Neuere Entscheidungen

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Neuere Entscheidungen
Ausgewählte Probleme des
Individualarbeitsrechts
Universität Tübingen, Wintersemester 2014/2015
Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer
Jobst-Hubertus Bauer
Inhalt
I.
II.
AGB-Kontrolle: Grundsätze
1. Anwendungsbereich
2. Stufen der AGB-Kontrolle
3. Schranken der Inhaltskontrolle
4. Rechtsfolge der Unwirksamkeit
5. Anwendung auf Kollektivverträge
6. Arbeitsrechtliche Besonderheiten § 310 IV 2 BGB
AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
1. Schriftformklausel, betriebliche Übung
2. Bezugnahmeklausel
3. Versetzungsklausel
4. Bedingung/Befristung
5. Vertragsstrafe bei vertragswidriger Auflösung
6. Vertragsstrafe bei Wettbewerbsverbot
7. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt
8. Widerruf von Vergütung
9. Anrechnung von Tariferhöhungen auf Zulagen
10. Flexibilisierung der Arbeitszeit
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Jobst-Hubertus Bauer
Inhalt
II.
III.
IV.
AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
11. Pauschalabgeltung von Nachtarbeit
12. Pauschalabgeltung von Überstunden
13. Kurzarbeitsklausel
14. Urlaubsregelung
15. Sonderzahlungen
16. Rückzahlungsklausel bzgl. Ausbildungskosten
17. Ausschlussfrist
18. Freistellungsklausel
19. Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag, Ausgleichsquittung
20. Pauschalierter Aufwendungsersatz
Kündigungsschutz
1. Allgemeine Grundsätze
2. Allgemeines
3. Anhörung des BR
4. Allgemeiner Kündigungsschutz
Fallstricke des Befristungsrechts
1. Befristung aus Sachgrund
2. Sachgrundlose Befristung
Jobst-Hubertus Bauer
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Inhalt
V.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
1. Grundlagen
2. Acht Diskriminierungsmerkmale (§ 1 AGG)
3. Persönlicher Geltungsbereich
4. Sachlicher Geltungsbereich (§ 2 AGG)
5. Benachteiligungsverbot
6. Diskriminierungsmerkmal „Alter“
7. Verbotene Verhaltensweisen
8. Allgemeine Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen (§ 8
AGG)
9. Spezielle Rechtfertigung für Ungleichbehandlung wegen Alters (§ 10
AGG)
10. Überblick über die Rechtsfolgen
11. Schadensersatz und Entschädigung
12. Haftung des AG
13. Organisations- und Handlungspflichten des AG (§ 12 AGG)
14. Sonderproblem: AGG und Kündigungen
15. Beweislastverteilung (§ 22 AGG)
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Jobst-Hubertus Bauer
Inhalt
V.
VI.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
16. Ausschlussfrist
17. Auskunftsanspruch bei erfolgloser Bewerbung
Update Antidiskriminierungsrecht
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Jobst-Hubertus Bauer
I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
1. Anwendungsbereich
•
Der AN ist beim Abschluss arbeitsrechtlicher Verträge Verbraucher (BAG 25.5.05, NJW 05, 3305).
Dies gilt regelmäßig auch für angestellte Organmitglieder.
•
§ 310 III Nr. 1, Nr. 3 BGB:
-
Die Klauseln gelten als vom AG gestellt, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher
eingeführt worden sind. Denkbar vor allem bei Führungskräften.
Bei der Inhaltskontrolle sind die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu
berücksichtigen, die sich ambivalent auswirken können – z.B. Führungskräfte „auf
Augenhöhe“.
•
Individualvereinbarungen haben immer Vorrang. Solche liegen aber nur vor, wenn sie wirklich
ausgehandelt sind. Der AG muss die Klausel deutlich und ernsthaft zur Disposition stellen (BAG
27.7.05, NZA 06, 40; BAG 1.3.06, NZA 06, 746).
•
Es ist nicht möglich, dies durch eine „Aushandlungsklausel“ zu erreichen. Diese verstößt gegen
§ 308 Nr. 12 b) BGB, da hierdurch der Verwender die Beweislast für das Vorliegen einer
Individualabrede abwälzt.
•
„Ätsch-Effekt“
6
Jobst-Hubertus Bauer
I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
2. Stufen der AGB-Kontrolle
a) Verbot überraschender und mehrdeutiger Klauseln § 305 c BGB
•
Die Klausel muss objektiv ungewöhnlich sein und der andere Teil darf mit der
Klausel nicht rechnen.
•
Im Arbeitsrecht übliche Klauseln sind grds. nicht überraschend (z.B. Bezugnahmeklauseln, BAG 6.5.09, NZA-RR 09, 593).
•
Das Überraschungsmoment kann sich auch aus der Formulierung,
Formatierung oder Stellung (BAG 31.8.05, NZA 06, 324: Ausschlussklausel in
Schlussbestimmungen) ergeben.
Ø Wichtige und mit schwerwiegenden Nachteilen verbundene Klauseln
müssen drucktechnisch oder durch eine besondere Überschrift deutlich
hervorgehoben werden.
•
Praktisch relevant ist § 305 c I BGB besonders bei Ausgleichsquittungen, der
Verweisung auf TV und bei Ausschlussfristen.
► Forts.
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I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
2. Stufen der AGB-Kontrolle
a) Verbot überraschender und mehrdeutiger Klauseln § 305 c BGB
•
Beispiel: (BAG 16.4.08, NZA 08, 876)
-
Die Parteien hatten einen befristeten Arbeitsvertrag geschlossen. Die
Befristung war deutlich durch Fettdruck hervorgehoben. Allerdings befand sich
im folgenden Vertragstext eine weitere Befristung durch die Vereinbarung einer
sechsmonatigen Probezeit, wonach das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung nach
deren Ablauf enden sollte. Dies war drucktechnisch nicht hervorgehoben.
-
Das BAG hat die Probezeitklausel als überraschend i.S.v. § 305 c I BGB
angesehen.
-
Der AN brauche wegen der drucktechnischen Hervorhebung der ersten
Befristungsabrede nicht damit zu rechnen, dass im Text noch eine weitere
Befristung auftaucht.
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I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
2. Stufen der AGB-Kontrolle
b) Unklarheitenregelung § 305 c II BGB
•
Sinn der Regelung ist es, die Risiken der Vertragsauslegung dem Verfasser der
Klauseln aufzuerlegen. Ihm obliegt es, sich klar und eindeutig auszudrücken.
•
Im Fall der Mehrdeutigkeit treten daher die Interessen des Verwenders hinter denen
seines Vertragspartners zurück. Es gilt daher die für den Vertragspartner
günstigere Regelung.
•
Die Übergänge zwischen Auslegung und Inhaltskontrolle sind fließend. Bei
Mehrdeutigkeit ist § 305 c II BGB anzuwenden. Sind Klauseln unverständlich,
schwer nachvollziehbar oder widersprüchlich so greift § 307 I 2 BGB.
•
Verzichtet man - wie teilweise das BAG - auf die Auslegung, so führt dies hin zu
einer bloßen Billigkeitsprüfung, die der Rechtsicherheit nicht förderlich ist.
► Forts.
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I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
2. Stufen der AGB-Kontrolle
b) Unklarheitenregelung § 305 c II BGB
BAG 18.3.09, NZA 09, 1028
•
Laut HausTV erhalten Beschäftigte, die ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft
nachweisen, eine Ausgleichszahlung (einfache Differenzierungsklausel). Laut
Arbeitsvertrag (1999) „gelten die Bestimmungen des anzuwendenden TV in seiner
jeweils gültigen Fassung“.
•
Außenseiter haben nicht auf Grund der Bezugnahmeklausel (Gleichstellungsabrede) Anspruch auf die Ausgleichszahlung.
Ø Warum ist das kein Anwendungsfall von § 305 c II BGB?
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Jobst-Hubertus Bauer
I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
3. Schranken der Inhaltskontrolle
•
•
•
•
•
•
•
•
Hauptleistungspflichten (Preisabreden) sind nicht kontrollfähig! Dazu zählen
insbesondere Arbeitsentgelt und Arbeitsleistung. Es fehlt an einem tauglichen
Kontrollmaßstab.
Der Kontrolle unterliegen aber Preisnebenabreden, die sich zwar mittelbar auf den
Preis auswirken, an deren Stelle aber bei Unwirksamkeit eine dispositive
gesetzliche Regelung treten kann.
Preisnebenabreden sind im Arbeitsrecht vor allem Zuschläge, z.B. für Mehrarbeit,
Nachtarbeit oder generell Erschwerniszulagen.
Auch wenn die Vereinbarung eines Pauschalgehalts als Hauptleistungspflicht nicht
der AGB-Kontrolle unterfällt, so ist doch der damit verbundene Ausschluss von
Zuschlägen kontrollfähig.
Eine pauschale Abgeltung ohne Einschränkungen kann zu einer Beeinträchtigung
des Äquivalenzverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung führen und
damit eine unangemessene Benachteiligung darstellen.
Inhaltskontrolle nach § 307 I 1 BGB.
Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB).
Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB).
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Jobst-Hubertus Bauer
I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
4. Rechtsfolge der Unwirksamkeit
•
Anstelle der unwirksamen Klausel tritt die gesetzliche Regelung (§ 306 II BGB).
•
Nur teilbare Klauseln können teilweise aufrechterhalten werden („blue-pencilTest“). Beispiele:
-
BAG 12.3.08, NZA 08, 699:
Zwei Stufen von Ausschlussfristen.
-
BAG 6.5.09, NZA 09, 783:
Bonus, wenn das Arbeitsverhältnis ungekündigt besteht.
-
BAG 13.4.10, NZA 11, 64:
Konzernversetzungsklausel.
► Forts.
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I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
4. Rechtsfolge der Unwirksamkeit
BAG 6.5.09, NZA 09, 783
•
„Die Höhe des Bonus hängt von der Zielerreichung des Mitarbeiters … ab.
Voraussetzung für die Auszahlung des Bonus ist ein ungekündigtes
Arbeitsverhältnis zum Abschluss des Geschäftsjahrs …“
•
Ein Anspruch auf Bonuszahlung kann durch AGB an den Bestand des
Arbeitsverhältnisses zum Abschluss des Geschäftsjahrs gebunden werden.
•
Ist die Klausel sprachlich teilbar und wird der unwirksame Teil der Klausel „mit
einem blauen Stift“ gestrichen (blue-pencil-Test), ist die restliche Regelung
aufrechtzuerhalten, wenn sie verständlich und wirksam ist.
Ø
Durch Streichung des Wortes „ungekündigt“ wird ein vernünftiges Ergebnis
erzielt.
► Forts.
Jobst-Hubertus Bauer
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I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
4. Rechtsfolge der Unwirksamkeit
•
Geltungserhaltende Reduktion ist nach Auffassung des BAG grds.
ausgeschlossen (warum nicht § 306 II BGB i.V.m. §§ 133, 157 BGB?).
•
In „Altfällen“ ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich, wenn es sonst zu
einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatautonomie käme. Das Gesetzesrecht darf keine angemessene Lösung bieten und der Regelungsplan der Vertragsparteien muss eine auszufüllende Lücke aufweisen. Beispiel: Teilweiser Widerruf
von Vergütung (BAG 12.1.05, NZA 05, 465).
•
Aber keine ergänzende Vertragsauslegung bei:
-
„Altfällen“ von Freiwilligkeitsvorbehalten: Übergangsfrist war ausreichend
für Anpassungsversuch (BAG 10.12.08, NZA-RR 09, 576).
Ausschlussfristen, weil hier Lückenfüllung durch dispositives
Gesetzesrecht (Verjährungsrecht) möglich ist (BAG 28.11.07,
NZA 08, 293).
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Jobst-Hubertus Bauer
I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
5. Anwendung auf Kollektivverträge
•
Probleme bereitet die Kontrolle von in Bezug genommenen Kollektivvereinbarungen:
– Globalverweisungen: Keine Inhaltskontrolle, wenn auf einen einschlägigen TV
verwiesen wird. Wird aber ein anderer TV gewählt, kann diese Wahl einer
Prüfung unterzogen werden.
– Einzelverweisungen: Volle Inhaltskontrolle
– Teilverweisungen: Eine Inhaltskontrolle ist nur entbehrlich, wenn auf einen
Teilkomplex des einschlägigen TV verwiesen wird. Sonst sind die TVRegelungen einer Angemessenheitsprüfung zu unterziehen (BAG 6.5.09,
NZA-RR 09, 593).
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Jobst-Hubertus Bauer
I. AGB-Kontrolle: Grundsätze
6. Arbeitsrechtliche Besonderheiten § 310 IV 2 BGB
•
Arbeitsrechtliche Besonderheiten sind sowohl rechtliche als auch tatsächliche
Besonderheiten.
•
Beispiele:
•
-
Charakter der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld.
-
Kurze Ausschlussfristen.
-
Arbeitsverträge mit Tendenzunternehmen und kirchlichen Einrichtungen.
-
Fehlende Vollstreckbarkeit der Arbeitspflicht (§ 888 III ZPO)
(BAG 4.3.04, NZA 04, 727).
-
Anrechnungsvorbehalt (BAG 1.3.06, NZA 06, 746).
Allein die jahrelange Verwendung einer Klausel reicht nicht.
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Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
1. Schriftformklausel, betriebliche Übung
BAG 20.5.08, NZA 08, 1233
•
Eine einfache Schriftformklausel kann die Entstehung einer betrieblichen
Übung nicht verhindern.
•
Eine doppelte Schriftformklausel verhindert die Entstehung einer
betrieblichen Übung. Sie muss aber klarstellen, dass ausdrückliche mündliche
Abreden wirksam sind (§ 305 b BGB).
Vorschlag: „Änderungen des Vertrags durch individuelle Vertragsabreden
sind formlos wirksam. Im Übrigen bedürfen alle Änderungen dieses
Vertrags der Schriftform.“
•
Die „klassische“ doppelte Schriftformklausel ist in AGB unwirksam (anders noch
BAG 24.6.03, NZA 03, 1145).
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II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
2. Bezugnahmeklausel
(1) BAG 18.4.07, NZA 07, 965
•
•
Früher ging das BAG in st. Rspr. davon aus, dass die arbeitsvertragliche
dynamische Bezugnahme auf einen bestimmten TV als Gleichstellungsabrede auszulegen ist.
Nun legt das Gericht solche Klauseln als „unbedingte zeitdynamische
Verweisung“ aus.
(2) BAG 24.9.08, NZA 09, 154
•
•
•
Die Verweisung erfasst dann auch für die AN ungünstigere
SanierungsTVe.
Transparenzgebot ist dadurch nicht verletzt.
§ 305 c II BGB ist i.d.R. nicht anwendbar, da Günstigkeitsvergleich nicht
möglich.
► Forts.
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II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
2. Bezugnahmeklausel
•
Gleichstellungsabreden sind aber weiterhin möglich. Sie müssen diesen
Zweck aber hinreichend deutlich machen.
•
Dadurch besteht dann die Gefahr der Intransparenz.
•
Vorschlag:
„Im Übrigen gelten die TV, an die der AG derzeit tarifgebunden ist, in ihrer
jeweils gültigen Fassung. Das sind derzeit die … TV. Diese Abrede gilt, weil
und solange der AG tarifgebunden ist. Sie bezweckt die Gleichstellung
nicht organisierter mit organisierten AN.“
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II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
3. Versetzungsklausel
(1) BAG 11.4.06, NZA 06, 1149
•
Wirksam:
„Frau D. wird als Redakteur (verantwortlich für Wort und Bild) in der
Hauptredaktion, Ressort Sonderaufgaben, beschäftigt. Der Verlag behält sich
unter Wahrung der Interessen des Redakteurs die Zuweisung eines anderen
Arbeitsgebiets vor.“
•
•
•
§ 308 Nr. 4 BGB ist nicht anwendbar, da er nur einseitige Bestimmungsrechte
hinsichtlich der Leistung des Verwenders meint.
Auch wenn weder Anlass noch Reichweite des Versetzungsvorbehalts
bezeichnet sind, verstößt die Klausel nicht gegen § 307 BGB, insbesondere ist
sie nicht intransparent i.S.d. § 307 I 2 BGB.
Der 9. Senat hat bei seiner Entscheidung auf § 106 GewO abgestellt und den
Umstand berücksichtigt, dass der AN weder ein Arbeitsgebiet in einer
bestimmten Redaktion noch ein bestimmter Arbeitsort fest zugesagt worden war.
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Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
3. Versetzungsklausel
(2) BAG 13.3.07, NZA-RR 08, 504
•
Wirksam:
„Frau … wird … bei FRA RE 8 in Frankfurt beschäftigt. Sie kann entsprechend
ihrer Leistungen und Fähigkeiten an einem anderen Ort eingesetzt werden.“
•
Auf Grund der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten sind Versetzungsklauseln nicht unangemessen. Auch eine langjährige Beschäftigung kann kein
Vertrauen auf weitere ortsgebundene Beschäftigung begründen.
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II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
3. Versetzungsklausel
(3) BAG 9.5.06, NZA 07, 145
• Aber unwirksam:
„Falls erforderlich, kann H. nach Abstimmung der beiderseitigen Interessen Art
und Ort der Tätigkeit des/der Angestellten ändern.“
• Hier hat sich der AG eine Änderung der vertraglichen Tätigkeit als solche
vorbehalten, also keine Konkretisierung der Arbeitspflicht wie bei BAG 11.4.06.
• Die Klausel ist unangemessen, da sie nicht gewährleistet, dass eine mindestens
gleichwertige Tätigkeit zugewiesen wird.
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II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
3. Versetzungsklausel
(4) BAG 13.4.10, NZA 11, 64
•
Der Arbeitsvertrag enthielt folgende Klausel:
„P. behält sich das Recht vor, Sie im Bedarfsfall auch an einem anderen
Arbeitsort und/oder bei einer anderen Gesellschaft des Konzerns P.
entsprechend Ihrer Vorbildung und Ihren Fähigkeiten für gleichwertige
Tätigkeiten einzusetzen. Hierbei werden Ihre persönlichen Belange
angemessen berücksichtigt.“
•
•
•
Eine vorformulierte Klausel, die inhaltlich der Regelung in § 106 S. 1 GewO
entspricht, unterliegt nicht der Angemessenheitskontrolle nach § 307 I 1 BGB.
Die Klausel ist nicht deshalb unklar bzw. intransparent nach §§ 305 II, 307 I 2
BGB, weil weder ein max. Entfernungsradius noch eine angemessene
Ankündigungsfrist vereinbart ist. Eine solche Konkretisierungsverpflichtung würde
dem Bedürfnis des AG nicht gerecht, auf im Zeitpunkt des Vertragsschlusses
nicht vorhersehbare Veränderungen reagieren zu können.
Die Angemessenheit der Entfernung und eine ggf. notwendige Ankündigungsfrist
sind im Rahmen der Ausübungskontrolle nach § 315 I BGB zu prüfen.
► Forts.
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II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
3. Versetzungsklausel
(4) BAG 13.4.10 (Forts.)
•
Ob die Versetzungsbefugnis zu einer anderen Konzerngesellschaft der
Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB standhielte, kann dahinstehen, weil die
Klausel über den sog. „blue-pencil-Test“ zu retten ist. Eine Konzernversetzung
lag nicht vor.
Ø
Damit bleibt die Frage, ob bei einer Konzernversetzung die Klausel wirksam
wäre. M.E. ist § 309 Nr. 10 BGB wegen der Besonderheiten des
Arbeitsrechts nicht anwendbar (sehr bestr.; immerhin halten aber BAG
23.3.06, NZA 07, 30 und BAG 23.11.04, NZA 05, 929 eine Einstellung für den
Konzernbereich und ein Einverständnis mit konzernweiter Versetzung grds.
für möglich).
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Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
3. Versetzungsklausel
(5) BAG 25.8.10, NZA 10, 1355
•
Ergibt die Auslegung eines in AGB enthaltenen Versetzungsvorbehalts, dass
diese Klausel inhaltlich der Regelung des § 106 S. 1 GewO entspricht, so
unterliegt sie keiner Angemessenheitskontrolle nach § 307 I 1 BGB.
•
Die vertragliche Regelung muss die Beschränkung auf den materiellen Gehalt
des § 106 GewO unter Berücksichtigung der für AGB geltenden Auslegungsgrundsätze aus sich heraus erkennen lassen.
•
Behält sich der AG vor, einseitig ohne Ausspruch einer ÄndK die vertraglich
vereinbarte Tätigkeit unter Einbeziehung geringwertiger Tätigkeiten zu Lasten
des AN ändern zu können, so liegt darin regelmäßig eine unangemessene
Benachteiligung i.S.d. § 307 I Nr. 1 i.V.m. II Nr. 1 BGB.
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Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
4. Bedingung/Befristung
(1) BAG 8.8.07, NZA 08, 229
•
Die auflösende Bedingung, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem
frühestmöglichen Rentenbezug endet, kann als überraschende Klausel
unwirksam sein.
•
Für einen Altersteilzeitvertrag hat dies das BAG wegen der vorangegangenen Verhandlungen angenommen. Der AN musste mit so einer
Klausel nicht rechnen.
•
In befristeten Verträgen muss die Möglichkeit der Beendigung durch
auflösende Bedingungen vor Ablauf der Befristung deutlich hervorgehoben
werden.
Ø Frage: Gilt dies auch für die Möglichkeit der ordentlichen
Kündigung?
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Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
4. Bedingung/Befristung
(2) BAG 16.4.08, NZA 08, 876
•
Enthält ein Formulararbeitsvertrag neben einer drucktechnisch
hervorgehobenen Befristung für die Dauer eines Jahres im nachfolgenden
Text ohne drucktechnische Hervorhebung eine weitere Befristung zum Ablauf der
sechsmonatigen Probezeit, handelt es sich bei der Probezeitbefristung um eine
überraschende Klausel i.S.d. § 305 c I BGB.
•
Eine solche Klausel ist darüber hinaus intransparent nach § 307 I 2 BGB, weil
sie einerseits eine Vertragslaufzeit vom 1.11.05 bis zum 31.10.06 festlegt,
andererseits aber bestimmt wird, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der
sechsmonatigen Probezeit endet. Jede der beiden Regelungen ist zwar für sich
genommen klar und verständlich, insgesamt ergeben sie aber nicht ohne
weiteres einen vernünftigen Sinn.
► Forts.
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Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
4. Bedingung/Befristung
(2) BAG 16.4.08, NZA 08, 876
•
Offen ist, ob der Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB zur
Unwirksamkeit nur der Befristung zum 30.4.06 oder sogar der Befristung zum
31.10.06 führt.
Ø Der AGB-Kontrolle standhalten dürfte folgende Regelung:
„1.
2.
3.
Der Vertrag ist gem. § 14 II TzBfG befristet und endet spätestens am …, ohne
dass es einer Kündigung bedarf.
Die ersten sechs Monate sind befristete Probezeit, so dass das Arbeitsverhältnis
auch vorzeitig zum … enden kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Firma dies
dem AN spätestens zwei Wochen vorher schriftlich mitteilt. Andernfalls gilt der
Fristablauf gem. Ziff. 1.
Das Arbeitsverhältnis kann beiderseitig auch vorzeitig ordentlich gekündigt
werden. Die Frist beträgt in der Probezeit zwei Wochen, danach vier Wochen
zum 15. eines Monats oder zum Monatsende.“
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Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
4. Bedingung/Befristung
(3) BAG 24.1.08, NZA 08, 876
•
Auch in befristeten Arbeitsverhältnissen ist die Vereinbarung einer Probezeit
rechtlich möglich und zulässig.
•
Die in einem Formulararbeitsvertrag vereinbarte Probezeitdauer von sechs
Monaten unterliegt gem. § 307 III 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle nach
§ 307 I 1 BGB. Durch die formularmäßige Vereinbarung einer für beide
Vertragsteile gleichermaßen geltenden sechsmonatigen Probezeit nutzen die
Parteien lediglich die gesetzlich zur Verfügung gestellten Möglichkeiten und
weichen hiervon nicht ab.
(4) BAG 2.9.09, NZA 09, 1253
•
Ein unbefristet teilzeitbeschäftigter AN wird durch die Befristung einer
Arbeitszeiterhöhung regelmäßig nicht i.S.v. § 307 I 1 BGB unangemessen
benachteiligt, wenn die Befristung auf Umständen beruht, die die Befristung des
Arbeitsvertrags nach § 14 I 2 Nr. 3 TzBfG sachlich rechtfertigen könnten.
29
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
5. Vertragsstrafe bei vertragswidriger Auflösung
(1) BAG 4.3.04, NZA 04, 727
•
Vertragsstrafen sind wegen der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten trotz § 309 Nr. 6 BGB grds. zulässig.
•
Sie können aber wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam
sein (§ 307 I BGB).
•
Ist Vertragsstrafe zu hoch, scheidet geltungserhaltende Reduktion
grds. aus.
(2) BAG 21.4.05, NZA 05, 1053
•
Unangemessen ist eine Regelung, wonach eine Vertragsstrafe verwirkt
ist, wenn der AG durch „schuldhaft vertragswidriges Verhalten des AN
zur fristlosen Kündigung des AV veranlasst wird.“
•
Eine solche Vertragsstrafe lässt nicht erkennen, durch welche konkrete
Pflichtverletzung die Vertragsstrafe verwirkt wird. Sie ist daher nicht klar
und verständlich (§ 307 I 2 BGB).
•
Die Pflichtverletzung muss so klar bezeichnet sein, dass sich der AN
darauf einstellen kann.
30
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
5. Vertragsstrafe bei vertragswidriger Auflösung
(3) BAG 25.9.08, NZA 09, 370
•
Der Vertrag enthielt folgende Regelung:
„Dieser Dienstvertrag ist unbefristet und kann mit einer Schutzfrist von 2
Monaten zum 31.7. gekündigt werden. … Wird der Kündigungstermin nicht
eingehalten und kommt die Lehrkraft ihrer Verpflichtung zur Dienstleistung
bis zum Ablauf des Dienstvertrags nicht nach, wird die Zahlung einer
Vertragsstrafe von 3 Bruttomonatsgehältern mit sofortiger Wirkung fällig.“
Die Kl. hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 5.7.06 zum 31.7.06
gekündigt, nicht also zum 31.7.07.
•
•
Es gibt keine generelle Höchstgrenze für eine arbeitsvertraglich vereinbarte
Vertragsstrafe.
Eine Übersicherung liegt vor, weil die Vertragsstrafe beispielsweise auch dann
verwirkt ist, wenn die Lehrkraft am 30.4. zum 30.6. kündigt und bis dahin ihre
Arbeitsleistungen erbringt. Dann würde sie den AG die Arbeitsleistung für einen
Monat entziehen.
► Forts.
Jobst-Hubertus Bauer
31
I. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
5. Vertragsstrafe bei vertragswidriger Auflösung
BAG 25.9.08 (Forts.)
•
Deshalb kann dahinstehen, ob eine Vertragsstrafe von 3 Bruttomonatsgehältern in
einer konkreten Fallkonstellation wie der vorliegenden angemessen wäre.
•
Auf Grund der einheitlichen, nicht teilbaren Regelung in § 4 S. 3 des
Arbeitsvertrags kommt es bei der Prüfung der Angemessenheit der Vertragsstrafe
nicht darauf an, ob unter die Regelung auch Konstellationen fallen können, die eine
dreifache Bruttomonatsvergütung als Vertragsstrafe rechtfertigen würden.
Ø Klauselvorschlag (ohne Garantie der Wirksamkeit): „Beendet der AN seine
Tätigkeit vertragswidrig oder nimmt er die vereinbarte Tätigkeit vertragswidrig
nicht auf oder wird das Arbeitsverhältnis vom AG wirksam aus wichtigem
Grund wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit außerordentlich
gekündigt, so hat der AN eine Vertragsstrafe i.H.d. Bruttomonatsgehälter zu
zahlen, die er bei Einhaltung der für ihn geltenden ordentlichen
Kündigungsfrist erhalten hätte, max. jedoch 3 Bruttomonatsgehälter.“
Ø Bei Top-Führungskräften und/oder Spezialisten muss m.E. auch eine
höhere Vertragsstrafe zulässig sein.
Ø Greift „blue-pencil-Test“, wenn gestaffelte hilfsweise Vertragsstrafen
festgelegt werden?
Ø Keine Kontrolle nach § 307 I 1 BGB, wenn Vertragsstrafe ausgehandelt ist!
32
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
6. Vertragsstrafe bei Wettbewerbsverbot
(1) BAG 14.8.07, NZA 08, 170
•
Auslösende Pflichtverletzung und zu leistende Strafe ihrer Höhe nach
müssen klar und bestimmt sein.
•
Folgende Klausel zur Sicherung eines Wettbewerbsverbots für die Dauer des
Arbeitsverhältnisses verstößt gegen das Transparenzgebot (§ 307 I 2 BGB):
„Der AG kann unbeschadet seiner sonstigen Rechte für jeden Fall der
Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe in Höhe von zwei durchschnittlichen
Brutto-Monatsgehältern verlangen. Im Fall einer dauerhaften Verletzung gilt
jeder angebrochene Monat als eine erneute Verletzungshandlung.“
•
Unklar ist, wann ein einzelner Verstoß und wann ein Dauerverstoß vorliegt, und
ob jede Wettbewerbstätigkeit die Vertragsstrafe auslöst oder ob sie nur einmal
pro Monat anfällt.
33
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
6. Vertragsstrafe bei Wettbewerbsverbot
(2) Klauselempfehlung:
„Für jeden Fall der Verletzung des Verbots hat der Mitarbeiter eine Vertragsstrafe von EUR … zu zahlen. Die Geltendmachung eines darüber hinausgehenden Schadens bleibt vorbehalten. Im Fall einer dauerhaften Verletzung
des Verbots wird die Vertragsstrafe für jeden angefangenen Monat neu verwirkt.
Eine Dauerverletzung liegt vor, wenn der Mitarbeiter sich kapitalmäßig an einem
Wettbewerbsunternehmen beteiligt oder mit einem Wettbewerbs-unternehmen
verbotswidrig ein Dauerschuldverhältnis eingeht, insbesondere ein
Anstellungsverhältnis oder einen Vertrag als freier Mitarbeiter, Berater oder
Handelsvertreter.
Eine Einzelverletzung liegt dagegen vor, wenn gegen das Verbot nicht im
Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses und nicht durch kapitalmäßige
Beteiligung verstoßen wird, sondern in sonstiger Weise. Durch jede einzelne
Einzelverletzung wird die Vertragsstrafe gesondert verwirkt, ggfs. auch
mehrmals innerhalb eines Monats. Einzelverletzungen im Rahmen einer
Dauerverletzung verwirken keine zusätzliche Vertragsstrafe. Eine Dauerverletzung schließt jedoch eine weitere Verwirkung der Vertragsstrafe innerhalb
eines Monats durch eine anderweitige Dauerverletzung oder anderweitige
Einzelverletzung außerhalb der Dauerverletzung nicht aus.“
Ø
Achtung: Gefahr der Intransparenz?
Jobst-Hubertus Bauer
► Forts.
34
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
6. Vertragsstrafe bei Wettbewerbsverbot
Ø
•
Achtung: Die BAG-Entscheidungen gelten m.E. hinsichtlich der
Transparenzkontrolle auch für nachvertragliche Wettbewerbsverbote
(nvW).
Bei der Kontrolle der Angemessenheit der Höhe einer Vertragsstrafe für ein
nvW ist das Verhältnis von §§ 307 I, 306 BGB (keine geltungserhaltende
Reduktion) zu §§ 75 c I 2 HGB, 343 BGB (Herabsetzung) unklar.
(3) ArbG Halle 22.5.06 – 7 Ca 1812/04
Herabsetzung geht vor Angemessenheitskontrolle nach § 307 I BGB; langer
Zeitraum zwischen Vereinbarung des nvW und Beginn des nvW ist
arbeitsrechtliche Besonderheit.
•
a.A. LAG München 13.2.07 – 6 Sa 527/06, ohne Differenzierung zw.
vertraglichem und nvW.
35
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
7. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt
(1) BAG 25.4.07, NZA 07, 853
•
Als unangemessene Benachteiligung nach § 307 I 1 BGB unwirksam bei
monatlich zu zahlender Leistungszulage.
•
Freiwilligkeitsvorbehalt bei laufendem, im Synallagma stehenden Arbeitsentgelt
widerspricht dem Zweck des Arbeitsvertrags.
•
Die Umdeutung eines unwirksamen Freiwilligkeits- in einen Widerrufsvorbehalt
kommt nur in Betracht, wenn die Klausel so gestaltet ist, dass sie den
Anforderungen an einen Widerrufsvorbehalt entspricht (§ 308 Nr. 4 BGB).
Ø
Was gilt bei Altverträgen? Was ist laufendes Entgelt? Welche
Leistungen stehen im Synallagma?
36
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
7. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt
(2) BAG 30.7.08, NZA 08, 1173
•
Grds. wirksam bei Sonderzahlungen.
•
Unabhängig vom vom AG mit der Sonderzahlung verfolgten Zweck: Auch bei
im unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungen.
•
Aber wegen Intransparenz nach § 307 I 2 BGB unwirksam bei
–
–
–
Ø
anspruchsbegründender Formulierung (z.B. „der AN erhält …“) +
Freiwilligkeitsvorbehalt.
Kombination von Widerrufs- und Freiwilligkeitsklauseln
präziser Formulierung von Voraussetzungen und Höhe der
Sonderleistung.
Was sind Sonderzahlungen/Sonderleistungen?
37
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
7. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt
(3) BAG 21.1.09 – 10 AZR 221/08, n.v.
Wirksam soll z.B. sein:
„Der AN erhält ein monatliches Gehalt von […]. Die Gewährung sonstiger
Leistungen (z.B. Weihnachts- und Urlaubsgeld, 13. Gehalt etc.) durch den AG
erfolgen freiwillig und mit der Maßgabe, dass auch mit einer wiederholten
Zahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird.“
M.E. besser:
„Erhält der AN ein Weihnachtsgeld, so handelt es sich dabei um eine freiwillige
Leistung, auf die auch bei wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch besteht.“
•
Auch bei beträchtlicher Höhe der Sonderzahlung (EUR 25.000-30.000 bei
Jahresgehalt EUR 55.000; BAG 18.3.09, NZA 09, 535).
38
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
7. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt
(4) BAG 8.12.10, NZA 11, 628
•
Die Klausel lautet:
„Soweit der AG gesetzlich oder durch TV nicht vorgeschriebene Leistungen,
wie Prämien, Zulagen, Urlaubsgeld, Gratifikationen, Weihnachtsgratifikationen
gewährt, erfolgen sie freiwillig und ohne jede rechtliche Verpflichtung. Sie sind
daher jederzeit ohne Wahrung einer besonderen Frist widerrufbar.“
•
Leistet der AG mehrere Jahre lang ein Weihnachtsgeld an einen AN, ohne bei
der Zahlung deutlich eine Bindung für die Zukunft auszuschließen, kann der AN
aus diesem regelmäßigen Verhalten grds. schließen, der AG wolle sich
dauerhaft verpflichten.
Die unklare und intransparente allgemeine Klausel im Arbeitsvertrag kann
das Entstehen eines zukünftigen Rechtsanspruchs nicht hindern.
Die Klausel kann so verstanden werden, dass sich der AG aus freien Stücken
zur Erbringung der Leistung verpflichten wollte. Ferner setzt der vorbehaltene
Widerruf voraus, dass überhaupt ein Anspruch entstanden ist.
•
•
39
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
7. Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt
(5) BAG 14.9.11, NZA 12, 81
•
In der Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt liegt
regelmäßig ein zur Unwirksamkeit der Klausel führender Verstoß gegen das
Transparenzgebot (§ 307 I 2 BGB).
•
Folgt die Intransparenz aus der genannten Kombination, kommen die Annahme
einer Teilbarkeit der Klausel und ihre teilweise Aufrechterhaltung nicht in
Betracht.
•
Ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen
unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasst, benachteiligt
den Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen i.S.v. § 307 I 1, II Nr. 1 und Nr. 2
BGB und deshalb unwirksam.
40
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
8. Widerruf von Vergütung
(1) BAG 12.1.05, NZA 05, 465
BAG 11.10.06, NZA 07, 87
BAG 20.4.11, NZA 11, 796
•
Eine Abrede, nach der dem AG das Recht zusteht, „übertarifliche
Lohnbestandteile jederzeit unbeschränkt zu widerrufen“, ist gem.
§ 308 Nr. 4 BGB grds. unwirksam.
•
Ein Widerrufsvorbehalt ist nur wirksam, wenn er Voraussetzung und
Umfang erkennen lässt und der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst
unter 25 % liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird.
•
Aber: Ergänzende Vertragsauslegung für „Altverträge“.
41
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
8. Widerruf von Vergütung
(2) BAG 19.12.06, NZA 07, 809
•
Die Vereinbarung in einem Formulararbeitsvertrag, nach welcher der AG
berechtigt ist, jederzeit die Privatnutzung eines zur Verfügung gestellten
Firmenwagens zu widerrufen, ist zu weit gefasst und verstößt gegen
§ 308 Nr. 4 BGB.
•
Auch in Altfällen kommt keine geltungserhaltende Reduktion oder
ergänzende Vertragsauslegung in Betracht (widersprüchlich zur Rspr.
des 5. Senats).
•
Gegen die Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung mit
monatlich 1% des Listenpreises des Firmenwagens bestehen nach
Ansicht des BAG keine Bedenken.
42
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
8. Widerruf von Vergütung
(3) BAG 20.4.11, NZA 11, 796
•
Der Widerruf einer in AGB versprochenen Leistung des AG darf nicht
grundlos erfolgen.
•
Seit 1.1.02 müssen die Widerrufsgründe in der Vertragsklausel
angegeben werden. Fehlt diese Angabe, ist die Klausel nach §§ 308
Nr. 4, 307 unwirksam.
•
Die hierdurch entstandene Vertragslücke kann in vor dem 1.1.02
vereinbarten Klauseln im Wege ergänzender Vertragsauslegung
geschlossen werden.
•
Bei der Schließung der Lücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung
ist es unerheblich, ob der AG dem AN in der gesetzlichen Übergangsfrist bis zum 31.12.02 eine Anpassung der Klausel an den strengeren
Rechtszustand angetragen hat.
43
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
9. Anrechnung von Tariferhöhungen auf Zulagen
(1) BAG 1.3.06, NZA 06, 746
•
Die Regelung einer
„freiwilligen, jederzeit widerruflichen und anrechenbaren betrieblichen
Ausgleichszulage“
ist auch ohne Bestimmung der Anrechnungsgründe als Anrechnungsvorbehalt
wirksam; die Klausel ist teilbar.
(2) BAG 27.8.08, NZA 09, 49
•
Freiwillige, übertarifliche Sonderzahlungen können auch ohne ausdrückliche
Vereinbarung – auch rückwirkend – auf Tariflohnerhöhungen angerechnet
werden.
•
Der konkludent, mündlich oder durch betriebliche Übung begründete
Anrechnungsvorbehalt ist AGB; er verstößt nicht gegen § 307 I 1 und unterliegt
keinen Zweifeln (§ 305 c II BGB).
44
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
10. Flexibilisierung der Arbeitszeit
(1) BAG 7.12.05, NZA 06, 423
•
§ 12 I 2 TzBfG erfordert nur die Festlegung einer Mindestdauer der
wöchentlichen und der täglichen Arbeitszeit.
•
Die Arbeitsvertragsparteien können die Arbeitszeit „nach oben“ und/oder „nach
unten“ flexibilisieren.
•
Eine solche Flexibilisierung ist aber nach § 307 I, II BGB nur angemessen,
wenn die einseitig vom AG abrufbare Arbeit des AN nicht mehr als 25% der
vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit beträgt.
•
Achtung: Eine Absenkung der Arbeitszeit „von oben nach unten“ ist
rechnerisch um max. 20% zulässig (das entspricht „von unten nach oben“
25%!).
45
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
10. Flexibilisierung der Arbeitszeit
(2) BAG 17.10.12, NJW 13, 1388
•
Im Vertrag ist geregelt:
„1. Der Stundenlohn erhöht sich um 3%.
2.
Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich, von denen
35 Stunden wöchentlich vergütet werden. Für die Differenz zur bisherigen
regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Stunden wird keine gesonderte
Vergütung gezahlt. Überstunden, die über 40 Stunden wöchentlich
hinausgehen, werden als solche weiterhin regulär vergütet.“
•
Eine Klausel, nach der eine gesonderte Vergütung für die 36. bis 40. Arbeitsstunde pro Woche ausgeschlossen wird, betrifft allein die (Mit-)Vergütung dieser
Arbeitsleistung und ist damit eine Hauptleistungsabrede.
•
Eine solche Klausel unterliegt deshalb nicht der Angemessenheitskontrolle nach
§ 307 I 1 BGB.
46
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
11. Pauschalabgeltung von Nachtarbeit
BAG 31.8.05, NZA 06, 324
•
Zwar unterliegen „Preisabreden“ grds. nur der Transparenzkontrolle. Da mit § 6 V
ArbZG eine gesetzliche Regelung besteht, unterliegt die Pauschalabgeltung der
Nachtarbeit jedoch auch der Angemessenheitskontrolle.
•
Eine Pauschalabgeltung kann daher unangemessen sein, wenn das
Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung maßgeblich gestört wird.
•
Dies ist bei einem Pauschalgehalt, das wesentlich über dem Gehalt eines nicht
nachts arbeitenden AN liegt, nicht der Fall.
47
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
12. Pauschalabgeltung von Überstunden
(1) BAG 28.9.05, NZA 06, 149
•
Arbeitszeitgesetzwidrig geleistete Überstunden können nicht mit einem
Pauschalgehalt abgegolten werden.
•
Ob eine pauschale Abgeltung in AGB bis zur zulässigen Obergrenze möglich
ist, hat das BAG offen gelassen.
•
Es müssten jedoch die zu Nachtarbeitszuschlägen genannten Grundsätze gelten:
Die Anordnung von nicht extra vergüteten Überstunden darf nicht zu einer
krassen Störung des Äquivalenzverhältnisses führen.
48
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
12. Pauschalabgeltung von Überstunden
(2)
BAG 1.9.10, NZA 11, 575
•
Die in einem vom AG gestellten Formulararbeitsvertrag enthaltene Klausel, mit
der monatlichen Bruttovergütung seien „erforderliche Überstunden des AN mit
abgegolten“, ist mangels näherer Bestimmung des Umfangs der geschuldeten
Arbeitsleistung intransparent i.S.v. § 307 I 2 BGB und deshalb gem. § 306 I BGB
unwirksam.
(3)
Aber: BAG 17.8.11, NZA 11, 1335, dazu Bauer/Merten, RdA 12, 178
•
Im Streit ist folgende Klausel:
„Durch die zu zahlende Brutto-Vergütung ist eine etwaig notwendig
werdende Über- oder Mehrarbeit abgegolten.“
•
Auf die AGB-Kontrolle kommt es nicht an, wenn ein AN von vornherein für
Überstunden keine zusätzliche Vergütung erwartet. Die vereinbarte Vergütung
entspricht dann § 612 BGB (ebenso BAG 21.9.11, NZA 12, 145).
► Forts.
Jobst-Hubertus Bauer
49
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
12. Pauschalabgeltung von Überstunden
(3)
Aber: BAG 17.8.11, Forts.:
•
Eine AGB verletzt das Bestimmtheitsgebot (§ 307 I 2 BGB), wenn sie
vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält.
Ø
Irritierend ist folgende Aussage im Urteil:
„Der Umfang der Klausel ist im Arbeitsvertrag ebenso wenig bestimmt
wie die Voraussetzungen, unter denen Überstunden ‚etwa
notwendig‘ sein sollen.“
Ø
Damit werden die Anforderungen an die Bestimmtheit der Vertragsklausel
überspitzt.
50
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
12. Pauschalabgeltung von Überstunden
(4) BAG 22.2.12, NZA 12, 861
•
Der Kl. war als Lagerleiter mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von EUR
1.800 bei einer vereinbarten monatlichen Arbeitszeit von 182 Stunden (42
Stunden/wtl.) beschäftigt. Im Vertrag hieß es u.a.:
„Der AN erhält für die Über- und Mehrarbeit keine weitergehende
Vergütung.“
•
Eine Vergütungserwartung für geleistete Mehrarbeit ist gegeben, wenn jede
zusätzliche Vergütung von Mehrarbeit vertraglich ausgeschlossen ist und der AN
kein herausgehobenes Entgelt bezieht.
•
An einer Vergütungserwartung fehlt es regelmäßig bei einem Einkommen
oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze.
51
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
12. Pauschalabgeltung von Überstunden
(5) BAG 16.5.12, DB 12, 1990; vgl. dazu Bauer/Arnold/Willemsen, DB 12, 1984
•
Eine Klausel in AGB, die ausschließlich die Vergütung von Überstunden, nicht
aber die Anordnungsbefugnis des AG zur Leistung von Überstunden regelt, ist
eine Hauptleistungsabrede und deshalb von der Inhaltskontrolle nach § 307 I 1
BGB ausgenommen.
•
Eine Klausel über die Abgeltung einer bestimmten Zahl von Überstunden ist bis
zur Grenze der Sittenwidrigkeit wirksam.
•
Offen bleibt, was bei der Kombination von Anordnungsbefugnis und
Abgeltungsklausel gilt.
Ø AG sollten sich deshalb überlegen, ob sie auf eine Klausel zur
Überstundenanordnung verzichten.
52
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
13. Kurzarbeitsklausel
•
•
•
•
•
Der AG kann Kurzarbeit nicht einseitig mit Hilfe seines Direktionsrechts einführen.
Er benötigt hierfür eine kollektiv- oder individualrechtliche Rechtsgrundlage.
Insbesondere bei betriebsratslosen Betrieben und bei der Anordnung von
Kurzarbeit gegenüber leitenden Angestellten gewinnen Kurzarbeitsklauseln in
den Arbeitsverträgen an Bedeutung.
Textvorschlag:
„Der AG kann Kurzarbeit anordnen, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall
vorliegt, der auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren
Ereignis beruht und der Arbeitsausfall der Arbeitsverwaltung angezeigt ist
(§§ 169 ff. SGB III).
Für die Dauer der Kurzarbeit vermindert sich die in § … dieses Vertrags
geregelte Vergütung im Verhältnis der ausgefallenen Arbeitszeit. Der AG hat
bei der Anordnung von Kurzarbeit gegenüber dem AN eine Ankündigungsfrist
von 3 Wochen einzuhalten.“
Diese Klausel sollte unter dem Regelungspunkt „Arbeitszeit“ aufgeführt werden,
um zu verhindern, dass es sich um eine überraschende Klausel i.S.d. § 305 c I
BGB handelt.
Die Klausel ist m.E. angemessen i.S.v. § 307 I 1 BGB.
53
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
14. Urlaubsregelung
•
Der EuGH (20.1.09 - C-350/06 - Schultz-Hoff, NJW 09, 495) hat das deutsche
Urlaubsrecht gekippt.
•
Deshalb ist eine ausdrückliche Regelung der Befristung und Erfüllbarkeit des
Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruchs in Arbeitsverträgen empfehlenswert,
soweit der eingeräumte Urlaub über den Mindesturlaubsanspruch hinausgeht.
•
Folgende Klausel empfiehlt sich:
(1) Der AN hat Anspruch auf einen gesetzlichen Mindesturlaub von 4 Wochen.
(2) Der AG gewährt dem AN zusätzlich einen Urlaubsanspruch von … Für diesen
zusätzlichen Urlaub gilt abweichend von den rechtlichen Vorgaben für den
gesetzlichen Mindesturlaub, dass der Urlaubsanspruch nach Ablauf des
Übertragungszeitraums auch dann verfällt, wenn der Urlaub im
Übertragungszeitraum wegen Arbeitsunfähigkeit des AN nicht genommen
werden kann. Soweit der Urlaub verfällt, entfällt auch ein etwaiger
Urlaubsabgeltungsanspruch.
•
Eine solche Klausel ist auch angemessen i.S.d. § 307 I 1 BGB.
54
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
15. Sonderzahlungen
(1) BAG 18.1.12, NZA 12, 499
•
Zahlung einer Tantieme in Abhängigkeit einer Dividendenzahlung ist nicht
unangemessen i.S.d. § 307 I 21 BGB.
(2) BAG 13.11.13, NZA 14, 368
•
Eine Sonderzahlung, die auch Gegenleistung für im gesamten Kalenderjahr
laufend erbrachte Arbeit darstellt, kann in AGB regelmäßig nicht vom Bestand
des Arbeitsverhältnisses am 31.12. des betreffenden Jahres abhängig gemacht
werden.
55
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
16. Rückzahlungsklausel bzgl. Ausbildungskosten
(1) BAG 11.4.06, NZA 06, 1042
•
Die Vereinbarung, dass ein AN bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor
Ablauf einer bestimmten Frist vom AG übernommene Ausbildungskosten ohne
Rücksicht auf den Beendigungsgrund zurückzahlen muss, ist wegen
unangemessener Benachteiligung unwirksam, § 307 I BGB.
•
Eine geltungserhaltende Reduktion scheidet aus.
(2) BAG 14.1.09, NZA 09, 666
•
Die Vorteile der Ausbildung und die Dauer der Bindung müssen in einem
angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
56
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
16. Rückzahlungsklausel bzgl. Ausbildungskosten
(3) BAG 18.3.08, NZA 08, 1004
•
Eine Klausel, die den ratierlichen Abbau eines Studiendarlehens für jeden
Monat der späteren Tätigkeit vorsieht, ist unangemessen
-
nach § 307 I 1 BGB, wenn sie keine Verpflichtung des Darlehensgebers zur
Beschäftigung des Studierenden nach dem Abschluss enthält (s. auch BAG
18.11.09, NZA 09, 435),
-
nach § 307 I 2 BGB, wenn sie den Studierenden über spätere Arbeitsbedingungen im Unklaren lässt.
(4) BAG 15.9.09, NJW 10, 550
zur Rückzahlungsvereinbarung nach erfolgter Schulungsmaßnahme.
57
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
16. Rückzahlungsklausel bzgl. Ausbildungskosten
(5) BAG 28.5.13, BB 13, 2036
•
Eine Rückzahlungsklausel für Ausbildungskosten stellt nur dann eine
ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der AN selbst in der Hand hat,
durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen.
•
Fehlt es an dieser Ausgewogenheit, kommt es grds. auf die Hintergründe einer
Eigenkündigung des AN nicht an. §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das
Erstellen inhaltlich unangemessener AGB, nicht erst deren unangemessenen
Gebrauch im konkreten Einzelfall.
•
An einer ergänzenden Vertragsauslegung besteht grds. kein schützenswertes
Interesse.
58
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
16. Rückzahlungsklausel bzgl. Ausbildungskosten
(6) BAG 6.8.13, NZA 13, 1361
•
Klauseln in Formularverträgen über die Erstattung von Weiterbildungskosten
genügen dem Transparenzgebot (§ 307 I 2 BGB) nur, wenn sie keine
vermeidbaren Unklarheiten bezüglich der ggf. zu erstattenden Kosten dem
Grunde und der Höhe nach enthalten und für den AG keine ungerechtfertigten
Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume entstehen.
•
Der AN kann sein Zahlungsrisiko nicht ausreichend abschätzen, wenn der AG
die Art und die Berechnungsgrundlagen der ggf. zu erstattenden Kosten nicht
angibt und die einzelnen Positionen (z.B. Lehrgangsgebühren, Fahrtkosten) nicht
genau und abschließend bezeichnet.
59
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
17. Ausschlussfrist
(1) BAG 28.9.05, NZA 06, 149
•
Eine Ausschlussklausel muss i.d.R. an die Fälligkeit des Anspruchs anknüpfen
(s. auch BAG 1.3.06, NZA 06, 783).
•
Eine formularmäßige Ausschlussfrist von weniger als drei Monaten ab Fälligkeit
ist unangemessen (§ 307 I 1 BGB).
•
Die Ausschlussklausel fällt bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen
ersatzlos weg (§ 306 I, II BGB).
(2) BAG 12.3.08, NZA 08, 699
•
Hält die erste Stufe einer vertraglichen Ausschlussfristenregelung der AGBKontrolle nach §§ 305 ff. BGB Stand, beeinträchtigt die Unwirksamkeit der
zweiten Stufe, die eine zu kurze Frist für die gerichtliche Geltendmachung
vorsieht, die Wirksamkeit der ersten Stufe grds. nicht, wenn die Klausel teilbar ist.
(3) BAG 6.5.09, NZA-RR 09, 593
•
Durch (Teil-)Verweisung auf einen TV kann für den AN eine kürzere
Ausschlussfrist als für den AG vereinbart werden.
60
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
17. Ausschlussfrist
(4) BAG 19.3.08, NZA 08, 757
•
Mit Erhebung einer Kündigungsschutzklage macht der AN alle durch die
Kündigung bedrohten regelmäßig fällig werdenden Einzelansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis schriftlich geltend (Wahrung der ersten Stufe einer zweistufigen
Ausschlussfrist).
•
Ist in AGB geregelt, dass von der Gegenseite abgelehnte Ansprüche binnen einer
Frist von drei Monaten einzuklagen sind, um deren Verfall zu verhindern, genügt
die Erhebung der Kündigungsschutzklage, um das Erlöschen der vom Ausgang
des Kündigungsrechtsstreits abhängigen Annahmeverzugsansprüche des AN
zu verhindern (Wahrung der zweiten Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist).
61
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
17. Ausschlussfrist
(5) BAG 19.2.12, NZA 13, 101
•
•
Ein AN macht mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder
Befristungskontrollklage) die von deren Ausgang abhängigen Vergütungsansprüche „gerichtlich geltend“.
Mit dieser Geltendmachung wird die 2. Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist
gewahrt.
Ø Mit dieser Entscheidung wird die Rspr. des BVerfG zu zweistufigen
Ausschlussfristen umgesetzt (vgl. BVerfG 1.12.10, NZA 11, 354).
Ø Bei der 2. Stufe einer Ausschlussfrist in AGB reichte die Erhebung einer
Bestandsschutzklage für die gerichtliche Geltendmachung zur Sicherung
der Ansprüche aus. Dabei berief sich das BAG auf die Unklarheitenregel
des § 305 c II BGB (BAG 19.3.08, AuA 09; 618).
Ø Anders beurteilte das BAG die Rechtslage bei tarifvertraglichen
Ausschlussfristen. Hier war zur Wahrung der 2. Stufe grds. eine bezifferte
Klage erforderlich (vgl. BAG 17.11.09, BeckRS 10, 71524).
62
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
18. Freistellungsklausel
(1) ArbG Frankfurt a.M. 19.11.03, NZA-RR 04, 409
•
•
•
Die Freistellung des AN bei gekündigten Arbeitsverhältnis unter Fortzahlung
der Bezüge bis zum Ablauf der Kündigungsfrist benachteiligt den AN zumindest
bei langen Kündigungsfristen unangemessen und ist in der Regel unwirksam.
Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des AN folgt ein allgemeiner
Beschäftigungsanspruch. Dieser ist grundrechtlich geschützt.
Etwas anderes gilt nur, wenn der AG berechtigte Interessen für die Freistellung
hat.
ebenso: ArbG München 10.12.08, AE 09, 49; ArbG Berlin 4.2.05, BB 06, 559
(2) LAG BW 5.1.08, NZA-RR 07, 406
•
Freistellungsklausel ist unwirksam, wenn sie auch den nicht abdingbaren
Weiterbeschäftigungsanspruch erfasst.
63
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
18. Freistellungsklausel
(3) ArbG Stralsund 11.8.04, NZA-RR 05, 23
•
Eine in AGB vereinbarte Freistellungsklausel mit Entgeltfortzahlung verstößt
nicht gegen § 307 BGB.
•
Da auf den Weiterbeschäftigungsanspruch wirksam verzichtet werden kann,
benachteiligt dieser Verzicht den AN nicht unangemessen.
•
Jedenfalls bei sofortigem Wegfall des Arbeitsplatzes des AN überwiegen die
Interessen des AG an der Freistellung.
Im Erg. ebenso: LAG Köln 20.2.06, NZA-RR 06, 342; für Wirksamkeit nur bei
besonderem, schutzwürdigem Interesse des AG: LAG München 7.5.03,
LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 2; ArbG Frankfurt 22.9.05, BB 06, 1915.
64
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
19. Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag, Ausgleichsquittung
(1) BAG 8.5.08, NZA 08, 1148
•
Die in einem vom AG vorformulierten Aufhebungsvertrag vereinbarte
einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegt keiner
Angemessenheitskontrolle.
•
Bei einem solchen Aufhebungsvertrag wird nicht von Rechtsvorschriften
abgewichen (§ 307 III BGB).
•
Die Beendigungsvereinbarung ist ein selbstständiges Rechtsgeschäft, bei
dem die Hauptleistung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist.
Ø
Ø
Ob die Kündigungsfrist eingehalten und/oder eine Abfindung gezahlt
wird, ist nicht entscheidend.
Ggf. kann der Aufhebungsvertrag nach § 123 BGB angefochten
werden.
65
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
19. Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag, Ausgleichsquittung
(2) BAG 6.9.07, NZA 08, 219
•
Ein vom AN im unmittelbaren Anschluss an eine Arbeitgeberkündigung ohne
Gegenleistung in einem ihm vom AG vorgelegten Formular erklärter Verzicht auf
die Erhebung einer Kündigungsschutzklage benachteiligt den AN bei
fehlender Gegenleistung unangemessen (§ 307 I 1, II Nr. 1 BGB) und ist
unwirksam.
•
Unterschied zu BAG 19.4.07, NZA 07, 1227: Dort Aufhebungsvertrag wegen
Verlängerung der Kündigungsfrist als Gegenleistung, aber Verstoß gegen
Schriftformerfordernis gem. § 623 BGB.
Ø
Folgeproblem: Wie hoch muss die Gegenleistung sein?
66
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
19. Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag, Ausgleichsquittung
(3)
BAG 23.02.05, NZA 05, 1139
•
Mit dem Abschluss umfassenden negativen Schuldanerkenntnissen anlässlich
der Übergabe seiner Arbeitspapiere muss der AN vernünftigerweise nicht
rechnen. Es handelt sich hierbei nicht um eine gewöhnliche Klausel.
•
Ausgleichquittungen sind daher in Formulararbeitsverträgen ohne besondere
drucktechnische Hervorhebung grds. überraschend (§ 305 c I BGB).
•
Ansonsten können auf Ausgleichquittungen die für Aufhebungsverträge geltenden
Grundsätze übertragen werden.
(4)
BAG 19.11.08, NZA 09, 318
•
Ausgleichsklausel in Abwicklungsvertrag kann nachvertragliches
Wettbewerbsverbot aufheben
67
Jobst-Hubertus Bauer
II. AGB-Kontrolle: Einzelne Klauseln
20. Pauschalierter Aufwendungsersatz
BAG 27.7.10, NZA 10, 1237
•
Ein in AGB vereinbarter pauschalierter Aufwendungsersatz kann wegen
unangemessener Benachteiligung nach § 307 I 1 BGB unwirksam sein, wenn
dem AN nicht in entsprechender Anwendung des § 309 Nr. 5 b BGB die
Möglichkeit eingeräumt wurde, den Nachweis eines fehlenden oder wesentlich
geringeren Anspruchs zu führen.
68
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
1. Allgemeine Grundsätze
•
Ultima-ratio-Prinzip
– Vorrang der Änderungs- vor der Beendigungskündigung
– Notwendigkeit der Abmahnung
•
Negative Prognose
•
Interessenabwägung
•
Kernproblem deutschen Kündigungsschutzes: Annahmeverzug!
69
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
2. Allgemeines
•
Bestimmtheitsgrundsatz
Ø Deutlich und zweifelsfrei
Ø Beendigungswille und Zeitpunkt
Ø Probleme in der Praxis
- Nichtverlängerungsanzeige
- Änderungskündigung
•
Form - § 623 BGB
Ø Schriftform für jede Kündigung
Ø Angabe der Gründe nicht notwendig
Ø Bei Verletzung Nichtigkeit gem. § 125 BGB
70
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
2. Allgemeines
•
Zugang der Kündigung
Ø Zugang unter Anwesenden
Ø Zugang unter Abwesenden
Ø Allgemeine Grundsätze
- Machtbereich gelangt
- Möglichkeit der Kenntnisnahme
•
Probleme in der Praxis
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Kündigung bei Urlaub oder Krankheit
Kündigung per Bote
Kündigung per Einschreiben
Einwurf - Einschreiben
Zustellung durch Gerichtsvollzieher
Zustellung an Ehepartner
71
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
2. Allgemeines
•
Kündigung durch Bevollmächtigte
Ø Risiken durch § 174 BGB
Ø Originalvollmacht
Ø Nicht wenn § 174 S.2 BGB, d.h. Kenntnis von
Vertretungsmacht
•
Angabe der Kündigungsgründe
Ø Grds. ohne Angabe von Gründen trotz § 623 BGB
wirksam
Ø § 626 II BGB oder § 102 II BetrVG – Keine
Wirksamkeitsvoraussetzung
Ø Wichtigste gesetzliche Ausnahme: § 22 III BBiG
Ø Eventuell auch Ausnahme in einem TV
72
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
3. Anhörung des BR
•
•
•
•
•
•
•
Bedeutung von § 102 BetrVG wird oft verkannt
Anhörung vor Ausspruch jeder Kündigung
Adressat
Inhalt und Umfang der Unterrichtung
Ø Angaben zur Person
Ø Kündigungsart
Ø Kündigungsfrist, Kündigungstermin
Ø Kündigungsgründe (konkret, nicht pauschal)
Ø Form der Anhörung
Beschlussfassung des BR
Reaktionsmöglichkeiten des BR
Ø Zustimmung
Ø sonstige abschließende Stellungnahme
Ø Schweigen
Ø Widerspruch - Konsequenzen
Rechtsfolgen fehlerhafter Betriebsratsanhörung
73
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
4. Allgemeiner Kündigungsschutz
a) Allgemeine Grundsätze
Ø Wartezeit
Ø Kleinbetrieb
– 6 - Monate
– Erhöhung des Schwellenwertes
auf zehn AN
– Rechtlicher Bestand
– Stichtag 1.1.04
– Unterbrechungen
– Weiterhin anteilige Berücksichtigung der Teilzeitkräfte
– Betrieb oder Unternehmen
Ø Gemeinsamer Betrieb
74
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
b) Verhaltensbedingte Kündigung
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Pflichtverletzung
negative Zukunftsprognose
Abmahnung
Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Verschulden
Interessenabwägung
Alkohol / Drogen
Außerdienstliches Verhalten
Nebenpflichten, Nebentätigkeiten
Nichterfüllung der Arbeitspflicht
Treuepflichten / Straftaten
Verdachtskündigung
– objektive Tatsachen
– Anhörung des AN
– Anhörung des BR
Außerordentliche (fristlose) Kündigung, insbes. wegen
geringfügiger Vermögensdelikte („Fall Emmely“)
75
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
•
Allgemeines
Wegfall des Arbeitsplatzes durch dringende
betriebliche Erfordernisse
Ø Außerbetriebliche Ursachen
Ø Innerbetriebliche Ursachen (Unternehmerentscheidungen, als deren Folge
sich der Personalbedarf im Betrieb ändert)
•
Besondere Fälle:
Ø Betriebseinschränkungen/-stilllegungen
Ø Betriebsübergang
Ø Umstellung von Arbeitsverhältnissen
Ø Arbeitsverdichtung
Ø Vorsicht bei vorbehaltener Betriebsveräußerung /
Bewerbung um Neuausschreibung von Aufträgen
76
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
Keine arbeitsgerichtliche Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung
- es sei denn, diese ist offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich.
- von den Arbeitsgerichten wird jedoch voll überprüft, ob eine
unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre
Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne AN entfallen ist.
•
Mögliche Weiterbeschäftigung
Freier Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen
Betrieb des Unternehmens.
Nach Möglichkeit gleichwertiger, aber auch geringwertigerer
Arbeitsplatz, ggf. Änderungskündigung.
Konzernbezogene Betrachtung nur in Ausnahmefällen.
77
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
Sozialauswahl in drei Prüfungsstufen
1. Stufe:
Festlegung des Kreises der in die Sozialauswahl
einzubeziehenden AN
2. Stufe:
Bestimmung der sozialen Schutzwürdigkeit nach
sozialen Gesichtspunkten
3. Stufe:
Bestimmung, ob besondere berechtigte betriebliche
Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung eines oder
mehrerer AN bedingen und damit der Sozialauswahl
entgegenstehen
78
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
Problem der Vergleichbarkeit
Ø Beschränkung auf den Betrieb
Ø Horizontale Austauschbarkeit (gegenseitig austauschbar); keine vertikale
Austauschbarkeit; kein Verdrängungswettbewerb
Ø Ausschluss bestimmter nicht einzubeziehender AN-Gruppen
Ø Vergleichbarkeit von AN
- gegenseitige tatsächliche Austauschbarkeit
- rechtliche Austauschbarkeit
79
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
Sozialauswahl
Ø Grundsatz: Der sozial Stärkere ist vor dem sozial Schwächeren zu kündigen
Ø Sozialdaten: abschließende Aufzählung seit 1.1.04
-
Länge der Betriebszugehörigkeit
Lebensalter (Altersdiskriminierung?)
Unterhaltsverpflichtungen
Schwerbehinderung (Gewichtung ist gesetzlich nicht geregelt.)
AG darf/muss sich auf diese Kriterien beschränken. Kann er weitere
Kriterien berücksichtigen?
80
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
Betriebliche Bedürfnisse
Ø keine Sozialauswahl, wenn Weiterbeschäftigung im berechtigten
betrieblichen Interesse liegt § 1III 2 KSchG.
Ø keine ges. Definition des betrieblichen Interesses (Kenntnisse, Fähigkeiten,
Leistungen).
Ø Sicherung (nicht Schaffung) einer ausgewogenen Personalstruktur.
Ø AG muss Interessen des sozial schwächeren AN gegen das betriebliche
Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen (BAG
12.4.02, NZA 02, 42), fraglich, ob nach 1.1.04 noch fort gilt.
Ø Berücksichtigung von verhaltens- und personenbedingten Gründen?
81
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
Beschränkte Nachprüfung der Sozialauswahl bei Vereinbarung von Auswahlrichtlinien durch TV oder BV. Überprüfung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit. Grobe
Fehlerhaftigkeit nur dann, wenn die Gewichtung der Sozialdaten in der Auswahlrichtlinie jegliche Ausgewogenheit vermissen lässt und damit einen schwerwiegenden Fehler darstellt.
•
Namenslisten
Ø Vermutung, dass Arbeitsplatz durch dringende betriebliche Erfordernisse
weggefallen ist, dass betriebliche Bedürfnisse bestehen und dass keine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht.
Ø Sozialauswahl wird nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft.
•
Sozialauswahl bei Angebot eines freien Arbeitsplatzes in anderen Betrieben.
•
Rechtsfolgen fehlerhafter Sozialauswahl.
82
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
c) Betriebsbedingte Kündigung
•
Abfindung nach § 1 a KSchG
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Kündigung des AG (ordentliche)
aus betriebsbedingten Gründen
Hinweis des AG
keine Klage innerhalb der Frist des 4 KSchG
Abfindungsanspruch kraft Gesetzes
Höhe : 0,5 Monatsverdienste pro Beschäftigungsjahr
§ 1 a KSchG etabliert keinen unabdingbaren Mindestabfindungsanspruch
(BAG 10.7.08, NZA 08, 1292)
Ø Gelegentliche Auslegungsprobleme!
83
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
d) Personenbedingte Kündigung
•
Häufige Kurzerkrankungen
Ø Negative Gesundheitsprognose
– wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung
• spätere Entwicklung der Krankheit unerheblich
• evtl. Wiedereinstellungsanspruch
– auf Grund objektiver Tatsachen
• keine Erkundigungspflicht des AG
• keine Auskunftspflicht des AN
– auch mit künftiger Arbeitsunfähigkeit zu rechnen ist
• Indizwirkung häufiger Erkrankungen in der Vergangenheit
• Art der Erkrankungen
• Steigende oder gleichbleibend hohe Tendenz
• Maßgeblicher Referenzzeitraum
• Erforderliche Krankheitsquote
84
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
d) Personenbedingte Kündigung
•
Häufige Kurzerkrankungen
Ø Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
- Störungen im Betriebsablauf
- Wirtschaftliche Belastungen
– Entgeltfortzahlungskosten, die künftig für mehr als sechs Wochen
im Jahr anfallen werden.
– Diese Grenze ist allerdings nur dann maßgeblich, wenn nicht
gleichzeitig Störungen im Betriebsablauf.
– Maßgeblich sind die konkreten Kosten des jeweiligen
Arbeitsverhältnisses.
85
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
d) Personenbedingte Kündigung
•
Häufige Kurzerkrankungen
Ø Interessenabwägung
-
Höhe und Dauer den Entgeltfortzahlungskosten
Umsetzung / leidensgerechter Arbeitsplatz
Überbrückungsmaßnahmen
Personalreserve
Dauer und bisheriger Verlauf des Arbeitsverhältnisses
Betriebliche Ursache der Erkrankung
Verschulden des AN
Durchschnittliche Ausfallquote im Betrieb/Abteilung
Alter des AN
sonstige Gesichtspunkte
86
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
d) Personenbedingte Kündigung
•
Langzeiterkrankung
Ø Arbeitsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Kündigung.
Ø Prognose der künftigen Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit.
Ø Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen auf Grund der Ungewissheit
(Problem Überbrückungsmaßnahmen).
Ø Interessenabwägung.
•
Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
Ø Bei dauernder Leistungsunfähigkeit liegt die erhebliche betriebliche
Beeinträchtigung in der Störung des Arbeitsverhältnisses als
Austauschverhältnis.
Ø Die Ungewissheit der Wiederherstellung steht gleich, wenn in den nächsten
24 Monaten mit keiner anderen Prognose gerechnet werden kann.
87
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
e) Änderungskündigung, § 2 KSchG
f) Sonderkündigungsschutz
g) Außerordentliche bzw. fristlose Kündigung, § 628 BGB
h) Kündigungsschutzverfahren
88
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
5. Aufhebungsvertrag
BAG 10.11.11, NJW-Spezial 12, 52
•
Die Zustimmung des AN zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht grds.
im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Verpflichtung des AG zur Zahlung einer
Abfindung.
•
Zahlt der AG eine in einem Aufhebungsvertrag geregelte Abfindung nicht, kann
der AN grds. gem. § 323 I BGB vom Aufhebungsvertrag zurücktreten.
•
An der Durchsetzbarkeit des Abfindungsanspruchs fehlt es, wenn er aus
einem noch mit dem Schuldner geschlossenen Aufhebungsvertrag vor
Ausübung des Rücktrittsrechts wegen der zwischen Vertragsschluss und
Fälligkeit der Abfindung erfolgten Insolvenzeröffnung zu einer Insolvenzforderung geworden ist und der Insolvenzverwalter deshalb die Zahlung der
Abfindung ablehnt.
89
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(1) BAG 21.8.08, NZA 09, 29
•
Die gesetzlichen Kündigungstermine des § 622 II BGB sind auch dann
einzuhalten, wenn die Kündigung mit einer längeren als der gesetzlichen oder
vertraglichen Kündigungsfrist ausgesprochen wird.
(2) BAG 11.12.08, NZA 09, 692; BAG 28.5.09, NZA 09, 1052
•
Wird die Dreiwochenfrist des § 4 KSchG nicht gewahrt, so wird ein Verschulden
des Prozessbevollmächtigten dem AN in Anwendung von § 85 II ZPO
zugerechnet.
(3) BAG 19.2.09, NZA 09, 980
•
Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 4
S. 4 KSchG ist die Kenntnis des AG von der Schwangerschaft der AN zum
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.
90
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(4) BAG 12.3.09, NZA 09, 779
•
Die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht
bestehenden Erkrankung durch den AN für den Fall, dass der AG einem
unberechtigten Verlangen auf Gewährung von Urlaub nicht entsprechen sollte, ist
regelmäßig ein wichtiger Grund zur aoK.
•
Beruft sich der AN darauf, er sei im Zeitpunkt der Ankündigung seiner künftigen
Erkrankung bereits objektiv krank gewesen, ist er im Rahmen einer sekundären
Behauptungslast gehalten vorzutragen, welche konkreten Krankheiten bzw.
Krankheitssymptome im Zeitpunkt der Ankündigung vorgelegen haben und
weshalb er darauf schließen durfte, auch noch am Tag der begehrten Freistellung
arbeitsunfähig zu sein.
(5) BAG 12.3.09, NZA-RR 10, 180
•
Ein Krankenpfleger in einer psychiatrischen Klinik begeht eine besonders
schwere Pflichtverletzung, wenn er seine Stellung als Pfleger zur Befriedigung
seiner geschlechtlichen Wünsche ausnutzt.
•
Auch der dringende Verdacht einer solchen Pflichtverletzung kann einen
wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen.
91
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(6) BAG 26.3.09, NZA 09, 920; BAG 8.10.09, NZA 10, 360
•
Der in § 23 I KSchG verwendete Begriff des „Betriebs“ bezeichnet in Deutschland
gelegene Betriebe.
•
Jedenfalls solche im Ausland beschäftigten AN, deren Arbeitsverhältnisse nicht
dem deutschen Recht unterliegen, zählen auch dann bei der Berechnung des
Schwellenwerts nicht mit, wenn die ausländische Arbeitsstätte mit einer deutschen
Arbeitsstätte einen Gemeinschafts-betrieb bildet.
•
Für die Bestimmung der nach § 23 I KSchG maßgeblichen Beschäftigtenzahl
kommt es auf den Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung an, die der
Kündigung zu Grunde liegt.
(7) BAG 10.12.09, NZA 10, 698
•
Grobe Beleidigungen und bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen
gegenüber dem AG können eine aoK rechtfertigen.
•
Bei der rechtlichen Würdigung sind die Umstände zu berücksichtigen, unter
denen die betreffenden Äußerungen gefallen sind.
•
Im vertraulichen Gespräch unter Arbeitskollegen gemachte Äußerungen
unterfallen dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrecht und
rechtfertigen nicht ohne weiteres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
92
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(8) BAG 28.1.10, NZA 10, 625
•
Unzureichende Deutschkenntnisse als Kündigungsgrund.
(9) BAG 23.2.10, NZA 10, 944
•
Eine erneute Anzeige i.S.v. § 18 IV KSchG ist nicht erforderlich, wenn
Kündigungen nach einer ersten Anzeige vor Ablauf der Freifrist ausgesprochen
werden, das Arbeitsverhältnis wegen langer Kündigungsfrist aber erst nach Ablauf
der Freifrist endet.
(10) BAG 21.5.08, NZA 08, 753 und BVerfG 25.2.10, NZA 10, 439
•
Ob eine nachgereichte Stellungnahme des BR nach § 17 III KSchG europarechtskonform ist, entscheidet der EuGH.
•
Das BVerfG hat die Entscheidung des BAG wegen Verletzung des gesetzlichen
Richters nach Art. 101 I 2 GG aufgehoben (Nichtvorlage an den EuGH nach
Art. 234 EG, jetzt Art. 267 III AEUV).
93
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(11) BAG 10.6.10 „Emmely“, NZA 10, 1227
•
Ein vorsätzlicher Verstoß des AN gegen seine Vertragspflicht kann eine fristlose
Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn nur ein Bagatelldelikt zu Grunde liegt.
•
Umgekehrt ist nicht jede unmittelbar gegen die Vermögensinteressen des AG
gerichtete Vertragspflichtverletzung ohne weiteres ein Kündigungsgrund.
•
Ob ein wichtiger Grund i.S.d. § 26 I BGB vorliegt, muss „unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider
Vertragsteile“ beurteilt werden.
(12) BAG 1.9.10, NZA 10, 1409
•
Bei einer ordentlichen AG-Kündigung muss der AN die Nichteinhaltung der
objektiv richtigen Kündigungsfrist innerhalb der Drei-Wochen-Frist nach § 4
KSchG geltend machen, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene
Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt.
Ø Achtung: BAG 15.12.05, NZA 06, 791 geht davon aus, dass eine ordentliche
Kündigung in aller Regel dahin auszulegen ist, dass sie das Arbeitsverhältnis
zum zutreffenden Termin beenden soll.
Ø Dringende Empfehlung: „Wir kündigen Ihnen ordentlich zum …, hilfsweise
zum nächst zulässigen Zeitpunkt.“
94
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(13) BAG 30.9.10, NZA 11, 39
•
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 84 II SGB IX ist bei
Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann durchzuführen, wenn keine
betriebliche Interessenvertretung i.S.v. § 93 SGB IX (BR, Personalrat usw.)
gebildet ist.
(14) BAG 28.10.10, NJW-Spezial 11, 84
•
Kleinbetriebsklausel des § 23 KSchG verstößt nicht gegen Art. 3 GG.
(15) BAG 24.2.11, NZA 11, 1087
•
•
Weigert sich ein AN aus religiösen Gründen, eine Arbeitsaufgabe zu erfüllen, zu
der er sich vertraglich verpflichtet hat, kann dies eine Kündigung durch den AG
rechtfertigen.
Voraussetzung ist, dass keine naheliegenden anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen.
95
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(16) BAG 9.6.11, NZA 11, 1342
•
Eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 IV AGG stellt nach § 7 III AGG eine
Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund i.S.v.
§ 626 I BGB geeignet.
•
Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur aoK berechtigt, ist abhängig von
den Umständen des Einzelfalls, u.a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität.
•
Eine sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell
bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden
Person verletzt wird. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der
Belästigung. Vorsätzliches Verhalten der für dieses Ergebnis objektiv
verantwortlichen Person ist nicht erforderlich.
•
Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit in § 3 IV AGG erfordert nicht,
dass die betroffene Person ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen
Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die
Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war.
•
Die nach § 626 I BGB erforderliche Interessenabwägung hat unter Beachtung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.
96
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(16) BAG 9.6.11, Forts.
•
Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 III AGG. Danach hat
der AG im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen
Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung zu ergreifen.
•
Geeignet sind nur Maßnahmen, von den der AG annehmen darf, dass sie die
Benachteiligung für die Zukunft abstellen, d.h. eine Wiederholungsgefahr
ausschließen.
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Der Kl. war schon einmal abgemahnt worden, weil er eine Mitarbeiterin mit einem Schlag
auf das Gesäß belästigt hatte.
9 Monate später belästigte er eine andere Mitarbeiterin mit unakzeptablen sexistischen
Bemerkungen:
„Warum hast Du denn keinen Minirock an, wenn Du auf die Leiter steigst; dies hätte
ich von Dir doch erwartet.“
Etwas später meinte er, nachdem sie sich einen Aluzollstock ausgeliehen hatte:
„Der ist so hart und dick wie meiner.“
Dann „erkundigte“ er sich beim Essen in der „Ess-Bar“, ob sie noch nie Sex beim Essen
gehabt hätte und fügte hinzu:
„Du kannst auch Sex von mir haben.“
Das ging dem AG zu weit und er kündigte auch nach Ansicht des BAG zu Recht fristlos.
97
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(17) BAG 8.9.11, NJW 12, 1099
•
Der Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe kommt
für leitende katholische AN einer kirchlichen Einrichtung als Loyalitätsverstoß in
Betracht.
•
Wird eine Kündigung hierauf gestützt, muss die gebotene Abwägung der
Interessen das Selbstverständnis der Kirchen und das Recht des AN auf
Achtung seines Privat- und Familienlebens ausreichend berücksichtigen. Die
Abwägung kann zu Gunsten des AN ausfallen.
•
Eine mit der Kündigung einhergehende Benachteiligung wegen der Religion
ist regelmäßig nach § 9 II AGG gerechtfertigt.
Ø
Die Abwägung ging zu Gunsten des AN aus, weil der AG auch nichtkatholische Chefärzte beschäftigte, die erneut geheiratet hatten. Außerdem
hatte der AG das ehelose Zusammenleben des AN hingenommen.
Ø
Und weiter meint das Gericht, das Recht des AN auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit (Art. 2 I GG), auf Schutz der Ehe (Art. 4 I GG) sowie auf
Achtung seines Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), habe der AN
das Recht, eine 2. Ehe einzugehen.
98
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(18) BAG 21.3.12, NZA 12, 1058
•
Beabsichtigt der AG Massenentlassungen, muss er gem. § 17 II KSchG vor
Erklärung der Kündigungen den BR unterrichten.
•
Nimmt der BR hierzu Stellung, muss der AG gem. § 17 III 2 KSchG seiner
Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit diese
Stellungnahme beifügen.
•
Ist die Stellungnahme in einen der Massenentlassungsanzeige beigefügten
Interessenausgleich integriert, ist der gesetzlichen Anforderung genügt.
Einer separaten Stellungnahme in einem eigenständigen Dokument bedarf es
nicht.
99
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(19) BAG 19.4.12, NZA-RR 12, 567
•
Ein schwerwiegender Verstoß eines AN gegen seine vertragliche Nebenpflicht,
die Privatsphäre und den deutlichen Wunsch einer Arbeitskollegin zu
respektieren, nicht dienstliche Kontaktaufnahmen mit ihr zu unterlassen, kann
die aoK des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (sog. „Stalking“).
•
Ob es zuvor einer einschlägigen Abmahnung bedarf, hängt von den
Umständen des Einzelfalls ab.
•
Die Sache ist aufgehoben und an das LAG, das der Klage stattgegeben hatte,
zurückverwiesen. Das LAG muss nun prüfen, ob auf Grund eines
vorausgegangenen Verfahrens vor der Beschwerdestelle nach § 13 AGG und
der übrigen Umstände eine Abmahnung entbehrlich war.
100
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(20) BAG 21.6.12, NZA 12, 1025 (vgl. dazu Bauer/Schansker, NJW 12, 3537)
•
Führt eine verdeckte Videoüberwachung zur Überführung eines Täters, kann
das gewonnene Beweismaterial im Bestreitensfall prozessual nicht ohne weiteres
verwertet werden.
•
Das Interesse des AG soll gegenüber dem Schutz des informationellen
Selbstbestimmungsrechts des AN nur dann höheres Gewicht haben, wenn die
Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen
Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist.
•
Das Interesse des AG überwiegt, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren
Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des AG besteht und
es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen
gibt und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.
•
Das aus einer verdeckten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Arbeitsplätze
gewonnene Beweismaterial unterliegt nicht allein deshalb einem prozessualen
Beweisverwertungsverbot, weil es unter Verstoß gegen das Gebot in § 6 b II
BDSG gewonnen wurde. Danach sind bei Videoaufzeichnungen in öffentlich
zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche
Stelle durch geeignete Maßnahmen kenntlich zu machen.
101
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(21) BAG 28.6.12, NZA 12, 1029
•
Begeht der AG bei der Erstattung einer nach § 17 KSchG erforderlichen Massenentlassungsanzeige Fehler, werden diese durch einen bestandskräftigen Bescheid
der Agentur für Arbeit nach §§ 18, 20 KSchG nicht geheilt. Die ArbG sind durch
einen solchen Bescheid nicht gehindert, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige festzustellen).
102
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(22) BAG 6.9.12, NZA 13, 1448
•
AN des öffentlichen Dienstes müssen ein bestimmtes Maß an Verfassungstreue aufbringen.
•
Welchen Anforderungen diese AN unterliegen, richtet sich nach ihrer vertraglich
geschuldeten Tätigkeit und der Aufgabenstellung des öffentlichen AG.
•
Mitgliedschaft in und Aktivitäten für die NPD oder ihre Jugendorganisation stehen
regelmäßig nicht schon als solche einer Weiterbeschäftigung im öffentlichen
Dienst entgegen, selbst wenn man die Verfassungsfeindlichkeit der
Organisationen unterstellt.
•
Auch im öffentlichen Dienst Beschäftigte, die keiner „gesteigerten“, beamtenähnlichen Loyalitätspflicht unterliegen, dürfen nicht davon ausgehen, den Staat
oder die Verfassung und deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder
verächtlich zu machen. Aktivitäten dieser Art können ein Grund für eine
Kündigung liefern.
Ø
Fraglich ist, welche Maßstäbe für private Unternehmen gelten, die im
öffentlichen Fokus stehen.
103
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(23) BAG 20.9.12, NZA 13, 32
•
Beabsichtigt der AG Massenentlassungen, hat er den BR nach § 17 II 1 KSchG
schriftlich u.a. über die Gründe für die geplanten Entlassungen zu unterrichten.
•
Ob die Unterrichtung der Schriftform i.S.v. § 126 BGB bedarf, bleibt offen.
•
Hat der AG die von § 17 II 1 KSchG geforderten Angaben in einem nicht
unterzeichneten Text dokumentiert und diesen dem BR zugeleitet, heilt die
abschließende Stellungnahme des BR zu den Entlassungen den eventuellen
Schriftformverstoß.
104
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(24) LAG Hamm 10.10.12 – 5 Sa 451/12
•
Der 27-jährige Kl. hatte auf seinem Facebook-Profil unter dem Punkt „Arbeitgeber“
folgenden Eintrag getätigt:
„Menschenschinder & Ausbeuter, Leibeigener o Bochum, daemliche Scheiße
fuer Mindestlohn – 20% erledigen.“
•
Der Ausbilder kündigte dem Kl. daraufhin fristlos. Nachdem das ArbG die
Kündigung mangels vorangegangener Abmahnung angesichts des Alters (!) des
Kl. und seiner noch unreifen Persönlichkeit als unangemessen wertete, hatte die
Berufung vor dem LAG Erfolg.
•
Der Kündigung steht insbesondere nicht das Alter des Kl. entgegen.
105
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(25) BAG 25.4.13, NZA 13, 1131
•
Der Austritt eines altersgesicherten Mitarbeiters einer vom Caritasverband
getragenen Kinderbetreuungsstätte aus der katholischen Kirche rechtfertigt die
aoK des Arbeitsverhältnisses.
•
Dabei ist unerheblich, dass die betreuten Kinder auch einer anderen oder keiner
Religionsgemeinschaft angehören können und religiöse Inhalte nicht vermittelt
werden.
Ø
Die Sache wäre möglicherweise anders ausgegangen, wenn es sich beim Kl.
nicht um einen Sozialpädagogen, sondern um einen nicht im „verkündungsnahen“ Bereich eingesetzten Mitarbeiter (z.B. Putzkraft) gehandelt hätte.
106
Jobst-Hubertus Bauer
III. Kündigungsschutz
6. Neuere Entscheidungen
(26) BAG 16.4.14, NZA 14, 1082
•
Ein AG kommt trotz Nichtannahme der Arbeitsleistung nicht in Annahmeverzug,
wenn sich der AN so verhält, dass der AG nach Treu und Glauben und unter
Berücksichtigung aller Gepflogenheiten des Arbeitslebens die Annahme der
Leistung zu Recht ablehnt.
•
Die kann der Fall sein, wenn bei Annahme der angebotenen Dienste
strafrechtlich geschützte Interessen des AG, seiner Angehörigen oder anderer
Betriebsangehöriger unmittelbar und nachhaltig so gefährdet werden, dass die
Abwehr dieser Gefährdung Vorrang vor dem Interesse des AN an der Erhaltung
seines Verdienstes haben muss.
•
Es ist auf die objektive Rechtswidrigkeit des Verhaltens des AN abzustellen;
Verschulden ist nicht erforderlich. Es muss ein ungewöhnlich schwerer Verstoß
gegen allgemeine Verhaltenspflichten vorliegen, der den AG schlechterdings
berechtigt, die Dienste abzulehnen.
107
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
1. Befristung aus Sachgrund
(1) BAG 21.1.09, NZA 09, 727
•
•
Die Befristung eines Arbeitsvertrags aus in der Person des AN liegenden Gründen
kann nach § 14 I 2 Nr. 6 TzBfG sachlich gerechtfertigt sein, wenn das Interesse
des AG, aus sozialen Erwägungen mit dem betreffenden AN nur einen befristeten
Arbeitsvertrag abzuschließen, auch angesichts des Interesses des AN an einer
unbefristeten Beschäftigung schutzwürdig ist.
Das ist der Fall, wenn es ohne den in der Person des AN begründeten sozialen
Zweck überhaupt nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrags, auch nicht eines
befristeten Arbeitsvertrags gekommen wäre.
(2) BAG 25.3.09, NZA 10, 34
•
Der Sachgrund nach § 14 I 2 Nr. 3 TzBfG (Vertretung) wird nicht dadurch infrage
gestellt, dass der AN wiederholt zur Vertretung desselben vorübergehend an der
Arbeitsleistung verhinderten AN befristet beschäftigt wird.
108
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
1. Befristung aus Sachgrund
(3) EuGH 12.10.10 „Rosenbladt“, NZA 10, 1167
•
Altersgrenzen bezogen auf die gesetzliche Regelaltersrente sind europarechtskonform (Bestätigung von EuGH 16.10.07 „Palacios de la Villa“, NZA 07,
1219; vgl. auch BAG 16.6.08, NZA 08, 1302). Das gilt m.E. unabhängig davon, ob
es sich um eine tarifliche oder einzelvertragliche Regelung handelt.
Ø
Bei einer solchen Altersgrenze handelt es sich um eine Sachgrundbefristung
i.S.d. § 14 I TzBfG.
(4) BAG 27.10.10, NZA-RR 11, 272
•
Ersuchen des EuGH um Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit von
§ 14 I 2 Nr. 7 TzBfG mit dem europäischen Unionsrecht (vgl. auch BAG 9.3.11,
NZA 11, 911).
Ø
Das Vorabentscheidungsverfahren hat sich allerdings erledigt, weil die Parteien
den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben (BAG 10.3.11 –
7 AZR 485/09).
109
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
1. Befristung aus Sachgrund
(5) EuGH 26.1.12 „Kücük“, NZA 12, 135
•
Vorübergehender Bedarf an Vertretungskräften ist grds. ein sachlicher Grund
i.S.d § 5 Nr. 1 a Rahmenvereinbarung / RL 1999/70/EG.
•
Der AG darf wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen
zurückgreifen.
•
Allerdings müssen die nationalen Gerichte die Umstände des Einzelfalls
einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der Befristungen in der
Vergangenheit bei der Frage berücksichtigen, ob die Verlängerung befristeter
Arbeitsverträge durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.
(6) BAG 18.7.12, NZA 12, 1351
• Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nach § 14 I 2 Nr. 3 TzBfG nicht
auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken.
Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, alle Umstände des
Einzelfalls und dabei namentlich die Gesamtdauer und die Zahl der mit derselben
Person zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinanderfolgenden
befristeten Verträge zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass AG missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist
im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs
110
(§ 242 BGB) vorzunehmen.
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
1. Befristung aus Sachgrund
(7) BAG 18.7.12, NZA 12, 1359 (Parallelsache zu 7 AZR 443/09)
•
Der 7. Senat hat die Befristungskontrollklage abgewiesen. Hier war die Kl. vom
1.3.02 – 30.11.09 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt.
111
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
2. Sachgrundlose Befristung
(1) BAG 23.8.06, NZA 07, 204
•
Die Verlängerung eines nach § 14 II 1 TzBfG sachgrundlos befristeten
Arbeitsvertrags setzt voraus, dass die Vereinbarung über das Hinausschieben des
Beendigungszeitpunkts noch vor Abschluss der Laufzeit des bisherigen Vertrags in
schriftlicher Form getroffen wird und der Vertragsinhalt ansonsten unverändert
bleibt.
Ø
Völlig unverständliche Entscheidung. Der AG hatte
Verlängerungsvertrag rechtzeitig abgeschlossen, aber Stundenlohn um
EUR 0,50 erhöht!!
(2) BAG 18.10.06, NZA 07, 443
•
Die Überlassung eines AN an seinen vormaligen Vertragsarbeitgeber, bei dem
er zuvor zwei Jahre sachgrundlos beschäftigt war, führt nicht zur Unwirksamkeit
der anschließend mit dem Verleiher i.S.d. § 1 AÜG nach § 14 II TzBfG vereinbarten
sachgrundlosen Befristung.
112
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
2. Sachgrundlose Befristung
(3) BAG 16.1.08, NZA 08, 701
•
•
Die Verlängerung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags setzt voraus,
dass die Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts
noch vor Abschluss der Laufzeit des bisherigen Vertrags in schriftlicher
Form vereinbart wird und der Vertragsinhalt ansonsten unverändert bleibt.
Allerdings können die Parteien anlässlich der Verlängerung Anpassungen des
Vertragstextes an die zum Zeitpunkt der Verlängerung geltende Rechtslage
vornehmen oder Arbeitsbedingungen vereinbaren, auf die der befristet
beschäftigte AN einen Anspruch hat.
(4) BAG 20.2.08, NZA 08, 883
•
Eine Verlängerung i.S.d. § 14 II 1 TzBfG liegt nicht vor, wenn im Ausgangsvertrag ein ordentliches Kündigungsrecht vereinbart wird, das in dem
nachfolgend abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrag nicht mehr enthalten
ist.
113
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
2. Sachgrundlose Befristung
(5) BAG 13.8.08, NZA 09, 27
•
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz begründet keinen
Anspruch eines AN auf Verlängerung eines sachgrundlos befristeten
Arbeitsvertrags nach § 14 II TzBfG.
(6) BAG 12.8.09, ArbRB 09, 359
•
•
Einer Verlängerung i.S.d. § 14 II 1 TzBfG steht nicht entgegen, dass die Parteien
die Vertragsbedingungen an die zum Zeitpunkt der Verlängerung geltende
Rechtslage anpassen oder dass sie die Arbeitsbedingungen vereinbaren, auf die
der befristet beschäftigte AN einen Anspruch hat.
Wird im Arbeitsvertrag ein Sachgrund für die Befristung angegeben, rechtfertigt
dies nicht ohne weiteres die Annahme, dass die Befristungsmöglichkeit nach
§ 14 II TzBfG abbedungen werden soll. Dies gilt auch dann, wenn die
vorangegangenen Arbeitsverträge im Gegensatz zum neu geschlossenen
Arbeitsvertrag ausdrücklich auf der Grundlage des § 14 II TzBfG befristet waren.
114
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
2. Sachgrundlose Befristung
(7) BAG 6.4.11, NZA 11, 905
•
Der Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund bis zu zwei Jahren zu
befristen, steht eine frühere Beschäftigung des AN nicht entgegen, wenn diese
mehr als drei Jahre zurückliegt.
•
Dieser Zeitraum entspricht der gesetzgeberischen Wertung, die in der
regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist zum Ausdruck kommt.
Ø
Ø
Ø
Ø
Dieses Ergebnis ist an sich wünschenswert; dennoch stellt sich die Frage, ob
das BAG so urteilen durfte („contra legem“?; vgl. Höpfner, NZA 11, 893;
Rüthers, NJW 11, 1856).
Die Instanzgerichte folgen teilweise dem BAG nicht!
Inzwischen ist das Problem beim BVerfG angelangt.
Gesetzgeber an sich gefordert, tut aber nichts.
(8) BAG 21.9.11, NZA 12, 255
•
Bestätigung von BAG 6.4.11.
•
Zusätzlich: 35 Jahre zurückliegendes Berufsausbildungsverhältnis ist keine
Vorbeschäftigung i.S.d. § 14 II 2 TzBfG.
115
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
2. Sachgrundlose Befristung
(9) BAG 25.6.14, BB 14, 2548
•
•
Auch Arbeitsverträge mit Betriebsratsmitgliedern können nach Maßgabe von § 14
II TzBfG wirksam ohne Sachgrund befristet werden.
Die aufgrund der Betriebsratstätigkeit erfolgte Weigerung des AG, nach Ablauf der
Befristung mit dem Betriebsratsmitglied einen Anschlussvertrag abzuschließen,
benachteiligt das Betriebsratsmitglied unzulässig i.S.v. § 78 S.2 BetrVG. In einem
solchen Fall hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf Abschluss eines
unbefristeten Folgevertrags.
116
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
3. Schriftform
(1) BAG 12.8.09, ArbRB 09, 359
•
Findet sich der AN zur Unterzeichnung an der Arbeitsstelle ein und unterschreibt er
dort nach einer Wartezeit, aber vor Aufnahme der Arbeit, entsteht das Arbeitsverhältnis erst mit Unterzeichnung.
(2) BAG 16.4.08, NZA 08, 1184
•
Eine nur mündlich vereinbarte Befristung ist nach § 14 IV TzBfG, § 125 S. 1 BGB
nichtig, so dass bei Vertragsbeginn nach § 16 S. 1 TzBfG ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis entsteht. Die spätere schriftliche Niederlegung der zunächst nur
mündlich vereinbarten Befristung führt nicht dazu, dass die zunächst formnichtige
Befristung rückwirkend wirksam wird.
•
Der AG kann den Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags von der Unterzeichnung einer Vertragsurkunde durch den AN abhängig machen. Ein ihm
gegenüber bis zur Arbeitsaufnahme abgegebenes schriftliches Vertragsangebot
kann der AN regelmäßig nur durch eine den Anforderungen des § 126 II BGB
genügende Annahmeerklärung annehmen.
•
Der AG macht sein Angebot von einer schriftlichen Annahmeerklärung des AN
abhängig, wenn der dem AN – ohne vorangegangene Absprache – ein von ihm
bereits unterschriebenes Vertragsformular mit der Bitte um Unterzeichnung
117
übersendet.
► Forts.
Jobst-Hubertus Bauer
IV. Fallstricke des Befristungsrechts
3. Schriftform
(2) BAG 16.4.08 (Forts.)
•
Hat der AG den Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags von der Einhaltung
des Schriftformerfordernisses abhängig gemacht, kann der AN ein ihm
vorliegendes schriftliches Vertragsangebot nicht durch die Arbeitsaufnahme
konkludent, sondern nur durch die Unterzeichnung der Vertragsurkunde
annehmen.
Ø Leider enthält die Entscheidung keine Aussage, ob es sich bei dem
zunächst entstandenen faktischen Arbeitsverhältnis um ein ZuvorArbeitsverhältnis i.S.d. § 14 II TzBfG handelt. Das ist m.E. nicht der
Fall!
4.
§ 14 III TzBfG a.F.
5.
•
BVerfG 6.7.10, NZA 10, 995; BAG 26.4.06, NZA 06, 1162
Eine ultra-vires-Kontrolle durch das BVerfG setzt voraus, dass das
kompetenzwidrige Handeln des EuGH offensichtlich ist und der angegriffene
Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zu
Lasten der Mitgliedsstaaten führt.
118
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
1. Grundlagen
•
Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien (u.a. RL
2000/43/EG vom 29.6.00 und RL 2000/78/EG vom 27.11.00), Umsetzungsfrist
teilweise bereits seit langem abgelaufen.
•
Ziel: Schutz vor Diskriminierung im Arbeitsleben und in bestimmten Bereichen
des Zivilrechts (u.a. „Massengeschäfte“, privatrechtliche Versicherungen).
•
Zusammenfassung aller Vorschriften im AGG (z.B. Streichung der
§§ 611 a, 611 b und § 612 III BGB; § 81 II SGB IX; BeschäftigtenschutzG).
•
Inkrafttreten: 18.8.06
119
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
2. Acht Diskriminierungsmerkmale (§ 1 AGG)
•
Rasse
•
Ethnische Herkunft
•
Geschlecht
•
Religion
•
Weltanschauung
•
Behinderung
•
Alter
•
sexuelle Identität
120
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
3. Persönlicher Geltungsbereich
•
Geschützter Personenkreis (§ 6 AGG): „Beschäftigte“
Ø
Ø
Ø
Ø
Ø
Arbeitnehmer
Auszubildende
Arbeitnehmerähnliche Personen/Heimarbeiter
Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis
Ehemalige Beschäftigte
Þ aber: Bereichsausnahme für die betriebliche
Altersversorgung (§ 2 II 2 AGG)
121
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
3. Persönlicher Geltungsbereich
•
Die Benachteiligungsverbote gelten „entsprechend“:
– für Selbständige (also auch freie Mitarbeiter) und vertretungsberechtigte Organmitglieder, „soweit es die Bedingungen für den
Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft“
(§ 6 III AGG; vgl. dazu BGH 23.4.12, DB 12, 1499).
Achtung: Organmitglieder sind aber u.U. AN i.S.d. Richtlinien und des
AGG (vgl. EuGH 11.11.10 „Danosa“, NZA 11, 143).
•
Verpflichtete nach dem AGG:
– Grds. allein der AG.
– Bei Arbeitnehmerüberlassung ist auch der Entleiher AG (§ 6 II AGG).
– Kein direkter Anspruch nach AGG gegen den „diskriminierenden
Beschäftigten“.
122
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
4. Sachlicher Geltungsbereich (§ 2 AGG)
•
Begründung von Arbeitsverhältnissen:
–
–
•
Durchführung von Arbeitsverhältnissen:
–
•
komplettes Einstellungsverfahren
für Stellenanzeigen gilt das Neutralitätsgebot
(§ 11 AGG)
auch Beförderungsbedingungen
Beendigung von Arbeitsverhältnissen:
–
zum Sonderproblem der Kündigung siehe später
123
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
5. Benachteiligungsverbot
•
Benachteiligungsverbot des § 7 I als zentrale Norm des AGG:
„Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes
benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die
Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes
bei der Benachteiligung nur annimmt.“
•
Keine unzulässige Ungleichbehandlung bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes.
124
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
6. Diskriminierungsmerkmal „Alter“
•
Das Alter ist das Diskriminierungsmerkmal, das die größten Auswirkungen
auf das nationale Recht hat.
•
Beachte: Geschützt ist sowohl „altes Alter“ als auch „junges Alter“. Dies ergibt
sich aus der Gesetzesbegründung und aus § 10 III Nr. 2 AGG.
•
Differenzierung nach Alter war früher gang und gäbe: Altersgrenzen,
Sozialauswahl, Gehaltsstufen, Sozialplanabfindungen etc.
125
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
8. Verbotene Verhaltensweisen
•
Unmittelbare Benachteiligung (§ 3 I AGG):
„Weniger günstige Behandlung als andere Person in vergleichbarer Situation“.
•
Mittelbare Benachteiligung (§ 3 II AGG):
„Anwendung dem Anschein nach neutraler Vorschriften führt zu
Benachteiligung“.
•
Belästigung (§ 3 III AGG)
•
Sexuelle Belästigung (§ 3 IV AGG)
•
Anweisung zur Benachteiligung (§ 3 V AGG)
126
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
9. Allgemeine Rechtfertigung wegen beruflicher
Anforderungen (§ 8 AGG)
•
Einheitlicher Rechtfertigungsgrund für alle Diskriminierungsmerkmale.
•
Voraussetzung für Rechtfertigung:
„Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“.
•
Sehr enge Auslegung dieses Rechtfertigungsgrundes (EuGH).
127
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
10. Spezielle Rechtfertigung für Ungleichbehandlung
wegen Alters (§ 10 AGG)
•
Generalklausel in § 10 Satz 1 und 2 AGG:
Unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist zulässig, „wenn sie objektiv
und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist“.
•
Ausführlicher Beispielskatalog ist nicht abschließend („insbesondere“):
Altersgrenze bei Einstellung und Beendigung, [Sozialauswahl, tarifvertragliche
Unkündbarkeit,] Differenzierung in Sozialplänen.
128
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
11. Überblick über die Rechtsfolgen
•
Nichtigkeitsfolge (§ 7 II AGG)
•
Beschwerderecht (§ 13 AGG) und Maßregelungsverbot (§ 16 AGG)
•
Leistungsverweigerungsrecht bei Belästigung (§ 14 AGG)
•
Schadensersatz und Entschädigung (§ 15 AGG)
•
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats/einer im Betrieb vertretenen
Gewerkschaft (§ 17 II AGG)
129
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
12. Schadensersatz und Entschädigung
Ø
Schadensersatz (§ 15 I AGG):
–
–
–
–
Ø
Ersatz für nachgewiesenen Schaden
setzt Verschulden voraus
keine Obergrenze
kein Einstellungs- oder Beförderungsanspruch (§ 15 VI AGG)
Entschädigung (§ 15 II AGG):
–
–
–
–
„Schmerzensgeld“ für diskriminierendes Verhalten
setzt kein Verschulden voraus (EuGH)
maximal drei Monatsgehälter, wenn Bewerber auch ohne
Diskriminierung nicht eingestellt worden wäre
sonst keine Obergrenze („amerikanische Verhältnisse“?)
130
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
13. Haftung des AG
•
Verhalten von Vorständen/Geschäftsführern (§ 31 BGB).
•
Verhalten von Vorgesetzten bei Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen
(§ 278 BGB).
•
Verhalten von Beschäftigten untereinander ohne Vorgesetztenfunktion? Nur
wenn nicht ausreichend geschult!
Ø Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit bei
Anwendung von BV und TV!
131
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
14. Organisations- und Handlungspflichten des
AG (§ 12 AGG)
•
AG muss präventive und repressive Maßnahmen zum Schutz der
Beschäftigten treffen.
•
Präventive „Pflichten“ nach § 12 II und V AGG:
– Aushang des AGG im Betrieb.
– Schulung der Beschäftigten zur Vermeidung von Benachteiligung.
Ø
Schulung befreit von Haftung bei „Erstverstoß“
(„Training Defense“)!
132
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
14. Organisations- und Handlungspflichten des
AG (§ 12 AGG)
•
Reaktionspflichten nach § 12 III und IV AGG:
– bei Verstoß durch Beschäftigten: Einzelmaßnahme (z.B. Ermahnung,
Abmahnung, Versetzung, Kündigung etc.)
– bei Verstoß durch Dritten (z.B. Kunde): „Angemessene Maßnahmen zum
Schutz der Beschäftigten“?
Ø
•
Angemessene Reaktion befreit von Haftung bei
„Zweitverstoß“!
Mögliches Mitbestimmungsrecht des BR gem. §§ 87 I Nr. 1, 98 BetrVG
beachten.
133
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
15. Sonderproblem: AGG und Kündigungen
•
Anwendung des AGG bei diskriminierenden Kündigungen:
– § 2 IV AGG:
„Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum
allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“.
– Richtlinienkonforme Auslegung notwendig? Vgl. BAG 6.11.08, NZA
09, 361: Die Diskriminierungsverbote sind im Rahmen der Prüfung der
Sozialwidrigkeit der Kündigungen zu beachten. Dem steht § 2 IV AGG
nicht entgegen.
– § 2 IV AGG schließt Entschädigungsansprüche nach § 15 II AGG bei
diskriminierenden Kündigungen nicht aus (BAG 12.12.13, NZA 14, 722;
BAG 19.12.13, NZA 14, 373).
•
Berücksichtigung des Lebensalters bei der Sozialauswahl?
134
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
16. Beweislastverteilung (§ 22 AGG)
•
Abgestufte Beweislastverteilung:
(1) Der AN muss Indizien beweisen, die eine verbotene Benachteiligung
vermuten lassen.
Beispiele: Diskriminierende Stellenanzeige, Frage nach
Diskriminierungsmerkmal bei Einstellung etc.
(2) Gelingt ihm dies, muss der AG nachweisen, dass keine verbotene
Benachteiligung vorliegt oder dass die Benachteiligung gerechtfertigt ist.
(3) Bloße Statistik kann kein Indiz begründen (vgl. „GEMA“-Fall, LAG BerlinBrandenburg 26.11.08, AuA 09, 120 und nachfolgend BAG 22.7.10, NZA
11, 93).
135
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
17. Ausschlussfrist
•
Zweistufige Ausschlussfrist für Schadensersatz und Entschädigung:
– schriftliche Geltendmachung innerhalb von 2 Monaten (§ 15 IV AGG).
Vgl. dazu BAG 15.3.12, BB 12, 831: Frist beginnt mit Kenntnis der
Benachteiligung.
– Klage vor Gericht innerhalb von 3 Monaten nach schriftlicher
Geltendmachung (§ 61 b I ArbGG).
136
Jobst-Hubertus Bauer
V. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
18. Auskunftsanspruch bei erfolgloser Bewerbung?
•
Nach Auffassung des EuGH (19.4.12 „Galina Meister“, NZA 12, 493) sind die
Antidiskriminierungsrichtlinien dahingehend auszulegen, dass sie für einen AN,
der schlüssig darlegt, dass er die in einer Stellenbeschreibung genannten
Voraussetzungen erfüllt und dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde,
keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsehen, ob der AG am Ende des
Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat.
•
Die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten kann
aber ein Gesichtspunkt sein, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen,
die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung
vermuten lassen, heranzuziehen ist.
•
Es soll Sache des vorlegenden Gerichts sein, unter Berücksichtigung aller
Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob eine solche
Vermutung vorliegt.
137
Jobst-Hubertus Bauer
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(1) BAG 24.4.08, NZA 08, 1351; BAG 27.1.11, NZA 11, 689
•
•
Bewirbt sich eine schwangere AN um eine Stelle und besetzt der AG die Stelle
mit einem männlichen Mitbewerber, so hat die AN eine geschlechtsspezifische Benachteiligung dann glaubhaft gemacht, wenn sie außer der
Schwangerschaft weitere Tatsachen vorträgt, welche eine Benachteiligung
wegen ihres Geschlechts vermuten lassen.
An diesen weiteren Tatsachenvortrag sind keine strengen Anforderungen zu
stellen. U.U. genügt schon der „Trost“ bei der Mitteilung ihrer Nichtberücksichtigung: „Freuen Sie sich doch auf Ihr Kind.“
(2) LAG Hamm 26.6.08, LAGE § 15 AGG Nr. 5
•
Wird eine Stelle altersdiskriminierend ausgeschrieben und bewirbt sich ein
älterer AN erfolglos, scheidet dennoch ein Entschädigungsanspruch aus,
wenn er trotz erteilter gerichtlicher Auflagen nicht dazu vorträgt, auf welche
weiteren Stellen er sich beworben hat.
138
Jobst-Hubertus Bauer
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(3) BAG 6.11.08, NZA 09, 361; BAG 12.3.09, NZA 09, 1023; BAG 13.10.09,
NZA 10, 327
•
Zur Berücksichtigung des Lebensalters bei Sozialauswahl und
Altersgruppen-Bildung (§ 1 III KSchG).
Ø
Wirklich europafest?
(4) LAG Berlin-Brandenburg 26.11.08, NZA 09, 43 nicht rechtskräftig; aufgehoben
durch BAG 22.7.10, NZA 11, 93
•
Materieller Schadensersatz gem. § 15 I AGG umfasst die gesamte
gegenwärtige und künftige Differenz zwischen der tatsächlich erhaltenen und
der Vergütung, die auf der höherwertigen Stelle gezahlt wird (sehr fraglich!).
139
Jobst-Hubertus Bauer
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(5) BAG 14.1.09, NZA 09, 489
•
Überlebende einer eingetragenen Lebenspartnerschaft haben auf Grund des
AGG und der im Arbeitsrecht allgemein geltenden Pflicht zur Gleichbehandlung
Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn für Ehegatten im Rahmen der
betrieblichen Altersversorgung eine dahingehende Zusage besteht (im
Ergebnis ebenso BVerfG 7.7.09, NJW 10, 1439 und BGH 7.7.10, ArbRB 10,
274 und 14.2.07, NJW-RR 07, 1441; vgl. aber auch BVerfG 6.5.08, NJW 08,
2325 zum beamtenrechtlichen Familienzuschlag).
(6) BAG 21.7.09, NZA 09, 1087
•
•
Der öffentliche AG hat den schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht besteht nur dann nicht, wenn diesem die
fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 82 S. 2, 3 SGB IX).
Unterbliebene Einladung = Indiz für Benachteiligung (§ 22 AGG).
140
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(7) BAG 18.8.09, NZA 10, 222
•
•
•
•
Die Begrenzung einer internen Stellenausschreibung auf AN im 1. Berufsjahr
kann eine nach § 3 II AGG unzulässige mittelbare Benachteiligung wegen des
Alters sein.
Eine solche Beschränkung ist nur gerechtfertigt, wenn der AG mit ihr ein rechtmäßiges Ziel verfolgt und sie zur Erreichung dieses Ziels angemessen und
erforderlich ist.
Allein die Berufung auf Kostengesichtspunkte (vom AG vorgegebenes
Personalbudget) ist offensichtlich ungeeignet, den Bewerberkreis von
vornherein auf jüngere Beschäftigte zu begrenzen.
Wenn ein grober Verstoß des AG vorliegt, kann der BR Unterlassung nach
§ 17 II AGG verlangen.
141
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(8) BAG 17.12.09, NZA 10, 383
•
Die ungerechtfertigte Benachteiligung eines Beschäftigten ist nach dem
eindeutigen Wortlaut von § 7 I, 2. Hs. AGG auch dann untersagt, wenn der
Benachteiligende ein Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG nur annimmt.
•
Die in einem Bewerbungsgespräch gestellten Fragen nach näher
bezeichneten gesundheitlichen Beeinträchtigungen können je nach den
Einzelfallumständen darauf schließen lassen, dass der Fragensteller eine
Behinderung mutmaßt.
•
Bedient sich der AG bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses eigener
Mitarbeiter oder Dritter, so ist ihm deren Verhalten i.d.R. zuzurechnen.
(9) EuGH 19.1.10 „Kücükdeveci“, NZA 10, 85
•
§ 622 II 2 BGB ist europarechtswidrig wegen Diskriminierung jüngerer AN.
•
Die nationalen Gerichte dürfen die Vorschrift nicht mehr anwenden.
(10) BAG 28.1.10, NZA 10, 625
•
Verlangt der AG von seinen AN Kenntnisse der deutschen Schriftsprache,
damit sie schriftliche Arbeitsanweisungen verstehen und die betrieblichen
Aufgaben so gut wie möglich erledigen können, so verfolgt er ein sachlich
gerechtfertigtes Ziel i.S.d. § 3 II AGG.
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142
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(11) BAG 25.2.10, NZA 10, 561
•
•
Nimmt der AG die bei ihm beschäftigten über 55-jährigen AN aus dem
Personenkreis aus, dem er im Rahmen einer Personalabbaumaßnahme den
Abschluss von Aufhebungsverträgen gegen Abfindungen anbietet, liegt darin
keine Diskriminierung wegen Alters.
Es fehlt bereits an einer unmittelbaren Benachteiligung wegen Alters i.S.v.
§ 3 I 1 AGG. Den älteren AN bleibt ihr Arbeitsplatz erhalten; sie werden deshalb
nicht weniger günstig als die jüngeren AN behandelt, die ihren Arbeitsplatz –
wenn auch unter Zahlung einer Abfindung – verlieren.
(12) ArbG Stuttgart 15.4.10, NZA-RR 10, 344: „Ossis“ keine Ethnie!
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(13) BAG 20.4.10, NZA 11, 1092
•
Eine Versorgungszusage kann den Anspruch auf Witwen-/Witwerversorgung
davon abhängig machen, dass die Ehe vor dem (vorzeitigen) Ausscheiden aus
dem Arbeitsverhältnis geschlossen wurde.
•
Das steht weder im Widerspruch zu Art. 6 I GG noch zur gesetzlichen
Unverfallbarkeitsbestimmung des § 1 b BetrVG. Und es liegt auch keine
unzulässige Benachteiligung/Diskriminierung wegen des Alters oder des
Geschlechts vor.
•
Das Ziel des AG, seine Leistungspflichten auf Risiken zu begrenzen, die bereits
während des Arbeitsverhältnisses angelegt waren, ist ein rechtmäßiges Ziel
i.S.d. § 3 II AGG.
(14) EuGH 8.7.10 „Bulicke“, NZA 10, 869
•
§ 15 IV AGG, nach dem Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung
wegen einer verbotenen Benachteiligung innerhalb einer Frist von zwei
Monaten schriftlich geltend zu machen sind, ist mit den europarechtlichen
Vorgaben vereinbar.
•
Die Vorschrift ist allerdings richtlinienkonform dahingehend auszulegen,
dass die Frist im Fall einer Bewerbung oder Beförderung erst zu dem Zeitpunkt
beginnt, zu dem der Beschäftigte von der behaupteten Diskriminierung
Kenntnis erlangt.
144
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(15) BAG 22.7.10, NZA 11, 93
•
Statistische Daten können im Grundsatz ein Indiz für eine geschlechtsspezifische Benachteiligung im Rahmen des § 22 AGG sein, wenn sie im
Bezugspunkt der konkreten (Einstellung, Beförderung) aussagekräftig sind.
•
Die Geschlechterverteilung in der Gesamtbelegschaft im Verhältnis zu der
Geschlechterverteilung in Führungspositionen hat keinen entsprechenden
Aussagewert, denn diese Statistik sagt nichts über die Frage der Qualifikation
für und die Anzahl von Bewerbungen auf Führungspositionen aus (ebenso LAG
Berlin-Brandenburg 12.2.09, NZA-RR 09, 357).
(16) BAG 19.8.10, NZA 11, 200
•
Eine Benachteiligung im Bewerbungsverfahren setzt grds. voraus, dass die
Bewerbung um die Stelle schon im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung
vorlag.
(17) BAG 19.8.10, NZA 11, 203 (vgl. auch BAG 18.3.10, NZA 10, 1129)
•
Die unmittelbare Benachteiligung wegen eines vom AGG verpönten Merkmals
muss in vergleichbarer Situation geschehen.
145
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(18) Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Altersgrenzen bezogen auf
gesetzliche Regelaltersrente sind nicht europarechtswidrig (EuGH 16.10.07
„Palacios“, NZA 07, 1219; EuGH 12.10.10 „Rosenbladt“, NZA 10, 1167 auf
Vorlage von ArbG Hamburg 20.1.09 – 21 Ca 235/08).
(19) BAG 12.4.11, NZA 11, 988
•
•
AG und BR dürfen bei der Bemessung der Abfindungshöhe in einem
Sozialplan gem. § 10 S. 3 Nr. 6 AGG Altersstufen bilden, weil ältere AN auf dem
Arbeitsmarkt typischerweise größere Schwierigkeiten haben, eine
Anschlussbeschäftigung zu finden, als jüngere.
Die konkrete Ausgestaltung der Altersstufen im Sozialplan unterliegt nach § 10
S. 2 AGG einer Verhältnismäßigkeitsprüfung: Sie muss geeignet und
erforderlich sein, das von § 10 S. 3 Nr. 6 AGG verfolgte Ziel tatsächlich zu fördern
und darf die Interessen der benachteiligten Altersgruppen nicht unangemessen
vernachlässigen.
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(20) BAG 22.6.11, NZA 11, 1226
•
Ein AN wird nicht dadurch diskriminiert, dass er von seinem AG aufgefordert wird, an
einem Deutschkurs teilzunehmen, um arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse zu
erwerben.
Ø Das Verlangen von Deutschkenntnissen knüpft lediglich mittelbar an das
Merkmal „ethnische Herkunft“ an.
Ø Eine solche mittelbare Anknüpfung ist gerechtfertigt, wenn die verlangten
Deutschkenntnisse für den Arbeitsplatz „erforderlich“ sind. Dabei ist dem AG
m.E. kein grenzenloser, aber dennoch ein vernünftiger Beurteilungsspielraum
einzuräumen.
(21) EuGH 13.9.11 „Prigge u.a.“, NZA 11, 1039
•
Eine tarifvertragliche Regelung, die für Piloten eine automatische Beendigung des
Arbeitsverhältnisses mit 60 Jahren vorsieht, während nationales und internationales
Recht dafür eine Altersgrenze von 65 bestimmt, ist altersdiskriminierend.
Ø Warum es den Tarifvertragsparteien verwehrt sein soll, strengere
Sicherheitsmaßstäbe anzulegen, überzeugt nicht.
Ø Fraglich ist, ob der EuGH auch eine gesetzliche Altersgrenze von 60 Jahren für
Piloten verworfen hätte.
Ø Und fraglich ist, wie europarechtlich die nationale Altersgrenze von 60 Jahren
147
bei Polizisten und Feuerwehrleuten zu beurteilen ist.
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(22) BAG 13.10.11, BB 12, 1024
•
Verstößt der AG gegen die in § 81 I 1 und 2 SGB IX geregelte Pflicht zu
prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt
werden können, und frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit
aufzunehmen, begründet dies ein Indiz für eine verbotene Benachteiligung bei
der Stellenbesetzung.
•
Das gilt auch gegenüber Bewerbern, die ihre bestehende Schwerbehinderung
im Bewerbungsverfahren nicht offengelegt haben.
Ø Jeder Arbeitsplatz ist abstrakt für schwerbehinderte Menschen
geeignet.
Ø Frühzeitige Aufnahme von Verbindung mit der Agentur für Arbeit
regelmäßig sinnentleertes Ritual.
Ø „Selbstbedienungsladen“ für Schwerbehinderte?
(23) BAG 15.12.11, NZA 12, 1044
•
Die gesetzliche Regelung der Sozialauswahl verstößt nicht gegen das
unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung.
•
Sie führt zwar zu einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters, ist
aber durch rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und
Arbeitsmarkt i.S.v. Art. 6 I 1, 2a der RL 2000/78/EG gerechtfertigt.
Jobst-Hubertus Bauer
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(24) BAG 15.3.12, ArbR 12, 167
•
•
Für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Entschädigung oder
Schadensersatz wegen Diskriminierung muss die benachteiligte Person die
Zwei-Monats-Frist des § 15 IV AGG einhalten.
Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem die benachteiligte Person von der
Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Ø Es ging um einen Bewerber, der auf seine Schwerbehinderung
hingewiesen hatte. Mit Erhalt des Ablehnungsschreibens hatte er damit
Kenntnis von den Indizien der behaupteten Benachteiligung erlangt. Der
Bewerber war nicht nach § 82 SGB IX vom beklagten Land zum
Vorstellungsgespräch eingeladen worden.
Ø Achtung: Zusätzlich zur Geltendmachungsfrist des § 15 IV AGG gilt eine
dreimonatige Klagefrist nach § 61 b I ArbGG. Diese schließt nicht an
den Ablauf der Geltendmachungsfrist an, sondern an den Zeitpunkt der
Geltendmachung
149
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(25) BAG 20.3.12, NZA 12, 803
•
Die Differenzierung der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter in § 26 I 2
TVöD-AT benachteiligt AN, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
und verstößt damit gegen das Verbot der Altersdiskriminierung.
(26) EuGH 19.4.12 „Galina Meister“, NZA 12, 493; vgl. dazu C. Picker, NZA 12, 641
•
Die AntidiskriminierungsRL 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2006/54/EG sind
dahingehend auszulegen, dass sie für einen AN, der schlüssig darlegt, dass er
die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt und
dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf
Auskunft darüber vorsehen, ob der AG am Ende des Einstellungsverfahrens
einen anderen Bewerber eingestellt hat.
•
Die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten kann
ein Gesichtspunkt sein, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die
das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten
lassen, heranzuziehen ist.
•
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller
Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob eine solche
Vermutung vorliegt.
150
Jobst-Hubertus Bauer
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(27) BAG 21.6.12, NZA 12, 1345
•
Begründet ein AG seine Maßnahme gegenüber dem AN, so muss diese
Auskunft zutreffen.
•
Ist die Auskunft dagegen nachweislich falsch oder steht sie im Widerspruch
zum Verhalten des AG, so kann dies ein Indiz für eine Diskriminierung sein.
Ø Das BAG hat die Entscheidung des LAG aufgehoben und die Sache
dorthin zurückverwiesen.
Ø Dem AG könnte zum Verhängnis werden, dass er einer sachgrundlos
befristeten türkischstämmigen AN ein Arbeitszeugnis mit der
Leistungsbeurteilung „zu unserer vollsten Zufriedenheit“ erteilt hatte. Im
Prozess hat er jedoch behauptet, die abgelehnte Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses beruhe auf Leistungsmängeln der AN.
(28) BAG 21.6.12, NZA 12, 1211
•
Will ein AN geltend machen, er sei wegen eines durch das AGG verbotenen
Merkmals nachteilig behandelt worden, so muss er für alle Ansprüche auf
Schadensersatz die Zwei-Monats-Frist des § 15 IV AGG beachten.
•
Wird eine Bewerbung abgelehnt, so beginnt die Frist in dem Moment, in dem
der Bewerber von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
151
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(29) BAG 23.8.12, NJW 12, 3805
•
Wird eine Stelle nur für Mitarbeiter eines bestimmten Alters ausgeschrieben,
ist eine Entschädigung nach dem AGG nicht schon deswegen
ausgeschlossen, weil die Stelle nicht besetzt wird.
(30) EuGH 6.12.12 „Odar“, NZA 12, 1435
•
Die unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung bei Reduzierung
der Sozialplanabfindung für rentennahe AN kann nach Art. 6 I RL 2000/78/EG
gerechtfertigt sein. Wird für die Berechnung der reduzierten Sozialplanabfindung jedoch auf die Möglichkeit eines Bezugs vorzeitiger Altersrente
wegen Schwerbehinderung abgestellt, liegt darin eine unzulässige
Benachteiligung wegen einer Behinderung.
(31) BAG 24.1.13, NZA 13, 498
•
Sucht ein öffentlicher AG in einer an „Berufsanfänger“ gerichteten
Stellenanzeige für ein Trainee-Programm „Hochschulabsolventen/Young
Professionals“ und lehnt er einen 36-jährigen Bewerber mit Berufserfahrung
bei einer Rechtsschutzversicherung und als Rechtsanwalt ab, so ist dies ein
Indiz für eine Altersbenachteiligung.
Jobst-Hubertus Bauer
152
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(32) BAG 5.3.13, NZA 13, 916
•
Altersgrenzen in Betriebsvereinbarungen, nach denen das Arbeitsverhältnis mit
Ablauf des Kalendermonats endet, in dem der AN die Regelaltersgrenze der
gesetzlichen Rentenversicherung erreicht, verstoßen nicht gegen Vorschriften
des AGG.
(33) BAG 26.3.13, NZA 13, 921
•
Die Betriebsparteien dürfen bei der Bemessung von Sozialplanleistungen
berücksichtigen, dass AN eine vorgezogene gesetzliche Altersrente
beziehen können. Das verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot der
Altersdiskriminierung.
(34) BAG 25.4.13, NZA 14, 224
•
Auch die Verweigerung jeglicher Auskunft durch den AG begründet grds.
nicht die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung eines Bewerbers
i.S.d. § 7 AGG.
Jobst-Hubertus Bauer
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(35) BAG 17.10.13, NZA 14, 303
•
Wird einer AN gekündigt, ohne dass Kenntnis von ihrer Schwangerschaft bei
Zugang der Kündigungserklärung besteht, so ist weder die Kündigung selbst
noch ein „Festhalten“ an der Kündigung ein Indiz für eine Benachteiligung
wegen des Geschlechts.
(36) BAG 14.11.13, NZA 14, 489
•
•
Ist ein Bewerber für eine ausgeschriebene Stelle objektiv nicht geeignet, so
scheidet grds. eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung i. S. d. §§ 1, 7
AGG aus, wenn ihn der AG nicht zu einem Vorstellungsgespräch einlädt.
Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG steht dem abgelehnten,
objektiv ungeeigneten Bewerber auch dann nicht zu, wenn dem AG diese
Nichteignung nicht bekannt war.
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Jobst-Hubertus Bauer
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(37) BAG 12.12.13, ArbR 14, 46
•
Eine gegenüber einer schwangeren AN eines Kleinbetriebs ausgesprochene
Kündigung ist unwirksam. Sie kann auch eine Benachteiligung i.S.d. §§ 1, 3
AGG sein und einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 II AGG auslösen.
(38) BAG 19.12.13, NZA 14, 372
•
Eine ordentliche Kündigung, die einen AN, auf den das KSchG keine
Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert,
ist gem. § 134 BGB i. V. m. § 7 I, 1, 3 AGG unwirksam. § 2 IV AGG steht dem
nicht entgegen. Eine symptomlose HIV-Infektion hat eine Behinderung i. S. d.
AGG zur Folge, wenn und soweit das gegenwärtig auf solche Infektionen
zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden
Stigmatisierungen andauern.
155
Jobst-Hubertus Bauer
VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(39) BAG 23.1.14, ArbR 14, 75
•
Der Anspruch eines diskriminierten Stellenbewerbers auf Entschädigung für
immaterielle Schäden nach § 15 II AGG richtet sich ausschließlich gegen den
AG, nicht (auch) gegen den Personalvermittler, egal von wem die
diskriminierende Handlung ausgeht.
(40) BAG 10.4.14 – 2 AZR 647/13
•
Eine „hilfsweise“ oder „vorsorglich“ erklärte Kündigung steht unter der –
zulässigen – auflösenden Rechtsbedingung i.S.v. § 158 II BGB, dass das
Arbeitsverhältnis nicht schon aufgrund eines anderen Umstands endet. Ihre
Wirkung endigt, wenn feststeht, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch den
anderen Beendigungstatbestand aufgelöst worden ist.
► Forts.
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VI. Update Antidiskriminierungsrecht
Neuere Entscheidungen
(40) BAG v. 10.4.14 (Forts.):
•
Eine Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ oder „nächstmöglichen
Zeitpunkt“ ist typischerweise dahin zu verstehen, dass der Kündigende die
Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt erreichen will, der sich
bei Anwendung der einschlägigen gesetzlichen, tarifvertraglichen und/oder
vertraglichen Regelungen als rechtlich frühstmöglicher Beendigungstermin
ergibt. Sie ist jedenfalls dann hinreichend bestimmt, wenn dem
Erklärungsempfänger die Dauer der Kündigungsfrist bekannt oder für ihn ohne
umfassende tatsächliche Ermittlungen oder die Beantwortung schwieriger
Rechtsfragen feststellbar ist.
•
Die Anhörung des AN vor einer Kündigung ist de lege lata – außer bei der
Verdachtskündigung – keine Wirksamkeitsvoraussetzung.
(41) BAG 18.9.14 – 6 AZR 636/13
•
Die vom AG einzuhaltende gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 I BGB
beträgt 4 Wochen zum 15. oder Ende eines Kalendermonats und verlängert
sich gem. § 622 II 1 BGB bei längerer Betriebszugehörigkeit in mehreren
Stufen. Diese Staffelung der Kündigungsfristen verletzt das Verbot der
mittelbaren Altersdiskriminierung nicht.
Jobst-Hubertus Bauer
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