecht" von Jeremias Gotthelf und zu „Des Freiherrn von Mündihausen wunderbare Reisen und Abenteuer" zählen, mußten neben einigen Beispielen aus den Kinderbüchern und den alten Bänden aus Privatbesitz für die Anschauung der Besucher genügen. Dafür ist den berlinischen Szenen in größeren Darstellungen mehr Raum gewährt. So finden wir Hosemann als vergnügten Schilderer des Stralauer Fischzugs, an dem er selbst gern teilnahm, als Theater- und Ballett-Liebhaber, oder an der Seite Adolf Glaßbrenners als engagierten Achtundvierziger, der mit Stift und Feder nicht eben zaghaft, aber doch in seinem Wesen kein Revolutionär, nicht einmal genialischer Künstler, sondern ein biederer Bürger war. Das verdeutlichen auch die zum großen Teil noch im Besitz der Nachkommen befindlichen Aquarelle und Zeichnungen, die mit zu dem Schönsten und Liebenswertesten gehören, das er in seinen besten Jahren schuf. Sie gewähren uns Einblick in sein Familienleben und lassen erkennen, wo die Liebe zu den Kindern und das Verständnis für ihre kleine Welt herkamen. Zum Teil noch unveröffentlichte Briefe und Dokumente runden den Blick auf das private Leben und seinen künstlerischen Werdegang ab, der vom lithographischen Lehrling bis zum Kgl. Preußischen Professor und Mitglied der Akademie der Künste reichte. In den größeren Ölbildern und Aquarellen sind im Anschluß daran beinahe alle Themen zu finden, die das berlinische Leben und Treiben, die Welt des Kleinbürgers vom Biedermeier bis zum Anfang der siebziger Jahre, in humorvollen Szenen schildern und die er oft und gerne wiederholte und abwandelte. Da wird getanzt, gezecht, da rollt die Billardkugel, man kegelt im Freien oder vergnügt sich als Sonntagsreiter, die Familien kochen Kaffee in den großen Sommergärten oder sitzen in der Laube. Junge Herrchen feiern den „Blauen Montag", die Bauhandwerker auf dem Gerüst genehmigen sich nach getaner Arbeit einen Schluck. Dies alles ist Berliner Leben, wie Hosemann selbst es lebte. Draußen aber, in der Mark, fand er noch die Idylle; beinahe romantische Gestalten sind es, die als Schäfer, junge Hirtinnen oder kleine Reisigsammler seine Bilder bevölkern. Noch bis an das Ende der sechziger Jahre, als die Kunst sich großartiger zu gebärden begann, behielt er die meisten seiner gemütvollen biedermeierlichen Themen bei, wenn sie manchem nun auch altmodisch erscheinen mochten. Auch der arrivierte Professor Hosemann schuf nebenbei noch Glückwunschadressen, Programme für Veranstaltungen der Künstlervereine mit einer Unzahl von Einzelszenen voller heiterer und frecher Anspielungen und illustrierte häufig noch drittrangige literarische Erzeugnisse. Beim Durchwandern der Ausstellung wird augenfällig, daß Hosemann das ihm Gemäße sicher und schnell beherrscht hat, daß aber eine echte künstlerische Entwicklung in den fast fünfzig Jahren seines Schaffens in Berlin (veranschaulicht durch die Bildnisse seiner Berliner Zeitgenossen in dem genannten Zeitraum) kaum ablesbar ist. Selten spiegelte sich in seinen späteren Darstellungen die veränderte Zeit. 1864 zeichnete er allerdings sogar einen „Pferdeomnibus", während es auf seinen früheren Bildern fast nur Hundefuhrwerke mit Kindern und einfache Wagen gab. Auch das späte „Austernfrühstück" in einem feinen Restaurant blieb den zahllosen Bildern aus dem Berliner Kneipen-Milieu gegenüber eine Ausnahme. Theodor Hosemann, der Schilderer des Berliner Kleinbürgertums, liebte in allen Gattungen seiner Kunst die kleinen bescheidenen Formate, sie schienen seinen Themen 141 angemessen. Als Lithograph, besonders aber als Buchillustrator, hat Hosemann sich nach Menzel einen festen Platz in der Kunstgeschichte erobert. Seine Leistungen reichten in dieser Beziehung über das nur Berlinische hinaus. Weniger anerkannt wurde sein in seinen jungen Jahren durch Eduard Meyerheim angeregtes malerisches Schaffen, das man fast ausschließlich von den Inhalten her sah und schätzte. Die Ausstellung zeigt aber in aller Deutlichkeit, daß er auch in der Malerei, genauer genommen in der aquarellierten Zeichnung und im Aquarell, Vorzügliches zu leisten vermochte und ihre Möglichkeiten vom Malerischen her begriff und verwirklichte. Irmgard Wirth Berichte Lichtbildervortrag: „Probleme der Stadtbildpflege in Berlin" Der berufene Fachmann der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Herr Oberbaurat Dipl. Ing. Wolfram Konwiarz, wurde uns am 23. Mai 1967 zum durch reichen Beifall belohnten Interpreten der auf Betreiben von Herrn Prof. Düttmann angelaufenen Aktion „Rettet den Stuck". Die von Karl Friedrich Schinkel in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geprägte Bautradition Berlins, der sich heute erklärtermaßen Mies van der Rohe verpflichtet fühlt, ist nicht nur in Gestalt der über den letzten Krieg geretteten künstlerisch bedeutsamen, unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke, sondern gleichermaßen mit den Baublöcken erhaltenswert, die als Ausdruck eines zeitgemäßen Stilwillens hier als Selbstdarstellung der Zeit von 1870 bis 1905 aus einer künstlerischen Gesinnung gestaltet wurden, die aus der Vergangenheit ihre Anregungen bezog. Zur Stadtlandschaft Berlin gehören so in Fortsetzung der Tradition des alten Berliner Bürgerhauses zunächst die Schmuckformen des Klassizismus, später spiegelt sich die wirtschaftliche und politische Entwicklung in den reichen Formen der Renaissance, des Barocks oder des romanischen Stiles mit mehr oder minder eigenschöpferischen Umwandlungen wieder, bis schließlich eine jahrhundertelange Entwicklung durch die kurze ästhetisierende Epoche des Jugendstiles abgeschlossen wurde. Die noch vorhandenen Fassadenarchitekturen dieser dekorationsfreudigen Zeit bieten nicht nur Maßstab und Kontrast gegenüber den vielfach schablonenhaften und langweiligen Zweckbauten unserer Tage, sondern sie sind auch geeignet, den Bürgern das häufig vermißte stadtbezogene Geschichtsbewußtsein zu vermitteln. Dankenswerterweise ist Berlin bereits vor Jahren allen deutschen Städten auf dem Gebiet der Stadtbildpflege, so wie sie hier verstanden wird, Vorbild geworden. Im Jahre 1963 wurden nach baugeschichtlichen und städtebaulichen Maßstäben 5 geschützte Baubereiche ausgewählt, in denen auf Grund der Verordnung vom 5. August 1964 (die jetzt in die Bauordnung einbezogen worden ist) Straßenarchitekturen nur dergestalt verändert oder eingefügt werden dürfen, daß die jeweilige Eigenart des Baubereiches nicht beeinträchtigt wird. Hierdurch wird gewährleistet, daß die Baubereiche Riehmers Hofgarten, Chamissoplatz und Planufer im Bezirk Kreuzberg, Schloß-/ Christstraße im Bezirk Charlottenburg und ein Teil von Alt-Spandau in der Putzund Stuckarchitektur der Zeit von 1850 bis 1914 und mit den Gaslaternen, gußeisernen Pumpen, Feuermeldern und Kleinbauten erhalten bleiben. Es ist jedoch nicht beabsichtigt, die Bausünden der Vergangenheit zu konservieren, vielmehr wird in 142 Zusammarbeit mit der Stadtsanierung und den Kreditinstituten eine Entkernung und Begrünung im Innern der Baublöcke und eine Modernisierung der Wohnungen erstrebt. Die engagierten Ausführungen des Vortragenden zeigten die leider beachtlichen Schwierigkeiten bei der Verwirklichung des ideellen Zweckes der Stadtbildpflege, beispielhaft ausgewählte Lichtbilder gaben aber auch viele eindrucksvolle Zeugnisse dafür, daß die Probleme in vier Jahren immerhin an 75 finanziell bezuschußten Hausfassaden gelöst worden sind. Im Haushaltsplan des Landes Berlin stehen jetzt jährlich 500 000 DM als Zuschuß für die einzelnen Instandsetzungen zur Verfügung. Dieser Betrag reicht für 18 bis 20 Fassaden, womit die Durchführung der Baumaßnahmen mit Ausschreibungen, Abrechnungen und Bauleitung verbunden ist. Diese halbe Million DM jährlich erschien in der abschließenden lebhaften Diskussion den Anwesenden im Vergleich zu den sonstigen Bausummen der öffentlichen Hand wegen der Bedeutung und des Umfanges der im Rahmen der Stadtbildpflege zu leistenden Arbeiten wirklich gut angelegt, aber viel zu gering. Da in Ausnahmefällen für Objekte von besonderer städtebaulicher Bedeutung derartige Zuschüsse auch für Fassadeninstandsetzungen außerhalb der geschützten Baubereiche gegeben werden, und selbst von den in diesen Bereichen vorhandenen etwa 300 alten Fassaden unterschiedlicher Erhaltung aus finanziellen Gründen erst etwa 65 instandgesetzt werden konnten, ist dem rührigen Leiter des Referats II D der Abteilung Stadtplanung am Fehrbelliner Platz zu wünschen, daß dieser Haushaltsansatz alsbald verstärkt wird. Den in Betracht kommenden verständnisvollen und opferbereiten Hauseigentümern sollten häufiger als bisher die notwendigen Zuschüsse bewilligt werden können, um der Privatinitiative in allen Stadtteilen Beispiele stilgerechter Renovierungen zu geben und um so letztlich Berlin bei voller Bejahung notwendiger, zeitgemäßer Entwicklungen zu helfen, seine typische „Atmosphäre" und wesentlich damit die lebensnotwendige Attraktivität zu erhalten. H. Hofmann Die Zukunft der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Die Vortragsfolge des Winterhalbjahres 1967/68 wurde am 12. September 1967 eröffnet mit einem Vortrag über das vorgenannte Thema des Generaldirektors der Staatlichen Museen in Berlin Prof. Dr. Stephan Waetzoldt. Der Vortragende gab einleitend zunächst einen Rückblick über die Verluste, die der Krieg 1939/45 den Staatlichen Museen in Berlin zugefügt hat. Neben den Verlusten und anderen Schäden seien an Kunstschätzen der Museen ca. 500 Gemälde verbrannt, darunter wertvolle Stücke und Kostbarkeiten, wie Rubens, Rembrandt, Signorelli, Menzel u. v. a. Die großen Museen mit ihren Sammlungen waren nach Kriegsende aufgeteilt in Teilbestände im Osten und im Westen unserer Stadt. Die Aufbauarbeit war dadurch erschwert, daß zahlreiche Museumsgebäude ganz oder teilweise zerstört waren. Man stand vor der Frage, wie überhaupt geplant und aufgebaut werden solle unter Berücksichtigung der früheren Standorte und der in Frage kommenden Flächen unserer Stadt. Dabei waren auch die Wiedervereinigung und die Besuchsmöglichkeiten der Museen und Kulturschätze durch die Bewohner beider Teile der Stadt in Betracht zu ziehen. Der Redner verwies auf die verschiedenen, zentral gelegenen Museen und kulturellen Schwerpunkte in Berlin, die noch unter der Leitung von Bode etwa seit dem Jahre 1905 und später geplant und zu ihrer heutigen hohen kulturellen Entwicklung geführt worden sind. Diese liegen zum größten Teil im Osten unserer Stadt. In West-Berlin 143 befinden sich drei Museumskomplexe im Wiederaufbau und Ausgestaltung, und zwar das Museumsviertel in Dahlem, das Gebiet gegenüber der Philharmonie südlich des Tiergartens sowie der Komplex um das Charlottenburger Schloß. Anhand von Lichtbildaufnahmen bis in die neueste Zeit erläuterte der Vortragende die in den drei Museumsgebieten geplanten und im Bau befindlichen Neubauten und die Renovierungsarbeiten an bestehenden Gebäuden der einzelnen Sammlungen. Erwähnt seien: Die Erweiterungsbauten des Museums Dahlem für die Sammlungen der Völkerkunde, der indischen, islamischen und ostasiatischen Kunst, neben der Matthäuskirche der Neubau für die Nationalgalerie und die mit ihr vereinigten Bestände der Galerie des 20. Jahrhunderts von Mies van der Rohe und endlich die Pläne von Prof. Rolf Gutbrod für die Museen der abendländischen Kunst am Kemperplatz gegenüber der Philharmonie. Die Besucher empfingen durch den Vortragenden ein umfassendes Bild von der künftigen Gestalt unserer Museen. Sie werden nach ihrer Fertigstellung dazu beitragen, den hohen Ruf und die große Vergangenheit Berlins als Kulturzentrum weiterhin zu festigen und auszubreiten. Der stellvertretende Vorsitzende, Herr Archivdirektor Dr. Ktttzsch, schloß die Vortragsveranstaltung unter großem Beifall der Versammlung mit herzlichen Dankesworten an den Vortragenden für den eindrucksvollen Abend. K.B. Besichtigung der Schultheiss-Brauerei Im Rahmen der Besichtigung bedeutender Unternehmen der Berliner Wirtschaft fand am 30. November d. J. ein Besuch der Mitglieder des Vereins in der auf dem Kreuzberg belegenen Abteilung II der Schultheiss-Brauerei statt, die den Besuchern ein eindrucksvolles Bild von der Bierherstellung in allen Produktionsstufen vom Rohstoff bis zum fertigen Bier erschloß. Die Besichtigung führte durch die KraftmaschinenAnlagen für die Energieerzeugung, die Einrichtungen des Sudprozesses mit den im Betrieb befindlichen großräumigen Kupferkesseln, die wichtigen Hefe-Reinzuchtanlagen und durch die großen Lagerräume der Hopfenvorräte zu den Gärkellern mit den schaumgekrönten Gärbottichen und den eindrucksvollen Lagerkellern, deren hohe Gewölbe mit den großen Aluminiumbottichen und nicht minder imposanten eichenen Lagerfässern weit in das Erdreich unter dem Kreuzberg sich erstrecken. Einen Höhepunkt bildete die Besichtigung der auf hohen Touren laufenden Flaschen-Abfüllmaschinen, die eine Höchstleistung bis zu 28 000 Flaschen in der Stunde erreichen. Der Besichtigung folgte auf freundliche Einladung der Direktion ein geselliges Beisammensein und Gedanken-Austausch mit den Vertretern der Betriebsleitung bei einem Probetrunk mit Imbiß. Herr Direktor Vogelsang begrüßte namens des Vorstandes der Schultheiss-Brauerei die Mitglieder und Gäste des Vereins mit herzlichen Worten. Der Vorsitzende des Vereins, Professor Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm, sprach unter großem Beifall der Besucher dem Unternehmen für die aufschlußreiche Besichtigung und die gastliche Einladung zu dem Probetrunk den aufrichtigen Dank des Vereins aus. Er verwies hierbei auf die Förderung der Vereinsaufgaben durch die Mitgliedschaft der Schultheiss-Brauerei nach Wiederaufnahme der Vereinsarbeiten und hob die langjährige Verbundenheit des Unternehmens mit dem Verein für die Geschichte Berlins hervor, die sich nach Berichten in den „Mitteilungen" des Vereins bis in das Jahr 1878 verfolgen läßt. Eine Besichtigungsfahrt auf dem damals noch bestehenden Festungs- 144 graben, der von U n t e r den Linden bis in die N ä h e der Jannowitzbrücke floß, endete gleichfalls mit einem geselligen Beisammensein in der „Schultheissischen Brauerei". Besondere Dankesworte richtete der Vorsitzende an die mit der Führung durch die Betriebsanlagen beauftragten H e r r e n Dipl.-Ing. Müller und Gärführer Szczygiol. Buchbesprechungen Kurt Pomplun: Berlins alte Sagen. 3. erweiterte Auflage mit einem Beitrag von Richard Beitl. 88 Seiten Text mit zahlreichen Abbildungen und 20 Kunstdrucktafeln. Verlag Bruno Hessling Berlin 1967. Pappbd. 7,80 DM. Nun liegt dieses kleine, aber inhaltsreiche Bändchen von Kurt Pomplun in seiner 3. Auflage vor, was allein schon als fachliche Qualifikation zu werten ist. Aufgeteilt über zehn Bezirke von Groß-Berlin reihen sich vierzig Sagen, ergänzt durch 21 Textabbildungen und einen Bilderteil aneinander. So kann der Leser, angetan durch den plaudernden Ton des Verfassers, z. B. die Sage von den Schafsköpfen, oder die der „Jungfernbrücke", nacherleben. Von Cosmar über Adalbert Kuhn bis Wilhelm Schwanz sind alle früheren Sagensammlungen herangezogen worden und bieten somit dem darüber hinaus interessierten Leser die Möglichkeit, seine Studien fortzusetzen und sein Wissen um die volkstümlichen Sagen der alten romantischen Stadtgeschichte zu vertiefen. Wenn heute dem Berliner sein Sagengut wieder Aufmerksamkeit abfordert, so dürfte dieses Bändchen dazu beigetragen haben. K. Mader Kurt Pomplun: Berlins alte Dorfkirchen. Dritte erweiterte Auflage mit 58 Abbildungen und 32 Tafeln. (Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte 3) Berlin 1967: Verlag Bruno Hessling. 100 Seiten, DM 9,80. Als im Jahre 1954 einer der besten französischen Kenner der Geschichte Berlins, Major Irigoin, als Kulturoffizier die l. Auflage seines Stadtführers (Berlin, vu par Paul Irigoin, 85 Seiten, nicht im Handel) herausgegeben hatte, stellte sich bald heraus, daß dem starken Interesse der französischen Besucher unserer Stadt in einem Thema nicht genügt worden war, nämlich den Dorfkirchen. Daß sich in einer Großstadt trotz Umbauten und Brandzerstörungen über 50 Dorfkirchen erhalten hatten, deren Anfänge auf das Mittelalter zurückgingen, war für jeden Betrachter der alten Kirchen, etwa von Heiligensee, Hermsdorf, Lübars, Reinickendorf und Wittenau, eine erstaunliche Tatsache, die die Wißbegier der fremden Besucher erweckte. Nun bestand seit 1950 nur ein einziges geschlossenes Werk zum Thema (Walter C. Türck, Die Dorfkirchen von Berlin, Evangelische Verlägsanstalt, Berlin 1950), aber dieses war aus einem 1942 vorliegenden, dann jedoch durch Kriegseinwirkung zerstörten Manuskript wieder rekonstruiert (einen Teil der Objekte hatte der Krieg vernichtet) unter schwierigen Nachkriegsverhältnissen aufgelegt worden und genügte den Anforderungen nicht. Paul Irigoin und seine Mitarbeiter hatten daher für die 2. Auflage ihres Stadtführers für französische Gäste Berlins (96 Seiten, 127 Abbildungen, Februar 1957) auch eine ganze Liste der erhaltenen Dorfkirchen Groß-Berlins (S. 59—62) angelegt, der „Vieilles Chapelles villageoises", die auf 38 Einzelbauten kam; sie waren jeweils in 3—4-Zeilen-Beschreibungen behandelt und sollten den Besucher auf Rundfahrten präzis und schnell über Standort, Entstehungszeit und Umgestaltungen orientieren. Für die breite Öffentlichkeit fehlte aber ein Werk, das diese ältesten Kulturzeugen der einstigen Hauptstadt und ihrer ihr seit 1920 einbezogenen ländlichen Randbezirke in geschichtlicher und baukundlicher Hinsicht in den Rahmen der Gesamthistorie Berlins einpaßte, den heutigen Zustand beschrieb und Abbildungen aus früherer Zeit brachte. Kurt Pomplun unterzog sich 1962 der Aufgabe, diese Lücke auszugleichen, indem er in seinem Buch „Berlins alte Dorfkirchen" zunächst die Geschichte des märkischen Wehrkirchenbaues und seiner Technik, sodann 56 Objekte in Baubeschreibungen und (das vorliegende Schrifttum berichtigenden) Geschichtsabrissen der einzelnen Bauwerke behandelte, zeitgenössische Darstellungen des 19. Jahrhunderts wiedergab oder wenn nötig in Umzeichnungen festhielt, auch Grundrisse und einzelne skulpturale Werke der Innenausstattung oder Windfahnen seit dem 16. Jahrhundert zeigte. Dieses Werk, im November 1962 erstmals vorgelegt, mußte bereits Anfang 1963 neuaufgelegt werden. Die 1967 erschienene 3. Auflage, textlich stark erweitert und mit 20 neuen Textillustrationen, brachte den Tafelteil von 20 auf 32 Seiten, um auch außerhalb Berlins wohnenden Freunden kirchlicher Baugeschichte einen Eindruck zu vermitteln. Das Schrifttumsverzeichnis erfaßt erstmalig die sehr verstreute und schwer erreichbare Spezialliteratur bis zum heutigen Stand und wird manchen Berliner auch zur Beschäftigung mit den Dorfkirchen seines Bezirkes anregen. H. Pappenheim 145 Mitteilungen FRITZ H Ä R T U N G f Am Morgen des 24. November 1967 starb im 85. Jahre in Berlin der älteste Lehrer neuer deutscher Verfassungsgeschichte, Universitätsprofessor Dr. phil. Dr. jur. h. c. Fritz Härtung, Am 12. Januar 1883 in Saargemünd als Sohn eines höheren preußischen Beamten geboren, besuchte er das Gymnasium in Freiburg im Breisgau und das Prinz-Heinrich-Gymnasium in Schöneberg, studierte in Heidelberg und Berlin und promovierte hier bei Otto Hintze über „Hardenberg und die preußische Verwaltung in Ansbach-Bayreuth von 1792 bis 1806", und diesen Themenkreis führte Härtung stets weiter, als er nach seinen Professuren in Halle (1910 bzw. 1915) und Kiel (1922) 1923 einem Ruf nach Berlin folgte, wo er bis zu seiner Emeritierung 1949 ununterbrochen wirkte, Juli 1932—1933 auch als Dekan der Philosophischen Fakultät. Wie seine Dissertation, so galten auch die späteren zahlreichen Publikationen der deutschen Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis in unsere Zeit und der Geschichte der preußischen Verwaltung, grundlegend aber auch seine Arbeiten über Goethe als Staatsmann, über den Großherzog Karl August und die Biographie Bethmann-Hollwegs. Viele Auflagen erlebte seine für weite Kreise bestimmte „Deutsche Geschichte von 1871 bis 1919". Als Redner fesselnd, vermochte er in den großangelegten Werken seine Fachgebiete, die Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, in anschaulicher Weise zu behandeln. Als Nachfolger seines Lehrers Otto Hintze gab er später dessen „Gesammelte Abhandlungen" heraus. In über vier Jahrzehnten seines Wirkens in unserer Stadt war Fritz Härtung, der in Schlachtensee wohnte, auch der Berliner Geschichtsforschung eng verbunden, und von seinen vielen Ehrenämtern nennen wir besonders seine Mitgliedschaft der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Historischen Kommission für Brandenburg und Berlin. Neben den großen Institutionen denken auch seine Schüler, denen er Lehrer und Prüfer im besten Sinne Berliner Oberlieferung war, dankbar des nun heimgegangenen Forschers und Förderers. # . Pappenheim Am 26. November starb nach schwerer Krankheit der langjährige Leiter des Spandauer Heimatmuseums, Johannes Müller, im Alter von 62 Jahren. Viele Mitglieder werden sich der lebendig gestalteten Führungen durch die Spandauer Nikolaikirche und noch in diesem Jahre durch die Kasematten der Zitadelle und auf den Juliusturm erinnern. Zweimal sollte der Verstorbene in diesem Jahre zu uns sprechen, zweimal hat es das tückische Magenleiden, dem er jetzt erlegen ist, verhindert. Gerade aus dem Krankenhaus entlassen, hatte er sich bereit erklärt, im Januar den erwarteten Vortrag zu halten. — Der Verein für die Geschichte Berlins gedenkt dankbar dieses unermüdlichen Interpreten der Historie seines Heimatbezirkes Spandau, der mit der Schrift über die Spandauer Zitadelle in der Reihe „Große Baudenkmäler" ein bleibendes Memorial hinterlassen hat. Tty. Hoffmann-Axthelm Der Schriftleiter unserer „Mitteilungen" seit ihrer Wiederherausgabe, Herr Landesarchivdirektor i. R. Dr. Joachim Lachmann, vollendete am 11. Oktober d. J. sein 70. Lebensjahr. Der Vorstand hat Herrn Dr. Lachmann aus diesem Anlaß herzliche Glückwünsche, verbunden mit den besten Wünschen für seine Gesundheit, übermittelt. Herr Dr. Lachmann hat inzwischen gebeten, ihn aus gesundheitlichen Gründen von dem Amt des Schriftleiters unserer „Mitteilungen" zu entbinden. Der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Dr. Hoff mann-Axthelm, hat in der Sitzung des Vorstandes unserem scheidenden Schriftleiter den aufrichtigen Dank des Vereins für seine erfolgreiche und wertvolle Tätigkeit seit der Wiederherausgabe des Blattes im Juli 1965 ausgesprochen. Herr Dr. Lachmann wird dem Verein auch weiterhin mit seinen reichen Erfahrungen aus der Geschichtskunde Berlins zur "Verfügung stehen. Die Schriftleitung haben gemäß Beschluß des Vorstandes der Vorsitzende und Herr Dr. Hans E. Pappenheim übernommen. Unser langjähriges Vorstandsmitglied und Mitarbeiter an den Veröffentlichungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Herr Dr. Hans E. Pappenheim, ist nach über zwanzigjähriger Tätigkeit als Leiter der Kunstabteilung der Französischen Militär-Regierung von Berlin mit Wirkung vom 1. Oktober 1967 in das Amt für Landesdenkmalpflege beim Senat von Berlin eingetreten. Am gleichen Tage hat der Chef der Französischen Militär-Regierung, Herr Divisionsgeneral Binoche, Herrn Dr. Pappenheim in Anerkennung seiner langjährigen Dienste den Titel eines Beraters der F. M. R. von Berlin in Kunstfragen verliehen, um von seinen Erfahrungen auch künftig Gebrauch machen zu können. Wir wünschen Herrn Dr. Pappenheim, der inzwischen auch die Schriftleitung unserer „Mitteilungen" übernommen hat, in seinem neuen Wirkungskreis besten Erfolg. 146 Der Vorstand des Vereins übermittelte unserem Mitgliede Prinz Louis Ferdinand von Preußen anläßlich der Vollendung des 60. Lebensjahres am 9. November 1967 die Glückwünsche des Vereins für die Geschichte Berlins. Am 27. November 1967 feierte der Verein der Freunde und Förderer des Berlin-Museums sein fünfjähriges Bestehen. In der festlichen Versammlung sprach unser Vorsitzender Prof. Hoffmann-Axthelm Herrn Prof. Redslob die Glückwünsche des Vereins für die Geschichte Berlins aus und überreichte ein kleines Geschenk. In Anerkennung seiner Arbeiten auf dem Gebiet der Berliner Medizingeschichte verlieh die Berliner Gesellschaft für Geschichte der Medizin e. V. unserem Mitglied Dr. phil. Dr. med. Manfred Stürzbecher am 10. Dezember 1967 die Paul-Diepgen-Medaille. Diese alle drei Jahre verliehene Auszeichnung trägt den Namen des bedeutenden langjährigen Direktors des Instituts für Geschichte der Medizin der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Paul Diepgen (1878—1966), der 1936 mit seinem Institut die Mitgliedschaft in unserem Verein erworben hatte. Gemeinnützigkeit des Vereins Wir weisen erneut darauf hin, daß Beiträge und Spenden unserer Mitglieder an den Verein bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer absetzbar sind. Wir bitten in entsprechenden Fällen um eine Notiz auf dem Postscheckabschnitt od. dgl., damit die erforderliche Bescheinigung für das Finanzamt vom Schatzmeister übersandt werden kann. In Fällen, in denen Mitglieder nach Überweisung des Jahresbeitrages Mitgliedskarten zu erhalten wünschen, bitten wir gleichfalls um eine entsprechende Notiz. Etwa noch rückständige Beiträge 1967 bitten wir auf das Postscheckkonto Berlin West 433 80 des Vereins für die Geschichte Berlins, Berlin 21, möglichst umgehend zu überweisen. Von unserem Jahrbuch „Der Bär" sind noch folgende Jahrgänge erhältlich: Jahrgang 1952 1953 1955 1956 1957/58 Preis — 4,80 — — 4,80 Jahrgang 1959 1960 1961 1962 1963 Preis 4,80 4,80 5,80 5,80 5i80 Jahrgang 1964 1965 1966 1967 Preis 5,80 38,— — — In beschränkter Zahl sind noch Bände des Jahrgangs 1951 (DM4,80) vorrätig. Bestellungen werden mit Oberweisung des Betrages an den Kassenwart erbeten. Im IV. Quartal 1967 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Staatsschauspielerin Käte Haack-Schroth, 1 Berlin 19, Kuno-Fischer-Straße 3, Tel.: 3 0 2 8 8 0 4 Prof. Dr. Ingeborg Falck, Chefarzt, 1 Berlin 41, Grillparzerstraße 2, Tel.: 72 44 78 Ministerialrat i. R. Friedrich Hillenherms, 1 Berlin 37, Schützallee 120, Tel.: 76 34 15 Margarete Oschilewski, 1 Berlin 37, Am Fischtal 19 Ing. Konrad Lindhorst, 1 Berlin 33, Gadebuscher Weg 4/6, Tel.: 76 44 38 Friedrich Träger, Lehrer, 1 Berlin 26, Eichenroder Ring 16 Gertrud Schroth, 1 Berlin 47, Hanne Nute 35/37 (Frau A. Hamecher) (W. Mügel) (Schriftführer) (W. G. Oschilewski) (Schriftführer) (Prof. Dr. Dr. Harms) (H. Hofmann) 147 Axel Springer, Verleger 1 Berlin 61, Kochstraße 50, Tel.: 6 10 82 00 Margarete Cahn, 1 Berlin 62, Badensche Straße 62 Heinrich Albertz, Bürgermeister a. D., 1 Berlin 33, Taubertstraße 19, Tel.: 89 11 19 Friedr. Wilhelm Wentzel, Journalist, 1 Berlin 33, Berkaer Straße 6, Tel.: 89 42 98 Elisabeth Küche, 1 Berlin 20, Zeppelinstraße 44, Tel.: 3 62 37 45 Dr. Hans Günter Schultze-Berndt, Geschäftsführer, 1 Berlin 26, Schorfheidestraße 41 Dr. Joachim Kühn, Botschafter a. D., 2 Hamburg 20, Heilwigstraße 121 Walter Ruppel, Beamter, 1 Berlin 41, Goßlerstraße 19 Elsa Marie Kaatz, 1 Berlin 30, Bayerischer Platz 4 (Vorsitzender) (Frau Dr. I. Reicke) (Vorsitzender) (Vorsitzender) (Frau Dr. I. Hoffmann-Axthelm) (Schriftführer) (W. G. Oschilewski) (Frau Koepke, H . Hofmann) (Frau A. Hamecher) Veranstaltungen im I.Vierteljahr 1968 1. Dienstag, 9. Januar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Horst Behrend „Ach, wie reich, Vaterland, ständest du in Blüte . . . " — Berlin und seine Dichter. 2. Sonnabend, 20. Januar, (nur für Berufstätige) und Dienstag, 23. Januar, jeweils 10.00 Uhr, Besuch der Ausstellung „Dürer und seine Zeit" des Kupferstichkabinetts, 1 Berlin 33, Arnimallee 23, und Besichtigung alter Berlinansichten. Einführung durch Herrn Direktor Prof. Dr. Hans Möhle. Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis 13. Januar an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten. 3. Mittwoch, 21. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag der Frau Dr. Ilse von Hülsen-Reicke „Berlins musische Pastoren". 4. Freitag, 23. Februar, 15.00 Uhr, Führung durch die Philharmonie, 1 Berlin 30, Matthäikirchstraße 1, unter Leitung des Intendanten, Herrn Dr. Wolfgang Stresemann. 5. Dienstag, 19. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Dr. Martin Sperlich „Berlins Baukunst im frühen 20. Jahrhunden". 6. Sonnabend, 23. März, vormittags, Exkursion mit privaten Pkw's zur Vertiefung des vorstehend genannten Vortrages unter Leitung von Herrn Dr. Martin Sperlich. Wegen der beschränkten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung unter Mitteilung, wieviel freie Wagenplätze ggf. zur Verfügung gestellt werden, bis 18. März an Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten. Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. Freitag, 12. Januar, 9. Februar und 15. März zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber und Verlag: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Berlin. Schriftleitung: Prof.Dr.Dr.W.Horrmann-Axthelm, Berlin 21, und Dr.H.Pappenheim, Berlin 45. Zuschriften und Beitrage für die Mitteilungen sind an die Schriftleiter zu richten. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, Satz und Druck: Frankensche Buchdruckerei, 1 Berlin 65, Müllerstr. 138 d. 148 MITTEILÜW?EN bibM DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 64. Jahrg. Nr. 12 1. April 1968 A 20377 F Vorsitzender:Prof.Dr.Dr.W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin21 (Tierg.),Handelallee61, Ruf: 39 24 90 Schriftführer: Dir. i. R. K. Bullemer, 1 Berlin 31 (Wilmersdorf), Holsteinische Str. 26, Ruf: 87 48 39 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 Das Berliner Concerthaus Von D r . Wolfgang Medding f Der Verfasser war der Enkel des Begründers und Leiters des Concerthauses und stützte seine Darstellung auf den Nachlaß im Medding'schen Familienarchiv in Oberlahnstein a. Rh., wo Dr. Medding - zuletzt Landeskonservator der Pfalz und Leiter des Landesamts für Denkmalpflege in Speyer - im Ruhestande lebte. Vom November 1967 bis zum 17. 1. 1968 standen die Schriftleiter der MITTEILUNGEN im Briefwechsel mit dem Verfasser, der am 27. Januar 1968 starb. Seinem Wunsche entsprechend bringen wir seine letzte Arbeit ungekürzt. Es sind genau hundert Jahre her, daß das „Berliner Concerthaus" von Franz Medding (geboren am 8. September 1835) in der Leipziger Straße am 21. Dezember 1867 mit einem Festkonzert unter Leitung des Musikdirektors Benjamin Bilse eröffnet wurde. Es ist in der Geschidne des Konzertlebens wohl einmalig, daß aus privater Initiative ein großes Konzertunternehmen gegründet wurde, das bei fast täglichen Konzerten sich über mehrere Jahrzehnte halten und die große Zahl von über 6000 Konzerten erreichen konnte. Franz Medding war in jungen Jahren zur Vervollkommnung seiner kaufmännischen Lehre als Buchhändler nach London geschickt worden, doch seine ganze Liebe galt der Musik, und als er in London das erste große Musikunternehmen in Europa kennenlernte und die Aufführung von Sinfoniekonzerten mit großem Orchester erlebte, entstand bei ihm der Wunsch, etwas ähnliches für Berlin, die werdende Reichshauptstadt, zu schaffen. Nach Berlin zurückgekehrt überredete er seinen Vater Johann Hermann Medding, der Besitzer einer Gaststätte in der Leipziger Straße war, das Grundstück hinter den Häusern Leipziger Straße 47-49 zu erwerben und hier ein großes Konzerthaus zu errichten. Auf diesem Grundstück, das von den Häuserzeilen der Leipziger Straße, des Dönhoffplatzes und der Krausenstraße umschlossen war, stand bis dahin ein großer Schuppen, die „Musenhalle" genannt, in dem 149 Medding 1 <*•"»-» Kapellmeister Meyder Bilse artistische Vorführungen und Kuriositäten geboten wurden, wie „Schreiers Affentheater", „Kreuzbergs Menagerie" und „Professor Beckers Zaubertheater". Alles Neue und Seltene fand hier - wie es in einer zeitgenössischen Schrift heißt - Quartier, sogar der „Demokratische Frauenklub" der Damen Marheinecke, Lucie Lenz und Luise Aston mit ihren Frauen-Emanzipationsbestrebungen hielt hier seine Versammlungen ab. Mit diesem allen räumte Franz Medding auf und ließ durch den mit ihm befreundeten Baumeister A. Wesenberg das Konzerthaus mit einem riesigen Saal errichten.1' Dieser faßte 1200 Besucher und hatte an seiner Stirnseite ein geräumiges Podium, zu beiden Seiten je eine Orchesterloge. Die Langseiten des Saales waren in drei Geschosse aufgeteilt, zuunterst hinter sechs Arkaden mit Segmentbögen zwischen viereckigen Pfeilern führten Gänge entlang. Darüber befand sich ein hohes Geschoß mit geräumigen Logen, die durch schwere Vorhänge abgeschlossen werden konnten. Korinthische Pfeiler begrenzten die Logen und über diesen befanden sich in einem Mezzaningeschoß niedrigere Logen, zwischen die über dem verkröpften Gebälk der Pfeiler Statuen aufgestellt waren. Die Decke war sehr reich gegliedert und ornamental geschmückt, der Mittelteil mit offenem Gebälk überhöht. Ein riesiger Kronleuchter aus Bronze und Bergkristall auf der Pariser Weltausstellung preisgekrönt - , vier kleinere Kristallüster und zahlreiche kleinere Lampen gaben dem Saal mit ihren Gasflammen eine festliche Beleuchtung. Die Leitung des Konzerthauses hatte von Anfang an Franz Medding, obwohl zunächst sein Vater Johann Hermann Medding als Eigentümer für die Direktion verantwortlich zeichnete. Dieser und auch ein Bruder des Franz, Hermann Medding, starben jedoch schon in den siebziger Jahren. Als erster Dirigent wurde der Musikdirektor Benjamin Bilse berufen. Dieser wurde am 17. August 1816 in Liegnitz in Schlesien geboren. Seinen ersten Musikunterricht erhielt er bei dem dortigen Stadtmusikus Scholz, der ihn verschiedene Instrumente spielen lehrte. Zur, weiteren Vervollkommnung ging Bilse nach Wien, wo er bereits in einem Orchester mitwirkte. 1842 berief ihn seine Vaterstadt Liegnitz zurück und übertrug ihm das Amt eines „Stadtmusikus". Bilse schuf sich dort eine Kapelle aus Berufsmusikern, mit der er in Liegnitz selbst und in der Umgebung mit gutem Erfolg Konzerte gab. Schließlich unternahm er mit seinem Orchester auch weitere Konzertreisen. So veranstaltete er auf Veranlassung König Friedrich Wilhelms IV. 1846 ein Konzert in Erdmannsdorf (Riesengebirge) und 1847 in Schloß Sanssouci. 1852 leitete er - inzwischen zum Musikdirektor ernannt - das schlesische Musikfest mit der Uraufführung des Oratoriums „Die Auferweckung des Lazarus" von dem schlesischen Komponisten Jean Vogt. Er hat die Aufführung später am 6. April 1882 im Berliner Konzerthaus wiederholt. Bilse pflegte in seinen Konzerten ernste und klassische Musik, doch ließ er in seiner schlesischen Zeit - um den Lebensunterhalt seiner Musiker zu bestreiten - diese auch in kleineren Verbänden bei Hochzeiten oder zum Tanze aufspielen. Für diesen Zweck gab er in den vierziger Jahren selbst komponierte Tänze heraus, in denen von der Polonaise bis zur Quadrille alles Zeitgemäße enthalten war. Auch hat er einige Märsche komponiert, von denen der „Cäcilienmarsch" sehr populär und später zum „Sturmmarsch" der 48er Revolution wurde. * Eine architektonische Beschreibung des Konzerthauses in: Berlin und seine Bauten, 2. Bd. Bln. 1896 Seite 519. 151 Bei einer Soiree am 30. Oktober 1858 führte er in Liegnitz Liszt's sinfonische Dichtung „Tasso", Schumanns d-Moll Sinfonie und den „Carneval in Rom" von Berlioz auf. Bilse war ein großer Verehrer von Richard Wagner und Wagnerscher Musik; er ist später nach seiner Berufung nach Berlin zum wahren Wagner-Apostel geworden. Noch in seiner Liegnitzer Zeit hat er 1861 die Tannhäuser-Ouvertüre mit großem Erfolg in Glogau aufgeführt. Als der Magistrat von Liegnitz ihm nach dreiundzwanzigjähriger Tätigkeit im Amt seine Konzertreisen untersagen wollte, machte er sich selbständig und begab sich 1867 mit seiner Kapelle zur Weltausstellung nach Paris, wo er mit seinen Konzerten glänzende Erfolge errang. Seine Konzert-Tournee setzte er in Brüssel und auf einer Reise den Rhein entlang und in einer Reihe namhafter deutscher Städte fort. Da traf ihn die Berufung durch Franz Medding zum Leiter der Konzerte und Dirigenten im neuen Konzerthaus in Berlin. Bilse sagte sofort zu, und man vereinbarte den 21. Dezember 1867 zur festlichen Eröffnung. Es gab zuletzt noch ein Wettrennen zwischen Musiker und Architekten, um den Termin einzuhalten. Erst am Vormittag des Eröffnungstages verließen die letzten Handwerker das neue Haus, und das Konzert unter Bilses Leitung in dem schönen neuen Konzertsaal wurde für Berlin ein großes musikalisches Ereignis und für Bilse ein erster, von den Berlinern mit großer Begeisterung aufgenommener Erfolg. Die Bilseschen Konzerte waren in der Folgezeit außerordentlich beliebt, und Bilse selbst wie auch der Leiter des Konzerthauses Franz Medding erfreuten sich bei den Berlinern großer Volkstümlichkeit. Bilse hatte sein Liegnitzer Orchester nach Berlin mitgebracht und hat es im Laufe der Jahre immer wieder durch begabte Musiker ergänzt. Bewährte Virtuosen holte er sich aus Berlin, Wien, Dresden, Prag, Brüssel, Amsterdam und Paris. Sein Orchester hatte die Besetzung von zwanzig Violinen, sechs Violen, sechs Celli, fünf Kontrabässen, einer Harfe, drei Flöten, zwei Oboen, einem Englischhorn, zwei Cornetts a Piston, fünf Trompeten, drei Posaunen, einer Tuba und Pauke, kleiner und großer Trommel sowie Xylophon. Bei besonderen Anlässen wurde der Klangkörper auf über hundert, ja zuweilen bis zu 130 Musikern vermehrt. Im Laufe der Zeit hatte sich für die täglichen Konzerte ein bestimmter Wochenplan herausgebildet, dessen Reihenfolge jedoch wechselte und bei Veranstaltungen aus besonderen Anlässen durchbrochen wurde. Im allgemeinen sah das Wochenprogramm folgendermaßen aus: Sonntag war für Sinfonien oder Solokonzerte vorgesehen, Montag abend fanden Wagner-Konzerte statt, der Dienstag war der klassischen Musik, besonders Sinfonien gewidmet. Mittwochs war ein Liederabend, bei dem alte und neue Lieder durch Solisten oder auch Chöre mit Orchesterbegleitung vorgetragen wurden. Der Donnerstag war für Tanz und Geselligkeit vorgesehen. Der Freitag war Uraufführungen vorbehalten, und am Sonnabend kam wieder die leichte Muse zu ihrem Recht. Ein zweiter kleiner Saal für kleinere Konzerte war später noch hinzugekommen, und ein dritter Saal wurde an Vereine, meist Studentenverbindungen, vermietet. Benjamin Bilse hat 17 Jahre lang als Kgl. Hofmusikdirektor, welchen Titel ihm der preußische König verlieh, das Orchester geleitet und als Dirigent im Berliner Konzerthaus gewirkt. Er hat in dieser Zeit Werke von Haydn, Mozart, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Liszt und Wagner aufgeführt, und bedeutende Zeitgenossen wie Richard Wagner, Anton Rubinstein, Camille Saint-Saens haben hier ihre eigenen Werke dirigiert. Zu besonderen Ereignissen wurden die Hofkonzerte, bei denen sämtliche Logen im Obergeschoß für den kaiserlichen Hof reserviert wurden. Dreimal - am 4. Februar 152 1873 und am 24. und 25. April 1875 - hat Richard Wagner im Konzerthaus seine Werke dirigiert. Eines dieser Konzerte, das am 4. Februar 1873, schildert Felix Philippi in seinen Erinnerungen an Alt-Berlin wie folgt: „Richard Wagner dirigierte zum Besten des Bayreuther Fonds (das Bayreuther Festspielhaus existierte zu dieser Zeit noch nicht) ein großes Konzert mit dem auf 105 Mann verstärkten Orchester. Das Kaiserpaar war mit dem ganzen Hofe anwesend, die Preise für damalige Zeit waren enorm, der Saal, aus dem für diesen Abend die Abonnenten verbannt waren, überfüllt. Und ich höre noch dieses Aufrauschen durch den machtigen Raum und den ungeheuren Beifallssturm, als unter dem Tusch des Orchesters vor dem mit Lorbeeren geschmückten Pult der kleine große Mann erschien. Da habe ich ihn zum erstenmal gesehen, es war ein Eindruck fürs Leben! Er stand da, bleich und erregt. Und Blumen und Lorbeeren aus allen Logen flogen ihm zu und bedeckten das ganze Podium, und immer wieder erhob er den Taktstock, um die Tannhäuser-Ouvertüre zu beginnen, und immer wieder ein Blumenregen und aufschäumender brausender Jubel, der selbst den Pilgerchor übertönte. Niemann sang in unvergleichlicher Kraft das Liebeslied aus der ,Walküre' und die Schmiedelieder aus dem ,Siegfried', Betz's wundervoller Bariton schwelgte in ,Wotans Abschied'. Wagner dirigierte das Vorspiel zum ,Tristan', das Vorspiel zu den ,Meistersingern' und seinen ,Kaisermarsch'. Er ist nach harten Mühen und Kämpfen gefeiert worden, wie selten ein Mensch, begeisterter und reiner wohl niemals als an diesem Abend im Berliner Konzerthaus." Wagner hat dann noch einmal, am 24. und 25. April 1875, im Berliner Konzerthaus eigene Werke dirigiert. Am 22. Dezember 1877 feierte das Konzerthaus unter Bilses Leitung sein lOjähriges Bestehen. Am 26. Februar 1879 fand sich Anton Rubinstein mit eigenen Werken am Dirigentenpult, und am 26. Februar 1879 und nochmals am 30. Januar 1880 führte der französische Tonsetzer, Organist und Dirigent Camille Saint-Saens (1835-1921) im Konzerthaus eigene Werke auf. Am 1. Oktober 1880 feierte Benjamin Bilse mit einem großen Festkonzert sein 50jähriges Musiker-Jubiläum. Bilse war ein Wegbereiter alles Modernen und scheute sich auch nicht vor der Kritik der Presse, moderne Kompositionen aufzuführen. Es ist für uns heute besonders interessant zu erfahren, mit welchen Worten die Aufführung von Tschaikowskis Werken aufgenommen wurde. So heißt es in einer Kritik des Deutschen Tageblatts vom 18. Oktober 1881: „Am Sonnabend lernten wir eine Orchester-Fantasie von Tschaikowski kennen, der ,Sturm' genannt: Programm-Musik vom reinsten Salzwasser, denn es handelte sich nicht um einen gewöhnlichen Landwind, sondern um einen veritablen Seesturm. Von Süßwasser-Melodie keine Spur, alles ist herb, bitter, obschon der erläuternde Text auch einige sänftiglich gehaltene Liebes-Episoden erwarten ließ. Der Komponist blieb uns die milderen Klänge schuldig, das Wilde überwuchert in der Partitur; das Tosen, Zischen und Brausen erinnert oft mehr an Hexenkessel, als an Meeresbrandung. Vor dreißig Jahren hätte wohl jede Seite dieser Fantasie als Passe Partout für das Irrenhaus genügt, heutzutage schreckt uns selbst eine solche Dornen- und Distelmusik nicht ab, zumal wenn sie gut aufgeführt wird. In dieser Beziehung haben Bilse und seine Mannen das ihrige getan, also das Äußerste geleistet. Die enormen Schwierigkeiten wurden mit Sicherheit und Eleganz überwunden. Nach einmaligem Hören ist ein Urteil über den Wert dieser Novität kaum möglich." (Sdiluß folgt!) 153 Lübars einst und jetzt Z u r Geognostik, V o r - u n d Frühgeschichte eines der letzten „Dörfer" des modernen Berlins. Von H o r s t Michael, Lehrer in Lübars. Zwei erdgeschichtliche Besonderheiten auf Lübarser Boden verdienen Beachtung: die Rollberge, ein eiszeitliches Aufschüttungsgelände aus Sanden und Kiesen, das geologisch als „Os" (schwedisch Äs) oder „Osrücken" aufgefaßt wird. Die Geologen glauben, daß solche „Oser" ihre Aufschüttung Schmelzrinnen verdanken, die sich unter der gewaltigen Decke des Inlandeises gebildet hatten. Die Rollberge sind dem Dorfe im Westen vorgelagert. Auf ihnen erhebt sich heute der Nordrand des Märkischen Viertels. Im Lübars-Hermsdorfer Gebiet stoßen wir auf einen Horst des tertiären Septarientons, der am Freibad bis dicht unter der Erdoberfläche ansteht. Es ist ein kalkarmer Ton. Kalkspat findet sich nur in eigenartigen, bis zu V2 m großen Knollen. Diese werden nach den Septen oder Scheidewänden, die die, Knollen in Kammern einteilen, Septarien genannt. Für die Trinkwasserversorgung des Bezirks Reinickendorf spielt der Ton eine wichtige Rolle, da er das Grundwasser von der unter ihm liegenden Salzsole trennt. Eine Bohrung in Hermsdorf ergab eine Mächtigkeit des Tons von 147 m. An dieses Vorkommen knüpft sich die Geschichte des Freibades Lübars. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde am Hermsdorfer Weg eine Ziegelei errichtet. Aber schon kurz vor dem 1. Weltkrieg waren die Lübarser Ziegel wegen ihres Salpetergehaltes nicht mehr gefragt. Nach der Eingemeindung kaufte die Stadt Berlin das Gelände der Ziegelei auf und verwandelte später den Tonstich, der sich schon vorher mit Wasser gefüllt hatte, in ein Freibad. Die Menschen der Steinzeit und Bronzezeit haben im Fließtal bei Lübars ihre Spuren hinterlassen. Die in das Tal vorspringenden halbinselförmigen Werder boten den Siedlern Schutz, Wasser und Fischreichtum. Die bedeutendste Ansiedlung lag vor etwa 3000 Jahren auf einer Talsandzunge, dem Kienwerder. Die Ausgrabungen dieses bronzezeitlichen Dorfes (1937) ergaben, vor allem was die Bauweise und die Form der Häuser anbetrifft, eine große Übereinstimmung mit den Grabungsergebnissen von Buch. Die keramischen Funde überwiegen, Bronzefunde sind selten. Ein Eisenstück läßt darauf schließen, daß das neue Metall bereits bekannt war. Diese Schätze ruhen heute wohlverwahrt in den Magazinen des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Der Ursprung des Dorfes Lübars liegt im Dunkel. Der Name ist wendischen Ursprungs, seine Bedeutung unbekannt. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 1247. Die Markgrafen verschrieben damals dem Spandauer Nonnenkloster die Honigund Wachsernte des Dorfes Lübars. Wie Dalidorf und Tegel war es ein Klosterdorf. Nach der Reformation wurden die Lübarser vom Amt Spandau übernommen, und nun begann für sie eine härtere Zeit. - Eine Urkunde von 1590 aus dem Erbregister des Amtes Spandau enthält ein erstes Einwohnerverzeichnis von Lübars. Bereits hier tauchen die Namen der Neuendorf, Müller und Rabe auf. - Verborgen hinter den Rollbergen und abseits der Heerstraßen blieb Lübars im 30jährigen Kriege von Plünderungen verschont. Die Wetterfahne der Kirche trägt die Jahreszahl 1793. In diesem Jahr wurde die jetzige 154 Kirche geweiht. Drei Jahre zuvor war die alte Fachwerkkirche zusammen mit sechs Anwesen einem Brande zum Opfer gefallen. 1801 zählte das Dorf erst 136 Einwohner. 100 Jahre später waren es 1000, Lübars und das auf dem Gebiete des Lübarser Bauernwaldes gegründete Waidmannslust zusammengenommen. Heute mögen es über 12 000 Einwohner sein, etwa zu gleichen Teilen auf beide Orte verteilt. tiibtlt* «III ISSC. Wie steht es heute in Lübars? Die Nähe der Großstadt zwingt zu Zugeständnissen. Große Flächen der Lübarser Feldmark sind zum Aufschüttungsgelände der Berliner Müllabfuhr geworden. In den Schubladen der Planungsämter und Wohnungsbaugesellschaften liegen die Bebauungspläne für weitere landwirtschaftliche Nutzungsflächen bereit. Aber auch die Formen der landwirtschaftlichen Produktion haben sich gewandelt. Rationalisierung und Spezialisierung zwingen dazu. So, wenn z. B. die Arbeit eines Neusiedlers nur noch aus der Aufzucht von Junghühnern bis zur Legereife besteht (einmal in Berlin!), während der nächste Siedler, Besitzer einer „Eierfabrik", nun von den legereifen Hühnern in 420 Tagen rund 300 Eier erwartet und die Produzenten dann in die Bundesrepublik schickt, weil in Berlin Großschlächtereien für Geflügel fehlen. Dieses Beispiel mag mehr als alles andere zeigen, wie stark sich die moderne landwirtschaftliche Betriebsform von unseren liebgewordenen Vorstellungen unterscheidet. Ob v i r es begrüßen, oder ob wir zu diesen Formen kein Verhältnis mehr finden: das alte Lübars ist jung und leistungsfähig geblieben. Anschrift des Verfassers: Berlin 28, Zehntwerderweg 81. 155 Berichte Bericht über den Vortrag am 17. 10. 1968 von Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm: „Die Bildungsreise und die magneto-therapeutische Kur des märkischen Landarztes Dr. Carl Ludwig Ganzel (1799-1888)" Es wurde über die Lebensgeschichte eines Familienmitgliedes des Referenten, des Perleberger Landarztes Dr. Carl Ludwig Ganzel berichtet, von dem uns das Tagebuch einer Bildungsreise nach Paris und Italien sowie die ausführliche Krankheitsgeschichte eines Fräulein Julie von Quitzow überliefert sind. Während seines Studiums in Berlin 1816-21 gehörte Ganzel burschenschaftlichen Kreisen an, auch er wurde, wie der Turnvater Jahn, 1819 in der Hausvogtei festgesetzt. Nach bestandenem Examen ging er zunächst nach Paris, wo er in den dortigen Kliniken seine Ausbildung vervollständigte. Er freundete sich hier mit dem Enkel von Nicolai, Gustav Parthey, an, der Ganzel in seinen „Jugenderinnerungen" vielfach und ausführlich erwähnt. Dieser trat in Paris mit vielen prominenten Persönlichkeiten, u. a. mit Alexander von Humboldt, in Kontakt. Nach neunmonatigem Aufenthalt begab er sich, größtenteils zu Fuß, nach Südfrankreich, dann über Genua, Florenz, Rom nach Neapel und wanderte dann wieder zurück nach Deutschland. Lilly Parthey erwähnte ihn 1821 als Gast im Nicolaischen Hause. Dann ließ er sich in Perleberg in der Prignitz als Arzt nieder. 1825 begab sich zu ihm eine Patientin mit anscheinend hysterischen Anfällen, bei der zunächst alle therapeutischen Bemühungen scheiterten. Erst eine magnetische Kur brachte ihr zunächst Linderung, dann Heilung. Nicht in der Krankengeschichte enthalten ist, daß ein halbes Jahr nach glücklich beendeter Kur Carl Ludwig Ganzel und Julie von Quitzow, eben diese Patientin, eine mit Kindern überreich gesegnete Ehe begannen, die erst durch den 30 Jahre danach erfolgten Tod der Gattin gelöst wurde. Zum Vortrag wurden zahlreiche zeitgenössische Stiche und Gemälde im Lichtbild gezeigt. Eigenreferat Literatur: Jahrb. brandenburg. Landesgesch. 16 (1965) S. 12-59. Besichtigung des Verlagshauses von Axel Springer Am 10. und am 18. November 1967 hatte der Verein Gelegenheit, im Rahmen der Besichtigungen von Unternehmungen, die mit der geschichtlichen Entwicklung Berlins eng verflochten sind, das neue Axel-Springer-Verlagshaus zu besichtigen. Das nach siebenjähriger Gesamtbauzeit (gedruckt wird schon seit 1961) am 6. Oktober 1966 eingeweihte Haus steht in der Kochstraße, im alten historischen Zeitungsviertel. Hier, auf dem Grundstück des im Februar 1945 vollkommen zerstörten Scherl-Hauses (bei diesen Luftangriffen fielen auch die Häuser Mosse und Ullstein in Schutt und Asche), entstand die an Kapazität größte Zeitungsdruckerei Deutschlands, deren Stück-Produktion 70 °/o der täglich in Westberlin erscheinenden Zeitungen ausmacht. Der 1877 von Leopold Ullstein gegründete Zeitungsverlag mit seinen Ausgaben „BZ" und „Berliner Morgenpost" ist der tragende Name des Hauses. Den Namen „Ullstein" wird der Besucher schon gewahr, wenn er beim Betreten der großen Empfangshalle vom Wahrzeichen dieses Verlages, der Eule, in zweifacher Ausführung begrüßt wird. Diese zwei Eulen sind beinahe die einzigen Originalstücke, welche die Zerstörung des alten Gebäudes überlebt haben und nach der Bergung aus den Trümmern 1957 wieder Zeugnis eines großen Verlages geben. Anders das Tafelrelief, welches nur eine Kopie des zerstörten Originals ist, und die vier Grundlagen des Zeitungsgewerbes zeigt. Zu den Zeitungen des Ullstein-Verlages kommen noch „Bild", aus dem Springer-Verlag, „Die Welt" und „Welt am Sonntag", eigener Verlag sowie die „Bauwelt" von Ullstein. Auch der Propyläen-Verlag, der zur Ullstein-Verlagsgesellschaft gehört, hat hier sein neues Domizil gefunden. Eine Reihe von Illustrierten und Fachzeitschriften rundet das Programm ab. Nach einigen liebenswürdigen Worten des Empfanges in der großen Halle vor dem Gemälde von Oskar Kokoschka, das einen Blick vom Dach des Hochhauses über Berlin festhält, und einer kurzen Demonstration des von aller Welt geschätzten Ullstein-Bildarchivs - es konnte zum großen Teil die Kriegswirren überstehen - ging es zu einem Empfang im JournalistenClub im 18. Stockwerk. Welch herrlicher und dennoch wehmütiger Blick über unsere ganze Stadt Berlin. 156 Auch hier im Club erinnern Bilder an die Familie Ullstein. Ein kurzer Film zeigte uns die kulturelle Bedeutung des Berlin der zwanziger Jahre, welche Sinnlosigkeit folgte und mit welchem Mut und Willen ein neuer Aufbau begann. In einem zweiten Film sahen wir den Künstler O. Kokoschka beim Schaffen des Gemäldes. Die nun beginnende Führung leitete uns zunächst durch die einzelnen Redaktionen. Hier bekommen die aus aller Welt einlaufenden Nachrichten ihren journalistischen Schliff und die Zeitung damit ihr geistiges Gepräge. Schriftliches und Bildliches wandern dann in die Setzerei oder Chemigrafie, wo aus beschriebenen Blättern oder belichteten Filmen mittels Setzmaschine, Kamera, Säure in kürzester Zeit Druckelemente entstehen. Staunend standen wir dann vor den in ihren Ausmaßen riesigen Rotationsmaschinen und beobachteten den Andruck der farbigen Sonntagsbeilage der „Berliner Morgenpost" - 20 000 Stück pro Stunde. Schon während der Filmvorführung hatte Herr Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm unserem Mitglied, Herrn Wentzel, im Namen des Vereins für die gastliche Aufnahme und sachliche Führung gedankt und darauf hingewiesen, daß die Familie Ullstein durch treue, jahrzehntelange Mitgliedschaft ihr Interesse am Schaffen unseres Vereins gezeigt habe, eine Tradition, die durch den Verleger Herrn Axel Springer fortgeführt wird. Mader Bericht über die Vorträge am 16. 12. 1967 „Das Asyl Schweizerhof in Zehlendorf und sein Begründer" von Prof. Dr. med. Dr. h. c. Heinz Goerke und „Weibliche Krankenpflege in Berliner Lazaretten 1870/71" von Dr. med. Otto Winkelmann. Der Begründer des Schweizerhofes, der aus Schlesien stammende Heinrich Laehr (1820-1905), wandte sich nach Absolvierung der allgemeinen ärztlichen Ausbildung, vielleicht veranlaßt durch die Geisteskrankheit eines zwei Jahre älteren Bruders, in Halle der Seelenheilkunde zu. Als ausgebildeter Psychiater erwarb er 1853 in Zehlendorf ein Halbbauerngut, auf dem er, beraten durch den erfahrenen Verwaltungsdirektor der Charite Karl Esse, eine private Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke, das Asyl Schweizerhof errichtete. Die Anstalt blühte auf, so daß bald umfangreiche Neubauten und Parkanlagen notwendig wurden. Laehrs Erfahrungen im Anstaltsbau fanden allgemeine Anerkennung, so daß zahlreiche Neubauten in Deutschland unter seiner Mitverantwortung entstanden. 1889 ging die Leitung auf seinen Sohn Hans über. Nach dem ersten Weltkrieg mußte der Schweizerhof aus wirtschaftlichen Gründen an den Provinzialverband Brandenburg verkauft werden. 1966 wurde das Hauptgebäude zugunsten eines Schulneubaues abgerissen, nur das Haus „Reil" wird, vom Amt für Denkmalpflege erhalten, an das Asyl Schweizerhof erinnern. Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 sind an verschiedenen Orten in Deutschland Barackenlazarette zur Versorgung der Verwundeten erbaut worden, als deren Vorbild die ähnlichen Einrichtungen des amerikanischen Bürgerkrieges gedient hatten. In Berlin war ein solches Lazarett auf dem Tempelhofer Feld eingerichtet worden, das ja während des Krieges nicht als Exerzierplatz benutzt wurde. Die Krankenpflege in den Lazarettbaracken wurde zum Teil von freiwilligen Helferinnen ausgeübt. Über diese freiwilligen Kriegskrankenpflegerinnen wurde berichtet, ihre eigenen Schilderungen von der Liebestätigkeit in den Lazaretten wurde verglichen mit zeitgenössischen Zeitungsberichten. Die Unterschiede in der Darstellung des Wirkens dieser freiwilligen Helferinnen wurden in dem Vortrag aufgezeigt, Unterschiede, die durch das Überwiegen von gutem Willen über sachliche Kenntnisse bedingt waren. Patriotische Begeisterung konnte eben nicht immer eine pflegerische Ausbildung ersetzen. Ho-Ax „Ach, wie reich, Vaterland, ständest du in Blüte . . . " Berlin und seine Dichter Über die vielen, vielen Dichterpersönlichkeiten, die durch die Jahrhunderte in Berlin und der Mark Brandenburg wirkten, berichtete am 9. Januar im Rathaus Schöneberg unser Mitglied, der Schriftsteller Horst Behrend. Schon Otto IV., der Askanier, sang seiner holden Gemahlin selbstgedichtete Verse vor, als beide über den stillen Werbellinsee fuhren. Auch Walther von der Vogelweide kannte die Mark Brandenburg und warnte in seinen Versen vor der „wüsten Mark" bei „Toberlu" (DobrilugkKirchhain). 157 Horst Behrend zeichnete die Kulturgeschichte innerhalb Brandenburgs und der größer und größer werdenden Stadt Berlin anhand der oft recht skurilen Dichterpersönlichkeiten auf, erinnerte an Hans Clauert, den märkischen Eulenspiegel ebenso wie an den „Frosch-MäuseKrieg" des Bernauer Bürgermeisters Rollenhagen, an den protestantischen Theologen und Dichter Paul Gerhardt wie an die Dichtungen des Pietismus oder der Romantik. Behrend gab das schillernde Panorama der preußisch-jüdischen Salons der Romantiker Rahel Varnhagen van Ense, Henriette Herz oder der Bettina von Arnim wieder und erinnerte an Adelbert von Chamissos „Alte Waschfrau" ebenso wie an seinen Schlehmikl oder E. T. A. Hoffmanns Geschichten aus Lutter & Wegners Weinkeller. Der Friedrichshagener Dichterkreis - Bölsche, Fontane und Hauptmann, Wildenbruch und schließlich Bert Brecht ebenso wie Gottfried Benn wurden ausführlich geschildert und die erwähnenswerte und für das heutige Berlin so beachtenswerte Tatsache mitgeteilt, daß besonders unter den Jungen (20- bis 30jährigen Schriftstellern in Berlin!) manche großartigen Könner zu verzeichnen sind — so vor allem diejenigen, die aus der „Kreuzberger Werkstatt" kommen. Aus seiner umfangreichen Handschriftensammlung zeigte Horst Behrend nach dem Vortrag eine Vielzahl von Autographen alter und neuer Dichter unserer Stadt. FvdS. Besuch im Berliner Kupferstichkabinett Im Rahmen der Besuche bedeutender Veranstaltungen des Berliner Kulturlebens fand am 20. Januar d. J. eine Besichtigung der Ausstellung „Dürer und seine Zeit" im Berliner Kupferstichkabinett statt. Herr Prof. Dr. Hans Möhle, Direktor des Kabinetts, eröffnete die Führung mit einem kurzen geschichtlichen Oberblick. Als jüngste der großen graphischen Sammlungen wurde es auf Anregung Wilhelm von Humboldts und des Freiherrn von Rumohr 1831 aus Beständen König Friedrich Wilhelms III. gegründet und in einem Saal des von Schinkel erbauten, 1830 eröffneten Alten Museums am Lustgarten untergebracht. Schon 1835 rückte dieses kleine Kabinett durch den Erwerb der wertvollen und sehr umfangreichen Sammlung des preußischen Generalpostmeisters und Staatsministers von Nagler in die Reihe der international bedeutenden (Paris, London, Wien) vor. Zur gleichen Zeit überwies die Preußische Akademie der Künste ihre gesamten Bestände an Kupferstichen dem Kabinett. Der nun herrschenden Raumnot wurde 1840 durch Übersiedlung in das Schloß Monbijou abgeholfen. Nach dem Ankauf der Sammlung Pacetti - diese umfaßte hauptsächlich Zeichnungen italienischer Meister des 16. bis 18. Jahrhunderts - durch den ersten Direktor der Berliner Gemäldegalerie Waagen trat eine zeitweilige Stagnation ein. Erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann eine neue Blütezeit für das Berliner Kupferstichkabinett. Bedeutende Privatsammlungen wie z.B. Suermondt (1874 unter Wilhelm Bode), Posonyi und die Sammlung des Herzogs von Hamilton (1877 und 1882 unter Friedrich Lippmann), die Sammlung von Beckerath (1902), die Goj'd-Sammlung von Felix Boix (1906 unter Max Lehrs) und die Sammlungen Savigny (1920 unter Max J. Friedländer) sowie Ehlers und Blasius (unter Friedrich Winkler) versetzten das Kabinett in die Lage, die verschiedenen Sammlungsbereiche aufzubauen. Schon 1848 war das Kabinett in das 2. Obergeschoß des von Stüler erbauten Neuen Museums gezogen, wo es seine schönen Räume 1943 bei einem Bombenangriff verlor. Die 1933 beginnende Zeit brachte dem Kabinett den Verlust seiner meisten Expressionisten durch die Aktion gegen die sogenannte Entartete Kunst, rund 600 Blätter. Größere Verluste durch Bombeneinwirkung blieben dem Kabinett erspart. Eine Kriegsfolgeerscheinung ist die Zerteilung einzelner Sammlungen, von denen ein Teil jetzt in den Ostberliner Staatlichen Museen zu besichtigen ist. Seit 1956 wurde zunächst von Friedrich Winkler, danach von Hans Möhle die Rückführung der ausgelagerten Kostbarkeiten nach Berlin betrieben, die 1958 abgeschlossen wurde. Auch konnten entstandene Lücken z. T. aufgefüllt werden. Seit November 1967 befindet sich das Kabinett in den ehemaligen Räumen der Islamischen Abteilung in Berlin-Dahlem. Nach dieser Einführung führte Herr Prof. Möhle die Anwesenden an die Schätze der Ausstellung. Über 150 Blätter, davon 40 Blätter allein von Dürer, - seine Kohlezeichnung „Mutter des Künstlers" ist das wertvollste und nie auf andere Ausstellungen verliehene Stück dieser Sammlung - von Schongauer, Grünewald, Cranach, Baidung, den Holbeins u. v. a. geben ein umfassendes Bild vom Schaffen der Zeit zwischen 1470 und 1530. Anschließend erwartete die Mitglieder des Vereins eine eigens für sie im Studiensaal aufgebaute Ausstellung von Berliner Topographien. War es auch keine „Kunst" im Sinne des eben Gesehenen, so boten doch die einzelnen Arbeiten von L. E. Lütke, W. Barth, A. Calau und Rosenberg Anlaß, mit den Gedanken einen Spaziergang in das alte, vom Lärm der werdenden Großstadt noch nichts ahnende Berlin zu machen. 158 Schon zuvor hatte der Vorsitzende des Vereins, Professor Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm, unter großem Beifall Herrn Professor Dr. Möble für die sehr eindrucksvolle Führung und die Sonderausstellung gedankt und dem Wunsche Ausdruck verliehen, daß diesem Kabinett bald eigene Räume zur Verfügung stehen mögen. Wegen der großen Zahl der Anmeldungen folgte am 23. Jan. eine zweite Führung durch Herrn Oberkustos Dr. Anzelewsky. Mader Vortrag in der Berliner Philharmonie Am Freitag, dem 23. Februar 1968, besichtigte der Verein unter zahlreicher Beteiligung der Mitglieder die Philharmonie am Kemperplatz. Der Intendant, Herr Dr. Wolf gang Stresemann, hatte freundlicherweise den einführenden Vortrag persönlich übernommen. In seinen mehr als einstündigen Ausführungen zeigte er zunächst die Schwierigkeiten auf, die der Neuplanung, dem Aufbau und der Innengestaltung des neuen Philharmoniegebäudes in architektonischer und künstlerischer Hinsicht bis zur Eröffnung am 15. Oktober 1963 mit Beethovens IX. Symphonie unter Herbert von Karafan entgegengestanden haben. Der Vortrag vermittelte den Besuchern die große und glanzvolle Vergangenheit des Berliner Philharmonischen Orchesters, das nach seiner Gründung im Jahre 1882 seine Konzerte in der Köthener Straße begann und später in der Bernburger Straße bis zur Zerstörung des Konzertgebäudes im Jahre 1944 fortsetzte. Hans von Bülow, Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler und Gastdirigenten von Ruf waren die künstlerischen Leiter des Orchesters der damaligen Epoche. Nach dem Jahre 1945 begannen die Konzerte zunächst in improvisierten Sälen, dann im Titania-Palast und seit dem Jahre 1954 im Konzertsaal der Hochschule für Musik. Das Berliner Philharmonische Orchester setzt jetzt die große Tradition seines künstlerischen Wirkens am neuen Standort in dem Meisterbau von Hans Scharoun unter der Leitung von Herbert von Karajan und berühmter auswärtiger Dirigenten fort. Neben den Aufführungen am Kemperplatz haben ruhmreiche Konzerte im In- und Auslande dazu beigetragen, den hohen und internationalen Ruf der Berliner Philharmoniker weiterhin zu festigen und zu fördern. Ein besonderer Abschnitt des Vortrages behandelte Fragen der Akustik, der Raumgestaltung Scharouns, die sich an Bauten und Raumgestaltung der Antike anlehnt, sowie andere mit der administrativen und künstlerischen Leitung eines Kulturinstituts von der Größe und Bedeutung der Berliner Philharmonie zusammenhängende Fragen. Herr Dr. Stresemann dankte neben dem Senat dem Verein der Freunde der Berliner Philharmonie, der im Laufe der Jahre über 2 Millionen DM aufgebracht und damit die ersten finanziellen Voraussetzungen für das Werk geschaffen habe. Worte der Anerkennung galten auch den Sachverständigen wie u. a. Prof. Dr.Ing. Lothar Krämer für die Beratung in akustischen Fragen, Prof. Fritz Winkel für musikalische und technische Beratung, neben anderen verdienten Förderern wie Präsident Gleimius, Prof. Tiburtius und andere mehr. Dem Vortrag folgte ein Rundgang durch den Bau für die „Unentwegten", um das sich stets verändernde Bild des weiten Raumes in sich aufzunehmen. Der Vorsitzende Prof. Hoffmann-Axthelm dankte unter großem Beifall der Besucher, unter denen sich noch Besucher der Konzerte unter Nikisch und Furtwängler befanden, für die eindrucksvollen Ausführungen. Bullemer Nachrichten Am 3. Mai wird Deutschlands erster und populärster Rundfunksprecher Alfred Braun seinen 80. Geburtstag feiern. Der Verein für die Geschichte Berlins, dessen begeistertes Mitglied er ist, dem er sich nie versagt hat, wenn die Bitte um Mitarbeit an ihm erging, beglückwünscht diese vitale urberliner Persönlichkeit von ganzem Herzen. Am 28. Februar 1968 starb in Berlin im Alter von 86 Jahren unser Mitglied Oberbürgermeister a . D . Dr. Hans Lohmeyer. Dr. Lohmeyer war von 1914-1919 Syndikus und Stadtrat in der damals noch selbständigen Stadt Schöneberg vor der Eingemeindung in Berlin. Im Jahre 1919 wurde er zum Oberbürgermeister von Königsberg (Ostpreußen) gewählt. Seit 1951 war er Vorsitzender des Vereins für Kommunalwissenschaften und später bis 1963 Leiter der Berliner Vertretung des Deutschen Städtetages mit dem Sitz im Ernst-Reuter-Haus in Berlin. Der Verstorbene hat in früheren Jahren an den Arbeiten des Vereins, dem er nach Wiederaufnahme der Vereinstätigkeit beitrat, regen Anteil genommen. In seinen Vorträgen behandelte Dr. Lohmeyer vorwiegend kommunalpolitische Fragen. 159 Aus Anlaß der Obergabe der von Hugo Lederer geschaffenen Nikischbüste - ein Geschenk der Berliner Bank - hatte der Senator für Wissenschaft und Kunst zu einer Gedenkstunde am 25. Februar d. J. in das Südfoyer der Philharmonie am Kemperplatz eingeladen. Nach Begrüßung durch den Intendanten, Herrn Dr. Wolfgang Stresemann, und Ansprache des Vorstandsmitgliedes der Berliner Bank, Dr. Jakob Kehren, dankte der Vertreter des Senators für Wissenschaft und Kunst, Regierungsdirektor Dr. Kanter, namens des Landes Berlin und der Philharmonie für das Geschenk. In einem anschließenden Vortrag über das Thema „Die Ära Nikisch" würdigte Dr. Peter Wackernagel die Verdienste von Arthur Nikisch als Dirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters in den Jahren 1895-1922. Der Vortragende bezeichnete in seinen Ausführungen die „Ära Nikisch" als eine für die Philharmoniker besonders glückliche Zeit. Sätze von Beethoven und Schumann, gespielt vom Westphal-Quartett bildeten die musikalische Umrahmung der Gedenkstunde. K. Bu. Das vorliegende Heft 12 der „Mitteilungen" erscheint erstmalig in der Haude & Spenerschen Verlagsbuchhandlung, der der Verein, wie früher dem Verlag E. S. Mittler & Sohn, auf Grund eines Vorstandsbeschlusses den Verlag unseres Blattes anvertraut hat. Die Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung ist bei weitem die älteste der in Berlin bestehenden, die drittälteste Deutschlands. Sie verdankt ihr Entstehen dem im 17. Jahrhundert das Geisteslebens Berlins beherrschenden Gegensatz zwischen Lutheranern und Reformierten. Da der älteste Berliner „Buchführer" Hans Werner sich geweigert hatte, calvinistische Streitschriften zu verlegen, erteilte der reformierte Kurfürst Johann Sigismund 1614 seinen „lieben und getreuen Hansen und Samueln, den Kallen gebrüdern" das Privileg zum Verlag und Vertrieb vor allem religiöser Schriften. 1659 verkaufte Hans Kalle das Geschäft an seinen Gehilfen Rupert Völcker, unter dem ein erster Aufschwung eintrat. 1697 folgte sein Sohn, dann von 1700-1723 Johann Christoph Papen, der in Schwierigkeiten geriet und die Firma 1723 an Ambrosius Haude verkaufte. Haude, der sich der besonderen Gunst Friedrichs des Großen erfreute, führte die Firma einer ersten Blütezeit entgegen. Ab 1740 gab er die „Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen" heraus, auch erhielt er 1744 das alleinige Verlagsrecht der Veröffentlichungen der Akademie der Wissenschaften. Nach seinem Tode 1748 übernahm sein Schwager Johann Carl Spener den Verlag, der damit den heutigen Namen annahm. Dessen Sohn, Johann Carl Philipp Spener, eine der bedeutendsten deutschen Verlegerpersönlichkeiten, führte von 1772-1826 die von ihm selbst redigierte Zeitung auf ihren Höhepunkt, auch gliederte er der Firma eine leistungsfähige, erstmalig maschinell arbeitende Druckerei ein. In der zweiten Jahrhunderthälfte, genauer 1864, erzielte der damalige Inhaber Friedrich Weidling mit Georg Büchmanns „Geflügelten Worten" den größten, auch heute noch andauernden Verlagserfolg. In der Endphase des zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude des Verlages, der sich inzwischen ganz unter das Signum des Dritten Reiches gestellt hatte, durch Artilleriebeschuß zerstört. Damit erlosch die Verlagstätigkeit, bis 1958 der jetzige Inhaber, unser Vereinsmitglied Axel W. Bluhm, einen neuen Anfang wagte. Ho-Ax Die Jahreshauptversammlung des Vereins findet am Mittwoch, dem 23. April 1968, um 19.30 im Ratskeller Schöneberg (nicht Vortragssaal) statt. Es wird gebeten, den Termin vorzumerken. Buchbesprechun gen W. M. Frhr. v. Bissing: Friedrich Wilhelm II. König von Preußen. Ein Lebensbild. Berlin: Duncker und Humblot 1967. 187 Seiten DM 26,60. Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, das allgemein ungünstig beurteilte Lebensbild dieses preußischen Königs zu korrigieren und zugleich eine eingehende Darstellung seines Lebens zu geben, die bisher in dieser Vollständigkeit nicht vorlag. Alle erreichbaren handschriftlichen und gedruckten Quellen sind dabei durchgearbeitet worden, wenn auch das im Archiv in Merseburg lagernde Material nicht zugänglich war. Ein Literaturverzeichnis ist angefügt. Sehr ausführlich wird das Leben des Prinzen und Königs gezeichnet, die wenigen Vorzüge ebenso hervorhebend wie die Schwächen und Unzulänglichkeiten, die ihm anhafteten. Dabei wird manches erhellt, womit der Prinz von Jugend auf belastet war, das ungünstige Milieu seines Elternhauses, die dort herrschende Sittenlosigkeit und dazu die psychologisch ungeeignete Behandlung, die ihm durch seinen Onkel Friedrich den Großen zuteil wurde. Ein Aufenthalt im Paris Ludwigs XV. konnte ihm schwerlich nützliche Eindrücke vermitteln. Sein Interesse 160 lag im Musischen, bei der Musik, insbesondere dem Cellospiel und der Kunst. Als Friedrich der Große ihm befahl, die Prinzessin Friederike von Hessen - Darmstadt zu heiraten, wagte er zwar nicht zu widersprechen, schrieb ihm jedoch: „Aber es ist nicht leicht einer Person einen Heiratsantrag zu machen, die man nicht gesehen hat", zumal diese nach Ansicht des Ministers Graf Schulenburg „weder hübsch, noch geistreich, noch wohlhabend" war und von Ludwig von der Marwitz als ein „unangenehmes Frauenzimmer, von niemandem geliebt" bezeichnet wird. Desto mehr fühlte sich Friedrich Wilhelm an seine Jugendfreundin Wilhelmine Encke, die spätere Gräfin Lichtenau, gebunden. Seine Liebe zu ihr war sichtlich ehrlich. Nicht ohne Eindruck ist, wie der Prinz sich um die Bildung des Mädchens bemüht, ihr Unterricht erteilt und mit ihr sogar Homer, Virgil und Shakespeare liest. Nicht minder liebte er seinen Sohn mit Wilhelmine, den jungen, früh verstorbenen Grafen von der Mark, dem er durch Schadow das künstlerisch bedeutsame Grabmal in der Dorotheenstädtischen Kirche setzen ließ. Wenig später ließ er durch Langhans das Brandenburger Tor errichten, wie auch so manche prominente Baudenkmäler Berlins und Potsdams seiner Initiative in den 11 Jahren seiner Regierung ihre Entstehung verdanken. Sein geringes Interesse für die Staatsgeschäfte und sein Lebenswandel ließen freilich schon seinen Onkel an der Fähigkeit des Neffen zum Regieren zweifeln. 1776 schreibt er: „cet animal est incorrigible." Kaiser Leopold II. spricht nach der Zusammenkunft mit Friedrich Wilhelm II. in Pillnitz 1791 von ihm als einer „ungeheueren Fleischmaschine", die „großen Mangel an Kenntnis der Geschäfte handgreiflich zeigt". Und selbst Freiherr von Bissing faßt am Schluß seiner Betrachtungen sein Urteil dahin zusammen: „Friedrich Wilhelm II. war ein König seiner Zeit ohne geistige und seelische Größe, ohne Genialität und harten Willen, aber ehrlich bestrebt, das Beste zu leisten, gerecht zu sein und sein Volk glücklich zu machen." Und darin wird man dem Verfasser zustimmen können, der mit diesem Buche eine gewaltige Arbeitsleistung vollbracht hat. / . Lachmann Erhard Ingwersen: Standbilder in Berlin. Berlinische Reminiszenzen Band 16. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Berlin. 1967. 107 Seiten, 55 Abb., 9,80 DM. Endlich, nach 62 Jahren, ist wieder ein Buch über Berliner Denkmäler auf dem Markt. So lange war Müller-Bohns „Die Denkmäler Berlins in Wort und Bild" das Standardwerk und ist es noch heute. Erhard Ingwersens Buch „Standbilder in Berlin" bringt nur die fünfundfünfzig in Ost- und Westberlin erhaltenen ganzfigurigen Stand- und Reiterbilder. Die Büsten, Reliefs, Denkmäler symbolischer Art und Schmuckstandbilder fehlen. Alle Denkmäler sind in ausgezeichneten, meistens vom Verfasser selbst aufgenommenen Fotografien in sauberem Druck wiedergegeben. Der Text hingegen erfüllt nicht alle Wünsche - zumindest nicht die der Denkmalsfreunde. Er bringt zwar manches über die dargestellten Persönlichkeiten, aber er informiert nicht über die Denkmäler. Wenn auch das Vorwort betont, daß das Thema keine kunstkritische Betrachtung sein wolle, sondern eine heimatgeschichtliche Monographie, so hätte doch vieles genauer sein können, denn auch ein volkstümliches Buch verträgt das! So schrieb sich z.B. der Bildhauer Schieveibein mit v und nicht mit f (S. 75 und 102). Die Statuen Blüchers, Gneisenaus und Yorcks stehen nicht wieder am alten Platz (S. 71), sondern weit von der Straße entfernt vor dem Magazingebäude der Staatsoper. Die halbrunde Terrasse für das Jahndenkmal wurde erst 1936 gebaut und das Standbild dort aufgestellt, vorher stand es weit näher zur Straße hin. Das Denkmal Waldecks (S. 82) kam schon 1937 nach Reinickendorf, ebenso wie die Denkmäler Helmholtz' und Mommsens 1936 an ihren jetzigen Standort versetzt wurden (S. 86). Die Nebenfiguren der Denkmäler Lessings, Martin Luthers und Schulze-Delitzsch' sind nicht von Buntmetalldieben entwendet bzw. durch Kriegseinwirkung zerstört, sondern wurden zusammen mit fast zweihundert anderen Denkmälern oder Denkmalsteilen in den Jahren 1943/44 ,der Kriegsmetallreserve' zugeführt, d. h. eingeschmolzen. Auch die erhobene rechte Hand Albrechts des Bären wurde nicht durch Kriegseinwirkung, sondern erst beim Transport zur Spandauer Zitadelle abgebrochen (S. 84). Der Bronzeabguß vom Reiterstandbild des Großen Kurfürsten wurde nicht 1896 enthüllt (S. 103), er wurde bei der Eröffnung des KaiserFriedrich-Museums am 18. 10. 1904 als Ausstellungsobjekt mit übergeben. Theodor Fontanes Denkmal hat nie seinen Platz gewechselt, aber die Stülerstraße (S. 95) ihren Namen in Tiergartenstraße (1939). Die Karlstraße und den Karlplatz (S. 77 und 97) wird man heute vergeblich suchen, sie tragen seit dem 1. 10. 1947 den Namen Max Reinhardts. In der Berliner Nikolaikirche und nicht, wie auf Seite 80 erzählt wird, ,in der überfüllten Domkirche in Berlin' wurde am 2. 11. 1539 Rat und Bürgerschaft das Abendmahl in beiderlei Gestalt gereicht und damit der Übertritt zur neuen Lehre vollzogen. Zuletzt soll noch ergänzt werden, daß es in Berlin nicht nur fünf (S. 90), sondern ohne Büsten, Reliefs u. ä. mitzuzählen, mindestens 21 öffentliche Standbilder Kaiser Wilhelms I. gab. Davon sind mit Sicherheit fünfzehn nicht mehr erhalten. Wie schon am Anfang gesagt, liegt die Stärke dieses Buches in den Abbildungen. Deshalb hoffen wir auf weitere Beiträge zum Thema Denkmäler. Hans-Werner Klünner 161 Alfred Mühr: Rund um den Gendarmenmarkt. Von Iffland bis Gründgens. Zweihundert Jahre musisches Berlin. Oldenburg: Gerhard Stalling Verlag 1965. 400 Seiten mit sehr zahlreichen Abbildungen. 2 8 , - DM. Es ist ganz besonders zu begrüßen, daß sich Alfred Mühr dieser großen Aufgabe unterzogen hat, die Geschichte des Schauspielhauses am Berliner Gendarmenmarkt zu schreiben. Durch seine Wirksamkeit als Schauspieldirektor und stellvertretender Generalintendant dieses Theaters im letzten Jahrzehnt des Hauses und als bester Kenner der historischen Unterlagen war er geradezu dafür prädestiniert. Dieses so unterhaltsam geschriebene Werk führt den Leser durch die zwei Jahrhunderte eines der bedeutendsten deutschen Theater, das am schönsten Platz des alten Berlin gelegen war. Beginnend mit dem zwischen dem Französischen und Deutschen Dom auf dem Gendarmenmarkt gelegenen Pferdestall unter Friedrich Wilhelm I., als der Athlet Eckenberg als „Hofschauspieler" mit seiner, mehr Artisten als Komödianten zählenden Truppe auftrat, wird die Gründung des Theaters durch Friedrich den Großen eingehend geschildert. Der große künstlerische Aufstieg dieser Bühne setzte ein, als August Wilhelm Iffland aus Mannheim von Friedrich Wilhelm II. als Direktor an die Spitze des Theaters im Jahre 1796 berufen wurde. Alle großen Künstlernamen erscheinen hier wie Fleck, Franz Brockemann, verschiedene Primadonnen, Ludwig Devrient, der Freund von E. T. A. Hoffmann, Seydelmann, Spontini und Carl Maria v. Weber. Mit seinem „Freischütz" fand die feierliche Einweihung des Schinkelbaues, dieses architektonisch schönsten Berliner Theaters, 1821 statt. Auf die Zeit des „Königlichen Schauspielhauses" mit seinem mehr traditionsgebundenen Repertoire folgte in der Weimarer Zeit die Ära Leopold Jessner und schließlich die Ära Gustaf Gründgens. Alle bedeutenden Schauspieler treten auf, ob Adalbert Matkowsky oder Friedrich Kayssler, Werner Krauss oder Paul Hartmann, Heinrich George, Lothar Müthel und Viktor de Kowa, Hermine Körner und Maria Koppenhöfer sowie Tilla Durieux, um nur einige zu nennen. Besonders ausführlich wird die letzte Periode behandelt mit dem großen Regisseur Jürgen Fehling und vor allem Gustaf Gründgens, der den Verfasser in seine Position berufen hatte und mit dem er das letzte Jahrzehnt bis zum Zusammenbruch gearbeitet hatte. In sichtlicher Verehrung geleitet Mühr dessen Lebensweg bis zu seinem plötzlichen Ende in Manila. Wenn auch für den Verfasser freilich somit ein Hauptakzent seiner eingehenden Darstellung auf der von ihm selbst miterlebten letzten Epoche liegt, so gibt das Ganze doch einen allumfassenden Überblick über die Geschichte dieses, neben dem Opernhause, prominentesten Berliner Theaters. Ein großer verdienstvoller Wurf, für den man Alfred Mühr nur dankbar sein kann und der seine Bedeutung in der Theatergeschichte Berlins behalten wird. / . Lachmann Zwischen Elbe und Kurischem Haff. Vergangenheit und Gegenwart. „Eine Bücherschau" heißt der Titel eines 64 Seiten umfassenden Kataloges mit über 600 Buchtiteln der Versandund Antiquariatsbuchhandlung Robert Fricke in Berlin 12 (Charlottenburg). Wenn es auch nicht üblich ist, Buchhandlungskataloge zu rezensieren, so stellt doch diese bibliographische Arbeit eine Fundgrube dar. Hingewiesen sei hier vornehmlich auf die Seiten 16-32 mit Berlin- und Brandenburg-Literatur. / . Lachmann Der Bär von Berlin Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins. 17. Folge — 1968. Herausgegeben von Bruno H a r m s f u n d W a l t h e r G. Oschilewski. a r a n i - V e r l a g s - G m b H , Berlin 33 (Grunewald). Preis D M 9,80 Beiträge: Dr. Gerhard Kutzsdi: Der Staat und die Stadt Berlin. Skizzierung ihres Verhältnisses zueinander im 19. Jahrhundert. Dr. Monty Jacobs f: Heimstätten der Berliner Posse. Aus einem nachgelassenen Manuskript. Dr. Joachim Kühn: Aus der Preußischen Hofgesellschaft der Biedermeierzeit. Briefe aus dem Familienkreis des kgl. Flügeladjutanten Oberst von Below. Erich Borkenhagen: Das Bier im alten Berlin (von der Frühzeit bis zur Gegenwart). Bibliographie zur Geschichte Berlins für ein Jahr 1966/67 Bearbeitet von Dr. Joachim Lachmann (Gesamtredaktion), cand. phil. Ursula Mielke (Bildende Kunst) und Werner Pasewaldt (Wirtschaft). Karl Bullemer: Aus der Tätigkeit des Vereins im Berichtszeitraum 1967. Walther G. Oschilewski: In memoriam Bruno Harms. 162 Im I. Vierteljahr 1968 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Anneliese Anderson, Sekretärin Berlin 47, Severingstr. 39; Tel. 6 Ol 25 69 (H. Hofmann) Liselott Gründahl, Angestellte Berlin 31, Hektorstr. 15; Tel. 8 87 28 06 (Vorsitzender) Eberhard Perthel, Buchdruckereibesitzer Berlin 19, Kaiserdamm 98; Tel. 3 02 24 89 (Schatzmeister) Berlinische Reminiszenzen Eine Buchreihe für die Freunde Berlins - 19 Bände liegen vor. Zuletzt erschienen: Erhard Ingwersen Standbilder in Berlin Hellmut Kotschenreuther Kleine Geschichte Berlins Adelheid Rintelen, Gewerbelehrerin Berlin 46, Reginenweg 16; Tel. 7 74 16 16 (Vorsitzender) Thorsten Müller Berlins Ehrenbürger Axel Bluhm, Verleger (Haude & Spener) Berlin 38, Terrassenstr. 55; Tel. 84 28 48 (Vorsitzender) Georg Zivier Berlin und der Tanz Eberhard Schönknecht, Steueroberinspektor Berlin 42, Gerdsmeyerweg 6 A; Tel. 7 01 56 86 (A. W. Bluhm) Werner Obigt, Photographenmeister i. R. Berlin 45, Limonenstr. 24 A (H. Hofmann) Jeder Band etwa 100 Seiten, mit Abbildungen, D M 9,80 Vollständiges Verzeichnis bei Ihrem Buchhändler oder direkt vom Verlag. Arthur Walther, Bankkaufmann Berlin 28, Dianastr. 26 (Dr. Schultze-Seemann) Annemarie Neitzel Berlin 33, Sulzaer Str. 19; Tel. 89 36 60 (Frau Doht) Hans Schiller, Rentner Berlin 10, Cauerstr. 26; Tel. 3 01 41 23 (K. Grave) Ellen Brast, kaufm. Angestellte Berlin 41, Albestr. 10; Tel. 83 21 17 (H. Hofmann) Verein Berliner Kaufleute u. Industrieller e.V. (F. M. Tübke) Berlin 19, Hessenallee 12; Tel. 18 60 31 (Schriftführer) Peter Brueckner, Oberlandwirtschaftsrat a. D. Berlin 30, Landshuter Str. 2; Tel. 2 1146 64 (H. Hofmann) Dr. Kurt Haußmann, Oberregierungsrat a. D. Berlin 38, Spanische Allee 27; Tel. 84 29 77 (H. Hofmann) Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister Berlin 62, Rathaus (Vorsitzender) Charlotte Nydahl Berlin 33, Meisenstr. 19; Tel. 76 71 72 (W. Rieck) Unvergessenes Berlin Ein dreisprachiger Bildband (deutsch, englisch, französisch) über das alte, unzerstörte Berlin. 78 Fotos auf 60 Seiten Kunstdruckpapier, 16 Seiten Text, Bilderläuterungen von Erich Bohl, Leinen D M 16,80 H HAUDE & SPENERSCHE Verlagsbuchhandlung GmbH. Gegründet 1614 Berlin 12 163 Eingeführt Wilhelm Mann, Reg.-Amtmann a. D. Berlin 31, Nassauische Straße 3; Tel. 86 17 95 Kurt Kupey, Oberstlt. a. D. Berlin 45, Ostpreußendamm 136; Tel. 7 73 15 36 Karl Draegert, Direktor Berlin 33, Bitterstraße 27; Tel. 76 02 23 Irmgard Büchsenschütz Berlin 41, Johanna-Stegen-Straße 20; Tel. 72 18 39 Rolf Pfeiffer, Steuerbevollmächtigter Berlin 41, Albrechtstraße 59 B; Tel. 7 96 44 96 Rita Nitsch Berlin 61, Oranienstraße 132; Tel. 61 59 94 Volker Nitsch, Pfarrer Berlin 61, Oranienstraße 132; Tel. 61 59 94 Dr. Joachim Härtel, Apotheker Berlin 47, Neuköllner Straße 208/10; Tel. 6 01 95 31 Walter Schaefer, Oberkreisdirektor 3352 Einbeck, Domeierstraße I I a ; Tel. 710 Gerhard Krienke, Oberlehrer 7297 Ehlenbogen, Schulhaus Anschriftenänderung: durch: (H. Hofmann) (Schriftführer) (E. Borkenhagen) (Dr. Pappenheim) (Schriftführer) (Frau Dr. Hoffmann-Axthelm) (Frau Dr. Hoffmann-Axthelm) (Vorsitzender) (Vorsitzender) Dr. med. Thomas, Berlin 30, Martin-Luther-Straße 32. Der Vorstand bittet, Adressenänderungen sofort mitteilen zu wollen. Veranstaltungen im II. Vierteljahr 1968 1. Dienstag, 9. April, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Superintendenten Dr. Julius Rieger „Die Entwicklung der ev. Theologie in Berlin von der Reformation bis Schleiermacher". 2. Sonnabend, 20. April, 11.00 Uhr, Besichtigung ausgewählter Bestände des Landesarchivs Berlin, 1 Berlin 12, Straße des 7. Juni 112 (Ernst-Reuter-Haus). Einführung durch Herrn Archivdirektor Dr. Gerhard Kutzsch. 3. Dienstag, 23. April, 19.30 Uhr, ordentliche Mitgliederversammlung im Ratskeller Schöneberg, Saal 1. 4. Sonntag, 12. Mai, 9.30 Uhr, Treffen vor dem Rathaus Neukölln zum „Rundgang durch das alte Rixdorf" unter Leitung des Bezirksheimatpflegers Herrn Wilhelm* Schmidt (Heimatmuseum Neukölln, Böhmisches Dorf, Brüdergemeine, Richardplatz, Böhmischer Gottesacker), anschließend Mittagessen im „Rixdorfer Krug" (Rinder- oder Schweinebraten 4,80 DM). 5. Sonnabend, 18. Mai, 15.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Irmgard Wirth durch die „Begas-Ausstellung" des Berlin-Museums, 1 Berlin 30, Stauffenbergstr. 41. 6. Mittwoch, 22. Mai, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Direktors des Hugenottenmuseums Herrn Jean de Pablo „Die Rolle der französischen Kolonie in der Berliner Gelehrtenrepublik im 18. Jahrhundert". 7. Dienstag, 11. Juni, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm „Zur Entwicklung des Berliner Krankenhauswesens". 8. Donnerstag, 20. Juni, 15.00 Uhr, Besichtigung des Universitäts-Klinikums. Treffen am Modell im Vestibül des Schwesternwohnhauses, 1 Berlin 45, Klingsorstr. 95 a. Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. Freitag, 19. April, 31. Mai und 28. Juni zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Beilagenhinweis: Diesem Heft ist ein Prospekt der Haude & Spenersdien Verlagsbuchhandlung als Beilage beigefügt. Die Mineilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt. Den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30 Rot* :hek Fachabt. dW Beriir.erStadtbibhoth«! MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 64.Jahrg.Nr.13 1. Juli 1968 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 698 6791 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-AUee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 Das Berliner Concerthaus Von D r . Wolfgang Medding f (Fortsetzung und Schluß) Im Jahre 1882 kam es zwischen Bilse und seinen Musikern zu einem ernsthaften Konflikt. Die strenge Disziplin, die der Dirigent zur Durchführung seiner Konzerte für notwendig hielt, wohl auch die schlechte Bezahlung der Musiker, verbunden mit einer finanziellen Krise des Konzerthauses führten zu einer Rebellion der Orchester- f i i t i t i HUbbiitp, Bcfitjcc i>es (ioncert •• ßaufcs. «3. gilO, Mitglieder und schließlich zur Entlassung von 54 der besten, von Bilse selbst in jahrelanger Arbeit geschulten Musiker. Diese 54 Männer schlössen sich zusammen, „verpflichteten sich durch notariellen Akt zum gegenseitigen unverbrüchlichen Zusammenhalten" und gründeten ihr eigenes Orchester. Den Wiener Geiger Professor Ludwig von Brenner 165 wählten sie zu ihrem ersten Dirigenten. Am 17. Oktober 1882 fand in dem später als (alte) „Philharmonie" bezeichneten Hause der ehemaligen Rollschuhbahn (CentralSkating-Rink) ihr erstes Konzert unter Leitung von Prof. von Brenner statt. Stolz nannten sie sich „Philharmonisches Orchester (vormals Bilse'sche Kapelle)". Einige Zeit danach wurde Hans von Bülow von den Philharmonikern zum Dirigenten gewählt, und vom 21. Oktober 1887 bis zum März 1893 leitete dieser das Orchester. Damit war das „Berliner Philharmonische Orchester", das in der Zukunft so große Bedeutung erlangen sollte, aus der Taufe gehoben. Benjamin Bilse aber mußte mit dem verbleibenden Rest seiner Kapelle als Grundstock sich ein neues Orchester aufbauen. Seiner Energie und Tatkraft gelang dies in kürzester Zeit. Schon am 12. Dezember 1882 konnte man unter seiner Leitung das Jubiläum des 3000sten Konzertes und zugleich des 15jährigen Bestehens des Konzerthauses feiern. Die „Conzerthaus-Zeitung", jahrelang herausgegeben von Otto Eisner, widmete aus diesem Anlaß Benjamin Bilse zusammen mit dem Leiter des Konzerthauses Franz Medding ein besonderes Festblatt mit den Porträts der beiden (siehe oben). Bei diesem Konzert wurde die Ouvertüre zum „Tannhäuser" von Richard Wagner, ferner Werke von Beethoven, Sarasate, Anton Rubinstein, Paganini und Liszt aufgeführt, und es schloß mit eigener Komposition von Bilse. Bilse hat während seiner 17jährigen Tätigkeit als Dirigent und Hofmusikdirektor am Konzerthaus vorwiegend in den Sommermonaten, in denen das Konzerthaus geschlossen war, mit seinem Orchester zahlreiche auswärtige Gastspiele, auch im Ausland, gegeben. Viermal wurde er für den Sommer unter glänzenden Bedingungen nach St. Petersburg berufen, wo er stürmisch gefeiert wurde. 1874 gab er auf Wunsch des Zaren Alexander II. ein Konzert vor der kaiserlichen Familie in der Sommerresidenz Zarskoje-Selo. Wiederholt gab er auch Gastspiele in Holland und Belgien sowie in zahlreichen deutschen Residenzen. 1872 berief ihn König Johann und 1876 König Albert von Sachsen zu Konzerten nach Schloß Piiinitz. Mit unverdrossenem Eifer war Bilse immer wieder bemüht, seine Kapelle zu einem immer vollkommeneren Werkzeug der Interpretation der größten Meisterwerke zu gestalten. Benjamin Bilse, der inzwischen fast 70 Jahre alt geworden war, schied mit dem 30. April 1885 aus seinem Vertragsverhältnis mit dem Konzerthaus aus. Sein Abschiedskonzert war das 3566ste Konzert, das er in diesem Hause dirigierte. Bei diesem Konzert wurden die Abschiedsworte seiner Verehrer und Freunde in Versen von dem Hofschauspieler Paul Dehnecke vorgetragen. Bilse kehrte in seine schlesische Heimat nach Liegnitz zurück, wo er seinen Lebensabend zu verbringen gedachte. Mit dem Besitzer des Konzerthauses verband ihn auch weiterhin eine enge Freundschaft, und er wurde auch fürderhin bei besonderen Anlässen zu Gastspielen nach Berlin gerufen. Nachfolger von Bilse wurde der kgl. Musikdirektor Hermann Mannsfeld aus Dresden, der das Orchester vom 1. Oktober 1885 bis zum 20. April 1886 leitete. Unter ihm fand am 4. November 1885 ein großes Wohltätigkeitskonzert zum Besten der Hinterbliebenen der Besatzung der untergegangenen Corvette „Augusta" in Gegenwart des Kaisers und des Kronprinzen Friedrich Wilhelm statt. Ein Prolog von Adolf Lasson wurde vom Hofschauspieler Weisse vorgetragen. Aufgeführt wurden der „Kaisermarsch" von Richard Wagner und Werke von Thomas, Chopin, Scharwenka, F. Hummel u. a. Am 3. März 1886 fand unter Mannsfelds Leitung ein Extra-Konzert mit chorischer Aufführung unter Mitwirkung der berühmten Sängerin Raffaela Pattini von 166 der Mailänder Scala statt, bei dem Werke von Klughardt, C. M. v. Weber, Thomas, H. Hoffmann und Martin Röder geboten wurden. Aber Mannsfeld besaß nicht die Energie und eiserne Gesundheit, die zu den täglichen Proben und Konzerten nötig war, trat daher im Frühjahr 1886 zurück, und es war nur der Ausdauer und Umsicht von Franz Medding zu danken, daß das Interesse des Publikums am Konzerthaus in dieser Zeit aufrechterhalten blieb. Als Nachfolger Mannsfelds wurde der aus Bayern stammende Kapellmeister Karl Meyder berufen. Im Gegensatz zu dem sehr sensiblen Mannsfeld verstand er es, sein aus zum großen Teil neu eingestellten 75 Musikern bestehendes Orchester mit Energie und Tatkraft zu leiten. Meyder wirkte schon in früher Jugend als Opernkapellmeister in verschiedenen Orten in Deutschland und später in Frankreich. Bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 wurde er aus Frankreich ausgewiesen und ging nach England, wo er im Theater „Royal Drury Lane" sechs Jahre und im „Covent Garden" zwei Jahre als erfolgreicher Dirigent wirkte. Dann leitete er acht Jahre lang die Konzerte des Herzogs von Devonshire in Buxton und fand hier Gelegenheit, mit den bedeutendsten Sängern und Instrumentalisten zu konzertieren. Im Herbst 1886 übernahm Karl Meyder die musikalische Leitung im Konzerthaus, und es begann wieder ein reges und wechselreiches Konzertleben. Sein vielseitiges Programm enthielt Sinfonie-, Gesellschafts-, Virtuosen- und Komponistenkonzerte, die in der obengezeichneten Reihenfolge wechselten. Dazwischen gaben die Geburts- und Sterbetage großer Meister, auch geistliche Musik an kirchlichen Feiertagen und die Gedenktage zu Ehren der verstorbenen Kaiser Anlaß zu besonderen Veranstaltungen. So gab Meyder am 22. März 1887 zum 90. Geburtstag des alten Kaisers im Berliner Kronprinzenpalais ein Hofkonzert, und am folgenden Vormittag führte er ebenda zu Ehren des in Berlin weilenden Prince of Wales eine musikalische Serenade auf. Meyder gelang es in kurzer Zeit, die gleiche Volkstümlichkeit und Beliebtheit beim Berliner Publikum zu erlangen, wie sie der Altmeister Bilse gehabt hatte. In seinen Opernabenden brachte Meyder manches verschollene Werk wieder in Erinnerung. Gerne ließ er auch andere Tonsetzer oder Dirigenten im Konzerthaus wirken. So leitete Professor Xaver Scharwenka acht Konzerte, und von jungen Komponisten ließ er 1887 Arthur Friedheim, Emil Hartmann, Gustav Schaper, Martin Roeder, Edwin Schultz, Ludwig Heidingsfeld und Gernheim eigene Werke dirigieren. Im Juli 1887 veranstaltete die Direktion ein Preisausschreiben für junge Komponisten mit Sinfonien, Melodramen und Orchestersuiten. Von den ca. 50 eingesandten Sinfonien gewann Georg Schumann aus Leipzig (* 1866), der spätere Leiter der Berliner Singakademie, den ersten Preis. Ferdinand Manns erhielt den zweiten und Joseph Dente den dritten Preis. Die Preise für die besten Orchestersuiten wurden den Komponisten Edler von Woss und Hutschenreuyter zuerkannt. Gleich in den Anfang seiner Dirigententätigkeit am 18. Dezember 1886 fiel das Gedächtniskonzert zum 100. Geburtstag von Carl Maria von Weher. Am 16. November 1887 gab das Konzerthaus sein 4000. Konzert. Aus diesem Anlaß war auch der Altmeister Bilse nach Berlin gekommen, und man sah die beiden Dirigenten Bilse und Meyder am Dirigentenpult vereint. Bilse wurde vom Publikum mit stürmischem Jubel empfangen. Einen Prolog, von Ferdinand Müller-Saalfeld verfaßt, sprach der Theaterdirektor Carl Friedrich Wittmann. Den ersten Teil des Konzertes bestritt Meyder mit der „Tannhäuser"-Overtüre. Es folgten Werke von Gounod, Haydn, Auszüge aus 167 „Lohengrin" und von Franz Liszt. Den zweiten Teil des Konzertes bestritt Bilse mit dem Vorspiel zum „Lohengrin" und Werken von Brahms, Beethoven, „Wotans Abschied und Feuerzauber" aus der „Walküre". Das Konzert schloß mit dem von Bilse komponierten „Hochzeitsreigen". Auch Arthur Nikisch, der später so berühmt gewordene Leiter des Philharmonischen Orchesters, dirigierte bereits 1888/89 als Dreiunddreißigjähriger das Meydersche Orchester im Konzerthaus und gab dort eine Reihe bedeutender Konzerte. An berühmten Dirigenten wirkten hier in den folgenden Jahren Fritz Steinbach aus Meiningen, Berthold Kellermann aus München, Carl Klingworth mit seiner Faust-Sinfonie und Georg Bloch. An Solisten traten in mehreren Konzerten die sächsische Kammersängerin Therese Malten und als Pianist Georg Schumann auf. Bei der Gedächtnisfeier für den verstorbenen Kaiser Friedrich III., (der ein großer Freund und häufiger Besucher des Konzerthauses gewesen war), wurden in Anwesenheit des Hofes und unter Stabführung von Karl Meyder u. a. geboten: das „Larghetto" von Mozart, das „Ave Maria" von Bach-Gounod, „Marcia funebre" aus der „Eroica" von Beethoven, der „Trauermarsch" von Chopin, das „Largo" von Händel, die Ouvertüre Leonore III von Beethoven und Werke von Schubert, Schumann und der „Kaisermarsch" von Richard Wagner. Die Programme wurden - wie auch später bei solchen Gelegenheiten - auf Seide gedruckt. Auch das Festkonzert zum 75. Geburtstag Bismarcks am 1. April 1890 unter Meyders Leitung wurde zu einem besonderen musikalischen Ereignis mit Werken von C. M. v. Weber, Richard Wagner, Schubert, Liszt u. a., und ein dem Kanzler gewidmetes Gedicht von Otto von Leixner, komponiert von Wilhelm Tappen, wurde von einem Sängerchor vorgetragen. Am 19. Oktober 1892 wurde das 5000. Konzert unter Meyders Leitung gegeben, und am 21. Dezember 1892 feierte man das 25jährige Jubiläum des Konzerthauses. Otto Eisner brachte hierzu ein künstlerisch gestaltetes Festblatt heraus. Bilse widmete Franz Medding und seiner Ehefrau eine „Jubiläums-Fanfare". Meyder komponierte einen beiden gewidmeten „Jubiläumsmarsch". Der Altmeister Bilse war auch wieder erschienen und dirigierte einen Teil des Konzertes. Am 4. März 1893 wurde hier die Silberhochzeit des Ehepaars Medding mit einem Konzert unter Meyders Leitung mit einem großen Kreise von Freunden und Verehrern gefeiert. Am 12. Dezember 1894 erlag Franz Medding im Alter von 59 Jahren einem Herzschlag. Bei der von Meyder geleiteten Gedächtnisfeier im Konzertsaal, zu der auch der jetzt 78jährige Altmeister Benjamin Bilse nach Berlin kam, hielt der Musikschriftsteller Wilhelm Tappert die Gedächtnisrede, und Mendelssohns „Es ist bestimmt in Gottes Rat", der Trauermarsch aus Wagners „Götterdämmerung", sowie Chor und Solovorträge wurden aufgeführt. Die Leitung des Konzerthauses übernahm nun die Witwe Marie Medding. Am 1. April 1895 feierte man den 80. Geburtstag des Altreichskanzlers Otto von Bismarck mit einem großen Festkonzert. Am 7. April 1897 fand das 6000. Konzert unter Leitung von Meyder statt. Wieder bestritten Beethoven, Wagner, Gounod und Grieg den Hauptteil des Konzerts, während Frau Selma Niclas-Kemptner Lieder vortrug. Am 1. Mai 1897 fand das Abschiedskonzert unter der Direktion von Frau Medding unter Leitung Meyders statt. Damit hatte eine Periode des Berliner Musik168 lebens ihr Ende gefunden, die charakteristisch war für die erste Kaiserzeit. Das Konzerthaus hatte damit seine historische Aufgabe erfüllt. Carl Meyder hat während seiner elfjährigen Dirigentenzeit am Konzerthaus in den Sommermonaten meist mit seinem Orchester die Kurkonzerte in Bad Kreuznach geleitet oder Gastspiele im Ausland (Philharmonie Hall in Liverpool) gegeben. Das Konzerthaus wurde im gleichen Jahr verpachtet und bestand noch zwei Jahre unter der Direktion von Adolf Hoffmann weiter. Die letzte Vorstellung fand am 23. April 1899 statt. Im Jahre 1900 wurde das Konzerthaus mit allen umliegenden Gebäuden von Hermann Tietz erworben, der es abreißen ließ und an seiner Stelle ein großes Warenhaus errichtete. Zum 100. Jahrestag der Gründung des Konzerthauses (21. September 1867) sei ein Auszug aus dem Festgedicht von Otto Eisner zur Feier des 10jährigen Bestehens £e ra „Stark gegründet stehn die Mauern, Schön geschmückt grüßt uns der Saal: Singt ein Hoch nun den Erbauern, Leert für sie den Festpokal! Heut ist ein Jahrzehnt vollendet, Reich an Freuden, reich an Mühn: Wenn sich ein Jahrhundert wendet, Mögen Enkel hier noch blühn." Nicht ohne Wehmut lesen die Enkel jener Generation diese Verse. Stehen auch die „stark gegründeten" Mauern schon seit langem nicht mehr, so empfinden wir es doch um so mehr als Verpflichtung, nach über hundert Jahren die Erinnerung an sie wachzurufen. Anmerkung der Schriftleitung: Franz Medding (1834-1894) und seine Gattin Marie, geb. Dehnecke (1844-1924), ruhen auf dem Kirchhof II der Jerusalems- und Neuen Kirche, Baruther Straße (Bez. Kreuzberg). Das gut erhaltene und umfriedete Wandgrab trägt die Verse: „Treu, opferwillig, allzeit ernst und unentwegt Hast Dreißig volle Jahre Du die Musik gepflegt, Schufst im Concerthaus ihr den festen Hort, Dein Name lebt als ihr Beschützer dauernd fort." Sie stehen, vor einer Lyra auf Lorbeerzweigen, auf einer kartuschenartigen Schriftrolle, die von einem geflügelten Genius gehalten wird, das Ganze eingefaßt von zwei Säulen aus Labrador mit korinthischen Kapitellen aus vergoldetem Zinkguß (die Basisverzierungen wurden Beute von Buntmetalldieben), darunter aus Sandstein ein Altartisch mit aufgeschlagener Bibel und auf dem Altartuch ein Kelch. Der Berliner Genremaler Curt A g t h e Zum 25. Todestage am 3. Juli 1968 Von F r a n z Berndal Am 3. Juli jährt sich zum 25sten Male der Todestag meines Onkels Curt Agthe, des bekannten Berliner Genremalers und Gemälderestaurators, der im fast vollendeten 81. Jahr in Berlin-Halensee, Johann-Georg-Straße 20, verstarb. Er hatte dort seit vielen Jahren seine Wohnung mit Atelier in Gemeinschaft mit seiner unverheirateten Schwester, meiner Tante Gertrud Agthe, und der Malerin Maria Jensen, die aus seiner Schule 169 hervorgegangen war. Vorher hatte Agthe 47 Jahre lang sein in Kunstkreisen als romantisch geschätztes Atelier in der Lützowstraße 60. Er wohnte damals im Hause meiner Großeltern Agthe in der Wilhelmstraße 11. Dieses Haus erwarb später Hugo Stinnes; es wurde im letzten Kriege durch Brand zerstört. Mein Onkel wurde am 28. Juli 1862 in Berlin als Sohn des Pianofortefabrikanten Oskar Agthe geboren. Er war ein Stiefvetter des bekannten Beckstein, stellte aber in der Werkstatt seines Hauses eigene Instrumente her. In den letzten Jahren hatte er die Vertretung der Fa. Steinway u. Sons. Namhafte Künstler übten und musizierten im Hause Agthe, u. a. Eugen D'Alhert, Busoni, Rubinstein und Elly Ney. Überhaupt war dieses Haus auch schon viele Jahre vor 1900 eine Pflegestätte der Musik-, Theaterwelt und Malerei. U. a. verkehrten dort meine Großeltern väterlicherseits - der ehemalige Kgl. Hofschauspieler Karl Gustav Berndal mit seiner Frau Johanna (ebenfalls Kgl. Hof Schauspielerin), die Kammersänger Fricke und Betz, der Maler Hans Schleich und Frau (Neffe des bekannten Arztes Carl Ludwig Schleich). Auch in der Bechsteinschen Villa in Erkner trafen diese Kreise zusammen. So konnte Agthes Vater seinem Sohne ein gediegenes Malstudium ermöglichen. Er vollendete es in den Jahren von 1880 bis 1887 an der Berliner Akademie, die damals noch Unter den Linden lag. Agthe studierte bei Anton von Werner, Paul Meyerheim und Hildebrandt in den verschiedenen Klassen mit Auszeichnung. Der „alte Menzel", dem Agthe seine ersten Arbeiten zeigte, sagte zu ihm: „Sie sind sehr talentvoll, junger Mann, sehr fleißig, und Sie werden's auch bestimmt zu 'was bringen!" - Agthe war in der Tat bis zum letzten Atemzuge unendlich fleißig als anerkannter Genremaler und als Bilderrestaurator. Er war Seniormitglied des Vereins Berliner Künstler. Auf Wunsch seiner Kollegen und Freunde, die an ihm seine Menschlichkeit, seine stete Hilfsbereitschaft und seinen ihm angeborenen Berliner Mutterwitz ungemein schätzten, gestaltete er in jungen Jahren die beliebten Berliner Künstler- und Atelierfeste beratend und schöpferisch mit. Agthe wirkte mit an den Mosaiken der Siegessäule, restaurierte die Wandbilder und Bildnisse im „Alten Berliner Rathaus", u. a. das berühmte Gemälde Anton von Werners „Der Berliner Kongreß", das den Festsaal schmückte. Ebenso restaurierte er die Wandund Deckengemälde des Ermeler-Hauses in der Breiten Straße 11, das vor einiger Zeit leider ein Opfer der Spitzhacke geworden ist. Noch im hohen Alter sah man meinen Onkel täglich auf der Leiter bei der Wiederherstellung der historischen Malereien im zerstörten Reichstag. Über 25 Jahre war Agthe Mitarbeiter von „Velhagen und Klasings-Monatsheften". Wer noch alte Jahrgänge davon besitzt, wird oftmals auf seinen Namen stoßen. Im Auftrage dieses Verlages unternahm er einige Studienreisen nach Italien. Noch später „erwanderte" er in wahrem Sinne dieses Wortes wohl 25 mal dieses malerische Land bis nach Sizilien. Bekannt und begehrt waren seine Motive von den Grotten Capris und von seinem geliebten Torbole am Gardasee. Ebenso heiß liebte mein Onkel aber auch seine heimatliche Mark Brandenburg und die damals noch so urwüchsige, sein Malerauge lockende Gegend von Zehlendorf-Mitte und Klein-Machnow mit dichtem Waldgebiet und Gestrüpp. Dorthin durfte ich ihn oft in den Schulferien zusammen mit meinem inzwischen im ersten Weltkrieg verstorbenen Vetter hinausbegleiten, wenn er mit seiner Malschule Studien betrieb. Agthe liebte alles, was an Schönheit Gottes Natur in Stille ihm darbot. So schuf er herrliche, waldidyllische Ölbilder vom Schwarzwald mit seinen einsam rauschenden Bächen und Gebirgsquellen. 170 An den mittelalterlichen kleinen Städten wie Rothenburg ob der Tauber, Marktbreit, Pappenheim oder Dinkelsbühl hing sein Malerherz, und gerade diese Gemälde zierten die Wände der alljährlichen Kunstausstellungen, der Sonder- und Jubiläumsausstellungen des Vereins Berliner Künstler, der Großen Berliner Kunstausstellungen (GROBEKA) im damaligen Moabiter Glaspalast am Lehrter Bahnhof, ebenso die sich wiederholenden Ausstellungen in München. Von gediegener, künstlerischer Fertigkeit zeugten seine feinsinnigen Interieurs, seine einprägsamen kleinen Ölbilder von Tier und Vogelstudien, oder seine charakteristischen zahlreichen Porträts und ebenso seine präzise durchgearbeiteten Ansichten winkliger Gassen und alter Patrizierhäuser. So gab ihm die Berliner berufene Kritik neben dem Lob der auswärtigen Kunstbetrachtungen das hohe Prädikat, daß seine Werke im besten Sinne die Tradition der Berliner Malerschule des 19. Jahrhunderts vertreten. Die Stadt Berlin kaufte zahlreiche Gemälde an, unter anderem „Mein Atelier" und „Der Golm" bei Potsdam. Im Jahre 1913 erhielt Agthe anläßlich der Jubiläumsausstellung der „GROBEKA" die Goldene Medaille und gleichzeitig eine zweite Goldmedaille auf der Weltausstellung in San Franzisko. Zu seinem 80. Geburtstage erhielt er später in Würdigung seiner Verdienste auf dem Gebiete der Akt- und Landschaftsmalerei die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft. Viele Schüler, für die er sich stets fördend einsetzte, gingen aus seiner Malerschule hervor. Zu seinen engeren Freunden gehörte der bekannte Maler Otto von Engel, der Tiermaler Kühnen, dessen Nachlaß er verfügungsgemäß ordnete, ferner Professor Seeck und der bekannte Stadtbaurat Hoffmann. Der ehemalige Generaldirektor der Museen Wilhelm von Bode zog meinen Onkel oft zu Restaurierungsarbeiten und Beurteilungen wertvollster Gemälde heran. Dies geschah auch vielfach von anderen öffentlichen Stellen. Am 28. Juli 1962 gedachte die Berliner Presse würdigend Agthes 100. Geburtstages. Ich selbst hielt auf Wunsch des Kunstamtes Kreuzberg aus meinen Jugenderinnerungen, der Familienchronik und den Besprechungen einen Vortrag über Leben und Schaffen meines Onkels. Leider sind im letzten Weltkriege die wertvollen Gemälde und Studien (fast 400 an der Zahl) - darunter auch die preisgekrönten Bilder - infolge der damaligen Evakuierungsmaßnahmen der Stadt Berlin auf verschiedene Schlösser Schlesiens verlagert worden und damit für die deutsche Kunst und für eine Gedächtnisausstellung zur Zeit nicht greifbar. Anschrift des Verfassers: Berlin 61, Hornstraße 23. 171 Herrn Professor Dr. Dr. Walter Ho ff mann-Axthelm zum 60. Geburtstag gewidmet (29. April 1968) Die Handschriften-Abteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Dahlem Von Hans-Joachim Mey Ein Hoffnungsblick tat sich für den am kulturellen Geschehen unserer Stadt Anteilnehmenden auf, als am 1. April 1962 die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Sammlung des seit Kriegsende verstreuten Kulturgutes ins Leben gerufen wurde. Die seither ins Land gegangene Zeit ist nicht ungenutzt geblieben: nicht nur haben die Räumlichkeiten des Dahlemer Museums durch die umfangreichen Ergänzungsbauten kürzlich ihren Abschluß gefunden, auch die neue Nationalgalerie am Kemperplatz, die künftig die Galerie des 20. Jahrhunderts aufnehmen wird, kann voraussichtlich in diesem Herbst ihrer Bestimmung übergeben werden. Ein erfreuliches und ermutigendes Bild also, das sich im Aufbau repräsentativer Kulturpflege in Berlin heute bietet. Indes hat nicht nur der Freund älterer und neuerer Kunst Grund zu solcher Genugtuung; auch der wissenschaftlich Interessierte und der dichterischen und literarischen Zeugnissen sich Zuwendende findet Anlaß, sich an den ersten greifbaren Ergebnissen zu freuen. So sind, nachdem der Grundstein für das Gebäude der „Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz" im vergangenen Herbst gelegt worden ist, über die Fundamente hinaus nunmehr die ersten Geschosse des Nordflügels im Rohbau aufgeführt. Die inneren und äußeren Dimensionen dieses imponierenden Bibliotheksvorhabens lassen Planer und Erbauer den Vergleich mit ähnlichen Einrichtungen früherer und neuerer Zeit nicht scheuen. Jedoch wird die Vollendung des hier Entstehenden trotz aller Tatkraft, mit der das Unternehmen vorangebracht wird, allen interessiert Anteilnehmenden noch einige Jahre Geduld abfordern. Die Frist bis zur Fertigstellung des neuen Bibliotheksgebäudes ist indessen mit internen Vorbereitungen auf die der Staatsbibliothek künftig zufallenden Aufgaben ausgefüllt. Sind die Bücherbestände aus Raumbeschränkung im Augenblick der Öffentlichkeit noch nicht zugänglich, so wird doch alles getan, um sie aus Marburg nach Berlin zu überführen und für die künftige Benutzung bereitzustellen. Doch schon heute sind dem interessierten Leser und Gelehrten die Schätze der Handschriften-Abteilung wieder zugänglich, auf deren Pflege und Vermehrung die Staatsbibliothek stets besondere Liebe und Sorgfalt gewendet hat. Die gastweise Unterbringung dieser Abteilung in den Räumen des Preußischen Geheimen Staatsarchivs in Dahlem bietet die Möglichkeit, vor allem die wertvollen Bestände mittelalterlicher Handschriften, die umfangreiche Sammlung der Wiegendrucke und die bedeutenden Bestände der Nachlässe und Autographen-Sammlungen aus den Depots in Tübingen und Marburg nach Berlin zurückzuführen und hier zu vereinigen. Der Lesesaal der Handschriftenabteilung erlaubt, diese Bestände dem wissenschaftlich interessierten Publikum zugänglich zu machen. Auch das Mendelssohn-Archiv und die Musikabteilung der Staatsbibliothek - beide der Handschriften-Abteilung angeschlossen und ebenfalls in Dahlem untergebracht — sind heute in der Lage, Kennern und wissenschaftlichen Besuchern Einblick in ihre Schätze zu gewähren. 172 Nicht allein die Erschließung des bisherigen Besitzes, auch seine Mehrung muß den Freund und Kenner solcher Kulturzeugnisse mit Freude erfüllen. Hierbei geht die Staatsbibliothek nicht nur von der kontinuierlichen Mehrung des ihr seit Kriegsende anvertrauten Grundbestandes aus, sondern berücksichtigt auch die in der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek Unter den Linden in reichem Maße erhaltenen Handschriftenschätze. Im Verlaufe dieser Bemühungen wurden in den letzten beiden Jahren fünf wertvolle Handschriften des 13. und 15. Jahrhunderts erworben. In diesen Erwerbungen kommt auf das sinnfälligste die spezifische Aufgabe der HandschriftenAbteilung - sammlungsgeschichtliche, kunstgeschichtliche und textgeschichtliche Werte zu sichern und der Forschung zugänglich zu machen - zum Ausdruck. Von gleichem Erfolg war das Bestreben gekrönt, den Besitz neuerer Handschriften zu ergänzen und zu erweitern. Da es auch hier das Ziel ist, den Benutzern möglichst vollständige Materialsammlungen zur Verfügung zu stellen, standen die Namen solcher Persönlichkeiten im Mittelpunkt, von denen die Bibliothek bereits umfangreiche Sammlungsbestände oder Nachlässe besitzt. Im Bereich der Nachlaßbestände bedeutender Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts war es möglich, Briefe und andere Dokumente von Alexander von Humboldt, Moltke, Ranke, Mommsen, Rauch, Schadow, Schinkel und anderen zu erwerben. Außerordentlich interessant sind darüber hinaus die Briefsammlungen Hugo von Tschudis, des einstigen Direktors der Berliner Nationalgalerie, und Theodor Fontanes. Eine an Umfang und Inhalt ebenso interessante Quellensammlung kam mit dem Briefnachlaß der Prinzessin Carolyne von Sayn-Wittgenstein an die Staatsbibliothek. Mit der Erwerbung dieser fast 3000 Briefe wurde eine in ihrer Zusammensetzung imponierende Sammlung aus der Welt des Theaters, der Musik, der Kunst und der Wissenschaft vor der Zerstreuung bewahrt. Von gleichem Interesse und Gewicht sind die Neuerwerbungen aus den Naturwissenschaften. Hier gelang es, schon Vorhandenem neue Briefe von Einstein, Planck, Broglie, Butenandt, Lise Meitner und anderen hinzuzufügen. Aber auch umfangreiche Nachlässe wie die des Naturphilosophen Felix Auerbach, des Mathematikers Bernhard Riemann, des Geographen ^4rno Winkler, des Historikers Kurt Breisig und des Philosophen Gerhard Lehmann stellen einen Erfolg der Bemühungen der Staatsbibliothek um die Sammlung handschriftlichen Quellenmaterials dar. Neben der Erschließung der eigenen Handschriftenbestände bemüht sich die Handschriften-Abteilung in einem besonderen Unternehmen darum, das in den deutschen Bibliotheken lagernde reiche Material an Autographen und Nachlässen katalogmäßig zentral zu erfassen und damit eine, Einrichtung zu schaffen, die dem Wissenschaftler Hinweise geben soll, an welchen Orten und Stellen einzelne Autographen oder größere Nachlaßbestände, die seiner Forschung dienen können, aufbewahrt werden. Die Zentralkartei der Autographen wird voraussichtlich mit dem Einzug in das neue Gebäude der Staatsbibliothek ihre Funktion in vollem Umfange aufnehmen können. So treten zu den traditionellen Aufgaben der Staatsbibliothek neue Formen und Inhalte ihrer Arbeit, wie sie durch die fortschreitende Ausweitung der Forschung in aller Welt notwendig werden. Anschrift des Verfassers: Berlin 38, Cimbernstraße 3. 173 Hans Diefenbachs Vermächtnis an Rosa Luxemburg Von D r . Joachim Lachmann Der aus Stuttgart stammende Medizinstudent Hans Diefenbach (geb. 1884) fand frühzeitig Fühlung mit dem Kreise um Familie Kautsky und Rosa Luxemburg (geb. 1870). Ihn zeichnete eine musikalische und literarische Bildung aus, als Mediziner zugleich auch eine „unübertreffliche Güte und Hilfsbereitschaft, aus der sein Bekenntnis zum Sozialismus und sein politisches Interesse entsprangen, und er kannte keine größere Freude, als daß er, der aus behaglichen materiellen Verhältnissen stammte, anderen helfen konnte". So charakterisiert ihn Benedikt Kautsky in seinem Buche: „Rosa Luxemburg. Briefe an Freunde, nach dem von Luise Kautsky fertiggestellten Manuskript." 1 Fand Diefenbach doch dafür in seiner ärztlichen Tätigkeit eine wesentliche Befriedigung. Er wurde ein häufiger Gast und Freund Rosa Luxemburgs. Ihre zahlreichen Briefe an ihn, vornehmlich aus den Jahren 1914 bis zu seinem an der Front erlittenen Tode 1917 spiegeln die enge geistige Freundschaft wider, die beide verband. Darin wird die Erinnerung an die geselligen Abende in ihrer Wohnung in der Lindenstraße 2 in Südende lebendig, wo Diefenbach Goethe und andere Werke der deutschen Literatur zur Vorlesung brachte. 2 Als er an der Westfront als Militärarzt wirkte und sich unterschiedslos Soldaten und Zivilisten widmete, verfaßte er kurz vor seinem frühen Tode - in Ausübung seines Dienstes traf den 33jährigen eine Granate tödlich in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober 1917 - seinen letzten Willen aus Domremy bei Charleville o. D. Er vermachte darin Rosa Luxemburg sein Vermögen in Höhe von 50 000 Mark, das er von seinem Vater geerbt hatte, jedoch mit einer einzigartigen Auflage, mit der die humanen und sozialen Eigenschaften der beiden besonders gekennzeichnet sind. Das Testament ist so charakteristisch, daß der Wortlaut für sich selbst spricht. Es fand sich in den im Landesarchiv Berlin verwahrten Nachlaßakten betreffend Rosa Luxemburg des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg. 3 Das Testament lautet: „Meiner Freundin Dr. Rosa Luxemburg, Berlin-Südende, Lindenstr. vermache ich 50 000 M jedoch mit einer Klausel: Die genannte Summe soll von irgend einer entsprechenden Instanz z. B. von meiner Schwester verwaltet und der Erbin der jährliche Zins bis zu ihrem Tode regelmäßig ausgezahlt werden. Ich treffe diese Bestimmung, da meine ausgezeichnete Freundin in der Privatökonomie vielleicht keine ganz so geniale Meisterin ist, wie in der National-Ökonomie. Ein impulsives Ausgeben der genannten Summe für irgend einen momentanen politischen Zweck läge nicht im Sinne meines Vaters, des Erwerbers dieses Geldes, als dessen bloßer Verwalter ich mich eigentlich nur fühle, nicht als dessen gemeiner Besitzer. Wohl aber bitte ich meine Freundin Rosa Luxemburg für den Fall ihres Ablebens eine Bestimmung zu treffen, wie die genannte Summe von 50 000 M als dann für unsere gemeinschaftlichen großen politisch-sozialen und philanthropischen Ideale zweckentsprechend verwendet werden sollen. Das Bestimmungsrecht hierüber soll ihr für ihr Testament vollkommen 1 Zürich, Büchergilde Gutenberg 1950, S. 16. Vorher wohnte sie in der Cranadistraße 58 in Sdiöneberg, dann Lindenstraße 2 in Südende (Bez. Steglitz), heute umbenannt in Biberacher Weg. 3 Rep. 50 Acc. 1014 nr. 5884 und 10065. 2 174 zustehen. D i e jährlich ausgezahlte Zinssumme bitte ich sie sorglich in meinem Sinne zu v e r w e n d e n u n d dabei v o r allem zu berücksichtigen, d a ß nicht bloß die Gemeinschaft unserer Ideen, sondern auch ihr eigenes körperliches Wohlergeben stets eine n a h e Herzensangelegenheit gewesen ist. Sie soll also die jährliche R e n t e nicht bloß, wie dies ihrem großartigen N a t ü r e l entspräche, für a n d e r e bedürftige Leute sondern in erster Linie für sich selbst v e r w e n d e n . gez H a n s Diefenbadl.« Leider k o n n t e Rosa Luxemburg infolge ihres frühen gewaltsamen, in der N a c h t v o m 16. z u m 17. J a n u a r 1919 erlittenen Todes die Erbschaft nicht mehr antreten. Erst einige J a h r e nach der Inflation, im J a h r e 1927, erzielten ihre Erben eine stark reduzierte Summe. N a c h d e m Rosa Luxemburg die Nachricht v o m T o d e ihres Freundes Diefenbadl erhalten h a t t e , w ü r d i g t e sie ihn in einem Kondolenzbrief an seine im Testament genannte Schwester Gretl m i t den W o r t e n : „ H a n s übertraf alle Menschen, die ich kenne, an innerer Noblesse, an Reinheit u n d G ü t e . D a s ist bei m i r nicht der übliche D r a n g , von einem Toten Gutes zu sagen." U n d sie fährt d a n n fort: „Ich habe zugleich den teuersten F r e u n d verloren, der wie kein anderer jede meiner Stimmungen, jede Empfindung v e r s t a n d u n d m i t e m p f a n d . I n der Musik, in der Malerei wie in der Literatur, die ihm, wie mir, Lebensluft w a r e n , h a t t e n w i r dieselben G ö t t e r und machten gemeinsame Entdeckungen." Anschrift des Verfassers: Berlin 41, Brentanostraße 35. Nachrichten Ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins am 23. April 1968 im Ratskeller Schöneberg. Der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm, eröffnete die Ordentliche Mitgliederversammlung um 20.00 Uhr. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedachte er der im abgelaufenen Geschäftsjahr verstorbenen Mitglieder Oberregierungsrat a. D. Walter Löffler, Magda Sommermeier, Prof. Dr. Helmuth Scheel, Bernhard Krösing, Ehrenmitglied Prof. Dr. Dr. Bruno Harms, Lucie Becher, Hertha Weinhold, Dr. Ing. e. h. Jacob Dichter, Georg Kramer, Oberbürgermeister a. D. Dr. Dr. h. c. Dr. e. h. Hans Lohmayer, Verleger Walter Titz und widmete ihnen einen ehrenden Nachruf. Zu Ehren der Verstorbenen erhob sich die Versammlung von ihren Plätzen. Der Tätigkeitsbericht war den Mitgliedern mit der Einladung zusammen zugeleitet worden. Die Zahl der Mitglieder beläuft sich auf 392. Nach Ansicht des Vorsitzenden sollte sie aber viel größer sein. Deswegen tut Werbung not, und jedes Mitglied müßte ein neues Mitglied gewinnen, um den Mitgliederstand zu erhöhen. Der Schatzmeister, Obermagistratsrat a. D. W. Miigel, erstattete den Kassenbericht für das abgelaufene Vereinsjahr, der Betreuer der Bibliothek Grave den Bibliotheksbericht. Er wies auf die Zunahme der Besucherzahl hin, und bedauerte, daß noch kein Haushaltstitel für die Bibliothek zur Verfügung stehe, und appellierte an die Mitglieder, entbehrliche Schriften aus der Zeit vor 1945 zu spenden, eventuell im Tausch gegen Drittexemplare. Der Vorsitzende bedauerte, daß der Vorstand die Bibliothek stiefmütterlich behandeln mußte, da die Mittel des Vereins durch die Herausgabe von Schriften in Anspruch genommen werden. Der Kassenprüfer D. Brozat berichtete über die zusammen mit Frau Koepke erfolgte Kassenprüfung, die die ordnungsgemäße Führung der Kasse ergab. Er bat um Entlastung des Schatzmeisters, die einmütig erfolgte. 4 w i e 1 ^ 134-35. 175 Bibliotheksprüfer Kärger hatte die Bibliothek zusammen mit Herrn Mey geprüft und bei den 15 % der auf Vollständigkeit überprüften Fälle keine Beanstandungen festgestellt. Die Entlastung erfolgte einstimmig. Bürgermeister a. D. Rieck wies auf andere Vereine mit ähnlichen Bestrebungen hin und fragte, warum so viele schwache Vereine zur Pflege der Historie bestehen. Er empfahl einen Zusammenschluß unter Verzicht auf unnötigen Ehrgeiz der Einzelvereine. Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm pflichtete ihm bei, erinnerte aber an die Psyche der Deutschen im Hinblick auf das Vereinsleben. Unser Verein habe bereits Versuche zur Annäherung unternommen, die aber wenig Gegenliebe fanden. Direktor i. R. Bullemer verwies auf die seit 1951 zu registrierenden Bestrebungen zur Koordinierung ähnlich strukturierter Vereine, betont aber deren andersartige Aufgaben. Dr. Haußmann vertritt angesichts der Größe Berlins die Auffassung, man solle die Dinge wachsen lassen und sich auf eine Koordination und einen Austausch der Veröffentlichungen beschränken. Bürgermeister a. D. Rieck machte sich zum Fürsprecher treuer Mitglieder, indem er bedauerte, daß die Vorträge zur Geschichte Berlins qualitativ nicht gleich wären. Es sollten Vorträge und keine Vorlesungen sein. Vorstandsmitglied Hofmann dankte Bürgermeister Rieck für seine Hinweise und bestätigte, daß zwei Vorträge aus dem vorletzten Jahr derart zu beanstanden waren. Solche Ereignisse ließen sich nicht verhindern. Der Vorsitzende pflichtete ihm bei und teilte mit, daß der Vorstand die Beanstandung zur Kenntnis nimmt. Dr. Haußmann beantragte die Entlastung mit einem Dank an den Vorstand. Alterspräsident Bürgermeister a. D. Rieck übernahm den Vorsitz. Bei Enthaltung des Vorstandes erfolgte die Entlastung einstimmig. Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm dankte für das dem Vorstand ausgesprochene Vertrauen. Der Vorsitzende teilte mit, daß der Schriftführer Direktor i. R. Karl Bullemer sein Amt aus Altersgründen niederlege, und daß der stellvertretende Schriftführer Chefredakteur Erich Borkenhagen, der ursprünglich sein Einverständnis zur Wahl zum Schriftführer erklärt hatte, dieses aus familiären Gründen zurückgezogen habe. Auf Vorschlag des Vorstandes werden Dr. Hans Günter Schultze-Berndt und Frau Ruth Koepke einstimmig zum Schriftführer bzw. stellvertretenden Schriftführer gewählt. In gleicher Weise ist die Wahl der Herren Dieter Brozat und Jürgen Grothe zu Kassenprüfern und der Bibliotheksprüfer Hans Joachim Mey und Helmut Kärger einmütig. Auf Vorschlag des Schatzmeisters bleibt der Beitrag in der bisherigen Höhe (monatlich DM 2,-, jährlich DM 24,-) bestehen. Ein Antrag des Mitglieds Albert Brauer (Anlage 7 zum Original der Niederschrift), der trotz Fristüberschreitung zugelassen wurde, plädierte für einen Familienbeitrag, der eine 50%ige Ermäßigung des Beitrages der Ehefrau vorsieht, der dafür die Mitteilungen und das Jahrbuch nicht zugeleitet werden sollen. Der weitergehende Vorschlag von Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm, das Jahrbuch nicht, wohl aber die Mitteilungen zur Verfügung zu stellen und der Ehefrau das Stimmrecht bei 50 % Ermäßigung des Mitgliedsbeitrages zu belassen, wird von der Versammlung mit einer Enthaltung gutgeheißen. Der Vorsitzende würdigte das Lebenswerk des Schriftführers, Direktor i. R. Karl Bullemer, der dem Verein seit über vierzig Jahren angehört und seit 1958 das Amt des Schriftführers mit Elan und Initiative verwaltet hat. Der Verein möchte seinen Dank für diese aufopferungsvolle Arbeit dadurch zum Ausdruck bringen, daß er dem bisherigen Schriftführer die Ehrenmitgliedschaft verleiht. Direktor Bullemer dankte tief bewegt für die hohe Auszeichnung und blickte auf die Jahre seit Juni 1926 zurück, da er die Mitgliedschaft des Vereins erwarb. Er betont die kameradschaftliche Zusammenarbeit innerhalb des Vorstandes und drückte seine Freude über das Wiederaufleben des Vereins aus. Die Wahl von Direktor Bullemer zum Ehrenmitglied erfolgt einstimmig. Anschließend dankte der Vorsitzende dem bisherigen stellvertretenden Schriftführer, Chefredakteur Erich Borkenhagen, für die großen Dienste, die er jahrelang dem Verein geleistet hat, besonders durch seine Verlagsverhandlungen im letzten Jahr. Weiter verwies der Vorsitzende darauf, daß der Archivwart des Vereins, Arthur Lessing, eines der ältesten Mitglieder, 1969 80 Jahre alt wird. Zur Vollendung seines 80. Lebensjahres sollte ihm die Ehrenmitgliedschaft angetragen werden. Dr. Pappenheim unterstützte diesen Vorschlag aus seiner Erfahrung und erwähnte die Verdienste, die sich der Archivwart um die Fusion der beiden Vereine von 1865 und von 1949 erworben hat. Gemeinsam mit dem abwesenden Vorstandsmitglied Kurt Pomplun, der ihn hierzu ermächtigt hat, spricht er sich aber dafür aus, die Ehrenmitgliedschaft möglichst schon jetzt zu verleihen. Auch die Herren H. W, Klünner und Obermagistratsrat a. D. Mügel plädieren für die sofortige Ernennung zum Ehrenmitglied. Der Antrag hierfür wird von der Mitgliederversammlung einmütig gebilligt. 176 Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm bat darum, Stühle für die Bibliothek zu stiften. Auch ein gebrauchter Kühlschrank fände dort nützliche Verwendung. Er wies auf die künftigen Veranstaltungen hin, besonders auf die Fahrt nach Einbeck und Umgebung vom 13.-15. September. Dr. Haußmann hob die Bedeutung der Zeitgeschichte hervor, wie sie sich gegenwärtig an Wirtschaftsproblernen, Zuständen in der Kirche usw. aufzeigt, und regte an, Material über diese Fragen zu sammeln, in die auch das Kongreßgeschehen Berlins einbezogen werden könnte. Dies führe sicher zu einer Verbreiterung des Interesses an der Vereinsarbeit, und es könnten unter Umständen Mittel für diese Zwecke bereitgestellt werden. Prof. Dr. Dr. HoffmannAxthelm dankte für die Anregung, die im Vorstand weiter besprochen werden wird. H. W. Klünner plädierte für einen langfristigen Veranstaltungsplan, z. B. zur Vorbereitung großer Gedenktage, etwa nach dem Beispiel des Fontane-Jahres. Der Vorsitzende bat ihn, entsprechende Daten zur Verfügung zu stellen. Das Mitglied Klaus P. Mader erinnerte an den Druck eines Mitgliederverzeichnisses. Der Vorsitzende dankte den Teilnehmern und schloß die Jahreshauptversammlung um 21.45 Uhr. Unser Mitglied, Frau Dr. Ilse Reicke, bringt in Kürze im „Europäischen Verlag", Wien, einen Gedichtband mit dem Titel: „Klang und Klage der Geschichte" in Leinen zum Preise von DM 5 , - heraus. - Vorbestellungen wären zu richten schriftlich an Frau Ruth Koepke, 1 Berlin 61, Mehringdamm 89, oder telefonisch unter Fernruf 66 07 91. Buchbesprechungen F. W. A. Bratring: Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg. Kritisch durchgesehene und verbesserte Neuausgabe von Otto Busch und Gerd Heinrich. Mit einer biographisch-bibliographischen Einführung und einer Obersichtskarte von Gerd Heinrich. Groß-Oktav. XLII, 116, 1508 Seiten. 1968. Ganzleinen DM 3 2 0 - ( = Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 22). Statistisch-topographisch - wie langweilig schon das Wort! Man hört Fontane über Berghaus, den jüngeren (1854-56) „Kollegen" Bratrings, wettern: „ . . . ein erbärmliches Buch... 2000 Seiten mit Stoff gefüllt, der in Akten, aber nicht in Bücher gehört; alles tot und ledern . . . vom RegistratorStandpunkt angesehen." So an Fr. Holtze d. Ä. am 10. 1. 1879. Das hat Bratring (1772-1829) vorausgeahnt - die Vorrede zum letzten seiner 3 Bände (1804-1809) schließt er mit der berufsgewohnten Bescheidung des „statistischen Topographen": „Der Dichter und Belletrist finden in ihrer Einbildungskraft Ressourcen für alle Fälle, der Geschichtsschreiber und Statistiker hingegen sind an tote Materialien gefesselt, — nur mit dem Unterschiede, daß jener ihnen ein gefälligeres Gewand umwerfen und Lücken und Mängel durch Putz und Blumen verstecken kann, statt daß dieser seine Schöne mit allen Blößen und Fehlern dem Publikum zur Schau stellen muß, und kein Jota, keine Ziffer, zur Vollendung ihres Anzuges hinzusetzen darf." Nun, die Anerkennung, die seiner Schönen bereits beim Erscheinen bekundet worden, hat angedauert und wird heute durch den Neudruck erneuert. Diese erstaunliche Privatarbeit des eben 30jährigen Geh.exped.Sekretärs, geschöpft aus den Akten des Generaldirektoriums und der beiden märkischen Kammern, ersetzte geradezu ein amtliches Handbuch: ein allseitiges „Strukturbild" der Mark um 1800 in Verwaltung, Wirtschaft und Kultur, - Landschaften, Städte, Dörfer - gleichsam lauter kleine Baedeker, am größten der von Berlin. Kein bloßes Tabellenwerk - in Bratrings Text mit den recht kritischen Bemerkungen, in den drei Vorreden, selbst in der Liste der Vorbesteller (Pränumeranten) spürt der Leser die aufklärungsfreudige, zukunftsfrohe Zeit der ersten Reformversuche in Preußen. Ganz lebendig wird sie in Heinrichs eindringender Biographie des bisher nur in Umrissen bekannten Bratring - übrigens das Muster einer hartnäckigen, reichbelohnten Sucharbeit, an der man Forschen lernen kann. Der aus der Altmark stammende Pastorssohn ist ein „echter Märker, für übertriebene Devotion und wetterwendische Schönrednerei nicht geschaffen, auf dessen Wort man bauen konnte" und durchdrungen vom Wert seines „Vaterlandswerks". Für Berlin hat er 1807 das erste „Allgemeine Industrie-Adreßbuch" geschaffen. Die Herausgeber erleichtern die Benutzung durch Hinweise und Fußnoten, durch eine zweite durchlaufende Seitenzählung sowie durch die bis zur Gegenwart reichende Bibliographie und eine große Übersichtskarte, beide von Heinrich. Allenthalben in den drei Teilen (Gesamtbild, Altmark, Prignitz / Mittel- und Uckermark / Neumark) tritt Berlin als der große Verbraucher hervor - und schon im Gesamtbild mit fast 300 Namen aus Wissenschaft, Literatur und Kunst als geistige Mitte nicht nur der Mark. Wie Bratring genutzt werden kann, zeigt neuerdings der Geograph Helmut Winz in dem wichtigen Beitrag zur großen „Heimatchronik Berlin" (1962); Fortsetzung auf Seite 180 177 Im II. Vierteljahr 1968 haben sich folgende Damen, Herren und Institutionen zur Aufnahme gemeldet: [IUI] Berliner leben Berliner Disconto Bank Berlin 10, Otto-Suhr-Alle 6-16 (Vorsitzender) Helene Pelzer Berlin 31, Landhausstr. 13 I; Tel.876991 (Vorsitzender) Die Zeitschrift für die Freunde Berlins Lucie Beckhaus Berlin 22, Sakrower Kirchweg 35; Tel. 3 69 82 24 (Frau A. Hamecher) rinn Günter Wollschläger, Werbemittler Berlin 46, Preysingstr. 12; Tel. 7 75 39 08 (Schriftführer) Anspruchsvoll, unterhaltsam, vielseitig. Kunstdruck, über 100 Bilder, ausgesuchte Farbmotive GUTSCHEIN Ich erhalte kostenlos ein Probeexemplar von Berliner Leben Name Adresse Beruf Einzusenden an: Dr. Julius Rieger, Superintendent Berlin 62, Leberstr. 7; Tel. 71 29 40 (Vorsitzender) Sparkasse der Stadt Berlin West Berlin 31, Bundesallee 171 (H. Hofmann, Vorsitzender) Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg, Landesverband Berlin Berlin 61, Stresemannstr. 96-102; Tel. 18 0711 (Schriftführer) Kurt Schulze-Danneberg, Rechtsanwalt Berlin 19, Kaiserdamm 85; Tel. 3 02 75 75 / 3 02 25 04 (H. Hofmann) Lucie Brauer Berlin 31, Blissestr. 27; Tel. 87 49 16 (A. Brauer) Kurt Müller, Senatsangestellter Berlin 31, Holsteinische Str. 20; Tel. 86 40 38 (H. Hofmann) Elisabeth Baron Berlin 61, Mehringdamm 89; Tel. 6 98 67 91 (R. Koepke) Verlag BERLINER LEBEN, 1 Berlin 42, Mariendorfer Damm 1/3, Telefon 7 02 02 07 Elise Mügel Berlin 19, Gotha-Allee 28; Tel. 3 04 62 87 (Schatzmeister) Eleonore Lattusseck, Verwaltungs-Angestellte Berlin 10, Eosanderstr. 34; Tel. 34 87 89 (R. Koepke) 178 Gertrud Warzecha Berlin 31, Bernhards«. 2; Tel. 87 73 72 (H. Wetzel) Rudi Mücke, Verwaltungs-Angestellter Berlin 62, Hauptstr. 50; Tel. 7 84 79 58 (H. Hofmann) Marga Altmann, Geschäftsfrau Berlin 31, Jenaer Str. 18; Tel. 2 13 32 15 (Frau Ch. Bullemer) Christoph Gibian, stud. rer. nat. Berlin 39, Bergstr. 20; Tel. 80 63 50 (K. Bullemer) Günther Arndt, Apotheker Berlin 33, Archivs«. 3; Tel. 76 25 35 (K. Bullemer) Dr. Klaus J. Lemmer, i. Fa. Rembrandt-Verlag Berlin 19, Reichssportfeldstr. 16; Tel. 3 04 58 10 (K. Bullemer) Georg Fränkel, Wirtschaftsprüfer Berlin 12, Bismarckstr. 33; Tel. 34 43 33 (A. W. Bluhm) Dr. Hartmut Fitzner, Medizinalrat 116 Berlin, Rathenaus«. 45; Tel. 63 61 43 (Vorsitzender) Dr. Hildegard de la Chevallerie Berlin 37, Rappoltsweiler Str. 5; Tel. 84 35 45 (Dr. O. de la Chevallerie) Ilse Stremlow Berlin 45, Fontanes«. 9c; Tel. 76 65 32 (H. Hofmann) Alexander Langenheld Berlin 20, Südekumzeile 17c; Tel. 3 3 6 4 2 8 1 (R. Mücke) Frau Friedel Schwulera Berlin 28, Maximiliankorso 8; Tel. 4 01 41 48 (G. Schwulera) Anschriftenänderungen: Herbert Adam, Berlin 37, Schädes«. 7; Tel. 80 20 04 stud. ing. Norbert Kunkel, Berlin 48, Beyrodtstr. 50a Archivdirektor Dr. Kutzsch, Berlin 19, Königin-Elisabeth-Str. 10; Tel. 3 02 93 09 Subskriptions-Einladung Nachdrucke zur deutschen u. preußischen Geschichte und Kulturgeschichte Subskriptionsschluß: 31. Dezember 1968 Eisenberg: Großes Biographisches Lexikon der deutschen Bühne im 19. Jahrhundert Leipzig, List, 1903. 1194 Seiten. Leinen. DM 160,Frischbier: Preußische Sprichwörter Preußische Sprichwörter und volkstümliche Redensarten. 2 Bände. Berlin, Enslin, 1865/1876. Insgesamt 616 Seiten. Leinen. DM 65,Kaiser Karl's IV. Landbuch der Mark Brandenburg Nach den handschriftlichen Quellen herausgegeben von E. Fidicin. Berlin, Guttentag, 1856. 372 Seiten. Leinen. DM 78,Monumenta Zolierana Urkundenbuch zur Geschichte des Hauses Hohenzollern. Herausgegeben von Rudolph Freiherrn von Stillfried und Dr. Traugott Maercker. In 8 Bänden. Berlin, Ernst & Korn, 1852/1866. Leinen. DM 480,Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland u. die Schweiz im Jahre 1781. In 12 Bänden. Insgesamt 3940 Seiten, mit zahlreichen Kupferstichen, Karten, Tafeln und Beilagen. Berlin u. Stettin 1788/1796. Leinen. DM 600,Einzelband DM 60,Nicolai: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam * In 3 Bänden. Insgesamt 1534 Seiten, mit mehreren Tafeln und Karten. Berlin, Nicolai, 1786. Leinen. DM 225,Prutz: Die Geistlichen Ritterorden * 577 Seiten. Berlin, Mittler und Sohn, 1908. Leinen. DM 70,Reimann: Neuere Geschichte des Preußischen Staates In 2 Bänden. 722 Seiten. Gotha, Perthes, 1882/1888. Leinen. DM98,Verlangen Sie unsere ausführlichen Subskriptionsprospekte. Die mit * gekennzeichneten Titel erscheinen im Dez. 1968. H HAUDE & SPENERSCHE Verlagsbuchhandlung GmbH. Gegründet 1614 Berlin 12 179 Fortsetzung von Seile 177 „Geschichte der äußeren Berliner Stadtteile bis zu ihrer Eingemeindung" (Geheimräte als Büdner und Kossäten). Der Wunsch regt sich, nun auch die wertvolle, in diese Zeit mündende Darstellung der Geschichte Berlins (1792-99) von dem Ordensrat A, B. König (1753-1814, geborener Berliner), mindestens für das 18. Jh., ähnlich erneuert zu sehen, mit einer ebenbürtigen Biographie dieses eigenwilligen Historikers. Eberhard Faden Baedekers Berlin. Kleine Ausgabe. 2. Aufl. Verlag Karl Baedeker, Freiburg 1968. Einb. in Hochglanzkarton, Preis DM 6,80. Während vom großen Berlin-Baedeker von 1878 bis 1966 24 Auflagen erschienen sind, kam vom „kleinen Berlin" 1933 die erste, 1968 die zweite Auflage heraus. - Was aber liegt alles zwischen diesen beiden Jahreszahlen! So klein ist diese kleine Ausgabe nun wiederum gar nicht. Auf 120 Seiten hat unser Mitglied Kurt Pomplun alles zusammengestellt, was der für kurze Zeit in unserer Stadt weilende Besucher gesehen haben sollte. So wenigstens steht es im Vorwort. Aber der rote Band enthält doch sehr viel mehr, und selbst der Eingesessene entdeckt beim Stöbern manchen ihm entlegenen Winkel, manches inzwischen neu erstandene Gebäude, das er aufsuchen, „entdecken" sollte. Wie bei diesem Autor selbstverständlich, wird jedes Objekt auch aus historischer Perspektive betrachtet, es ist also ein ganz in unserem Sinne geschriebener Führer. Der Referent ist überzeugt, daß außer den Gästen auch mancher alte und neue Berliner zu dieser wahrhaft preiswerten Ausgabe greifen wird, um sich mit dem Baedeker in der Hand seine Stadt ganz - soweit erlaubt - zu erobern. W. Hoffmann-Axthelm Veranstaltungen im III. Vierteljahr 1968 1. Sonntag, 7. Juli, 9.30 Uhr, Spaziergang mit Kurt Pomplun durch den Schloßbereich Kleinglienicke (Jagdschloß, Kleine Neugierde, Casino, Klosterhof, Hohenzollernfriedhof). Treffen am Greifenportal, letzte Verbindung vom S-Bahnhof Wannsee aus: Bus A 6 ab 9.24 Uhr. 2. Sonnabend, 13. Juli, 15.30 Uhr, Führung von Herrn Dr. Hans Leichter durch die Ausstellung der Berliner Porzellan-Manufaktur „Lebendige Form in Vergangenheit und Gegenwart" im Haus am Lützowplatz, Berlin 30, Lützowplatz 9, 3. Stock. 3. Sonnabend, 20. Juli, Sommerausflug zum Evang. Johannesstift. Abfahrt um 14.00 Uhr mit Reisebussen der BVG von der Hardenbergstr. 32 (Berliner Bank AG). Besichtigung des Johannesstiftes mit Lichtbildervortrag durch Herrn Diakon Heinrich Wehrmann und gemeinsamer Kaffeetafel (Gedeck 2,50 DM). Anschließend Spaziergang über den Naturpfad längs der Kuhlake, Busfahrt zum Restaurant Schützenhof. Rückfahrt zum Bahnhof Zoo gegen 20.00 Uhr. Der bei Fahrtbeginn zu entrichtende Preis für alle Fahrten beträgt 4,- DM je Teilnehmer. Schriftliche Anmeldungen werden unter Bestellung der Busplätze bis zum 9. Juli an Herrn Helmut Hof mann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, erbeten. Familienmitglieder und eingeführte Gäste sind herzlich willkommen. 4. Im Monat August finden keine Vorträge und Besichtigungen statt. 5. Freitag bis Sonntag, vom 13. bis 15. September, Studienfahrt mit Reisebussen nach Einbeck. Besichtigung der kulturhistorischen Stätten von Höxter, Corvey und Bad Gandersheim. Den Mitgliedern geht die Einladung mit anhängender Antwortkarte demnächst zu. 6. Mittwoch, 18. September, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Prof. D. Dr. Walter Delius „Die Kirchenpolitik Kurfürst Joachims II". Gäste herzlich willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. Freitag, 12. Juli, 30. August und 27. September zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, HändelalJee 6 1 ; Dr, H . Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag j Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung G m b H , Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30 180 Fachabt der Denir.er Stadtbibliothek MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 64. Jahrg. Nr. 14 1. Oktober 1968 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91 Vorsitzender: Prof.Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D.W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 JfirifbrJO.m. Q:rn«;.t ^vt)lcirnnad)ci* - •;• i - •«-,.(.•- -/-.. '<-*- /y. — y £ /•/— •'• *» <•,•'•'• f /• 181 Zum 200. Geburtstag von Friedrich Schleiermacher 21. November 1768 Von Diether Hoffmann-Axthelm Wer für das geistige Leben des romantischen Berlin eine Konstante sucht, wird schließlich bei Schleiermacher stehenbleiben. In den drei Phasen, in denen sich hier die poetische, philosophische und theologische Romantik entfaltet, ist er gegenwärtig unter den ersten. Das gilt weiter darin, daß sich so nur das Gleichbleibende seines Wesens ausdrückt: er ist bei allem Enthusiasmus nüchtern genug, um in seiner Entfaltung ständig mit der geistigen, gesellschaftlichen, politischen Wirklichkeit zu tun zu haben. Schließlich aber ist dieser Zusammenhang in eigentümlicher Weise eins mit Art und Gegenstand seines Denkens. Nach belanglosen früheren Aufenthalten fällt Schleiermachers Eintritt in die Berliner Gesellschaft in das Jahr 1796. Es ist die von der Aufklärung geprägte Gesellschaft Nicolais und des Hofpredigers Sack - die neuen Elemente sind da, haben sich aber weder durchgesetzt noch auch wirklich begriffen; es bedurfte erst der Kette von Begegnungen und Freundschaften, in die Schleiermacher selbst verknüpft ist, um aus dem Zirkel um Rahel Levin, aus dem Salon der Henriette Herz die romantische Gesellschaft entstehen zu lassen. 1797 ist das Jahr der „Xenien", der Kriegserklärung zwischen Weimar und der Berliner Aufklärung, Wilhelm Meister war das Programm der neuen Geselligkeit, der „Sympoesie", der „Mitteilung" und der „Religion". Friedrich Schlegel traf in Berlin ein, und seine Freundschaft mit Schleiermacher wurde zur Basis der Berliner Romantik. Gleichzeitig lernte Schlegel Tieck kennen, vor allem aber Dorothea Veit, während die lebenslange Freundschaft zwischen Schleiermacher und Henriette Herz ihren Anfang nahm. Schon diese wenigen Daten zeigen Schleiermacher im Zentrum der neuen Bewegung. Die großen Schriften dieser Zeit sind Programmschriften des neuen Lebensgefühls. Schleiermacher ist nicht nur der Theologe der sogenannten romantischen Schule - die „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern" so gut wie die nachfolgenden „Monologen" sind theologisch nur im übergreifenden Medium einer neuen Sensibilität, das Religion heißt und als solche gelebt werden will. Sein „Katechismus der Vernunft für edle Frauen" aus dem Athenäum und die zur Verteidigung Friedrich Schlegels geschriebenen „Vertrauten Briefe über Schlegels Lucinde" stellen nur die praktische Strenge dieser religiösen Existenz dar und gehören ins Zentrum dessen, was die romantische Schule unter Religion verstand. Es war folgerichtig diese Einheit des Geforderten und Gelebten, die in kirchlichen Kreisen Anstoß erregte und Schleiermacher schließlich 1802 ins hinterpommersche Exil trieb. Unter veränderten Vorzeichen steht der nächste Abschnitt, der mit der Rückkehr aus Halle im Sommer 1807 beginnt: nun ist Schleiermacher der Patriot, der sich die Vorbereitung der nationalen Erhebung gegen Napoleon zum Auftrag macht. Seine Schrift „Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn" bereitete die aus dem neuen Bildungsideal konzipierte Berliner Universität vor, deren erster theologischer Dekan er 1810 wurde. Er unterstützte Stein, öffentlich und eindeutig, in seinem Reformwerk und arbeitete auf geheimen Reisen für den Widerstand. In seinem Hause in der heutigen Glinkastraße (damals Kanonier-, Ecke Taubenstraße) oder im Som182 merhaus an der Bendlerstraße (heute Stauffenbergstraße) verkehrten Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Niebuhr, Savigny, Eichhorn, Arndt, Alexander v. d. Marwitz und die Brüder Gerlach. Dem Aufruf „An mein Volk" verlieh er in Berlin durch seine Predigt beredten Nachdruck und exerzierte persönlich im sich bildenden Landsturm. Die Zeit der Restauration wiederum sah ihn auf neue Weise in der Opposition. Verdächtigungen und polizeiliche Untersuchungen gehörten seit 1814 zu seinen ständigen Erfahrungen. In unmittelbarer Gegnerschaft mit Hegel stand er auf der Seite der Studenten (wie auf der der Turner) zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse. Nicht anders hatte er auf kirchlichem und theologischen Gebiet sich gegen Konfessionalismus und Pietismus, in denen sich hier die Restauration darstellte, zur Wehr zu setzen, während von der anderen Seite her die theologischen Hegelianer über ihn herfielen. Wie zuvor für die völlige Freiheit der Universität gegenüber dem Staate, kämpfte er jetzt für diejenige der Kirche. Gleichwohl waren gegen sein Lebensende seine Predigten gesellschaftliche Ereignisse, seine Vorlesungen für ein Jahrhundert schulbildend. Seinem Sarge sollen zwanzig- bis dreißigtausend Menschen gefolgt sein. Eine so gleichbleibende Bedeutsamkeit ist nur verständlich aus der Konstanz eines Wesens, das in gleicher Weise offen ist für den Wechsel der Situationen und im Stande, sich selber in diesen Situationen durchzuhalten. Schleiermacher vermochte aus der bloßen Kraft seiner moralischen Existenz ein Leben lang modern zu sein, ohne sich jemals anzupassen. Fast vierzig Jahre lang ist Berlin ohne ihn nicht zu denken. Das ist erstaunlich und erhält erst sein volles Licht dann, wenn man sich vor Augen führt, wohin die Wege der anderen Teilhaber der romantischen Bewegung führten. Schleiermacher blieb nicht nur geographisch an seinem Platz. Er geriet weder in die Absonderung des Privaten, der Konversion, der erschöpften Vereinsamung, noch in die der Fachwissenschaft oder des bloß persönlichen Zirkels der Überlebenden. Die Geselligkeit seines Hauses nahm nicht ab, in allen angesehenen -Gesellschaften und Kränzchen des geistigen Berlins von der „Mittwochsgesellschaft" (in der er einst Schlegel kennengelernt hatte) bis zur „Gesetzlosen Gesellschaft" (die ihn zum artigen Verkehr mit Hegel zwang) war er ständiges Mitglied, ohne darüber den Kontakt zu den neuen Kräften eines liberalen Preußens zu verlieren. Friedrich Schlegels rückwärts gewandte Verherrlichung des ständischen Mittelalters war ihm so fremd wie Hegels Rechtfertigung des Bestehenden in seiner restaurativen Form. Preußentum war für ihn eine sehr kritische Loyalität, die sich gleicherweise von Revolution wie Restauration entfernte. Dieses unerhört reiche Leben identifizierte schließlich mit der gesellschaftlichen Tätigkeit, die allein genügt hätte, ein Leben überreich auszufüllen, eine umfangreiche theologische und philosophische Produktion, als sei dies nur eine andere Weise der gesellschaftlichen Tätigkeit und Verantwortung. Sieht man genau hin, so trifft eben dies zu. Das theologische Hauptwerk, die „Glaubenslehre", in zwei Bänden 1821 und 1822 erschienen, hat in Wahrheit keinen anderen Gegenstand als die „Reden", so sehr die literarische Geste dort, die kirchliche Formulierung und wissenschaftlich-theologische Form hier für den Augenschein zu divergieren scheinen. Nicht nur, daß Schleiermacher ständig aus dem Paragraphengerüst ausbricht, indem er sich voll erst in der folgenden Anmerkung ausspricht, als sei der Paragraph ein zu amtlicher Zustand für das, was gesagt werden sollte. Vielmehr ist ganz wie in den Jugendschriften auch hier der Gegenstand des theologischen Redens „gesellig". Das in den „Reden", in der persönlichen Anrede der „Monologen", im geselligen Gespräch der „Weihnachtsfeier" von 183 1805 zutage liegende Gesellschaftliche ist hier nur ganz nach innen genommen, der „christliche Gemeingeist" rechtfertigt sich in der strengen Form theologischer Wissenschaftlichkeit, statt sich im Gespräch oder in der Anrede der Predigt unmittelbar auszusprechen. So hat sich das theologische Denken selbst die Möglichkeit zur Vereinzelung genommen: auf den Gegenstand des Glaubens, Jesu Gottesbewußtsein, antwortet kein individualisiertes Selbstbewußtsein, sondern ein geselliges, kirchliches. Schleiermachers Grabmal auf dem Dreifaltigkeitskirchhof II, Bergmanns». 39-41. Nach einer Lithographie in: Gropius, Chronik der Kgl. Haupt- u. Residenzstadt Berlin für das Jahr 1837. Berlin 1840. In dieser Grundeigenschaft der Denkart Schleiermachers liegt wohl nicht zuletzt überhaupt die Wirksamkeit seiner Person. Denn was eben in aller Kürze für die Glaubenslehre angedeutet wurde, gilt nicht anders für seine Behandlung der Ethik oder auch der verschiedenen philosophischen Disziplinen, über die er gelesen hat, sowie für seine Pädagogik. Schleiermacher war zugleich derjenige, der wie kein anderer Geselligkeit und gesellschaftliche Verantwortung zu leben wußte wie der Theoretiker einer solchen Existenz; ein unvergleichlich Verstehender im Persönlichen und Wissenschaftlichen wie der Begründer der modernen Hermeneutik, der wissenschaftlichen Verstehenslehre. Dahin scheint zu deuten, wenn Bettina von Arnim, die noch in den letzten Jahren ihm nach ihrer Art zu Füßen gesessen hatte, von ihm sagte, sie wisse nicht, ob er der größte Mann seiner Zeit sei, wohl aber, daß er der größte Mensch sei. Derartiges mögen auch die vielen gefühlt haben, die den Toten durch das Hallesche Tor hinaus auf den Dreifaltigkeitskirchhof begleiteten. Anschrift des Verfassers: Berlin 21, Siegmundshof 20 184 Auf Fontanes Spuren — heute Frühlingsfahrt ins O d e r l a n d 1968 Diese Fahrt darf „Auf Fontanes Spuren" überschrieben werden, denn gerade er hat diese Gegend in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" ausführlich beschrieben. Wer sich also noch nachträglich über die Geschichte des Oderbruchs unterrichten will, der lese unter „Das Oderbruch und seine Umgebung" folgende Abschnitte nach: Das Oderbruch, Freienwalde, Falkenberg, Quilitz oder Neu-Hardenberg (heute Marxwalde), Der Blumenthal, möglichst in einer älteren Ausgabe, da in Neuauflagen vielfach Kürzungen vorgenommen wurden. In Abänderung des vorgesehenen Tagesprogramms fahren wir nach der Frühstückspause — die wir im Bahnhofsrestaurant von Werneuchen einnehmen und dessen Wirt bei unserem Eintreffen bereitwilligst seine Gaststätte öffnet - unmittelbar durch den Forst Blumenthal, der an diesem Frühlingssonntag trotz der trüben und kühlen Witterung besonders reizvoll ist, direkt nach Bad Freienwalde, wo wir bereits erwartet werden, um uns zusammen mit dem Initiator des hier in aufopfernder Kleinarbeit entstandenen Schau- und Lehrgartens für Naturschutz und -pflege zu führen. Es ist erstaunlich, was hier aus der Liebe zur Heimat in wenigen Jahren entstanden ist. Man findet alle in der Mark vorkommenden Pflanzen, und es wird gezeigt, wie man Gärten mit diesen heimatlichen Gewächsen gestalten kann. Ferner werden gutdurchdachte Futterstätten für Vögel und Musterbeispiele von Schutzhütten für Touristen gezeigt. Es ist ein sehr interessantes Stückchen Erde, das lediglich durch die Eigeninitiative eines Idealisten hier enstanden ist. Daß es bereits Frühling geworden ist, zeigt das Blühen der Primeln, Krokusse und Märzbecher auf diesem märkischen Boden. Der Bus bringt uns nun anschließend nach Falkenberg, wo wir hoch über dem Städtchen auf der „Carlsburg" unser Mittagessen einnehmen. Am Nachmittag zeigt uns der Museumsdirektor sein Oderbruchmuseum, das einstige Heimatmuseum von Bad Freienwalde. Die Gestaltung der einzelnen Räume hat in den letzten Jahren eine wesentliche Wandlung erfahren. Sehr interessant sind die vielen Bodenfunde aus diesem Gebiet. Als neuestes Stück der Sammlung zeigt uns nach Abschluß der Führung der Museumsleiter einen Mammutschädel, den man vor kurzem bei Ausschachtungsarbeiten in der Umgebung von Freienwalde fand. Unser nächstes Ziel ist der kleine Ort Zollbrücke, unmittelbar an der Oder. Je mehr wir uns dem Fluß nähern, um so mehr wird einem bewußt, daß man sich im Grenzland befindet. Es ist vielfach verödet, Ortschaften und Dörfer sind entvölkert. Schwedt an der Oder ist heute die große Industriestadt in diesem Raum geworden, und viele Menschen sind nach dort abgewandert, weil man als Industriearbeiter weit mehr verdient als auf dem Lande. Hier in Zollbrücke befand sich früher eine Fähre, die die beiden Oderufer miteinander verband. Heute ist der Weg zum Ufer mit einer dicken Kette, an der sich ein Sperrschild befindet, abgegrenzt. Über den Fluß weht ein kühler Wind an diesem Nachmittag. Dicht am Ufer nimmt uns eine kleine Gaststätte mit einer freundlichen Wirtin auf, die für unsere innere Erwärmung französischen Kognak ausschenkt und in dieser fröhlichen Stunde den Umsatz einer Woche verbuchen kann. Weiter geht die Fahrt nach Marxwalde (früher Neu-Hardenberg), wo einst die Hardenbergs residierten. Der Weg nach hier führt uns durch Wriezen, dem früher blühenden Mittelpunkt des Oderbruchs. Diese einst pulsierende Stadt, die von dem Hinterland lebte, hat sich noch nicht von den Auswirkungen des letzten Krieges erholen 185 können. Überall stehen noch die Ruinen und Trümmer, ab und an dazwischen einige Neubauten. Heute als Grenzstadt ist sie ihrer einstigen Funktion enthoben. Auch sie ist zu einer toten Stadt geworden. Schwedt hat auch ihr den Raum streitig gemacht. Das Schloß in Marxwalde, das im Auftrage der Denkmalpflege teilweise wieder restauriert wurde, dient heute dem Schulunterricht, und einige Räume werden als Lager für Schulutensilien aller Art genutzt. Das Schloß enthielt früher viele Kunstgegenstände, die der Minister von Hardenberg gesammelt hatte, unter anderem eine ganze Reihe Gemälde namhafter Meister, wie z. B. Holbein, Rubens, Brueghel, Lukas Cranach, Bosch, Teniers, Rembrandt, Gerard, Schinkel, Bardou, Benjamin West und Nikolaus Bercbem. Man lese bei Fontane nach. - Die einst so schöne Parkanlage ist dahin. 1814 wurde Quilitz dem Staatskanzler von Hardenberg als Dotation verliehen und ihm zu Ehren in Neu-Hardenberg umbenannt. Zu seinem 70. Geburtstag am 31. Mai 1820 gehörte auch Goethe (brieflich) mit einem Gedicht zu den Gratulanten, dessen erste Strophe lautet: „Wer die Körner wollte zählen, Würde Zeit und Ziel verfehlen, Die dem Stundenglas entrinnen, Solchem Strome nachzusinnen." Nach der Besichtigung des Schlosses zeigt uns der Ortspfarrer die nach Schinkelschen Plänen in den Jahren 1816/17 restaurierte, sehr schöne Kirche. Am 13. Oktober 1817 fand im Beisein des Staatskanzlers die Einweihung des erneuerten Bauwerkes statt. Fontane vergleicht den Bau mit dem Berliner Dom (gemeint ist der alte, der zur gleichen Zeit 1817 umgebaut wurde). Hier befindet sich, ebenfalls im Auftrage Hardenbergs von Schinkel entworfen, eine in (wahrscheinlich Berliner) Eisenguß gefertigte Taufe. Ein zweites derartiges Stück steht in der Schloßkirche zu Wittenberg. Dort ist auch, dem Wunsch des Bauherrn der Kirche entsprechend, im Altar das Herz des Fürsten beigesetzt. Man zeigt es uns in einem etwas unwürdigen Rahmen, nämlich unter einer Käseglocke. - Nach Fontane befand es sich früher auf einem Kissen liegend von einer Glasglocke umgeben in einem Schrein, an dessen Außenseite zu lesen war: „Des Fürsten Herz, das liebend treu geschlagen Für seinen König und fürs Vaterland, Das - in den schweren, blut'gen Kampfestagen, Wo vielen auch die letzte Hoffnung schwand Durch Mut und Weisheit stark in kühnem Wagen Des Vaterlandes Ruhm und Rettung fand, Und nach vollbrachtem Werk gebaut dem heiligen Wort Des Herrn den Tempel hier —, das ruht an diesem Ort." In neuerer Zeit ging Neu-Hardenberg noch einmal in die Geschichte ein. Ein Nachfahre des Fürsten gehörte zu der Gruppe, die auf Hitler am 20. Juli 1944 den mißglückten Anschlag verübte. Die Pläne dazu wurden im Schloß von Neu-Hardenberg gefaßt. Als die Gestapo den Grafen hier verhaften wollte, versuchte er durch Erschießen seinem Leben ein Ende zu machen. Er wurde aber nur schwer verletzt, und so wurde seine Verhaftung herausgezögert. Er konnte nach Kriegsende wohlbehalten das KZ Oranienburg verlassen. - Die Gräfin Hardenberg berichtete, daß nach Hardenbergs Verhaftung ihr Diener, ein Franzose, im Namen sämtlicher Kriegsgefangenen - auch der russischen - eine Ansprache gehalten habe, in der er ihrer aller Bewunderung für den Grafen und ihre Anteilnahme für sie zum Ausdruck brachte. (Nachzulesen bei Ursula von Kardorff „Berliner Aufzeichnungen aus den Jahren 1942-1945".) 186 Peter Christian Wilhelm Beuth von D r . H a n s Heinrich Quincke Eingangs der Straße Unter den Linden, auf dem Schinkelplatz, stand bis zum zweiten Weltkrieg neben den Denkmälern von Schinkel und Thaer ein solches von Peter Beuth. Es war eine Schöpfung von August Kiss (1802-1865), dem bedeutenden Schüler Rauchs; an seinem Sockel waren von Friedrich Drake (1805-1882) gefertigte Reliefs mit den Porträts hervorragender Zeitgenossen (Künstler, Handwerker, Fabrikanten u. a.) angebracht. Das Standbild von Kiss wie die Reliefs von Drake werden heute im Märkischen Museum aufbewahrt. Außerhalb des Museums erinnert in Ost-Berlin - wie auch in einigen andern Städten - noch eine Straße an Beuth, die vom Ende der Leipziger Straße, am Spittelmarkt, zur Kommandantenstraße herüberführt, und in WestBerlin die Staatliche Ingenieurakademie Beuth in der Lütticher Straße. Peter Christian Wilhelm Beuth, Wirklicher Geheimer Rat und königlicher Staatsrat, am 28. Dezember 1781 in Cleve als Sohn des Arztes Dr. Johann Gisbert Beuth und seiner Ehefrau Amalie Wilhelmine, geb. Hildebrand, verwitwete Lilienthal geboren, war ein hochbedeutender und um das Allgemeinwohl hochverdienter Mann. Er hatte in Halle Jura studiert und war dann als Assessor an der Kammer in Bayreuth und als Regierungsrat in Potsdam tätig gewesen. 1810 durch den Freiherrn vom Stein nach Berlin berufen, war er Leiter der Abteilung für Handel, Gewerbe und Bauwesen im Finanzministerium und königlicher Staatsrat geworden. Die vielseitigen Aufgaben seiner Stellung in wenigen Worten aufzuzeichnen, ist nicht einfach. Neben der Leitung des staatlichen Bauwesens umfaßt sie etwa die Aufgaben, die heute der Wirtschaftsminister wahrzunehmen hat, freilich zu einer Zeit, da die Wirtschaft noch im Werden, noch zu formen war. Und Beuth war in der Tat der Former und Erzieher des Handwerks und der Initiator der Industrie. Man darf sagen, daß er der Schöpfer der Berliner Industrie war, und daß Handwerk und Industrie im ganzen Staate ihm ihren Aufschwung zu danken haben, so daß Werner v. Siemens Beuth den Vater der preußischen Industrie nennen konnte (Lebenserinnerungen 2. Aufl. S. 279). Die hohe Schule für Industrie und Handwerk wurde das Gewerbeinstitut, das Beuth gegründet hat und selbst leitete. Aus dem Gewerbeinstitut ist später nach der Vereinigung mit der gleichfalls von Beuth geleiteten Bauakademie die Technische Hochschule hervorgegangen. Der „Vater der preußischen Industrie" ist also auch der Vater der Technischen Universitäten. Beuth hat aber auch das erste preußische Patentamt eingerichtet und das Zollgesetz von 1818 entworfen, das die junge Industrie schützte und Preußen zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet zusammenfaßte. Er hat englische Schiffbauer und andere ausländische Fabrikanten ins Land geholt, und es ist eine köstliche Geschichte, wie er den später so großen Industriellen Borsig, der sich das zunächst garnicht zutraute, gegen seinen Willen gezwungen hat, Maschinen zu bauen. Zum Dank hat Borsig später die erste Lokomotive, die er auf der Gewerbeausstellung vorführen konnte, auf den Namen „Beuth" getauft. Aber auch die Fabriken von Schwartzkopff, Egells, Siemens, Kunheim und viele andere verdanken ihr Werden Beuths fördernder Hand. „Beuth war überall", schreibt Walter Kiaulehn in seinem Berliner Buch, „in den Schulen und Fabriken, in den Künstlerateliers und in den Handwerkstuben. Er kannte alle Welt, stellte Verbindungen zwischen den Menschen her, lehrte, ermahnte, wehrte ab und förderte alles, was von unten nach oben wollte. 187 In seiner Selbstlosigkeit und seiner großen sozialen Kraft war er ein Glücksfall, der sich in dieser Klarheit leider nicht wiederholt hat." Das ist ein stolzes Lob, und doch war Beuth mehr als der Vater von Handwerk und Industrie. Sein Name ist „aere perennius" durch ein Verdienst, das auf ganz anderem und durchaus nicht gewerblichen Gebiete liegt: er hat den Genius von Carl Friedrich Schinkel erkannt und seine Entfaltung mit allem, was er geben konnte, gefördert. Die Symbiose zwischen den beiden Männern muß einzigartig gewesen sein. Paul Ortwin Rave schreibt 1935 in der Zeit- schrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft über Beuth: „Werk und Leben dieses Mannes erhält besondere Bedeutung durch die Art seiner Persönlichkeit, da er ein Mensch mit hohen künstlerischen Einsichten war und ein leidenschaftlicher Kunstsammler, nicht zuletzt durch den fast lebenslangen Umgang und innigen Verkehr mit dem „Urfreund" Schinkel. Das Zusammenwirken beider hat die schönsten Früchte gezeitigt. Gustav Friedrich Waagen, dem wir auch die wärmste Lebensbeschreibung Schinkels verdanken, hat im Jahr nach Beuths Tod in seiner Rede zum Schinkelfest 1854 diesem Freundschaftsbund und den daraus entspringenden Leistungen auf dem Gebiete der Kunst ein ehrenvolles Denkmal gesetzt. Waagen urteilt, daß Beuth in einem Grade, wie es ihm sonst nie vorgekommen, einen Scharfsinn, der ihm das genaueste Verständnis auch der schwierigsten Einzelheit in den verschiedensten Zweigen der Industrie eröffnete, verbunden mit einer seltenen Begeisterung für die Kunst. Dies habe ihn zu einer Sicherheit des Verständnisses geführt, daß Waagen sich nicht erinnere, von ihm je ein schiefes Kunsturteil gehört zu haben, und daß Schinkel nichts ohne den Rat des Freundes unternahm. Aber auch die eiserne, bis zum Eigensinn gehende Entschiedenheit Beuths war durch Schinkel, und nur durch ihn lenksam." 188 Beuths Freundeskreis - fast über ein halbes Jahrhundert reichend und in seinem Verlauf wechselnd - war der führende Kreis des geistigen Berlin und von außergewöhnlichem Reiz in seiner Mischung von Gelehrten, Künstlern, Beamten, Offizieren und Wirtschaftlern und mit seinen Beziehungen zu den kunstbegeisterten oder aufgeschlossenen Mitgliedern des königlichen Hauses, namentlich dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, seinem Bruder Carl und beider Oheim, dem geistreichen Fürsten Anton Radziivill. Es war ein Kreis, dessen Niveau uns fast nicht mehr vorstellbar ist, wenn wir bedenken, daß ihm außer Beuth und Schinkel die Bildhauer Schadow, Rauch, Drake und Riss, die Maler Blechen und Franz Krüger, der Intendant Graf Brühl wie Iffland und Devrient, Peter Joseph Lenne und Fürst Hermann Pückler-Muskau, Zelter und sein Schüler Felix Mendelssohn-Bartholdy, Carl Maria von Weber, Chamisso, Brentano und die Arnims, Ludwig Tieck, Thaer, Hufeland, Hegel und Schleiermacher, die beiden Humboldts und Savigny, Josias von Bunsen, Leopold von Buch und Heinrich Dove, der Freiherr vom Stein, die Finanzminister v. Motz und v. Maassen (der ebenfalls aus Cleve stammte) und der Kultusminister v. Altenstein, General v. Gneisenau und Feldmarschall v. Müffling neben Siemens, Borsig, Schwartzkopff, David Hansemann und den Gebrüdern Mendelssohn nicht nur gelegentlich zugehörten, und daß an seinem Rande auch Goethe stand, von dem wir fünf Briefe an Beuth kennen. Aus einem Brief Schinkels an seine Frau wissen wir auch, daß er und Beuth am 17. 4. 1826 Goethe in Weimar besucht haben, „Herr von Goethe, welcher nicht ganz wohl war, auch wegen einer Geschwulst am Kinnbacken Pflaster trug, hatte die Tage zuvor niemand angenommen, und die junge Frau v. Goethe sagte mir, daß er schwerlich die Krankenstube verlassen haben würde, wenn nicht solche Gäste gekommen wären. Übrigens unterhielt er sich zwei Stündchen sehr heiter mit uns." Rudolf v. Delbrück hat in seinen Lebenserinnerungen ein Bild von Beuths Geselligkeit gezeichnet: „Er war wortkarg, aber jedes Wort, das er mit seiner dünnen Stimme sprach, war bestimmt und klar. Sein Haus war Sonntag abends für einen Kreis alter und junger Freunde geöffnet, im Winter in seiner Dienstwohnung im zweiten Stock des Gewerbehauses, im Sommer in seiner kleinen Cottage in Schönhausen. Die Unterhaltung, welche bei der Wortkargheit des Hausherrn nicht immer leicht im Fluß zu erhalten war, bewegte sich vorzugsweise um künstlerische Fragen und Interessen; war ein Pferdekenner anwesend, so kamen Pferde aufs Tapet, denn Beuth hatte als alter Kavallerist ein lebhaftes Interesse für diese edlen Tiere und hielt sich stets ein auserlesenes Gespann, welches er zu sehr liebte, um es häufig zu benutzen. Er gehörte zu den Naturen, deren wahres Wesen nur langsam erkannt wird, er konnte anfangs durch Gleichgültigkeit, Kälte oder Schroffheit zurückstoßen, wer ihm aber nähertrat, wurde inne, daß er Tiefe des Gemüts und Wärme des Herzens besaß." 1845 hatte König Friedrich Wilhelm IV., durch eine internationale Wirtschaftskrise erregt, den Entschluß gefaßt, die von seinem Vater eingeführte Gewerbefreiheit wieder einzuschränken. Beuth insistierte mit allen Mitteln, fand aber bei den Ministern und Staatsräten nicht die notwendige Unterstützung. Nicht gewillt, an Entscheidungen, die er für falsch hielt, mitzuwirken, nahm er seinen Abschied. Der offenbar erschreckte König gewährte diesen dem 64jährigen, beließ ihm aber ehrenhalber Titel und Bezüge eines Staatsrats auf Lebenszeit. Acht Jahre nach der Verabschiedung, am 27. 9. 1853, ist Beuth gestorben. Die Sammlung von Kunstwerken aller Art, die er hinterließ, war so bedeutend, daß Friedrich Wilhelm IV., der bekanntlich ein sehr kunstsinniger Fürst 189 w a r , drei Wochen nach Beuths T o d den Wunsch äußerte, die B e u t h - S a m m l u n g für die königlichen Museen zu erwerben. D e r Finanzminister Freiherr v. d. Heydt, der den Auftrag erhalten h a t t e , mit den Erben zu v e r h a n d e l n , k o n n t e sich bald mit ihnen verständigen, u n d die S a m m l u n g w u r d e als „Beuth-Museum" dem Schinkel-Museum angeschlossen. Die B e u t h - S a m m l u n g ist 1935 eingehend beschrieben w o r d e n durch den damaligen Ersten Kustos des Beuth-Schinkel-Museums, Prof. D r . P . O . Rave, in der Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft. 1821 h a t t e Beuth mit Freunden den „Verein zur F ö r d e r u n g des Gewerbefleißes" gegründet, dem sich sogleich der Freiherr vom Stein, beide Humboldts, Gneisenau u n d Thaer anschlössen. D e r Verein h a t bis 1945 bestanden, doch sind in jüngerer Zeit viele seiner Aufgaben von den V e r b ä n d e n der gewerblichen Wirtschaft ü b e r n o m m e n w o r den. Alljährlich beim Stiftungsfest des Vereins erfolgte die Verleihung der BeuthMedaille, v o n der es mehrere Klassen gab, an verdiente Künstler, H a n d w e r k e r u n d Industrielle. D i e letzte goldene Beuth-Medaille ist in den 20er J a h r e n an Krupp von Bohlen und Halbach verliehen w o r d e n . Seit Kriegsende r u h t die Tätigkeit des Vereins, seine A k t e n w e r d e n in der Technischen Universität C h a r l o t t e n b u r g aufbewahrt. Aber aus seiner M i t t e heraus ist in der Zeit der Schreckensherrschaft 1936 der „Beuth-Tisch" ins Leben gerufen w o r d e n , der bis E n d e 1944 ein Treffpunkt freier Geister in Berlin bleiben k o n n t e . D a s G r a b m a l Beuths liegt auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof in Berlin und ist nach einem E n t w u r f Schinkels gestaltet gleich dem schräg gegenüber gelegenen G r a b Schinkels selbst, dem ein ähnlicher E n t w u r f des Meisters zu G r u n d e gelegt ist - auf den Vorschlag Beuths, der gesagt h a t t e , m a n könne „Schinkel nichts Besseres zu seinem D e n k m a l geben als seine eigene A r b e i t " . Beuths G r a b ist das erste am Mittelweg des Kirchhofs, auf dem so viele bedeutende Menschen jener Epoche die letzte R u h e gefunden haben. Anschrift des Verfassers: 4 Düsseldorf, Camphausenstraße 14. Nachrichten 1 5 0 J a h r e S p a r k a s s e in B e r l i n Am 15. Juni 1818 nahm die Berliner Sparkasse als erste öffentliche Sparkasse unter Gemeindebürgschaft in Preußen ihren Geschäftsbetrieb im alten Berlinischen Rathaus, König- Ecke Spandauer Straße auf. Ihre Aufgabe war es, den Einwohnern Gelegenheit zu geben, ihre kleinen Ersparnisse zinsbar und sicher unterzubringen und ihnen dadurch behilflich zu sein, sich ein Kapital zu sammeln, welches sie bei „Verheiratungen, Etablirung eines Gewerbes, im Alter oder in Fällen der Noth" benutzen konnten. Das Statut sah Einzahlungen von 12 Groschen bis zu 50 Talern vor. Ende 1818 waren bereits 551 Sparbücher über insgesamt 13 982 Taler ausgestellt. Die Entwicklung der Sparkasse in den vergangenen 150 Jahren war eng mit der Geschichte Berlins verbunden. Perioden stetigen Wachstums wurden unterbrochen von starken Abhebungen und zögernden Einzahlungen in Auswirkung wirtschaftlicher und politischer Krisen und Kriege. Mit der Bildung der Groß-Gemeinde Berlin wurden auf Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 25. November 1920 die Sparkassen der ehemals selbständigen Gemeinden in die Berliner Sparkasse eingegliedert. 1925 wurde die Berliner Stadtbank - Girozentrale der Stadt Berlin ins Leben gerufen. Vor Ende des 2. Weltkrieges hatte die Sparkasse auf 2,3 Millionen Sparkonten 3,3 Milliarden Spareinlagen verbucht. Am 15. Mai 1945 begann die Sparkasse der Stadt Berlin praktisch von neuem. Kontensperre, Währungsreform, die Spaltung der Stadt und die Blockade erschwerten diesen Neubeginn erheblidi. Am 30. Dezember 1948 wurde aus den in den drei westlidien Sektoren gelegenen Zweigstellen die Sparkasse der Stadt Berlin West gebildet. 190 Bereits im November 1963 überschritten die Spareinlagen bei der Sparkasse der Stadt Berlin West die Milliarden-DM-Grenze. Anfang März 1968 hatte die Berliner Bevölkerung auf 921 000 Sparkonten über 2 Milliarden DM bei der Sparkasse gespart. 150 Jahre nach ihrer Gründung steht die Sparkasse in Berlin heute in der Spitzengruppe der deutschen Kreditwirtschaft. Unter den deutschen Sparkassen nimmt sie, gemessen am Geschäftsvolumen, den zweiten Platz ein. Bericht über den Sommerausflug in das Evangelische Johannesstift am 20. Juli 1968 Das 110jährige Jubiläum des Evangelischen Johannesstiftes gab dem Verein Anlaß, den Sommer-Ausflug mit einer Besichtigung der Anlage zu verbinden. Trotz des kühlen und regnerischen Wetters kamen 75 Teilnehmer in BVG-Reisebussen nach Spandau. Im Gästehaus begrüßte der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm, die Versammelten. Nach der gemeinsamen Kaffeetafel hielt Diakon Wehrmann im Wichernhaus einen ergreifenden Lichtbildervortrag über Geschichte und Arbeit des Stiftes. Der 1857 vom Rauhen Haus in Hamburg von Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin gerufene Johann Hinrich Wichern gründete auf Wunsch des Königs das Stift als eine Brüderanstalt. Die Gründungsversammlung fand am 25. 4. 1958 in der Singakademie in Berlin statt. Die erste Unterkunft befand sich in einer gemieteten Etage in Alt Moabit 38. Im März 1864 wurde ein 80 Morgen großes Gelände am Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal erworben. Bereits am 19. Juni war die Grundsteinlegung für das erste Haus. Da das Gelände verkehrsgünstig lag - an den großen Eisenbahnlinien und am Kanal - beanspruchte die ständig wachsende Reichshauptstadt das Land, um hier einen großen Binnenhafen anzulegen. 1906 wurde das Gelände am Plötzensee an die Stadt Berlin verkauft und im gleichen Jahr 302 Morgen Land von der Stadt Spandau im Spandauer Forst erworben. Ein Drittel der Fläche wurde in aufgelockerter Bauweise nach den Plänen des Stiftsvorstehers Pastor Wilhelm Philipps d. Ä. mit 32 Häusern bebaut. Das restliche Gelände blieb als Wald erhalten oder wurde landwirtschaftlich (heute 180 Morgen) genutzt. Am 18. 9. 1910 fand die Einweihung statt, an der 15 000 Menschen teilnahmen. 1955 wurde als erster Neubau nach 1910 das Gästehaus errichtet. Zu den ursprünglichen Aufgaben des Johannesstiftes, der Erziehung und Pflege Körperbehinderter und Schwererziehbarer, sind heute Pflege und Beherbergung alter Menschen sowie die Ausbildung und Arbeit in modern ausgestatteten Werkstätten gekommen. Dem nachfolgenden Spaziergang durch den Spandauer Forst entlang der Kuhlake unter der Leitung des Unterzeichneten schlössen sich trotz des Regens die meisten Teilnehmer an. Besondere Heiterkeit erregte die Demonstration des sogenannten „Junggesellenteichs" am Oberjägerweg, an dem sich in jedem Frühjahr die ohne Entendamen gebliebenen Erpel treffen. Den Abschluß bildete ein Abendessen im Schützenhaus in Hakenfelde. Der Vorsitzende wies in einem kurzen Referat auf die Tradition und Geschichte der 1334 gegründeten Spandauer Schützengilde hin. Jürgen Grothe Am 22 Juli 1968 führte unser Mitglied Walter Kuppel eine stattliche Schar in einer im Veranstaltungsprogramm nicht vorgesehenen Führung durch Friedenau. Es war erfreulich, zu sehen, wieviel von der alten Bausubstanz dieses 1871 als selbständige Gemeinde gegründeten, seit 1920 dem Bezirk Schöneberg angehörenden Ortsteiles erhalten geblieben ist. Der Führer, selbst gebürtiger Friedenauer, verstand es, ein lebendiges Bild über Entstehung, Wachstum und Wandel in der sozialen Struktur dieser ursprünglich reinen Beamtensiedlung zu geben. Am 1. 8. 1968 wurde unser Mitglied Dr. Gerd Heinrich als außerordentlicher Professor an die Pädagogische Hochschule Berlin berufen. Buchbesprechungen Berlin und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Mit Beiträgen von . . . und einer Kartenbeilage. Herausgegeben von Hans Herzfeld unter Mitwirkung von Gerd Heinrich. Berlin: de Gruyter 1968. 1034 S. = Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Bd. 25. Bd. 3. Seit mehreren Jahren arbeitet die Historische Kommission zu Berlin an der Herausgabe einer dreibändigen Geschichte der Mark Brandenburg und Berlins. Der 3. Band wird als erster jetzt vorgelegt. Sein Inhalt reicht von 1806 bis zur Gegenwart. Fünfzehn Bearbeiter haben sich 191 in die Aufgabe geteilt, die Geschichte der Stadt Berlin und der Provinz Brandenburg im Zeitabschnitt eines geradezu revolutionären Wachstums bis 1939 und der Folgezeit darzustellen. - Im 1. Kapitel behandelt Hans Herzfeld die: Allgemeine Entwicklung und politische Geschichte. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung der Nachkriegsgeschichte in ihrer Verflechtung in weltpolitische Gegebenheiten und Abhängigkeiten gelungen. „Verfassung und Verwaltung" von Richard Dietrich schließt sich an. Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zeichnet Eberhard Schmieder nach. Es folgen die Abschnitte von Martin Schmidt über: Christentum und Kirche im frühen 19. Jahrhundert und von Karl Kupisch über: Christlichkirchliches Leben in den letzten hundert Jahren. In den folgenden drei Kapiteln behandeln Georg Kotowski: Das Bildungswesen, Paul Ortwin Rave: Die bildende Kunst und Werner Bollert; Das Musikleben. Die Beiträge über: Das literarische Leben bestreiten Renate Böschenstein-Schäfer und Klaus Müller-Dyes. Das Kapitel über: Das publizistische Leben hat Emil Dovifat geschrieben. Im Abschnitt: Theater kann sich Hans Knudsen auf die Ergebnisse vieler Dissertationen der letzten 20 Jahre stützen. Die Abhandlungen über: Berlin und die deutsche Filmindustrie von Peter Dittmar und: Die Leibesübungen von Peter Goeldel bilden das 11. und 12. Kapitel. - Da nicht alle Beiträge mit einem Anmerkungsapparat versehen sind, ist das beigegebene, sehr ausführliche, der Gliederung des Bandes folgende Literaturverzeichnis von großem Wert. Es ist unter der Leitung von Gerd Heinrich zusammengestellt worden, der zur Abrundung des Ganzen eine Karte: Verwaltungsgliederung und Grenzziehung 1815-1966 mit ausführlichen Erläuterungen beigesteuert hat. Ein Namenregister erleichtert die Orientierung durch die riesige Stoffülle. Die einzelnen Beiträge des Sammelwerkes sind hinsichtlich der Verarbeitung des jeweiligen Stoffes und der Qualität der Darstellung recht unterschiedlich ausgefallen. Einige sind als sehr gut gelungen zu bezeichnen. In anderen jedoch ist oftmals zu wenig berücksichtigt worden, daß es in erster Linie galt, eine Darstellung unter stadtgeschichtlichen Aspekten zu geben. So ist, um Beispiele zu nennen, im Kapitel 4, Teil 2 fast nur von der staatlichen Kirchenpolitik die Rede; vom Leben in den einzelnen Kirchengemeinden erfährt der Leser fast nichts. Oder im 5. Kapitel (Bildungswesen) wird von den Leistungen der Stadt, ihrer Stadtverordnetenversammlung und den städtischen Behörden für das Bildungswesen nicht gesprochen, um so mehr davon, was der preußische Staat auf diesem Gebiet getan hat. In mehreren Abhandlungen kommt die Darlegung der Entwicklung in der Provinz Brandenburg zu kurz, bisweilen fällt sie ganz weg. Stellt der Leser zusammen, was in den einzelnen Beiträgen zur Geschichte Brandenburgs im 19. und 20. Jahrhundert gesagt worden ist, so ist das Ergebnis, wie mir scheint, als unzulänglich zu bezeichnen. Bezüglich der zeitlichen Abgrenzung ihrer Abschnitte verfahren die Bearbeiter unterschiedlich. Einige lassen ihre Ausführungen 1945 enden, andere führen sie bis zur Gegenwart; auch das Jahr 1933 erscheint in einem Beitrag als Endpunkt der Darstellung. Jedoch sollen diese Bemerkungen die Bedeutung des vorliegenden Werkes nicht herabmindern, dessen Kaufpreis von DM 48,- hoffentlich eine weite Verbreitung ermöglichen wird. Konrad Kettig Gerhard 'Walther: Das Berliner Theater in der Berliner Tagespresse 1848-1874. Theater und Drama, Band 32. Colloqium-Verlag Otto H . Hess, Berlin, 1968. 288 Seiten. 19,-DM. Für unseren Verein ist von Interesse, daß in dieser Schrift Louis Schneider und seine theaterhistorischen Vorträge erwähnt werden, soweit sie in den Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins abgedruckt wurden. Im übrigen befaßt sich die Dissertation mit den KassandraRufen der Tagespresse gegen die Geschäftsführung der Berliner Theater-Direktoren: „Videant consules...", mit Billettwesen, Eintrittspreisen und Repertoire-Fragen, sie sucht die Zeitungsspalten auf, in denen Theaternachrichten zu finden sind, und berichtet auch vom „Eingesandt" aus dem Publikum - aber eine „Theaterkritik" kommt im ganzen Buch nicht vor. Es setzt beim Leser die konzentrierte Aufmerksamkeit eines Theaterwissenschaftlers voraus. Mit ungeheurem Fleiß hat der Verfasser aus 163 Jahrgängen der Berliner Tagespresse von vor 120 Jahren sein Material entnommen, das er sich mühsam aus den Bibliotheken in Ost und West zusammensuchen mußte. Ein Buch für Spezialisten. I. S. Alfred Braun „Achtung, Achtung, Hier ist Berlin!" Band 8 der „Buchreihe des SFB", herausgegeben vom Sender Freies Berlin. Haude Sc Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12. 88 Seiten und 19 Abbildungen, büttenbezogener Pappband D M 9,80. Unmittelbar zum 80. Geburtstag des Autors am 3. Mai erschien dieser kleine Band, sehr zur Freude derjenigen, die die Geburtsstunde des Deutschen Rundfunks miterlebt haben. In der geschickten Form von Frage und Antwort plaudert Alfred Braun über Erlebnisse und Begeben192 heiten aus den ersten Jahren des Rundfunks - und es sind zugleich seine eigenen. War es Hans Bredow, der durch seine technischen Kenntnisse 1923 die Organisation geschaffen hatte, so war es Alfred Braun als erster Hörspielregisseur und vor allem als erster Reporter des gesprochenen Wortes, der dem neuen Medium den notwendigen Atem in den ersten Lebensjahren eingehaucht hat. Zunächst im Voxhaus in der Potsdamer Straße, dann ab 1931 im Haus des Rundfunks in der Masurenallee, bannte er die Hörer - seine Hörer - an die Kopfhörer und Lautsprechertrichter. Seine Reportagen über Ereignisse wie z. B. die Ankunft der Ozeanflieger und des Zeppelins, die Verleihung des Nobel-Preises an Thomas Mann sowie die Begegnungen vor dem Mikrofon mit Persönlichkeiten der Politik, der Wissenschaft, der Kunst und des Sportes verhalfen ihm in kurzer Zeit zu einer Popularität, die weit über die Grenzen Deutschlands hinausging. Mit der Geschichte des Deutschen Rundfunks ist natürlich - und das kommt auch in diesem Büchlein zum Ausdruck - ein Teil des Berliner Lebens verbunden. Die einzelnen Bilder sowie die kleine Übersicht am Ende des Buches geben eine sinnvolle Ergänzung zum Text. Er ist vom Inhalt her eine Lektüre besonders für jene älteren Berliner, die noch heute mit Wehmut an die zwanziger Jahre zurückdenken, als es noch hieß: Achtung, Achtung, Hier ist Berlin. Klaus P. Mader Panorama Berlin. Ein Kalender für das Jahr 1969. Herausgegeben von Walther G. Oschilewski, 1968, arani-Verlags GmbH, 1 Berlin 33. Es macht Freude, die für Berlin so typischen und doch alles andere als gängigen Gemälde und Graphiken zu betrachten, die Walther G. Oschilewski für den Kalender zusammengetragen hat. Teils farbig, teils schwarzweiß, zeigen sie vornehmlich das alte Berlin, aber auch zeitgenössische Ansichten. Aus den Bildunterschriften erfährt man meist die Lebensdaten der Künstler, in vielen Fällen auch den Fundort der Kunstwerke. Wer sich vierzehntäglich ein neues ausgesuchtes Berlinbild ins Haus holen will, dem sei zu diesem Kalender geraten. SchB. Georg Zivier: Berlin und der Tanz. Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH 1968. 96 Seiten m. 22 Abb. DM 9,80 („Berlinische Reminiszenzen", Band 19). Georg Zivier, der bekannte Schriftsteller und Kritiker, bietet mit diesem Buche die erste zusammenfassende Geschichte des Tanzes in Berlin in Verbindung mit dem höfischen Zeremoniell und der höfischen Lustentfaltung im 16. Jahrhundert, in welchem man Sänger und Tänzer aus Italien holte. Bezeichnenderweise unterstanden diese anfangs dem Zeremonienmeister des kurfürstlich märkischen Hofes. Im Gegensatz zu diesen höfischen Tänzerinnen und Tänzern standen die Dreh- und Stampftänze des Volkes bei kirchlichen und familiären Festen. Für Berlin waren es die städtischen Zünfte, die Volkstänze einführten wie den „Webertanz", „Schustertanz" oder „Müllertanz" u. dgl. Nach dem Stillstand während des Dreißigjährigen Krieges konnte sich unter dem Großen Kurfürsten und seinem kunstliebenden Nachfolger Friedrich I. auch die Tanzkunst weiter entwickeln. Zur Geburtstagfeier ihres Gemahls arrangierte Königin Sophie Charlotte im Schloß Charlottenburg ein Jahrmarktsfest mit einem „Zigeunerballett". Die Sänger und Tänzer kamen weiterhin hauptsächlich aus Italien. Die erste eigens für Berlin verfaßte Oper war ein vom Hofzeremonienmeister Johann von Besser ersonnenes Singspiel mit Ballett „Florences Frühlingsfest". Seine erste bedeutende Ballettperiode erlebte Berlin unter Friedrich dem Großen. Besonderer Gunst des Königs erfreute sich die als „Barbarina" bekannte, aus Parma stammende Ballerina Barbara Campanini. Beeinflußt durch die Entwicklung in der französischen Revolution konnte bald auch jedermann die Theatervorstellungen besuchen, die vorher nur dem Adel und Hof zugänglich waren. Das Menuett spielte in Berlin eine wesentliche Rolle, so daß es neben dem Menuett de cour und dem Menuett de l'amour ein Menuett de Berlin gab. Berlins zweite Ballettepoche begann, nachdem bei der Neuorganisation der Königlichen Theater (1811) das Ballettpersonal in den Etat des „Königlichen Nationaltheaters" eingereiht wurde und damit ein bis heute erhaltenes materielles Fundament erhielt. Zwei bedeutende Tanzmeister sind dabei hervorzuheben. Francois Michel Hoguet und Paul Taglioni sowie dessen Tochter Maria. Der Verfasser führt seine Betrachtungen bis in unsere Tage, zu Isadora Duncan, Mary Wigman, Valeska Gert, Edith Tiirckheim, Tatjana Gsovsky, dem kürzlich verstorbenen Harald Kreutzherg, um nur einige Namen zu nennen, bis zu dem jetzigen Chefchoreographen der Deutschen Oper, Kenneth Mac Millan. Ein vorzügliches Buch, zu dem jeder, der für dieses Gebiet Interesse hat, stets und gern greifen wird. /• Lachmann Fortselznug auf Seite 196 193 Im III. Vierteljahr 1968 haben sich Bey-Heard Hauptstadt und Staatsumwälzung Berlin 1919 Problematik und Scheitern der Rätebewegung in der Berliner Kommunalverwaltung Von Dr. Frauke Bey-Heard. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Hans Herzfeld 1968. Ca. 250 Seiten. Kart. DM 33,50 Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften e. V. Berlin, Band 25 Die Zeit von 1912 bis 1920, in der die strukturellen Probleme der großen Stadtlandschaft zurDebatte standen, war eines der erregendsten Kapitel der deutschen und ganz besonders der Berliner Kommunalpolitik. Ihren Höhepunkt fand sie in den Versuchen der linken Arbeiterschaft, mit den Räten nach dem Prinzip der direkten Demokratie eine Alternative zu der repräsentativ-bürokratischen Stadtverwaltung herkömmlicher Art zu schaffen. Der Mißerfolg des RäteExperiments macht deutlich, welch hohes Maß an politischer Integrationskraft und technischer Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung innewohnte. laal 194 Kohlhammer folgende Damen, Herren und Institutionen zur Aufnahme gemeldet: Lisa-Olga Müller 1 Berlin 33, Taunusstr. 1 Tel. 89 49 73 (F. Berndal) Erich Kemnitz, Bankkaufmann i. R. 1 Berlin 33, Auguste-Viktoria-Str. 41a Tel. 89 32 29 (H. Hofmann) Herta Kiewitz, Ausstellungsgestalterin u. Malerin 1 Berlin 41, Bundesallee 106 Tel. 83 16 70 (H. Hofmann) Peter Severin, Buchhändler u. Antiquar 1 Berlin 48, Kiepertstr. 27 Tel. 7 75 42 86 (A. W. Bluhm) Alfons Grajek, Stadtrat u. stellv. Bürgermeister von Charlottenburg 1 Berlin 19, Preußenallee 9a Tel. 3 04 12 70 (W. Mügel) Elisabeth Melcher 1 Berlin 37, Neuruppiner Str. 191 Tel. 84 21 35 (Frau R. Koepke) Meierei-Zentrale G.m.b.H. 1 Berlin 44, Bergiusstr. 55-59 Tel. 68 03 41 (Frau E. Küche) Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt 1 Berlin 30, Budapester Str. 37 Tel. 13 18 51 (A. W. Bluhm) Martin K. Herrmann Portland (Oregon), USA (K. Bullemer) Charlotte Hardow 1 Berlin 51, Becherweg 4 Tel. 4 12 66 49 ( H Hofmann) Alfred Hardow, Bankkaufmann 1 Berlin 51, Becherweg 4 Tel. 4 12 66 49 (H. Hof mann) Emil Hess, Glasurmeister, Staatl. Porz. Manufaktur 1 Berlin 12, Weimarer Str. 43-44 (Dr. Schultze-Berndt) Käthe Denicke, Verwaltungsangestellte 1 Berlin 31, Hildegardstr. 9 Tel. 87 88 52 (H. Hofmann) Neu bei Haude & Spener Arno Wagner, Rentner 1 Berlin 42, Stolbergstr. 23 (F. Berndal) Horst Gronau, Ministerialrat 532 Bad Godesberg, Hindenburgallee 21 Tel. 7 71 15 (Frau Dr. Hoffmann-Axthelm) Elisabeth Runge 1 Berlin 51, Mückestr. 17 Tel. 49 94 23 (W. Mügel) Elisabeth Rossberg 1 Berlin 51, Mittelbruchzeile 63 Tel. 49 52 68 (H. Hofmann) Gerd Rossberg, Vers. Angestellter 1 Berlin 51, Mittelbruchzeile 63 Tel. 49 52 68 (H. Hofmann) Heinz Fechteier, Stadtsynodalamtmann 1 Berlin 37, Oertzenweg 52 Tel. 80 1196 (Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm) Anne Marie Behrbohm 1 Berlin 22, Kladower Damm 363 Tel. 3 6 9 7 3 1 1 (K. Pomplun) Hildegard Klotz 1 Berlin 27, Kamener Weg 4 Tel. 43 88 78 (Frau R. Koepke) Anschriftenänderungen: Erich Alte, 414 Rheinhausen, Im grünen Winkel 1 Friedrich Wilhelm Lehmann Die „schrecklichen Berliner" Ein buntes Pro und Kontra der Meinungen über die Einwohner Spree-Athens 124 Seiten, mit 18 Abbildungen, Leinen DM 12,80 Dieses Buch ist allen Berlinern gewidmet, den geborenen und den gestorbenen, den hiesigen und den auswärtigen, den echten und den sonstigen; darüber hinaus allen Freunden und allen Feinden der SpreeAthener sowie denjenigen, die - bisher - keine eigene Meinung über die s c h r e c k l i c h e n Berliner haben. Berlinische Reminiszenzen Eine Buchreihe für die Freunde Berlins - 22 Bände liegen vor. Zuletzt erschienen: Berliner Münzenfreunde, Berlin 20, Burscheider Weg 24g; per Adr. E. Heinatz Werner Mittelbach Fina Rothschild, Berlin 41, Baumeisterstr. 2a Egon Jameson Mein lachendes Spree-Athen Dr. Herbert Spruth, Berlin 45, Rotdornweg 9 Märkische Märchen Hermann Teske Berlin und seine Soldaten Da die Herausgabe eines Mitgliederverzeichnisses beabsichtigt ist, wird dringend gebeten, der Geschäftsstelle alle Anschriftenänderungen, neue Telefonanschlüsse sowie umgeschaltete Nummern anzugeben. 0 HAUDE & SPENERSCHE Verlagsbuchhandlung GmbH. Gegründet 1614 Berlin 12 195 Fortsetzung von Seite 193 Helmut Kotschenreuther, Kleine Geschichte Berlins. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1967. 103S. (Berlinische Reminiszenzen 17). Ungeachtet des jüngst erschienenen kleinen „Führers durch die Geschichte Berlins" von Werner Vogel hat man das Bedürfnis empfunden, mit einer gleichartigen Stadthistorie en miniature den Markt zu beschicken. Die Darstellung verharrt im Konventionellen, wichtige Dinge, die heute ins Blickfeld der Berlin-Forschung geraten sind wie z. B. die soziale Frage in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, wurden übergangen. Man spürt die leider schnelle und oberflächliche Kompilation des Büchleins. Soviel zum Negativen. Positiv ist zu vermerken, daß das Buch flott geschrieben ist, so daß manch einer, der sich sonst nicht mit Stadtgeschichte beschäftigen würde, auf diese Weise mit der Historie Berlins vertraut gemacht wird. Kutzsch Hinweise Der vorzeitige Versand dieser „Mitteilungen" ermöglicht es, Sie auf den im Rahmen der Niederländischen Kulturwochen für den 26. September um 20.00 Uhr in der Eichengalerie des Schlosses Charlottenburg angekündigten Vortrag von Herrn Prof. Ivo Schöffer, Universität Leiden, hinzuweisen: „Die Republik der Vereinigten Niederlande und das Kurfürstentum Brandenburg - Das Problem eines Kontrastes - " . Das Berliner Komitee für UNESCO-Arbeit veranstaltet unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters in der Zeit vom 22. September bis 10. Oktober aus Anlaß des Jahres der Menschenrechte im Haus des Rundfunks, 1 Berlin 19, Masurenallee 8-14, eine Ausstellung „Menschenrechte - Der Beitrag Berlins". Wir empfehlen unseren Mitgliedern den Besuch dieser Ausstellung, die anschließend in Bonn, Stuttgart, Wiesbaden und München gezeigt werden wird. Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1968 1. Mittwoch, 2. Oktober, 17.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Irmgard Wirth durch die Ausstellung „Eduard Gaertner (1801-1877) Architekturmaler in Berlin" im Berlin-Museum (Altes Kammergericht), 1 Berlin 61, Lindenstraße 14. Besuch der dortigen Alt-Berliner Weißbierstube. 2. Donnerstag, 17. Oktober, 19.30 Uhr, im Konventssaal des Krankenhauses Bethanien, 1 Berlin 36, Mariannenplatz 1, Vortrag des Herrn Dr. Dr. Manfred Stürzbecher „Gründung und Entwicklung der Zentraldiakonissenanstalt Bethanien". Anschließend Besichtigung der historischen Fontane-Apotheke. 3. Sonnabend, 26. Oktober, 9.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Margarete Kühn durch die Ausstellung „Die Niederlande und Brandenburg-Preußen", ein Jahrhundert geistiger Beziehungen in der europäischen Gelehrtenrepublik. Treffen am Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten vor dem Schloß Charlottenburg. 4. Sonnabend, 2. November, 15.00 Uhr, Führung von Herrn Jürgen Grothe durch Alt-Spandau. Treffen vor dem Rathaus, Rundgang durch die Altstadt und den Kolk. Besichtigung der kath. Marienkirche auf dem Behnitz. 5. Mittwoch, 13. November, 19.30 Uhr, im Logenhaus der National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln", gegr. 1740, 1 Berlin 19, Heerstraße 28, Vortrag des Herrn Nationalgroßmeisters Dr. Julius Hadrich „Die Rolle der Freimaurer im preußischen Staat und heute". 6. Dienstag, 10. Dezember, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, volkstümlicher Tonbildvortrag von Frau Ilse Stremlow „Im Geiste Fontanes durch das Berlin seines 50. Todesjahres 1948". Gäste willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. 7. Sonnabend, 21. Dezember, 16.00 Uhr, vorweihnachtliche Feier im großen Saal des Ratskellers Schöneberg, zu der besondere Einladungen versandt werden. Freitag, 11. Oktober, 29. November und 13. Dezember zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Beilagenhinweis: Diesem Heft ist ein Prospekt der Haude & Spenerschen Verlagsbuchhandlung als Beilage beigefügt. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriflleitung: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelaliee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude Sc Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30 196 >lioth«4 MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 65. Jahrgang. Nr. 15 1. Januar 1969 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 698 67 91 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 197 Zum 300. Geburtstag der Gründerin von Charlottenburg 20. Oktober 1968 Ihre Wiege stand in keiner der großen Residenzen des deutschen Barock, sondern in einer kleinen, aber traditionsreichen Wehrburg am Teutoburger Wald. Als Tochter des Herzogs und nachmaligen Kurfürsten Ernst-August von Braunschweig-Lüneburg aus dem Hause Hannover wurde Sophie Charlotte, die spätere Gemahlin König Friedrichs I. von Preußen, am 20. Oktober 1668 auf der Iburg bei Osnabrück geboren. Von der bescheidenen Kemenate im Hof dieses abgelegenen bischöflichen Schlosses, zu dessen Füßen noch heute der Sophie-Charlotte-Teich an sie erinnert, führte ihr Lebensweg auf den preußischen Thron. Geistig geleitet von ihrer Mutter, der Kurfürstin Sophie von Hannover, die bereits in freundschaftlichen Beziehungen zu Leibniz stand, empfing Sophie Charlotte als Elfjährige während eines Aufenthalts in Paris nachhaltige kulturelle Eindrücke. Eine sorgfältige Erziehung und von Leibniz mitgeförderte Schulung schufen die Grundlage eines überdurchschnittlichen Wissens, auch um religiöse und künstlerische Probleme der Zeit. Seit 1684 Gemahlin des letzten Kurfürsten von Brandenburg und seit 1701 Königin, versuchte sie auf dem preußischen Thron auch politisch zu wirken, zog sich aber nach dem Mißlingen dieser Ziele auf die Domäne geistiger Führung zurück. In einer Zeit, in der Bildung bei Frauen, selbst auf den Thronen Europas, Ausnahme war, hat Sophie Charlotte einen ungewöhnlichen und in unserem Lande bis heute nachwirkenden Einfluß ausgeübt: sie veranlaßte 1700 ihren Gatten zur Gründung der Akademie der Wissenschaften, deren erster Präsident Leibniz wurde. Mit dem Bau des kleinen Landhauses „Lützenburg", benannt nach dem Dorf und Gut Lützow, das der Kurfürstin mit allen Einkünften vermacht worden war, wurde sie zur Gründerin Charlottenburgs. Aus dem Baukern dieses Schlosses von 1695, an dem sie in tätiger Anteilnahme mitgewirkt hatte, entstand nach ihrem Tode allmählig die heutige Anlage. In die von ihr gegründete Sommerresidenz zog sie auch Gottfried Wilhelm Leibniz, dem sie hier Heimstatt bot. Aus den Gesprächen der Königin mit dem größten Polyhistor seiner Zeit - Adolph Menzel hat diese philosophischen Spaziergänge im Park in einem Holzschnitt nachempfunden - erwuchs Leibniz die Anregung zu seinem Hauptwerk, der „Theodizee", der Rechtfertigung Gottes trotz allen Übels in der Welt. Die ebenso kenntnisreiche wie stets wißbegierige Monarchin erlag - erst 37jährig 1705 in Hannover einer Halserkrankung. Zum Gedenken der Gemahlin wurde Lützenburg vom König in Charlottenburg umbenannt. Die 300. Wiederkehr der Geburt dieser preußischen Landesmutter belebt die Erinerung an sie, die auch dem nüchternen „Spreeathener" Begriff geblieben ist. Auf der einstigen Stadtgrenze, an der den Landwehrkanal überquerenden „Charlottenburger Brücke", stehen vor dem 1908 errichteten Torbau die von Heinrich Baucke gestalteten Bronzestandbilder des Königs Friedrich I. und seiner Gemahlin mit dem Modell des Schlosses, das bis heute sprechendstes Denkmal ihres Wirkens ist. Hans Pappenheim 198 Die Baugeschichte der Moabiter Brücke und deren erster Bauherr, der Hofrat Pierre Baillif (Ballif) Von Prof. D r . D r . Walter Hoffmann-Axthelm Es ist das Verdienst des in den letzten Kriegsmonaten versdiollenen Bibliothekars des Vereins für die Geschichte Berlins FELIX HASSELBERG, 1941 die Baugeschichte der Moabiter Brücke aufgeklärt zu haben durch die Entdeckung einer „Bekanntmachung" der Königl. Preußischen Regierung vom 1. Februar 1820, veröffentlicht am 10. Februar in Nr. 18 der Vossischen Zeitung. Sie sei hier, zitiert nach HASSELBERG (LV [Literaturverzeichnis] 11), im Auszug wiedergegeben: „Um die Passage von Berlin nach Moabit zu erleichtern, soll im Laufe dieses Jahres eine hölzerne nach dem letztern Ort führende, gegen Erlegung eines Brückengeldes zu passierende Aufzieh- und Fahrbrücke über die Spree, desgleichen ein Brücken-Aufzieher-Haus, hinter dem Garten von Bellevue am sogenannten Kurfürstendamm erbauet, und die Ausführung dieser Baue dergestalt in Privat-Entreprise gegeben werden, daß die Unternehmung sowohl von einem Einzelnen als auch von Jemanden, der dazu eine Gesellschaft von Aktionairs zusammen zu bringen vermag, ausgeführt werden kann, welcher die Kosten der Erbauung und Erhaltung der Brücke, und die Anlegung der Wege mit Einschluß der etwa nöthigen Abfindungen benachbarter Privat-Eigenthümer, aufbringt, und welchem daher die Einnahme vom Brückengeide überlassen wird. Das Publikum wird hiervon mit dem Bemerken in Kenntniß gesetzt, daß die näheren diesfälligen Bedingungen in der Registratur unserer ersten Abtheilung täglich einzusehen sind." Der Bau solcher sogenannter „Actienbrücken" war damals durchaus üblich, auch die Jannowitzbrücke und die abgerissene Kunowskibrücke verdanken neben anderen einer derartigen Ausschreibung ihre Entstehung. Über den Bautermin vermag HASSELBERG in seiner Miszelle eine genaue Zeitangabe nicht zu bieten . .. Die Anregung der Regierung scheint daher erst nach einer Reihe von Jahren Gegenliebe bei einem unternehmungslustigen Berliner gefunden zu haben. Die erste mir bekannte Erwähnung der fertigen Brücke steht in der 1827 erschienenen, von W. Mila besorgten 6. Auflage des Nicolaischen Wegweisers . . . (LV 11), in welchem eine, fenseits des Gartens von Bellevue gelegene, von Privatpersonen erbaute Brücke erwähnt wird (LV 15). Dieses Intervall zwischen 1820 und 1827 kann auf vier Jahre eingeengt werden, denn in den Bauakten des Bezirks Tiergarten fand ich in einem am 11. April 1824 an die Polizeibehörde gerichteten Schreibens des Chirurgen CARL FERDINAND GRAEFE anläßlich des Baues seiner Villa Finkenherd am Nordwestrande des Tiergartens als Ortsbezeichnung die Brücke nach Moabit angegeben (LV 1). Das Zolleinnehmer-Haus entstand, wie aus der Karte auf Abb. 1 ersichtlich ist, am nördlichen, also Moabiter Ufer der Spree. 1829 erwähnt MILA eine auf Privat-Entreprise des Hofraths und Hofzahnarztes Baillif entstandene hölzerne Zugbrücke, Baillifbrücke genannt (LV 14), und in HELLINGS 1830 erschienenem alphabetischen „Taschenbuch von Berlin" lesen wir unter dem Stichwort Ballif-Brücke, auch Moabiter Brücke genannt, . . . eine Pfahlbrücke, auf Actien gebaut; sie fällt jedoch im Jahre 1830 dem Staate zu und es hört das Brückengeld auf. Dieses betrug, wie wir unter Actien-Brücken erfahren, 5 Pfennige für Fußgänger und 199 Abb. 1. Karte von 1833 mit der Ballif-Brücke und dem Zollhaus. '••.JSÜJetr.Htyz. Xfit- *£ - für ein Pferd 1 Silbergroschen (LV 12). Wie OEHLERT in seiner „Moabiter Chronik" mitteilt, übernahm der Staat 1830 die hölzerne Baillifbrücke (auf Aktien), später Moabiter Brücke, das Brückengeld wurde jedoch bis 1848 weiter erhoben (LV 16). Die von Norden auf die Brücke führende Straße erhielt 1835 anläßlich der Einweihung der von SCHINKEL erbauten Johanniskirche den Namen Kirchstraße; der nach Süden ursprünglich zum Großen Stern führende Schöneberger Wiesenweg, später Moabiter Damm, bekam am 1. 12. 1832 den Namen Brückenallee und heißt, jetzt zum Hansaplatz führend, seit dem 20. 2. 1960 Bartningallee, ein für Berlin typisches Straßennamen-Schicksal (LV 21). Die Ballifbrücke, wie sie noch in der ersten Jahrhunderthälfte hieß, wurde 1840 durch eine größere ersetzt (Abb. 2) und 1868/69 als hölzerne Jochbrücke hochgelegt, so daß Abb. 2. Die Moabiter Brücke nach 1840. 200 Abb. 3. Die Moabiter Brücke nach der Höherlegung (1869). Im Hintergrund die Stadtbahn. sie von Schiffen unterfahren werden konnte (Abb. 3). 1893/94 wurde die Moabiter Brücke in Stein aufgeführt und mit vier Bronzebären der Bildhauer CARL BEGAS, J O HANNES BÖSE, JOHANNES GOETZ und CARL PIPER geschmückt (LV 20; Abb. 4). Diese Bären wurden während des letzten Krieges eingeschmolzen, die Brücke aber hat die Bombennächte und den Endkampf um Berlin überdauert. Wer aber war dieser BAILLIF, dem wir die Finanzierung des ersten Spreeübergangs von Bellevue nach Moabit zu danken haben? - Nach den Adreßbüchern war PIERRE BAILLIF Abb. 4. Die 1893/94 erbaute Steinbrücke. 201 Hofrat, Mechanikus und Leibzahnarzt FRIEDRICH WILHELMS III. Leider wissen wir über das Privatleben dieses interessanten und schon von seinen Zeitgenossen wegen seiner Geschicklichkeit gepriesenen Mannes so gut wie nichts. Aus seinem Totenschein geht hervor, daß er im Juni 1775 in Lausanne geboren wurde, doch führten intensive Nachforschungen durch den dortigen Archivar I. P. CHAPUISAT zu keinem Ergebnis. Selbst sein Name ist nicht eindeutig. In den Berliner Adreßkalendern lesen wir die Schreibweise BAILLIF, ab 1827 aber BALLIF, wie er sie selbst auch auf den Titeln seiner Schriften verwendet. In CALLISENS „Medicinischem Schriftsteller-Lexicon" von 1830 finden wir gleichfalls BALLIF mit der Bemerkung: Häufig wird er unrichtig Baillif genannt. Dies wird aber im Nachtrag von 1838 korrigiert, denn dort heißt es: Ballif (Peter) oder Baillif (Pierre) (LV 8). - Da er im Totenregister der Berliner Französischen Gemeinde wiederum als PIERRE BAILLIF eingetragen ist, dürfen wir wohl annehmen, daß dies sein eigentlicher Name war, den er später in Berlin ein wenig der deutschen Schreibweise angepaßt hat. Im medizinischen Schrifttum hat er dann auch in dieser germanisierten Form Eingang gefunden. BAILLIF gehörte, obwohl kein Refugie, der Hugenottengemeinde an, was durdiaus möglich war, wenn der Betreffende der reformierten Glaubensrichtung angehörte, die französische Sprache beherrschte und in guten Vermögensverhältnissen lebte, was ja für ihn alles zutraP. Über BALLIFS Tätigkeit bei Hofe berichtet uns 1836 der Hofzahnarzt E. BLUME: Im Jahre 1829 hegleitete ich den Herrn etc. Ballif mehreremal auf seinen Dienstreisen zu Sr. Majestät nach Potsdam und Charlottenburg, wo ich ersterem bei seinen Geschäften in Gegenwart des Leibarztes Sr. Majestät des Königs Herrn etc. Dr. v. Wiebel behilflich war (LV 7). Die erste Erwähnung des Namens im Berliner Schrifttum finden wir 1811 in dem angesehenen medizinischen Fachblatt „Hufelands Journal", in welchem eine künstliche Hand beschrieben ist, deren Konstruktion jetzt hier in Berlin einem fremden sehr denkenden Künstler, Namens Baillif zu danken ist. Einleitend wird die eiserne Hand des GÖTZ VON BERLICHINGEN beschrieben, deren Finger sich nur rein passiv mit der gesunden Linken in eine veränderte Stellung bringen ließen, in der sie einrasteten. BAILLIF ist, wie RADICKE hundert Jahre später feststellte, als erster auf den Gedanken gekommen, die an dem amputierten Arm vorhandenen Muskelkräfte zur Betätigung der Finger heranzuziehen, ein Weg, auf dem alle späteren Konstrukteure fortgeschritten sind (LV 17). Ein Jahr später schilderte der Chirurg GRAEFE Ballifs Hand mit Abbildungen so, daß sie von jedem geschickten Künstler wird verfertigt werden können (LV 9), und 1818 veröffentlichte sie der Autor selbst in einer in seiner Muttersprache abgefaßten Monographie (LV 2). Aus der Tatsache, daß BAILLIF 1811 in Hufelands Journal als ein in Berlin Fremder angesehen wurde, dürfte zu schließen sein, daß er damals noch nicht allzulange in der preußischen Hauptstadt weilte. Im „Allgemeinen Straßen- und Wohnungsanzeiger" taucht er 1812 in der Spalte der Mechanici auf, ab 1818 finden wir den Mechanikus PIERRE BAILLIF, Kurstraße 51, auch als akademischen Künstler im Verzeichnis der Akademie der Künste, seit 1823 erscheint er in der Schreibweise BALLIF mit dem Titel Hof rat, Wohnung Jerusalemer Str. 6, und ab 1827 wird der königliche Leibzahnarzt im Hofstaat Sr. Majestät des Königs unter den dem Hofmarschallamt unterstellten 1 Für diese Auskunft und die Übermittlung des Totenscheins bin ich dem Direktor des Berliner Hugenottenmuseums, Herrn JEAN DE PABLO, ZU großem Dank verpflichtet. 202 Leibärzten geführt. 1826 wurde er mit dem allgemeinen Ehrenzeichen 1. Klasse dekoriert und 1830 immerhin mit dem Roten Adlerorden 4. Klasse. Diese Auszeichnungen haben ihre Vorgeschichte: Eingelegt in ein äußerlich besonders kostbar mit Goldbordüren ausgestattetes Exemplar von BALLIFS Schrift über die künstliche Hand und den künstlichen Fuß, erworben 1950 auf einer Auktion der Bibliothek SAYN-WITTGENSTEIN in Schloß Hohenstein, fand P. F. C. WILLE ein französisches Gedicht, verfaßt in Alexandrinern, der anspruchsvollen Diktion der französischen Klassik, dessen annähernd wörtliche Übersetzung folgendes sagt 2 : Geschenk eines angebeteten Königs, kostbare Medaille! Du überschüttest mich mit Freude, und mein Herz zittert. Für alle seine wahren Untertanen ist das Bild eines solchen Königs Ein geliebtes Porträt; für mich ist es ein Schatz. Aber, liebenswerter Reichtum, wo wirst du wohnen? Wie hast du an meine Bleibe denken können? Holde Göttin! Dich niederzulassen Und in einem dunklen Asyl verschlossen zu bleiben, Das ist eine seltsame Wahl. Mit Bedauern muß ich sehen, Daß du nur auf dem Boden einer Schublade hausen wirst. Eine Schönheit, so reich und gar so vollendet, Sollte nicht gemacht sein, um ihre Reize zu verbergen. Ach! in einer Schachtel wird man dich nicht sehen, Indessen man deine liebenswürdige Anmut verehrt. Daß ich dir keinen schöneren Ort anbieten kann! Um die unsterbliche Größe des Königs zu offenbaren, Solltest du den Platz an meinem Herzen schmücken, Dann würdest du mich auf den Gipfel des Glückes führen. Vorausgesetzt, daß wir BALLIF als Autor dieser Verse annehmen können, dürfte es sich hiernach um eine Medaille handeln, die man ihm überreicht hatte, wohl weil die gesellschaftliche Stellung eines Zahnarztes damals für eine Ordensverleihung nicht als ausreichend angesehen wurde. Wie aus dem Text hervorgeht, zeigte die Vorderseite der Münze das Bildnis FRIEDRICH WILHELMS III., die Rückseite das einer Göttin. Von den zahlreichen, unter diesem König geschlagenen Medaillen weist nur die Denkmünze zur Belohnung für Kunst und Wissenschaft die gleichen Merkmale auf (LV 6; Abb. 5). Ebenso geschickt wie unverfroren versteht es der Verfasser, mit der überschwenglichen Bewunderung der in einer Schachtel, einem dunklen Asyl, verborgenen Medaille die Bitte um einen Orden zu verbinden, indem er für sie einen Platz an seinem Herzen wünscht. Beachtung verdient die Herkunft des Buches und damit auch des Poems. Ein SAYN-WITTGENSTEIN-HOHENSTEIN wirkte seit 1819 als Minister des königlichen Hauses und war damit der für Ordensverleihungen zuständige Mann 3 . 2 Unserem langjährigen Mitglied, Herrn Dr. med. P. F. C. Wille, Hannover, schulde ich besonderen Dank für die Überlassung des Original-Manuskripts. 3 WILHELM LUDWIG GEORG Graf (später Fürst) zu SAYN-WITTGENSTEIN-HOHENSTEIN (1770 bis 1851), ab 1812 Leiter der höheren Polizei in Preußen und damit, wie auch später als Minister, die „Seele aller reaktionären Maßregeln und Verfolgungen". Der Frhr. VOM STEIN urteilte über ihn: „W. besaß alle Eigenschaften, um ohne Kenntnisse, inneren Gehalt und Tüchtigkeit, sich eine vorteilhafte Stellung im Leben zu verschaffen; schlau, kalt, berechnend, beharrlich, bis zur Kriecherei biegsam;. .." (Allg. Dt. Biogr. 43, 626-629). 203 Abb. 5. Denkmünze zur Belohnung für Kunst und Wissenschaft mit Porträt Friedrich Wilhelms III. Auf der Rückseite die Felicitas publica, mit Füllhorn und Steuerruder auf Thronsessel sitzend; neben ihr der gekrönte preußische Adler (LV 6). Von 1818 bis 1826 erschienen insgesamt vier Schriften BALLIFS, unter denen jene über die Konstruktion einer künstlichen Nase ein besonderes medizinhistorisches Interesse verdienen dürfte (LV 4). In der im gleichen Jahre 1826 verfaßten Beschreibung einer Rippenbandage erfahren wir, daß der Autor Besitzer eines zehn Meilen von Berlin entfernten Landsitzes war, denn auf dem Wege dorthin stürzte sein Wagen um. Er zog sich einen Rippenbruch zu, was zur Konstruktion des darin geschilderten Schienenverbandes führte (LV 5). Dieser wurde übrigens wegen seiner Umständlichkeit schon von den Zeitgenossen abgelehnt. GUIDE JOURNALIER pour H m r 4 Fembellissement ä la conservation des Dents P« PIERRE BALLIF, Chirurgien DeotiM« de 1* Cour royale de Prusse et de celle de Son Atteste Suenisimn 1« Pnn •• de Radsiwill &c. See. ei Membre de 1'Andernir de« Beaux-Arti de Berlin. B e r l i n 1819, i'lmprimerie rcyale de Decker. 204 So hat BAILLIF auf dem Gebiete der mechanischen Orthopädie vielfach befruchtend gewirkt. Weiterhin hat er es verstanden, seine Ideen nicht nur in die Praxis umzusetzen, sondern auch geschickt zu propagieren. Seine im Selbstverlag erschienenen Bücher sind kostbar ausgestattet und ungewöhnlich reich durch Kupferstiche illustriert, die darin gegebenen Anregungen wurden vom zeitgenössischen Schrifttum, zum Teil kritisch, wie wir lasen, übernommen. Am 12. Januar 1831 starb der Conseiller de Cour et Chirurgien Dentiste du Roi, PIERRE BAILLIF, im Alter von 56 Jahren, 7 Monaten, laut Totenschein d'une attaque de nerfs, nach CALLISEN an einer Hirnlähmung. Am 6. Januar wurde er auf dem Kirchhof der Französischen Gemeinde am Oranienburger Tor beigesetzt. - War er verheiratet, hinterließ er Nachkommen? - Wir wissen es nicht. Im Hugenottenarchiv finden sich darüber keine Angaben, und mit dem Todesjahr erlischt der Name BAILLIF in den Adreßbüchern Berlins. Literaturverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. Akten des Bauaufsichtsamtes Bez. Tiergarten. Ballif, Pierre: Description d'une main et d'une jambe artificielles. Berlin 1818. Ballif, Pierre: Guide journalier pour servir . . . a la conservation des dents. Berlin 1819. Ballif, Pierre: Description d'un nez artificiel . . . Berlin 1826. Ballif, Pierre: Description d'un bandage invente pour la fracture des cotes. Berlin 1826. Bolzenthal, H.: Die Denkmünzen Friedrich Wilhelms III. Berlin 1834. Blume, E.: Der praktisdie Z a h n a r z t . . . Berlin 1836, S. II—III. Callisen, Adolph Carl Peter: Medicinisdies Schriftsteller-Lexicon, Bd. I und XXVI, Kopenhagen 1830 und 1838. Graefe, Carl Ferdinand: Normen für die Ablösung größerer Gliedmaßen. Berlin 1812, S. 157-164. Grundmann, Hans: Das Zahnbüchlein des P. Ballif. Med. Diss. Leipzig 1924. Hasselberg, Felix: Die Entstehung der „Moabiter Brücke". Ztschr. des Vereins f. d. Gesch. Berlins 58 (1941), S. 38-39. Helling, Ludwig: Geschichtlich-statistisch-topographisches Tasdienbuch von Berlin . . . Berlin 1830. Hufelands Journal 32 II (1811), S. 120-123. Mila, Wilhelm: Berlin oder Geschichte des Ursprungs. . . Berlin/Stettin 1829, S. 294, Fußnote. Nicolai, Friedrich: Wegweiser . . . durch Berlin u. Potsdam . . . 6. Aufl., hrsg. von Wilhelm Mila, Berlin 1827, S. 163. Oehlert, Wilhelm: Moabiter Chronik. Berlin 1910, S. 61. Radicke in Gocht, Hermann: Künstliche Glieder. Stuttgart 1907, S. 199 ff. (v. Raumer): Der Thiergarten bei Berlin. Berlin 1840, S. 70. Streletz, Egon: Der Berliner Zahnarzt Pierre Ballif als Konstrukteur medizinischer Apparate. Med. Diss. Frankfurt-Main 1955. Die Straßen-Brücken der Stadt Berlin. Berlin 1902, Bd. I, S. 182-184. Vogt, Hermann: Die Straßen-Namen Berlins. Schriften des Vereins f. d. Gesch. Berlins, H . 22, Berlin 1885, S. 14. Wirth, Irmgard: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Bezirk Tiergarten. Berlin 1955, S. 234 f. Anschrift des Verfassers: 1 Berlin 21 (Tiergarten), Händelallee 61 Nachrichten Studienfahrt nach Einbeck und ins Weserbergland In der Wiederaufnahme einer alten Tradition der Mark-Brandenburg-Fahrten des Vereins für die Geschichte Berlins vor dem Kriege hatte sich unser Verein zu seiner ersten Studienfahrt nach 1945 die siebenhundertjährige Stadt Einbeck als Standquartier und die angrenzende Weserlandschaft als Ausflugsziel ausgewählt. Es war gerade eine Omnibusladung voller Mitglieder, die am 13. September zunädist unter der Führung von Dr. Pliimer die Sehenswürdigkeiten Einbecks kennenlernte. Als Stadtarchivar machte er die Gäste mit dem mittelalterlichen Stadtbild bekannt, das von 120 ansehnlichen Bürgerhäusern und besonders den alten Brauerhäusern mit ihren großen Torbogen und hohen Dächern geprägt ist. Folgerichtig schloß sich diesem Rundgang eine Besichtigung der modernen Einrichtungen der Einbecker Brauhaus AG an. Bei einem Abtrunk im Urbock-Keller, dem bemerkenswerten Brauereimuseum, zeigte unser Schriftführer Dipl.-Br.-Ing. Dr. Schultze-Berndt dann die Entwicklung des Brauwesens in Deutschland seit dem Mittelalter am Beispiel des Einbecker Brauhauses in lebendigen Worten auf. Dem Einbecker Bier verdankt bekanntlidi das heutige Bockbier Charakter und Namen. Am folgenden Sonnabend, 14. September, besiditigten die Teilnehmer nach einer Fahrt durch den Solling Schloß und Kirche Corvey. Hier beeindruckte nicht nur das aus der alten Reichsabtei entstandene Schloß (heute Besitz der Fürsten von Ratibor und Corvey) mit seinen Sälen, der Bibliothek und dem Hoffmann-von-Fallersleben-Museum; am karolingisdien Westwerk der Abteikirdie aus dem Jahre 855 mit ihrem Johannischor, der Kaiserempore, lernten die Mitglieder auch das älteste erhalten gebliebene sakrale Bauwerk Norddeutschlands kennen, das sich nach den umfangreichen Renovierungsarbeiten in altem Zustand zeigte. Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Schloßrestaurant Corvey ließen sie sich von Buchhändler Henze durch die mittelalterliche Stadt Höxter und einige sehenswerte Kirdien bis zur Anlegestelle des Motorschiffes führen. Dieses bradite die Schaulustigen weseraufwärts nach über dreistündiger gemächlicher Fahrt in die alte Hugenottenstadt Karlshafen, wo sie nach 205 einem romantischen abendlichen Rundgang vom Bus erwartet wurden. Nach Hörensagen soll sich im alten Einbecker „Brodhaus" noch eine recht fröhliche Runde zusammengefunden haben. Die Rückfahrt am Sonntag, 15. September, führte zunächst über Bad Gandersheim; hier nahm sich der Leiter der Kurverwaltung Saalmann der Gäste bei einer Führung durch den Kaisersaal, die Stadt und ihre schönen Anlagen an und schilderte die Bedeutung dieses einflußreichen ehemaligen reichsunmittelbaren Stiftes, in dem Roswitha, die erste deutsche Dichterin zur Zeit der Ottonen lebte. Der Domvogt rundete den Eindruck dieser alten Stadt durch eine eingehende Erklärung des über 1100 Jahre alten Domes und seiner Geschichte ab. Das Schloß Wolfsburg, in seiner jetzigen Gestalt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammend, östlichstes Beispiel der Weser-Renaissance, war die letzte Etappe auf der Heimfahrt nach Berlin. Stadtführer Naucke wußte nicht nur Interessantes über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses alten Adelssitzes der Bartensieben und Schulenburg zu berichten, er stellte sich auch allen Fragen, die über das neue Wolfsburg und sein Volkswagenwerk an ihn gerichtet wurden. Der Erfolg dieser Exkursion hat den Wunsch wachgerufen, im kommenden Jahr eine gleiche inhaltsreiche Studienfahrt zu veranstalten. Die ehrwürdige Salzstadt Lüneburg mit ihren norddeutschen Backsteingiebeln bietet sich als dankbares Ausflugsziel an. SchB. „Akademische Palmen" für Dr. Pappenheim Unserem Vorstandsmitglied Dr. Hans Pappenheim wurde für seine Verdienste als Kunstberater der Französischen Militär-Regierung von Berlin in den Jahren 1947-1967 nach seinem Ausscheiden aus dieser Tätigkeit durch ein Dekret des Französischen Premierministers, vom Minister für Nationale Erziehung Alain Peyrefitte, die Auszeichnung eines „Chevalier dans l'Ordre des Palmes Academiques" verliehen. Die Überreichung des Ordens und der Urkunde erfolgte in einer Feierstunde am 12. Oktober 1968 in den Amtsräumen des Ministre-Delegue in Berlin, Jean-Louis Toffin, durch den Kulturrat der Französischen Botschaft in Bad Godesberg, Prof. Rene Cheval. Dieser dankte bei der Überreichung Dr. Pappenheim für die bisher geleisteten Dienste und würdigte in einer längeren Ansprache dessen über zwanzigjährige erfolgreiche Arbeit. Den Glückwünschen von Prof. Cheval folgten die Gratulationen der französischen und deutschen Vertreter kultureller Verbände und Institute unserer Stadt; die des Vereins für die Geschichte Berlins übermittelte der stellv. Vorsitzende Kurt Pomplun gemeinsam mit unserem Ehrenmitglied Karl Bullemer. Nach der Verleihung sprach Dr. Pappenheim in seinem Dankeswort in französischer und deutscher Sprache über die Geschichte des deutschen Palmenordens des Barocks, dessen Mitglied auch der Große Kurfürst war, und des 1808, also vor 160 Jahren von Napoleon gestifteten Ordens der „Akademischen Palmen". Es schloß sich ein lebhafter Gedankenaustausch der Gäste des Ministers über Pflege und Förderung der deutsch-französischen Kulturbeziehungen auf dem Boden Berlins an. K. B. * Die Vereinsbibliothek dankt Herrn Dr. Schwenn und Frau Pärchen für wertvolle Bücherspenden, letzterer sowie Frau Herrmann, Frau Winckler-Bollert und Herrn Mader auch für die Stiftung von Stühlen für unsere Bibliothekszusammenkünfte. Buchbesprechungen Julius Rieger, Berliner Reformation. Lettner-Verlag Berlin 1967. 213 Seiten, broschiert DM 13,80, gebunden DM 17,80. Nachdem vor einigen Jahren von Josef Mörsdorf eine Kirchengeschichte Berlins aus katholischer Sicht mit beachtlichem Bildschmuck erschienen ist, hat nunmehr der Schöneberger Superintendent und Herausgeber des Sonntagsblattes „Die Kirche" Dr. Julius Rieger Vom evangelischem Standort unter dem Titel „Berliner Reformation" eine Kirchengeschichte Berlins und der Mark im 16. und 17. Jahrhundert veröffentlicht, die Mörsdorf ergänzt und z . T . berichtigt und einen beachtlichen Beitrag zur Aufhellung der Vergangenheit unserer Heimat liefert. Leopold von Ranke hat der Geschichtsschreibung das Ziel gesetzt zu „zeigen, wie es eigentlich gewesen ist". Diesem Ziel wird das Werk von Julius Rieger durchaus gerecht. In lebendiger Darstellung und in flüssigem Stil entsteht ein Bild der Geschehnisse in der Reformations- und Nachreformationszeit von Martin Luther bis Paul Gerhardt vor unsern Augen. Dabei wird der Bericht immer wieder an die noch heute erhaltenen Gedenk- und Erinnerungsstätten, an Bauten, Altertümer und Kirchen angeknüpft und so eine gegenwartsnahe und lebendige Beziehung zum Heute erreicht. Die teilweise recht schwierigen und für den Menschen 206 unserer Tage oft unverständlichen, scholastischen Gedanken der nachreformatorischen Theologen werden in ihren Grundtendenzen dargestellt und aufgelockert, daß sie auch der einfach denkende versteht. Dabei werden auch Perioden und Ereignisse, die bisher von der Forschung wenig beachtet wurden, behandelt, so daß auch einem Fachwissenschaftler manches Neue geboten wird. Eine Reihe von Vignetten verleihen dem Buch, das dem Gedächtnis des Ehrenbürgers von Berlin, Bischof D. Dr. Dihelius, gewidmet ist, einen besondern Reiz. Wer das Werden unserer Berliner Heimat, ihrer Kultur und Kirche verstehen will, der greife zu diesem Büchlein, das sich gerade an die Menschen wendet, die nicht Fachgelehrte sind. Karl Themel Thorsten Müller: Berliner Ehrenbürger. Von Conrad Ribbeck bis Nelly Sachs. Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung 1968. 156 Seiten m. Abb. DM 9,80 (Berlinische Reminiszenzen, Bd. 18). Ernst Kaeber, der 1961 verstorbene, langjährige ehemalige Direktor des einstigen Stadtarchivs und späteren Landesarchivs Berlin, hat „Das Ehrenbürgerrecht und die Ehrenbürger Berlins" in der Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für die Geschichte Berlins eingehend behandelt (Heft 50 der Schriften des Vereins, Berlin 1917, S. 11-28). Auf dieser Arbeit fußen die Ausführungen Thorsten Müllers in seinem Vorwort (S. 5-11), ohne jedoch Kaeber zu erwähnen. Ging die Einrichtung dieser Institution auf die Städteordnung des Freiherrn vom Stein vom 19. November 1808 zurück, mit der die städtische Selbstverwaltung geschaffen wurde, so hatte das Ehrenbürgerrecht in der ersten Periode bis 1848 einen anderen Sinn als den seitdem üblichen einer Ehrung auf Grund besonderer Verdienste um die Stadt. Denn anfangs besaß das Bürgerrecht nur, wer städtischer Grund- oder Hausbesitzer war. Alle anderen zählten als Schutzverwandte. Erwarben sie ein Grundstück, wurde ihnen das Ehrenbürgerrecht verliehen. Als z. B. Zar Nikolaus I. von Rußland das Grundstück Unter den Linden 7 kaufte, um darauf die russische Botschaft zu errichten, wurde ihm, obwohl er sonst keine Verdienste um Berlin hatte, das Ehrenbürgerrecht verliehen. Erst nach 1848 bekam das Ehrenbürgerrecht den ehrenden Charakter, den es noch heute besitzt. In dem vorliegenden Bändchen werden die Ehrenbürger der Stadt - bis jetzt 76 - biographisch erfaßt, vom ersten Ehrenbürger, dem Propst Ribbeck an. Es handelt sich dabei um stilistisch veränderte Ausschriften aus der einzig vorhandenen Quelle, dem im Landesarchiv Berlin verwahrten „Gedenkbuch der Ehrenbürger der Stadt Berlin seit Einführung der Städteordnung vom 19. November 1808", ohne daß der Verfasser es für nötig gehalten hat, die Quelle überhaupt zu erwähnen. Infolgedessen enden seine biographischen Skizzen jeweils bei der Verleihung des Ehrenbürgerrechts, obwohl man manchmal gern noch etwas über das weitere Schicksal der Ehrenbürger erfahren würde, wie z. B. bei dem Stadtverordnetenvorsteher Hugo Heimann, der nach 1933 emigrieren mußte und unter schwierigen Verhältnissen in New York gestorben ist. Unter den Ehrenbürgern ragen hervor in der älteren Zeit der berühmte Hausarzt Ernst Ludwig Heim, der erste auf Grund der Städteordnung gewählte Oberbürgermeister von Gerlach, der Schöpfer der preußischen Landwehr, General von Boyen, der Präsident der Frankfurter Nationalversammlung Heinrich von Gagern, der General von Wrangel, der große Bildhauer Daniel Christian Rauch, Alexander von Humboldt, Oberbürgermeister Krausnick, Bismarck und Moltke, der Stadtverordnetenvorsteher Kochhann, der Archäologe Schliemann, der Historiker Leopold von Ranke, Robert Koch und Virchow, Adolph von Menzel, die Oberbürgermeister Hobrecht und Kirs&ner, Max Liebermann, Hindenburg und Paul Lincke. Nach 1945 erhielten u. a. die Ehrenbürgerwürde Rudolf Wisseil, Theodor Heuss, Paul Lobe, Louise Schroeder, Jacob Kaiser, Otto Dibelius, Lucius Clay und Konrad Adenauer. Leider sind dem Verfasser verschiedene Irrtümer unterlaufen, so z. B. erscheint bei ihm der bekannte Oberbürgermeister Kirschner ständig als „Kirchner" (S. 110-111 und 156) oder der Archäologe Schliemann als Entdecker des Palastes von „Tiryus" anstatt Tiryns (S. 90). Daß versucht worden ist, Bildnisse der einzelnen Persönlichkeiten beizugeben, ist verdienstvoll, wenn auch fünf fehlen. Indes hätten sich für so einige Ehrenbürger leicht bessere Fotos finden lassen, wie bei Heim, Kirschner, Louise Schroeder oder Adenauer. ]. Lachmann Herbert Krafft: Immer ging es um Geld. Einhundertfünfzig Jahre Sparkasse in Berlin. Leinen. 255 Seiten. Verlagsrecht: Sparkasse der Stadt Berlin West. Die Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats und gelehrten Sachen weiß am 9ten Juni 1818 zu berichten, daß „des Königs Majestät (geruhet) haben, den Banquiers Gebrüder v. Rothschild aus Frankfurt a. M. das Prädikat als Geheime Commerzien-Räthe beizulegen, und die Patente darüber Allerhöchsteigenhändig zu vollziehen". Gleichzeitig liest man eine Bekanntmachung von Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königl. Residenzien, wonach die hiesige Stadtverordneten-Versammlung es zweckmäßig gefunden hat, „eine sogenannte Sparkasse zu errichten, um den hiesigen Einwohnern Gelegenheit zu geben, ihre 207 kleinen Ersparnisse zinsbar und sicher unterzubringen und ihnen dadurch behülflich zu seyn, sich ein Kapital zu sammeln, welches sie bei Verheirathungen, Etablirung eines Gewerbes, im Alter oder in Fällen der Noth benutzen können*. Der mit der Geschichte des Kreditwesens nicht sehr eng vertraute Leser erkennt aus dieser Gegenüberstellung, daß im Vergleich zu den Banken die Sparkassen in der Tat eine weniger weit zurückreichende Tradition haben, selbst wenn ein Alter von 150 Jahren im Wirtschaftsleben als respektable Leistung gilt. Die Gründung von Sparkassen datiert aus den Zeiten beginnender Einsicht in die Verantwortung des Gemeinwesens für die sozial schlechter gestellten Schichten. Man kann geradezu angesichts der jahrzehntelang aufrechterhaltenen Beschränkung von Höhe und Anzahl der Einzahlungen und des Kontenstandes von einer „ArmeLeute-Kasse" sprechen. Wie sich die Sparkasse in Berlin durch all diese Auflagen und Beschränkungen (auch ihrer Anlagemöglichkeiten), durch wirtschaftliche Notzeiten und Kriege hindurch bis zu ihrer heutigen Bedeutung entwickelt hat und wie sich dabei Berliner Wirtschaftsgeschichte und der Aufstieg der Sparkasse wechselseitig durchdringen, geht aus dem überaus lesenswerten Werk von Herbert Krafft hervor, das bei aller dem Gegenstand angemessenen Gewissenhaftigkeit in den Zahlenangaben den Reiz einer historischen Darstellung zu wahren wußte und anekdotischer Elemente nicht entbehrt. So erfährt man, daß die Stadt erst 1820, also zwei Jahre nach der Gründung der Sparkasse, das Armenwesen aus der Hand der Polizei in ihre Obhut nahm, und daß von der Armenpflege nicht nur mittellose Bürger und Kranke, sondern auch Asoziale und nicht in den damals bestehenden Lebensgemeinschaften verankerte Menschen betreut wurden. In einem Magistratsbericht über die Armenpflege der Jahre 1822 bis 1825 wird von 1081 eingelieferten Personen berichtet: „3554 Vagabonden, 128 Winkelhuren, 53 Unfugtreiber, 869 Eingebrachte bis zur Ermittlung der Verhältnisse, 176 KriminalVerhaftete, 2686 Bettler, 237 freiwillig Eingetretene, 218 Hospitaliten, 200 aus der Charite Entlassene, 960 obdachlose Familien nach Köpfen." Etwas später schreibt Friedrich List über den „Pauperismus" der Eigentumslosen: „Ich habe Reviere gesehen, wo ein Hering, an einem an der Zimmerdecke befestigten Faden mitten über dem Tische hängend, unter den Kartoffelessern von Hand zu Hand herumging, um jeden zu befähigen, durch Reiben an dem gemeinschaftlichen Tafelgut seiner Kartoffel Würze und Geschmack zu verleihen. Man nannte das schon Wohlstand, denn in schweren Zeiten mußte man sich diesen Hochgenuß, ja sogar den des Salzes, versagen." Auch noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts beanspruchte das Armenwesen fast 40 % des städtischen Etats, und 1848 hatte jeder zwölfte Einwohner eine steuerfreie Wohnung. Überhaupt zieht sich die Wohnungsfrage wie ein roter Faden durch dieses Buch, da der starke Bevölkerungszuwachs Berlins den Wohnungsneubau hinter der Bevölkerungsentwicklung zurückbleiben ließ, zumal es weder eine städtische soziale Wohnungsbaupolitik, noch Kapitalsammelstellen zum Aufbringen der Finanzierungsmittel gab. Einen wesentlichen Abschnitt in der Geschichte der Sparkasse markiert das Preußische Sparkassen-Reglement von 1838, das zusammen mit dem Kreditwesengesetz von 1934 und anderen Rechtsvorschriften bis in unsere Tage galt und in einem Teil seiner Rechtsgedanken im Berliner Sparkassengesetz vom 13. Juli 1960 Niederschlag gefunden hat. Dieses Reglement erweiterte die Anlagemöglichkeiten der Sparkasse und unterstellte sie zugleich der Aufsicht des Staates. Wenn die Sparkassen, die an anderer Stelle „Kinder des industriellen Zeitalters" genannt werden, sich auch weiter um die Armen kümmern sollten, so führte der Mangel an Anlagemöglichkeiten für kleinere Geldbeträge auch andere Kreise an ihre Schalter. Erst in der neuen Satzung von 1877 wird nicht mehr von „armen" oder „nicht bemittelten" Einwohnern gesprochen, sondern die Tür für alle Sparwilligen geöffnet. 1892 äußert sich das langjährige Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins Theodor Fontane in einem Brief an Georg Friedländer: „ . . . G e l d besorgt alles . . . ein Glaube, der sich beständig in meiner Seele mehr festlegt. Kunst und Wissenschaft, solange sie nur als solche auftreten, sind lächerlich, etwa wie der Küster mit dem Klingelbeutel, der Pfennige einsammelt; erwirbt ein Professor alljährlich 6000 Mk, (Taler natürlich noch besser), so beginnt er geachtet zu werden nicht wegen seiner Wissenschaft, die hatte er, als er noch hungerte auch schon, sondern einfach, weil er anfängt, einen bankierhaften Anstrich zu kriegen. Es kommt vor, daß hochbegabte, aber erfolglose Dichter und Künstler nach ihrem Tode den Makel der Armut überwinden und in Tagen, wo sie niemanden mehr ampumpen können, heiliggesprochen werden; bei Lebzeiten indes waren sie ein Schrecknis, kaum ein Gegenstand des Mitleids; man wich ihnen aus, immer in A n g s t . . . Ich bin glücklich in meiner Armut, weil ich nicht das Bedürfnis habe, in Front zu stehen und eine Rolle zu spielen; wer diesen Zug aber hat - das sind immer 999 unter 1000 - der muß dem Golde nachjagen und sich vor dem verbeugen, der's schon hat." Das Buch ist gegliedert in die Kapitel: Das arme Berlin, 1818-1848 - Der industrielle Aufschwung, 1849-1870 - Von der Gründerkrise bis zum Weltkrieg, 1871-1918 - Die grauen zwanziger Jahre, 1919-1932 - Der Weg in die Katastrophe, 1933-1945 - Vom Nullpunkt zur Währungsreform, 1945-1948 - Sparen in Ost-Berlin - Ein modernes Kreditinstitut, 1949-1968. 208 Es schließt mit einem Nachwort, einer Statistik über 150 Jahre, einem zuverlässigen Personenverzeichnis Sowie einem umfangreichen Literaturverzeichnis. Man erfährt den Weg der Sparkasse von der Armenkasse des 19. Jahrhunderts bis in die demokratische Wirtschaft des 20. Jahrhunderts. Heute ist die Berliner Sparkasse, eine der ältesten in Deutschland, in allen Bankgeschäften nach dem Kreditwesengesetz, dem Sparkassengesetz und ihrer Satzung tätig. Sie erhebt den Anspruch, der Typ eines der Gemeinde verbundenen Kreditinstituts zu sein, das in eigener Verantwortung Geschäftspolitik treibt und in der deutschen Sparkassenorganisation weit über den Rahmen der Gemeinde hinaus wirkt. Daß die Berliner Sparkasse ihre soziale Herkunft und Bestimmung nicht leugnet, geht nicht zuletzt aus diesem Buch hervor. Daß ihr Herz aber nicht nur im Rahmen ihrer Satzung für die Stadt Berlin schlägt, wird aus einer Reihe von Stiftungen ersichtlich, von denen der Erwerb des alten Botanischen Gartens, des ehemaligen „Küchen-, Hopfen- und Zwiebelgartens" des Großen Kurfürsten in der Hauptstraße in Schöneberg die spektakulärste ist; auf diesem Gelände wurden das neue Kammergericht gebaut und der Kleist-Park geschaffen. Dem Rezensenten ist in letzter Zeit kein Buch in die Hand gekommen, das einen gleich gediegenen, handfesten Eindruck machte. Es sei deswegen vermerkt, daß die Gesamtherstellung bei der Firma Brüder Hartmann, Berlin, lag. Der spätere Generalfeldmarschall Helmuth v. Moltke, der in jungen Jahren gleichfalls Kunde der „Stadtarmenkasse" gewesen war, als er für ein Pferd sparte, schrieb 1890 an den Enkel seines Bruders Adolf einen Brief, dessen Anfang auch das heute noch beherzigenswerte Motto dieser vorzüglichen Geschichte der Sparkasse in Berlin sein könnte: „Mein lieber Helmuth! Ich habe Dir das Geld geschickt, damit Du beizeiten lernst, mit Geld umzugehen. Wenn Du den ganzen Betrag in Deinem Sparkassenbuch anlegtest, so wärest Du ein Geizhals, wenn Du ihn in kurzer Zeit verplappertest, so wärest Du ein Verschwender; das Richtige liegt in der Mitte. Wenn einem Geld geschenkt wird - später mußt Du es selbst erwerben - so ist es gerechtfertigt, sich dafür Annehmlichkeiten zu gewähren, aber klug, auch etwas für die Zukunft zu ersparen. Wie Du mit diesen zwanzig Mark verfährst, so wirst Du einst mit größeren Summen wirtschaften. Wer seine Einnahmen voll ausgibt, wird es zu nichts bringen, wer mehr ausgibt, wird ein Bettler oder Schwindler . . ." SchB. Hermann Teske: Berlin und seine Soldaten. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH., Berlin 1968. 104 Seiten mit 20 Abbildungen. Pappbd. DM 9,80 („Berlinische Reminiszenzen", Band 22). Das Büchlein von Hermann Teske, einem bewährten Militärschriftsteller, „Berlin und seine Soldaten", dem weiteste Verbreitung nicht nur in Berlin, sondern auch in ganz Deutschland zu wünschen ist, will mit Recht eine Lücke in dem bisher leider nur stiefmütterlich behandelten Schrifttum zu der interessanten Garnisongeschichte von Berlin schließen! Man merkt mit Freude aus der Darstellung die Anhänglichkeit des Verfassers an seine alte Garnison, in der er viele Jahre als aktiver Offizier der Reichswehr und der Wehrmacht Dienst getan hat, obwohl er dabei den herrschenden politischen Zeitströmungen manche Zugeständnisse notgedrungen machen muß! - Der Autor weist u. a. besonders darauf hin, daß im Berliner Straßenbild militärische Bauten einen gewichtigen Platz einnahmen, von denen Spuren noch heute erhalten sind. Wehmütig wird dabei dem alten militärisch interessierten Berliner zumute, wenn ihm beim Durchblättern des Büchleins die Erinnerungen an das alte „Zeughaus", einst das am meisten besuchte Museum Berlins, die „Alte Garnisonkirche", die „Große Bude" (Generalstabsgebäude) u. a. lebendig werden. Nicht ganz stimmt der Rezensent mit der vorgetragenen Ansicht überein, daß der Soldat in der Zeit bis 1918 keine große Rolle im öffentlichen Leben der Reichshauptstadt gespielt hat. Wenn ich dabei an meine eigene Jugend denke: Frühjahrs- und Herbstparaden zeigten Anklänge an Volksfeste, ebenso die beliebten Militärkonzerte in den damaligen großen Vergnügungsstätten. Grenadiere, Füsiliere, Dragoner beider Kavallerieregimenter usw. beherrschten in ihren schmucken (meist) „Extrauniformen" die öffentlichen „Rennions" (in der damaligen Soldatensprache allgemein statt des unverständlichen Wortes „Reunion" gebraucht), auf denen das „Zivil" oft zurückstehen mußte. Jeder aufgeweckte Berliner Junge kannte seine „Maikäfer", „Franzer" usw., die Eisenbahnbrigade war eben ein gewichtiges Stück Alt-Schönebergs! Es wäre zu begrüßen, wenn auch im neugegründeten „Berlin-Museum" in Form von Zinnfiguren-Dioramen die Erinnerung an die reiche militärische Vergangenheit Berlins, wie es schon längst in der Bundesrepublik in vielen traditionsbewußten Städten geschieht, gepflegt werden würde! - Der Verfasser hätte wegen der Knappheit des ihm zur Verfügung stehenden Raumes vielleicht das ganz Allgemeinbekannte einschränken können, dafür aber interessante Vorgänge aus Berlins Garnisongeschichte von besonderer Charakteristik herausstellen und diese durch entsprechende Bilder veranschaulichen sollen, z. B. die Wichtigkeit, 209 die dem Wachtdienst in der alten Armee bis zum Zusammenbruch von 1806 aus mancherlei Gründen beigelegt wurde, die Erwähnung des damals weitbekannten „Weißen Saales", des Arrestlokals der Offiziere in der „Neuen-Markt-Wache", wo es stets recht lustig und ausgelassen zuzugehen pflegte. So ist leider manches Interessante aus dem Militärleben Berlins weggelassen worden, u. a. auch Namen von bekannten Militärs, die in Berlin längere Zeit gelebt haben, und aus der Gegenwart die Tradition der z. Z. in Berlin ständig stationierten alliierten Schutzmächte. - Bei der nur recht lückenhaften Aufführung des einschlägigen Schrifttums wäre die Erwähnung der „Berlin-Bibliographie" (Berlin 1965), in der in dem Abschnitt „Militärwesen" das Schrifttum gesammelt ist, für den militärisch interessierten Heimatforscher sicherlich von Wert gewesen! - Zusammenfassend sei gesagt, daß das schmale Büchlein von Hermann Teske seinen Platz im Berliner Schrifttum behaupten kann, daß aber die größere wissenschaftlich fundierte Gesamtgeschichte der Berliner Garnison, zu der Leo Grünberg t in der „Zeitschrift für Heereskunde" (Jgg. 1956-1957) den Grund legen wollte, noch aussteht, diese aber gerade wegen der Bedeutung des Militärwesens für die Vergangenheit und Gegenwart Berlins einst geschrieben werden muß! Hans Zopf Egon Jameson: Mein lachendes Spree-Athen, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH., Berlin 1968. 100 Seiten mit 9 Abbildungen. DM 9,80 („Berlinische Reminiszenzen", Band 21). Was für ein reizendes Buch! Der Verfasser sagt: Die Berliner hätten so gern gelacht. Leider muß man das heute in der Konjunktivform wiederholen: Die Berliner hätten so gern gelacht wenn es was zu lachen gäbe! Aber dann braucht man ja nur diese „Berlinischen Reminiszenzen" zu lesen! Schon der Titel ist sehr gut gewählt: Mein lachendes Spree-Athen. Aus ganz persönlicher Sicht schildert Jameson seine Begegnungen mit acht Berliner Spaßmachern, Schauspielern und Zeichnern. Jedes Kapitel ist eine abgeschlossene kleine Biographie, die in meisterhafter Sprache den Künstler, seine Zeit, seine Kollegen und den Verfasser selbst in den Mittelpunkt stellt. Man lacht in wehmütiger Erinnerung an die schöne, vergangene Zeit. Das ist so recht ein Geschenk, wenn man einem Berliner eine Freude machen will. /. S. Friedrich Wilhelm Lehmann präsentiert ein buntes Pro und Kontra der Meinungen über die Einwohner Spree-Athens. Die schrecklichen Berliner. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH., Berlin 1968. 124 Seiten, 18 Abbildungen, Leinen DM 12,80. Den terribles simplificateurs und dem Ugly American gesellen sich nun die schrecklichen Berliner bei, und fast wäre zu wünschen, daß dieses Epitheton ornans nicht in den Büchmann einginge. Da hätte es nähergelegen, die Berliner wie weiland Goethe als einen verwegenen Menschenschlag zu bezeichnen, und nicht wenige der um eine Äußerung über die Berliner angegangenen Persönlichkeiten knüpften ihre eigenen Betrachtungen an dieses Goethe- (oder Eckermann-)Wort. Da wird von genau 121 Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft, in der Mehrzahl Zeitgenossen des Autors, der unter einem Pseudonym schreibt, ein Urteil über den Berliner abgegeben, und wessen Aussage nicht wie die von Bismarck oder Fontane bereits in die Literatur eingegangen war, der wurde ad hoc um seine Meinung befragt. Mit einer Ausnahme (Dietrich Fischer-Dieskau) sprechen alle Aussagewilligen von den Berlinern schlechthin, selbst wenn sie ihr Urteil aus der jüngsten Zeit und aus West-Berlin herleiten; der berühmte Sänger schränkt sein Urteil auf die West-Berliner ein. Wer sich als Berliner bestätigt oder herausgefordert fühlen will, dem sei zu dieser Lektüre geraten. Neben ganz wenigen ärgerlichen Zitaten (Sebastian Haffner) wird er im allgemeinen auf nicht unfreundliche Äußerungen stoßen, und die entsprechen ja vollkommen der Sache. Man hätte sich gewünscht, im Register neben den Namen der Persönlichkeiten auch kurze Angaben zur Person zu finden. Der Literaturnachweis ist verdienstvoll; er wäre u.a. um die 1937 nachgedruckte „Naturgeschichte des Berliners" von G. Langenscheidt zu ergänzen. In der Übersetzung des bekanntesten Kennedy-Wortes hätte das lateinische Zitat Civis Romanus sum im Urtext stehengelassen werden können. Wenn sich der Verfasser über die besondere Stellung des Berliners zum Dativ und Akkusativ ausläßt, so ist er selbst auch in eine Dativ-Falle gelaufen („. . . ungeachtet dieser Randbemerkung von Friedrich IL, des Alten Fritzen", S. 91). Diese lobenswerte Zusammenstellung von Urteilen über die Einwohner dieser Stadt wird ihre Freunde nicht nur bei den geborenen, sondern auch bei den gelernten Berlinern finden, denen der Abt Johannes Trithemius 1505 ins Stammbuch schrieb: „Die Berliner sind gut, aber zu rauh und ungelehrt, sie lieben mehr die Schmausereien und den Trunk als die Wissenschaften. Selten findet man einen Mann, der die Bücher liebt, sondern aus Mangel der Erziehung und der Lebensart ziehen sie die Gesellschaften, den Müßiggang und die Pokale vor. Die Ausschweifung im Trinken wird von ihnen nicht für ein Laster gehalten; doch gibt es auch viele unter ihnen, die sich dessen enthalten, und die Einzöglinge aus Franken und Schwaben, wie ich oft bemerkte, sind mehr dem Soff ergeben als die Landeseinwohner." Schß 210 Im IV. Vierteljahr 1968 haben sich folgende Damen, Herren und Neu bei Haude & Spener Institutionen zur Aufnahme gemeldet: Konrad Bohnert, Architekt 1 Berlin 30, Münchener Str. 2 Tel. 2 1172 87 (H. Hofmann) Friedrich der Große Ein ljcbctubild in Anekdoten Lieselotte Eppner, Beamtin 1 Berlin 37, Argentinische Allee 150 Tel. 8 13 23 92 (H. Wetzel) Franz Joseph Kahlen, Verwaltungsangestellter 1 Berlin 13, Im Heidewinkel 10c Tel. 3 88 69 10 (H. Hofmann) Hilde Krauss 1 Berlin 28, Sigismundkorso 42a Tel. 4 01 21 34 (Dr. Schultze-Berndt) Dorothea Macholz 1 Berlin 41, Büsingstr. 13 Tel. 83 66 84 (G. Warzecha) Niethammer-Barthelmes-Heusner-Kagel, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 1 Berlin 30, Marburger Str. 3 Tel. 2 1 1 7 0 5 1 (A. W. Bluhm) Werner Schmicke, Omnibusunternehmer 1 Berlin 28, Martin-Luther-Str. 54 Tel. 40 68 22 (H. Hofmann) Ingrid Zander, med. techn. Assistentin 1 Berlin 19, Bolivarallee 10a Tel. 3 04 92 10 _ (E. Kaatz) Günther Linke, Bezirksstadtrat 1 Berlin 21, Altonaer Str. 9 Tel. 39 32 60 (Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm) Walter Jaroschowitz, Bez.-Verordnetenvorsteher 1 Berlin 21, Calvinstr. 19 Tel. 39 39 25 Friedrich der Große Ein Lebensbild in Anekdoten 124 Seiten, 8 Abbildungen, Leinen DM 12,80 Dieser Band will ein Mosaikbild liefern, das als Ganzes die Gestalt des großen Preußenkönigs und seine Epoche lebendig werden läßt. Hans-Joachim Schoeps Das war Preußen (W. Mügel) Elise Lemke 1 Berlin 41, Büsingstr. 17 Tel. 83 67 42 (G. Warzecha) Volkshochschule Zehlendorf 1 Berlin 37, Beuckestr. 29 Tel. 84 32 8 1 / 5 6 7 Dr. Peter Letkemann, Archivassessor 1 Berlin 47, Severingstr. 27 Tel. 6 03 87 99 (Dr. G. Kutzsch) Elisabeth Neitzke 1 Berlin 41, Bundesallee 91 Tel. 83 15 96 Hans Bethge (S. Wittke) Zeugnisse der Jahrhunderte Eine Anthologie. 3. Auflage 266 Seiten, Leinen DM 17,80 Das Buch gibt ein Gesamtbild Preußens, in dem auch die Schattenseiten nicht unterdrückt werden, und wirbt für Gerechtigkeit in der Urteilsbildung. B HAUDE & SPENERSCHE Verlagsbuchhandlung GmbH. Gegründet 1614 Berlin 12 211 Klaus Streu, Verwaltungsinspektor 1 Berlin 44, Reuterstr. 20 Tel. 6 21 75 18 (A. Langenheld) Heinz-Hermann Doht, Kaufmann 1 Berlin 13, Rohrdamm 24 B Tel. 3 88 86 33 (G. Doht) „. T, Johanna (jiesemann 1 Berlin 37, Beuckestr. 16 TeL 84 44 10 (H- H ° f m a n n ) Katharina Knirsch 1 Berlin 30, Winterfeldtstr. 54 Tel. 26 24 82 (Frau G. Warzecha) Da die Herausgabe eines Mitgliederverzeichnisses bevorsteht, wird dringend gebeten, der Geschäftsstelle alle Anschriftenänderungen, neue Telefonanschlüsse sowie umgeschaltete Nummern anzugeben. Anschriftenänderungen: Erich Borkenhagen, 3105 Faßberg, Uhlenflucht Dr. Konrad Kettig, 1 Berlin 38, Krottnaurer Str. 13 E d g a r M o H t z M ä d l e r j Generalkonsul 605 Offenbach/Main, Frankfurter Str. 129 Erika Metzner, 1 Berlin 33, Ehrenbergstr. 36b Horst Michael, 1 Berlin 28, Schluchseestr. 63 Dr.-Ing. Joachim Mollenhauer, 1 Berlin 33, Am Postfenn 5 H o r s t Nürnberg, 1 Berlin 30, Rosenheimer Str. 37 j B e r l i n 1 9 W u n d t s t r . 20 Df p c sdlwe Dr.-Ing. Horst W. Steinfort, Luxemburg, 15 Bd. Grand Duchesse Charlotte Veranstaltungen im I. Vierteljahr 1969 1. Dienstag, 14. Januar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Günter Wollschlaeger „700 Jahre Stilwandel im Berliner Kirchenbau". 2. Sonnabend, 25. Januar, 10.00 Uhr, Besichtigung der Hauptfeuerwache, 1 Berlin 13, Nikolaus-Groß-Weg (Bus A 72 und 99, außerdem A 21, 55, 62 und 65 bis Jakob-Kaiser-Platz). Einführung durch Herrn Oberbranddirektor Dipl.-Ing. Heinz Höhne. 3. Mittwoch, 5. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag der Frau Dr. Ilse von Hülsen-Reicke „Von Sophie Charlotte über Rahel zu Marie-Elisabeth Lüders - unsere hervorragenden Berlinerinnen!". 4. Dienstag, 11. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, „Einbeck im Film und in Lichtbildern". Bericht über die Studienfahrt vom 13.-15. September 1968 von Herrn Dr. Hans Günter Schultze-Berndt. 5. Dienstag, 25. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, volkstümlicher Tonbildvortrag von Frau Käthe Denicke „Alt-Wilmersdorf gestern und heute". 6. Dienstag, 11. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Hans-Werner Klünner „Blick über den Humboldthafen in die Friedrich-Wilhelm-Stadt". 7. Sonnabend, 29. März, vormittags, Exkursion unter Leitung von Herrn Kurt Pomplun mit einem Reisebus zu den Dorfkirchen Tempelhof, Britz, Buckow, Marienfelde und Dahlem. Anschließend Mittagessen im Dahlemer „Alten Krug". Treffpunkt und Fahrtkostenanteil werden nach schriftlicher Anmeldung, die bis zum 15. März an Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, erbeten wird, den Teilnehmern mitgeteilt werden. Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. Freitag, 10. Januar, 21. Februar und 21. März zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof. Dr. Dr. W . Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 6 1 ; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude 6c Spenersche Verlagsbuchhandlung G m b H , Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung O t t o v. Holten GmbH, Berlin 30 212 f adiabt der Beniner Stadtbibliothe» US MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 65. Jahrgang. Nr. 16 1. April 1969 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 698 67 91 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.),Gotha-Allee28,Ruf: 30462 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 Ölgemälde von Paul Joseph Bardo C.F.Zelter 1806. 213 Carl Friedrich Zelter 1758-1832 Von Ilse Sarneck-Goslicir" „Mein Vater war eines Schanzgräbers Sohn aus Groß-Röhrsdorf bei Dresden" beginnt Zelter seine Selbstbiographie und erzählt, daß der Vater, um Lesen und Schreiben zu lernen, mit 14 Jahren als Kanzleigehilfe bei einem Rechtsanwalt eintrat. Später wurde er Maurerlehrling, kam auf seiner Wanderschaft bis nach Berlin, legte hier die Meisterprüfung ab und heiratete die Tochter eines Bürgers und Tuchschermeisters, Anna Dorothea Hintze. Er war ein sehr tüchtiger Baumeister und beschäftigte schließlich 60 Gesellen in seinem Geschäft, für die er rührend sorgte. Auch besaß er eine eigene Ziegelei am Schwielowsee, an der Grelle, und es ist nicht ganz sicher, ob Zelter nicht dort draußen am 11. Dezember 1758 geboren wurde. Geschäftliche Reisen führten den Vater oft weit über Land. Inzwischen vertrat ihn seine Frau, so gut sie konnte. Nur machte es ihr manchmal großen Kummer, daß sie das Schreiben nicht gelernt hatte. Sie hätte so gern ihrem Mann einen selbstverfaßten Geschäftsbericht gesandt. „Ach, wenn mein Hanschen noch lebte! Der hätte mich das Schreiben längst beigebracht!" klagt sie in der Erinnerung an ihren sehr jung verstorbenen älteren Sohn. „Willst du es nicht von mir lernen, Mutter?" erbot sich der achtjährige Carl Friedrich. Und nun wurde jeden Tag geübt, bis die Mutter in kurzer Zeit ihren Mann aufs höchste überraschte durch einen eigenhändig verfaßten Brief. In ihrer Herzensfreude schenkte sie ihrem Sohn einen blanken Friedrichsd'or, den er lange aufbewahrt hat. Carl Friedrich war das jüngste von vier Kindern. Seine beiden Schwestern heirateten früh, und der Sohn schloß sich um so inniger seiner Mutter an. Er besuchte das Gymnasium, erkrankte aber als Siebzehnjähriger sehr heftig an den Pocken und mußte, um seine Augen zu schonen, lange Zeit im verdunkelten Zimmer bleiben. Wahrscheinlich behielt er von daher eine Augenschwäche, die ihn zwang, zeitlebens eine Brille zu tragen. Da begann er, fleißig Klavier zu spielen, und aus der intensiven Beschäftigung mit allen ihm erreichbaren Klavier- und Kammermusiknoten erwuchs ihm eine Begeisterung für die Musik, die ihn im Laufe eines langen Lebens immer mehr erfüllte und ihn allmählich ganz von der vorbestimmten Laufbahn abzog. Sein Vater nämlich hatte ihn als seinen Nachfolger bestimmt und meldete ihn nach dem Abiturium bei seinem Freunde, dem Altmeister der Berliner Maurerinnung, als Lehrling an. Nun hieß es, Ziegel zu tragen, und mit Wehmut sah Carl Friedrich seine gepflegten Hände hart und rissig werden. Kaum aber war Feierabend, da saß er am Klavier, und durch allerlei Tauschgeschäfte konnte er sein Notenmaterial immer mehr vervollständigen. Schließlich wurde er Schüler von Carl Friedrich Christian Fasch * Die vorliegende Arbeit fußt auf dem 44. Band der Schriften der Goethe-Gesellschaft: „Carl Friedrich Zelters Darstellungen seines Lebens. Zum ersten Male vollständig nach den Handschriften herausgegeben von Johann-Wolfgang Schottländer, Weimar 1931." - Zur Vorbereitung dieses Werkes hatte die Verfasserin das Manuskript aus Stettin von den Zelter-Erben geholt, es abgeschrieben und bei den Zelter-Nachkommen Einzelheiten erforscht. Wir haben Anlaß, diese jahrelange Mitarbeit unseres Mitgliedes an der Zelter-Forschung nochmals hervorzuheben. Die Schriftleitung. 214 (1736-1800), dem Pianisten im Hausorchester Friedrichs des Großen. Kam nun der Sommer, so folgte Fasch seinem König nach Potsdam und Sanssouci - und Zelter, der keine Stunde versäumte, sah sich gezwungen, den weiten Weg von seiner Lehrstelle am Schlesischen Tor bis nach Potsdam jeden Samstag zu Fuß zurückzulegen. Weder der Lehrherr noch der Vater durften etwas davon merken. Ein Freund leistete die doppelte Arbeit für ihn; er selbst zog vor Tau und Tag von dannen, kam mittags in Potsdam an, aß im Gasthaus zu Mittag, nahm seine Klavierstunde und marschierte dann nach Hause, wo er spät in der Nacht eintraf. Fasch hielt ihn für einen reichen jungen Mann, der mit dem eigenen Wagen vorfuhr - und dabei saß Zelter manchmal im Grunewald, hatte sich verlaufen und fürchtete sich entsetzlich vor den Bäumen, die ihn wie Gespenster umringten. Als Fasch aber durch einen Zufall entdeckte, was der musikbeflissene Junge seiner Kunst für Opfer brachte, wollte er kein Geld mehr für den Unterricht annehmen und blieb ihm zeitlebens ein wohlwollender Freund und Mentor. Inzwischen hatte Fasch aus gelegentlichen Singversuchen im Kreise seiner Bekannten ein regelmäßiges musikalisches Kränzchen geschaffen. Aber das paßte dem Hauswirt in der Junggesellenwohnung Unter den Linden nicht. So kam man in der Wohnung der verwitweten Frau Generalchirurgus Voitus in der Charlottenstraße allwöchentlich zusammen. Bald aber wurde der Raum zu eng, und Fasch entdeckte in dem seiner Wohnung gegenüberliegenden Akademiegebäude einen leeren Saal, der zwar über dem Marstall lag, in dem aber das viele Singen niemanden störte. Heizen durfte man nicht, wegen der Futtervorräte für die Pferde. Wurde es gar zu kalt da oben, dann knieten die Damen nieder, um sich besser in ihre Röcke wickeln zu können, und sangen in Muff und Pelzmütze. Verwundert standen die Berliner vor dem Haus und fragten sich: „Wer singt denn da in der Akademie?" So entstand der Name „Sing-Akademie". Das Gebäude stand an der gleichen Stelle, an der später die Staatsbibliothek erbaut wurde. Aber der Zustrom zur Singakademie wurde immer größer, niemand wollte die Proben versäumen, und als nach Faschens Tode Zelter die Leitung übernahm und in kurzer Zeit die Zahl seiner Chormitglieder verzehnfachte, da bat er König Friedrich Wilhelm III., der oft die Aufführungen anhörte, um ein Grundstück, und Schinkel, sein Kollege im Baufach, mußte ihm ein Konzerthaus bauen. Man blieb Unter den Linden und behielt auch den alten Namen bei - und Generationen von Berlinern und Berlinerinnen sind Mitglieder der Singakademie gewesen oder kennen doch wenigstens als Publikum das schöne Gebäude im Kastanienwäldchen von den Konzerten namhafter Solisten. Ein Bild zeigt Zelter 1806 mit weißen Locken, die Finger der rechten Hand taktierend erhoben, und mit einem Ausdruck, als lausche er, ob der Einsatz auch präzise kommt (Titelbild). Wollten die Herren des Chors ihre Stimmen einmal allein versuchen, so trafen sie sich im Gasthaus zum Abendessen und übten dann unter Zelters Leitung die wenigen Männerchöre, die es damals gab. Die zuerst durch einen Zufall sich ergebende Runde von 24 Herren wurde zur Bedingung erhoben, der Männerchor nannte sich „Liedertafel" (von der gemeinsamen Abendtafel mit anschließendem Gesang) und eines seiner Mitglieder, ein Arzt namens Henning, stiftete einen wertvollen silbernen Pokal, der mit Rotwein gefüllt und mit einem kleinen Holzhammer angeschlagen, ein reines 215 Kammer-A ertönen ließ. Nur an der nötigen Literatur fehlte es. Was war einfacher, als daß der Dirigent sie komponierte? Da kamen nach der ernsten Musik dann die sonderbarsten Texte dran. Einmal wurde kurzerhand der Entschuldigungsbrief eines abwesenden Mitgliedes vertont („Hohohoho, der Staberow!"). Ein andermal hatte jemand ärgerlich ausgerufen: „Ach was, der Schlegel ist ein Hans-Arsch!" „Diesen Ausdruck verbitte ich mir! Schlegel hat keinen Arsch!" rief ein anderer empört dagegen. Ehe es zu einer Debatte kommen konnte, hatte Zelter eingegriffen und intonierte einen Kanon, in den alsbald jedermann einstimmte: „Und wenn er keinen Hintern hat, wie mag der Edle sitzen? Wie, wie, wie?" Das macht ja gerade den Reiz von Zelters Persönlichkeit aus: dieses Zupacken, wo sich ihm Arbeit bietet, dieser Berliner Witz, der immer den Nagel auf den Kopf trifft, diese flinken Augen, die alles sehen, was vorgeht, und die warmherzige, frohe Art, im rechten Moment dem anderen zu helfen. Das war es ja, was Goethe veranlaßte zu einer Bemerkung über die Berliner, „die Haare auf den Zähnen haben" und die er deshalb nicht leiden konnte - mit Ausnahme von Zelter! - wie er sofort hinzufügte. Er hat sich gewiß köstlich amüsiert über Zelters Bonmots, von denen es in seinen zahllosen Briefen nur so wimmelte, aber er wußte, daß mehr dahinter steckte: ein aufmerksames Auge und Ohr, das zwar gelegentlich die Schwächen der Mitmenschen bemerkte, das aber auch stets bereit war, alles Schöne zu sehen, was ihm auf seinen Wegen begegnete. Was konnte er für lebendige Reiseberichte schreiben! Goethe schrieb ihm einmal voller Freude: „Ich wollte, ich hätte sehr viel Geld! Dann würde ich Dich reisen lassen, nur um mich an Deinen Briefen freuen zu können!" Ja, Goethe sagte „Du" zu seinem Freunde Carl Friedrich - eine ganz seltene Auszeichnung, die nicht einmal Schiller zuteil wurde. Und dabei lebten sie weit voneinander getrennt und sahen sich nur, wenn Zelter eine Sommerreise in der Postkutsche nach Weimar oder Karlsbad unternahm. „Der weiße Schwan erwartet dich jederzeit mit offenen Flügeln" schrieb Goethe. Und vom Fenster des Hotelzimmers aus ging schon morgens das Grüßen und Winken, und das „Aurikelchen" (Ulrike von Pogwisch) bedeutete ihm durch Zeichensprache, ob „der Papa" gut geschlafen habe und geneigt sei, den Freund zu empfangen. Dann sprachen sie über des Dichters Werke und des Freundes Kompositionen, über Goethes Studien und Zelters Theaterbesuche, über den Hof in Weimar und Berlin, über die Kinder und Enkel. Denn Zelter war inzwischen eine bekannte Persönlichkeit in Berlin geworden, hielt Vorlesungen über Musik in der Universität und dirigierte den Studentenchor, regte die Schaffung der Akademie für Kirchen- und Schulmusik an und kannte alles, was einen Namen in Wissenschaft, Kunst und Theater hatte. Zur Zeit der Franzosenbesetzung hatte er als Stadtvater das Haus voller Offiziere und sorgte sich um die Vorschriften der Militärregierung und die Verpflegung der Bevölkerung. Abends saß er, wenn er nicht in der Singakademie oder Liedertafel zu tun hatte, regelmäßig im Theater, und nachts verfaßte er lange Briefe an den Freund in Weimar, der ja lange Jahre Intendant des dortigen Theaters war. Goethes Schüler und erster Held (für den er seine „Regeln für Schauspieler" schrieb), Pius Alexander Wolff, ging zusammen mit seiner Frau Therese, geb. Malcolmi, ans Königliche Schauspielhaus in Berlin. Am ersten Sonntag nach seiner Ankunft machte er Zelter seinen Besuch. Dieser wußte zwar, daß sich Goethe sehr gekränkt hatte über die Abreise des von ihm stets bevorzugten Lieblingsschülers, aber er nahm den Gast doch freundlich auf und berichtete nach Weimar über dessen Erfolge 216 als Schauspieler. Kam August von Goethe mit seiner Frau nach Berlin, so wohnten „die Kinder" selbstverständlich bei Zelter, und dessen Töchter stürzten sich mit Ottilie in den Trubel des „Großstadtlebens". Ja, die Töchter und die Söhne ! Kinder gab es bei Zelters „immer ein rundes Dutzend". Er hatte auf Wunsch seiner Mutter 1787 mit 24 Jahren als junger Maurermeister eine junge Witwe geheiratet, die ihm vier Stiefkinder mit in die Ehe brachte. Sie war „die schönste Frau von Berlin", fleißig und ruhig, und es wurde eine gute Ehe, in der keiner dem anderen je ein böses Wort gab. Eleonore Flöricke, geb. Kappel (1761-1795), war ihren Kindern eine liebevolle Mutter, aber sie starb nur allzu jung. Zelter stand mit seinen vielen Kindern verzweifelt an ihrem Sarge. Seine gute, alte Mutter, bald auch seine Schwiegermutter, taten ihr Bestes, aber es wurde ihnen zuviel. Geburtstagsständchen der Familie Zelter für die Mutter, Julie, geb. von Pappritz (1804). Zeichnung von Johann Gottfried Schadow, Berlin, Märkisches Museum So entschloß sich Zelter, bald nach dem Tode seiner Frau, für die er immer nur gute Worte des Dankes fand, einer stillen Herzensneigung nachzugeben. In seiner Singakademie wirkte schon lange als Stütze des Soprans ein Fräulein Juliane von Pappritz (1767-1806), eine Dame aus sehr guter Familie, die wegen ihrer wundervollen Stimme Kammersängerin bei der Prinzessin Friederike von Preußen war. 1796 übernahm sie das schwere Amt, den verwaisten Kindern die Mutter zu ersetzen, und wurde die unendlich geliebte und bewunderte Frau des fleißigen Mannes, der noch immer tagsüber auf dem Bauplatz kommandierte und in der freien Zeit am Flügel saß. Für seine Frau schuf er seine schönsten Lieder, und er war unsagbar stolz und glücklich, wenn sie sie mit seiner Begleitung im Freundeskreis oder auf dem Podium der 217 Singakademie vortrug. Auch sie schenkte ihm drei Kinder, starb aber schon nach kurzer Ehe bei der Geburt des dritten Kindes im Alter von 36 Jahren. Ihren Tod konnte er nie verwinden. Er blieb allein und lebte nur noch seinen Kindern und seiner Kunst. Die großen Töchter waren verheiratet, zwei Mädchen blieben beim Vater und führten ihm den Haushalt. Unter ihrer Obhut wuchsen die kleinen Geschwister heran. Aber gerade die Kinder seiner geliebten Juliane starben als eben erwachsene Menschen, und auch von den Kindern aus erster Ehe mußte er manches hergeben. So übertrug er allmählich seine Geschäfte auf Karl Flöricke, seinen Stiefsohn, den er zum Kaufmann hatte ausbilden lassen. Er hatte ihn während seiner Wanderjahre auch nach Weimar geschickt. Und nun mußte er dem Weimarer Freund Mitteilung machen, was für ein Schlag ihn getroffen hatte durch den Tod dieses Sohnes. Sonnabend, den 14. November 1812 „Mein ältester Sohn, den Sie kennen sollten, da Sie ihm in Weimar Gutes erzeigt haben, hat sich diese Nacht erschossen. Warum, weiß ich noch nicht eigentlich, denn seine Schulden sind zu decken und sein Rechnungswesen in Ordnung. Er hatte eben angefangen, mir hülfreich zu werden, wie er denn, im Verhältnis zu den Seinigen, konnte ein geschickter Mensch genannt werden. Und nun verläßt er mich, eben da ich ihn recht heranzuziehen wünschte. Sonntag, den 15. Zwei Briefe hat er am Tage vor seinem Tode geschrieben: einen an seinen Bruder, in dessen Gegenwart er sich den Tod gegeben hat. Darin empfiehlt er dem Bruder seine natürliche Tochter, ein Kind von drittehalb Jahren, und eine geliebte Witwe, der er die Ehe versprochen und die schon 2 Männer tot hat. An diese Witwe ist der 2. Brief gerichtet. Er stellt darinnen einen Ring zurück, beklagt, daß er ihren liebevollen Ermahnungen keine Folge geleistet, und sagt Lebewohl. Auf seinem Schreibpulte lag der ,Don Carlos' aufgeschlagen. Auf dem Blatte stand: ,So ist denn keine Rettung? auch durch ein Verbrechen nicht? - Keine!'. . . Sagen Sie mir ein heilendes Wort. Ich muß mich aufrichten, doch bin ich nicht mehr, was ich vor Jahren war. Ich habe Kraft, aber zu anderen Sachen. Hier will ich gehalten sein. Seit neun Monaten habe ich meine einzige, höchst geliebte Schwester, deren Sohn (der zugleich mein Tochtermann war) und nun diesen geliebten Frevler verloren. Was vielen abgeht, darüber wissen viele sich nur gar zu leicht zu trösten: was Einer verliert, darüber muß er alle entschädigen. Ich habe mir das Kind bringen lassen; es ist von stillem und gedrängtem Wesen und hat Augen, die den Ihrigen ähnlich sind. Ihr Bild, welches in meiner Stube hängt, sieht sie unablässig an; ich werde es wohl zu mir nehmen, damit ich wieder zu verlieren habe. . . . Dienstag früh. Jetzt bringen sie ihn zur Ruhe. Ich bin in der Qual und muß denken: ich hätte es hindern können. Höchst wahrscheinlich hat sein Versprechen, die Witwe zu heuraten, den unseligen Entschluß herbeigeführt, indem ich ihm schon vor mancher Zeit sagte, daß, wenn er frei sei, ich wenigstens Eine ganz vorteilhafte Partie für ihn wüßte, worauf er mir die Antwort schuldig blieb. Die Witwe ist arm, hat einen Sohn, und er hatte sein Vermögen, das freilich nur in ein paar tausend Talern bestand, vertan. Nun, mein liebster Freund, Lebewohl! . . . Lassen Sie von sich hören." 218 Zelter „Dein Brief, mein geliebter Freund, der mir das große Unheil meldet, welches Deinem Hause widerfahren, hat mich sehr gedrückt, ja gebeugt, denn er traf mich in sehr ernsten Betrachtungen über das Leben, und ich habe mich nur an Dir selbst wieder aufgerichtet. Du hast Dich auf dem schwarzen Probiersteine des Todes als ein echtes und Seele durchdrungen ist, und wie schön muß ein Talent sein, das auf einem solchen Grunde ruht!" - So antwortet Goethe am 3. Dezember 1812 und gab dem vereinsamten Vater mit dem vertrauten „Du", das er hier zum ersten Male gebraucht, in rührender, taktvoller Freundesart einen behutsamen Fingerzeig zu neuer Hoffnung eine Gewißheit, daß ihm noch ein wahrer Freund geblieben war. Berlin, den 24. Dezember 1812 „Mein süßer Freund und Meister! mein Geliebter, mein Bruder! Wie soll ich den nennen, dessen Namen immer auf meiner Zunge liegt, dessen Bild sich auf alles abspiegelt, was ich liebe und verehre! Wenn das weimarische Kuvert meine Treppe heraufwandelt, gehen meinem Hause alle Sonnen auf. Die Kinder, die es kennen, reißen sich darum, wer von ihnen es mir bringen soll, um des Vaters Angesicht im Lichte zu sehn, und ich halte es denn lange uneröffnet, besehe es, ob es auch ist, was es ist, drehe es und drücke es und küsse es." Das war Zelters Dank für das freundschaftliche Du, mit dem ein Freundschaftsbund besiegelt war, der die beiden bis an den Tod vereinte. „Schick mir doch bitte den neuesten Band Deiner gesammelten Werke!" schreibt Zelter zu jedem Weihnachtsfest. Als Gegengabe sandte er Teltower Rübchen, gefrorene Hechte und - als Packmaterial - die „Komödienzettel des vergangenen Jahres", die sich Goethe vom Buchbinder einbinden ließ. Und dabei hatte doch Zelter jedes einzelne Werk Goethes schon im Manuskript erhalten, ja, manche Lieder hat Zelter direkt für seinen Chor bei Goethe bestellt. Er galt in Berlin als eine Art Goethe-Experte. Gut beschreibt das Walter Bloem in seinem Roman „Faust in Monbijou". Dort läßt er Zelter in sehr feiner, kluger Art die Regie führen bei einer Liebhaber-Aufführung im Hause des Fürsten Radziwill. Immer wieder wird er respektvoll nach seiner Meinung gefragt, da er bisher der einzige Berliner ist, der den „Faust" kennt. - Und wie verständnisvoll machte er sich Goethes Werke zu eigen! Sogar den „Benvenuto Cellini" hat er genau studiert. Seine besondere Neigung aber galt Goethes Lyrik. Unendlich viele seiner späten Gedichte hat er komponiert. Zum ersten Mal hörte Goethe eine Zeltersche Komposition, als die beiden Studenten David Veit und Latrohe ihm in Jena das Lied „Ich denke dein" von Friederike Bruns vorsangen. Goethe war davon so entzückt, daß er den Text auf seine Art umdichtete. Ein anderer Anknüpfungspunkt zur persönlichen Bekanntschaft mit Goethe war ein Heft Zelterscher GoetheVertonungen, das die Frau des Berliner Verlegers Unger Goethe mit einem empfehlenden Briefe übersandte. Zelter hatte dem Verleger, der die C/wger-Frakturtype erfand, im Tiergarten ein Sommerhaus gebaut. Leider sind heute nur wenige Lieder Zelters Allgemeingut der Öffentlichkeit. Sehr schön ist sein „König in Thule", am bekanntesten wohl „Es ist ein Schuß gefallen", das heute meistens als Kinderlied mit dem Text „Der Kuckuck und der Esel" gesungen wird. Damals fand man Zelters Namen alljährlich im neuesten Taschenalmanach auf einer Notenbeilage, und es gab wohl keinen Dichter seiner Zeit, dessen Verse er nicht komponiert hätte. Auf Grund ihres regen Briefwechsels fragte Goethe denn auch regelmäßig Zelter um seine Meinung zu den neuesten Erscheinungen des Konzertlebens. Daß da gelegentlich einmal ein 219 etwas knurriges Urteil herauskam, darf man dem alten Herrn nicht übelnehmen. So schreibt er, obwohl er gewiß später eingesehen hat, daß er zu voreilig geurteilt hatte, am 5. September 1821: „Eine neue Oper: ,Der Freischütz' von Maria v. Weber, geht reißend ab. Ein einfältiger Jägerbursch (der Held des Stücks) läßt sich von Schwarzkünstlern, die ebenso einfältig sind, verführen, vermittelst mitternächtlicher Zauberkocherei sogenannte Freikugeln zu gießen, um durch den besten Schuß seine eigene, schon mit ihm versprochene Braut zu gewinnen, die er endlich mit solcher Kugel - erschießt? Bewahre! Auch diese trifft er nicht. Das Mädchen fällt nur vom Knalle, steht gleich wieder auf und läßt sich Knall und Fall heiraten. Ob nun der Treffer das letztere besser kann, ist nicht angegeben. Die Musik findet großen Beifall und ist in der Tat so gut, daß das Publikum den vielen Kohlen- und Pulverdampf nicht unerträglich findet. Von eigentlicher Leidenschaft habe vor allem Gebläse wenig gemerkt. Die Kinder und Weiber sind toll und voll davon; Teufel schwarz, Tugend weiß, Theater belebt, Orchester in Bewegung, und daß der Komponist kein Spinozist ist, magst Du daraus abnehmen, daß er ein so kolossales Werk aus oben genannten nihilo erschaffen hat." Aber ein großes Verdienst hat Zelter! Er hat den ganz in Vergessenheit geratenen Bach wieder entdeckt. Die Partitur der Matthäuspassion für die Erstaufführung in der Singakademie trägt Zelters Handschrift, mit der er den bezifferten Baß eintrug und die Tempi vermerkte. Als er mitten im Proben war, kehrte sein Schüler Felix Mendelssohn-Bartholdy von einer Reise zurück. Selbstverständlich versäumte er keine Probe in der Singakademie. Die Generalprobe unter Zelters Leitung versprach einen großen Erfolg. Am Tage der Aufführung erschien Zelter auf dem Podium und überreichte mit einem väterlichen Lächeln dem jungen Felix den Dirigentenstab, um in ihm das musikalische Genie und den jugendlichen Nachfolger zu ehren. Dann nahm er selbst im Parkett neben den überraschten Eltern Platz. Spätere Forschung nahm an, Felix Mendelssohn habe Bach wieder entdeckt. „Ich hätte der Musik nie solch herzliche Töne zugetraut!" sagte Goethe zu Eckcrmann beim Anhören einer neuen Zelter-Komposition. Goethe ließ sich die Berliner Kompositionen immer von einer kleinen Musikgruppe unter der Leitung des jungen Kapellmeisters Eberwein vorspielen. Er hatte ihn sogar nach Berlin zu Zelter gesandt, damit er sich mit dem Dirigieren der Chorliteratur vertraut machen konnte. - Zelter war rastlos fleißig. Er feilte lange an einem Lied, ließ es immer wieder liegen und war stets bemüht, sein Bestes zu geben. Pfuscharbeit konnte er nicht leiden. Von seinem Kollegen Reichardt behauptete er: „Der sudelt die Noten zusammen, kackt sie auf ein Notenblatt und schickt sie noch warm in die Presse!" Treue und Beständigkeit waren die Grundzüge seines Wesens, und eine grenzenlose Verehrung für den Weimarer Freund. Seine Handschrift wandelte sich völlig im Umgang mit Goethe. Schließlich konnte man beider Briefe kaum mehr unterscheiden. Mit Goethes Tod war auch ihm jede Lebenskraft genommen. „Excellenz hatten natürlich den Vortritt, aber ich folge Ihnen bald!" sprach er sechs Wochen nach Goethes Tod, als er am letzten Abend seines Lebens das Wohnzimmer verließ. Am 15. Mai 1832 folgte er 73jährig dem Freunde in die Ewigkeit. Anschrift der Verfasserin: Berlin 61, Grimmstraße 17. 220 Nachrichten Ehrenmitglied Arthur Lessing 80 Jahre alt Herr Arthur Lessing hatte am 13. Februar sein 80. Lebensjahr vollendet. Ein Kreis von Mitgliedern des Vereins und Freunden des Jubilars war mit Glückwünschen und Gaben zur Stelle. Der Vorsitzende Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm übermittelte die Glückwünsche des Vereins. Er würdigte die großen Verdienste, die sich der Jubilar, eines unserer ältesten Mitglieder, im Vorstand und als Archivar erworben hat, Verdienste, die der Verein mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft dankbar zum Ausdruck gebracht hat. Der Jubilar ist seit Jahren Träger der bronzenen und silbernen Fidicin-Medaille des Vereins für die Geschichte Berlins. Erinnernde Gespräche der älteren Gratulanten an die glanzvollen Veranstaltungen des Vereins, insbesondere die „Domherrenfahrten" in die Mark Brandenburg, hielten den Kreis im gastlichen Heim des Jubilars und seiner Gattin in Mariendorf noch lange zusammen. K. Bullemer * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche Herrn Stadtbaurat a. D. Rudolf Kolwes zur seltenen Feier des 90. Geburtstages, Frau Elisabeth Pape zum 80. und Herrn Glasurmeister Emil Hess zum 70. Geburtstag. Herrn Prof. Dr. Rudolf Wesenberg, Bonn, und Herrn Oberstudienrat Atzrott, Fischbeck, dankt der Verein für Bücherspenden. Stühle für die Bibliothek spendete Herr Johann Marker. * Von unserem Jahrbuch „Der Bär" sind noch folgende Jahrgänge erhältlich: Jahrgang 953 957/58 959 960 Preis Jahrgang 4,80 4,80 4,80 4,80 1961 1962 1963 1964 Preis Jahrgang Preis 5,80 5,80 5,80 5,80 1965 1968 1969 38,00 9,80 9,80 Von den „Mitteilungen" sind nur noch die Hefte 11-16 erhältlich. Buchbesprechungen Jacob Jacobson: Jüdische Trauungen in Berlin 1759-1813. Mit Ergänzungen für die Jahre 1723-1759. Mit einem Geleitwort von Hans Herzfeld. Walter de Gruyter & Co. Berlin 1968. XLIII, 668 S. mit 18 Abb. Gl. DM 84,- (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Bd. 28. Quellenwerke Bd. 4). Hinter jeder nüchternen Angabe in einem Register des Personenstandes steht ein Menschenschicksal. Das Studium der sorgfältig erarbeiteten chronologischen Verzeichnisse ergibt ein Spiegelbild der wechselvollen Haltung des preußischen Königshauses gegenüber dem Judentum. Es gibt aber auch Lichtblicke: hier klingen bereits Namen auf, mit denen in späteren Jahren nach der Einführung der Emanzipationsgesetze von 1812 - kulturelle Leistungen verknüpft sind, deren Bedeutung weit über die landesherrlichen Grenzen hinausging. Carl Fürstenberg hat einmal gesagt: „Die Jetztzeit steht auf den Schultern der vergangenen Generationen." Im „Dritten Reich" hat auch diese Sentenz ihren Sinn verloren. Die wenigen Oberlebenden schweigen wie nach dem Erwachen aus einem bösen Traum. Unendliche Trauer verschließt ihren Mund. Prof. Hans Herzfeld hat in einem Geleitwort aus der Sicht des Historikers den Standort des Werkes bestimmt. Die Einleitung des Autors, der die Drucklegung gerade noch erleben konnte, sollte jeder lesen - unabhängig von der Konfession. Abgesehen vom historischen Gehalt ist sie ein Muster- 221 beispiel von Akribie und offenbart den Meister in der Quellenerschließung und Kombination der Forschungsergebnisse. Für seine Leistung gilt das Wort, das Fontane den schottischen König Jacob sagen läßt, wenn er den vaterlandslosen Archibald Douglas im Graben der Landstraße erblickt: „Der ist in tiefster Seele treu, der die Heimat so liebt wie Du!" Hans Leichter Und det jloobste? Berliner Humor seit 150 Jahren. Neu herausgegeben von Konrad Lemmer. Mit 42 (davon 4 farbigen) Abbildungen. Rembrandt Verlag, Berlin 1968. 112 Seiten. DM 9,80 Zur Geschichte Berlins gehört unbedingt auch die Kenntnis des Humors und Dialektes des Berliners mit seinem ihm angeborenen Mutterwitz, seiner kessen Zunge, seiner Sehlagfertigkeit, hinter der sich oft Gemüt und warmes Herz verbergen. - So ist neben vielen Berlin-Büchern in der Nachkriegszeit die Neuherausgabe dieses ansprechenden, in Leinen gebundenen, herzerfrischenden Bändchens von Konrad Lemmer sehr zu begrüßen. Es erinnert zugleich an seine gemeinsam mit Adolf Heilborn, dem geistreichen Alt-Berliner Publizisten, ursprünglich 1924 herausgebrachten Sammlung, die 1934 unter den damaligen Verhältnissen zwangsweise eingestellt wurde. - Mit Schmunzeln genießt der Leser die zahlreichen Anekdoten, spritzigen Bonmots, Urteile, Redensarten, Sprichwörter und berlinischen Beschreibungen. - Im Spiegel von fast zwei Jahrhunderten mit bedeutenden Persönlichkeiten aus Künstler-, Maler-, Bildhauer-, Musiker-, Schauspieler-, Philosophen-, Arzt- und Militär- bis zu den Hofkreisen leuchtet und blitzt es von genialen Improvisationen, Gedanken oder kurzen Dialogen. Auch die längst vergessenen Berliner Schusterjungen und echten Berliner Typen kommen dabei nicht zu kurz. - Die „I-Punkt-Flamme" des urwüchsigen Humors aus Glassbrenners, Fontanes, Raabes, Heines und Kalischs Kladderadatsch-Zeiten sowie später aus Sammlungen Lederers und Ostwalds entzündet von neuem die Herzen. So stößt man neben bekannten Aussprüchen und Einfällen auch auf viele neue Entdeckungen. Sie verbinden sich ergänzend mit Bildwiedergaben nach den Originalen der großen Zeichner Dörbeck, Krüger, Scbadow, Hosemann, später auch Simmel und dem „Pinsel-Heinrich" Zille, dem das Berlin-Museum in den Räumen des ehemaligen Kammergerichts in der Lindenstraße vor kurzem aus Leihgaben Axel Springers eine Gedenkausstellung widmete. Wenn dem sorgsam zusammengestellten Buch noch ein alphabetisches Personenverzeichnis beigefügt wäre, so hätte man infolge der öfteren Wiederkehr einzelner Namen in verschiedenen Anekdoten, denen man durch die besondere sachlich-kategorische Einteilung begegnet, die genannten Größen ohne Umstände leicht wieder herausfinden können. Das schmälert jedoch den Gewinn des Buches keineswegs, das für jeden humorbeflissenen „Berlin-Schwärmer" eine köstliche Fundgrube ist. Franz Berndal Sagen und Märchen aus Berlin und der Mark Brandenburg. Neu herausgegeben von Konrad Lemmer. Mit Illustrationen von Ingrid Schneider-Ertmer. Rembrandt Verlag, Berlin 1968. 136 Seiten. DM9,80. Konrad Lemmer hat neben seinem Berliner-Humor-Buch „Und det jloobste" in bunter Folge eine neue Zusammenstellung von Sagen und Märchen aus Berlin und der Mark Brandenburg erscheinen lassen. Die Sammlung überrascht durch die Wiedererweckung vieler unbekannter Sagen und Märchen, die seit hundert Jahren nicht mehr gedruckt wurden. Vornehmlich waren es die Brüder Grimm, die in den Jahren 1812-1820 zuerst mit der Veröffentlichung ihrer „Kinder- und Hausmärchen" und den „Deutschen Sagen" unserem Volk ein bleibendes Kulturvermächtnis schenkten und dem deutschen Märchengut seine bestimmende Form gaben. - Es folgten die Kunstmärchen, die an die Namen Goethe, Musäus, Brentano, Beckstein, Andersen, Volkmann-Leander erinnern. In der Mitte des 19. Jahrhunderts schlössen sich weitere Märchenund Sagen-Veröffentlichungen über Berlin von Albert Kuhn und Wilhelm Schwanz daran an. Ferner erschienen bis 1870 Bücher, zumeist von Volksschullehrern aus verschiedenen Gegenden der Mark, die Märchen, Sagen und Sprichwörter behandelten. Bei der Lektüre wurde auch des öfteren „Fontanescher Geist" in der Mark Brandenburg wieder lebendig. Aus solchem Füllhorn alter wichtiger Quellen konnte auch die neue Herausgabe nutzbringende Kenntnisse schöpfen. Die fein empfundenen Illustrationen von Ingrid Schneider-Ertmer beleben wirkungsvoll das neu erweckte Märchen- und Sagengut. Der Schutzumschlag des in Leinen gebundenen, lesenswerten Buches erinnert mit der farbigen Wiedergabe der Lithographie „Das Waisenkind" an den großen Theodor Hosemann, den humorvollen, fein beobachtenden Maler und Schilderer des Berliner Klein- und Spießbürgertums. Franz Berndal „Das alte Berlin". 38 Stiche des 19. Jahrhunderts, mit einer Einführung von Willy Haas. 96 Seiten auf Büttenpapier, Ganzleinen. Schwarz u. Oberhoff, Wuppertal 1967. DM 29,80. Vor dem Rezensenten liegen zwei Bücher gleichen Inhalts. In dem einen Fall handelt es sich um das obengenannte, in dem anderen um den Band „Berlin und Potsdam in malerischen Ansichten". Beide Ausgaben umfassen einen Großteil der gleichen Stiche von / . M. Kolb, 222 / . Poppel, Rorich u. Sohn, Umbach, G. Heisinger, um hier nur einige zu nennen. So ist man im ersten Augenblick geneigt anzunehmen, daß hier ein Verlag den Versuch unternommen hat, einen preiswerten Neudruck dieser hübschen Stiche herauszubringen. Ein positives Tun, wenn man bedenkt, daß der alte Band, selbst in einschlägigen Antiquariaten, seit Jahren nur höchst selten und dann zu ausgesprochenen Liebhaberpreisen erwerbbar ist. So beginnt man voller Erwartung draufloszublättern - und ist enttäuscht. Der einführende Text ist inhaltslos und die Bibliographie insuffizient. Doch noch negativer macht sich das sehr stark zweiseitige Büttenpapier bemerkbar. Hier hätte man unbedingt darauf achten müssen, daß stets nur die Siebseite mit den Reproduktionen bedruckt wird, deren Qualität keineswegs die Feinheit und Exaktheit der alten Ausgabe erreicht. Zu viel Farbe ein bräunliches Schwarz wäre besser gewesen - läßt den Eindruck entstehen, als seien hier keine feinnervigen Stiche, sondern Holzschnitte reproduziert worden. Die lichten Partien wirken fleckig und die Tiefenzeichnung fehlt teilweise. Schade! Wie gern hätte man diesem verlegerischen Unterfangen mehr Erfolg gewünscht, zumal es an gutem Willen und Wollen bestimmt nicht gefehlt hat. Für diejenigen, die sich nur an den historischen Abbildungen erfreuen wollen, mag dieses Buch eine Gelegenheit sein, ihre Berlin-Bibliothek um einen Band zu bereichern. Klaus P. Mader Monica Hennig-Schefold, Inge Schäfer: Frühe Moderne in Berlin. Winterthur, Verlag Werk, 1967 (werk-Buch 1). Zugang zur Berliner Architektur unseres Jahrhunderts zu finden, gelingt wohl am besten, mit Rolf Raves und H. J. Knöfels 1963 zuerst veröffentlichtem Führer in der Hand, beim Durchwandern der Stadt. Wer speziell die Bauten vor 1930 kennenlernen wollte, der griff bisher zu einem von Heinz Johannes 1931 im Deutschen Kunstverlag herausgegebenen Führer, „Neues Bauen in Berlin", dessen topographische Ordnung ebenfalls leichte Orientierung ermöglicht. Das Gesehene noch einmal besonders eindrücklich und nach Baugattungen gegliedert vor Augen zu stellen, erbot sich der großartige Bildband „Berliner Architektur der Nachkriegszeit", den E. M. Hajos und L. Zahn 1928 im Albertus Verlag erscheinen ließen. „Frühe Moderne in Berlin" ließ also auf eine neue, ausführlichere oder eindringlichere Behandlung des Themas hoffen, zumal der Verlag, als Herausgeber der schweizerischen Architektur-Zeitschrift „Werk", einschlägig renommiert erscheinen mußte. Um so bedauerlicher ist es, daß im vorliegenden Falle von einem Berlin-Buch einmal mehr als von einer verpaßten Gelegenheit gesprochen werden muß. Schon der Titel ist problematisch. Als „Moderne" gilt heute im allgemeinen die Zeit, die den Begriff in seiner spezifischen, hier benutzten Fassung prägte, nämlich die Zeit um 1900. Das Vorwort gibt Aufschluß, daß die Architektur unseres Jahrhunderts generell gemeint ist und daß unter „früh" nicht die Anfänge, sondern die ersten 30 Jahre dieses Jahrhunderts verstanden werden sollen. So weit, so gut. Die abgebildeten Beispiele indessen stammen im wesentlichen aus den Jahren um 1930, nur etwa 1 8 % der behandelten Bauten wurden vor 1927 fertiggestellt. Die Anordnung des Stoffes kann nicht anders als chaotisch empfunden werden. Die unterschiedlichsten und aus ganz verschiedenen Bereichen stammenden Gliederungsprinzipien sind in zufälliger Abfolge - herangezogen. Es werden Einzelbauten herausgestellt, wie Behrens' AEG-Turbinenhalle oder, allein mit neun Abbildungen, das Mendelsohnsche Observatorium in Potsdam oder die Bautengruppe am Lehniner Platz. Dazwischen stehen Beispiele für einzelne Bauaufgaben: Gewächshäuser und Industriebauten, Siedlungsbauten und Reihenhäuser. Und schließlich gibt es - ebenfalls unzusammenhängend über das Buch verstreut - Darstellungen einzelner Bauteile: umlaufende Fensterbänder (Abb. 11-16), Treppen (Abb. 20-37 - das heißt, 17 von insgesamt 108 Abbildungen) sowie Fenster als Gliederungselement mehr traditioneller Wohnbauten (Abb. 89-91). Damit nicht genug, sind einige Bildgruppen zur Erläuterung ästhetischer Probleme zusammengefaßt: „Dynamik und Bewegung der Großstadt-Architektur" etwa (Abb. 20-22) oder „Geometrie und Organik" (Abb. 61-64). Es gibt keine KapitelÜberschriften. Thematische Bezüglichkeiten, wie die beiden genannten, kann der Leser zeitgenössischen Äußerungen entnehmen, die, nicht immer einsichtigen Auswahlprinzipien folgend, dem größeren Teil der Bilder zur Seite gestellt sind. Andere, von den Verfasserinnen beigesteuerte Texte bringen zu allem Überfluß auch noch stilgeschichtliche Aspekte ins Spiel, so, wenn gelegentlich zweier Abbildungen der Terrasse des Luckhardt-Ankersdien Landhauses (Abb. 47-48) von Expressionismus gesprochen wird, was besser in der sonst so ausführlichen Behandlung des Einstein-Turms von Mendelsohn (Abb. 38—46) oder auch bei der an anderer Stelle ganz unzusammenhängend eingefügten Hogerschen Kirche am Hohenzollernplatz (Abb. 76-77) hätte geschehen können. Die beiläufigen Texte der Verfasserinnen sind gelegentlich von Banalitäten durchsetzt, etwa, wenn von Siedlungsbauten aus der Zeit um 1928 gesagt wird, ihre „Gestaltungsmittel" seien „im Vergleich zur Gründerzeit stark reduziert" (S. 60). Solche Auslassungen könnten einem 223 ungebildeten Publikum wohl zugemutet werden. Andererseits setzen die vielfältig angezogenen Zitate beim Leser die Fähigkeit voraus, ihre höchst zeitgebundene oder subjektive, meist nur im ursprünglichen Kontex verständliche Terminologie erschließen zu können. Auch in der einfachen Beschreibung formaler Tatbestände sind die Verfasserinnen unsicher. Beispielsweise wird auf Seite 23 von den Treppenhäusern am Sonnenhof in Lichtenberg gesagt: „Durch die liegenden Formate der Sprossenteilung und die gemauerten Brüstungsbänder wird die Vertikalbewegung des Turms weitgehend aufgehoben und das Moment der Bewegung in der horizontalen eingeschobenen Ebene ausgedrückt." Der Gerechtigkeit halber sei nicht verschwiegen, daß viele der Abbildungen außerordentlich anregende Perspektiven oder einfühlsam ausgewählte Details zeigen, Abbildungen, die durchaus geeignet sind, auch dem Kenner noch Anlaß zu weiterführenden Betrachtungen zu bieten. Aber genügen die Liebe zu bestimmten Bereichen neuerer Architektur und eine gut eingesetzte Kamera, um Publikationen, wie die vorliegende zu rechtfertigen? Was uns fehlt ist entweder eine möglichst vollständige Bild-Dokumentation aller wichtigen Bauten des fraglichen Zeitabschnittes, ohne unzulängliche Interpretationsversuche, oder eine architekturgeschichtliche Durchdringung bestimmter Entwicklungsabschnitte unter Heranziehung, Erläuterung und Deutung aller zeitgenössischen Quellen. „Frühe Moderne in Berlin" leistet weder das eine noch das andere. Karl Heinz Schreyl Klaus D. Wiek: Kurfürstendamm und Champs-Elysees. Geographischer Vergleich zweier Weltstraßengebiete. Verlag von Dietrich Reimer, Berlin 1967. Mit 9 Photos und 8 Kartenbeilagen. 134 Seiten. DM 30,- (Abhandlungen des 1. Geographischen Instituts der Freien Universität Berlin, Band 11). Der Verfasser vergleicht anhand einer umfangreichen Materialsammlung zwei bekannte Straßenzüge, von denen der eine mit seiner bebauten Länge von 1130 m und einer Breite von 70 m eine Weltstraße ist und der andere - 3750 m lang und 53 m breit - gern eine sein möchte. (Der Kurfürstendamm ist in seiner westlichen Hälfte - etwa von der Brandenburgischen Straße - z. Z. geradezu schäbig.) Kurfürst Joachim II. ließ auf teilweise sumpfigem Gelände einen Damm errichten, um vom Berliner Schloß aus auf kürzestem Wege sein Jagdschloß „Zum grünen Wald" zu erreichen. Königin Marie von Medici ließ die Zentralallee des Pariser Tuilerienparks verlängern, die unter Ludwig XIV. verbreitert wurde; die Bebauung des Straßenabschnitts jenseits des Parks erfolgte jedoch erst viel später. Im Jahre 1812 erhielt die Straße ihren heutigen Namen „Avenue des Champs-Elysees". Die Champs-Elysees waren bereits zur überwiegenden Geschäftsstraße aufgestiegen, als im Jahre 1883 - mit ideeller Förderung Bismarcks - die Bebauung des Kurfürstendammes eben erst begann. Der Verfasser behandelt in flüssigem Stil eingehend Physiognomie und Geschichte der beiden Straßen, die Struktur der Umgebung, ihre Entwicklung, ihren Verkehr usw. Die Liebhaber vergleichender Statistik, sowohl in Form graphischer Darstellungen als auch in Zahlenkolonnen, kommen auf ihre Kosten. Interessant sind vor allem der Passanten- und Kraftfahrzeugverkehr und die Wirtschaftsentwicklung beider Straßen. Wir erfahren dabei, daß es am Kurfürstendamm im Jahre 1963 z. B. weniger Betriebe des Bekleidungsgewerbes und des Beherbergungs- und Gaststättenzweiges gab als im Jahre 1938; auch viel weniger Ärzte und Rechtsanwälte, was durch die Kriegszerstörungen bedingt sein dürfte (54:146 und 63:202). Ein erschöpfendes und aufschlußreiches Buch. Das „Gunstgewerbe" jedoch, das in beiden Straßen und ihrer engeren Umgebung von jeher seine Schwerpunkte hatte, läßt der Verfasser unerwähnt. Zum Schluß: Der Verlag sollte angesichts des respektablen Verkaufspreises der Broschüre, deren Druck laut Impressum mit Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk, der Freien Universität Berlin und der Berliner Industriebank erfolgte, von dem Anachronismus abgehen, das Werk unaufgeschnitten auszuliefern. Walter Ruppel Otto Hahn: Mein Leben. F. Bruckmann KG. München 1968. 272 Seiten. 36 Abbildungen. Leinen DM 25,-. Auf seinem Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erheben sollte, erreichte Nobelpreisträger Prof. Dr. Otto Hahn, den langjährigen Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie und Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, die Nachricht von der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin. Die Vollendung seiner Memoiren, die den Untertitel „Mensch und Wissenschaftler unserer Zeit" tragen, hat er nicht mehr erlebt. Hahn ist kein gebürtiger Berliner; er hat den Frankfurter auch in seinem Dialekt nie verleugnen können und wollen. Seine wesentlichen wissenschaftlichen Leistungen fallen aber in die Berliner Lebensjahre von 1906 bis 1944. Hier entdeckte er Ende 1938 gemeinsam mit Fritz 224 Straßmann die Spaltung der Elemente Uran und Thorium in je zwei mittelschwere Atomkerne, und diese Entdeckung trug ihm nicht nur den Nobelpreis für Chemie des Jahres 1944 (!) ein, sondern leitete auch eine Epoche ein, die man vielleicht nicht ganz zutreffend „das atomare Zeitalter" nennt. Otto Hahn zeigt sich auch in seinen Aufzeichnungen als der bescheidene Mensch, als der er uns in Erinnerung geblieben ist. Er macht auch von seinen Entdeckungen kein großes Aufheben, sondern läßt z. B. die Geschichte der ersten Kernspaltung aus einer Reihe von Briefen deutlich werden. Dabei schildert er die Vorgänge bei der Zerspaltung des Urans in so einfachen Worten, daß auch dem naturwissenschaftlich nicht vorgebildeten Leser die Zusammenhänge klar werden. Das Beispiel einer klassischen Darstellung ist sein im Anhang abgedruckter Festvortrag anläßlich der Nobelpreis-Verleihung am 13. Dezember 1946 in Stockholm „Von den natürlichen Umwandlungen des Urans zu seiner künstlichen Zerspaltung". Es ist ein sehr menschliches Buch, das einen für den großen Gelehrten sehr warm einnimmt, gerade weil es die Gewichte nach den persönlichen Eindrücken und nicht nach der Bedeutung der Leistungen für die Wissenschaft setzt. So nimmt die Schilderung seiner neunmonatigen Internierung ebensoviel Raum ein wie der Zeitabschnitt der Berliner Jahre 1919 bis 1944. In einigen „Einblenden" antwortet Otto Hahn auf Fragen von Herbert L. Schrader, der auch das Nachwort verfaßt hat. Die Fragen klingen ein wenig hausbacken („Meinen Sie nicht, daß die Spaltbarkeit des Urankerns bis heute nicht bekanntgeworden wäre, wenn Sie sie damals nicht entdeckt hätten?"). Das Buch endet mit dem Jahr 1960 und dem Unfalltod seines einzigen Sohnes und der Schwiegertochter. Der letzte Satz lautet: „Seit dieser Zeit fühle ich für meinen einzigen Enkel Dieter eine besondere Verantwortung, die nach besten Kräften wahrzunehmen ich mich bemühe." Niemand wird Otto Hahn seinen wissenschaftlichen Rang streitig machen. Sein Lebensbericht legt Zeugnis davon ab, daß die Stadt Berlin in der Reihe ihrer Ehrenbürger mit der Wahl von Otto Hahn auch einen großen Menschen gewürdigt hat. H. G. Schultze-Berndt Horst Cornelsen, Klaus Eschen: Berlin - Als die Sirenen schwiegen. Ein dokumentarischer Bildband mit Texten von Horst Cornelsen, Harry v. Hofmann Verlag. Hamburg 1968. DM 28,-. Die Bilder, die jeweils auf gegenüberliegenden Seiten zugeordnet sind, bringen einem die Zeit um das Kriegsende in Berlin wieder in Erinnerung. Sie sind faszinierend, und der Fotograf hat es verstanden, im Jahre 1968 jeweils die Blickpunkte einzunehmen, unter denen die vorhandenen Fotos der Jahre 1944/45 entstanden waren. Daß er sich nicht auf West-Berlin beschränkte, sondern den alten historischen Stadtkern mit in die Darstellung einbezog, ist ihm hoch anzurechnen. Hieraus mag verständlich werden, warum die Bildunterschriften auch in Englisch und Französisch wiedergegeben werden, weil ausländische Besucher im Gegensatz zu den West-Berliner Bürgern Gelegenheit haben, auch den Wiederaufbau im anderen Teil der Stadt kennenzulernen. Die Übersetzungen lassen manchmal wesentliche Bemerkungen aus. So heißt es über den Berliner Dom: „Durch die notwendigsten Renovierungen wurde der Bau vor dem restlosen Verfall geschützt. Die Zerstörungen im Inneren konnten bisher nicht beseitigt werden." Und der verkürzte englische Text: „Makeshift repairs have been carried out to save the cathedral." Aus einigen Bildern wird ersichtlich, daß der Zustand der Zerstörung lediglich konserviert worden ist, so beim Französischen Dom auf dem früheren Gendarmenmarkt, dessen Schicksal die Mitglieder unseres Vereins deswegen besonders interessiert, weil es mit dem des Deutschen Domes eng verbunden ist, in dem die Bibliothek des Vereins ein Opfer der Flammen wurde. Horst Cornelsen, der auf anderen Gebieten seine Verdienste hat, setzt mit weitem Atem in seinem Vorwort bei dem Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre ein und gibt ein Resümee ihres weiteren Werdeganges und ihres Schicksals im Krieg und in der Nachkriegszeit. Nicht jeder wird uneingeschränkt seiner Prognose zustimmen können: „Sicherlich aber wird man in Zukunft nicht mehr die ,Goldenen Zwanziger Jahre' als die historisch bedeutsamsten für die Entwicklung Berlins ansehen, sondern die Fünfziger und die Sechziger Jahre, die der Stadt im Konflikt zwischen Ost und West ein unauslöschliches Gesicht gegeben haben." Über die Entstehung der Aufnahmen und damit des Buches erfährt man leider nichts, obwohl die Entstehungsgeschichte sicher mit einigen berichtenswerten Episoden verbunden gewesen sein dürfte. Eine kleine fachliche Anmerkung: Es ist nicht ausgeschlossen, daß im Schöneberger Stadtpark bei Kriegsende auch Getreide reifte, auf dem Bild handelt es sich allerdings um Schilfgewächse. Dies ist ein Werk, das nicht in Bibliotheken abgelagert, sondern in den Wohnungen zur Hand genommen, betrachtet und unseren jungen Heißspornen gezeigt werden sollte. Es überwiegt der schmerzliche Eindruck angesichts der Ruinen und Verluste gegenüber dem hier unangebrachten Gefühl: „Wir haben es schon wieder weit gebracht!" H. G. Schultze-Berndt 225 Aljons Erb: Bernhard Lichtenberg, Dompropst von St. Hedwig zu Berlin. Morus-Verlag. Berlin 1968. 142 Seiten, 7 Abb. Leinen DM 9,80. Vor 25 Jahren starb auf dem Transport aus der Tegeler Gefängniszelle ins Dachauer KZ der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg. Aus solchem Anlaß erscheint diese Chronik eines kämpferischen Daseins in der fünften, um neue Erkenntnisse wesentlich bereicherten Auflage. Wohl niemand wird den Band ohne Erschütterung aus der Hand legen, der Zeugnis ablegt für den Lebensweg eines kindlich-frommen Seelsorgers und schlagfertigen Kanzel- und Diskussionsredners, eines unbeugsamen Kämpfers für Recht und Menschlichkeit und absolut selbstlosen Dieners seiner Aufgabe, seiner Mitmenschen. Nach dieser Lektüre können wir nur mit Schauder sagen: „. . .und wir sind (alle!) dabeigewesen!" Hoffmann-Axthelm Berlin-Kalender 1969. Format 30 x 48 cm. Stapp-Verlag, Berlin. DM 6,80 Auf den 12 Monatsblättern werden z. T. neue und recht interessante Berlin-Motive im einfarbigen Druck gezeigt. Die neueste Aufnahme dürfte die der Nationalgalerie sein. Ein Kalender also, der sich in Art, Ausführung und Preis in den großen Rahmen der jährlich zahlreicher erscheinenden Berlin-Kalender einreiht. Klaus P. Mader Berlin-Buch der Neuen Rabenpresse, zusammengestellt und herausgegeben von Günter Bruno Fuchs, mit einem Kalendarium auf das Jahr 1969, unter Mitarbeit zeitgenössischer Autoren in Text und Grafik. Verlag Neue Rabenpresse (V. O. Stomps), 1 Berlin 41, Wielandstraße 8. „Dieses Berlin-Buch ist kein Buch über Berlin. Eher noch ein Buch aus Berlin. Lobsprüche ,auf diese Stadt und ihre Menschen' wird nur derjenige entdecken, der Suchbilder liebt. Und das Kalendarium auf 1969 (im Rösselsprung) ist kaum geeignet für den üblichen Alltagsvermerk; viele Register sind bereits angefüllt mit ,Hinweisen, Stichworten, Notizen', d. h. mit Texten zeitgenössischer Autoren. Nahezu alle Beiträge dieses Buches sind Originalbeiträge. Eingeladen zur Mitarbeit wurden 53 deutschsprachige Autoren; die vorliegende Sammlung enthält Beiträge von 45 Mitarbeitern, außerdem .Extrablätter' von Johannes R. Becher, Adolf Glassbrenner, Werner Heldt, Peter Hille, E. T. A. Hoffmann, Paul Scheerbart." Diese Anmerkungen aus dem Buch selbst geben einen kleinen Eindruck von der recht eigenwilligen Lektüre, die einen erwartet. Vieles von dem, was die zeitgenössischen Autoren an Texten beigesteuert oder an Grafiken veröffentlicht haben, schmeckt ein wenig bitter, aber auch da, wo man mit den Autoren beim besten Willen nicht übereinstimmen kann, sind ihnen guter Wille und Können nicht abzusprechen. Mit Grafiken sind vertreten u. a. Curt Mühlenhaupt, Robert Wolfgang Schnell, Ali Schindehütte, Johannes Vennekamp und der Herausgeber G. B. Fuchs. Viele der jüngeren Autoren sind zumindest geistig in der Kreuzberger Boheme angesiedelt (und das ist durchaus ein Qualitätsmerkmal). Von den noch renommierteren Poeten wurden Günter Eich, Günter Grass und Christa Reinig nachgedruckt. Wer einen Querschnitt durch einen sehr ausgeprägten, charakteristischen Teil des Berliner Geisteslebens kennenlernen will und sich weder am Kladdenformat stört, noch sich zuweilen zu ärgern bereit ist, sollte sich dieses auch drucktechnisch bemerkenswerte Buch sichern, dem die Firmen Brüder Hartmann, Berlin (unlängst bei einer anderen Rezension lobend erwähnt) und Büchergilde Gutenberg, Frankfurt (Main), großmütige Unterstützung zuteil werden ließen. Aus einer kleinen Berliner Geschichte von Peter O. Chotjewitz stammt das folgende Motto: „Wer nie sein Bier mit Klaren trank, der kennt Dich nicht, mein' Havelstrand." H. G. Schultze-Berndt Berlin-Kalender 1969; Berlin-Postkartenkalender 1969. Hans Andres Verlag Berlin. DM 5,80 bzw. DM 4,50. Das Erfreulichste ist die Tatsache, daß der in Berlin ansässige Verlag auf unsere Bitte überhaupt reagiert hat (auch Kalender sind Zeitdokumente und werden als solche der Bibliothek unseres Vereins einverleibt). Bei anderen Verlagsanstalten (Dr. Hans Peters Verlag, Verlag Kunst & Bild) war man mit der Hergabe der Kalenderwerke zögernder; vielleicht mag sich das eines Tages ändern. Die beiden Kalender zeigen Farbfotos, zumeist konventioneller Art, aus manchmal neuen Blickwinkeln. Auch das Steglitzer Klinikum ist vertreten. Daß es sich um Berlinmotive handelt, erkennt man auf den ersten Blick. H. G. Schultze-Berndt Im I.Vierteljahr 1969 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Hermine Pfeiffer 6243 Falkenstein, Scharderhohlweg 16 Tel. Königstein (Ts.) 40 22 (Vorsitzender) 226 Dr. Erich Hertel, Zahnarzt 1 Berlin 44, Richardplatz 5 Tel. 6 87 44 47 (Vorsitzender) Alma Schnell 1 Berlin 31, Holsteinische Str. 32 (Schriftführer) Dr. Karl Pfeiffer, Rechtsanwalt 5 Köln-Braunsfeld, Friedrich-Schmidt-Str. 72 Tel. 49 40 58 (Frau H. Pfeiffer) Neu bei Haude & Spener Edmond Gyselinck, Antiquariat und Buchhandlung 1 Berlin 45, Curtiusstr. 6 Tel. 73 25 92 (H. Hof mann) Otto Penneckendorf, Rentner 1 Berlin 37, Teltower Damm 39 (H. Hofmann) Aribert Kleine, Verw.-Angest. 1 Berlin 30, Goltzstr. 30 Tel. 26 35 51 (H. Hofmann) Hans Georg Scharsich, Landessozialgerichtsrat a. D. 1 Berlin 33, Landauer Str. 5 Tel. 8 21 69 76 (K. Bullemer) Rudolf Maron, Techn. Angest. 1 Berlin 41, Beckerstr. 6a Tel. 83 23 87 Heinz Jung, Dipl.-Ing. 1 Berlin 45, Margaretenstr. 35 Tel. 76 71 82 (H. Hofmann) Karoline Cauer 1 Berlin 48, Emilienstr. 22 Tel. 7 75 37 66 (Vorsitzender) Gemäldegalerie Berlin Kunstwerke aus den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Band 1. Herausgegeben von Professor Dr. Robert Oertel. 148 Seiten, davon 120 Seiten Bildtafeln mit 24 vierfarbigen und 101 einfarbigen Gemälde-Reproduktionen. Leinen DM 24,- Ewald Heinze, Kfm. Angest. 1 Berlin 20, Grunewaldstr. 8b (H. Langheim) Helmut Grell, Lt. Regierungsdirektor a. D. 1 Berlin 37, Am Heidehof 43 Tel. 84 39 45 (Vorsitzender) Klaus Katzur Harald Schoelkopf, Lehrer 1 Berlin 61, Möckernstr. 94-95 Tel. 18 17 69 (H.Michael) Berlinische Reminiszenzen Band 23 156 Seiten, Pappband DM 9,80 Karl-Heinz Kretschmer, Beamter 1 Berlin 42, Greveweg 6 Tel. 7 01 42 78 (Schriftführer) Hans von Arnim Werner Müller, Referendar 1 Berlin 13, Wiersichweg 2 Tel. 38 53 49 (Kurt Müller) Prof. Dr. Gerhard Kanig, Chemiker 67 Ludwigshafen, Saarlandstr. 40 (Dr. H . Leichter) Eva-Maria Holzhausen, Krankenschwester 1 Berlin 33, Breitenbachplatz 12 Tel. 7 69 15 28 (Vorsitzender) Hanna Pretzsch 4 Düsseldorf-Nord, Sermer Weg 61 Tel. 42 68 84 (Frau R. Koepke) Berlins Straßennamen Königin Luise Berlinische Reminiszenzen Band 24 120 Seiten, 13 Abbildungen, Pappband DM 9,80 HAUDE & SPENERSCHE Verlagsbuchhandlung GmbH. Gegründet 1614 Berlin 12 227 Luise Bucher, Abt.-Leiterin 1 Berlin 41, Schildhornstr. 46 Tel. 8 21 11 94 (Frau A. Hamecher) Maximilian Woyda, Kaufmann 1 Berlin 31, Uhlandstr. 79 Tel. 87 39 59 u. 86 12 36 (H. Hofmann) Anschriftenänderungen: Dr. med. Wolfgang Meyer, 8 3 Schönbrunn-Moniberg, Am Tannenburganger 19 Dr. Eberhard Faden, i Berlin 45, Jungfernstieg 7 Rainer Bolle, Student 7441 Neckartenzlingen, Panoramastr. 29 Tel. (07127) 588 (Schriftführer) Dr. Hermann Fricke, 7841 Schweighof-Badenweiler, Altensteinmatten Emil Poredda, Kaufmann 1 Berlin 44, Liberdastr. 11 Tel. 6 87 13 79 (G. Poredda) Dipl.-Kfm. Wolfgang Rieckhoff, Reg.-Oberinspektor a. D., 695 Mosbach, Dachsbaustr. 21, Tel. (06261) 45 21 Walter Ruppel, 1 Berlin 33, Forckenbeckstr. 97, Tel. 89 94 55 Da die Herausgabe eines Mitgliederverzeichnisses bevorsteht, wird dringend gebeten, der Geschäftsstelle alle Anschriftenänderungen, neue Telefonanschlüsse sowie umgeschaltete Nummern anzugeben. Dr ' ^anbrif.le S ^ Ä ' Kurfurstenstr. 107 Kortrad Bohnert, 1 Berlin 31, Jenaer Str. 20 Hans Joachim Wilde, 328 Bad Pyrmont, Annenstr. 19 a ! B e r l m 30 Veranstaltungen im II. Vierteljahr 1969 1. Dienstag, 15. April, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Prof. Dr. Dr. Bernhard Stasiewski, Universität Bonn, „Beiträge zur Geschichte der Katholischen Kirche in Berlin im 19. Jahrhundert". 2. Sonnabend, 26. April, 10.30 Uhr, in 1 Berlin 33, Peter-Lenne-Str. 28-30 (Bus A 1 und 68, U-Bahn bis Podbielskiallee), Vortrag des Herrn Dr. Hans Bernhard Jessen „Das Wiegandhaus des Deutschen Archäologischen Institutes, ein PeterBehrends-Bau" nebst Besichtigung. 3. Dienstag, 6. Mai, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag mit Toneinlagen der Frau Rosemarie Kirwa, M. A., „Die Komische Oper Berlin". 4. Sonnabend, 17. Mai, 15.00 Uhr, Besichtigung des Musikinstrumentenmuseums, 1 Berlin 15, Bundesallee 1, unter der Leitung von Herrn Dr. Dieter Krickeberg. Treffen vor dem Joachimsthalschen Gymnasium. Einführung durch Herrn Prof. Dr. Alfred Berner. . 5. Dienstag, 10. Juni, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Prof. Dr. Wilhelm Richter „Berlin als Stadt der Schulreformen (von Karl Friedrich von Klöden bis zu Wilhelm Blume)". 6. Sonntag, 15. Juni, Sommerausflug auf die Schulfarm Insel Scharfenberg. Abfahrt um 10.15 Uhr mit der Reederei Lahe in Tegel von der Brücke 6. Begrüßung und Einführung durch den Leiter der Schulfarm Herrn Dr. Wolfgang Pewesin. Führung durch Herrn Dr. Reinhard Bickerich und Herrn Dipl.-Gärtner Gerhard Kautz. Wegen der weiteren Dispositionen wird um schriftliche Anmeldung bei Herrn Helmut Hof mann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, bis zum 31. Mai gebeten. Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. Freitag, 25. April, 23. Mai und 20. Juni zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, HändelaUee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße I. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenereche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30 228 ' «wraot der Berliner r^A,L-i,> s < MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 65. Jahrgang. Nr. 17 1. Juli 1969 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91 Vorsitzender: Prof.Dr.Dr.W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.),Händelallee 61, Ruf: 39 24 90 Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 46 44 11 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 Alexander von Humboldt geb. 14. 9. 1769 zu Berlin, gest. 6. 5. 1859 zu Berlin (Porträtskizz« von Franz Krüger) Alexander v. Humboldt 1769-1969 Von Prof. D r . D r . h. c. F e r d i n a n d Friedensburg Bürgermeister a. D., Vorsitzender der Gesellschaft für Erdkunde Zu Berlin in der Jägerstraße ist vor zweihundert Jahren am H.September 1769 Alexander v. Humboldt als Sproß einer preußischen Offiziersfamilie zur Welt gekommen und neunzig Jahre später unweit seiner Geburtsstätte, in der Oranienburger Straße, verstorben. Er ist also ein redner Berliner gewesen, und der Verein für die Geschichte Berlins ersdieint in der Tat berufen, ja geradezu verpfliditet, des Geburtstages feierlidi vor der öffentlidikeit zu gedenken. Hierbei vereinigt er sich mit der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, deren Gründung vor 140 Jahren auf Alexander v. Humboldts Anregung erfolgt ist, und die sich in unserer Zeit bemüht, die von dem hohen Vorbild geschaffene geistige Tradition in einer veränderten Welt lebendig zu erhalten. Im Charlottenburger Schloß werden beide Vereinigungen, gemeinsam mit dem Senat Berlins, am Geburtstage eine Gedenkstunde abhalten, die den großen Sohn unserer Stadt würdigen soll. Unter den deutschen Namen, die in der Welt gelten, steht derjenige Alexander v. Humboldts in der vordersten Reihe. Kaum zu zählen sind die geographischen Begriffe, die Städte und Landschaften, die Flüsse und Meeresströmungen, die Gebirge und einzelnen Gipfel, die in allen Erdteilen seinen Namen tragen, und anders als bei den meisten hervorragenden Figuren der Geschichte, entzündet die Erinnerung an ihn keinerlei Gegnerschaft, keinerlei bittere Auseinandersetzungen. So weit er seiner Umwelt in freiheitlicher und sozialer Gesinnung und in der Kühnheit seines naturwissenschaftlichen und geographischen Denkens vorauseilte, so unheimlich seine staunenswerte Universalität den gelehrten Fachkollegen erschienen sein mag, an Respekt, Bewunderung und Dankbarkeit hat es ihm weder zu Lebzeiten noch in der späteren Würdigung jemals gefehlt. Ein Landsmann Alexander v. Humboldts zu sein, seine menschliche Gesinnung zu teilen, in seinen wissenschaftlichen Bahnen zu wandeln, ist noch heute die beste Einführung für den deutschen Forscher in fremden Ländern. Der Verein für die Geschichte Berlins und die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin erfüllen also nicht nur eine Ehrenpflicht, sondern sie leisten auch der alten Reichshauptstadt und dem zerschlagenen und bedrängten Deutschland einen Dienst, wenn sie das Bild dieses einzigartigen Mannes am vierzehnten September in feierlicher Stunde lebendig werden lassen. Die Entstehung der Berliner Wasserwerke und der Wasserleitung - eine kulturhistorische Skizze Von Dr. Ing. (Harry) Rutz Auch Manuskripte haben ihre Schicksale. Als unser Ehrenmitglied Karl Bullemer bei der Übergabe des Schriftführeramtes seinen Schreibtisch revidierte, fand er den nachfolgenden Aufsatz. Aus dem Begleitschreiben geht hervor, daß er verfaßt worden ist, als der Autor Dr. Rutz Ende der zwanziger Jahre als Regierungsbaurat in der inge230 nieurbautechnischen Abteilung des Polizeipräsidiums tätig war. Durch Berufsumstellung nach 1933 geriet die Arbeit in Vergessenheit und wurde erst wiedergefunden, als der Verfasser 1943 „aus Luftschutzgründen" seine Wohnung aufräumte. Er stellte ihn dem Verein „unentgeltlich zur Verfügung", jedoch zu einem Zeitpunkt, als das Erscheinen unseres Blattes, das von 1934 bis 1943 den Namen „Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins" trug, infolge Papiermangels eingestellt werden mußte. Zu besonderem Dank sind wir dem Direktor der Berliner Wasserwerke, Herrn Prof. Dr.-Ing. Hünerberg, verpflichtet, der in dem anschließenden Artikel das Thema bis in die Gegenwart weiterführen wird. Die Schriftleitung Wasserwerke und Wasserleitung besitzt Berlin erst seit 1856. In den Jahrhunderten vorher waren die Berliner — und die Cöllner - in ihrer Versorgung mit Wasser auf die Spree und auf Brunnen angewiesen. Die Erkenntnis der Bedeutung der Brunnen für die Gesundheit der Bevölkerung und für den Feuerschutz hatte den Markgrafen zu Brandenburg, Friedrich Wilhelm, den Großen Kurfürsten, veranlaßt, am 14. August 1660 „die Brunnen- und Gassen-Ordnung beyder Residentz- und Haupt-Städte Berlin und Colin an der Spree" zu erlassen, nach welcher jede Beschädigung und Verunreinigung öffentlicher und privater Brunnen streng mit Gefängnis oder Pranger bestraft wurde. Diese Ordnung galt bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Mit dem Wachsen der beiden Städte, durch die Zunahme der Bevölkerung und Entwicklung des Gewerbes stiegen auch die Ansprüche an das Wasser. Die Sorge um die Erhaltung geordneter Zustände im Gemeinwesen und die Fortschritte der Technik ließen daher im Anfang des 19. Jahrhunderts den Plan entstehen, Berlin durch den Bau eines Wasserwerks mit fließendem Wasser in den Straßen und Häusern zu versorgen. Damals dachte man allerdings noch nicht daran, dem durch die Wasserleitung zu liefernden Wasser eine solche Beschaffenheit zu verleihen, daß es auch unbedenklich als Trinkwasser benutzt werden könnte, es sollte auf den Straßen zu deren Reinigung, insbesondere zur Spülung der mit stinkendem Unrat angefüllten Rinnsteine, für Feuerlöschzwecke und für den Hausbedarf nur als Wirtschaftswasser dienen. Die zahlreichen Entwürfe für ein solches Unternehmen gingen meist dahin, das Wasser unmittelbar dem Spreefluß zu entnehmen und durch Rohre in die Stadt zu drücken, wo es aus Quellbrunnen auf den Straßen ständig fließen sollte. Besonders seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden bei den Staatsund Stadtbehörden vielfache und weitläufige Erörterungen über eine Wasserleitung gepflogen. Der Stadt Berlin, die nach Auffassung der Staatsbehörden als erste für die Durchführung dieses Gedankens hätte eintreten müssen, fehlte jedoch die nötige Entschlußkraft, um an das Werk selbst heranzugehen oder es zu fördern. Die Mitglieder des Gemeinderats der Stadt hatten wohl Interesse für die Sache, man debattierte auf das Lebhafteste und stritt sich sogar schon über die Stärke der Rohre, zum Schluß geschah aber nichts. Der Magistrat der Stadt verhielt sich besonders wegen der der Stadt etwa entstehenden Kosten ebenso ablehnend. Als ihm der Polizeipräsident im Jahre 1848 einen Plan zur Wasserversorgung Berlins durch einen Aquädukt vom Wandlitz- und Liepnitzsee her empfahl, ließ der Magistrat sich dahin aus: „daß wir uns aber nur insofern dabei beteiligen können, als uns dadurch keine Kosten erwachsen, 231 zu deren Tragung es uns ganz an Mitteln fehlen würde". Die gleiche Auffassung kommt im Jahre 1851 durch die Äußerung eines Magistratsrates zum Ausdruck: „daß die Kommune sich schwerlich entschließen könne, ihre Einwilligung dazu zu geben, daß auf diese Weise im Winter das Eis auf den Straßen und damit der Aufwand für dessen Wegschaffung vermehrt werde." Und noch Ende 1852 erkannte der damalige Oberbürgermeister Kraussnick wohl die Zweckmäßigkeit einer Wasserleitung für Berlin an, jedoch nicht ihre Notwendigkeit aus gesundheitlichen Gründen, da u. a. die zahlreichen Choleraepidemien in Berlin, welche überdies stets ausnehmend milder als in anderen Städten aufgetreten wären, weder ihre Entstehung und noch weniger ihre Verbreitung in der Entbehrung einer Wasserversorgungsanlage gefunden hätten. Es ist das Verdienst des Polizeipräsidenten zu Berlin, von Hinckeldey, den Bau einer Wasserleitung trotz aller Widerstände durchgesetzt zu haben. Von Hinckeldey hatte aus den früheren Verhandlungen seiner Amtsvorgänger mit der Stadt Berlin und auch aus den seinigen den Eindruck gewonnen, daß städtischerseits nicht die Absicht vorlag, sich an der Anlage eines Wasserwerks irgendwie zu beteiligen. Er versuchte daher, inländische Kapitalisten für ein Aktienunternehmen zu diesem Zweck zu gewinnen, jedoch ohne Erfolg. Von Hinckeldey sah sich nunmehr im Auslande um, und es gelang ihm, mehrere englische Gesellschaften für seinen Plan zu interessieren, von denen er mit einer Londoner in nähere Verhandlungen im Jahre 1852 eintrat. Englische Technik und englischer Unternehmergeist waren damals noch führend, wurde Berlin doch bereits von einer englischen Gesellschaft mit Gas versorgt. Während seiner Unterhandlungen mit der Londoner Gesellschaft unterließ es der Polizeipräsident aber nicht, die Stadt Berlin selbst - gewissermaßen in letzter Stunde - für die Durchführung des Unternehmens zu gewinnen. Die Schwerfälligkeit der Kommunalbehörde in der Behandlung der Angelegenheit, die wohl wie in früheren Jahren aus einer inneren Abneigung gegen den Plan begründet war, ließ den Abschluß des günstigen Vertrages mit den drängenden Engländern in Frage stellen. Um nicht wieder die Verwirklichung des für die Wohlfahrt der Einwohnerschaft als notwendig erkannten Planes scheitern zu sehen, ging von Hinckeldey jetzt mit aller Entschlossenheit vor. Er hielt dem Handelsminister und dem Innenminister persönlich Vortrag über seine Bemühungen, Berlin mit fließendem Wasser zu versorgen, und erreichte damit, daß König Friedrich Wilhelm IV., dem der Bau einer Wasserleitung in Berlin ein Lieblingsprojekt war, ihn am 11. Dezember 1852 beauftragte, den Vertrag mit den englischen Unternehmern Sir Charles Fox und Mr. Thomas Rushell Crampton abzuschließen. Die endlich am 10. Dezember 1852 erklärte Bereitwilligkeit der Stadt Berlin, aus Kommunalmitteln 1 Million Taler zur Anlage eines Wasserwerkes unter bestimmten Bedingungen für die Ausführung und spätere Verwaltung des Werks herzugeben, fand damit ihre Erledigung. Die Stadtverwaltung fühlte sich allerdings durch das schnelle Handeln des Polizeipräsidenten verletzt, doch glaubte sich dieser als Mann der Tat nach der jahrzehntelangen Unentschlossenheit und dem neuen Zaudern der Kommunalbehörde hierzu schließlich genötigt. Der Vertrag zwischen dem Polizeipräsidenten von Hinckeldey und den Herren Charles Fox und Crampton wurde am 14. Dezember 1852 abgeschlossen. Letztere übernahmen es, auf ihre alleinigen Kosten Anlagen und Einrichtungen nach den vollkommensten und am meisten erprobten Methoden auszuführen, durch die Straßen, Gassen und Plätze der Stadt Berlin auf 25 Jahre, welche mit Rücksicht auf die Bauzeit 232 vom 1. Juli 1856 zu laufen begannen, mit fließendem Wasser versorgt werden sollten. Für die Speisung der Wasserleitung wurde von der Regierung die Spree zur Verfügung gestellt. Das zum Sprengen der Straßen, zur Reinigung der Rinnsteine und bei Feuersgefahr erforderliche Wasser mußten die Unternehmer unentgeltlich liefern, die Versorgung der Einwohnerschaft mit Wasser erfolgte jedoch gegen Bezahlung. Während der Vertragsdauer war es allein den Unternehmern gestattet, die öffentlichen Straßen, die damals noch im Eigentum des Fiskus standen, zu gleichartigen Anlagen zu benutzen. In London wurde die „Berlin-Water-Works Company" gebildet, die zu ihrem Generalbevollmächtigten in Berlin den Geh. Admiralitätsrat z. D. Dr. Gaebler bestellte. Das Anlagekapital für das Unternehmen war im Vertrage zu 1 500 000 Taler angenommen worden. Unter der Leitung des englischen Ingenieurs Henry GUI wurde der Bau im Jahre 1853 in Angriff genommen und die Grundsteinlegung des Wasserwerksgebäudes kurz vor dem Stralauer Tor (oberhalb der heutigen Oberbaumbrücke) am Wege nach Stralau am 18. Oktober 1853 in Anwesenheit des Königs und des Prinzen Wilhelm von Preußen, des späteren Kaisers Wilhelm I., feierlich begangen (Abb. 1). Die Gewinnung des Wassers und seine Zuleitung in das Versorgungsgebiet erfolgte nach seinem Zweck, nur als Wirtschaftswasser zu dienen, in einfachster Weise. Das Wasser wurde am Wasserwerk Stralauer Tor aus der Spree geschöpft, in Sandfiltern gereinigt und durch Pumpen in das Rohrsystem der Stadt gedrückt. An Hähnen wurde es hier auf der Straße und in den Häusern gezapft. Auf dem Windmühlenberg vor dem Prenzlauer Tor war ein kleines Wasserreservoir zur Regelung der Bedarfsschwan- Stralauer Allee. Wasserwerk. Gemalt von W. Knoll Gezeichnet von Th. Dettmers 233 kungen und ein Turm mit Standrohr zum Druckausgleich errichtet worden (Abb. 2). Der Bau der Wasserleitung konnte in dem durch den Vertrag bestimmten Zeitraum vollendet werden, jedoch erfreute sie sich bei den Hausbesitzern zunächst keiner Beliebtheit, die ebenso wie die Kommunalbehörde der Meinung waren, daß eine derartige Anlage für Berliner Zustände keinen Wert habe. Die Hauswirte scheuten offenbar nur die Kosten, um die Wasserleitung in ihre Häuser ziehen zu lassen, auch konnten sie es wohl nicht begreifen, für - Wasser Geld zahlen zu müssen. Selbst öffentliche Gebäude wurden nicht angeschlossen. Im März 1857 waren erst 341 Häuser, hiervon 314 Privathäuser, mit fließendem Wasser versehen. Die geringe Abnahme von Wasser hatte zur Folge, daß aus dem Unternehmen anfänglich kein Gewinn erzielt wurde, von dem ein Teil zum Bau einer Kanalisation, welcher Berlin noch entbehrte, zurückgelegt werden sollte. Die Aktien der Gesellschaft waren daher zu 50 "/• ihres Nominalwertes zu kaufen. Der Aufschwung trat erst ein, als die durch die Anlage geschaffene Bequemlichkeit allgemeine Anerkennung fand, und das Wasser infolge der Filtration auch zum Trinken benutzt werden konnte. So warfen die Dienstmädchen bei ihren Engagementsverhandlungen die Frage auf, „ob die Wohnung auch Wasserleitung habe?". Die Hauswirte waren dadurch gezwungen, ihre Häuser an die Wasserleitung anzuschließen, wenn sie nicht ihre Mieter verlieren wollten. Das Stadtbild selbst konnte durch Springbrunnen verschönert werden, von denen je einer auf dem Alexander-, Dönhoffs-, Hausvogtei- und Belle-Allianceplatz und auf dem Neuen Markt aufgestellt wurden. Die ständig fortschreitende Entwicklung Berlins ließ die Anforderungen an die Menge des Leitungswassers in einem Maße anwachsen, dem die Berliner Wasserwerke nicht gerecht wurden, auch gab die Beschaffenheit des am Stralauer Tor geschöpften Wassers zu Bedenken Anlaß, als die Besiedlung der flußaufwärts gelegenen Spreeufer zunahm. Bürgerschaft, Magistrat und Polizeipräsidium waren sich schon Ende der 60iger Jahre über die Verbesserungsbedürftigkeit der Wasserversorgung einig. Man hatte allgemein eingesehen, daß die Wasserleitung nicht nur eine Sache des Luxus war. Zwar vergrößerten die Berliner Wasserwerke das Leitungsnetz im Laufe der Jahre über ihre vertragliche Pflicht hinaus, sie verhielten sich jedoch im weiteren Ausbau, kaufmännisch in wohl richtiger Weise, immer zurückhaltender, je näher der 1. Juli 1881 herankam, an dem nach dem Staatsvertrage vom 14. Dezember 1852 alle ihre Anlagen gegen Zahlung des Taxwertes dem Staate zufallen sollten. So waren allmählich in den alten Stadtteilen die Rohrleitungen zu eng geworden, um bei dem ansteigenden Verbrauch genügend Wasser zuleiten zu können, und schließlich, etwa seit 1867, weigerte sich die englische Gesellschaft überhaupt, das Leitungsnetz weiter auszudehnen, so daß die neuen Stadtteile ohne Wasserversorgung blieben. Wieder entsprang es der Initiative eines Berliner Polizeipräsidenten, des Herrn von Wurmb, daß die Wasserversorgung von Berlin nunmehr auch organisatorisch eine solche Umwandlung erfuhr, durch die sie bis zum heutigen Tage allen Ansprüchen an die Wasserbelieferung genügen konnte. Der Magistrat hielt die Beseitigung des eingetretenen Mißstandes schon für möglich, wenn die englische Gesellschaft ihren Vertragspflichten nachkam, welche er nicht voll erfüllt wähnte. Von Wurmb hingegen sah die befriedigende und endgültige Lösung dieser für das aufstrebende Berlin so ungeheuer wichtigen Frage nur in der Betriebsübernahme der Wasserleitung durch die Stadtverwaltung selbst. Die Auffassung des Polizeipräsidenten drang bei der Kommu234 Gemalt von W. Knoll Wasserreservoir auf dem Windmühlenberg. Gezeichnet von Th. Dettmers nalbehörde durch, und, nach eingehender Prüfung aller Möglichkeiten für eine gesicherte Wasserbelieferung, entschloß sich die Stadt Berlin unter dem Oberbürgermeister Hobrecht im Jahre 1873, die Wasserversorgungsanlage der „Berlin-WaterWorks-Company" schon vor Ablauf der Vertragszeit dieser Gesellschaft für 1,25 Millionen Pfund Sterling käuflich zu erwerben, nachdem der Staat dieses ihm aus dem Vertrage mit den englischen Unternehmern zustehende Recht der Stadtgemeinde zu zedieren bereit war. Die Stadt Berlin trat am 2. Januar 1874 in die Verwaltung der nunmehr städtischen Wasserwerke ein. Zu ihrem Direktor wurde Henry GUI bestellt, der bislang der Betriebsdirektor der englischen Gesellschaft gewesen war. Der Ausbau der Wasserversorgungsanlage wurde tatkräftig aufgenommen. Seit dem Jahre 1877 mußte neben dem Stralauer Werk ein zweites Wasserwerk am Tegeler See betrieben werden, und, als im Jahre 1893 das neue, am Müggelsee errichtete Werk die Wasserförderung aufnahm, konnte das alte Wasserwerk am Stralauer Tor 1894 den Betrieb für immer einstellen. Die Geschichte der Berliner Wasserversorgung Von Prof. D r . - I n g . K u r t Hünerberg Wie Dr. Rutz in den vorangegangenen Ausführungen festgestellt hatte, machte das schnelle Ansteigen des Wasserbedarfs die Erbauung neuer, großer Werke notwendig. Nach sorgfältigen Untersuchungen und Versuchen kam man zu dem Ergebnis, daß Havel und Spree mit ihren Grundwasserbecken eine günstige Grundlage für die 235 Wassergewinnung Berlins darstellen. Der damals errechnete Wasserbedarf führte dazu, weitere Wassergewinnungsanlagen am Tegeler See und später am Müggelsee zu errichten. Das Wasser sollte jedoch nicht unmittelbar den Seen, sondern aus an deren Ufern bis in das Grundwasser abgesenkten Brunnen entnommen werden. Dieses Wasser sollte dann ohne jede Aufbereitung durch Schöpf- und Förderpumpen über die in der Nähe der Stadt zu errichtenden Zwischenpumpwerke in das Stadtrohrnetz gefördert werden. Die Anlagen des neuen Wasserwerks am Tegeler See wurden jedoch so eingerichtet und bemessen, daß notfalls auch Seewasser unmittelbar aufbereitet und gefördert werden konnte. Sie wurden in zwei Baustufen zu je 43 000 cbm Tagesleistung an verschiedenen Stellen des Tegeler Seeufers errichtet und im September 1877 mit der ersten Ausbaustufe in Betrieb genommen, der erst im September 1888 die zweite folgte. Gleichzeitig wurde auf dem Hochplateau von Westend das Zwischenpumpwerk Charlottenburg mit drei Reinwasserbehältern erstellt. Zusammen mit dem ersten Werk am Stralauer Tor konnten nunmehr täglich 103 000 cbm Wasser gefördert werden. Schon bald nach Inbetriebnahme des Werkes Tegel ergaben sich Schwierigkeiten dadurch, daß die im Grundwasser vorhandenen Eisenalgen auch im Rohrnetz und in den Behältern des Pumpwerks Charlottenburg in Erscheinung traten. Man erkannte zwar die Ursache, hatte jedoch damals noch keine Mittel zur Beseitigung des hohen Eisengehaltes - und damit der Algen - im Wasser. Die Wasserwerke sahen sich deshalb im Herbst 1883 gezwungen, von der Grundwasserförderung zur Verwendung von Seewasser überzugehen. Nach diesen Erfahrungen wurde auch das zweite große Wasserwerk am Müggelsee als Oberflächenwasserwerk errichtet und am 28. Oktober 1893 offiziell eröffnet. Die Gesamtkapazität erhöhte sich auf 240 000 cbm/Tag. Mit dieser zur Verfügung stehenden Förderleistung konnte man nun auch verschiedene Vororte in die zentrale Wasserversorgung Berlins mit einbeziehen. Inzwischen war es gelungen, auf einfache Weise, nämlich durch intensive Belüftung und anschließende Filterung, das Eisen aus dem Grundwasser zu entfernen. Die Berliner Wasserwerke kehrten daraufhin wieder zur Grundwasserförderung wegen seiner Vorzüge dem Oberflächenwasser gegenüber zurück. Diese Umstellung wurde vor allem auch deshalb vorgenommen, weil Spree und Havel durch eingeleitete Abwasser zunehmend verunreinigt wurden. Grundwasser stand den Berliner Wasserwerken in reichlichem Maße zur Verfügung, da sich Berlin in einem günstig ausgebildeten Talzuge, dem Warschau-Berliner Urstromtal, befindet, in dem die Eisund Zwischeneiszeiten einen sandigen Untergrund verschiedener Körnung gebildet haben. Diese Sandschichten sind ein guter Grundwasserträger und ergeben für die Grundwassergewinnung denkbar günstige Voraussetzungen. Während auf dem Werk Tegel die Seewasserentnahme im Oktober 1902 gänzlich eingestellt wurde, behielt man sie auf dem Werk Friedrichshagen zum Teil bei, weil der oberhalb des Stadtgebietes liegende Müggelsee von größeren Abwasserzuflüssen verschont geblieben war. In ein neues Stadium trat die Berliner Wasserversorgung durch die am 27. April 1920 erfolgte Bildung von Groß-Berlin. Eine Reihe der damit eingemeindeten früheren Vororte hatte bereits eine eigene zentrale Wasserversorgung, die jetzt mit der AltBerliner Wasserversorgung vereinigt wurde. Der Süden Groß-Berlins wurde durch die Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG, die sogen. „Charlotte236 Wasser", mit Wasser versorgt. Diese am 21. 8. 1878 gegründete Gesellschaft hatte das von der Westendgesellschaft (Abb.) im Jahre 1872/1873 gebaute Wasserwerk am Teufelssee übernommen. Begünstigt durch das schnelle Anwachsen der Vororte, mit denen die Gesellschaft langfristige Verträge abgeschlossen hatte, erweiterten sich Wirkungskreis und Gesdiäftsumfang. Das Versorgungsgebiet, das sich zunächst über die Villenkolonie Westend erstreckte, dehnte sich im Verlauf der letzten 20 Jahre des vorigen Jahrhunderts auf eine größere Anzahl der im Süden von Berlin liegenden Vororte bis an die Tore von Potsdam hin aus. Zu dem Werk am Teufelssee kamen die neugebauten Werke Beelitzhof I (1888) und II (1893/ 1894), Jungfernheide (1896) und Johannisthai (1900) hinzu und 1913/14 noch das Wasserwerk Tiefwerder. 1906 wurden die Werke Teufelssee und Jungfernheide an die Stadt Charlottenburg verkauft. Die Bemühungen der Stadt, wegen häufig mangelhafter Wasserversorgung auf die Verwaltung der „Charlotte-Wasser", deren in privaten Händen befindliches Kapital auf 60 Millionen Mark angewachsen war, Einfluß zu geEhemaliger Germania-Wasserturm der Westendwinnen, hatten jedoch jahrGesellschaft Eschen- Ecke Plantanenallee, um 1890. (Gesprengt 1892) zehntelang keinen Erfolg. Nach dem ersten Weltkrieg und den Inflationsjahren nahm Berlin einen wirtschaftlichen und industriellen Aufschwung, der ein sprunghaftes Anwachsen der Bevölkerung zur Folge hatte. Dadurch erhöhte sich der Wasserbedarf, und es mußten von den Wasserwerken in den Jahren bis 1933 Bauten im Werte von 90 Millionen Reichsmark ausgeführt werden. Die Werke wurden auf eine Jahresleistungsfähigkeit von 190 Millionen Kubikmeter gebracht, das Rohrnetz von 2700 auf 4000 km verlängert. 1937/1938 wurde in Kladow am Westufer der Havel ein neues Werk mit einer Kapazität von 10 000 cbm/Tag gebaut. Zu Beginn des zweiten Weltkrieges standen 13 Förderwerke für die städtisdie Wasserversorgung zur Verfügung, nämlich Friedrichshagen (Müggelsee), Tegel, Wuhlheide, Jungfernheide, Spandau, Triftweg I und II, Stolpe, Kaulsdorf, Köpenick, Altglienicke, Grunewald (Teufelssee) und Kladow. Daneben bestanden die Zwischen237 und Überpumpwerke Lichtenberg, Tempelhofer Berg, Kleistpark und Westend. Mit diesen Anlagen konnten die Berliner Wasserwerke den Bedarf an Trink- und Brauchwasser in ihrem Versorgungsgebiet decken, das 64 157 ha mit etwa 3,3 Millionen Einwohnern umfaßte. Das Verteilungsnetz hatte eine Länge von 4243 km mit 116 429 Hausanschlüssen erreicht. Der Jahresbedarf war auf 175 Millionen cbm angestiegen. Die Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG versorgten 1939 im GroßBerliner Gebiet hauptsächlich aus ihren Werken Beelitzhof, Tiefwerder und Johannisthal eine Fläche von 24 209 ha mit mehr als einer Million Einwohnern. Das Rohrnetz dieser Gesellschaft erstreckte sich in Groß-Berlin über 1690 km mit 43 968 Hausanschlüssen; die Jahresabgabe betrug damals etwas über 54 Millionen Kubikmeter. Vor dem zweiten Weltkrieg und während desselben wurden wegen der zunehmenden Verknappung aller benötigten Materialien Ausbau und Instandhaltung von Werken und Rohrnetz immer schwieriger. Zudem entstanden in den letzten Kriegsjahren durch Bombeneinwirkungen an Werken und Rohrnetz so große Schäden, daß sie nur noch notdürftig ausgebessert werden konnten. Trotzdem gelang es, die Wasserversorgung bis auf kurze Unterbrechungen bis zum Ende der Kampfhandlungen aufrecht zu erhalten. Bei Kriegsende hatten die Wasserwerke durch Kriegseinwirkungen im Stadtgebiet, auch durch Brückensprengungen, so große Verluste erlitten, daß die zentrale Wasserversorgung sowohl bei den städtischen Wasserwerken als auch bei der Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG zum Erliegen kam. Vorsorglich waren in den letzten Monaten vor Kriegsende Tiefbrunnen und Handschwengel in den Straßen errichtet, an denen nun die Bevölkerung in langen Schlangen anstand, um das Wasser eimerweise zu holen. Die Wiederingangsetzung der Versorgung stieß auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten, insbesondere bei der Beschaffung der notwendigen Materialien. Die Vorräte in den Lagern waren zusammengeschmolzen, und die Fertigungsstätten größtenteils zerstört. Kohle, Treibstoff und Baumaterialien waren nur noch in ganz geringem Umfange vorhanden; außerdem fehlte es an Transportmitteln. Hinzu kam die finanzielle Lage der Berliner Wasserwerke, die durch die Blockierung sämtlicher Konten entstand. In der Kasse der Wasserwerke befanden sich bei der ersten Bestandsaufnahme nach dem Kriege am 1. 5. 1945 85 000 Reichsmark. Das reichte bei einem Wirtschaftsplan von mehr als 40 Millionen Reichsmark nicht einmal aus, die durchschnittlichen Geldausgaben eines einzigen Tages zu bestreiten. Materialeinkäufe und sonstige Beschaffungen konten nur mit den allmählich wieder eingehenden Erlösen aus dem Wasserverkauf finanziert werden. Trotzdem gelang es, die Wasserversorgung nach und nach wieder in Gang zu setzen. Im August 1945 wurde der seit langem angestrebte Zusammenschluß der „Berliner Städtische Wasserwerke" mit der in Liquidation gegangenen „Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG" endlich herbeigeführt, und damit die gesamte Wasserversorgung Berlins in die Hand eines Unternehmens, nämlich der Berliner Wasserwerke, gelegt. Aber bereits im März 1949 teilten die politischen Verhältnisse auch die Berliner Wasserwerke bei der Spaltung Berlins wieder in zwei Teile. Diese Trennung der Wasserversorgung brachte für den westlichen Teil der Stadt zunächst große Schwierigkeiten mit sich. Von den 16 über das ganze Stadtgebiet verteilten Wasserwerken mit einer Gesamtkapazität von 1,2 Millionen cbm'Tag standen 238 für die Versorgung West-Berlins den Berliner Wasserwerken nur 7 Werke mit einer Gesamtkapazität von noch nicht einmal 500 000 cbm/Tag zur Verfügung, während 2,2 Millionen von den 3,3 Millionen Einwohnern Groß-Berlins in den Westsektoren wohnten. Nach der Spaltung mußte deshalb zunächst noch etwas Wasser aus OstBerlin nach West-Berlin geliefert werden, bis im Juli 1950 eine endgültige Trennung des Rohrnetzes an der Sektorengrenze durch Schließen der Schieber erfolgte. Die südlichen und südöstlichen Teile der Westsektoren, besonders das dichtbesiedelte Neukölln, das bis dahin sein Wasser von dem im Ostsektor liegenden Wasserwerk Johannisthai bekommen hatte, konnten nun nicht mehr ausreichend versorgt werden. Von den in West-Berlin gelegenen Werken mußte deshalb das Wasser über eine Entfernung von mehr als 25 km in teilweise inkrustierten Rohrleitungen bis nach Neukölln transportiert werden. Druckmangelerscheinungen waren die Folge. Deshalb wurden zunächst zwei Zwischenpumpwerke mit angeschlossenen Reinwasserbehältern 1952 in Neukölln am Columbiadamm und 1953 in Marienfelde an der Buckower Chaussee gebaut. Die Versorgung dieser Gebiete wurde später noch weiter verbessert durch die Neulegung von mehr als 80 km Transportleitungen bis zu 1000 mm Durchmesser. Damit aber auch bei stärkster Spitzenabnahme in den Sommermonaten der Wasserbedarf gedeckt werden konnte, mußte schnellstens an die Erweiterung der vorhandenen Wasserwerksanlagen gegangen werden; zunächst wurde 1954 die Rohwassergewinnung für das Werk Beelitzhof durch die Anlage neuer Brunnen erhöht. 1955 folgte die Inbetriebnahme des nach neuesten Gesichtspunkten erstellten Werkes Riemeisterfenn mit einer Kapazität von 20 000 cbm/Tag. Dieses in einem Landschaftsschutzgebiet gelegene Wasserwerk wurde zu drei Vierteln unterirdisch angelegt, um das Landschaftsbild möglichst zu erhalten. 1959 wurde dann das neue Wasserwerk Spandau in Betrieb genommen und die alten, unwirtschaftlich arbeitenden Werksanlagen abgerissen. Dabei wurde die Kapazität dieses neuen Werkes auf 90 000 cbm/ Tag erweitert. In den Sommermonaten wird hier das Reinwasser mit elektrisch angetriebenen Kreiselpumpen in das Rohrnetz gedrückt, in den Wintermonaten durch solche mit Dieselmotorantrieb. Bei Ausfall der öffentlichen Stromversorgung steht ein Dieselnotstromaggregat zur Verfügung, das vollautomatisch anläuft. Parallel zu den Bauarbeiten am Wasserwerk Spandau liefen auch die Erweiterungs-, Neu- und Umbauten an den Werken Beelitzhof und Tiefwerder, die im Frühjahr 1961 mit einer Kapazität von 250 000 bzw. 100 000 cbm/Tag in Betrieb gehen konnten. 1961 begann auch der völlige Neubau des Wasserwerks Jungfernheide. Dieses Werk, das seit dem Jahr 1896 bestand, hatte zunächst eine Kapazität von 65 000 cbm/Tag und wurde mit völlig unwirtschaftlich arbeitenden Dampfanlagen, die zum Teil noch aus dem Jahr der Gründung des Werkes stammten, betrieben. Das neue Werk, das im Frühjahr 1964 in Betrieb ging, hat jetzt eine Tageshöchstleistung von 150000 cbm. Auch in diesem Werk wird das Reinwasser während des Sommers mit elektrisch angetriebenen Kreiselpumpen und in den Wintermonaten durch solche mit Dieselmotorantrieb in das Rohrnetz gedrückt. 1965 wurde mit dem Neubau des großen Wasserwerks Tegel begonnen. Die restlos veralteten Dampfanlagen wurden durch moderne Elektrokreisel- und Dieselpumpen in einem neuen Maschinenhaus ersetzt. Die Aufbereitung des Rohwassers geschieht 239 hier nach Inbetriebnahme des Neubaus im Herbst 1969 nicht mehr in Rieselern und Langsamfiltern, sondern in modernen Aufbereitungsanlagen, die von einer zentralen Schaltwarte aus gesteuert werden. Für die nächsten Jahre ist noch weiterhin der Neubau des kleinen aus dem Jahre 1938 stammenden Werkes Kladow geplant, dessen Kapazität dabei von 14 000 auf 50 000 cbm/Tag vergrößert werden soll. Die Spitzenleistung der Berliner Wasserwerke beträgt zur Zeit 880 000 cbm/Tag. Nach der für die kommenden Jahre geplanten Steigerung können sie dann einen Kopfverbrauch von mehr als 400 1 je Tag decken. Da aber einige Zweige von Gewerbe und Industrie sich selbst mit Grundwasser aus eigenen Brunnen versorgen, kann der tatsächliche Gesamtkopfverbrauch rund 500 1 je Tag betragen. Hand in Hand mit dem Ausbau der Werksanlagen ist auch das Rohrnetz in Berlin (West) beträchtlich erweitert worden. So entstanden u. a. bis heute ca. 48 km neue Transportleitungen von N W 800 bis N W 1000 zur Verbesserung des Versorgungsdruckes in einzelnen Stadtteilen. An das über 4200 km lange Rohrnetz sind heute mehr als 125 000 Grundstücke angeschlossen. Insgesamt wurden seit dem Jahr 1949 rund 307 Millionen DM für die Erneuerung und Erweiterung der Anlagen aufgewendet. Die in den letzten Jahren geschaffenen Erweiterungen sowohl auf dem Gebiet der Werksneubauten als auf dem der Rohrneulegungen werden auch in Zukunft den ständig steigenden Anforderungen der Bevölkerung West-Berlins an das Trinkwasser jederzeit gerecht werden. Anschrift des Verfassers: Berlin 31, Hohenzollerndamm 45 Nachrichten Jahreshauptversammlung Am 23. April 1969 wurde im Saal 139 des Rathauses Schöneberg die ordentliche Mitgliederversammlung des Vereins für die Gesdiichte Berlins abgehalten. Der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm, ehrte nach der Begrüßung der Mitglieder die seit der letzten o. Mitgliederversammlung verstorbenen Vereinsmitglieder Prof. Dr. Bruno Kurtze, Braunschweig, Frau Eva Neumann, Berlin, Frau Dr. Dorothea Westpbal, Berlin, Herrn Erich Alte, Rheinhausen, Frau Rumplach, Berlin, und Herrn Hans Potratz, Berlin. Nach der Totenehrung wurde der Tätigkeitsbericht satzungsgemäß entgegengenommen und der Kassenbericht neben den notwendigen Erläuterungen vom Kassenwart, Obermagistratsrat a. D. Mügel, erstattet. Der Betreuer der Bibliothek Grave trug den Bibliotheksbericht vor, dem sich der Bericht der Kassenprüfer (Grothe und Schönknecht anstelle von Brozat) und der Bibliotheksprüfer (Kärger und Mey) anschloß. Nach der zügigen Erledigung der Regularien dankte Bürgermeister a. D. Rieck für das Bemühen, die Qualität der Vorträge so sichtbar zu steigern. Insbesondere galt sein Dank dem Vorstandsmitglied Hofmann als Leiter des Veranstaltungsausschusses. Die vom Ehrenmitglied Bullemer vorgeschlagene Erweiterung des Umfanges der „Mitteilungen" zur vermehrten Übernahme von Vortragsberichten läßt sich gegenwärtig nidit verwirklichen. Frau Metzner leitete eine Diskussion über die Möglichkeiten ein, in der Öffentlichkeit stärker gegen den Abriß historischer Bauten anzugehen. Der Vorstand wurde gebeten, sich über einen Arbeitskreis für den Schutz historischer Bauten Gedanken zu machen. Gleichfalls wird der Vorstand auf die Anregung des Bibliotheksprüfers Kärger eingehen, Herrn Grave für seine gewissenhafte Betreuung der Bibliothek, die am 2. Oktober zehn Jahre besteht, Anerkennung zu zollen. Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm gab den Mitgliederbestand mit 492 an und bat, auch weiterhin für die Mitgliedschaft im Verein zu werben. Nach der von Herrn Wetzel beantragten Entlastung des Vorstands, die die Versammlung einstimmig aussprach, leitete Bürgermeister a. D. Rieck als Alterspräsident die Wahl des Vorstandes. Der engere Vorstand 240 wurde einmütig in der folgenden Zusammensetzung wiedergewählt: Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm, Vorsitzender; Dr. Gerhard Kutzsch, Direktor des Landesarchivs, 1. stellv. Vorsitzender; Kurt Pomplun, 2. stellv. Vorsitzender; Dr. H. G. Schultze-Berndt, Schriftführer; Frau Ruth Koepke, stellv. Schriftführer; Walter Miigel, Obermagistratsrat a. D„ Schatzmeister, und Helmut Hofmann, Reg.-Amtmann, stellv. Schatzmeister. Auch die Wahl der Beisitzer, von denen der Archivar Dr. Leichter neugewählt wurde, erfolgte einstimmig: Dr. Konrad Kettig, Direktor der Bibliothek der Freien Universität Berlin; Walter Jarchow, Architekt; Frau Dr. Margarete Kühn, Direktorin der Staatl. Schlösser und Gärten; Dr. Hans Leichter, Dipl.-Chemiker; Walter G. Oschilewski, Chefredakteur; Dr. Hans Pappenheim, Kunsthistoriker; Dr. Rainald Stromeyer, Direktor der Senatsbibliothek Berlin, und Dr. Gerhard Zimmermann, Direktor des Geheimen Staatsarchivs. Die gleiche Einmütigkeit herrschte bei der Wahl der beiden Kassenprüfer Grothe und Schönknecht und der Bibliotheksprüfer Kärger (gleichzeitig Leiter des Bildarchivs des Vereins) und Mey. Auf Vorschlag vom Schatzmeister wird der Beitrag auf 24,- DM jährlich gehalten (Familienmitgliedschaft 12,- DM, alleiniges Abonnement der „Mitteilungen" 10,- DM). Unternehmen, Körperschaften usw. entrichten einen Mindestjahresbeitrag von 100,- DM. Zum Punkt „Verschiedenes" wurde der Wunsch geäußert, dem Archiv Bilder von Veranstaltungen oder allgemein Berlin-Bilder zu spenden; eine Reihe von Mitgliedern hat hierbei schon vorbildlich gewirkt. Zur Frage einer zweckmäßigen Werbung für die Belange des Vereins und zu dessen Veröffentlichungen wurden wertvolle Diskussionsbeiträge geleistet. Mit einem Dank an die Mitglieder und an die Vorstandskollegen schloß Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm als Vorsitzender die Jahreshauptversammlung, die ein gutes Zeugnis ablegte von dem Wirken des Vereins, das künftig noch stärker in die Öffentlichkeit ausstrahlen soll. H. G. Schultze-Berndt Festveranstaltung anläßlich des 10jährigen Bestehens der „Historischen Kommission zu Berlin" Vor 10 Jahren nahm die „Historische Kommission zu Berlin" als Nachfolgerin der bei Kriegsende aufgelösten „Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin" mit einem traditionsreichen Erbe aus der Geschichte Berlins sowie mit einem weitgesteckten Zukunftsprogramm ihre Arbeit auf. In einer Festsitzung in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses gab am 13. April 1969 Prof. Dr. Hans Herzfeld als Vorsitzender der Öffentlichkeit Rechenschaft über die im vergangenen Jahrzehnt im Dienst der deutschen Geschichtswissenschaft geleistete Arbeit. Hauptaufgaben seien die Quellenforschung sowie die Veröffentlichung von Darstellungen und Untersuchungen geschichtlicher Vorgänge und Erscheinungen, die thematisch Berlin und sein brandenburgisch-preußisches Umland im engeren und weiteren Sinne berühren, seien es Persönlichkeiten, Landschaften, Körperschaften, Epochen, Zentren oder Teilbereiche kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Von Anbeginn habe man sich nicht nur auf die politische Geschichte beschränkt, sondern stets besonderen Wert darauf gelegt, auch soziale und wirtschaftliche Aspekte in die wissenschaftliche Arbeit einzubeziehen. 80 Publikationen und Editionen von monographischen, biographischen, bibliographischen und kartographischen Arbeiten seien das stolze Ergebnis der im vergangenen Jahrzehnt geleisteten Arbeit, die sich mehrfach umfangreicher gestaltete als geplant. Wohl sei das in den vergangenen Jahren gesteckte Ziel, die Historische Kommission zu einem Berliner Kulturzentrum auszubauen, noch in weiter Ferne, doch wäre dank der Stiftung Volkswagenwerk das Konsulationsprogramm für mehrere Jahre gesichert, das ausländische Gelehrte mit ihren Familien für längere Dauer zum Wissensaustausch und zur Vollendung ihrer Studien, die in die wissenschaftlichen Aufgabengebiete der Historischen Kommission fallen, nach Berlin einzuladen gestattete. Prof. Herzfeld dankte den Vertretern des Abgeordnetenhauses von Berlin, dem Senator für Wissenschaft und Kunst, dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, dem Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, der Deutschen Klassenlotterie, der Ernst-Reuter-Gesellschaft, der Stiftung Volkswagenwerk und ganz besonders der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Förderung der Historischen Kommission. Schulsenator Evers würdigte in Vertretung des Senators für Wissenschaft und Kunst den großen Erfolg der während des ersten Jahrzehnts ihres Bestehens geleisteten wissenschaftlichen Arbeiten. Prof. Dr. Lieber, der Prorektor der Freien Universität, nannte die ideale Zusammenarbeit zwischen der Historischen Kommission und dem Friedrich-Meinecke-Institut als ein hervorragendes Beispiel für die Zusammenarbeit außeruniversitärer Forschungsinstitute und der Universität. Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm überbrachte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Berlins zugleich im Namen der Landesgeschichtlichen Vereinigung sowie des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg die Glückwünsche der der „Historischen Kommission zu Berlin" in gleicher Zielsetzung so eng verbundenen Berliner historischen Vereine. Zimmermann 241 Von unseren Mitgliedern: Dr. med. Otto Winkelmann habilitierte sich für das Fach Geschichte der Medizin und wurde am 12. 12. 1968 zum Privatdozenten an der Freien Universität ernannt. * Dr. phil. Konrad Kettig wurde mit Wirkung vom 12. März 1969 zum Honorarprofessor der Freien Universität ernannt. * Der frühere stellvertretende Schriftführer des Vereins, Chefredakteur i. R. Erich Borkenhagen, ehemaliger Leiter der Verlagsabteilung der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin (VLB), ist mit der Goldenen Delbrück-Denkmünze ausgezeichnet worden. In der Verleihungsurkunde heißt es, daß ihm diese hohe Ehrung in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste um eine verantwortungsbewußte Publizistik im Braugewerbe und seines maßgeblichen Anteils an der Entwicklung der Zeitschriften der VLB sowie in Würdigung seiner Initiative und Arbeit auf brauhistorischem Gebiet zuteil geworden ist. Die Herren Apotheker Dr. Joachim Härtel, Günter Poredda und Werner Teschke spendeten für unseren Bibliotheks- und Versammlungsraum im Ernst-Reuter-Haus einen fabrikneuen Kühlschrank, wofür ihnen herzlich gedankt sei. Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Frau Lucia Winter und Frau Elise Runge, zum 75. Geburtstag Herrn Dr. Erich Hertel, Frau Elise Lemke, Herrn Rudolf Adrian Dietrich und zum 80. Geburtstag Herrn Hans Wetzel. * In Ergänzung der Aufstellung in Heft 16 teilen wir mit, daß auch unser Jahrbuch „Der Bär" von 1951 zum Preise von 4,80 DM noch zu haben ist. Buchbesprechungen Heinz-Georg Klös: Von der Menagerie zum Tierparadies. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung G m b H , Berlin 12, 1969. 320 Seiten, 39 vierfarbige und 390 einfarbige Abbildungen. Leinen 29,80 DM. Der Referent ist zwar nicht, wie es auf den Käfigschildern heißt, „im Garten geboren", doch hat er schon vom Kinderwagen aus seine ersten Tierbekanntschaften im Zoo geschlossen, später wurde er dann, die Aktienkarte mit Strippe um den Hals gebunden, allein durchs damals noch offene Bärentor gesteckt. So wurde er beinahe sentimental beim Studium dieses prächtig ausgestatteten Werkes, denn die neuen Tierhäuser mögen praktischer und den Insassen zuträglicher sein, schöner waren doch die alten Tempel und Moscheen. Wie der Titel sagt, ist das Buch eine Historie der Tierhaltung in Berlin, die uns vom 15. Jahrhundert, vom Jagdgarten Johann Ciceros bis zur Zukunftsvision des Delphinarium führt. Wir freuen uns, auch zwei Vereinsmitglieder erwähnt zu finden: unseren einstigen langjährigen Vorsitzenden Richard Beringuier mit seiner 1877 erschienenen, wohl ersten Zoo-Chronik, und unseren stellvertretenden Vorsitzenden Kurt Pomplun als historischen Berater. Das Werk ist kein Geschichtenbuch, sondern ein Geschichtsbuch des Zoos, eingeteilt, wenn wir von der Anamnese absehen, nach der Wirkungszeit der einzelnen Zoodirektoren, vom Initiator Lichtenstein vor 125 Jahren bis zum Autor Klös. Es folgt der Bericht über die Aquarien Unter den Linden und in der Budapester Straße. Der Verlag hat nichts gespart: 390 einfarbige, meist zeitgenössische Abbildungen lassen uns die Entwicklung auch optisch miterleben, dazu geben 39 prachtvolle Farbaufnahmen ausgesuchte Exemplare des gegenwärtigen Tierbestandes wieder, dessen Vielfalt um so mehr beeindruckt, wenn wir zuvor die erschütternden Bilder nach den Bombennächten von 1943 betrachtet haben. Wer unseren Berliner Zoo liebt, wird dieses vorwiegend historisch aufgefaßte, sorgfältig zusammengestellte Buch besitzen wollen. W. Hoffmann-Axthelm Wolf gang Scheffler: Berliner Goldschmiede. Daten - Werke - Zeichen. Verlag Bruno Hessling, Berlin 1968. X X I I , 647 S., 137 Abb. Lwd. 182,- DM. Wer sich bisher mit der Geschichte der Berliner Goldschmiedezunft beschäftigen wollte, war - abgesehen von dem wertvollen Bestand geretteter Innungsarchivalien - auf das grundlegende Werk von Friedrich Sarre (1895) und auf einige bescheidene Festschriftartikel zwischen 1925 und 1955 angewiesen. Reichte Sarres Darstellung nur bis zum Jahre 1800, so räumte auf der anderen Seite Marc Rosenberg in seinem Standardwerk „Der Goldschmiede 242 Merkzeichen" (3. Aufl. 1922) den Berliner Meistern nur einen kleinen Platz ein. Diese Lücken sucht Schefjler mit seiner Arbeit, die er unserem Verein gewidmet hat, jetzt weitgehend zu füllen. Der frühere Oberkustos am Berliner Kunstgewerbemuseum hat in jahrelanger und mühevoller Kleinarbeit ein Werk geschaffen, das die bisherigen in umfassender Weise ergänzt und erweitert. Über 3000 Namen von Goldschmieden, Münzmeistern, Steinschneidern, Graveuren, Petschierstechern, Bernstein- und Perlmuttarbeitern sind für die Zeit von 1463 bis zur 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgeführt, durch Angaben aus Kirchen-, Bürger- und Adreßbüchern vervollständigt und mit einer Liste sowohl der Lehrlinge wie auch der ermittelten Gold- und Silberarbeiten versehen. Sogar dem Verbleib dieser Stücke (Besitzer bzw. Auktion) ist der Autor mit großer Sorgfalt nachgegangen. Hinzu kommen die Meister-, Firmen- und Beschauzeichen, die in übersichtlicher Form separat zusammengestellt wurden. Der Abbildungsteil ist unaufdringlich und dabei in seiner Vielfalt repräsentativ für die einzelnen Stilepochen und ihre namhaftesten Vertreter. Schefflers Werk ist ein reines Handbuch. Das muß betont werden, da mancher über den fehlenden historischen Kommentar wohl enttäuscht sein dürfte. So sehr das Bedürfnis nach einer Darstellung der Geschichte des Goldschmiedewerks seit 1800 weiterhin besteht (worauf auch Gerhard Gruschke-Eichendorff von der Innung in Ost-Berlin vor kurzem nachdrücklich hinwies), so lag dieses Vorhaben doch außerhalb der Planung Schefflers, dem es nur auf das lexikalische Erfassen der Namen und auf deren kurze biographische Skizzierung ankam. Selbst die berühmten Vertreter der Zunft wie Männlich, Lieberkühn, Jordan, Reclam, Hossauer, Wilm u. a., die sich der besonderen landesherrlichen Gunst erfreuten, werden nur mit knappen äußeren Daten versehen. Die hierbei gewählte chronologische Reihenfolge der Namen ist konsequent eingehalten und als Ordnungsprinzip unbedenklich, da sie durch einen sehr guten Index erschlossen wird. Überhaupt ist die technische Gestaltung des Buches hervorragend, was sich auch auf seine Handlichkeit und leichte Benutzbarkeit auswirkt. Neben diesem positiven äußeren Erscheinungsbild gibt es jedoch eine Anzahl philologischer Mängel, die dem wissenschaftlichen Charakter des Werkes schlecht anstehen. So sind dem Verfasser bei der Auswertung des wichtigsten Originaldokuments, der Gründungsurkunde von 1555, zwei gravierende Fehler unterlaufen, die zweifellos auf quellenkritischer Nachlässigkeit beruhen. Einmal ist die Behauptung, die Urkunde sei „nicht unversehrt erhalten" (S. XII), keineswegs zutreffend, da die aufgeklebten Siegel und Unterschriften in dieser Form sehr wohl zur Originalausfertigung gehören; die Abweichung im Unterschriftsschema auf dem entsprechenden Faksimile bei Sarre hat lediglich drucktechnische Gründe, wie sich anhand des Originals leicht nachweisen läßt. Zum anderen vermag Scheffler den Nachnamen des Meisters Nicklauß L. ( = Lyerch, Nr. 29) nicht zu identifizieren, löst ihn aber fälschlich als zusätzlichen Vornamen „Jörch" des unmittelbar folgenden Meisters Bartel Virvitz (Nr. 33) auf, obwohl die Schreibung eindeutig ist und die Siegelinitialien dabeistehen!, Bei der oft erwähnten, nicht minder wichtigen „Neujahrsadresse" von 1748 fehlt das Wesentliche: daß es sich um einen Neujahrswunsch des Amtsboten / . F. Gothe handelt, der mit einem langen Gedicht seinen Brotgebern - nämlich den genannten 103 Goldschmiedemeistern - einen etwas ungewöhnlichen Dank abstatten wollte. Das Literaturverzeichnis ist unvollständig (u. a. fehlt die Festschrift 1930); die Zitierweise sowohl der Literatur wie auch der Quellen ist durchweg unwissenschaftlich und damit stark verschwommen, weil die originale Schreibweise der Quellen unterschiedslos in den laufenden Text einbezogen und somit im Aussagewert erheblich herabgesetzt wird. Der Leser wird mit einer Fülle alter Namen und Begriffe konfrontiert, mit denen er nichts anfangen kann und deren Erläuterung bzw. Auflösung sinnvoller gewesen wäre als das Beharren auf einer altertümlichen Orthographie. Es ist schade, daß ein so materialreiches und wichtiges Buch von der Konzeption her nicht allen Anforderungen zu genügen vermag. P. Letkemann Berlin in Photographien des 19. Jahrhunderts. Herausgegeben von Friedrich Terveen. Rembrandt Verlag Berlin 1968. 78 Seiten. 22,80 DM. Das vorliegende Buch hat sich das doppelte Ziel gesteckt, das Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der ersten Jahre nach 1900 in hervorragenden Photographien und Bildausschnitten in die Erinnerung zurückzurufen und anhand des photographischen Werks von Waldemar Franz Hermann Titzenthaler (1869-1937) die künstlerische Ader dieses Mannes und die technischen Möglichkeiten des damaligen Lichtbildes aufzuzeigen. Der Leiter der Archivabteilung in der Landesbildstelle beim Presse- und Informationsamt Berlin, Dr. F. Terveen, hat sich dazu die Mühe gemacht, die Entwicklung der Photographie von der Daguerreotypie bis zum Trockenplattenverfahren, das Titzenthaler anwendet, zu skizzieren und die aus Titzenthalers Nachlaß in der Landesbildstelle Berlin ausgewählten Motive zu kommentieren und auf die heutige Zeit zu beziehen. Daß ihm dabei neben anderen der Irrtum unterlaufen ist, daß (S. 10) die Schienen nicht für die erste Pferdebahn am Mühlendamm um 1865 verlegt, 243 sondern die Geleise 1886 entfernt wurden, hat unser Vorstandsmitglied Kurt Pomplun bereits aufgedeckt. Nur die älteren Berliner werden noch eine lebendige Erinnerung an die Kaiserzeit haben. Allen anderen aber zeigt der vorliegende Bilderband, welchem Wechsel das Geschick einer Stadt unterworfen ist und wie wichtig es erscheint, sich mit der Geschichte der eigenen Stadt zu beschäftigen. Wer hätte beispielsweise gewußt, daß in Berlin zwischen 1840 und 1860 bereits über 200 Berufsphotographen gearbeitet haben? Nach dem Amtlichen Fernsprechbranchenbuch werden für das Jahr 1968/69 204 Photographen in diesem Teil unserer Stadt registriert. H. G. Schultze-Berndt Kurt Pierson: Dampfzüge auf Berlins Stadt- und Ringbahn. Vergangenheit und Gegenwart Berlins im Spiegel seiner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen. 108 Seiten, 34 Textabbildungen und 72 Fotos auf 28 Kunstdrucktafeln. Frankhsche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1969. 16,80 DM. Kurt Pierson, Dampfbahn-Enthusiast und versierter Kenner des Metiers, war laut Vorwort bestrebt, die Abhandlung über die Dampflokomotiven „des abstrakten Charakters zu entkleiden, der früheren Veröffentlichungen über dies Thema anhaftete". Vor dem interessierten Leser lebt die einzigartige Sphäre der Dampfbetriebs-Ära wieder auf, so wie sie in Berlin einst Wirklichkeit war. Pierson läßt eine lange Reihe von Dampflokomotiven auffahren, weiß zu sagen, wann zur Jungfern- und wann zur Henkersfahrt gestartet wurde, nennt Vor- und Nachteile der Konstruktionen, bringt Gleispläne und Tabellen mit genauen technischen Angaben und würzt den Text des Buches mit einer Auswahl erstklassiger, teils seltener Fotos aus dem alten Berliner Bahnbereich. Mit erhobenem Zeigefinger deute ich indessen auf einige Angaben hin, die sich als nicht hieb- und stichfest erweisen: Bhf. Gesundbrunnen gehörte nicht zur alten Berlin-Stettiner Bahn, sondern war Ringbahnstation (S. 17), Bhf. Wilmersdorf heißt schon seit Beginn des 3. Reiches Berlin-Wilmersdorf (S. 18). Ein Verbindungsweg für Fußgänger vom Bhf. Kolonnenstraße nach dem Potsdamer Bhf. (!) (S. 25) hätte einen halbstündigen Fußmarsch bedeutet, ich bezweifle, ob ein Gang in dieser Form jemals bestanden hat. Pierson verlegt den Personenverkehr der Ringbahn durchgehend auf das innere und den Güterverkehr auf das äußere Gleispaar des viergleisigen Bahnkörpers (S. 25). Diese Verteilung traf nur zu für den südlichen Teil der Ringbahn, auf dem nördlichen Abschnitt verkehrten die Personenzüge auf den äußeren, die Güterzüge aber auf den inneren Gleisen. Ringbahnhof Treptow wurde nicht erst 1896 (S. 37), sondern schon 1875 eröffnet, der auf S. 26 befindliche Gleisplan stammt nicht aus dem Jahre 1888, sondern zeigt den Stand von 1896 und die Haltestelle Steglitz der Berlin-Potsdamer Eisenbahn wurde nicht erst 1869 (S. 46), sondern schon 1864 eröffnet, nachdem schon vom Jahre 1839 ab eine Haltestelle Steglitz vorübergehend bestanden hatte. Von Seite 100 ab sinkt die Stimmung Piersons auf den Nullpunkt, denn nun wird offenbar, daß die Tage des Dampfbetriebes gezählt sind. Die Elektrifizierung der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahn wird eingeleitet. Ich fasse zusammen: das lesenswerte Piersonsche Lok-Buch interessiert und begeistert nicht nur den Eisenbahnfreund, sondern verwandelt auch bisher abseitsstehende Mitbürger in verspätete Dampfbahnromantiker. Ein willkommener Beitrag zur Berliner Verkehrsgeschichte. Hans Schiller Klaus Katzur: „Berlins Straßennamen". Berlinische Reminiszenzen Band 23. Haude & S' nersche Verlagsbuchhandlung Berlin. 156 Seiten, Pappband 9,80 DM. Die Ergänzung des Namens durch persönliche Daten des Namensgebers wird von der Senatsverwaltung schon seit geraumer Zeit praktiziert und sicherlich auch weiterhin beibehalten. In dem vorliegenden Band wird nun eine übersichtliche und umfassende Deutung von etwa 2400 in Frage kommenden Namen aus beiden Teilen Berlins vorgelegt. Die meisten dieser Personen-Straßennamen stammen aus der Zeit nach 1813. Zuvor waren es fast nur lokale und richtungsanzeigende Bezeichnungen gewesen. Die Ehrung von Persönlichkeiten auf diese Art und Weise hat sich bis in unsere Zeit erhalten, ja sogar wesentlich erweitert. Wie kaum zu vermeiden, zeigt der Streifzug durch die alphabetisch geordneten Namenskolonnen einige Ungenauigkeiten, die zweifellos in einer späteren Auflage berichtigt werden dürften. Es mag dies auf die Tatsache zurückzuführen sein, daß sich, infolge Aktenverlustes, die eine oder andere Quelle als nicht zweifelsfrei erweist. Nun erhebt dieser Band auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, wie es ausdrücklich im Vorwort heißt, und er kann es auch nicht. Trotzdem ist dieses Verzeichnis zu begrüßen, denn es ist nicht nur als Nachschlagewerk für den Berlin Durchforschenden interessant und notwendig, sondern es zeichnet auch ein Abbild unserer Stadt und seiner Bewohner. Die Einleitung informiert kurz über die üblichen Bräuche und Grundsätze, nach denen die Namensgebung vollzogen wurde. Klaus P. Mader 244 Werner Mittelbach: Märkische Märchen, wie sie in der Umgebung Berlins erzählt wurden. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH., Berlin 1968. 111 Seiten und 8 Federzeichnungen. DM 9,80 (Berlinische Reminiszenzen, Bd. 20). Der Verfasser hat hier altes Märchengut zusammengestellt, wie es seit dem frühen 19. Jahrhundert von verschiedenen Sammlern aufgezeichnet wurde und teilweise nur noch fragmentarisch erhalten ist. Hauptsächlich sind es Havelmärchen, die um Potsdam herum entstanden sind. Im Mittelpunkt steht der Gewittersturmgott und wandernde Müller aus Potsdam, Pumpan und sein Geschlecht. Pumpan ist eine Art Till Eulenspiegel, der von Spaßen lebt und seine reichere Umwelt gern betrügt. Von Pumpans Urgroßvater erzählt ein Märchen, daß er nachts an den Glienicker Berg ging und drei Rabenfedern in die Luft warf. Bei dem darauf losbrechenden Sturm brauste der Griebnitzsee so hoch, daß seine Wellen zwischen dem Babelsberge und dem Glienicker Werder durchbrachen und in die Havel stürzten. So sei der Durchbruch vom Griebnitzsee in die Havel entstanden. Neben den „Wichtelmännchen im Babelsberg" werden dem Leser die „Wunsch-Else", eine Tochter einer Fischersfrau aus Caputh, der „Nix vom Schwielowsee" wie die „Waldfrau am Schwielow" vorgeführt. Dazu kommen der „Graul" als Nebelgeist und der „Seekönig von der Havel bei Sakrow", um nur einige zu nennen. Für die Wiederbelebung dieses heimatlichen, in so ansprechender Form dargebotenen Märchenstoffes gebührt dem Verfasser Dank. Die acht Federzeichnungen stammen von dem jungen Berliner Künstler Hans-Joachim Zeidler. Eine Karte zeigt das Gebiet, in dem die Märchen spielen. / . Lachmann „Aus dem märkischen Sagenschatz". Eine Auswahl von Sagen und sagenhaften Geschichten. Neubearbeitete 2. Ausgabe von Wilhelm Tessendorff (t). Herausgegeben von Karl Malbranc. Alfred Paetz Verlag, Berlin 1969. 86 Seiten mit 15 Zeichnungen und eine mehrfarbige Klappkarte, broschiert 4,80 DM. Das vorliegende Bändchen, herausgegeben von einem ausgesprochenen Schulbuchverlag und vom Hauptschulamt als Unterrichtsmittel freigegeben und befürwortet, unterscheidet sich in Aufmachung, Preis und Inhalt wesentlich von den in letzter Zeit erschienenen Ausgaben anderer Verlage. Der Preis und damit auch die Ausstattung passen sich dem Geldbeutel der jüngeren Käuferschicht an. Der Inhalt, aufgeteilt in zwölf Hauptabschnitte - die Aufteilung erfolgte hier nach subjektiven Gesichtspunkten - umfaßt nicht nur Sagen aus der unmittelbaren Umgegend, sondern auch solche aus dem Ostoderland, dem Fläming und der Niederlausitz. Natürlich sind Rückgriffe auf bewährte Ausgaben wie die von Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz gemacht worden. Die eingestreuten Zeichnungen und Vignetten sowie die Klappkarte am Ende des Buches entsprechen ganz den schulischen Bedürfnissen und sind teilweise von einer sehr schlichten Naivität. Auch die Erläuterungen sind auf schulische Anforderungen abgestimmt. Ein Buch also, das auf Grund dieser Tatsachen sein Publikum in den Schulen finden muß und auch finden wird. Klaus P, Mader Brunhilde Dähn, Berlin Hausvogteiplatz. 249 Seiten. Göttingen 1968. Einen wertvollen Beitrag zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Hauptstadt bietet B. Dähns Buch über den Hausvogteiplatz. Er ist seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Zentrum der Massenherstellung praktischer, billiger Fertigkleidung, mit der sich Berlin die zweitgrößte seiner Industrien und weltweite Handelsbeziehungen schuf. Erst mit der „Arisierung" der überwiegend von jüdischen Familien getragenen großen Firmen (Manheimer, Gerson, Israel u. a.) kamen nach 1933 Risse in das feste Gefüge. Details mannigfaltiger Natur, Exzerpte aus der einschlägigen Belletristik und seltene Bilder machen das Buch sehr farbig. Zwei Kapitel sind der sozialen Frage gewidmet - diese kardinalen Probleme der Zeit allerdings hätte die Verfasserin viel kräftiger akzentuieren sollen. G. Kutzsch „Zeitvertreib. Zehn Kapitel Berliner Kulturgeschichte" von Walter Stengel. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1969. 112 Seiten mit 79 Abbildungen. Ganzleinen DM 32,-. Dieses Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes ein kultureller Zeitvertreib, äußerst amüsant geschrieben und von einer unglaublichen Fülle an Informationen. Versteht man sonst unter einem populärwissenschaftlichen Werk die anschaulich vereinfachte Wiedergabe eines schwierigen Themas, so wird hier mit größter Genauigkeit betrachtet, wie, wo und womit sich der Berliner schlechthin die Zeit vertrieb und was populär war. So liest man z. B. in den einzelnen Kapiteln von den Maskeraden bei Hofe, der Hauskatze Lessings, die das Nathan-Manuskript beschmutzte, von Schleiermachers Schachpartie auf der Landpfarrei, Fontanes Ballspielereien 245 während seiner Arbeitspausen, die dann im „Stechlin" auch eine der weiblichen Hauptpersonen ausübt. Dem Kartenspiel, dem sich auch Goethe nicht verschließen konnte, dem Gartenschmuck und der Wachsfigurenerotik sind weitere Kapitel gewidmet, ebenso wie sich ein Kapitel mit Tierliebhabereien befaßt. Letzterem werden vor allem Ornithologen große Aufmerksamkeit schenken, berichtet es u. a. doch von den an Spießen gebratenen Leipziger Lerchen, einer Delikatesse, auf die auch Friedrich der Große im Feld nicht verzichten wollte. Der Autor Walter Stengel war von 1925 bis 1953 Direktor des Märkischen Museums Berlin. Seine handschriftlichen Auszüge aus preußischen Archivalien stellte er noch selbst mit Akribie für dieses Buch zusammen. Die Illustrationen, gut reproduziert und sich dem typografisch großzügig gestalteten Textteil einordnend, stammen ausschließlich von Objekten der Westberliner Museen. Somit ist die Möglichkeit gegeben, die Originale bei nächster Gelegenheit in natura zu betrachten. Ein Plus für das Buch und seinen Verlag, genau wie das umfangreiche Literaturverzeichnis, das den Leser in die Lage versetzt, seine Studien zu vertiefen. Klaus P. Mader Walter Krumholz: Berlin-ABC unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Oskar Kruss, Richard Höpfner u. a. Herausgegeben im Auftrage des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin. Berlin 1968. 798 Seiten. Von den meisten offiziösen Nachschlagewerken ist man froh, wenn man sie an einem sicheren Ort in einer öffentlichen Bibliothek weiß, wo man sie bei Bedarf einsehen kann. Zu den wenigen Werken, die man nach Konzeption, Inhalt und Ausstattung gern selbst sein eigen nennen möchte, gehört das jetzt in der zweiten Auflage vorliegende Berlin-ABC. Es unterrichtet, gestützt auf sehr gründliche Literaturstudien, in Stichworten über alle Fragen, die in Berlin von öffentlichem Belang sind. Dabei wurde auch das Wissenswerte aus Ost-Berlin miteinbezogen, obwohl das „Statistische Jahrbuch der Hauptstadt der DDR" nach 1963 nicht mehr erschienen ist und Presseverlautbarungen häufig widersprüchlich sind. Wegen der unterschiedlichen Erhebungsmethoden sind die Daten aus dem Westen und aus dem Osten der Stadt nur bedingt vergleichbar. Walter Krumholz konnte sich auf eine Reihe gut informierter Mitarbeiter stützen, darunter auf das Vorstandsmitglied unseres Vereins Kurt Pomplun. Da der 31. 12. 1966 als Redaktionsschluß vorgesehen war, konnten Angaben aus dem Jahre 1967 nur im beschränktem Umfang berücksichtigt werden. Insofern sucht man vergeblich nach neueren Abkürzungen und Bezeichnungen. Merkwürdigerweise ist im Personenverzeichnis Propst Heinrich Gräber nicht aufgeführt, nach dem in beiden Teilen der Stadt je ein Gebäude der evangelischen Kirchenarbeit benannt worden war. Wer mehr über den Verein für die Geschichte Berlins und sein Jahrbuch „Der Bär von Berlin" erfahren will, schlage an den entsprechenden Stellen nach. Weitere Stichproben erwiesen die weitgehende Vollständigkeit und die sachliche Genauigkeit des Berlin-ABCs, etwa zum Stichwort Institut für Gärungsgewerbe (inzwischen allerdings Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie). Register und Verweisungen bei den einzelnen Begriffen machen das Arbeiten, ja Lesen des Buches leicht. In seiner gediegenen Ausstattung wird es auch so lange benutzbar bleiben, bis eine dritte Auflage nötig geworden ist. Das Berlin-ABC sollte weiteste Verbreitung finden. H. G. Schultze-Berndt Im II. Vierteljahr haben sich folgende Damen, Herren und Institutionen zur Aufnahme gemeldet: Dr. Klaus-Peter Schulz, Arzt und Schriftsteller, MdB 1 Berlin 19, Eichkampstr. 16 Tel. 302 69 43 (W. Mügel) Sabine Waringer, Bibliotheksangestellte 1 Berlin 42, Röblingstr. 33 (K. Grave) Ludwig Schmidt, Oberstudienrat 1 Berlin 10, Fritschestr. 73 Tel. 34 75 68 (E. Holzhausen) Dr. Fritz Heinz Witt, Verbandsdirektor a. D. 5 Köln-Ehrenfeld, Ehrenfeldgürtel 171 Tel. 51 11 73 (Vorsitzender) 246 Annemarie Mentzel, Verw.-Angestellte 1 Berlin 30, Winterfeldtstr. 59 Tel. 26 16 55 (Schriftführer) Willy Strach, Bankkaufmann i. R. 1 Berlin 19, Gotha-Allee 23 Tel. 304 80 36 (U. Brunsing) Fritz Max Tübke, Fabrikant 1 Berlin 19, Hessenallee 12 Tel. 304 42 26 (W. Mügel) Wilhelm Weick, Kunst- und Antiquitätenhändler 1 Berlin 30, Eisenaeher Str. 10 Tel. 24 75 00 (Schriftführer) Theodora von der Bank 1 Berlin 31, Mansfeider Str. 47a Tel. 86 33 88 (Schriftführer) Eva Tramme, Verw.-Angestellte 1 Berlin 62, Gotenstr. 81 Tel. 71 63 81 (I. Hemmers) Neu bei Haude & Spener Friedrich Zastrow, Verw.-Angestellter 1 Berlin 37, Deisterpfad 2 (K. Müller) Heinz Thieme, Vorarbeiter 1 Berlin 21, Gotzkowskystr. 31 (W. Mügel) Helene Danke, Lehrerin i. R. 1 Berlin 10, Bonhoefferufer 16 Tel. 301 17 69 (H. Hofmann) Franz Amrehn, Rechtsanwalt und Notar 1 Berlin 37, Berliner Str. 99 Tel. 76 23 14 (Schriftführer) Dr. Wiegand Hennicke, Bankdirektor 1 Berlin 37, Leo-Baeck-Str. 8 Tel. 80 21 69 (A. Hamecher) Heinz-Georg Klos Karl Neufert, Glasermeister 1 Berlin 41, Schnackenburgstr. 10 Tel. 83 87 57 (Vorsitzender) Von der Menagerie zum Tierparadies Feuersozietät Berlin, Vorstand 1 Berlin 30, Am Karlsbad 4-5 Tel. 13 03 11 (Schriftführer) 320 Seiten, 39 vierfarbige und 390 einfarbige Abbildungen, Leinen DM 29,80 Prof. Dr. Dr. h. c. Ferdinand Friedensburg, Bürgermeister a. D. 1 Berlin 33, Königin-Luise-Str. 5 Tel. 76 10 33 (Vorsitzender) Festschrift und Chronik zugleich, ist dieses Buch ein schönes Geschenk für die Freunde des Berliner Zoos und für alle Tierfreunde überhaupt. 125 Jahre Zoo Berlin Werner Sohns, Industrie-Kaufmann 1 Berlin 45, Unter den Eichen 53 Tel. 76 37 53 (H.-J. Mey) Eva-M. Henning, Dipl.-Kosmetikerin und Sekretärin 1 Berlin 41, Albrechtstr. 123 (A. Hamecher) Dr. Gerhard Leutke, Zahnarzt, Kammerpräsident a. D. 1 Berlin 45, Ostpreußendamm 70a Tel. 73 56 64 (Vorsitzender) Gemäldegalerie Berlin Kunstwerke aus den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Band 1. Herausgegeben von Professor Dr. Robert Oertel. 148 Seiten, davon 120 Seiten Bildtafeln mit 24 vierfarbigen und 101 einfarbigen Gemälde-Reproduktionen, Leinen DM 24,- Grete Paesler 1 Berlin 41, Cranachstr. 50 (R. Koepke) Tel. 85 77 81 Hellmut Kotschenreuther Di . Martin Sperlich, Direktor der Verw. Kleine Geschichte Berlins Staatl. Schlösser und Gärten 1 Berlin 19, Eichkampstr. 46 Tel. 302 60 41 (Dr. M. Kühn) 2. Auflage, 104 Seiten, 39 z. Tl. farbige Abbildungen, Pappband DM 9,80 Gertrud Schultze-Berndt, Hausfrau 1 Berlin 26, Schorfheidestr. 41 Tel. 49 67 40 (Schriftführer) HAUDE & SPENERSCHE Paul Oeser, Techniker 1 Berlin 37, Hocksteinweg 2a Tel. 76 23 14 (H.-J. Mey) Verlagsbuchhandlung GmbH. Gegründet 1614 Berlin 12 247 Martha Babula 1 Berlin 33, Caspar-Theyss-Str. 22 Tel. 887 44 90 (G. Warzecha) Ernst.Hackemesser, Journalist. i. R. 1 Berlin 37, Reiherbeize 8 Tel. 813 33 55 (Vorsitzender) Rosemarie Lohr, Musikpädagogin 1 Berlin 19, Insterburgallee 22d Tel. 304 35 13 (Dr. I. Hoffmann-Axthelm) , ,, ~ ... . r .. „ , . T Ingeborg Meyer, Facharztm für Dermatologie 1 Berlin 19, Insterburgallee 22d Tel. 304 98 73 (Dr. I. Hoffmann-Axthelm) Dr. Dr. Peter Rudolf Zellner, Facharzt für Chirurgie 67 Ludwigshafen-Oggersheim, T e l T s f (M ^ * (Vorsitzender) Anschriftenänderungen: Dieter Brozat 6078 Neu-Isenburg 2, A F o r s t h a u s Gravenbruch 26 Liselotte Gründahl 51 Aachen, Burtscheider Markt 24 Veranstaltungen im III. Vierteljahr 1969 1. Sonnabend, 5. Juli, 9.30 Uhr, Besichtigung der Goldenen Galerie, der EosanderKapelle und anderer in Restaurierung befindlicher Schloßräume unter der Leitung von Herrn Dr. Martin Sperlich. Treffen am Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten vor dem Schloß Charlottenburg. 2. Dienstag, 29. Juli, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Günter Wollschlaeger „Das Berliner Stadtschloß und seine Baumeister". Gäste sind willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein. 3. Im Monat August finden keine Vorträge und Besichtigungen statt. Die Bibliothek bleibt am 15., 22., 29. August und 5. September geschlossen. 4. Freitag bis Sonntag, vom 5. bis 7. September, Studienfahrt mit Reisebussen nach Lüneburg und zu den Heideklöstern. Besichtigung der kulturhistorischen Stätten von Lüneburg, der Klöster Lüne, Medingen und Wienhausen sowie des Bardowicker Domes. Leitung: Herr Dr. H. G. Schultze-Berndt. Den Mitgliedern geht die Einladung mit anhängender Antwortkarte demnächst zu. 5. Sonntag, 14. September, Feier des Vereins anläßlich des 200. Geburtstages von Alexander von Humboldt in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses, gemeinsam mit der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, gegr. 1828. Es werden sprechen: Herr Prof. Dr. K. Kettig über „Alexander von Humboldt im geistigen Leben Berlins" und Herr Prof. Dr. Dr. h. c. F. Friedensburg über „Alexander von Humboldt als Bergmann und Geologe". Im Obergeschoß des Charlottenburger Schlosses wird von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten eine Ausstellung „Alexander von Humboldt und Berlin" vorbereitet, die im Anschluß an die Gedenkfeier eröffnet werden soll. Es ergehen besondere Einladungen. Freitag, 18. Juli, 1. August und 26. September zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. SchrifUeitung: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin"30 248 MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 65. Jahrgang. Nr. 18 1. Oktober 1969 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 39 24 90 Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 46 4411 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D. W. Mügel,! Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee28,Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 Theodor Fontane geb. 30. 12. 1819 zu Neuruppin,- gest. 20. 9. 1898 zu Berlin (Kreidezeichnung von Fritz Werner, 1890) Der Dichter erwarb 1885 die Mitgliedschaft des Vereins für die Geschichte Berlins, 1890 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. ff. y»,-. Q , „ U ... X"''*""' / rvC^ ^ - ?• OL • » tfätJve Tfcttv* , - ^ , v~ • -Ä**'. ^ - ^ - 7 &**<> /~><~ — < - / * -/7—^—• • .-^^ —Tf — / - 4).^ Ä - . /, 250 •/£*;» Zur Feier des 25 jährigen Bestehens des Vereins für die Geschichte Berlins am 28. Januar 1890 (Prolog) Zurück heut, in Erinnerung und Freude, Blickt unser Aug' auf 25 Jahre, Nicht des Bestehn's bloß, nein, auch fleiß'ger Arbeit, Und seiner Arbeit, seines Fleißes, heißt es, Darf man sich rühmen. Lessing gab den Freibrief. Und fleißig waren wir. Auf manchem Umschlag, Den Siegfried Mittler, jetzund Toeche-Mittler, Hinaussandt in die Welt, sind sie verzeichnet, Die Thaten uns'rer Arbeit. Auch die Namen Der tapfern Kämpen. Einige nur nenn' ich: v. Ledebur, v. Köhne, Brecht und Hoepfner, Professor Holtze, Dr. juris Holtze, (Wetteifernd um den Kranz stehn Sohn und Vater) Auch unser Meyer, Brose, Stadtrath Friedel, Und ganz in Front, abprotzend, brescheschießend, Als war er ein Battriechef der Avantgard' Und jeder Schuß ein Treffer: L o u i s S c h n e i d e r . Das sind die Namen. Unsre Werkstatt aber Lag am Gensdarmenmarkt, und freudig ruf ich's: Gensdarmenmarkt, in deinem Prätzelthurme Der Prätzeln viele haben wir gebacken*. Ja viele! Doch wir wenden jetzt den Blick (Ein bloßes Rückschaun lähmt die Kraft zum Steigen) Auch auf die Zukunft, auf die Zeit, die kommt, Auf daß die zweiten fünfundzwanzig Jahre Kein Stillstand sind, kein Rückschlag, nein, Gedeihn, Ein wachsendes Gedeihn in Lust und Liebe. Und diese Lust und Liebe neu zu wecken, Begehrt dies Fest. Schenkt ihm ein freudig Auge, Freut euch an seiner Bilder bunter Reihe Von Burggraf Friedrich bis auf Kaiser Wilhelm Und wenn der Anblick Alt- und Neu-Berlins Euch fühlen läßt: „Das all ist uns gemeinsam", So werde dies belebende Gefühl Zum Lebensquell auch unserem Vereine: „Verein für die Geschichte von Berlin". Th. Fontane * In der Turmstube des Deutschen Domes auf dem Gendarmenmarkt, die von 1876 bis 1943 als Vereinslokal und Bibliothek diente, stand bis zur Zerstörung bei den internen Vereinsabenden außer der Glocke des Vorsitzenden stets ein Korb mit Brezeln auf dem Tisch. 251 Theodor Fontane in „Kreuzberg" Zum 30. Dezember 1969 Von Dr. Hans Pappenheim Persönlichkeit, Werk und Lebensleistung Theodor Fontanes sind in den letzten 50 Jahren als so umfassend erkannt worden, daß die Würdigung des Romanciers Berlins zu seinem 150. Geburtstag an dieser Stelle nur unter Begrenzung auf ein Teilgebiet Berlins geschehen soll, der Luisenstadt und der Tempelhofer Vorstadt, aus denen am 1. Oktober 1920 der heutige Bezirk Kreuzberg wurde. Dieser Bereich stand schon dem jungen Dichter durch verschiedene Wohnungen, wichtige Ereignisse, Freundschaften und Arbeitsbeziehungen nahe, so daß dieser Stadtteil für sein Leben und Wirken besondere Bedeutung bekommen hat. Schon seit den 1820er Jahren wohnten hier Familienmitglieder: die Adreßbücher melden für das Jahr 1820 den Großvater von Theodor Fontane, den Kabinets-Secretair P. Fontan, Friedrichs«. 230,1824 in Pension, ebenso 1826, aber nach der Kleinen Hamburger Str. 13 in ein eigenes Haus verzogen. Theodor Fontane legte am 19. Dezember 1839 bei dem Kreisphysikus Dr. Natorp, Alte Jakobstr. 109 (in der Nähe der Kommandantenstraße) die Apothekerprüfung ab. Als er am 30. Dezember 1840 von dieser Berufstätigkeit aus Burg bei Magdeburg nach Berlin zurückkehrte, nahm ihn sein alter Freund Fritz Hesselbacb in seine Wohnung in derselben Alten Jakobstraße auf; hier erkrankte Fontane und lag sieben Wochen in dieser „Chambre garnie" an Typhus darnieder, und dann erst konnte er im Frühjahr 1841 seine neue Stellung in Leipzig antreten 1 . Um einem Irrtum vorzubeugen: Am 1. April 1844 trat Fontane als Einjährig-Freiwilliger ins 2. Bd. des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments ein, doch lag dies damals noch in der Neuen Friedrichstraße, also am Alexanderplatz 2 ; der Neubau für die „Franzer" entstand erst ab 1865 in der Pionierstraße, jetzt Blücherstraße. „In Bethanien" Anfang März 1848 hatte Pastor Ferdinand Schultz (1811-1875), ein Freund der Eltern Fontanes, diesem angeboten, für auskömmliches Gehalt, freie Wohnung und Verpflegung im Diakonissenhaus Bethanien die pharmazeutisch-wissenschaftliche Ausbildung von zwei Krankenschwestern zu übernehmen. Zu diesem christlichen Krankenhause, einer Gründung Friedrich Wilhelms IV., war am 23. Juli 1843 der Grundstein gelegt, der Bau nach den Entwürfen des Baurats Theodor Stein (1802-1876) ausgeführt und am 10. Oktober 1847 eröffnet worden; er stand damals noch frei und wie ein italienischer Palazzo auf dem zur Bebauung vorbereiteten Köpenicker Feld zwischen dem Luisenstädtischen Kanal und dem Mariannenplatz. Für 1^4 Jahr kam Fontane hier - seit Juni 1848 - seiner Aufgabe nach, die ihm auch die Möglichkeit für ruhiges literarisches Schaffen gab. In seinem autobiographischen Werk „Von Zwanzig bis Dreißig" 3 hat er diese Zeit in den drei Kapiteln „Bethanien und seine Leute", „Zwei Diakonissen" und „Wie mir die bethanischen Tage vergingen" recht unterhaltsam be1 2 3 Hermann Fricke, Theodor Fontane, Chronik seines Lebens, Berlin 1960 S. 14, 21, 34 f, 40, 42,51. Hans-Heinrich Reuter, Th. F., Grundzüge und Materialien einer historischen Biographie, Leipzig 1969, S. 225. Th. F., Sämtl. Werke, hrsg. von Kurt Schreinert u. Jutta Neuendorff-Fürstenau, München, XV S. 9, 66, 174, 361-375. 252 schrieben. „Ich war nun also in Bethanien eingerückt und hatte in einem der unmittelbar daneben gelegenen kleineren Häuser eine Wohnung bezogen. In eben diesem Hause, dem Ärztehause, waren drei Doktoren einquartiert..." (Geheimrat Dr. Bartels, Dr. Wald, Dr. Wilms). Fontanes Tätigkeit ist auch in der Geschichte dieses Hauses 4 , und zwar ohne Bezugnahme auf seinen späteren Werdegang vermerkt: „. . ..Die Bereitung der Arzeneien sollte durch eine dazu ausgebildete Diakonisse geschehen." Als solche fungierte anfangs Schwester Pauline Jakobi seit 1847 in Bethanien, die aber ein Jahr später krankheitshalber ausschied. Da eine ausgebildete Apothekenschwester nun fehlte, „so wurde für die Bereitung der Arzeneien einstweilen dem Apotheker Fontane übergeben, welcher hierfür eine monatliche Remuneration von 60 Mark erhielt. Gleichzeitig unterwies er die Schwester Emmi Dankwerts in seiner Kunst, und es gelang ihm, sie soweit zu bringen, daß sie am 22. November 1849 die vorgeschriebene Prüfung zur Zufriedenheit bestand. Schwester Emmi übernahm nun die Apotheke, und sie ist seitdem ausschließlich durch Schwestern besorgt worden." Wir nennen auch die zweite, durch den jungen Apotheker erfolgreich zum Examen geführte Diakonisse: Aurelie von Platen. - Als sein Auftrag am 30. 9. 1849 abgelaufen war, gab er den Apothekerberuf offiziell auf, zog im Oktober 1949 nach der Luisenstraße 12 im Norden, heiratete am 16. Oktober 1850 und widmete sich nun ganz dem Journalismus und der Literatur, vertrat aber seit dem 4. April 1851 fünf Wochen lang die Apothekenschwester in Bethanien. Im Sommer und Herbst 1853 war er hier zur Überwachung seiner Gesundheit (Tbc-Verdacht). Nach eigenem Zeugnis hat er in seiner bewegten Jugend kaum wieder so schöne, friedvolle und poetische Zeiten gehabt wie in den VA Jahren „in Bethanien". Die Apotheke - ein „hohes Eckzimmer", ist bis heute unverändert erhalten (s. Abb. 1) und mit einem Porträtfoto Fontanes geschmückt. Die Apotheke in Bethanien mit dem Rezeptiertisch. Federzeichnung von Hans Hartmann 4 Gustav Schulze, Bethanien, Die ersten fünfzig Jahre und der gegenwärtige Stand des Diakonissenhauses Bethanien zu Berlin, 1897 S. 124; vgl. audi: Julius Rieger, Fontane in Bethanien, in: Berliner Sonntagsblatt Die Kirche, 1. Dezember 1968. 253 Mit Dr. Friedrich Robert Wilms (1824-1880), dem späteren Chefarzt von Bethanien, blieb Fontane seit seinem Lehr-Aufenthalt in diesem Hause befreundet. Im Januar 1859 verweilte Fontanes Mutter hier zum Besuch des Predigers Schultz. Fontane schrieb darüber an seine Gattin am 9. 1.: „Gestern früh fuhr ich nach Bethanien. Ich fand Mutter ziemlich wohl . . ." Mit dem Geistlichen stand Fontane noch 1868 in Beziehung. - Als Wilms am 24. September 1880 verstorben war, schrieb Fontane am 2. 11. an seinen Verleger Wilhelm Hertr': „ ... Über Wilms Tod sprechen wir mal mündlich. Ich hob ihn von Jugend an sehr hoch gestellt. Er hatte die Beschränktheit der Größe und war nur scharf mit dem Messer in der Hand. Natürlich auch ein Apothekerssohn. Alles Bedeutende wurzelt zuletzt in Radix Ipecacuanhoe usw. ( = brasilianische Heilwurzel). Uns wenigstens kleidet dieser Glaube." (Auch W. Hertz war der Sohn eines Apothekers). Fontane hat Wilms als bedeutenden Chirurgen in „Effi Briest" erwähnt. Seine Büste steht noch heute auf dem Mariannenplatz vor dem Hauptportal von Bethanien (von Siemering)6. Im Kuglerschen Hause, Friedrichstraße 242 1851 wohnt „Schriftsteller Th. Fontane" Puttkamerstr. 6, ist 1852 „Louisenstr. 35" gemeldet, in denselben Jahren finden wir die Apotheker-Witwe Fontane, also seine Mutter, Köthener Str. 37a 7 . In diese Zeit fällt Fontanes Verkehr im Hause des Kunsthistorikers und Dichters Franz Kugler (1808-1858), ein künstlerischer Mittelpunkt der Hauptstadt, in dem Waagen, Eggers, Lübke, Burckhardt, Menzel, Drake, neben Storm, Heyse und Geibel auch der junge Fontane aus und ein gingen. Dieser lernte hier 1852 Theodor Storm und 1854 auch Eichendorff kennen. Prof. Kuglers Haus lag am Südende der Friedrichstraße (Nr. 242) nahe am Belle-Alliance-Platz, es wurde 1861 umgebaut und 1893 abgebrochen9. - Viel Freundesliebe erfuhr Fontane auch in der Familie des Geheimrats Karl Hermann Frhr. v. Wangenheim, Lindenstr. 48, dessen Töchter Ida und Elsy er 1853-55 unterrichtete 10 . Mit Fontane befreundet war auch der Maler, Dichter und Kunstschriftsteller Hugo von Blomberg (1820-1871), der, seit 1848 in Berlin, um 1850 dem „Tunnel über der Spree" beitrat und 1857 dessen Mitglieder in Porträtskizzen festhielt11. Ein schweres Erlebnis (vor 1867) in seiner Familie erschütterte Fontane noch auf lange: Hugo von Blomberg ging „gern mit seinen Kindern spazieren, am liebsten nach einem am Fuße des Kreuzbergs gelegenen Kaffeegarten, wo gute Spielplätze waren". Dabei sprang der 9jährige Sohn Hans beim Spiel in einen Stachelbeerstrauch und zog sich eine Augenverletzung zu, die trotz ärztlicher Hilfe nach zwei Tagen zum Tode führte 12 . 5 6 7 8 9 0 1 2 Th. F.'s Briefe (an die Familie) Erste Sammlung, l.Band, Berlin 1911, S. 34, 153, 2. Band S. 22 f. Hermann Müller-Bohn, Die Denkmäler Berlins in Wort und Bild, Berlin 1905, S. 97. Allg. Adreßbuch f. Berlin, hrsg. von J. W. Boicke, Berlin 1820 ff Allg. Wohnungsanzeiger f. Berlin auf d. Jahr 1824. Hermann Fricke, Th. F., Chronik seines Lebens, Berlin-Grunewald 1960, S. 32. Mi«, d. Vereins f. d. Gesch. Berlins, 25. Jg., 1908, S. 67. Hermann Fricke, Th. F.'s Berliner Freunde, Vortrag vom 24. Febr. 1940, Beibl. z. Ztschr. d. Vereins f. d. Gesch. Berlins Nr. 2, 1940, S. 5-7. Brandenburgische Jahrbüdier, Band 9, Jg. 1938, S. 31, 85 - Thieme-Becker, Allg. Lexikon d. bild. Künstler, Leipzig, Bd. 4 1910, S. 131. Th. F., Von Zwanzig bis Dreißig, Eingel. u. m. Anmerkungen hrsg. von Chr. Coler, Leipzig 1955, S. 196, 250-255, 317 f. 254 Tempelhof er Straße 51 Nachdem er am 6. April 1859 Potsdamer Str. 33 eine Sommerwohnung bezogen hatte, erfolgte am 29. September 1859 der Umzug nach Tempelhofer Str. 5P3 (später BelleAlliance-Straße, heute Mehringdamm 3/5), wo er bis 1863 wohnte und die Erstausgabe seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" schrieb. Das Haus wurde 1910 abgerissen. Der auf der anderen Straßenseite (seit 1853) „trutzig mit Zinnentürmen aufragenden früheren Kaserne des 1. Gardedragonerregiments ,Königin Victoria von Großbritannien und Irland' setzte er im ,Stechlin' durch eine der Hauptfiguren des Romans, den Rittmeister v. Stechlin, ein literarisches Denkmal" 14 (heute Finanzamt). Aus jenen Jahren zwei Erinnerungen Fontanes an die Bernburger Straße, die damals erst teilbebaut war, und die beide die „Neue Preußische Kreuzzeitung" betreffen. Hier wohnte ihr Mitredakteur, Fontanes Freund Georg Ludwig Hesekiel (1819-1874), Dichter und Romancier, der hier zunächst mit einer ßo//eähnlichen Milchhandlung Schiffbruch erlitten hatte. Schräg gegenüber der damals vor der Vollendung stehenden St. Lukaskirche wohnte der Chefredakteur der Kreuz-Zeitung. Ihm stattete Fontane einen Bewerbungsbesuch ab, der seine Mitarbeit ab 1. Juni 1860 für die folgenden 10 Jahre sicherte15. Hirsdielstraße 14 Im April 1863 zog Fontane nach Alte Jakobstr. 171 und am 1. Oktober 1863 nach Hirschelstr. 14 le , später Königgrätzer Str. 25, das heutige Grundstück Stresemannstraße 109, Ecke Dessauer Straße. Am 11. Februar 1896 schreibt Fontane an den Seminardirektor Ernst Gründler in Barby über die Anfänge seines Romans „Vor dem Sturm", die in jener Wohnung während des preußisch-österreichischen Feldzuges gegen Dänemark entstanden: „Das Buch ist schon aus dem Winter 1863/1864, und ich schrieb abends und nachts die ersten Kapitel - die, glaub' ich, auch die besten geblieben sind — während die österreichischen Brigaden unter meinem Fenster vorüberfuhren; und wenn zuletzt die Geschütze kamen, zitterte das ganze Haus, und ich lief ans Fenster und sah auf das wunderbare Bild: die Lowries (= niedrige, oben offene Transportwagen, d. H.), die Kanonen, die Leute hingestreckt auf die Lafetten, und alles von einem trüben Gaslicht überflutet. Ich wohnte nämlich damals in der Hirschelstraße (jetzt Königgrätzer) an der Ecke der Dessauer Straße. Die Stadtmauer (von den Jungens schon überall durchlöchert) stand noch, und unmittelbar dahinter liefen die Stadtbahngeleise, die den Verkehr zwischen den Bahnhöfen vermittelten (gemeint ist die alte Verbindungsbahn, die 1851 eröffnet und 1871 durch die noch bestehende Ringbahn ersetzt wurde)17. Dann lag das Buch zwölf Jahre still, während welcher Zeit ich die Kriege von 1864, 1866 und 1870 beschrieb, und erst im Herbst 1876 nahm ich die Arbeit wieder auf. Es war eine sehr Im Brief vom 29. März 1860 an Julius Springer gibt Th. F. diese Adresse an (Briefe, 2. Sammlung, 1. Bd., 2. Aufl., Berlin 1910). Adolf Heilborn, Die Reise nadi Berlin, Einleitung und Ergänzung von Kurt Pomplun, Berlin 1966, S. 59. Th. F., Von Zwanzig bis Dreißig, a. a. O., S. 38 f, 257. Im Brief an Herrn v. Pfuhl vom 18. Januar 1864 gibt Th. F. diese Ansdirift an (Briefe 2. Sammlung, Hrsg. von Otto Pniower und Paul Schlentber, 1. Band, 2. Aufl., 1910, S. 239). Th. F., Briefe. 2. Band, 1910, S. 370 ff. 255 schwere Zeit für mich. Das Gedicht, das Lewin schreibt: ,Tröste dich, die Stunden eilen', gibt meine Stimmung von damals wieder. Alles besserte sich indessen wirklich." Unter Emilie Fontanes Hand - ein Brief an den Gatten ist „Berlin d 20t Mai 68, 25 Königgrätzerstraße" datiert - „entwickelte sich in der Hirschelstraße 14 . . . ein recht behagliches Dichterheim" ( Fricke) l n und Fontane schreibt beim Auszug: „Es waren neun glückliche Jahre, die wir in dieser "Wohnung zugebracht haben . .. Im übrigen wünschen wir aufrichtigst, daß die nächsten neun Jahre nicht unglücklicher verlaufen mögen als die Epoche von 1863-1872. Es waren, wie die besten, so auch die interessantesten Jahre meines Lebens." Auch Familienmitglieder zogen damals in diese Wohngegend: 1864 übersiedelten sein Schwager Hermann Sommerfeldt und Jenny, geb. Fontane ( t 1904 als Witwe in Berlin), in die von ihnen erworbene Luisenstädtische Apotheke. - In der Nähe wohnte auch Fontanes Tunnelgenosse, der Kunsthistoriker, später Prof. an der Kunstakademie, Friedrich Eggers (1819-1872), und zwar, wie Heinrich Seidel berichtet, „in einem Hinterhause der Hirschel-, später Königgrätzer Straße, 3 Treppen hoch" 19 . Das epische Alterswerk, die Berliner Romane, entstanden in der letzten FontaneWohnung, Potsdamer Str. 134c111 (seit 1938: Potsdamer Str. 15). Der Schauplatz der „Poggenpuhls" (1890-1895 entworfen) lag sogar in der nahen Großgörschenstraße, umgeben von Straßen, die nach Heerführern der Freiheitskriege benannt sind, aber die Gesprächsthemen der „Poggenpuhls" gehen ins alte Brandenburg zurück, und der Theaterbesuch von Oheim und Neffe gilt Ernst von Wildenbruchs „Quitzows", die am 9. Februar 1888 uraufgeführt und von Fontane besprochen worden waren 20 . Die Gegensätzlichkeit von Kgl. Schauspielhaus und Luisenstadt geht am besten aus dem Hinweise Schreinerts21 hervor, der nachwies, daß „zu gleicher Zeit im AmericanTheater in der Dresdner Straße nahe Moritzplatz eine Parodie „Quitzows von Ernst Zahmenbruch, Musik von Schulzenstein, verfaßt von Martin Böhm 1844-1912" gespielt wurde! Bei Bismarck im Habsburger Hof Zu einem besonderen Tage kehrte der Dichter einmal in die alte Wohngegend zurück: Am 24. Februar 1891 wurde Fontane im Hotel „Habsburger Hof" Bismarck vorgestellt 22 . Dieses lag gegenüber dem Anhalter Bahnhof am Askanischen Platz an der Ecke der Bernburger und Königgrätzer Straße (1944/45 kriegszerstört) 23 . Hier stand, wie Herbert Roch24 (1962) in dem Kapitel „Bismarck, Borsig, Bebel" in einer politischen Analyse des Verhältnisses Fontanes zu Bismarck sagt, „dem entlassenen Deichhauptmann des Reiches anläßlich eines Empfanges gegenüber, einem grollenden, auf seinen Stock gestützten Riesen, der die Dämme errichtet hatte, die das Ganze zusammenhielten . . . . . . . der Fürst hatte sich seiner erinnert, natürlich: der Wanderer durch die Mark Brandenburg . . . Das schönste, bleibende Bismarck-Gedicht sollte er erst nach 18 19 20 2X 22 29 24 Hermann Fricke, Emilie Fontane, Rathenow 1937, S. 73, 85; Brief Nr. 121. Schreinert, a. a. O. Bd. 15, S. 180. Th. F., Plaudereien über Theater. Besorgt von seinen Söhnen Theodor u. Friedrich, neue verm. Ausgabe von: Causerien über Theater, Berlin 1926 Bd. 1 S. 348-352. Th. F., Nympenburger Ausgabe 1969, Bd. 12, S. 424. Fricke, Chronik a. a. O., S. 80. Abb. in: Victor Laverrenz, Grüße aus Berlin u. Umg,, Berlin-Schöneberg 1898, S. 137. Herbert Roch, Fontane Berlin und das 19. Jahrhundert, Berlin-Schöneberg 1962, S. 269 f. 256 dem Tode des Fürsten schreiben." - Diese einzige Begegnung erfolgte 1891. In den Jahren 1889-1894 arbeitete Fontane an „Effi Briest", Schauplatz: zum Teil Königgrätzer Straße, und hier ist auch einmal das Hotel Habsburger Hof erwähnt (s. u.). „Kreuzberg" als Schauplatz im epischen Werk Fontanes In dieses Gerüst von Einzeldaten unterschiedlicher Bedeutung sei nun die Frage eingefügt, wie die jahrzehntelange Anwohnerschaft Fontanes im jetzigen „Kreuzberg" sich in den Altersromanen ausgewirkt hat. Reuter25 stellte in der jüngsten FontaneBiographie (1969) dazu grundlegend fest: „Die Exaktheit und Detailtreue von Fontanes Alterswerk zeugen Seite für Seite davon, wie er die Ergebnisse der Beobachtungen (auf täglichen Spaziergängen) zu nutzen wußte. Unermüdlich prüfte er die Richtigkeit jedes Satzes an der Wirklichkeit.. . Daß sich die Angaben in Fontanes Berliner Romanen mit Stadtplan und Adreßbuch . .. nachkontrollieren lassen, ist nur ein Zug unter vielen. . . . Wie waren die Wohnungen eingerichtet, die Häuser gebaut? Wie verliefen die Straßen, wie war die Umgebung? - diese und ähnliche Fragen legte sich der Erzähler immer von neuem vor . . ." Von 1865 bis 1880 arbeitete Fontane - immer wieder abbrechend - an dem Entwurf eines Berliner Gesellschaftsromanes, der im ganzen unausgeführt blieb und von dem nur Teile für andere epische Werke verwendet wurden. Er sollte den Titel „Allerlei Glück"26 bekommen, eine Reihe von skurrilen Gestalten mit sehr verschiedenen Zielen zeichnen und in der Dessauer Straße spielen. Das Vorbild zu den Hauptfiguren (= Heinrich Brose), der ehemalige Apotheker Wilhelm Rose, hatte Dessauer Str. 29 seine Wohnung gehabt, sein berühmter Bruder, der Mineraloge, Nr. 27. Wie für andere epische Arbeiten hatte Fontane auch für den Brose-Roman Situationsskizzen entworfen, u. a. für Broses späteres Wohnhaus und für die Wohnung einer weiteren hier geplanten Gestalt, des erdachten „Registrators Pappenheim" und seiner Tochter Bertha, die nach „Höherem" strebt und eine Schauspielschule besucht27. „Das Fragment", schreibt Herbert Roch28 (1962) zusammenfassend, „enthält eine Fülle von liebenswürdigen Bosheiten auf die Gesellschaft der Epoche, die sich die gute dünkte und doch nur beschränkt war." Daß Fontane 1872 in dieser Wohngegend ursprünglich bleiben wollte, zeigt ein Brief vom 30. März an Mathilde von Rohr19: „Meine Frau ist jetzt vor allem in Wohnungsnöthen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon schrieb, daß unser Haus verkauft ist, daß die Miethen mindestens verdoppelt werden und daß wir also alle ziehen. Eine vorzügliche Wohnung in der Dessauer 5 6 Reuter, a.a.O. S.201. in: Julius Petersen, Fontanes erster Berliner Gesellschaftsroman, Sitzungsberichte d. Preuss_ Akademie d. Wiss., Philisoph.-Historische Klasse, Jg. 1929, S. 480-562. 7 Hans E. Pappenheim, Karten und Vermessungswesen im Sdiaffen Th. F.'s in: Jahrbudi f. brdbg, Landesgeschichte, 4. Band 1953 S. 31. ders.: Geographie als Rüstzeug Th. F.'s, ebenda 5. Bd. 1954 S. 95. ders.: Karl Wilhelm Kummer, ein Globenmadier und Relief-Spezialist des alten Berlin (t 1855) (m. 1 Abb.). ders.: Globen und Kartenkunde im Werke Th. F.'s in: Der Globusfreund, Nr. 12 Wien 1963 S. 44-50. R Roch, a. a. O. S. 220-227 ß. } Th. F., Unbekannte Briefe, Hrsg. von Kurt Schreinert, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Aus der zweibändigen Ausgabe der unbekannten Fontane-Korrespondenz des PropyläenVerlages Berlin 1964, S. 39. 257 Str. hat uns Tante Merckel vorgestern weggeschnappt. Ich persönlich theile übrigens nicht die allgemeinen Ängste; wir müssen natürlich 3 Treppen hoch ziehen und 100 Thlr. mehr bezahlen; c'est tout. Dafür kriegt man aber 'was." Dies schrieb Fontane nur wenige Gehminuten vom Hafenplatz entfernt, wohin er 1886 einen der Berliner Schauplätze von „C&ile" verlegte. „Cecile" am Hafenplatz Bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg (und bis zur Trockenlegung des Hafens des Landwehrkanals [1960 ff.]) bezeichnete der Straßenname „Am Hafenplatz" noch den Kai eines wirklichen Hafenbeckens, und in diesem kurzen Straßenzuge - einer Reihe von hochherrschaftlichen Häusern, halb Mietshaus, halb Villa - am eigentümlichsten das „Maurische Haus" Nr. 4, Ecke Dessauer Str. 21. Im Nachbargebäude ließ Fontane „Cecile" spielen, und zwar Ende der 1870er Jahre, als zwischen der Köthener und der Dessauer Straße noch nicht die großen Weinkellereien lagen, sondern die Hintergärten großbürgerlicher Häuser ineinandermündend ein grünes Inselkarree bildeten. Hier heißt es über Oberst von St. Arnaud und seine Gattin Cecile: „Sie werden in dem Diebitschen Hause wohnen. Etwas Alhambra, das paßt ganz zu meiner schönen Cecile. Wahrhaftig, sie hat die Mandelaugen und den tief melancholischen Niederschlag irgendeiner Zoe oder Zuleika. Nur der Oberst, bei allem Respekt vor ihm, stammt nicht von den Abenceragen ab, am wenigsten ist er der poetische letzte von ihnen. Wenn ich ihn a tout prix in jenen maurischen Gegenden unterbringen soll, so ist er entweder Abdel-Kader in Person oder ein Riffpirat von der marokkanischen Küste." „Während Herr von Gordon noch vor sich hin plauderte, stand er vor dem St. Arnaudschen Hause, das aber, wie die Nummer jetzt auswies, nicht das Haus mit der Alhambrakuppel, sondern ein benachbartes von kaum minderer Eleganz war . . ." Angesichts dieses Irrtums in der Hausnummer mußten die Überlegungen von Gordons ja völlig gegenstandslos erscheinen, aber Fontane brauchte das „Maurische Haus", nicht nur als Lokalkolorit, sondern zur Andeutung der Assoziationen: das Schicksal des letzten Abencerragen, literaturinteressierten Lesern des 19. Jahrhunderts noch bekannt, ebenso bekannt wie Abdel-Kader und die Riffpiraten den Zeitungslesern der 1880er Jahre, bereitet schon den Tod v. Gordons im Duell vor! Wir bringen die historischen Bezüge mit dem Kommentar von Edgar Gross30: „Alhambra: Maurisches Königsschloß in Granada (13.114. Jh.). - Abencer(r)agen, edles arabisches Geschlecht in Granada, soll von König Abdul Hassan ermordet worden sein, als er von der Liebschaft eines der Abencerragen zu seiner Schwester Zoraide erfuhr. — Abdel-Kader: mächtiger Araberhäuptling, kämpfte gegen die Franzosen (f 1883). - Riffpirat: berüchtigte Seeräuber an der Küste von Marokko (Rif), gleichfalls gegen französische und spanische Fremdherrschaft kämpfend." Auch der Erbauer des „Maurischen Hauses, der Berliner Architekt Karl von Diebitsch (geb. 1819, f 1869 in Kairo, wo er seit 1861 als Hofbaumeister des Vizekönigs von Ägypten tätig war und als Spezialist im maurischen Stil galt 31 ; „er verstand es, die Nymphenburger Ausgaben, Hrsg. von Edgar Gross IV S. 227 und Kurt Schreinert, 1969 S. 191; dort Nachweis der Erzählung von F. R. Vicomte de Chateaubriand (1768-1848): Die Abenteuer des Letzten der Abencerragen, 1826. 258 maurischen Friese, Arabesken und Mosaiken in rotem Ton herzustellen und sie mit den märkischen Backsteinen zu verbinden" 32 ), war den Berlinern im Erscheinungsjahr von „Cecile" (1886) ein Begriff, und die Akten des Bauaufsichtsamts Kreuzberg (1852 bis 1942) erzählen noch heute von dem Gebäude. Am 9. Mai 1856 beantragte der Architekt und Leutnant a. D. Carl Wilhelm Valentin von Diebitsch die Genehmigung zum Bau eines „massiven Eckwohnhauses auf dem Grundstück des Gärtners de la Croix (dieser seit 1852 Eigentümer). Nach seinem Tode 1869 verkauften die Diebitschschen Erben (am 1. 7. 1870) das Gebäude an den Rentier Carl Andreas Zehrmann, das dann mehrere Eigentümer wechselte, und in dem seit 1934 der „Reichsnährstand" saß. Das „Maurische Haus" stand nicht unter Denkmalschutz, aber es gelang dem damaligen Provinzialkonservator Dipl.-Ing. Walter Peschke im Juli 1940 den Abbruch der Kuppel zu verhindern. Mit der ganzen Straße „Am Hafenplatz" wurde auch dieses Gebäude ein Opfer des Krieges. Die Unterhaltung der Romangestalten über die Aussicht vom Gartenbalkon lese man bei „Cecile" nach. Wandrey33 vermerkt (1919) den Unwillen der Literaturkritik, mit dem man die idyllischen Tage des Harzer Gebirgsaufenthaltes „schwinden sieht und die graue, kalte Atmosphäre der Berliner Stadtwohnung als neuen Schauplatz eintauschen muß". Dies aber war die Absicht Fontanes, nämlich den Gegensatz zu den Harztagen zu unterstreichen. Max Tau34 kritisierte (1928) gerade an diesem Beispiel Stellen bei Fontane, „in denen sich die Darstellung erschöpft in der Anhäufung von Bezeichnungen und Orientierungsangaben ohne jeden sinnlichen Vorstellungsgehalt und bemängelt, daß Gordon bei seinen Besuchen im Hause St. Arnaud zwei verschiedene Wege durch die Stadt einschlägt". - Zu Unrecht, der Dichter wollte - nachdem er im ersten Teil von „Cecile" die Wald- und Kulturkulisse des Harzes vor uns aufgebaut hatte - nun auch von der Berliner Szenerie möglichst viel bieten. Auch Wolfgang E. Rost3* beurteilt (1931) diese Frage positiv und zitiert aus den „Wanderungen" 36 jene eigenartige Wirkung von „Berliner Nähtisch und ägyptischem Fetisch" an dem orientalisierten Künstlerheim von Wilhelm Gentz (geb. 1822 in Neuruppin, t 1890 in Berlin), der 1861 das Feilner-Haus - Kreuzberg, Feilnerstraße 1 - ankaufte, reich ausstattete, und der als Illustrator der Werke von Georg Ebers und Pflege dieser Kultursparte eben jene „Mischung von Berliner Nähtisch und ägyptischem Fetisch, von Ramses und Christian Friedrich Gentz" (seines Sohnes) schuf, wie sie für das „Maurische Haus" typisch wurde. Fontane gibt hier Straßennamen nicht nur an, um „Lokalkolorit" zu bringen, sondern um soziale Unterschiede in der Bevölkerungsstruktur auch innerhalb eines Stadtteils anzudeuten. Die wirtschaftlich bescheiden gestellte Malerin, Fräulein Rosa Hexel, die in der „vornehmen" vielgestaltigen „Gesellschaft" der St. Arnauds verkehrt, wohnt nicht im nahen Geheimratsviertel, sondern Engel-Ufer, also weiter draußen am Luisenstädtischen Kanal, wohin Herr v. Gordon sie begleiten muß und dadurch Zeit für Tbieme-Becker, a. a. O. Band 9, 1913, S. 225. Schreinert, Band 8, S. 191. Conrad Wandrey, Th. F., München 1919, S. 191, 198. Max Tau, Landschafts- und Ortsdarstellung Th. F.'s, Oldenburg i. O., 1928, S. 79. Wolfgang E. Rost, örtlidikeit und Schauplatz in Fontanes Werken, Berlin 1931, S. 125 f, 136. Th. F., Wanderungen durdi die Mark Brandenburg, Die Grafsdiaft Ruppin, Berlin 1892, S. 158, 174. 259 informierende Gespräche hat. Schreinerts3' Schätzung der Entfernung des Engel-Ufers von Ceciles Wohnung mit ca. 4 km ist richtig, doch liegen die Straßen des einstigen Engel-Ufers (heute Engeldamm) nicht „in der Gegend des heutigen Ostbahnhofs", sondern ziehen sich von der Waldemarstraße an Bethanien vorüber bis zur Schillingbrücke im östlichen Teil unserer Stadt! Mit Recht zitiert Walther G. Oschilewski3* (1966) aus „Cecile": „Auch wenn der Kreuzberg dem Vergleich mit dem Harz, der sozusagen vor den Toren Berlins liegt, nicht standhalten kann, so sei doch an das hübsche Gespräch der beiden Berliner im Hotel Zehnpfund in T h a l e . . . erinnert: ,Das ist also der Harz oder das Harzgebirge. Merkwürdig ähnlich. Ein bißchen wie Tivoli, wenn die Kuhnheimsche Fabrik in Gang ist. Sieh nur, Hugo, wie der >Ozon< da drüben am Gebirge hinstreicht. Ach, Berlin!'" „Tivoli! Hinter dem Schinkelschen Denkmal an der Südseite befand sich seit 1857 neben der Tivoli-, später Schultheiss-Brauerei, das volkstümliche Vergnügungslokal ,Tivoli', in dessen schattigen Garten als größte Attraktion eine sog. russische Rutschbahn — eine Art Berg- und Talbahn - stand, und das in vielen Romanen der Zeit eine Rolle spielte . . ." „Tivoli" war also kein vielbesuchter „Vorort" von Berlin mit Vergnügungsrestaurants 37 , sondern der berühmte Ausschank auf dem Kreuzberg! Das erregendste epische Werk des Dichters, das zunächst „vielfach als amoralisch abgelehnt" wurde 39 und Fontane außerdem den Zorn des deutschen Adels einbrachte, „Irrungen - Wirrungen" vermeidet mit den Worten Rosts35 (1931) „Längen der Lokalschilderung" und zeigt vielmehr „sogar im einzelnen Ansätze zur Formung der örtlichkeit". - Nur einige Beispiele für Kreuzberg-Lokalitäten, in denen in feiner sozialer Beobachtungsgabe das Grundproblem dieses Romans - für den unbefangenen Leser unauffällig - angedeutet worden ist, die völlig verschiedenen Lebenssphären, mit denen Baron Botho und Lene konfrontiert werden, und die der Freiherr zunächst meistert. In der Dörrschen Gärtnerei am Zoo plaudert er mit Lenes Pflegemutter, der „a Wasch- und Plättfrau" Nimptsch, und erzählt ihr von einem der volkstümlichsten dichte von Adelbert v. Chamisso (1781-1838) „mit sozialem Einschlag": „Die alte Waschfrau". Chamisso, der neben Bürger, Uhland und Lenau, Heine und Herwegh Fontanes literarisches Vorbild war 40 , wohnte in den Jahren 1822 bis zum Tode 1838 Friedrichstr. 235, nicht weit von der Waschfrau Schulze, die er in seinem Gedicht besang. Die Trennung von Botho und Lene, die in der Landgrafenstraße bzw. in der Gärtnerei am Zoo zunächst noch „Nachbarn" geblieben waren, muß später durch einen Umzug der Frau Nimptsch und Lenes in ein anderes Stadtviertel auch soziologisch begründet werden: sie ziehen nach dem Luisen-Ufer, wo man „wenn auch drei Treppen hoch, statt auf die phantastischen Türme des Elefantenhauses auf die hübsche Kuppel der 37 38 39 40 Schreinert, a. a. O., S. 182, 188, 194. Walther G. Oschilewski, Kreuzberg. Ein Berliner Bezirk gestern und heute, Berlin 1966, S.20. Th. F., Sämtliche Werke, Hrsg. von Edgar Gross, München 1959, Band 3, S. 149. Reuter, a. a. O. S. 6. 260 Michaelskirche" blickte. (Mit der Zuschüttung des Luisenstädtischen Kanals, 1925, verschwand der Name des Luisenufers, heute Legiendamm.) Carl Koch (1827-1905): Die alte Waschfrau. Aus: Georg Scherer, Deutscher Diditerwald, Stuttgart u. Leipzig 1881, S. 10 ff., 552, 567. Formung der örtlichkeit auch, als Botho seine aus Schlangenbad heimkehrende Gattin vom Anhalter Bahnhof nach Hause fährt: „Aber sieh doch nur, Botho, da ist ja noch der Staketenzaun und das alte Weißbierlokal mit dem komischen und etwas unanständigen Namen, über den wir in der Pension immer so schrecklich gelacht haben. Ich dachte, das Lokal wäre längst eingegangen. Aber so was lassen sich die Berliner nicht nehmen, so was hält sich; alles muß nur einen sonderbaren Namen haben, über den sie sich amüsieren können . . . " Gleich danach aber passierten sie den Potsdamer Eisenbahnviadukt, über dessen Eisengebälk eben und nun eine der bekanntesten Assoziationen bei Fontane!: - ein Kurierzug hinbrauste. Das gab ein Zittern und Donnern zugleich, und als sie die Brücke hinter sich hatten, sagte sie: „Mir ist es immer unangenehm, gerade drunter zu sein." „Aber die drüber 261 haben es nicht besser." „Vielleicht nicht. Aber es liegt in der Vorstellung. Vorstellungen sind überhaupt so mächtig. Meinst du nicht auch?" Und sie seufzte. Agathe Nalli-Rutenberg41 kommentierte (1912): „Ein bekannter Weißbiergarten am Kanäle nach dem Halleschen Tore zu (am Tempelhofer Ufer 19) war . . . der des Müllers C. L. F. Grunow (gest. 1844 oder 1845). Der erste Besitzer dieses Grundstücks hieß Buberitz. Und dieses Wort hatten die spottlustigen Berliner in ihrer derben Weise umgeformt, indem sie aus den beiden weichen B zwei harte P fabrizierten. Mit diesem schönen Namen wurde das Lokal ganz unverfroren oft genannt." Und Rost36 ergänzte (1931): „Das Weißbierlokal, dessen Bauherr Puperitz seinen Namen auf einem bei Abbruch des Hauses im Fundament eingemauert vorgefundenen Eisenstück eingraviert haben soll (s. Berliner Lokal-Anzeiger, 12. Juli 1927), befand sich am Tempelhofer Ufer 19, nahe einer aus Eisen konstruierten Überführung, die von Schnellzügen der Anhalter Bahn noch jetzt mit donnerartigem Geräusch passiert wird." Das Weißbierlokal des Gastwirts Buberitz, Tempelhofer Ufer 19. Aufnahme von F. Albert Sdiwartz (um 1885). Hier müssen wir die scheinbar frivolen bösen Berliner aber in Schutz nehmen: Wie bei mehreren Gassen der Altstadt wurden auch in den Vorstädten einige Straßenzüge mit „Ritze" bezeichnet, und in der ehemaligen Luisenstadt spricht man im raschen Volkston noch heute z.B. von der „Naunyn-Ritze", ohne damit etwa das Andenken des Agathe Nalli-Rutenberg, Das alte Berlin. Erinnerungen, Berlin (1912) S. 64 - zitiert bei Schreinert, 1966, Band 9, S. 271. 262 Spezial-Kommissars für die Parzellierung des Köpenicker Feldes, Bürgermeister Reg.Rat Franz Chr. Naunyn (1799-1860), schmälern zu wollen, dessen Namen die Naunynstraße seit 1864 trägt. Als nach dem Tode von Lenes Mutter Botho, seinem Versprechen gemäß, ihr „einen Immortellenkranz aufs Grab zu legen" von der Landgrafenstraße in einer Pferdedroschke zum Jakobi-Friedhof am Rollkrug fährt, tätigt er seinen Ankauf noch in „Kreuzberg". Die Weiterfahrt durch die Pionierstraße mit ihrer in den 1870er Jahren noch schwachen Bebauung erleben wir mit Fontanes bis heute unerreichter Schilderung. Die Polarität der Lebensverhältnisse der beiden Liebenden unterstreicht der Romancier abschließend mit der Schilderung von Lenes Trauung mit dem Fabrikmeister Gideon Franke in der Jacobikirche, „deren kreuzgangartiger Vorhof auch heute von einer dichten und neugierigen Menschenmenge, meist Arbeiterfrauen . . . besetzt war . . . " . . . dann stiegen die Brautleute „die mit einem etwas abgetretenen Teppich belegte, nur wenige Stufen zählende Steintreppe hinauf, um zunächst in den Kreuzgang und gleich danach in das Kirchenportal einzutreten" . . . £5 folgen deprimierende Kommentare der „Vorgeschichte" dieser Ehe von Frau Kornatzki zu einer Nachbarin. „Und so ging es noch eine Weile weiter, während aus der Kirche schon das Präludium der Orgel hörbar wurde." Villa Heckmann Gebiete von Kreuzberg hat Fontane auch zum Schauplatz des Romans „Frau Jenny Treibel" gewählt und damit - unter Namensveränderung - einem Fabrikgebäude mit Wohnhaus ein Denkmal gesetzt, der Heckmannschen Villa. Gerade weil von dieser baulichen Anlage am Ende der Schlesischen Straße links vor der Brücke über den Landwehrkanal seit der Kriegszerstörung nichts mehr erhalten ist als die Steinplastik eines Hirtenknaben aus dem Garten des Geh. Kommerzienrates Carl Heckmann, ist auch die an ihrer Stätte in aufgelockerter Bauweise neuerrichtete Fabrik noch heute Ziel von Besuchern der Stätten kurz vor der „Mauer" vor Treptow. Wie anders zeichnete hier in den 1870er Jahren Fontanes Gänsefeder die Anfänge dessen, was wir heute „städtische Industrielandschaft" nennen, „die Treibeische Villa auf einem großen Grundstück, das in bedeutender Tiefe von der Köpenicker Straße bis an die Spree reichte". Wie Fontane mehrfach als Mieter, hatte Kommerzienrat Treibel in der Alten Jakobstraße im eigenen Hause gewohnt, das friderizianischen Baumeistern zugeschrieben war. Nun errichtete der Farbenfabrikant sich auf seinem Fabrikgrundstück eine „modische Villa" „und begriff nicht, daß er es . . . so lange Zeit hindurch in der unvornehmen und aller frischen Luft entbehrenden Alten Jakobstraße ausgehalten habe". Liebevoll beschreibt der Erzähler Äußeres und Innenausstattung von Treibeis neuem Wohnschlößchen, nachdem er dazu ausgedehnte örtliche Vorstudien angestellt hatte. Treibeis ältester Sohn hatte sich - nach Fontanes Willen - ganz in der Nähe „selbständig etabliert und am Ausgang der Köpenicker Straße, zwischen dem zur Pionierkaserne gehörigen Pontonhaus und dem Schlesischen Tor, einen Holzhof errichtet, freilich von der höheren Observanz, denn es waren Farbehölzer, Pernambuk- und Campecheholz, mit denen er handelte". Der ganze Roman nahm zur Grundlage die engen Beziehungen Fontanes zu der Luisenstadt, in der er mehrfach wohnte, und seinen gesellschaftlichen Verkehr mit der 263 Familie des Großindustriellen, Geh. Kommerzienrat Heckmann4'2. Eine der beiden Villen, die Fontane 1892 als Vorbild für das Treibeische Haus diente, stand noch 1945 und wurde nach Kriegsbeschädigung zeitweise in ein Kino umgewandelt. In dem Roman läßt der Dichter noch andere Personen der Luisenstadt auftreten, so den Restaurateur Gustav Buggenhagen, der in der Oranienstraße seine Gaststätte hatte, und einen Geistlichen der Thomasgemeinde, der Treibeis zur Betreuung der kleinen Lizzi eine zuverlässige Frau empfohlen hatte 43 . „Effi Briest" und die Christuskirche 1863-1872 wohnte der Dichter mit seiner Familie Hirschelstraße 14, später in Königgrätzer Str. 25 umbenannt 18 , Ecke Dessauer Straße. Gleichzeitig mit dem Einzug der Fontanes war, gegenüber der Einmündung der Großbeerenstraße, die von Friedrich Adler entworfene Christuskirche im Bau, die von einer 1859 gegründeten englischen Gesellschaft für Judenmission erbaut und 1864 fertiggestellt worden war, ein nur von einem Glockentürmchen überragter Giebelbau in spätgotischen Backsteinformen. In eines der Nachbarhäuser verlegte Fontane die sehr bescheidene Wohnung von „Effi Briest" (erschienen 1895). Schon bei der Vorgeschichte zu dem im Dunkeln bleibenden „Fehltritt" Effis bringt Fontane eine Erinnerung an seine Bethanienzeit an 44 , er läßt Effi ihrer Mutter von dem neuen Landwehrbezirkskommandeur in Kessin, Major von Crampas, erzählen. Dieser hatte wegen Frauengeschichten ein Duell mit einem Kameraden. „Der linke Arm wurde ihm dicht unter der Schulter zerschmettert, und man sieht es sofort, trotzdem die Operation . . , ich glaube, sie nennen es Resektion, damals noch von W i 1 m s ausgeführt, als ein Meisterstück der Kunst gerühmt wurde." Rost35 fand (1931) mit Recht, daß Fontane Effis Wohnung in der Königgrätzer Straße „knapp und trotzdem überaus anheimelnd dargestellt" habe. Beim Einzug wurde das Hotel Habsburger Hof (s. o.) in ein Gespräch Effis mit ihrer Hausangestellten Roswitha einbezogen, der sie versprach, nach der Einzugs„plackerei" eine Karaffe Spatenbräu und „etwas Gutes aus dem Habsburger Hof" mitbringen zu lassen45. Die Wohnung legte der Dichter „zwischen dem Askanischen Platz und Halleschem Tor" fest, und wir erfahren aus dem Gespräch der kranken Effi mit dem Sanitätsrat Rumschüttel über ihre Lage und die Ausblicke zum Kreuzberg, der gerade terrassiert wurde, und über die Nähe des Prinz Albrecht-Gartens mit Brunnenausschank. Erschütternder aber die Unterhaltung der einsamen Effi mit der treuen Roswitha über den Versuch, sich durch die Predigt des Geistlichen der Christuskirche von ihrem Leid ablenken zu lassen. Bei diesem handelt es sich um Prof. D. Paulus Stephanus Cassel (1821-1892), der vom jüdischen zum evangelischen Glauben übergetreten war und neben seinem Predigtamt zahlreiche religions- und kulturgeschichtliche Abhandlungen veröffentlicht hat. Er ruht auf dem Kirchhof seiner Gemeinde vor dem Halleschen Tor. - Das erste und letzte Wiedersehen Effis mit ihrem Töchterchen wird vom Dichter bewußt durch feine lokale Beziehungen untermalt. - Zur Christuskirche zog es auch noch den alten Fontane, als er längst in der Potsdamer Straße wohnte, oft 42 43 44 45 Karl Groch, Geh. Kommerzienrat Carl Heckmann (1786-1878), Lebensskizze, in: Die Luisenstadt, Ein Heimatbuch, Berlin 1927, S. 256 ff. Schreinert, S. 18, 89, 204. Effi Briest, Band 7, S. 449. Effi Briest, Nymphenburger Ausgabe 1969, Band 12, S. 268, 418. 264 wieder Mama an die bin um hin. Am 25. Juli 1891 schreibt er an seine Tochter Mete 46 : „Wir leben sehr still; rückt sich überhaupt nicht von der Stelle, ich gehe jeden Abend um neun bis Christuskirche, umschlendere schließlich zweimal den Leipziger Platz . . . und elf wieder zu Hause . . ." Die Christuskirche wurde ein Opfer des letzten Krieges; ihre Tradition wird von der neuen Christuskirche in der Hornstraße weitergetragen. Alle diese Kreuzberg-Stätten und -gestalten ließ Dr. Mario Krammer am 6. Mai 1939 in der Domsitzung des Vereins für die Geschichte Berlins in seinem Vortrag „Theodor Fontane als dichterischer Gestalter Berlins" 47 noch einmal aufleben und durchwanderte an der Hand der Schilderungen aus den Werken die einzelnen Teile des damals noch ungeteilten Berlin und so auch die Luisenstadt und „Kreuzberg": „Da wohnen Treibeis in der Köpenicker Straße, da blickt Lene vom Luisenufer hinüber nach Sankt Michael, da hat der Dichter selber bald in Bethanien, bald in der Alten Jakobstraße gehaust. Mit Leopold Treibel geht es zu Zenner, mit Barbys zum Eierhaus (in Treptow), mit Melanie und den Ihren nach Stralau. Wir genießen die Aussicht von den Müggelbergen und freuen uns der märkischen Stille in „Hankels Ablage" mit Botho und seiner Freundin. In der Friedrichstadt tauchen berühmte Straßen und Plätze auf. . . Bei Kuglers in der südlichen Friedrichstraße ist abends von draußen her kein Laut zu vernehmen . . . Als Gordon zum ersten Mal Ceciles Gärten hinter ihrem Haus am Hafenplatz sieht, ruft er aus: „Insel der Seligen!" . . , und die arme verlassene Effi kann nur trauernd zur epheuumrankten Christuskirche hinüberschauen." Th. F., Briefe (An die Familie. Erste Sammlung. 1. Bd. Bln. 1911, S. 256, Brief Nr. 324. Beiblatt z. Zeitschrift d. Vereins f. d. Gesch. Berlins, 1939, Nr. 4, S. 15. Grabweihe 20. September 1948 Von Rudolf Danke f Durch die Liesenstraße, nahe dem Wedding in Berlin, weißgekleidete Frauen zum Grabe Fontanes ziehn. Botschaft der Liebe festlich zu sagen Kränze aus roten Rosen sie tragen. Haben Kunde weithin vernommen. Alle, alle sind sie gekommen: Effi Briest, Grete Minde, Frau Jenny Treibel, Stine, Cecile und von den Barbys Armgard und Melusine, die Damen von Poggenpuhl samt Frideriken und da, ein verhutzeltes Frauchen: Hoppenmarieken, Frau von Carayon nebst Tochter - immer mehr schließen sich an, um zu wallfahrten zu ihrem Dichtersmann. Dichter nur? - Nein, mit Herz und Feder gab er Leben und Seele jeder, gab ihnen Schicksale, oft leidvoll-schwer, daß sie einst würden unsterblich - wie er. 265 Während sie nun den Hügel umschreiten und Kranz neben Kranz auf den Efeu breiten, kommt schüchtern ein Mädchen, die Wangen ihm brennen, und alle die Agnes vom alten Stechlin erkennen. Und sie trägt eine Krone aus Blumen gewunden, die sie auf märkischen Fluren gefunden. Die Frauen sehen sie zaghaft stehn und winken ihr zu, nur näher zu gehn. Da setzt sie (und beugt sich grüßend hinab) die Krone auf des Dichters Grab. Die leuchtet nun über der Rosen Pracht und hat den Schlafenden lächeln gemacht. . . Vom Grabe Fontanes wandern voll Glück die Frauen in Städte und Dörfer zurück, wo sie wie in alten verklungenen Tagen des Dichters Ruhm in die Häuser tragen. Das Fontane-Denkmal von Max Klein im Berliner Tiergarten. Enthüllt am 7. Mai 1910. Foto: Ellen 266 Fontane-Miszellen Fontane, deutsch oder französisch gesprochen? Ein Mitglied des Vereins fragte Fontane, ob er sich preußisch Fon-ta-ne ausspreche oder französisch Fong-tahn. Darauf antwortete der Dichter: „Sonntags können Sie mich Fong-tahn nennen, wochentags aber Fon-ta-ne." Mitgeteilt von Vetter in der „Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins" (1940). * Aus dem Nachlaß unseres Mitgliedes Rudolf Danke: Nachruhm Theodor Fontane nahm an einem Bankett teil, das zu Ehren von Paul Lindau, dem erfolgreichen Publizisten und Theaterleiter in den achtziger und neunziger Jahren veranstaltet wurde. Nach mehreren Toasten auf den Gefeierten erhob sich auch Fontane zu einem Trinkspruch, dessen letzter Vers lautete: Und der diese Verse schreibt, wird wohl bald vergessen schlafen. Lindau aber, Lindau bleibt: Lindau - Bregenz - Friedrichshafen! Eh bien, das Herz Als aufmerksamer Ehegatte - was aber von der Ehegattin häufig in Abrede gestellt wurde pflegte Fontane seine Frau Jahrzehnte hindurch an ihrem Geburtstag mit einem Glückwunschgedicht zu überraschen. Mehrere dieser Art sind später im Nachlaß-Band seines Werkes veröffentlicht worden. Dieses aber, das durch seinen drastischen Nachsatz zugleich die Frage aufwirft: Hat Fontane berlinert? - noch nicht. Zum 14. November 1868 Ja, ja, Geliebte, man wird alt, Die Nerven ach, du lieber Gott, Trotz Filz und Wolle hat man kalt Die Leber wird zum Kinderspott, An Sohlen und an Füßen. Die Leber und der Magen. Und ißt am Schlüsse des soupers Doch würd" auch alles weh und wund, Man gern noch etwas Schweizer Käs', Eh bien, bleibt nur das Herz* gesund, So muß man dafür büßen. So wollen wir's ertragen. Th. F. * will ooeh nich mehr! Nachrichten Die Insel Scharfenberg ist mit 20,3 ha die größte der 7 Inseln des Tegeler Sees. Ihren Namen hat sie von einem 9 m hohen Hügel, der sich am Nordende der Insel befindet. Am 15. 6. d. J. unternahm der Verein für die Geschichte Berlins seinen Sommerausflug auf diese Insel. Unter der sachkundigen Führung von Herrn Dipl.-Gärtner Kautz wurde den Besuchern die Entwicklung und Geschichte der Insel vor Augen geführt. Durch Ausgrabungen und Funde lassen sich auf den Inseln und am Rande des Sees Siedlungen bis in die Steinzeit nachweisen. Auf Scharfenberg selbst wurden Feuersteingeräte und Urnenscherben vom Ende der jüngeren Eiszeit und Anfang der Bronzezeit gefunden. Bis ins 18. Jh. gibt es über Scharfenberg keine Überlieferungen. Wahrscheinlich kam es mit dem Verkauf des Dorfes und der Mühle Tegel durch den Cöllner Bürger Johannes Wolf 1391 an das Benediktiner-Nonnenkloster Spandau. 1558 wurden alle Besitzungen und Einkünfte des Klosters vom Kurfürsten eingezogen und dem königlichen Amt Spandau unterstellt. Namentlich wird Scharfenberg zum erstenmal 1714 in einer Kirchenmatrikel genannt. In ihr wird mitgeteilt, daß sich während des Dreißigjährigen Krieges die Bewohner der Umgebung auf die Inseln des Sees flüchteten. Die nun zahlreicher vorhandenen Urkunden zeugen von einem ständigen Wechsel der Besitzer und Erbpächter. So übernahm 1752 der Kammerdiener Christian Ludwig Möhring das Gut Tegel auf Erbpacht von der Königl. Preuß. Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer, 267 allerdings mit der Auflage, 10 000 Maulbeerbäume anzupflanzen. Als Entschädigung bekam er das Hütungsrecht auf der Insel Scharfenberg verbunden mit der Verpflichtung, dort Hopfen anzubauen, da das Gut Brauereirecht hatte. Im Jahre 1764 kaufte das Gut Tegel der Hauptmann Friedrich Ernst von Holwede, der mit Marie Elisabeth Colomh verheiratet war. Ein Jahr später starb Holwede, und 1766 verheiratete sich die Witwe mit dem Kammerherrn und Obristwachtmeister der Kavallerie, Alexander Georg von Humboldt. Aus dieser Ehe gingen Alexander und Wilhelm von Humboldt hervor. Erst 1822 gingen das Schloß und Gut Tegel an den Staatsminister Wilhelm von Humboldt als freies Eigentum über. Auf der zum Gut gehörenden Insel Scharfenberg erloschen nun erst das Hütungsrecht und die Pflicht des Hopfenanbaus. In den folgenden Jahren wechselten laufend die Erbpächter, bis 1867 der Naturwissenschaftler Dr. Carl Bolle die Insel von dem Landwirt Krause kaufte. Carl Bolle wurde am 21. 11. 1821 in Schöneberg geboren. Nach einem anfangs medizinischen, später naturwissenschaftlichen Studium in Berlin und Bonn unternahm er Studienfahrten bis zu den Capverdischen und Kanarischen Inseln. Nach seiner Rückkehr verwirklichte er seinen Jugendtraum und schuf auf Scharfenberg einen dendrologischen Garten. Einen Teil der Bäume und Sträucher bezog er von der Königlichen Baumschule in Alt-Geltow bei Potsdam, andere direkt aus dem Ausland, die er dann auf der Insel akklimatisierte. So geht aus einer Liste von 1890 ein Bestand von 752 Pflanzenarten hervor. Einige davon sind noch heute vorhanden. 1883 ließ sich Dr. Bolle auf der Insel von einem unbekannten Baumeister eine Villa erbauen. Obwohl der Plan bestand, sie unter Denkmalschutz zu stellen, wurde sie wegen ihres schlechten Zustandes 1958 abgerissen. Dr. Carl Bolle starb am 19. 2. 1909. Er wurde auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg beigesetzt, 1938 mit anderen Gräbern nach Stahnsdorf-Süd umgebettet. Der Grabstein kam auf die Insel Scharfenberg. Die Insel erbte Dr. Bolles Neffe, Adolf Bolle, der sie aber schon 1910 an die Stadt Berlin für 800 000 Mark verkaufte. Die Humboldtschen Erben, die noch im Besitz des Vorkaufsrechtes waren, wurden mit der Insel Lindwerder (Liebesinsel) und 125 000 Mark entschädigt. 1922 gründete der Pädagoge Wilhelm Blume, der 1969 in Frohnau seinen 85. Geburtstag feierte, die Schulfarm Scharfenberg. Die Schule hat heute 190 Schüler, die von 20 Lehrkräften unterrichtet werden. Nach einer Aufnahmeprüfung werden Jungen und Mädchen in die 7. Klasse des wissenschaftlichen Zweiges aufgenommen. Sie können bis zur Reifeprüfung geführt werden. Neben dem Unterricht müssen sich die Schüler in einer der sogenannten 9 Innungen betätigen. Diese gliedern sich in Landwirtschafts-, Gärtner-, Hauswirtschafts-, Tischler-, Schlosser-, Maler-, Weberei-, Druckereiund Fotoinnung. Jede Innung kann vom Schüler frei gewählt werden und ist Prüfungsfach. Sehr ausgeprägt ist die Schülerselbstverwaltung. Durch sie werden Gruppen gebildet, die verantwortlich sind für täglich anfallende Arbeiten wie z. B. Fährdienst, Ordnung im Haus, Hilfe bei den Mahlzeiten. Krönung dieser demokratischen Einrichtung ist die „Vollversammlung", in der jeder Insulaner, Lehrer wie Schüler, gleiches Mitsprache- und Stimmrecht hat. Die Leitung der Vollversammlung liegt in den Händen des Schülerausschusses, dem ein Lehrer als Berater zur Seite steht. Sie findet in dem großen kombinierten Theater- und Eßsaal statt, der sich in dem 1960/61 erbauten Zentralbau befindet, der an der Stelle des alten Bolle-Hauses errichtet wurde. Im Vorraum steht eine Skulptur von Prof. Bernhard Heiliger: ein Fährmann, der an diese Tradition auf der Insel Scharfenberg erinnern soll. Jürgen Grothe Studienfahrt nach Lüneburg und zu den Heideklöstern vom 5. bis 7. September 1969 Hatte sich im vergangenen Jahr zu der ersten Studienfahrt des Vereins nach dem Kriege eine Gruppe von über 30 Teilnehmern gemeldet, so machte der gute Erfolg der Exkursion nach Einbeck diesmal mehr als die doppelte Anzahl von Mitgliedern Mut, sich den beiden Omnibussen nach Lüneburg anzuvertrauen. Nach unvorhersehbarem, mehrstündigem Aufenthalt an der Grenze war es schon Nachmittag, als die Teilnehmer in der Heiligengeiststraße in Lüneburg eintrafen, wo sich hinter Backsteintreppengiebeln die seit 1485 bestehende Lüneburger Kronen-Brauerei AG verbirgt. Nach einer Führung durch die modernen Einrichtungen dieser Brauerei hielt Dr. H. G. Schultze-Berndt im Rahmen eines Abtrunks in der spätgotischen Diele der Brauerei einen Vortrag über die Geschichte des Brauwesens in Lüneburg. Der Schriftführer zeigte auf, welche Bedeutung das Braugewerbe in dieser gewöhnlich als Salzhaus der Hanse bezeichneten Stadt vom Mittelalter bis zum heutigen Tage gehabt hat. Der im selben Gebäudekomplex gelegene Brauereiausschank „Zur Krone" vereinte dann die inzwischen recht hungrig gewordenen Reisegefährten. 268 Am Sonnabendvormittag führten Frau Stadtarchivarin Dr. Thierfelder und Herr Museumsdirektor Dr. Körner die beiden Gruppen durch das Rathaus als Mittelpunkt und Kleinod der Stadt und gingen dabei auch auf die wechselvolle Geschichte Lüneburgs ein. Dr. Körner erläuterte anschließend die Baugeschichte von St. Nikolai., während Dipl.-Ing. Seemann bei dem Rundgang, der sich nicht nur auf die Schauseiten der alten Gebäude beschränkte, Bürgerstolz und Bürgerinitiative demonstrierte, die sich bis auf den heutigen Tag in Lüneburg erhalten haben; mit spürbarer Liebe zeigte er seinen Gästen den alten Kran. Für den Nachmittag stand als erstes die Besichtigung des Klosters Lüne auf dem Programm, und die Teilnehmer fühlten sich, von Frau von Bothmer und Fräulein von Jagow, der Nichte des früheren Berliner Polizeipräsidenten, freundlich geleitet, zurückversetzt in die Welt des Mittelalters. Dieser Eindruck hielt auch in Bardowick noch an, einstmals wichtigere Handelsstadt als das benachbarte Lüneburg. Oberstudienrat Meyer räumte im Dom mit der hartnäckig vertretenen Auffassung auf, der Niedergang Bardowicks sei die Folge der Zerstörung dieser Stadt durch Heinrich den Löwen. Vielmehr setzte diese Fehde nur den Schlußpunkt unter eine Entwicklung, die mit der Verlagerung des Handels in die neu gegründete Hafenstadt Lübeck begonnen hatte. Der bekannte Lüneburger Organist Studienrat Rogge führte die Möglichkeiten der Orgel des Bardowicker Doms mit zwei Stücken von J. S. Bach vor, darunter dem Vorspiel zu dem Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme" des Berliners Philipp Nicolai, als Huldigung für die Berliner Gäste gedacht. Ein Ausflug in die Heideblüte bei Egestorf-Sudermühlen bildete den Abschluß dieses ausgefüllten Tages. Am Sonntag ging die Rückreise als erstes in das Kloster Medingen, dessen besonders freundliche Atmosphäre und in Norddeutschland eigentlich unerwartete, barocke Gestaltung vor allem der Kirche die Besucher freudig stimmte. Nach einem gemeinsamen Mittagessen in Medingen war der Besuch des Klosters Wienhausen Schlußpunkt und vielleicht auch Höhepunkt dieser vom Wetter so deutlich begünstigten Studienfahrt. Der Nonnenchor, die alten Teppiche und Skulpturen verfehlten ihren Eindruck nicht. Spät erst trennten sich die Berliner von diesem Flecken, und es war schon Mitternacht, als sie Berlin wieder erreichten. Die Auswahl der Besuchsobjekte und das verständnisvolle Mitgehen aller Teilnehmer haben dieser Exkursion zum Erfolg verholfen und den guten Geist spüren lassen, der dem Verein für die Geschichte Berlins innewohnt. Das nächstjährige Reiseziel ist schon ins Visier genommen: Die Rattenfängerstadt Hameln. H. G. Schultze-Berndt 100 Jahre „Herold" Vom 2. bis 5. Oktober begeht „Der Herold, Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin, Gegründet am 3. November 1869" - in Verbindung mit dem 21. Deutschen Genealogentage - sein lOOjähriges Bestehen. Im Dahlemer Staatsarchiv wird am 5. 10. die Ausstellung „Lebendige Heraldik - lebendige Genealogie" eröffnet. Unser Verein hat schon im vorigen Jahrhundert enge Beziehungen zum „Herold" unterhalten und entbietet dem jüngsten 100jährigen unserer Stadt herzliche Jubiläumsgrüße. Hans Pappenheim * In der kommenden Ausgabe unseres Jahrbuches „Der Bär von Berlin" werden anläßlich des 150. Geburtstages von Theodor Fontane folgende Beiträge veröffentlicht: Dr. Walter Heynen: Fontane-Gespräche. Dr. Hermann Fricke: Über Fontane-Verehrung. Hans Joachim Mey: Berlin in den Altersbriefen Theodor Fontanes. Dr. Dr. Manfred Stürzbecher: Die Apothekenschwestern im Krankenhaus Bethanien und Theodor Fontane. V o n unseren Mitgliedern: E h r e n m i t g l i e d P r o f . D r . E d w i n R e d s l o b 85 J a h r e a l t Am 22. September 1969 vollendete Prof. D r . Edwin Redslob sein 85. Lebensjahr, Ehrenmitglied des Vereins für die Geschichte Berlins seit 1965, als er auf dessen J a h r h u n d e r t f e i e r in einem glanzvollen Festvortrag das Bild unserer S t a d t im G r ü n dungsjahr des Vereins a n uns h a t t e vorüberziehen lassen. „ Z u m Sehen geboren, z u m Schauen bestellt" w u r d e der angesehene Museumsdirektor in Erfurt, als ihm die Reichsregierung 1920 A m t u n d W ü r d e eines Reichskunstwartes verlieh. I m dritten Reich verlor er das A m t u n d daher nicht die W ü r d e , w a r so nach 1945 ebenso bereit wie prädestiniert, maßgeblich am kulturellen Wiederaufbau Berlins mitzuarbeiten. Schon 1945 w u r d e er Mitbegründer des „Tagesspiegel", 1947 269 w ä h l t e ihn der Gründungsausschuß der Volksbühne z u m ersten Vorsitzenden u n d 1948 w a r er, gemeinsam mit Friedrich Meinecke, G r ü n d u n g s r e k t o r der Freien U n i versität. Eine Fülle von Schriften w i d m e t e der in W e i m a r Geborene dem Genius loci, aber auch seiner W a h l h e i m a t Berlin, u n d w e r einmal das Glück hatte, einer Lesung seiner in müheloser Gebundenheit d a h i n s t r ö m e n d e n Sonette beiwohnen zu können, durfte auch etwas von seiner D i c h t e r n a t u r erfahren. So w a r es beinahe selbstverständlich, d a ß der J u b i l a r 1959, an seinem 75. Geburtstag, in die Reihe jener verdienten Persönlichkeiten aufgenommen w u r d e , die die S t a d t Berlin durch die Verleihung der E r n s t - R e u t e r - P l a k e t t e zu ehren pflegt. Ein Menschenleben schien erfüllt, ein Menschenwerk getan, da w u r d e der im biblischen Alter stehende I n i t i a t o r des Berlin-Museums, seiner Schöpfung, die er mit unwahrscheinlichem Elan, nie versagendem Optimismus, zäher V e r h a n d l u n g s k u n s t u n d seinem bewunderswerten Talent, M ä z e n e zu finden, zu dem fast vollendeten Ziele führte, das wir heute im alten Kammergericht betrachten k ö n n e n . Edwin Redslob h a t sich u m Berlin hoch verdient gemacht. Möge ihm noch lange J a h r e die K r a f t verliehen sein, seinem Werk, uns allen, r a t e n d u n d fördernd zur Seite zu stehen. Walter Hoff mann-Axthelm D r . E b e r h a r d Faden 80 J a h r e Unser langjähriges Vorstandsmitglied, Stadtarchivdirektor a. D. Dr. Eberhard Faden, Historiker und Chronist unserer Stadt, wurde am 1. September 1969 80 Jahre alt. Gebürtiger Berliner und Abiturient des Luisen-Gymnasiums in Moabit, studierte er an der Berliner FriedrichWilhelms-Universität Deutsch, Geschichte und Erdkunde und wurde als Leutnant vor Verdun schwer verwundet. Seine von Otto Hintze angeregte Dissertation „Berlin im Dreißigjährigen Kriege" erschien 1927 in Buchform und ist bis heute grundlegendes Nachschlagewerk für diese kulturell vielfach verkannte Zeit geblieben. Seit 1919 war Dr. Faden Studienrat am Lichterfelder Schiller-Gymnasium und lehrte dort seine Fächer. An der Festschrift zur 700-Jahr-Feier Berlins 1937 war Faden maßgeblich beteiligt. 1938 wurde er Schriftführer der Zeitschrift des deutschen Sprachvereins, „Muttersprache". 1939-1945 war Dr. Faden Direktor des Stadtarchivs von Berlin und wirkt noch heute als Verfasser und Mitarbeiter an zahlreichen Schriften und historischen Kompendien zur Vergangenheit unserer Stadt. Wir wünschen dem um unsere Ziele hochverdienten Forscher Kraft und Gesundheit zur Fortsetzung seines Schaffens auch im neunten Jahrzehnt. Hans Pappenheim F r a u D r . Lilly M o r i t z t Am 20. August 1969 verstarb neun Monate nach dem Heimgang ihres Gatten unser langjähriges Mitglied Frau Dr. Lilly Moritz, Wilmersdorf, im Alter von 71 Jahren. Die Verstorbene gehörte zu den Mitgliedern, die im Jahre 1949 nach dem 2. Weltkrieg dem Verein beitraten und an der Wiederaufbauarbeit des Vereins für die Geschichte Berlins tätig mitwirkten. Die Entschlafene war eine erfolgreiche Förderin der Geschichts- und Heimatkunde Berlins, die auch viele Jahre als 1. Vorsitzende den Heimatverein Wilmersdorf leitete. Eine große Trauerversammlung am 27. August d. J. im Krematorium Wilmersdorf unter Anwesenheit des Bezirksbürgermeisters von Wilmersdorf, Vertretern des Bezirksamts und von Freunden und Trauergästen bekundeten Dank und Verehrung für die selbstlose und gemeinnützige Tätigkeit der Heimgegangenen. Als stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins würdigte Bezirksstadtrat a. D. Kollmann die Verdienste der Verstorbenen um den Heimatverein Wilmersdorf. Für den Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, dankten der stellv. Vorsitzende, Kurt Pomplun und unser Ehrenmitglied Karl Bullemer, den Angehörigen für die uneigennützige Tätigkeit der Entschlafenen für die Geschichts- und Heimatkunde unserer Stadt. Bullemer Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag an Herrn Helmut-Charles Mathieu, Frau Elisabeth Kliche, Frau Käthe Hahn, Frau Hanna Reuter, zum 75. Geburtstag Herrn Fritz Ringer, Herrn Stadtältesten Heinrich Kühn und Herrn Hermann Holzhausen. * Unser förderndes Mitglied, das Bankhaus Hans Weber KGaA, konnte am 10. 9. 1969 auf ein zwanzigjähriges Bestehen zurückblicken. 270 Im IV. Vierteljahr haben sich folgende Damen, Herren und Institutionen zur Aufnahme gemeldet: Rosemarie Becker, Dipl.-Bibliothekarin 1 Berlin 33, Schellendorffstr. 21 a Tel. 89 32 39 (Prof. Dr. Kettig) Bernd Raebel, Pfarrer 1 Berlin 61, Stresemannstr. 95 Tel. 18 37 33 (Dr. H. Pappenheim) Erna Pahl 1 Berlin 44, Weserstr. 135 Tel. 6 21 58 85 (W. Obigt) Ingeborg Dornbusch, Lehrerin 1 Berlin 10, Nordhauser Str. 29 Tel. 3 8135 33 (H.Danke) Dr. theol. Friedrich Weichen, Pfarrer 1 Berlin 65, Nazarethkirchstr. 50 Tel. 4 62 20 50 (Vorsitzender) Horst Kienapfel, Dipl.-Volkswirt 1 Berlin 20, Hohenzollernring 167 Tel. 37 43 71 (K. Bullemer) Brigitta Wollschlaeger 1 Berlin 46, Preysingstr. 12 Tel. 7 75 39 08 (G. Wollschlaeger) Ernst Dietrich, Graphiker 1 Berlin 15, Meierottostr. 1 Tel. 8 81 16 95 (R. A. Dietrich) Dieter Kortmann, Elektroinstallateur 1 Berlin 31, Nassauische Str. 61 (E. Brast) Hans Ströhmer, Ing. 636 Friedberg, Karlsbader Str. 25 Tel. (06031) 55 95 (R. Koepke) Dr. Ernst Kreuzer, Kunsthistoriker 1 Berlin 37, Beerenstr. 50 Tel. 84 45 98 (H.-J. Mey) Bruno Schremmer, Studiendirektor i. R. 3052 Bad Nenndorf, Erlengrund 18 (Dr. H . Pappenheim) Wolfgang Hermsdorf, Verw.-Oberinspektor 1 Berlin 26, Dannenwalder Weg 176 (K. Streu) Gottholf Hahn, Pfarrer i. R. 1 Berlin 47, Löwensteinring 5 Tel. 6 03 76 90 (Dr. Letkemann) Susanne Hahn 1 Berlin 47, Löwensteinring 5 Tel. 6 03 76 90 (Dr. Letkemann) Hans Lang, BVG-Verkehrsmeister i. R. 1 Berlin 47, Fritz-Erler-Allee 14 Tel. 6 03 89 05 (Dr. Letkemann) Elisabeth v. Strubberg 1 Berlin 19, Spandauer Damm 62, Wilhelmstift (E. Hackemesser) Werner Neuhaus, Lagerist 1 Berlin 42, Rumeyplan 31 (A. Mentzel) Hans-Joachim Decker, Kaufmann 1 Berlin 26, Thiloweg 7 Tel. 4 1117 08 (H. Hofmann) Erna Peters 1 Berlin 19, Philippistr. 1 Tel. 3 06 17 97 (E. v. Strubberg) Hans Weber, Weberbank-Kommanditges. a. Aktien 1 Berlin 30, Nürnberger Str. 61-62 Tel. 2 1170 91 (A. Hardow) Rüdiger Brauer, Schüler 1 Berlin 31, Blissestr. 27 Tel. 87 49 16 (A. u. L. Brauer) Hartmut Krölke, Techn. Angestellter 1 Berlin 47, Kornblumenring 77 a Tel. 6 01 18 81 (H. Hofmann) Elise Wetzel 1 Berlin 41, Holsteinische Str. 18 Tel. 83 09 39 (H. Wetzel) Dr. Eduard Weisner, Dipl.-Kaufmann 1 Berlin 31, Ballenstedter Str. 14 Tel. 8 86 31 00 (Prof. Dr. Dr. Friedensburg) Berliner Commerzbank AG 1 Berlin 30, Potsdamer Str. 125 Tel. 13 02 61 (H. Wetzel) Brigitte Schilling, Chemotechnikerin 1 Berlin 48, Proellstr. 10 Tel. 7 75 25 48 (Schriftführer) Lucie Goltz, Rentnerin 1 Berlin 19, Spandauer Damm 62, Hs III 304 (v. Strubberg) Agnes Meier, Fürsorgerin 1 Berlin 37, Seehofstr. 86 Tel. 84 44 58 (Schriftführer) Helga Hoffmann, chem.-techn. Assistentin 1 Berlin 20, Grünhofer Weg 47 Tel. 37 35 78 (Schriftführer) Dr. phil. Frido Bader, Akad. Rat 1 Berlin 41, Beckerstr. 1 Tel. 8 51 97 92 (Vorsitzender) Paul Töpfer, Biologe 1 Berlin 33, Trabener Str. 24 Tel. 89 87 77 (E. M. Hennig) Standard Electric Lorenz AG 7 Stuttgart-ZufFenhausen (W. Hahn) Hans-Joachim Bartsch, Industriefotograf 1 Berlin 19, Witzlebenstr. 41 Tel. 3 06 39 80 (Dr. Leichter) Ingeborg Weichsel, Stenosekretärin 1 Berlin 51, Pankower Allee 77 (Dr. Schultze-Berndt) Heimat-Archiv d. Bezirksamts Charlottenburg 1 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 100 Tel. 34 04 01 App. 155 (W. Eckler) Adressenänderungen Victoria-Versicherungs-Gesellschaft 1 Berlin 15, Kurfürstendamm 24 Tel. 8 89 21 Paul Schmidtsdorf 1 Berlin 41, Paulsenstr. 1 Tel. 8 221723 271 Veranstaltungen im IV. Vierteljahr 1969 1. Sonnabend, 11. Oktober, 15.00 Uhr, Führung von Frau Dr. Margarete Kühn durch die Ausstellung „Alexander von Humboldt in Berlin und Paris". Treffen am Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten vor dem Schloß Charlottenburg. 2. Dienstag, 14. Oktober, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag des Herrn Leonard Rautenberg, Numismatische Gesellschaft Berlin, gegr. 1843, „Das Münzwesen und die Gepräge unter Friedrich Wilhelm I." 3. Freitag, 17. Oktober, 17.00 Uhr, in unserer Vereinsbibliothek, Bericht von Herrn Karlheinz Grave „10 Jahre neue Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins". Besichtigung wertvoller Bestände und Neuzugänge. 4. Mittwoch, 29. Oktober, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, auf vielfachen Wunsch als Wiederholung: Lichtbildervortrag des Herrn Günter Wollschlaeger „Das Berliner Stadtschloß und seine Baumeister". 5. Mittwoch, 5. November, 9.00 bis 11.00 Uhr, Besichtigung der Bundesdruckerei, 1 Berlin 61, Oranienstr. 91 (Bus A 67 und 75), in kleinen Gruppen. Wegen der begrenzten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis zum 25. Oktober bei Herrn Helmut Hof mann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten. 6. Mittwoch, 12. November, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Dr. theol. Friedrich Weichen „Das Kirchenbauproblem des 19. Jahrhunderts: Der Dom am Lustgarten - die Planung". 7. Sonnabend, 22. November, 15.00 Uhr, im Institut für Zuckerindustrie, 1 Berlin 65, Amrumer Str. 32 (Bus A 16 und 89 bis Ecke Seestr.), Lichtbildervortrag des Herrn Prof. Dr. Hermann Hirschmüller „Die Rolle Berlins in der Geschichte des Zuckers - A. Marggraf, F. Achard, A. v. Humboldt, E. Fischer" und Führung durch sein Institut und das Zuckermuseum. Anschließend geselliges Beisammensein im Restaurant der Hochschul-Brauerei. 8. Dienstag, 2. Dezember, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag des Herrn Hans Joachim Mey „Fontane und die Kulturströmungen des 19. Jahrhunderts in Berlin". 9. Mittwoch, 17. Dezember, 19.30 Uhr, in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses Fontane-Feier des Vereins gemeinsam mit der Historischen Gesellschaft zu Berlin, gegr. 1872. Vortrag von Herrn Dieter Meichsner, NDR, „Theodor Fontane und Berlin 1969. - Vom Duvenstedter Brook aus betrachtet - " . Rezitationen durch Frau Staatsschauspielerin Käthe Haack. Es ergehen besondere Einladungen. 10. Dienstag, 30. Dezember, 11.00 Uhr, Kranzniederlegung am Fontane-Denkmal an der Tiergartenstraße unweit der Drakestraße (Bus A 16, 24 und 69). Es spricht Herr Dr. Walter Heynen. Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller. Freitag, 17. Oktober, 28. November und 12. Dezember zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prot. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, Söhtstraße 1. Beiträge sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude 8c Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Bertin 30 272 MS /' v r-y ""willen Fachabt der Berliner Stadtbibl.othek MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 66. Jahrgang. Nr. 19 1. Januar 1970 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 67 91 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 3 91 24 90 Schriftführer: Dr. H. G. Schukze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 4 65 90 11 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D.W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 J o h a n n Friedrich Eosander F r h r . G ö t h e getauft 2 3 . 8. 1669 zu Stralsund, gestorben 22. 5. 1728 zu Dresden (Nach einem Gemälde von A. Pesne gestochen von J. G. Wolfgang) Johann Friedrich Eosander, ein Hofarchitekt Friedrichs I. von G ü n t e r Wollschlaeger Vor dreihundert Jahren wurde Johann Friedrich Nilsson Eosander, genannt Göthe, geboren, der glänzende, weltgewandte Architekt und Hofkavalier, der nach dem Sturz Schlüters die bestimmende Rolle in der Hofbaukunst unter Friedrich I. spielen sollte. Die Angaben über Geburtsdatum und Geburtsort schwanken. Das Standardwerk „Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler" von Thieme-Becker beschränkt sich 1914 auf den Hinweis „um 1670 in Dänemark oder in Livland", während die jüngere „Neue Deutsche Biographie" in ihrem IV. Band diesen „um den 23. 8. 1669 in Stralsund" präzisieren kann. Nach dem neuesten Brockhaus ist er an diesem Tage getauft. Der Thieme-Becker weist ihn als Angehörigen einer alten schwedischen Familie aus, die mehrere Generationen hindurch Geistliche gestellt hatte, während die „Neue Deutsche Biographie" seine Kindheit in „Stralsund, vielleicht auch in Holstein und Dänemark" vermutet. Sie fußt hierbei auf den Forschungen Rudolf Biederstedts. 1685 wird der junge Eosander als „Conducteur in der Lehre" bei den Festungsarbeiten in Riga erwähnt. Zwei Jahre früher war sein Vater, der Ingenieur-Kapitän Nils Israel Eosander, der es bis zum schwedischen Generalquartiermeisterleutnant brachte, dorthin versetzt worden. 1692 tritt der Sohn nach „Thieme-Becker" in kurfürstlich-brandenburgische Dienste und unternimmt auf Kosten des Kurfürsten bis 1699 mehrere Studienreisen. Roswitha Beyer dagegen weiß ihn in der „Neuen Deutschen Biographie" als Festungsconducteur in schwedischen Diensten in Stettin und legt seine Berufung an den Berliner Hof ebenfalls in das Jahr 1699. Diese verdankt er letztlich der Bekanntschaft des schwedischen Feldmarschalls Graf Nils Bielcke mit dem brandenburgischen Kurfürsten und dessen Verbindung zu dem schwedischen Baumeister Nikodemus Tessin dem Jüngeren. Er erhält als Hauptmann und Hofarchitekt 600 Reichsthaler Gehalt und - wie allgemein üblich - freien Tisch und freie Wohnung am Hof. Zunächst wird ihm die Dekoration der Oper - damals im Marstall in der Breiten Straße - unterstellt, er empfängt aber unmittelbar darauf den Auftrag zum Umbau des Grumkowschen Hauses in Schönhausen bei Berlin, das der Landesherr zum Schloß erweitern will. Im Jahre 1700 besucht Eosander auf einer Studienreise durch Frankreich auch Paris. Nach seiner Rückkehr schmückt er die Königsberger Schloßkirche für die Krönungsfeierlichkeiten aus und entwirft mehrere Ehrenpforten für den Einzug des Königs in Berlin. Anscheinend hat er sich hierbei zu eng an einen früheren Entwurf des Architekturtheoretikers und Mathematikers Leonhard Christoph Sturm angelehnt, den dieser dem Kurfürsten Friedrich III. anläßlich der Einweihung der Universität Halle 1694 überreicht hatte. Jedenfalls beklagt sich Sturm darüber in seiner Autobiographie. Als Baudirektor erhält Eosander seit 1702 verschiedene Aufgaben. Zu ihnen gehört die Vergrößerung des Schlosses Lietzenburg, des späteren Charlottenburg, zur Dreiflügelanlage mit hierdurch bedingter Erweiterung des Corps de Logis und dem Bau zweier Orangerien. Der Entwurfplan Eosanders hierzu ist uns erhalten. Der Tod des 274 Königs verhindert die Ausführung der östlichen Orangerie. Eichengalerie, Rotes Tressenzimmer, Porzellankabinett und die Schloßkapelle zeigen Eosanders große innendekorative Begabung in der damaligen Formensprache, auch der Außenbau trotz der engen Anlehnung an die holländisch beeinflußte Fassadengestaltung des Neringschen Ursprungsbaues im Corps de Logis seine Orientierung an der französischen Dreiflügelanlage. Die wunderschöne, harmonisch ausgereifte Orangerie mit ihren mehrfachen Wandschichtungen im Mittelbau offenbart seine besonderen Fähigkeiten im ländlichen Bereich. Während seines Stockholmer diplomatischen Aufenthaltes in den Jahren 1703 und 1704 verarbeitet er die Erkenntnisse der Baukunst des jüngeren Nikodemus Tessin und ist nach seiner Rückkehr neben seinen Aufgaben in Charlottenburg mit der Vergrößerung des Schlosses Oranienburg und mit der Errichtung des Schlößchens Favorite (1706 bis 1709) im dortigen Park betraut. Gleichzeitig erbaut er auf ehemaligem Vorwerkgelände der Kurfürstinnen für den Grafen Wartenberg die Ursprungsanlage des späteren Schlosses Monbijou. Auch hierzu ist uns sein Plan erhalten, ein anmutiger Kupferstich, typisch für die Zeit um 1700, der zwar geballter, doch noch ganz der schemenhaften Flächenfüllung des 17. Jahrhunderts verhaftet ist: Berceaux führen über die Grundstücksbreite vom Mittel- zu zwei Eckpavillons unter holländischen Dächern. Beschnittene Hecken bilden in freier Symmetrie den seitlichen Abschluß der südlichen Hälfte, die sich zum Blickpunkt Spree - mit Lustbarke öffnet. Sie laufen auf zwei weitere Pavillons am Wasser zu. Auch hier wieder holländische Dächer. Die Beziehungen des Hofes zu den Niederlanden machen ihren Einfluß in der heimischen Kunst verständlich. Baumreihen und Kübelpflanzen begrenzen das kleine eingetiefte Parterre in der Mitte. Sie bilden mit kiesangeschütteten Beeten, deren Seiten mit pyramidenförmigen Bäumchen abgepflanzt sind, ein Relief barocker Gartenkunst, das die Plastik der Architektur in gestaltete Natur umsetzt. Eine Schranke, die durch Skulpturen und Blumenkübel betont ist, schließt das Ganze zur Spree. Der Mittelpavillon gipfelt in einem Belvedere auf und zeigt lebhafte Wandbehandlung mit Pilastern, deren vertikale Kraftlinien in Skulpturen ausklingen. Hinter ihm und den eingangs erwähnten Berceaux täuschen in der nördlichen Hälfte Salons und Fächeranlagen mit Broderien - wiederum vor zwei Pavillons - perspektivisch die räumliche Weite des Parks vor, der in die Landschaft weiterwirkt (Abb.). Kritisch beurteilt Eosander die architektonischen Fähigkeiten des Bildhauers Andreas Schlüter, vor dessen mangelnden Statikkenntnissen er den König mehrfach gewarnt hatte. Die Münzturmkatastrophe hat er vorausgesehen. Er wird daher zum Mitglied der eingesetzten Prüfungskommission berufen, der auch der Nermg-Schüler Martin Grünberg und der schon erwähnte Architekturtheoretiker Leonhard Christoph Sturm aus Frankfurt an der Oder angehören. Das Gutachten, das zur Ablösung Schlüters in der Schloßbauleitung führte, war im wesentlichen objektiv, obwohl Eosander Schlüter im „Theatrum Europaeum" später überheblich kritisiert hat. Als dessen Nachfolger in der Schloßbauleitung muß er sich bei der westlichen Erweiterung, um die Einheitlichkeit zu wahren, im großen und ganzen an seinen genialen Vorgänger halten, löst sich aber völlig in der Gestaltung des Westflügels von 275 Schloß Monbijou (Nach Eosander Göthe gestochen von J. Böcklin) ihm. In die etwas nüchterne und trockene Fassade stellt er die freie Nachbildung des römischen Septimlus Sefer«j-Triumphbogens als einem absolutistischen Monarchen angemessenes Portal. Die hervorragend geplante Erneuerung des 7Vi«ro«schen Quertraktes als Trennung der beiden Schloßhöfe wird nicht mehr ausgeführt. Auch das von ihm entworfene über fünf Meter hohe Silberbuffet im Rittersaal und die Innendekoration der Bildergalerie verdienen hier Erwähnung. Als Oberbaudirektor mit einem Gehalt von 1200 Reichsthalern erhält er 1709 neben der Aufsicht über alle Zivil- und Militärbauten auch die Bauleitung an dem 61 Jahre später abgebrannten Schloß zu Alt-Landsberg. Der Tod Friedrichs I. führt im Herbst 1713 zu seiner Entlassung, nachdem er die Dekorationen für dessen Leichenbegängnis noch mitentworfen hat. Er begibt sich m die Dienste Karls XII. von Schweden, den er von seinen diplomatischen Missionen her kannte. Dieser König überträgt den Adel des 1712 ohne Erben verstorbenen schwedischen Diplomaten Samuel Eosander Göthe, der ein Vatersvetter Johann Friedrichs war, auf ihn und macht ihn zum Freiherrn. Als schwedischer Generalmajor wird Eosander zwei Jahre später in Stralsund preußischer Kriegsgefangener, kommt auf die Festung Spandau, erreicht aber bald seine Übersiedlung nach Frankfurt am Main. Seine Frau war eine Nichte des bekannten Verlegers Matthäus Merian des Jüngeren. Dort erschien fünfzehn Jahre nach seinem Tod der erste Teil seines Buches „Kriegsschule oder der geübte Soldat". 276 Kostspielige H a u s h a l t u n g u n d alchemistische Versuche zwingen ihn 1722, sächsische Dienste a n z u n e h m e n . A m 22. Mai 1728 stirbt er als sächsischer Generalleutnant, nachdem er zwei J a h r e v o r h e r das anmutige Schlößchen Uebigau bei Dresden für den Grafen Flemming als seinen letzten Bau vollendet hat. Mit dem Wiedererstehen von Eosanders Schöpfung C h a r l o t t e n b u r g nach den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges sind vier N a m e n auf das engste v e r k n ü p f t : Senatsdirigent D r . Robert Riedel, damals Leiter der Hochbauabteilung, der die Mittel bereitstellte, um den Wiederaufbau in Abschnitten ü b e r h a u p t zu ermöglichen. Prof. HinnerkScheper ( t 5 . 2 . 1 9 5 7 ) , einst Bauhaus-Lehrer für Farbgebung, als damaliger Landeskonservator. D r . Margarete Kühn und D r . Martin Sperlich, Direktoren der V e r w a l t u n g Schlösser und G ä r t e n , die den Wiederaufbau bis in alle Einzelheiten überwachten. Im Dienste Eosanders haben sie diesen von dem unberechtigten A n w u r f befreit, er sei n u r ein nicht kongenialer Nachfolger Schlüters am Bau des Stadtschlosses gewesen. Anschrift des Verfassers: 1 Berlin 46, Preysingstr. 12 Historische Bauten im alten S t a d t z e n t r u m Das alte Berliner Stadtzentrum wird gegenwärtig in einer Form umgestaltet, die den Erfordernissen des modernen Verkehrs ebenso Rechnung trägt wie den Repräsentationsansprüchen. Viele historische Gebäude mußten dem zunächst erforderlichen Kahlschlag geopfert werden. Es sei an das Schicksal der Schinkelschen Bauakademie erinnert. Um so erfreulicher sind die Zeichen, die für den Erhalt einiger typischen Straßenpartien und für die Restaurierung historischer Bauwerke im Rahmen der Neuplanung sprechen. Hier ist an erster Stelle das Märkische Ufer zu nennen, das am Spreekanal in unmittelbarer Nähe des Märkischen Museums gelegen ist und früher die Bezeichnung Neu-Kölln am Wasser trug. Während auf der Fischerinsel fünf Hochhäuser mit je 21 Geschossen entstehen und die Tage der Friedrichsgracht gezählt sind, wurde auf Beschluß der Bezirksverordneten von BerlinMitte das gegenüberliegende Märkische Ufer mit einem Kostenaufwand von 4 Mill. Mark restauriert und ergänzt. So wurde das in der Breiten Straße bei deren Verbreiterung abgerissene Ermeler-Haus am Märkischen Ufer unter der Hausnummer 10 neu errichtet. Vor dem Abbau wurde es innen und außen vermessen, gezeichnet und fotografiert, so daß der Wiederaufbau, der jetzt abgeschlossen ist, ermöglicht werden konnte. Soweit dies möglich war, wurden die vor dem Abriß geborgenen Putten, Stuckteile, ausgesägten Deckenmalereien, Vergoldungen und das Treppenhaus mit dem schmiedeeisernen Geländer wieder eingebaut; der historische Tabakladen des Tabakwarengroßkaufmanns Ermeler ist im Bau berücksichtigt worden, allerdings kam er von der rechten auf die linke Seite und dient als Weinprobierstube. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Dr. Kurt Goldberg, hat am 6. Oktober mit der Überreichung eines goldenen Schlüssels symbolisch die gastronomischen Einriditungen eröffnet. Die Räume Haus N r . 20 Nr. IS Nr. 16 Nr. 14 Haus Nr. 15 Ermelcr-Haus v. Friedrichsgracht Nr. 8 Aufbau des Märkischen Ufers 277 des Weinrestaurants im 1. Stock sind dem alten Ermeler-Haus nachgestaltet, die Originaldecken wurden wieder angebracht. Im Keller wurde eine Bierstube unter dem Namen RaabeDiele eröffnet. Auch das nebenliegende Haus Nr. 12 ist vollendet. Hier ergibt sich das Kuriosum, daß man schräg gegenüber in der Friedrichsgracht 15 das Vorbild noch findet, eines der hübschesten Wohnhäuser der Stadt, das jetzt am Märkischen Ufer sozusagen spiegelverkehrt nachgebaut worden ist. Einige Teile des Eingangs und die barocke Vortreppe sollen im Original abgebaut und angefügt werden. Während die sich in Richtung Roßstraßenbrücke anschließenden Häuser unschöne Neubauten sind (Nr. 8 und Nr. 6), ist das Haus Nr. 14 mit seinen Geschossen aus verschiedenen Bauepochen außen vollständig renoviert worden. Die Denkmalpflege hat sich auch der Häuser Nr. 16 und Nr. 18, beide vom Ende des 17. Jahrhunderts, und Nr. 20 (um 1870) angenommen und die Fassaden wieder hergerichtet. Unter ihrem Leiter Dipl.-Ing. Fritz Rothstein hat die Denkmalpflege diese Aufgabe mit Liebe und Geschick gelöst, und der Wiederaufbau des Ermeler-Hauses wäre ohne den vorangegangenen fachmännischen Abbau durch den VEB Stuck- und Naturstein nicht möglich gewesen. Marienkirche und Neptunbrunnen, 1969 (Foto Schultze-Berndt) Am Fuße des Fernsehturms und ziemlich genau zwischen dem Roten Rathaus und der Marienkirche hat der Neptunbrunnen von Reinhold Begas einen neuen Aufstellungsort gefunden. Auch hier waren alle Teile sorgfältig aufbewahrt worden, so daß dieses Stück Alt-Berlin in der Nähe 278 des ursprünglichen Platzes eine neue Bedeutung erlangt hat. Früher einmal sagten die Berliner vom Gott Neptun, der sich nicht gerade durch stramme Haltung auszeichnet: „Mit den Buckel kommt der nich bei's Milletär!" Auf dem Weg zur Straße Unter den Linden passiert man das Gebäude des ehemaligen königlichen Marstalls (1897-1900 von Ihne im Renaissance-Stil erbaut). Dort ist die Ratsbibliothek als Fachabteilung der Berliner Stadtbibliothek in deren Räume eingezogen. Sie umfaßt rund 100 000 Bände und ist als Nachfolgerin der 1815 gegründeten Magistratsbibliothek vornehmlich eine zentrale Facheinrichtung für die Dienststellen des Berliner Magistrats. Eine BerlinAbteilung ist eine Sondersammlung der Ratsbibliothek. Ihr Bestand beläuft sich auf etwa 10 000 Bände, und die Mitarbeiter sind bestrebt, die gesamte deutschsprachige Literatur auf historischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet zu sammeln, die die Geschichte und Entwicklung Berlins widerspiegelt. Die Berlin-Abteilung bewahrt auch Stadtpläne, Lexika, Zeitungen und Adreßbücher, von denen das älteste im Jahre 1704 erschien. Auch das Stadtarchiv ist im Marstallgebäude untergebracht. In die Zukunft weist die Planung der Leipziger Straße, die künftig von mehreren 25geschossigen Wohnhochhäusern und (am Spittelmarkt) einem noch höheren Bürohochhaus flankiert werden soll. Zwischen diesem Bürohochhaus und der ersten Wohnhochhausgruppe im Südabschnitt der Leipziger Straße soll der Dönhoffplatz als Architekturplatz neu gestaltet werden. Sein Gepräge soll der Dönhoffplatz von den neu errichteten Spittelkolonnaden von Gontard (1776) erhalten. Schultze-Berndt H G Nachrichten Alexander von Humboldt 1769-1859 Unsere Feier in der Eichengalerie Sonntag, 14. September 1969, Schloß Charlottenburg - die Zeiger der Turmuhr rücken auf Zehn, Wagen fahren in den Vorplatz ein, die schwarzen Limousinen der „Offiziellen" rollen über den Ehrenhof bis vor den Haupteingang, die geladenen Gäste einer bevorstehenden festlichen Stunde drängen sich noch in dem Rund des Foyers. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Erdkunde hat der Verein für die Geschichte Berlins zu .einer Feier anläßlich des 200. Geburtstages Alexander von Humboldts in der repräsentativen Eichengalerie des Schlosses eingeladen, der Regierende Bürgermeister als „Hausherr" zu einem anschließenden Empfang. Unser Vorstandsmitglied Prof. Dr. K. Kettig als erster Vortragender stellt den zu Ehrenden in die geistige Situation seiner Zeit, in den Berliner Vormärz, hinein. Alexander von Humboldt war 1827 dem Rufe in seine Heimatstadt Berlin gefolgt, wo er sehr schnell und noch brillanter die Rolle wiederfand, die er lange Jahre hindurch im wissenschaftlichen Leben wie auf dem Parkett der Salons von Paris gespielt hatte. Mit ihm und ganz hervorragend durch ihn wandte sich das Erkenntnisstreben des Menschen von der Idee, der Spekulation zur Wirklichkeit, vom universalen Denken zum Einzelnen, Singulären, zur Empirie. Schon die Aufklärung hatte den naturwissenschaftlich-mathematischen Geist so befördert wie den individualistischen, humanitären, freiheitlichen - in ihr wurzelt Alexander von Humboldt, von hier ist sein stetes Bemühen zu verstehen, Materialien nicht nur zu sammeln, sondern auch universale Zusammenhänge zu erkennen und gedanklich zu bewältigen. Goethes Weltbild von den Urformen der Natur und ihrem geistigen Seinsgrund berührt sich hier mit den Überzeugungen Humboldts. In den berühmten Kosmos-Vorlesungen im Hause der Singakademie, die er schon 1827 aufnahm und die sich zu den meistbesuchten Bildungsmöglichkeiten der Stadt zählen konnten, bot er, die romantische Naturphilosophie Schellings hinter sich lassend, naturwissenschaftliche Erkenntnis für alle: „Mit dem Wissen kommt das Denken, und das Denken verleiht dem Volk Ernst und Macht." Nach 30jähriger Arbeit daran erschien 1845 der erste gedruckte Band der Kosmos-Vorlesungen in der damals hohen Auflage von 15 000 Exemplaren und erregte allgemeines Aufsehen; viele Übersetzungen entstanden. Zu den Mitarbeitern gehörten die Brüder Grimm. Berlin war eine Stätte der exakten Wissenschaften geworden, die von hier aus ihren Weg nahmen wie ihn mit Aufklärung und Romantik schon andere geistige Bewegungen genommen hatten, und große Namen stehen neben dem Humboldts, der mit vielen dieser Männer wissenschaftlichen Verkehr und gesellschaftlichen Umgang pflegte: mit Lichtenstein, dem Zoologen, dem Chemiker Mitscberlich, dem Physiker Erman, dem Botaniker Willdenow, dem Geographen Karl Ritter, dem Geologen von Buch und mit noch manchem anderen. Einen neuen 279 Ausgangsort hatten auch die Geisteswissenschaften in ihren bedeutenden Repräsentanten bezogen: Ranke, Savigny, Lachmann: vom Einzelobjekt, das in seiner Besonderheit zu verstehen ist, herkommend ging ihr Forschen und Denken auf induktivem Wege hin zu den großen obwaltenden Zusammenhängen. Wenn August Boeckh den griechischen Alltag beschrieb, saß Alexander von Humboldt zu seinen Füßen. Auch bei Mitscherlich und Ritter hörte er. Für Hegel freilich und dessen Metaphysik konnte er bitteren Spott parat halten. Ungeachtet des Gegensatzes zwischen den ständisch-feudalistischen Vorstellungen König Friedrich Wilhelms IV. und den liberalen, konstitutionellen Neigungen Humboldts bestand zwischen den beiden so ungleichen Männern eine herzliche Freundschaft. Der König würdigte die Leistungen Humboldts durch Ernennung zum Kammerherrn und Kanzler des Ordens pour le merke. Humboldt, der Kosmopolit, verband das aufstrebende Berlin mit der Welt, die Stadt wird ihrem größten Bürger immer Dank schuldig sein. Eröffnung der Alexander-von-Humboldt-Ausstellung. Von links nach rechts: Prof. Dr. Kettig, Senator Prof. Dr. Stein, Prof. Dr. Dr. Friedensburg, der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz, Frau Dr. Kühn, der Vorsitzende Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm. Prof. Dr. Dr. h. c. Friedensburg, der Vorsitzer der Gesellschaft für Erdkunde, sprach sodann über Humboldt als Bergmann und Geologe. Der 22jährige hatte seine Studienjahre an der Bergakademie in Freiberg in Sachsen abgeschlossen, während derer er schon mit einer kleinen Schrift über die Entstehung des Basalts am Niederrhein in eine damals aktuelle wissenschaftliche Debatte zwischen „Neptunisten" und „Vulkanisten" eingegriffen hatte. Wenn auch in der Sache irrend, zeigen die Beobachtung der Welt der Erscheinungen und der Drang, von dem Einzelfall zur Gesamtschau vorzudringen, viele Spuren meisterlicher Begabung. Fünf Jahre (1792-97) wirkte Humboldt in den Bergrevieren der jüngst vom preußischen Staat erworbenen, von Hardenberg verwalteten fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth. So jung er war, hatte er Amt und Würde eines Oberbergmeisters inne und erhielt Gelegenheit zu weiten Europa-Reisen. In Südamerika und Mexiko kamen ihm diese Erfahrungen der frühen Jahre zugute als Berater der Bergwerksbesitzer und in der Sozialfürsorge. In Mexiko wurden die Grundlagen der Vulkanologie gelegt. 280 Der Vorsitzende Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm dankte den Rednern und wies auf die Zeitbedingtheit dieses großen Lebenswerkes hin, das aber immer vom strebenden Bemühen des lebendigen Geistes Zeugnis legen wird. Der Feierstunde im Schloß Charlottenburg war eine Kranzniederlegung des Regierenden Bürgermeisters und der beiden Vorsitzenden am Grabe Humboldts im Tegeler Schloßpark vorangegangen. Gerhard Kutzsch Zehn Jahre neue Vereinsbibliothek Habent sua fata libelli - Bücher haben ihre Schicksale, ein Wort, das auch für Büchereien gilt. Was in den ersten Vereinsjahren unter dem verdienstvollen Vorstandsmitglied Stadtarchivar Ernst Fidicin als Ergänzung der Bibliothek des neuen Rathauses begonnen hatte, konnte schon zehn Jahre nach der Vereinsgründung ein Eigenleben in den Räumen des Deutschen Doms unter den Betreuern Brecht und Beringuier fortführen. Als ein Bandkatalog, das 18. Heft der „Schriften" des Vereins, erschien, war Kaufmann Alfieri der Bibliothekar, der den 2139 Nummern umfassenden Katalog mit Hilfe von Amtsgerichtssekretär Guiard zusammengestellt hatte. Um die Bibliothek im Deutschen Dom entstanden dann die „Domabende", von denen in der ersten Nummer der „Mitteilungen" des Vereins, 1884, Kenntnis gegeben wird. 1896 erschien der große Bücherkatalog (Bibliothekar war inzwischen Guiard geworden), der 1907 noch durch einen Nachtrag erweitert wurde. Als weitere Bibliothekare wirkten Magistratsrat Schultz, Rektor Höft, Rechnungsrat Heitepriem und von 1922 bis zum Untergang der Bibliothek am Kriegsende der Privatgelehrte Felix Hasselherg. 1939 belief sich der Gesamtbestand auf 9030 Bände. In den „Mitteilungen des Vereinsvorsitzenden" vom 20. April 1944 heißt es, daß unser Verein sein Heim im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt und fast seine gesamte Bücherei und das Archiv am 30. Januar 1944 verloren hat; „nur wenig hat gerettet werden können". Der Bibliotheksschlüssel wurde, wie zahlreiche Utensilien, von unserem jetzigen Ehrenmitglied Arthur Lessing aus den Trümmern geborgen und bildet heute eine Erinnerung an die Vereinsräume und die Bibliothek im Deutschen Dom. Aber bereits bei der konstituierenden Sitzung des Vereins für die Geschichte Berlins am 29. April 1949 im Schöneberger Rathaus gab Dr. Kaeher Auskunft über die Restbestände der Bibliothek, die, wie inzwischen auch an anderer Stelle nachzulesen ist, damals der Stadtbibliothek Ost-Berlins übergeben wurden. Erst 1958 machte es ein Zuschuß des Zahlenlottos möglich, unter Mithilfe des Vorstandsmitgliedes Prof. Dr. Kettig einen neuen Bestand zu schaffen. Als die Bibliothek in ihrem jetzigen Heim in der Senatsbibliothek am 2. Oktober 1959 eröffnet wurde, zählte sie 1255 Bände, die in einem ersten großen Bücherverzeichnis zusammengefaßt und für die Berlin-Bibliographie mit herangezogen wurden. Inzwischen mehrte sich der Bestand auf 4700 Nummern, zu denen noch 108 Reihen von Tauschpartnern aus beiden Teilen Deutschlands kommen. Die Deutsche Klassenlotterie machte anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Bibliothek eine weitere Spende, die für das Füllen schmerzlicher Lücken verwendet werden soll. Bibliothekar ist seit Wiederbeginn Karlheinz Grave, dem die Eingliederung der Bibliothek in den Berliner Gesamtkatalog und die Aufstellung der Bücher nach einer systematischen Ordnung zu danken sind. Frau Friedel Kaeher setzt sich in der besten Tradition in gleicher Weise unverdrossen für die Bibliothek ein. Im Rahmen einer kleinen Feierstunde am 17. Oktober dankte der Vorsitzende, Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, dem Bibliothekar Grave und Frau Kaeher für Mühe und Sorgfalt, die sie der Bibliothek in den zurückliegenden Jahren insgesamt und einer kleinen Ausstellung von Büchern und Erinnerungsstücken im besonderen haben zuteil werden lassen. H. G. Schultze-Berndt * Der Verein für die Geschichte Berlins dankt dem Berliner Zahlenlotto für eine Spende von DM 15 000,- für die Vereinsbücherei. Es konnten mit diesen Mitteln bereits empfindliche Lücken in unserer nach der Vernichtung durch Kriegseinwirkung wiederaufgebauten Berlin-Bibliothek geschlossen werden. Die diesen „Mitteilungen" beiliegende Glückwunschkarte (Schloß Charlottenburg, gestochen von / . G. Wolf gang) ist, wie alljährlich, eine Spende unseres Mitgliedes Herbert Adam. 281 Von unseren Mitgliedern: Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke hat einen Ruf als Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität München angenommen. * Dipl.-Kfm. Kurt Räder stiftete unserer Bibliothek die eingebundenen Jahrgänge 1950 bis 1968 der „Berliner Wirtschaft", mehrere Berliner Adreßbücher sowie das neueste, von ihm bearbeitete Berliner Handelsregister. Vorstand und Bibliotheksleitung danken für diese wertvolle Spende. * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag an Herrn Ernst Hackemesser, Frau Erna von Wolff-Hartmann, Herrn Dr. Karl Bergerhoff, Frau Magdalena Bellee, Frau Gertrud Warzecha, Herrn Erich Kemnitz, Frau Elisabeth Baron; zum 75. Geburtstag Herrn Karl Lortzing, Herrn Dr. Hermann Fricke und Herrn Bruno Jahnke. * Durch ein bedauerliches Versehen ist in der Totenliste des Mitgliederverzeichnisses die Nennung unseres verdienstvollen, 1964 verstorbenen Mitgliedes Rudolf Danke unterblieben. Buchbesprechungen Franz Hessel: Spazieren in Berlin. Rogner & Bernhard, München 1968. 258 Seiten. DM 24,-. Ein junger Münchener Verlag legt als eines der ersten Werke seiner Produktion das BerlinBuch des heute weithin vergessenen Schriftstellers und Lektors Franz Hessel vor. Gelassenheit, ja ein Hauch von Melancholie durchzieht diese Wanderungen durch die Stadt gegen Ende der zwanziger Jahre, deren Vergangenheit uns heute noch viel ferner scheinen will als sie tatsächlich ist. Sofern ihnen die Erstausgabe von 1929 nicht schon bekannt ist, wird das Buch alle Freunde Berlins mit der warmen Sachlichkeit seiner Schilderungen, den vielen eingeblendeten historischen Details, der Glätte seines Ausdrucks für sich einnehmen - ein feuilletonistisch gut eingekleideter „Baedeker". Q J(utzsch Falk-Plan. Großer Spezial-Stadtplan Berlin. Patentgefaltet. 27. Auflage. Mit den Postzustellbereichen auf dem Plan. Falk-Verlag Hamburg-Berlin-Den Haag-London. DM 4,80. Der neue Falk-Stadtplan von Berlin kann für sich in Anspruch nehmen, durch seine Faltung und dadurch äußerst platzsparende Gestaltung als Taschenplan zu gelten. Wie seine Vorgänger wird sich auch dieser mit seinem Straßenverzeichnis und der Liste der Behörden und Dienststellen, Verkehrseinrichtungen, Auskunftsstellen, Theater und Konzertsäle (in Berlin-West) sowie der Sehenswürdigkeiten, Museen und Sportanlagen (in Berlin-West und in Berlin-Ost) durchsetzen. Redaktionsschluß war Januar 1969. Insofern sind die beim Flughafen Tegel angegebenen Flugverbindungen hinfällig. Aber die Falk-Pläne haben nach Angaben des Verlages nur eine Gültigkeit von ein bis zwei Jahren. Vielleicht kann dann der interessanten Beikarte die eine oder andere Vergnügungsstätte hinzugefügt werden. Sie alle kennenzulernen wäre ohnehin eine Sisyphusarbeit. H. G. Schultze-Berndt STEGLITZ: Ein Berliner Bezirk - gestern - heute - morgen. Herausgegeben vom Bezirksamt Steglitz von Berlin, arani Verlags-GmbH, Berlin 33, 1968. DM 16,80. Vor uns liegt eine Neuerscheinung, bearbeitet von Walther G. Oschilewski unter Mitwirkung des unlängst verstorbenen Heimatforschers Max Philipp, die mit einem Vorwort des Bezirksverordnetenvorstehers Bloßfeldt und des Bezirksbürgermeisters Hoejer eingeleitet wird. Zahlreiche Schwarzweiß-Aufnahmen und die Wiedergabe einer Federzeichnung von O. Chr. Sahler aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts bringen mit dem Begleittext einen umfassenden Überblick über die Geschichte und Entwicklung der alten Siedlungen Steglitz, Lankwitz, Giesensdorf und Lichterfelde, die im Jahre 1920 bei der Gründung von Groß-Berlin zum Verwaltungsbezirk Steglitz zusammengefaßt wurden. 282 Wir alle kennen das Schloß, das sich der Staatsminister von Beyme im Jahre 1804 errichten ließ, in dem später der Generalfeldmarschall von Wrangel im Sommer wohnte und das vor einigen Jahrzehnten durch einen Anbau an der Straßenseite verschandelt wurde. Aber wer hat gewußt, daß im Jahre 1840 zwischen Schloß und Bahnhof Steglitz in einer 200 Personen fassenden Bretterbude ein Sommertheater eröffnet wurde, das den stolzen Namen „Schauspielhaus" führte? Im Zuschauerraum wurde sogar eine Loge für das „Königliche Haus" bereitgehalten. Die Herrlichkeit fand schon zwei Jahre später ein Ende. Nach späteren glücklosen Theaterexperimenten in Steglitz wurde auf dem Schloßgelände im Jahre 1921 das Schloßparktheater eröffnet, und zwar das „Große Haus" und das „Kleine Haus". Das „Große Haus" wurde später ein Kino und brannte im Kriege aus, während das „Kleine Haus" - der umgebaute Pferdestall des Schlosses - erhalten blieb und in den Nachkriegsjahren von Boleslav Barlog zu einem der künstlerisch bedeutendsten Theater Berlins geführt wurde. Im geschichtlichen Teil wird ferner ausführlich die Entstehung der Jugendbewegung geschildert, die von Steglitz ausging und im Jahre 1901 im Steglitzer Ratskeller zur Gründung des Wandervogels führte. Den größten Raum im Bilderteil nehmen die zahlreichen Neubauten der Nachkriegszeit in Anspruch, darunter eine Luftaufnahme des größten Objekts, des Klinikums der Freien Universität Berlin. Leider haben sich in das Werk einige Fehler eingeschlichen; z.B. ist das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Gutshaus in Lichterfelde (das „Camenn-Schlößchen") nicht 1299 entstanden und auch nicht 1799 ausgebaut worden, sondern es wurde um 1865, wahrscheinlich auf den Grundmauern eines älteren Gutshauses, erbaut und 1952 restauriert. Die ausliefernde arani Verlags-GmbH, bietet ihren Lesern etwas Neues: Ein Buch ohne Seitennumerierung. Walter Ruppel Adriaan von Müller: Berlin vor 800 Jahren. Schriften zur Berliner Kunst- und Kulturgeschichte 11, Verlag Bruno Hessling, Berlin. 128 Seiten. DM 11,80. Jedesmal, wenn der Prähistoriker Adriaan von Müller ein neues Buch ankündigt, werden die Fachwelt und die interessierten Liebhaber nicht enttäuscht. Nach dem vor 4 Jahren erschienenen Werk „55 000 Jahre Mensch und Kultur im Berliner Raum", das großes Interesse erregte, liegt uns jetzt die Neuerscheinung „Berlin vor 800 Jahren" vor. In alphabetischer Reihenfolge werden knapp und übersichtlich alle alten Ortsteile von GroßBerlin behandelt, indem der Leser mit der Geschichte des frühen Mittelalters vertraut gemacht und über alle bisherigen vorgeschichtlichen Funde auf dem laufenden gehalten wird. Erwähnt werden auch die zahlreichen nicht mehr bestehenden Siedlungen im Groß-Berliner Raum, die sogenannten Wüstungen, und die alten Teeröfen. Das Werk enthält 27 Abbildungen, darunter einige Vergrößerungen von Ausschnitten alter Landkarten. Ein Lageplan, Erläuterungen wichtiger heute nicht mehr gebräuchlicher Begriffe und eine Zeittafel von 1100-1245 bilden eine sinnvolle Ergänzung. Das Buch sei Pflichtlektüre eines jeden Lehrers, der Unterricht in Berliner Heimatkunde erteilt! Walter Ruppel Arne Hengsbacb: Die Anfänge des Berliner Vorortverkehrs. 32 Seiten, 7 Abbildungen, 2 Tabellen. In: Böttchers Kleine Eisenbahnschriften, Heft 32. Verlag Werner Böttcher, 46 Dortmund, Hohe Str. 57, Postfach 30. DM 5,00. Nachweise darüber, wann, wo und warum die Heere der Römer, Griechen und Perser einander vor zweitausend und mehr Jahren befehdeten, sind überreich vorhanden und weltweit erhalten geblieben. Unterlagen über Anfänge und Entwicklung des Berliner Nahverkehrs hingegen waren stets nur dünn gesät und sind durch Kriegseinwirkung im Berliner Raum weiterhin dezimiert worden. Arne Hengsbacb fällt das Verdienst zu, nach bienenfleißigem Stöbern in den heute oft nur schwer zugänglichen Quellen eine Kurzfassung über die Frühentwicklung des Berliner Ringbahn- und Vorortverkehrs entworfen zu haben. Hengsbach reiht nicht Fakten aneinander, sondern zeigt Zusammenhänge auf, er führt exakte Daten an für Erstbefahrungen von Neubaustrecken, für Bahnhofseröffnungen und neue Zugläufe, er referiert über Fern-, Vorort-, Ausflugs-, Berufs- und Pendelverkehr, nennt Verkehrsdichte, Fahrpläne und Tarife und erklärt, was unter „Omnibuszügen" zu verstehen war, die vor hundert Jahren als Vorläufer unserer heutigen S-Bahn in die nähere und weitere Umgebung Berlins dampften. Der interessierte Leser würde auf Seite 16/17 des Heftchens einer simplen Planskizze des Bahn283 bereiches allerdings erfreuter begegnen, als der Vergrößerung des auf Seite 2 schon einmal gezeigten Faksimileabdruckes des ersten Ringbahntarifes. Die Berliner Verkehrsdichte ist ein Mosaik mit vielen Lücken. Es ist Arne Hengsbach gelungen, weitere dieser Lücken zu füllen und die Reihe seiner bereits erschienenen, stets interessanten Reportagen über den Berliner Nahverkehr um einen erfreulichen und belehrenden Beitrag zu vermehren. Hans Schiller Otto Schneidereit: Berlin wie es weint und lacht. Spaziergänge durch Berlins Operettengeschichte. VEB Lied der Zeit Musikverlag, Berlin 1968. 336 S., 20 S. Abb., Leinen DM 16,50. Sachkundig und dabei unterhaltsam bietet dieses Buch einen Querschnitt durch das Berlin der „leichten Muse". Es berichtet von den ersten Anfängen der Singspiele und Lokalpossen im 18. und 19. Jh., von den dazugehörigen, manchmal recht abenteuerlichen Theatergründungen, von den Schicksalen der Komponisten, Librettisten, Theaterdirektoren und Schauspieler bis zum Entstehen der eigentlichen Berliner Operette, die mit den Namen Paul Lincke, Jean Gilbert und Walter Kollo untrennbar verknüpft ist. Mit den gleichzeitigen Revuen im „Apollo"- und „Metropol"-Theater erreicht Berlin - nach Paris und Wien - jene Weltgeltung in der Operettengeschichte, für die eine Fülle illustrer Namen in den Jahrzehnten bis zum 2. Weltkrieg beredtes Zeugnis ablegt. Der Autor weiß viele amüsante und auch bisher unbekannte Begebenheiten aus dem Treiben vor und hinter den Kulissen zu erzählen, indem er nicht nur die Stars und Programme, sondern auch das Lokalkolorit und das Publikum mit einbezieht. Zahlreiche zeitgenössische Bilddokumente im Text und ein umfangreicher Bildteil machen das Werk für denjenigen lesenswert, der die Zeitgeschichte einmal aus anderer Sicht erleben möchte. P. Letkemann Propst Heinrich Grüber: Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten. 1968. Leinen. 429 Seiten. DM 20,-. Kiepenheuer & Witsch, Köln. Der Rezensent gehört (und bekennt sich auch) zur Generation der Vierzigjährigen. Da er weder Theologe noch Historiker ist, die in den vorliegenden Lebenserinnerungen festgehaltenen Ereignisse auch nur zum geringsten Teil selbst miterlebt hat, bedarf es beinahe einer Erklärung, weswegen nicht ein Sachverständigerer diese Buchbesprechung übernommen hat. Sie liegt einfach darin, daß offenbar jeder Experte scheute, sich mit den Memoiren eines Mannes auseinanderzusetzen, dessen Verdienste als Leiter des Büros Grüber im Berlin des Dritten Reiches unumstritten sind (die Schilderungen dieser Arbeit bilden eines der bemerkenswertesten Kapitel der Erinnerungen), der als Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche bei der Regierung der DDR 1949 bis 1958 aber nicht ohne Kritik amtierte (vieles aus diesem Abschnitt des Buches klingt nach Rechtfertigung), und der zuletzt durch sein unermüdliches Eintreten für die Anerkennung Israels, notabene durch die Bundesrepublik Deutschland, weithin bekanntgeworden ist. Da mag es von Interesse sein, auch von seinem übrigen Leben und Wirken zu erfahren, daß er z. B. Kriegsfreiwilliger des Ersten Weltkrieges war, als Student in Bonn als Abstinenzler den ersten Milchausschank in der Universität einrichtete, als Domkandidat in Berlin „Bruder Vesuvius" oder der „kleine Dryander" genannt wurde, als Zeitfreiwilliger diente und seiner politischen Haltung wegen während der Ruhr-Besetzung 1923 als junger Pfarrer aus Dortmund nach Berlin ausgewiesen wurde. Später beschäftigte er sich in der kirchlichen Sozialarbeit mit dem Genossenschaftswesen, baute den Arbeitsdienst mit auf, dessen Leitung er zusammen mit dem Staatssekretariat im Arbeitsministerium unter Franz Seldte übernehmen sollte. Aus dieser Sozialarbeit tat er dann einen Sprung in die Hilfe für Verfolgte des NS-Regimes, insbesondere für jüdische Mitbürger (1936 bis 1940), bis er selbst von 1940 bis 1943 in Sachsenhausen und Dachau inhaftiert wurde. In Kaulsdorf, wo er eine Pfarrstelle hatte, wurde er nach dem Zusammenbruch Bürgermeister, dann zum Propst zu Berlin bestellt, ein neuer Titel, den er mit Inhalt ausfüllte. Als Mitglied der Kirchenleitung hatte er Gelegenheit, mit zahlreichen Kirchenführern zusammenzuarbeiten, und seine Kritik ist oft sehr herb, besonders an Bischof Dibelius, dessen Neigung zum episkopalen System der bruderrätlidien Richtung Grübers gegenüberstand. Hingegen bekundet Grüber für Eugen Gerstenmaier als Mann der Bekennenden Kirche großen Respekt (S. 208, 212, 267, 271). Daß sich Grüber mit allen Kräften gegen die Zerstörung historischer Kunstwerke wandte (S. 242), bringt ihn den Bestrebungen unseres Vereins näher. In diese Nachkriegszeit fällt auch die Gründung der CDU, und Grüber nimmt für sich in Anspruch, den Ausdruck „Union" vorgeschlagen zu haben, distanziert sich aber von der zusätzlichen Bezeichnung „christlich". Breiten Raum nehmen dann die Schilderungen seines Verhältnisses und des Verhältnisses der Evangelischen Kirche zur DDR ein. Daß es sich um ein „undankbares Amt" handelte (S. 402), bedarf keiner Erläuterungen. Der Verfasser zitiert einen Leserbrief: „Wenn der Kanal zwischen Kirche und Regierung verstopft war, dann hieß es, 284 Grüber geh hinein und bring alles in Ordnung. Dort aber, wo Grüber aus dem Kanal herauskam, rümpfte man die Nase und sagte: Der Grüber stinkt." Die Enttäuschung über die von der Regierung der DDR einseitig verfügte Beendigung seiner Tätigkeit als Bevollmächtigter ist deutlich spürbar. Man wird bei der Lektüre gerade dieses Abschnittes ein gewisses Gefühl des Zwiespalts nicht recht los. Es scheint, als wolle Grüber auch Handlungen decken oder Ereignisse verharmlosen, für die er wirklich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Auf Seite 353 schreibt er etwa, die Zahl der Mitglieder der Jungen Gemeinde habe sich verringert, „manche waren in den Westen gezogen". Warum reiht er den nun wahrlich liberalen Theodor Heuss unter die Kalten Krieger ein, bloß weil er dem Eröffnungsgottesdienst des Kirchentages 1951 in der Marienkirche nicht beiwohnte? Warum schreibt er, daß dort die Plätze für die Repräsentanten der Bundesrepublik leer blieben, obwohl doch bekannt ist, daß Hermann Ehlers, immerhin als Bundestagspräsident der zweite Mann im Staat, zugegen war? Warum dieses selektive Gedächtnis? Ist es nur Zeichen einer gewissen menschlichen Schwäche, die etwa bei der Schilderung seiner Rückkehr vom Eichmann-Prozeß spürbar wird, wo er sich beklagt, daß ihn in Tempelhof kein offizieller Vertreter der Stadt empfing, und er mit den Kameramännern des DDR-Fernsehens vorlieb nehmen mußte (S. 410)? Oder gilt ganz schlicht für ihn, was ihm während des Krieges einst sein stellvertretender Batteriechef sagte (S. 44): „Wenn Sie später Pfarrer sind, müssen Sie gleich einen roten Talar anziehen, damit man weiß, wes Geistes Kind Sie sind." Hierher würde passen, daß er Widerstand nicht allgemein für gut hält, sondern auch Fälle eines verwerflichen Widerstands gegen die Staatsgewalt zitiert. Im Vorwort schreibt Propst Grüber: „Manchen, die mein Leben verfolgten, bereitete es Schwierigkeiten, diese oder jene Äußerung von mir, diese oder jene Entscheidung zu verstehen . . . Auch mit leeren Händen kann man schenken, auch mit gefesselten Händen kann man mittragen. Wenn ich davon der Generation der Enkel etwas bezeugt habe, so hat dieser Lebensbericht seinen Zweck erfüllt." Diese Erinnerungen sind tatsächlich ein Zeugnis, und insofern gebührt ihnen aller Respekt. H. G. Sdjultze-Berndt Wilhelm Leibusch: Einer aus der Lausitzer Straße. Eine katholische Jugend in Berlin-Kreuzberg zu Anfang des Jahrhunderts. Morus-Verlag GmbH., Berlin 1968. 251 Seiten. DM 15,-. „Die Lausitzer Straße im Südosten von Berlin liegt zwischen der Skalitzer Straße und dem Kottbusser Ufer; sie wird von der Wiener Straße und der Reichenberger Straße gekreuzt. Häuser zählt sie an die fünfzig, das heißt fünfzig Häuser, die an der Straße stehen. Dahinter stehen noch einmal fünfzig Häuser, und manchmal steht hinter einem Hinterhaus noch ein Haus." Dies ist die „Lage" des Schauplatzes, auf dem wir Leben und Aufstieg eines „Kreuzberger" Kindes „Jahrgang 1902" verfolgen, das sich aus bedrückten Verhältnissen zum katholischen Geistlichen emporarbeitet. Wir haben aus jenen Jahren Autobiographien, aber sie zeigen zumeist den Werdegang von Persönlichkeiten aus sozial gesicherten Verhältnissen. Dieser Alex Schubart aber kommt aus dem Kleinbürgertum und muß sich - von verständnisvollen und opferbereiten Eltern unterstützt, auf dem Luisenstädtischen Realgymnasium durch „Freischule" und von den Lehrern gefördert - Wissen und Stellung mühsam erringen. Es ist ein Bildungsroman, dessen Abschnitte und Entwicklungsstufen auch in unserer, unterrichtsmäßig ganz anderen Zeit vielen zum Nachdenken und zum Ansporn dienen könnten. Zweiter Pluspunkt dieses Buches: es macht uns mit der katholischen Bevölkerung dieses rasch besiedelten Wohngebietes und ihren Sorgen bekannt und ihrer Konfrontation mit den politisch „linksgerichteten Anwohnern, die in Fabriken und Mittelbetrieben hart schaffen. Die Spekulation der Gründerzeit hatte auch dort jene Mietskasernen (mit zwei und drei Hinterhäusern) aufschießen lassen, die uns noch heute große Sorge bereiten, ohne daß sie „Sanierungsgebiet" sind. In diese Zinshäuser zogen nach 1870 die Zuwanderer aus den östlichen Provinzen des Reiches, so daß allein in der Umgebung des Görlitzer Bahnhofes bald 18 000 Katholiken lebten. Sie hatten zunächst nur Notkapellen in der Wrangel- und der Lausitzer Straße. Eine Stiftung ermöglichte dort den Bau der Liebfrauenkirche (eingeweiht 1905), zu der hier das St. Marienkrankenhaus (mit Kapelle) kam, und wir erleben nun die in dieser Stadtgegend bescheidenen Jahre bis 1914 und die verstärkte Not der Kriegs- und Nachkriegszeit mit ihren Unruhen und starken weltanschaulichen Auseinandersetzungen. „Der Autor erzählt vom Leben der kleinen Leute in einem Stadtteil, der sonst nicht im Mittelpunkt steht", sagt ein Vermerk auf dem von Hans Schulze-Forster farbig gestalteten Umschlag. Wir möchten es noch positiver sagen: über das Persönliche hinaus ist diese Lebensbeschreibung zugleich Historie eines Quartiers, das noch keine lokal- und sozialgeschichtliche Sonderdarstellung und dann in so fesselnder Form gefunden hat, wie der Verfasser sie hier für die Jahre 1902-1922 bietet. fjans Pappenheim 285 Peter Demetz: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Carl Hanser Verlag, München. (Literatur als Kunst. Eine Schriftenreihe, herausgegeben von Kurt May f und Walter Höllerer.) Weniger den .Fontane-Liebhaber als den wissenschaftlichen Literaturbeflissenen dürfte dieses Buch angehen und ansprechen. Es ist auch, bei allem Reichtum der Zitate, kein Werkstattbesuch bei Fontane, sondern eher eine Instrumentariumsbesichtigung des Romanschreibers überhaupt, insbesondere des historischen Romans, immer ausgehend von Walter Scott. Der Verfasser kennt offenbar nicht die ausgezeichnete Arbeit aus der Oskar-Walzel-Sdmle von Dr. Käte Friedemann, nicht „die Rolle des Erzählers in der Epik" sowie das Büchlein von Jacob Wassermann „Die Kunst der Erzählung". Er bringt die bemerkenswerte Entwicklung von der „romance", also der alten Abenteurer- und Rittergeschichte, zum „echt" historischen Roman, gerade auch Fontanes. Er trennt den „historisierenden Professoren-Roman" (wohl der Dahn, Ebers, Scheffel, Wiehert) vom zeitnahen „Gesellschaftsroman", dem „Trivialroman" und dem „Kriminalroman". Er gibt dessen Entstehungsgeschichte: ursprünglich ausgehend von den Prozeßberichten der Kaplane am Londoner Strafgefängnis Newgate, sei er durch die drucktechnischen Errungenschaften der Jahrhundertmitte „zum Konsumartikel der lesenden Masse" geworden. Können wir aber dem Verfasser zustimmen in seiner Meinung, Fontane sei „kein Landschaftsdichter"? Wer „Meine Gräber", „Butterstullenwerfen", „Fehrbellin" geschrieben hat, läßt doch auch im Roman sein Landschaftsgefühl erkennen! Nach dem ersten Teil mit seinem methodischen Problem und der Betrachtung „Vor dem Sturm", werden im zweiten Fontanes „Pitaval", d. h. seine kriminalistischen Werke behandelt, im dritten „der Roman der guten Gesellschaft", dann wird unter dem Stichwort „Obergang": „Schach von Wuthenow" - als „Meisterschaft": „Unwiederbringlich" - , als „später Glanz": „Der Stechlin" dargestellt. Ein vierter Teil untersucht mit gelehrter Genauigkeit die drei grundsätzlichen Typen der Namengebung, reizvoll, auch bei den „symbolischen Motiven" dem Verfasser zu folgen. Am Schlüsse betont der „Kritische Ausblick", Fontane zähle „zu einer mittleren Generation zwischen den literarischen Epochen: man entzieht sich dem schon leblosen Erbteil romantischer Entwicklung ohne dem naturalistischen Interesse an Physiologie und Wirtschaft zu verfallen". Der Verfasser, aus der Schule der modernen amerikanischen Literaturwissenschaft gekommen, bekennt auf seiner letzten Seite, er sei Fontane „mit jener nüchternen Liebe zugetan, welche die Grenzen ihres Gegenstandes kennt und dennoch beharrt". Sein Buch „versetze Fontane aus den engumgrenzten Gärten der deutschen Literaturgeschichte in die Weiten der Weltliteratur", so betont die Einführung. / / s e Rejcke Ernst Lemmer: Manches war doch anders. Erinnerungen eines deutschen Demokraten. Verlag Heinrich Scheffler. Frankfurt am Main 1968. Mit 16 Bildtafeln. 400 Seiten. DM 24,-. Ernst Lemmer, gebürtig aus Remscheid, hat die wesentlichen Jahre seines Lebens in Berlin und zuvor in Klein-Machnow (Kreis Teltow) zugebracht. Bekannt wurde er, als er 1924 als jüngster Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei in den Reichstag einzog. Damals war er Generalsekretär der Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften, und diese demokratische Tradition eines Gewerkschafters setzte er nach dem Zweiten Weltkrieg als 2. Vorsitzender des FDGB fort, noch über den Zeitpunkt hinaus, da er den Vorsitz der von ihm mitbegründeten CDU in Berlin abgeben mußte. Als Bundesminister in verschiedenen Kabinetten und als Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers für Berlin braucht er nicht vorgestellt zu werden. Wenn er schreibt: „Von Anfang an war ich ein begeisterter Berliner. Die Impulse der Weltstadt haben manch einen, der in der Reichshauptstadt seine Lebensaufgabe fand, davor bewahrt, zum politischen Spießbürger zu werden", glaubt man es ihm aufs Wort. Ebenso seine Aussage von der vorhergehenden Seite: „Ich bin - wie mein Lebenslauf zeigt - nicht einer von jenen, die sich mit harten Ellenbogen ihre Positionen erworben oder die mit unfairen Mitteln nach irgendwelchen Pöstchen gestrebt haben." Ob die Bezeichnung, die Konrad Adenauer ihm gab, nämlich der „rabiateste Berliner" zu sein, den er kenne, zutrifft, muß mit Fug und Recht bezweifelt werden. Das Buch, nach Worten des Verfassers nicht besonders systematisch, aber doch wenigstens lebendig und aufrichtig, nimmt für Lemmer ein, der von sich selbst sagt: „Nach meiner Meinung findet der Politiker dann am ehesten das notwendige Vertrauen seiner Mitmenschen, wenn er sich so gibt, wie ihn der Herrgott nun einmal geschaffen hat, und allezeit daran denkt, daß er ein ganz gewöhnlicher Sterblicher ist." Lemmer hat keine Auseinandersetzungen gescheut und sich für seine Oberzeugung nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern in der rauhen 286 Wirklichkeit des politischen Lebens eingesetzt. Diese Eigenschaft, und Liebhabereien, die ihn mit einer Vielzahl von Bürgern verbinden wie Fußballspiel, handfester Skat und gutes Bier, haben ihn sympathisch, ja populär werden lassen. Der über siebzigjährige Autor, ein „gelernter Berliner", will auch künftig nicht von dieser Stadt lassen: „Ich lebe nun seit sechsundvierzig Jahren in Berlin und kann, was immer auch geschehen möge, nicht mehr von dieser Stadt lassen. In ihrer Erde werde ich neben meiner Frau meine letzte Ruhestätte auf dieser Welt finden." Daß er seine Erinnerungen, durch eine Erkrankung bedingt, jetzt erst vorgelegt hat, werden ihm alle hoch anrechnen, die der Zeitgeschichte verpflichtet sind. H. G. Schultze-Berndt Karl Silex: Mit Kommentar. Lebensbericht eines Journalisten. 300 Seiten, Ganzleinen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1968. DM 22,-. Weit spannt der Autor den zeitgeschichtlichen Bogen dieses in drei Abschnitte aufgeteilten Buches, in dem er versucht, Rechenschaft über politische Vorgänge zu geben; gleichzeitig zieht er das Resümee seiner Erfahrungen. Am Beispiel seiner Familie - „Sx" wurde 1896 als Pastorensohn in Stettin geboren und verlebte seine Jugend noch in der Wilhelminischen Ära - zeigt es uns ein Kapitel deutscher Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts. Kadettenzeit, Kommandant eines Minensuchbootes im Ersten Weltkrieg, Studium und Promotion waren Lebensabschnitte, ehe er die journalistische Laufbahn begann. Über den „Deutschen Handelsdienst", das „Hamburger Fremdenblatt" und das Statistische Reichsamt kam er zur „DAZ" - Deutsche Allgemeine Zeitung - , deren Inhaber Hugo Stinnes und deren Chefredakteur Dr. Paul Lensch waren. Schon 1925 ging er als Korrespondent der „DAZ" nach London. Hier erlebte er die Weltwirtschaftskrise, das Scheitern der Weimarer Republik unter dem Reichskanzler Heinrich Brüning und den Regierungsantritt Hitlers. Als 1933 die „DAZ" für drei Monate verboten wurde, begann die von ihm als „Kampfjahre" titulierte Zeit, die im zweiten Abschnitt seines Buches behandelt wird. Um ein Wiedererscheinen der „DAZ" zu ermöglichen, übernimmt er den Posten des Chefredakteurs, den er erst nach Jahren zwangsweise mit dem Platz auf einem Minenschiff vertauscht, nachdem der Druck auf die Schriftleitungen von oben immer stärker wurde. In diesen Jahren der Gleichschaltung der Zeitungsmeldungen durch die Reichspressekonferenz gelingt es ihm, das Blatt den übelsten Eingriffen zu entziehen. Als Hauptpunkt dieses Abschnittes, ja vielleicht des ganzen Buches, muß jedoch die Auseinandersetzung mit Margret Boveris Buch „Wir lügen alle" angesehen werden. Nach Kriegsende gelang es ihm, zwei Zeitschriften zu gründen, von denen eine, die „Bücherkommentare", heute noch besteht. Die zweite ging zu Gunsten des „Tagesspiegels" ein. „Sx" war Chefredakteur dieser Berliner Tageszeitung von 1955 bis 1963 und ist noch heute ihr sonntäglicher Leitartikler. Das vorliegende Buch - es ist sicher eines der besten des Jahres zum Thema Zeitgeschichte und die persönliche Aussage des Autors können auch jüngeren Menschen empfohlen werden, zumal hier Fakten angesprochen werden, die in den ortsüblichen Geschichtsbüchern kaum zu finden sind. Klaus P. Mader Karl H, Kuppel: Großes Berliner Theater. Neuausgabe der Kritiken über Klassikeraufführungen von 1935 bis 1942 mit vielen Künstler- und Szenenfotos. E. Friedrich Verlag, Velber bei Hannover, 219 Seiten. DM 28,Wirklich - das war großes Theater! In einer Zeit, die unter der nationalsozialistischen Kunstdiktatur stand, gelang es Männern wie Gustaf Gründgens und Heinz Hilpert, die Autonomie der Kunst auf ihren Klassikerbühnen zu bewahren. Ihnen zur Seite standen Jürgen Fehling, Erich Engel, Lothar Müthel mit den hervorragenden Bühnenbildnern Rochus Gliese, Caspar Neher, Traugott Müller - um nur einige zu nennen. Und welche Fülle großer Darsteller, beseelt von einem Ensemblegeist, der sie zu höchsten schauspielerischen Leistungen befähigte: neben Gründgens Werner Krauss, Heinrich George, Eugen Klopfer, Paul Wegener, Ewald Baiser, Hermine Körner, Käthe Gold, Marianne Hoppe, Käthe Dorsch und viele mehr. Die Stückanalysen und Aufführungsbeschreibungen Ruppels sind für die Generation, die die Aufführungen jener Zeit miterleben durften, gewiß eine wehmütige Erinnerung - die heutige Generation wird sie mit fast ungläubiger Bewunderung lesen. Alice Hamacher 287 Gemäldegalerie Berlin. Kunstwerke aus den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz. Herausgegeben von Robert Oertel, Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, 1969. 144 Seiten, davon 120 Seiten Bildtafeln mit 24 vierfarbigen und 101 einfarbigen Gemälde-Reproduktionen. Leinen DM 24,-. Zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg ist hier ein preiswerter Bildband mit den 125 Hauptwerken der Gemäldegalerie Dahlem erschienen, zu denen Museumsdirektor Robert Oertel neben dem beschreibenden Verzeichnis der Tafeln und einer Bibliographie über seine Abteilung eine Einführung in die Geschichte der Berliner Gemäldegalerie und damit unserer Museen überhaupt geboten hat. Wir verfolgen die in dem „vielfach bedrängten Staatswesen der Hohenzollern" bescheidenen Anfänge seit dem 16. Jahrhundert, die planmäßige Sammlung von Kunstwerken seit dem Großen Kurfürsten in der „Kunstkammer" und der Gemäldegalerie im Berliner Schloß, die Zugänge von niederländischen Meistern durch die Oranische Erbschaft, die von König Friedrich I. geförderte Antikensammlung, die Entstehung des von dem jungen Friedrich II. angelegten Schatzes französischer Gemälde seiner Zeit und den Erwerb von Werken älterer Malergenerationen, für die er 1756 neben Schloß Sanssouci die noch heute bestehende „Gemäldegalerie" erbaute, das erste selbständige Galeriegebäude, das wir kennen. 1764 erwarb er die Gemmensammlung des Barons von Stosch und ließ noch 1786 „die Gallerie auf dem Schlosse zu Berlin" für die Schüler der Kunstakademie zum Studium der Gemälde öffnen, eine Erlaubnis, die sein Nachfolger auf die „Bildergallerie bey Sanssouci" und alle übrigen Schlösser ausdehnte. Den Anstoß zur weiteren Erschließung der königlichen Sammlungen für die Öffentlichkeit in einem Museum gab der Archäologe und Kunstkenner Alois Hirt (1797), doch konnte sein von Friedrich Wilhelm III. gebilligter Vorschlag (1810), „hier in Berlin eine öffentliche, gutgewählte Kunstsammlung anzulegen", erst nach den Freiheitskriegen realisiert werden: 1815 Ankauf der Sammlung Giustiniani in Paris für den preußischen Staat, 1821 die 3000 Gemälde des englischen Schiffsbauholzhändlers Edward Solly, der in Berlin in der Wilhelmstraße wohnte, von denen 1150 als museumswürdig angesehen wurden. Für diesen Grundstock und die Ankäufe durch Carl Friedrich von Rumohr vollendete 1830 Schinkel seinen Museumsbau am Kupfergraben. Die Tradition des Direktors Dr. Gustav Waagen wurde später durch Wilhelm von Bode fortgesetzt, der von 1872 bis 1929 besonders für die Gemäldegalerie wirkte und sie in 57jähriger Aktivität bedeutend erweiterte. - Die weiteren Schicksale der Galerie haben wir als Zeitgenossen und Tatzeugen miterlebt. Geschichte der Museen ist auch immer Geschichte Berlins, und so hoffen wir, daß diesem ersten Bildband der Reihe bald weitere über die anderen Abteilungen der Staatlichen Museen folgen, die - wie der vorliegende lebendige Führer zur Kultursubstanz unserer Stadt bilden mögen. Hans Pappenheim Bibliographischer H i n w e i s Unser Mitglied Egon Jameson, 58 Ossulton Way, London N 2, England, der unserem Verein 1931 beigetreten ist, hat im Lesesaal des British Museum in London unter den über 9 Millionen Bänden eine ansehnliche Reihe alter Bücher über Berlin entdeckt. Wie der Bibliothekar versicherte, handelt es sich zu einem Teil um Unika, die seit den Kriegsverlusten in Berlin selbst nicht mehr vorhanden sind. Herr Jameson bietet sich an, einem Besucher Londons eine sonst nur schwierig zu erhaltende Gastkarte für die Bibliothek des British Museum zu besorgen und ihn im Lesesaal auf die betreffenden Werke aufmerksam zu machen. Der Besucher könnte sich eine Liste der vorhandenen Ausgaben anfertigen, die es Herrn Jameson ermöglicht, später Fotokopien herstellen zu lassen, die binnen einer Woche aus London in Berlin sein können. Mitglieder, die einen Besuch der britischen Hauptstadt planen, werden gebeten, sich bei Interesse mit dem Vorstand in Verbindung zu setzen. SchB. 288 Im IV. Vierteljahr haben sich folgende Damen, Herren und Institutionen zur Aufnahme gemeldet: Edeltrauc Stempel 1 Berlin 31, Brabanter Str. 24 Tel. 86 17 94 (L. Beckhaus) Luise Möbus, Inh. der Tegeler Bücherstube 1 Berlin 28, Kurhausstr. 35 Tel. 40 29 81 u. 4 33 95 03 (R. Koepke) Ernst Zahn, Inh. Buchhandlung-Antiquariat Bruno Hessling 1 Berlin 30, Rankestr. 31-32 Tel. 24 34 69 (H. Hofmann) Hans-Joachim Lunow, Dipl.-Ing. 1 Berlin 48, Beyrodtstr. 50 a Tel. 7 751160 (N.Kunkel) Elisabeth Bulwahn, Kauffrau 1 Berlin 30, Bamberger Str. 28 Tel. 13 26 65 u. 24 64 39 (H. Hofmann) Heinz Amelang, Senatsrat 1 Berlin 41, Björnsonstr. 2 Tel. 8 21 26 20 (K. Bullemer) Günter Budweg, Postangestellter 1 Berlin 27, Grußdorfstr. 3-4 Tel. 43 60 21/34 (Schriftführer) Wolf Dietrich Scherbius, Landgerichtsrat 1 Berlin 51, Amendestr. 109 Tel. 49 01 79 (H. Hofmann) Joachim Drogmann, MA, wiss. Angest. im Landesarchiv Berlin 1 Berlin 33, Kissinger Str. 69 Tel. 89 97 45 (Dr. Letkemann) Dr. Wolfgang Kloppe, Internist 1 Berlin 19, Eichenallee 19 Tel. 3 04 12 38 (Vorsitzender u. Dr. H . Leichter) Heinz Schmidt, Dozent 1 Berlin 47, Britzer Damm 38 Tel. 6 87 13 37 (Schriftführer) Renate Zanders 507 Bergisch Gladbach, Igelerhof Tel. 5 05 80 (Dr. K. Pfeiffer) Dr. med. Johannes Märten, Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten 1 Berlin 37, Sundgauer Str. 33 Tel. 7 69 22 60 (F. Kaeber) Elsa-Jette Heckel, Lehrerin i. R. 1 Berlin 41, Lauenburger Str. 4 Tel. 72 29 51 (Schriftführer) Erika Schachinger, Studienrätin 1 Berlin 19, Reichsstr. 28 a Tel. 3 04 97 28 (H. Hofmann) Rainer Theobald, cand. phil., Theaterhistoriker 1 Berlin 28, Oppenheimer Weg 6 a Tel. 4 01 28 02 (K. Grave) Gerda Weber 1 Berlin 44, Weigandufer 3 a Tel. 62 88 67 (E. Brast) Wilhelm Quast, Ingenieur 2 Hamburg 50 (Altona), Eibchaussee 95 Tel. 38 93 50 (Wiedereintritt, H. Hofmann) Dorothee Strube 1 Berlin 62, Münchener Str. 25 Tel. 71 90 05 (E. Küche) Ruth Pappenheim 1 Berlin 33, Markobrunner Str. 10 a Tel. 8 21 45 10 (Dr. Pappenheim) Günter Martin, Fachlehrer 1 Berlin 33, Habelschwerdter Allee 7 Tel. 76 22 88 (H. Hofmann) VolkmarDrese, Archivar im Ev. Konsistorium Berlin-Brandenburg 1 Berlin 28, Kreuzritterstr. 6 Tel. 4 0117 00 (Dr. Weichen) Elise Riel, Apothekenhelferin i. R. 1 Berlin 61, Stresemannstr. 95, XIV. Stock, Whg. VII (O. Weber u. J. Heckel) Oskar Kruß, Dipl.-Politologe 1 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 44-46 Tel. 34 15 98 (H. Walther) Ernst-August Poritz, Holzkaufmann 1 Berlin 19, Eichenallee 62 Tel. 3 04 57 63 (H. Hofmann) Hildegard Holzt 3 Hannover, Jakobistr. 17 (Schriftführer) Ernst Alberts, Architekt 1 Berlin 28, Artuswall 31 Tel. 4 01 48 25 (K. Vogelmann) Hanni Briese 1 Berlin 19, Oldenburgallee 46 a Tel. 3 04 59 50 (E. Küche) 289 Neu bei Haude & Spener Wy«||« Reinhard Lebe Karl der Kahle wirklieh ? Über historische Beinamen Ute Gelberg, cand. pharm. 2 Hamburg 52, Bernadottestr. 43 (H. Hofmann) Herta Knopka 1 Berlin 30, Barbarossastr. 25 a Tel. 24 81 25 (H. Wetzel) Dr. Charlotte Pape, Hochsdiuldozentin 1 Berlin 42, Bayernring 26 Tel. 7 84 66 81 (Dr. Letkemann) Gustav Vogel, Vorstand der Kontinentalen Öl-Transport AG 1 Berlin 33, Teplitzer Str. 20 Tel. 89 65 29 (Schriftführer) Ilse Nicolas, Journalistin 1 Berlin 45, Tulpenstr. 22 b Tel. 76 43 56 Reinhard Lebe War Karl der Kahle wirklich kahl? Ober historische Beinamen 224 Seiten, 46 Abbildungen, Leinen DM 19,80 Sie sind die Lichtblicke aller Namenregister, die Farbtupfer im Astwerk der Stammbäume, sie schmecken nach Nordwind und Heldenschweiß, sie klingen wie ein Bänkelgesang aus alten Zeiten, sie sind witzig und treffend - vor allem aber einprägsam: die Beinamen der alten Könige, Herzöge und Grafen, der Heinriche, Friedriche und Karle. Aber stimmen die Beinamen, sind sie charakteristisch? Und wie sind sie entstanden? (B. Raebel) Liselotte Moesges, Hausverwalterin i. R. 1 Berlin 33, Sodener Str. 3 Tel. 8 22 36 93 (A. Hamecher) Lorenz Kleber, Rentner 1 Berlin 10, Fritschestr. 30 Tel. 3 01 18 37 (Schriftführer) Maria Frerichs 1 Berlin 33, Humboldtstr. 22 Tel. 8 87 04 20 (E. Kliche) Otto Bunge, Ingenieur 1 Berlin 41, Menckestr. 7 Tel. 7 91 25 84 (H. Hofmann) Renate Jaeckel, Porzellanmalerin 1 Berlin 31, Paulsborner Str. 23 Tel. 8 87 09 25 (H. Hofmann) Lebensbilder in Anekdoten Anekdoten charakterisieren oftmals viel besser die historischen Ereignisse und die mit ihnen verbundenen Persönlichkeiten als noch so ausgefeilte Darstellungen der Geschichtsschreibung. Hans Bethge: Friedrich der Große Hans Bethge: Napoleon Egon Caesar Conte Corti: Maria Theresia Egon Caesar Conte Corti: Prinz Eugen Je Band 112 bis 148 Seiten, Abbildungen auf Tafeln, zahlreiche Vignetten, Zeichnungen im Text und auf dem Vorsatz, Leinen jeder Band DM 12,80 HAUDE & SPENERSCHE Verlagsbuchhandlung GmbH. Gegründet 1614 Berlin 12 290 Lucia Teichmann 1 Berlin 41, Sedanstr. 4 Tel. 7 92 58 48 (H. Hofmann) Elly Maletzki 1 Berlin 41, Hähnelstr. 15 Tel. 83 41 39 (H. Hofmann) Horst Kintscher, Regisseur, Redakteur 1 Berlin 41, Nordmannzeile 9 Tel. 71 75 51 (Dr. Schultze-Berndt) Luise Leichter, MTA 1 Berlin 33, Ehrenbergstr. 32 (Dr. H . Leichter) Dr. Werner Engel, Dipl.-Chemiker u. Dozent 1 Berlin 38, Terrassenstr. 25 Tel. 84 41 44 (Dr. H. Leichter) Rose Marie Pluta-Mende, Bildhauerin 1 Berlin 41, Birkbuschstr. 25 Tel. 72 39 71 (H. Hofmann) Angela Gramberg, Kfm. Angestellte 1 Berlin 28, Gollanczstr. 43 Tel. 4 Ol 21 56 (I. Hemmers) Prof. Dr. Burkhard Hofmeister 1 Berlin 19, Kranzallee 60 Tel. 3 05 36 90 (H. Hofmann) Ruth Hofmeister, Dipl.-Geographin 1 Berlin 19, Kranzallee 60 Tel. 3 05 36 90 (H. Hofmann) Egon Jameson, Schriftsteller London N 2, 58 Ossulton Way (5. 31, Wiedereintritt, R. Koepke) Paul Sohst, Studienrat a. D. u. Schriftsteller 1 Berlin 28, Der Zwinger 3 (Schriftführer) Erna Rugowsky, Katechetin i. R. 1 Berlin 46, Kaiser-Wilhelm-Str. 129 a (G. Hahn) Methner & Bürger, Älteste Berliner Abziehbilder-Druckerei 1 Berlin 36, Schlesische Str. 29-30 (H. Hofmann) Allianz Versicherungs-AG, Generaldirektion 8 München 22, Königinstr. 28 Tel. (0811) 3 80 03 91 (Schriftführer) abriele Mulert, Dipl.-Bibliothekarin 1 Berlin 33, Offenbacher Str. 17 a Tel. 8 21 83 67 (Dr. Leichter) Adressenänderungen Günther Grabowski 1 Berlin 19, Knobelsdorffstr. 83 I Victoria-Versicherungs-Gesellschaft 1 Berlin 15, Kurfürstendamm 24 Tel. 8 89 21 Werner Müller 1 Berlin 37, Limastr. 16 Erna Peters 1 Berlin 19, Spandauer Damm 62 Karl Zapke 1 Berlin 49, Kirchbachstr. 17 Werner Sohns 1 Berlin 19, Steubenplatz 5 Werner Bienwald 1 Berlin 20, Losch witzer Weg 31 Anneliese Anderson 1 Berlin 47, Ulrich- von- Hassell-Weg 1 Anne Müller-Jesse 1 Berlin 33, Cunostr. 76 Dr. Martin Sperlich 1 Berlin 39, Bismarckstr. 69 Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke 8 München 71, Strähuberstr. 11 Tel. (0811)79 55 48 Privatdozent Dr. Otto Winkelmann 6 Frankfurt 1, Kronberger Str. 44 Tel. (0611)72 34 92 Dr. Schultze-Berndt Tel. 4 15 67 40 Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm Tel. 3 91 24 90 291 Veranstaltungen im I.Vierteljahr 1970 1. Mittwoch, 7. Januar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Vortrag von Herrn Horst Behrend „Das Leben Johann Joachim Spaldings - Propst zu Berlin unter Friedrich II. - " . 2. Sonnabend, 10. Januar, 14.00 Uhr, Führung von Herrn Hans-Werner Klünner durch die „Theodor-Fontane-Ausstellung" in der Akademie der Künste, 1 Berlin 21, Hanseatenweg 10 (Bus A 16 und 25, U-Bahnhof Hansaplatz, S-Bahnhof Bellevue). 3. Dienstag, 27. Januar, 19.30 Uhr, im Klubhaus am Fehrbelliner Platz, 1 Berlin 31, Hohenzollerndamm 185 Ecke Gieselerstraße, „Eisbeinschmaus zur 105. Wiederkehr unseres Stiftungstages" im Remter der „Alten Pankgrafschaft von 1381 zu Berlin". Es spricht Herr Horst Behrend über „Friedrich Wilhelm II. und die Frauen". Es ergehen besondere Einladungen auch an unsere Damen. 4. Mittwoch, 4. Februar, 11.15 Uhr, Galeriebesuch der Berliner Börse während einer Börsenversammlung mit Einführungsvortrag von Herrn Dipl.-Volkswirt Manfred Baumann. Treffen im Foyer der Industrie- und Handelskammer zu Berlin, 1 Berlin 12, Hardenbergstraße 16/18. Wegen der begrenzten Teilnehmerzahl wird um schriftliche Anmeldung bis zum 20. Januar bei Herrn Helmut Hofmann, 1 Berlin 47, Rhodeländerweg 31, gebeten. 5. Mittwoch, 18. Februar, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag von Herrn Hans-Werner Klünner „Aus der Geschichte des Köpenicker Schlosses". 6. Mittwoch, 4. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Bericht mit Lichtbildern über die Studienfahrt vom 5. bis 7. September 1969 nach „Lüneburg und zu den Heideklöstern Lüne, Medingen und Wienhausen" von Herrn Dr. Hans Günter Schuhze-Berndt. 7. Dienstag, 17. März, 19.30 Uhr, im Rathaus Schöneberg, Vortragssaal 139, Lichtbildervortrag von Herrn Günter Wollschlaeger „Bauten und Gärten von Sanssouci". Zu den Vorträgen im Rathaus Schöneberg sind Gäste willkommen. Anschließend geselliges Beisammensein im Ratskeller . Freitag, 23. Januar, 13. Februar und 20. März zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek ab 17.00 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865. Schriftleitung: Prot. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, Berlin 21, Händelallee 61; Dr. H. Pappenheim, Berlin 45, SÖhtstraße 1. Beitrage sind an die Schriftleiter zu senden. Verlag: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, Hardenbergplatz 13. Der Abonnementspreis ist durch Mitgliedsbeitrag gedeckt, den Bezugspreis für Nichtmitglieder teilt der Verlag auf Anfrage mit. Gesamtherstellung Otto v. Holten GmbH, Berlin 30 292 / n A ^ Fachabt der Berliner Stadibibliothek MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 66. Jahrgang. Nr. 20 1. April 1970 A 20377 F Geschäftsstelle: 1 Berlin 61 (Kreuzberg), Mehringdamm 89, Ruf: 6 98 6791 Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. W. Hoffmann-Axthelm, 1 Berlin 21 (Tierg.), Händelallee 61, Ruf: 3912490 Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf: 4 65 90 11 Schatzmeister: Obermagistratsrat a. D.W. Mügel, 1 Berlin 19 (Charl.), Gotha-Allee 28, Ruf: 3 04 62 87 Bibliothek: 1 Berlin 12 (Charl.), Straße des 17. Juni 112, Zimmer 147. Geöffnet: freitags 16-19 Uhr Postscheckkonto des Vereins: Berlin-West 433 80, 1 Berlin 21 Villa „Finkenherd" 1839 von Südosten. Kupferstich von Fincke nach dem Gemälde von Ferdinand Gropius. 293 Die Familie von Graefe und ihre Villa Finkenherd im Berliner Tiergarten v o n Prof. D r . D r . med. Walter Hoffmann-Axthelm Wenn der Berlin-Besucher im Omnibus der Stadtrundfahrt zur Besichtigung des wiederaufgebauten Hansaviertels in die Händelallee einbiegt, weist ihm der Fremdenführer zunächst zur Linken das große, 1956 nach den Plänen des Architekten WALTER GROPIUS erbaute Wohnhaus und zeigt ihm dann zweihundert Meter weiter auf der anderen Seite das Betongebilde der neuen Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche, errichtet auf den Fundamenten eines durch Bomben zerstörten neugotischen Backsteinbaus (Abb. 2). Kaum einer der vielen hundert hier täglich vorbeifahrenden Menschen aber dürfte wissen, daß halbwegs zwischen diesen beiden Gebäuden auf der rechten, der Tiergartenseite, dicht neben der Straße, wo jetzt die Rasenfläche durch eine Baumgruppe unterbrochen wird, einst eines der reizvollsten Landhäuser des alten Berlin gestanden hat, 1824 erbaut nach dem Entwurf des großen Baumeisters dieser Stadt KARL FRIEDRICH SCHINKEL als Sommersitz für den Chirurgen CARL FERDINAND GRAEFE. Abb. 2. Das Hansaviertel. Der königliche Generalstabsarzt der preußischen Armee und Geheime Rat Prof. Dr. GRAEFE war damals erst 13 Jahre in Berlin. Seine Familie stammte aus Sachsen, er aber wurde am 8. März 1787 in Warschau geboren als Sohn von CARL GOTTLIEB GRAEFE (1752-1806), Güterverwalter eines der reichsten polnischen Magnaten, des Krongroßmarschalls von Polen Graf MOCZYNSKI. Hier wuchs er, unterrichtet von seiner Mutter CHRISTIANE (1759-1817), der Tochter des in Warschau tätigen, gleich294 falls sächsischen Kirchenbauers ZSCHERNIG, unter günstigen Verhältnissen in einem Flügel des Palastes auf, mußte aber 1794 während der nationalen polnischen Erhebung mit der Mutter in die alte Heimatstadt Pulsnitz bei Dresden fliehen, wohin diese, unter den Kleidern verborgen, die Millionenwerte der Moscynskischen Diamanten in Sicherheit brachte. Nach der Niederschlagung des Aufstandes durch russische und preußische Truppen verlegte der Graf auf Wunsch KATHARINAS II. den Wohnsitz auf sein in Südrußland gelegenes Schloß Ossa bei Dolsk und übertrug Graefe, der ihm während eines Straßenkampfes das Leben gerettet hatte, die Verwaltung des dortigen Güterkomplexes. Hier erhielt Carl Ferdinand, der sich ebenso wie später sein Sohn Albrecht, schon früh durch ungewöhnliche Geistesgaben auszeichnete, Unterricht durch einen deutschen Hauslehrer und den Leibarzt des Grafen, Dr. OTTO aus Meißen. Vierzehnjährig kam Carl Ferdinand an das Gymnasium in Bautzen - von Warschau nach dort ritt er, mit zwei Pistolen bewaffnet, allein - , und von hier wird uns auch seine erste chirurgische Tat berichtet, und zwar 1887 von WALTER SCHWARZ in der Berliner Zeitschrift „Der Bär", einer Art „Gartenlaube" mit lokalhistorischem Kolorit. Was uns aber diese Quelle authentisch macht, ist die keineswegs allgemein bekannte Tatsache, daß hinter dem Pseudonym SCHWARZ sich WANDA VON DALLWITZ verbirgt, die jüngste Tochter CARL FERDINANDS VON GRAEFE, die auch noch mit mancher anderen Schrift an die Öffentlichkeit getreten ist1. Lassen wir also Tochter Wanda, damals (1887) schon längst Gutsherrin auf Tornow in der Ostprignitz, berichten: Bei einer botanisch-geognostiscken Exkursion . . . leistete er einem Maurer, der vom Bau herabgestürzt war, durch rasches Öffnen der Ader und umsichtige Versorgung so erfolgreiche Hülfe, daß später herbeigerufene Ärzte konstatirten: der Schwergeschädigte habe seine Erhaltung nur dem entschlossenen Einschreiten des jungen Gymnasiasten zu verdanken. Der Fall erregte Aufsehen in der Stadt, der strenge Gaedicke aber betrachtete die Sache von einem anderen Gesichtspunkte aus und ließ seinen Schüler eine Strafe abbüßen, der sich dieser geduldig unterzog, wodurch die Sympathie für ihn nur gesteigert wurde. GRAEFE wechselte 1803 auf die Dresdner Kreuzschule über, wo er zwei Brüder vorfand, und bezog 1805 die Universität Halle bis zu deren Aufhebung durch NAPOLEON im folgenden Jahre. Als er vernahm, daß sein Vater schwer erkrankt sei, erwarb er ein Pferd und machte sich auf den 1400 km weiten Weg nach dem Schlosse Ossa. An der Weichsel war der Gaul zu Tode geritten, aber auf anderem Fuhrwerk erreichte er seinen Vater noch unter den Lebenden. 1807 beendete GRAEFE in Leipzig seine Studien mit solchem Erfolg, daß, nach dem Bericht des Großkanzlers der Universität PLATNER, obwohl man Großes von ihm erwartet, er dennoch die kühnsten Erwartungen übertroffen hatte (Omnium exspectationem, quae haud exigua de eo fuisset, mire superaret) 2 . Nach Ablehnung der Stelle eines gräflichen Leibarztes in Dolsk und des Rufes an eine wolhynische Universität wurde er von seinem späteren Berliner Fakultätskollegen REIL 3 in Halle mit der Lei1 Literaturverzeichnis (LV) 28. Das Pseudonym SCHWARZ dürfte vom Namen der Großmutter ZSCHERNIG abgeleitet sein: czarny (polnisch) und cerny (tschechisch) = schwarz. 2 LV23,S.82. . . TI „ 3 JOHANN CHRISTIAN REIL (1759-1813), seit 1788 Kliniker an der Universität Halle, wurde 1810 an die neugegründete Berliner Universität auf den Lehrstuhl für klinische Medizin berufen. 295 tung eines Krankenhauses betraut. Noch im gleichen Jahre 1807 aber ging er nach Ballenstedt als Leibarzt des Herzogs ALEXIUS von Anhalt-Bernburg, den er später auch von Berlin aus alljährlich besuchte und noch 1834 auf seinem Sterbebette betreute, wie uns Wilhelm von Kügelgen ausführlich berichtet4. Dem Zwanzigjährigen wurde die Leitung des Gesundheitswesens im Herzogtum übertragen, er errichtete in Ballenstedt ein Krankenhaus und gründete über einer bisher kaum beachteten Eisenquelle den Kurort Alexisbad. Der Balneologie blieb der Chirurg GRAEFE stets verbunden, noch posthum wurde eine Schrift von ihm aus diesem Gebiete veröffentlicht. Inzwischen war man in Berlin auf den jungen Arzt aufmerksam geworden, und so empfahl der Staatsminister WILHELM VON HUMBOLDT am 19. April 1810 den Dreiundzwanzigjährigen an den Königsberger Arzt Dr. MOTHERBY 5 : Ich bin jetzt beschäftigt, einen guten Chirurgen und Operateur nach Königsberg zu schaffen. Gräfe aus Ballenstedt ist dazu bestimmt. . . . Ich sah ihn bei meiner neulichen Durchreise durch Halle, wo er gerade war, bei Reil, und habe in ihm einen noch jungen und sehr liebenswürdigen Mann gefunden9. GRAEFE lehnte ab ebenso wie die Nachfolge von REIL, der nach Berlin ging, doch dann folgte er zum Wintersemester 1810/11 dem Ruf an die neugegründete Berliner Universität als Ordinarius und Direktor des klinisch-chirurgischaugenärztlichen Instituts. Hier führte er sich sehr glücklich durch eine Operation ein, an die sich zuvor niemand herangewagt hatte: Er entfernte einem Major VON KLEIST mittels eines eigens dazu konstruierten Trepans ein Geschoß aus der Stirnhöhle, das dieser seit der Schlacht von Jena, also seit fünf Jahren, dort unter Schmerzen konserviert hatte. Der gelungene Eingriff empfahl ihn gleichermaßen höchsten militärischen wie höfischen Kreisen, und als er sich 1813 zur Befreiungsarmee meldete, wurde er von König FRIEDRICH WILHELM III. zum Divisions-Generalchirurgus mit der Aufsicht über das gesamte Lazarettwesen zwischen Weichsel und Weser ernannt. Eine gewaltige organisatorische Aufgabe fiel damit auf den jungen Chirurgen und wurde von ihm ohne Schonung seiner Person zum Heile der Verwundeten und Kranken und unter tätigster Anteilnahme der Bevölkerung gemeistert. Als äußere Anerkennung wurde ihm neben einem reichen Ordenssegen, darunter bemerkenswerterweise auch dem Offizierskreuz der Ehrenlegion,der Geheimratstitel zuteil, dem 1822 die Ernennung zum 3. Generalstabsarzt der Armee folgte. Es ist bezeichnend für die Mentalität im Preußen der Befreiungskriege, daß GRAEFE die Revenuen aus seiner militärischen Tätigkeit den Lazaretten uneingeschränkt zur Verfügung stellte. Nach Friedensschluß reklamierte ihn die Universität und stellte ihm für seine Klinik ein Haus in der Ziegelstraße 5-6 zur Verfügung, das von nun an für mehr als ein Jahrhundert eine der bedeutendsten chirurgischen Lehrkanzeln der Welt beherbergen sollte (Abb. 3). Jetzt war Graefe frei für seine großartigen Leistungen, mit denen er die Chirurgie in Preußen zur gleichberechtigten Wissenschaft erhob und auf dem Gebiete der plastischen Chirurgie den Weg bereitete für seine Nachfolger JOHANN 4 5 WILHELM V. KÜGELGEN (1802-1867), bekannt durch seine „Jugenderinnerungen eines alten Mannes", lebte als Hofmaler, später als Kammerherr am Hofe des geistesschwachen Herzogs ALEXANDER CARL von Anhalt-Bernburg in Ballenstedt. - Vgl. LV 20, S. 305-306. WILLIAM MOTHERBY (1776-1847), hochangesehener Arzt in Königsberg, der sich um die Einführung der Pockenschutzimpfung in Ostpreußen verdient gemacht hat. Seine Frau JOHANNA war mit W. v. HUMBOLDT und E. M. ARNDT befreundet und heiratete 1824 GRAEFES Nachfolger FRIEDRICH DIEFFENBACH. 6 LV 23, S. 84. 296 Abb. 3. Die Graefesche Klinik in der Ziegelstraße um 1825. Stich von F. A. Schmidt nach F. A. Calau. FRIEDRICH DIEFFENBACH und BERNHARD VON LANGENBECK. Er führte die erste Unter- kieferresektion, die erste gelungene Gaumensegelnaht in Deutschland durch, und der Begriff „Rhinoplastik" für den Ersatz einer Nase aus körpereigenem Material geht auf ihn zurück. Den Unterrichtsbetrieb reformierte er, indem er die noch heute gültige Einteilung der Studenten in Auskultanten und Praktikanten vornahm und letztere am Patienten praktisch arbeiten ließ. Eine umfangreiche konsultative Praxis führte ihn viel ins Ausland, vor allem, da er die Sprachen beherrschte, nach Rußland und Polen. Schon 1814 hatte ihm Zar ALEXANDER in Paris ein glänzendes, noch des öfteren wiederholtes Angebot gemacht, in russische Dienste zu treten, aber, wie seine Tochter WANDA schreibt, Graefe hat nie daran gedacht, Deutschland, Preußen untreu zu werden. Auch schlug ihn der polnische Senat 1825 zur Nobilitierung vor, die Zar NIKOLAUS I. 1826, bald nach seinem Regierungsantritt, vollzog, und deren Annahme dessen Schwiegervater, der preußische König, glückwünschend genehmigte. GRAEFE war bald in Berlin heimisch geworden. Am 16. Oktober 1814 hatte er AUGUSTE VON ALTEN heimgeführt, jetzt bewohnte er ein schönes Haus in der Behrenstraße 48 und 1823 begannen die Vorbereitungen für den Bau eines Sommerhauses am Nordwestrande des Tiergartens neben dem Etablissement des Banquiers Schickler, den Lützower und Willmersdorfer Spree Wiesen und dem sogenannten Judenweg oder Poetensteige. Durch königliche Gunst war ihm im Dezember 1823 dieses Grundstück teils durch Kauf, teils in Erbpacht zugesprochen worden. SCHINKEL hatte einen in dieser Form nicht ausgeführten Vorentwurf gefertigt und der Gartendirektor PETER LENNE 7 den Plan für die gärtnerische Gestaltung aufgestellt. Es handelte sich bei diesem 12 Morgen und 16 Quadratruten großen Stück Land im wesentlichen um einen von Wasserarmen durchzogenen Erlenbruch, der einen sich nach Osten und Norden in eine 7 PETER JOSEF LENNE (1789-1866) trat nach Ausbildung in Paris, Wien und München in preuß. Dienste. Schöpfer der Gartenanlagen von Sanssouci u. a. Als königlichem Gartendirektor unterstand ihm auch der Tiergarten, den er aber erst 1833-1840 im englischen Stil ausgestaltete. 297 Wiesenlandschaft eröffnenden, seit altersher „der Finkenheerd" genannten Acker umschloß. Diese Flurbezeichnung, die GRAEFE auf sein Haus übertrug, ging auf die Überlieferung zurück, daß an dieser Stelle im Hetz- und Tiergarten Kurfürst JOACHIMS IL (1535-1571) ein Finkenherd gestanden haben soll. Das königliche Rentamt, mit dem der Kaufvertrag ausgehandelt und am 6. April 1824 vollzogen wurde, erteilte erhebliche Auflagen: Das Grundstück muß zur Verschönerung des Tiergartens beitragen, durfte keine den freien Blick hindernde Umzäunung erhalten und niemals als Schank- und Tanzwirtschaft dienen, auch müßten die im Grundstück liegenden Wasserläufe vom Käufer geräumt werden. Diese letztgenannte Bedingung gab in den Jahren 1836/37 Anlaß zu manchem Streit, wir verdanken ihr seitenlange eigenhändige Briefe des Geheimrats an die Polizeibehörde. ja et a EJ. Abb. 4. Bauzeichnung aus der Werkstatt Schinkels (LV 29). Am 11. April 1824 bat GRAEFE, auch eigenhändig, Ein königliches Polizey-Präsidium um den Erlaubnisschein, nach beiliegender Zeichnung (Abb. 4) auf sein erkauftes Grundstück im Thiergarten an die Chaussee rechter Hand zwischen der Brücke nach Moabit* und dem Schicklerschen Grundstück ein Wohngebäude, ein öconomie Gebäude und ein Gewächshaus zu erbauen. Selbst bei einem von der königlichen Gnadensonne beschienenen Bauherrn brauchte der Amtsschimmel seine Zeit, fast ein Dutzend Marginalien zieren den Foliobogen mit Graefes Antrag, darunter auch die Feststellung, daß der Maurer Mstr. Schilling hat bereits angefangen laßen das Fundament zu den quest. Gebäuden zu graben und aufzumauern. Man fragte zurück, und etwas unwirsch replizierte der Königliche Generalstabsarzt der Armee am 26. April: Da im übrigen, die ganze Anlage von Sr. Majestät dem Könige bereits genehmigt ist, und da dieselbe vom Herrn Geheimen Ober Baurath Schinkel und Herrn Director Lenne, welche die Pläne entwarfen, ausgeführt wird, so muß ich um baldgefällige Erfüllung der Form, welcher unter diesen Umständen füglich keine Hindernisse entgegenstehen können, um so dringender ersuchen, als sonst die beste Bauzeit ungenutzt vorübergeht. Bei so viel an dem Projekt beteiligter Prominenz wurde das Haus selbstverständlich im gleichen Jahre 1824 fertig, und der stolze Bauherr ließ sich davor durch den wohl bedeutendsten Portraitisten des Berliner Biedermeier FRANZ KRÜGER, hier meist Pferde-Krüger genannt, der Nachwelt überliefern (Abb. 5). Während der warmen 6 Der Moabiter Brücke wurde als Aktienbrücke nach 1820 von dem orthop. Mechaniker und Leibzahnarzt PIERRE BAILLIF (1775-1830) erbaut, der dafür 10 Jahre Brückengeld erheben durfte. - Die von B. konstruierte künstliche Hand beschreibt Graefe ausführlich in seinem Buch „Normen für die Ablösung größerer Gliedmaßen", Berlin 1812. - Vgl. LV 16. 298 Jahreszeit bildete der Finkenherd, wie uns GRAEFES Tochter Wanda sehr anschaulich berichtet, bald einen gesellschaftlichen Treffpunkt der Stadt: Das Haus war im Innern ebenso behaglich wie vornehm ausgestattet. Der sich durch drei hohe Flügeltüren nach einem kleinen Altan hin öffnende Saal des unteren Geschosses war von dem Italiener Pelliccia in pompejanischem Geschmack ausgemalt . . . Den Altan und die Seiten der kleinen Freitreppe, die von ihm hinunter in den Garten führt, schmückten seltene Topfgewächse. Hohe, kugelförmig verschnittene Orangenbäume in Kübeln umgaben den Platz davor, auf dem häufig der Tee im Freien eingenommen wurde. Ausgezeichnete Persönlichkeiten versammelten sich hier und im Saal zur angenehmsten Geselligkeit. Charlotte von Hagn, der Berliner Bühnenstern9, hat hier deklamiert, und die Malerin Caroline Bardua (f 1864) mit den einfachsten Requisiten wirkungsvolle, lebende Bilder gestellt. Zahlreiche Russen und Polen besuchten das gastliche Haus Graefes, der konsultierender Leibarzt des Großfürsten Konstantin, Statthalters von Polen, war. Der schon halb erblindete, kleine Prinz Georg, später König von Hannover, bei dessen damals in Berlin lebenden Eltern, dem Herzog und der Herzogin von Kumberland, Graefe gleichfalls Leibarzt war, spielte gern mit dem ältesten Graefeschen Sohn [Carl] in dem schönen Finkenherd-Garten, der sich bis zum fetzigen Sigmundshof hin erstreckte. Da sangen die Nachtigallen bei sommerlicher Abendstille in den Kronen der Bäume, und über die frischgrünen Wiesen auf der anderen Seite des Hauses sah man in einiger Entfernung an dem damals noch ganz ländlichen, von Berlin völlig getrennten Moabit vorüber die weißen Segel der Spreekähne lautlos dahingleiten. Die in dieser Schilderung erwähnte Malerin CAROLINE BARDUA und ihre um 16 Jahre jüngere Schwester WILHELMINE, der wir ein ausführliches Tagebuch verdanken, stammten aus Ballenstedt am Harz, waren Töchter des Kammerdieners und Vertrauten des Herzogs ALEXIUS, den GRAEFE noch immer betreute, und damit ergab sich die Beziehung zum Graefeschen Hause, die sich zu einer lebenslangen Freundschaft mit den Töchtern, besonders der ältesten OTTILIE, der späteren Frau des Staatssekretärs und engen Mitarbeiters BISMARCKS HERMANN VON THILE, entwickelte. Während des Sommers 1835 bewohnten die Schwestern drei Monate lang den Finkenherd, wo CAROLINE, da GRAEFES verreist waren, im großen Gartensaal ihr Atelier aufschlug. Die Bildhauer RAUCH und DRAKE sowie der damals geschätzte Schriftsteller ERNST VON HOUWALD waren ihre Gäste 10 , und nach der Heimkehr der Familie erteilte CAROLINE hier OTTILIE Malunterricht. Auch während der dunklen Sommertage des Jahres 1840 weilten die beiden Schwestern auf dem Finkenherd. GRAEFES Gesundheit war, wie uns seine Tochter Wanda mitteilt, schon lange nicht mehr die festeste, zumal er sich niemals Ruhe gönnte. Er litt unter neuralgischen Beschwerden sowie an den Folgen einer Schußverletzung, die er im Winter 1829/30 in Sizilien erlitten hatte. Damals hatte er beim Besteigen des Ätna * CHARLOTTE VON HAGN (1809-1891) war 1833 von München nach Berlin gekommen, wo sie ihren Ruhm begründete. 1846 heiratete sie und verließ die Bühne endgültig. - Allg. dt. Biogr. 49, 776. 10 CHRISTIAN DANIEL RAUCH (1777-1857), neben seinem Lehrer GOTTFRIED SCHADO-W der be- deutendste Bildhauer des Berliner Klassizismus. Sein ihm nidit kongenialer Schüler FRIEDRICH DRAKE (1805-1882) schuf u. a. 1872 die Viktoria auf der Berliner Siegessäule, die jetzt (seit der Versetzung des Monuments im Jahre 1938 auf den Großen Stern im Tiergarten) auf das GRAEFEsdie Grundstück herabblickt. 299 dem Diener sein Gewehr übergeben, das sich, als dieser ihm vom Pferde half, entlud. Das Geschoß durchschlug Schulter und Brust, was ein langes Krankenlager in Neapel zur Folge hatte. Das Ende führte jetzt eine Typhus-Infektion herbei. Abb. 5. Carl Ferdinand v. Graefe vor dem „Finkenherd". Stich nach dem Gemälde von Franz Krüger. Abb. 6. Grabmal Carl Ferdinand v. Graefe und Auguste geb. v. Alten (1965). Lassen wir uns über den Tod des großen Chirurgen zunächst von seiner Tochter berichten: Am 7. Juni 1840 starb Friedrich Wilhelm III. Graefes Gemüt wurde durch den Tod seines geliebten Königs auf's Tiefste erschüttert. Er fühlte sich angegriffen und erschöpft, hatte aber gerade fetzt seine Anwesenheit in Hannover zugesagt, wo König und Königin für ihren seit Jahren erblindeten Sohn - nachmaligen König Georg V. einzig noch von Graefes Hand Rettung erwarteten . . . Bereits kränker als er es sich selber eingestand, machte er sich auf den Weg. In Hannover angekommen, konnte er sich nicht mehr bei Hofe melden. Ein hitziges Gehirn- und Nervenfieber war zum Ausbruch gekommen. Ausgezeichnete Ärzte wurden zu Rate gezogen; die Königin ließ es an keiner Aufmerksamkeit zur Pflege des Schwerkranken fehlen. Hing doch auch ihre letzte Hoffnung für den eignen, einzigen Sohn an Graefes Erhaltung . . . Aber von Anfang an bot Graefes Erkrankung wenig Aussicht für einen glücklichen Verlauf. Noch konnte seine Gattin, sein ältester Sohn von Berlin nach Hannover berufen werden. Er erkannte sie nur in einzelnen lichten Momenten. Dann war das Leben abgelaufen, am 4. Juli 1840 ist Carl Ferdinand von Graefe im Britisch Hotel zu Hannover im vierundfünfzigsten Lebensjahre gestorben. Sein Sohn Carl geleitete seine sterblichen Überreste zurück nach dem heimischen Berlin, wo sie auf dem Neuen Jerusalemer Kirchhofe vor dem Halleschen Thor, neben denen der ihm längst vorangegangenen, geliebten Mutter ruhen. (Abb. 6) Hierzu ergänzend WILHELMINE BARDUASTagebuch: Auf dem Finkenheerd, 29.6.1840. So kommt das Unvermutete zwischen all unsere Pläne! Statt am Rhein sitzen wir nun 300 im Tiergarten auf dem schönen Finkenheerd - aber nicht mit so fröhlichem Herzen wie sonst. Herr v. Graefe ist auf der Reise nach Hannover, wo er den Kronprinzen operieren sollte, erkrankt und liegt dort schwer darnieder. Frau v. Graefe ist gestern mit dem Sohne Carl zu ihm gereist und ließ uns bitten, zum Trost und Schutz für Ottilie und Wanda herauszukommen. Wie gut war es, daß wir noch nicht fort waren. 2. 7. 1840. Heute sind die ersten Nachrichten gekommen, nicht ganz hoffnungslose, aber auch keine, die beruhigen könnten. Wir suchen die tief erschütterte Ottilie aufzurichten. Wanda versteht den Ernst der Lage noch nicht recht; ich spiele viel mit ihr, um sie in der allgemeinen Trübsal aufzuheitern. Das ist alles, was wir jetzt tun können (Abb. 7). Abb. 7. Wanda v. Graefe als Flora vor dem „Finkenherd". Gemälde von Julius Schoppe, 1834. 10. 7. 1840. Neben mir steht Ottilie und nimmt aus dem großen Kasten einen nach dem anderen von den großen und kleinen Orden ihres Vaters und ordnet sie, wie sie auf dem schwarzen Sammetkissen befestigt werden sollen. Im Gärtnerhaus steht, noch in Wachstuch eingehüllt, der Sarg des Vaters. Am Sonnabend ist er verschieden. Wir bekamen die Todesnachricht halb und halb schon am Sonntagabend, am Montag früh brachte sie Carl selbst. Caroline und ich hatten die schwere Aufgabe, sie Ottilie und den jüngeren Geschwistern zu hinterbringen - es war ein herzzerreißender Jammer. Bald kam dann der Prediger Moliere. Berlin, 12. 7. 40. Gestern war das Begräbnis; abends sind wir in die Stadt zurückgekehrt. Der heitere Gartensaal war in eine dunkle Trauerhalle verwandelt. Kerzen brannten. Auf einem ausgebreiteten schwarzen Tuche stand der Sarg, schwarz beschlagen, mit Blumen bedeckt, von Grün umgeben. Studenten mit Florschärpen und Marschallstäben standen um den Sarg, so still und unbeweglich, daß man ihre Gegenwart kaum wahrnahm. - Was soll ich weiter von dem Prunk des Todes schreiben?! Meine Seele ist des schwarzen Treibens müde (LV 32). (Fortsetzung in Heft 21) 301 Hans v. Helds Aufenthalt in der Berliner Hausvogtei 1801 von Prof. D r . Johannes Schultze Es gab um das Jahr 1800 zwei Gefängnisse in Berlin: die Stadtvogtei für die unter der Jurisdiktion des Magistrats stehende Bürgerschaft (dies Gefängnis war im Jahre 1796 vom Kaland in der Klosterstraße nach dem Molkenmarkt verlegt worden), und zweitens die Hausvogtei für eximierte Personen1. Letztere wurde um 1750 von der Unterwasserstraße auf den Friedrichswerder verlegt in ein Gebäude, das ehemals zum „Jägerhof" gehörte. Sie gab dem Platz, vordem „Schinkenplatz" genannt, den noch heute bestehenden Namen. Das von Johann Gädicke 1806 verfaßte „Lexikon von Berlin" bezeichnet die „innere Einrichtung" des im Hintergebäude befindlichen Gefängnisses als „sehr menschenfreundlich". Die besseren Gefangenen konnten sich hier für ihr Geld allerhand Bequemlichkeiten verschaffen und genossen gewisse Freiheiten. Kriminalverbrecher aus unteren Schichten wurden in den Kellerräumen untergebracht. Nach dem Adreßkalender gab es für das Haus nur einen „Gefangenenwärter". Diesen Posten versah 1801 der Husar Bock, dessen Lob nachstehendes Gedicht2 des hier in Untersuchungshaft befindlichen Hans Heinrich Ludwig v. Held singt, v. Held, geboren 1764 in einem Ort bei Breslau, hatte das Pädagogium in Züllichau besucht und an mehreren Universitäten die Rechte studiert. Seit 1793 Zollrat in Posen, widmete er sich literarisch den Zeitvorgängen. So forderte er 1795 vor Abschluß des Baseler Friedens den Abbruch des französischen Krieges: „Friedrich Wilhelm, ruf es wieder, ruf dein tapferes Heer zurück." Treitschke bezeichnet ihn aus diesem Anlaß als „die böseste Zunge der literarischen Opposition". Wegen Kritik an Minister Graf Hoym wurde er 1797 nach Brandenburg versetzt. Es hinderte ihn nicht, in einer Schrift: „Die wahren Jakobiner im preußischen Staat" (mit Druckort „Überall und nirgends" 1801) die Minister Hoym und v. Goldheck erneut anzugreifen. Dies Buch, von dem der König ein Exemplar erhielt, bekam von seinem schwarzen Schnitt und Umschlag den Namen „das Schwarze Buch", v. Held wurde gefänglich eingezogen und Frühjahr 1801 als Untersuchungsgefangener in die Hausvogtei gebracht, wo er acht Monate zubrachte, um nach dem gefällten Urteil IV2 Jahr Festung in Kolberg zu verbüßen. Während des Aufenthaltes in der Hausvogtei verfaßte er noch eine Schrift über die demoralisierten Zustände in der preußischen Verwaltung. 1803 konnte er Kolberg verlassen. In einer Schrift an den ihm wohlgesinnten Minister Struensee (1805) prophezeite er einen baldigen Zusammenbruch. 1806 lebte er in Neuruppin und blieb schriftstellerisch tätig, u. a. an der „Gallerie preußischer Charaktere". Auch Napoleon blieb nicht verschont. Von 1806 datiert eine Schrift „Über und wider die vertrauten Briefe und neuen Feuerbrände des . . . v. Colin". 1812 zog ihn Hardenberg wieder in den Staatsdienst; er wurde „Salzfaktor" in Berlin, v. Held verfaßte noch eine Geschichte der Belagerungen Kolbergs im Siebenjährigen Kriege (gedruckt Berlin 1848). Der Berliner Wohnungsanzeiger von 1840 verzeichnet den Kriegs-, Oberaccise- und 1 2 Eximierte: ein Personenkreis, der von bestimmten Diensten, gewissen Steuern oder auch von dem gewöhnlichen Gerichtsstand ausgenommen war. Diese Personen hatten dadurch besondere Vorrechte, vgl. Karl Themel, Zwei Brandenburg-Preußische Verordnungen über „Eximierte" aus dem Jahre 1748, Jahrbuch für brdbg. Landesgeschichte, Bln. 1958 9. Bd. S. 37 f. Die Handschrift des Gedichtes im Besitz des Verfassers stammt aus der Sammlung des Lichterfelder Bibliophilen Carl Tancke (1853-1945) und entstand in den 1840er Jahren. 302 Zollrat und Salzfaktor H. L. H. v. Held als wohnhaft „am neuen Packhof 5". Der daneben genannte Leutnant der Gardeartillerie C. v. H. war offenbar ein Sohn. 1842 widerfuhr ihm das Mißgeschick einer Beraubung der ihm anvertrauten Salzkasse. Da man dem nur gering Bemittelten den Ersatz des Schadens zumutete, schied er freiwillig aus dem Leben. Auf dem Invalidenfriedhof fand er seine Ruhestätte 3 . Das nachstehende Gedicht, das er 1801 dem Gefangenenwärter Bock beim Abschied von der Hausvogtei widmete, und das unbekannt sein dürfte, ist ein beredtes Zeugnis dafür, daß die Beurteilung der „inneren Einrichtungen" der Hausvogtei als „sehr menschenfreundlich" durch den genannten Gädicke auch für deren Gefangenenwärter Bock zutrifft. Der Stecher Bollinger4 schuf von Hans v. Held 1801 während des Aufenthaltes in der Hausvogtei einen Kupferstich in Quart. Anschrift des Verfassers: 1 Berlin 33, Habelschwerdter Allee 10 H a n s v. Helds Abschied aus der Berliner Hausvogtei 1801 Abschied von dem alten braven Husaren Bock, jetzigen Schließer in der Hausvogtei zu Berlin, am Tage meiner Abreise aus diesem Gefängnis nach der Vestung Colberg. 1 Jetzt - da ich gedrückt von neuem Leide aus dem langbewohnten Kerker 5 scheide, dankt dir noch, du braver Mann, mein Schmerz! Dieses Haus ist eine Lasterhöhle, aber du hast keine Schließerseele, und dein Wams bedeckt ein schönes Herz. 2 Viele, die auf fernen Jugendfluren einst mit mir der Freundschaft Bund beschworen, wohnen nah - jetzt kannten sie mich nicht. O! da habe ich in trüben Stunden oft den letzten Rest von Trost gefunden nur in deinem redlichen Gesicht. 3 4 5 Günter Hintze (gefallen im letzten Weltkrieg): Der Invalidenfriedhof in Berlin. Ein Ehrenhain preußisch-deutscher Gesdiichte, Berlin 1937 S. 21 f.: „An der Ecke im Gräberfeld A erinnert ein neueres Mal an Hans von Held (1746-1842). Der Denkstein nennt Held mit dem friderizianischen Titel Kriegs- und Domänenrat. Held war einer der Träger der literarischen Opposition gegen den preußischen Staat in der Zeit vor Jena . . ." (Folgen die Schriften, die ihn besonders bekannt gemacht haben.) - Wilhelm Wohlberedt, Grabstätten bekannter und berühmter Persönlichkeiten in Groß-Berlin . . . 1934 Bd. 2 S. 124: Invalidenfriedhof, Scharnhorststr. 33: Hans v. Held (f 1842), Publizist, bekannt durch seine Schmähschriften. Der Berliner Kupferstecher Friedrich Wilhelm Bollinger (1777-1825) war Schüler und später Professor der Berliner Akademie. Stach trotz andauernder Kränklichkeit gegen 150 Porträts bekannter Persönlichkeiten, meist in punktierter Manier, nach der Natur oder nach Gemälden und Zeichnungen anderer Künstler. (Vgl. Nagler, Künstlerlexikon, München 1835 Bd. 2 S. 17, und Thieme-Becker, Allg. Lexikon der bildenden Künstler, Leipzig 1910 Bd. 4 S. 246 f.) 8 Monate verbrachte er hier. 303 3 Selbst dich schien es täglich zu betrüben, mußtest du die schweren Riegel schieben und verschließen auswärts meine Tür. Ja! Bei deiner eignen reinen Ehre schwurst du, daß ich kein Verbrecher wäre. Ehren, lieben muß ich dich dafür. 4 Immer sanft, teilnehmend und weichmütig hingst du deine Schlösser ehrerbietig abends in die großen Krampen ein und erzähltest, mir die Zeit verkürzend, wie mein Oheim Seel bei Hochkirch stürzend 6 mußte der Croaten Opfer sein. 5 Dort bei Zorndorf, Liegnitz, Torgau, Leuthen mit dem Säbel neben Zieten streiten, war dir Freude, tapferer Husar! Gauner, Räuber, Taschen-, Pferdediebe fühlen jetzt die schmerzenvollen Hiebe deiner Peitsche, freundlicher Barbar! 6 Dich ergötzt das. Du mußt ja schlagen, wie Herr Müller mit dem Ponceau Kragen 7 deines Armes Schwungkraft commandirt. Du schlägst, weil du sollst! Ein Beispiel nehmen sollten andere an dir und sich schämen, daß sie ihren Kant so schlecht studirt. 7 Wenn doch manche, die in stolzen Wagen bei der Hausvogtei vorüberjagen, träfe deines Musje Lemke Hieb! 8 Nur die kleinen, die sich fangen lassen, sitzen hier. Die Großen draußen prassen gleich dem reichen Mann, wie Lucas schrieb. 6 7 8 Oberst v. Seel wurde bei Hochkirch in Stücke gehauen. Siehe v. Blumenthal, Leben des Hans Joachim v. Zieten. (1797), S. 428 ff. Zieten sagte von ihm „der Mann war mehr wert als wir alle". Ein Polizeiassistent. Die Kragen dieser Charge in Berlin waren von ponceau-rotem Samt. So hieß die große Karbatsche in der Hausvogtei für die Männer; für das weibliche Geschlecht diente die kleinere „Mamsel Caroline", weil man, wie Bock meinte, Respekt für den weiblichen Busen haben müsse. 304 8 Den Polacken werd ich nie vergaessen, dem du dreihundert mußtest messen, bis du sprachst: kein Schinden mir gebührt! Wie du auf den Bauch den Armen legtest und ihn wuschest und mit Suppe pflegtest, bis du ihn dir wieder auscuriret. 9 Nie vergeß ichs, wie von deiner Habe oft dein Fuß mit mancher Labungsgabe in die Keller zu Verbrechern schlich, wie du unbezahlt sie speistest, tränktest, ihnen Taback, Brod und Brandwein schenktest, sprechend: Menschen sind sie ja wie ich! 10 Wie du, wenn sich einer aufgehangen, halbe Wehmut auf den Wangen, sprachst: Nun ist dir armer Teufel wohl! Du, du lehrst mit Ketten in den Händen, wie ein Mann sogar in Kerkerwänden sich und seine Pflichten adeln soll. 11 Unser Vaterland, das dich geboren, Schlesien ist noch immer nicht verloren, wenn es Söhne zeugt wie dich und mich. Schlesier sind noch immer wackre Leute, weichen selten von der Wahrheit Seite, sind aufrichtig, so wie du und ich. 12 Mit dem Biedersinn, der Herzensgüte dessen, der mit heiterem Gemüte hinter Manchas edlem Junker ritt 9 , mit der Bravheit, die den vielgetreuen Huons 10 nimmer hieß Gefahren scheuen, hält auch deine Tugend gleichen Schritt. 13 Ist ein Himmel, wo die guten Seelen sich ergehn, ihr Leben sich erzählen, das nur Invalidenbrod gewann, 9 10 Sancho Pansa, Knappe des edlen Junkers Don Quixote von La Mancha. Huon von Bordeaux, Gestalt der karolingisdien Oberonsage in der Wielandsdien Fassung. 305 wo sie Erdenungemach verträumen, da sei du einst unter grünen Bäumen Scherasmins11 und Sanchos dritter Mann. 14 Lange wird mein Geist auf dieser Stube ruhn. Drum sorge immer, daß kein Bube, nein! der Unglücklichste sie bezieh. Mög' in aller Länder Kerkerschlünden stets das Unglück einen Schließer finden, wie mein Schutzgeist mir in dir verlieh. 15 Dulde meinen Namen an der Türe, die ich heut zum letztenmal berühre. Er erinnert dich an einen Freund, der, indem er dankbar von dir scheidet, selbst den Abschied seiner Kinder meidet, weil er schon vielleicht zu merklich weint. 16 Lebe wohl, mein treuer Bock! Vergelten kann ich dir nicht, denn des Schicksals Schelten jagt mich mit dem strengsten Donnerschlag. Wünsche nur, wenn hin mein Wagen knarret, daß der Platzmajor, der meiner harret, halb so gut wie du nur denken mag. Berlin a. 15. Oktober 1801 von Held 11 Scherasmin, Gefolgsmann des Huon. Nachrichten Unsere Feier anläßlich des 150. Geburtstages von Theodor Fontane in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses gemeinsam mit der Historischen Gesellschaft zu Berlin „Fontane hätte sich sehr gewundert, daß sein 150. Geburtstag in einem preußischen Schloß gefeiert werden würde, in Anwesenheit eines Oberbürgermeisters oder eines Regierenden Bürgermeisters, noch dazu eines Sozialdemokraten .. ." Mit diesen Worten deutete der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz in seinem Dank an die beiden Vereine für die Veranstaltung dieser Feierstunde in der nur von Kerzen erleuchteten Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses die Zwiespältigkeit der Beurteilung des Journalisten und des märkischen Wanderers an, für dessen Dichtungen kein anderer Hintergrund möglich gewesen wäre als der der Mark Brandenburg. Staatsschauspielerin Käte Haack las den Prolog, den Fontane zum 25jährigen Bestehen des Vereins für die Geschichte Berlins verfaßt hatte (vgl. Mitt. Verein Gesch. Berlins 65 [1969] S. 250 f). 306 Unser Vorsitzender Prof. Dr. Dr. Hoffmann-Axthelm erwähnte in seiner Begrüßungsansprache, daß die beiden im Prolog genannten Holtzes, Vater und Sohn, nicht nur Gründungsmitglieder der b e i d e n veranstaltenden Gesellschaften gewesen sind, sondern auch Großonkel und Onkel von Frau Haack, die den als Erzieher der preußischen Prinzen im Schloß Charlottenburg wohnenden Großoheim mehrfach als Kind dort besucht hat. Prof. Hoffmann-Axthelm begrüßte außer dem Regierenden Bürgermeister die Vertreterin von Senator Prof. Dr. Stein, Dr. Ingeborg Sengpiel; vom Abgeordnetenhaus Dr. Ella Barowsky, Dr. Ursula Besser und Gerd Löffler; von der Französischen Kirche in Berlin, der Fontane angehört hatte, Egon Fouquet; vom Deutschen Hugenotten-Verein Dipl.-Ing. Scheller; vom befreundeten Bund der Berliner Ernst Hackmesser; vom Berlin-Club Basel Präsident Gerher, vor allem aber die Berliner Presse, die durch ihr Erscheinen den Zeitungsmann Fontane als einen der ihren ehrte. In seinem Festvortrag „Theodor Fontane und Berlin 1969 - vom Duvenstedter Brook aus betrachtet" zeichnete Dieter Meichsner, Fernsehspielleiter des NDR, seine aus persönlichem Bildungsgang und der Distanz des Hamburger Wirkungskreises erwachsene, literarisch verdichtete Stellung zu Fontane, zu dem ihn Thomas Manns „Glaubensartikel" über die Briefe des Dichters geführt hatte. Meichsner stellte den scheinbaren Zwiespalt der Fontaneseben Entwicklung vom 1848er über die konservative Kreuz-Zeitung zum Theaterrezensenten und Romancier in den Mittelpunkt der Deutung. Beispielhaft dessen unnachgiebige Forderung nach Exaktheit („Es muß stimmen!") bis zu den auch im Leben immer auf den neuesten Stand gebrachten Selbstprüfungen und -bescheidungen („Man muß sich darin fügen . . . es ist nun mal so . . . es muß auch so gehen!"). Neben dieser Selbstkritik liefen aber Fontanes scharfe Urteile über Staat, Adel, Mitmenschen, dargestellt in den Briefen an Georg Friedlaender und Friedrich Witte, die auch die mangelnde Würdigung seines Werkes reflektierten. Das offenbarten die meisterhaften Interpretationen in Käte Haaks Lesungen dieser Briefe, durch die der Festvortrag eingerahmt wurde. Für die Historische Gesellschaft stellte Prof. Dr. Schulin in seinem Dankesepilog fest, daß beide Vereine noch niemals eine historische Persönlichkeit gemeinsam gefeiert hätten; bei dem Literaten Fontane sei dies endlich gelungen. Gleichwohl hätte man seine weitgefaßte Geistigkeit und seine Spuren statt bei einer Feier im Schloß lieber in der Natur der Mark gefunden. Hans Pappenheim Kranzniederlegung am Fontane-Denkmal Am 30. Dezember 1969, dem 150. Geburtstag Theodor Fontanes, fanden sich Mitglieder des Vereins zu einer Kranzniederlegung am Denkmal des Dichters im Tiergarten zusammen. In Vertretung des 1. Vorsitzenden begrüßte Archivdirektor Dr. Kutzsch die in stattlicher Zahl erschienenen Mitglieder. Man habe nicht nötig, Fontanes zu gedenken, um ihn der Vergessenheit zu entreißen, es sei aber einmal mehr Dank abzustatten für das, was dieser Mann unseren Großeltern schon bedeutete, was er uns gibt und gewiß auch unseren Nachfahren mit der Kunst seiner Darstellung von allmenschlichen Schicksalen und Erfahrungen wie an Kolorit seiner Zeit noch geben wird. Dr. H. G. Schultze-Berndt verlas darauf den Vortrag, den Dr. W. Heynen persönlich zu halten aus gesundheitlichen Gründen leider verhindert war. Er wird an anderem Orte in vollem Wortlaut veröffentlicht werden. G. Kutzsch Abriß und Rekonstruktion des Ermeler Hauses Wie wir in Nummer 19 berichteten, ist das frühere Wohn- und Geschäftshaus des Kaufmanns Friedrich-Wilhelm Ermeler aus der Breiten Straße nunmehr am Märkischen Ufer neu aufgebaut worden. Auf dem Dachboden, unter Fußbodendielen und in den Grundmauern waren beim Abriß des Gebäudes zahlreiche Zeitdokumente, Schriftstücke und Gebrauchsgegenstände gefunden worden, darunter auch zwei Tagebücher aus den Jahren 1805 und 1806. Diese Fundstücke wurden in den vergangenen Monaten im Märkischen Museum gesichtet und geordnet. Sch-B. Zum gleichen Thema schreibt man uns: Seit dem Abbruch des Hauses in der Breiten Straße habe ich mich für dieses Objekt ganz besonders interessiert, nicht weniger für die Rekonstruktion des Hauses am Märkischen Ufer. Nach Lage der Dinge entspricht der Wiederaufbau nur teilweise dem alten Haus. Lediglich die 307 Fassade erscheint in ihrer Ursprünglichkeit, aber auch hier mit Abweichungen. Der Eingang hat jetzt eine Freitreppe, die nie bestanden hat; sie ist wahrscheinlich bedingt durch die neue Straßenlage und den Spreekanal. Auch stimmt der Grundriß des Gebäudes nicht. Das angrenzende Haus ist in das Gaststättenobjekt mit einbezogen und bildet zusammen mit dem ehemaligen Laden des Ermeler-Hauses eine Kaffeestube. Die andere Seite wird lediglich als Garderobe b e n u t z t . . . Im oberen Geschoß, zu dem die alte historische Treppe mit den beiden laternentragenden Putten führt, befindet sich das Weinrestaurant. Hier sind die Räume zum großen Teil wieder in ihrer historischen Form rekonstruiert. Die Decke im Rosenzimmer ist original, dagegen fehlen alle großen Wandmalereien, die angeblich während des Krieges verlagert wurden und sich in polnischem Besitz befinden sollen. Ich weiß aber, daß zwei Originalwandgemälde sich heute im Märkischen Museum befinden, und daß ich anläßlich einer Besichtigung des alten Hauses während der Restaurierung nach dem Kriege dort noch weitere derartige Gemälde gesehen habe. Das gemalte Fenster auf der Treppe ist nicht wieder eingefügt worden. . . . Anläßlich eines Lichtbildervortrages im neuerstandenen Ermeler Haus ergab sich eine Diskussion mit dem Architekten Rothstein, der u. a. erklärte, daß die Rekonstruktion dieses Hauses überhaupt nur möglich war, weil es von vornherein als Gaststätte geplant wurde. Unter solchen Umständen müssen zugunsten einer solchen Einrichtung Abwandlungen geschaffen und muß daher in vielen Fällen auf historische Momente verzichtet werden. Von unseren Mitgliedern: Zum Tode von Egon Jameson Am 23. Dezember 1969 starb in London der Schriftsteller Egon Jameson, unser altes und neues Mitglied. Bereits im Mai 1931 hatte der Redakteur Egon Jacobsohn die Mitgliedschaft erworben, die durch die erzwungene Emigration nach England unterbrochen wurde. Anläßlich eines Berlin-Besuches kam es zu erneutem Kontakt und zum Wiedereintritt am 1. Dezember 1969. Egon Jameson, aus der Berliner Schauspielerfamilie Hernfeld stammend, wurde am 2. Oktober 1895 mitten im Berliner Zeitungsviertel, in der Kochstraße, geboren. 1913 trat er in den Ullstein-Verlag ein und wurde Mitarbeiter, in den zwanziger Jahren Chefreporter der „B.Z. am Mittag". Durch seine originellen Berichte machte er sich den Berlinern bald bekannt: Er wanderte zu Fuß nach Leipzig oder durchstreifte in einer alten Schutzmannsuniform die Straßen Berlins und schilderte seine Erlebnisse. Der Start in London war nicht leicht, zumal er nie richtig englisch gelernt hatte. Im Krieg züchtete er zunächst Kaninchen, arbeitete dann mit Seifton Delmer im Soldatensender. Nach Kriegsende wurde er leitender Mitarbeiter der „Neuen Zeitung" und veröffentlichte mehrere Berlin-Bücher, so auch zwei besonders erfolgreiche innerhalb der „Berlinischen Reminiszenzen". Am 24. Januar 1970 schrieb Egon Jamesons Witwe an unseren Schriftführer, der ihm eine Einladung des Berliner Senats übermittelt hatte: _ 5 58 Ossulton Way. Tel. 883 2181 London, N 2 Sehr geehrter Herr Dr. Schultze-Berndt! 24. 1. 1970 Dank im Namen meines verstorbenen Mannes Egon Jameson für Ihre Aufforderung und Grüße vom Verein für die Geschichte Berlins. Es wäre sicher eine große Ehre und Freude für ihn gewesen, aber sein Leben war am 23. Dezember zu Ende! Sein letztes Werk war das BerlinBuch und seine letzte Freude. j ^ l t yester Empfehlung Welfg. Jameson Der Verein für die Geschichte Berlins wird seinem Mitglied Egon Jameson, dem so wertvolle Beiträge zur Kulturgeschichte unserer Stadt zu danken sind, ein treues Andenken bewahren. Walter Hoffmann-Axthelm * Bezirksstadtrat Herbert Grigcrs wurde zum Bürgermeister des Bezirks Reinickendorf gewählt. * Die Berliner Gesellschaft für Geschichte der Medizin e. V. wählte auf ihrer Hauptversammlung am 10. 3. 1970 unsere Mitglieder Dr. Dr. Manfred Stürzbecher und Dr. Wolf gang Kloppe zum 1. und 2. Vorsitzenden. Prof. Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm trat in den Beirat ein. Prof. 308 Dr. Dr. h. c. Heinz Goerke hatte zuvor wegen seiner Berufung nach München den Vorsitz der Gesellschaft niedergelegt. * Am 26. Februar 1970 feierte Herr Konsistorialrat a . D . Karl Themel seinen 80. Geburtstag. Der Jubilar, der noch bis Ende 1969 das Archiv der Evangelischen Landeskirche geleitet hat, bemühte sich in zahlreichen wertvollen Arbeiten um die Aufhellung kirchengeschichtlicher Probleme speziell des Berlin-brandenburgischen Raumes. Der Verein für die Geschichte Berlins, dem Herr Themel seit dem Jahre 1937 angehört, beglückwünscht sein treues Mitglied von ganzem Herzen und erhofft für es noch viele gesunde Jahre des jetzt endlich erreichten Otium cum dignitate. Walter Hoffmann-Axthelm * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag an Frau Eva Paproth, Frau Elisabeth Rossberg, Herrn Dr. Dr. Waldemar Heinrich; zum 75. Geburtstag Frau Lucie Schulze. Buchbesprechungen WO Jahre Deutsche Bank 187011970. Bilder aus 100 Jahren. Kunsthistorische Beratung, Zusammenstellung und Text des Kunstteils Dr. Heinz Peters, Berlin. Zusammenstellung und Text des Bankteils Deutsche Bank AG, Frankfurt (Main), und Dr. Heinz Peters, Berlin. Grafische Gestaltung Professor Georg Trump, München. Ein Kunstkalender mit ausgesucht guten Reproduktionen ist seit jeher die Jahresgabe der Deutschen Bank. In diesem Jahr, da am 10. März des hundertjährigen Bestehens der Deutschen Bank gedacht werden kann, hat sich die Unternehmensleitung einfallen lassen, den die 100 Jahre umfassenden Abbildungen (von Adolph von Menzel bis Ernst Wilhelm Nay) jeweils ein Blatt voranzusetzen, das die Geschichte der Deutschen Bank, ihr Werden und ihre heutige Aufgabe schildert. Unweit des Gendarmenmarktes, in der Nähe des Deutschen Doms, des langjährigen Sitzes unseres Vereins, wurde die Deutsche Bank vor 100 Jahren als Aktiengesellschaft (es war die erste in Berlin) gegründet. Ihre erste Anschrift lautet Berlin, Französische Straße 21. In kurzer Zeitfolge wurden über 30 weitere Aktienbanken in Berlin gegründet, deren Schicksal vielfach im Bankkrach unterging. Die Deutsche Bank hingegen übernahm die Geschäfte der Deutschen Union-Bank und des Berliner Bankvereins und verlegte den Geschäftssitz in den Gebäudekomplex in der Behrenstraße, Französische Straße und Mauerstraße, dessen Areal später größer war als das des Reichsgebäudes. Die verhältnismäßig junge Bank wurde bald in das Emissionsgeschäft der Seehandlung einbezogen und beteiligte sich maßgeblich an der Gründung der AEG 1887 aus der Deutschen Edison-Gesellschaft. 1884 wurde in der Friedrichstraße die erste Blockstation in Betrieb genommen, die die Häuser dort und Unter den Linden als die ersten mit elektrischem Licht versorgten. Bei der 25-Jahr-Feier der Deutschen Bank 1895 kann man auf eine sehr erfolgreiche Arbeit zurückblicken, die sich auch in der Finanzierung von Projekten wie dem Eisenbahnbau in Übersee ausdrückte. Höhepunkt der Jubelfeier waren „lebende Bilder", wie sie auch im Verein für die Geschichte Berlins gepflegt wurden und von denen es hier im Text heißt, „die freie, vaterländisch gesinnte Gesellschaft des 19. Jahrhunderts (habe sie) geliebt". Unter Führung der Deutschen Bank wurde 1897 die „Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen (Hochbahngesellschaft)" errichtet, die 1902 die erste Strecke Warschauer Brücke-Zoologischer Garten in Betrieb nahm. Kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges nannte die „Frankfurter Zeitung" die Deutsche Bank die erste der Welt. Aus den Schwierigkeiten der Inflationszeit kam die Deutsche Bank mit unverminderter Schaffenskraft hervor, und ihre 14 000 Mitarbeiter waren 1927 auf 182 deutsche Plätze und 100 Stadt-Depositenkassen verteilt. Ende der zwanziger Jahre kommt es zur Fusion mit der Disconto-Gesellschaft, einem zwanzig Jahre vor der Deutschen Bank von David Hansemann gegründeten Berliner Bankinstitut. Die neue vereinigte Bank umfaßt etwa 50 % der Geschäfte aller Berliner Großbanken und erreicht damit den Anschluß an die Weltspitze. Ober die folgende Zeit läßt sich wenig berichten. Als 1945 die Zentrale der Deutschen Bank in Berlin von sowjetischen Truppen besetzt und geschlossen wird, verlagert sich der Schwerpunkt zunächst auf zehn Teilinstitute in allen Teilen der westlichen Besatzungszonen, zu denen 1949 die Berliner Disconto Bank AG tritt. 1952 schlössen sich die zehn regionalen Banken zu drei Nachfolgeinstituten zusammen, die 1957 zur Deutschen Bank AG vereinigt wurden, nunmehr allerdings mit Sitz in Frankfurt (Main). Über die heutige Bedeutung der Deutschen Bank im Jubiläumsjahr, über ihre Aufgeschlossenheit und ihr modernes Image sei an dieser 309 Stelle nichts ausgesagt. Und wenn in dem kunsthistorischen Teil von der Kunst gesagt wird, sie sei Teil der Geschichte und teile das Schicksal des menschlichen Geistes, so ließe sich dieser Satz unschwer auf die Deutsche Bank übertragen. Im Ausblick dieses Kalenders heißt es: „Nicht die Maschinen, die Menschen sind die Deutsche Bank. So war es gestern. So ist es heute. So wird es künftig bleiben." - Glückauf! H. G. Schultze-Berndt Der Witz der Berliner. Gesammelt und aufgezeichnet von Max Baer. Landschaften des deutschen Humors. Verlag Kurt Desch GmbH, München, 1969. 56 Seiten gebunden DM 4,80. Sammlungen von Witzen haben mit den Witzen selbst gemeinsam, daß man sie gern zur Kenntnis nimmt, wenn sie nur gut erzählt sind, selbst wenn man sie vor Jahren schon einmal gehört hat. Das mag auch für die vorliegende Sammlung gelten, in der neben vielen alten Bekannten auch neu formulierte Witze enthalten sind. In einem Nachwort geht der Herausgeber auf die Eigenart des Berliner Witzes ein, den er vom selbstsicheren bayerischen und vom selbstkritischen, tiefsinnigen (und gelegentlich schwachsinnigen) sächsischen Witz abgrenzt. Er sagt dem Berliner Witz einen Zug von Galgenhumor neben seinem optimistischen Elan nach und eine Prise Bitterkeit und Gelassenheit. Aus den schwierigen Jahren gewann der Berliner Witz zur schnellen Schnoddrigkeit etwas hinzu, was mit „spröder Charme" fast schon zu unberlinerisch ausgedrückt ist. Ganz und gar berlinerisch aber sind die folgenden beiden Beispiele, von denen das erste ohne weiteres auf heute lebende Personen zu übertragen ist: Liebermann mochte die Expressionisten nicht. Als vor dem ersten Weltkrieg in Berlin eine der ersten großen expressionistischen Ausstellungen eröffnet wurde, versuchte Max Slevogt seinen Freund Liebermann zu überreden, sie zusammen mit ihm zu besuchen. „Ick jeh nich hin", sagt Liebermann, „nee, ick jeh nich hin." „Warum denn nicht?" Liebermann lächelt: „Weil mir die Scheiße womöglich jefällt." Der zweite Witz wird außerhalb Berlins vielleicht nicht einmal verstanden: In der Oper. Der Tenor tönt: „Ich liebe dich, ich liebe, ich liebe dich!" Belustigte Stimme auf der Galerie: „Dich is jut." H. G. Schultze-Berndt Hans von Arnim: Königin Luise. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 12, 1969. 118 Seiten und 13 Abbildungen = Berlinische Reminiszenzen, Band 24. Pappband DM 9,80. Der verdienstvolle, ehemalige Konsistorialpräsident Hans von Arnim, der vor kurzem sein 80. Lebensjahr vollendet hat und noch heute die Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft leitet, hat mit dieser auf historischen, zum Teil bisher nicht bekannten Quellen fundierten Biographie der Königin Luise, der Gemahlin Friedrich Wilhelms III. und Mutter Kaiser Wilhelms I., ein schönes Denkmal gesetzt. Am 10. März 1776 als 6. Kind des Prinzen und Thronfolgers Karl von Mecklenburg-Strelitz und der Prinzessin Friederike von Hessen geboren, wuchs sie nach dem frühen Tode ihrer Mutter bei ihrer Großmutter, der Landgräfin Georg von Hessen, in der fröhlichen und doch einfachen Atmosphäre des Darmstädter Hofes auf. Hier wurde sie in französischer Sprache und Kultur und zugleich in deutscher Gesinnung erzogen. Anläßlich der Krönung der Kaiser Leopold II. und Franz II. in Frankfurt wohnten Luise und ihre Schwester Friederike bei Goethes Mutter, was zu einem freundschaftlichen Verhältnis führte. Einige Zeit später begegnet sie zum ersten Male ihrem zuk