Wege zum Glück - Schulentwicklung NRW
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Wege zum Glück - Schulentwicklung NRW
Deutsch Wege zum Glück Textheft für Schülerinnen und Schüler Zentrale Lernstandserhebungen in der Jahrgangsstufe 9 Nordrhein-Westfalen 2004 Hinweis Dieses Textheft ist Bestandteil der zentralen Lernstandserhebung 2004 im Fach Deutsch. Am 10. oder 11. November 2004 erhalten die Schülerinnen und Schüler, die an der Lernstandserhebung teilnehmen, im Rahmen einer Doppelstunde für maximal 60 Minuten Einblick in dieses Heft. Danach verbleibt es bis zum Tag der Lernstandserhebung Deutsch (17. November 2004) in der Schule unter Verschluss. © 2004 Herausgeber: Testentwicklung und Projektkoordination: Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen Völklinger Straße 49, 40221 Düsseldorf Landesinstitut für Schule Paradieser Weg 64, 59494 Soest Grafik und Gestaltung: Ramona Marchitto; Andrea Pöpping Druck: DruckVerlag Kettler GmbH Postfach 1150, 59193 Bönen/Westf. Alle Rechte vorbehalten. Jegliche Verwertung dieses Druckwerks bedarf – soweit das Urheberrechtsgesetz nicht ausdrücklich Ausnahmen zulässt – der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Herausgebers. _____________________________________________________________________________________ Illustrationen: S. 1, 3, 10, 12, 14, 15, 16: Michael Gottschalk, Soest; S. 4: Goldener Buddha, in: http://www.buddhismus.at.bilder (Stand: 23.09.2004); S. 8: Chinesisches Glückszeichen, Quelle unbekannt Lernstandserhebungen NRW 2004 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Verliebt Joanna (16 Jahre) 5 Pudding in den Beinen, Rosinen im Kopf; Brauseprickeln auf der Haut, über die Lippen fließen Worte wie Honig und Rote Grütze. Das Ende vom Lied: Bauchweh vom Kopf bis in die Füße von all dem Zuckerzeug! Aus: Warmer Regen auf meiner Haut. Liebesgedichte aus der NDR-2-Sendung „Sweet, Soft and Lazy”. Hamburg: Hanseatische Edition 1987 Happy End Kurt Marti 5 10 Sie umarmen sich, und alles ist wieder gut. Das Wort ENDE flimmert über ihrem Kuss. Das Kino ist aus. Zornig schiebt er sich zum Ausgang, seine Frau bleibt im Gedrängel hilflos stecken, weit hinter ihm. Er tritt auf die Straße, bleibt aber nicht stehen und geht, ohne sie abzuwarten, geht voll Zorn, und die Nacht ist dunkel. Atemlos, mit kleinen, verzweifelten Schritten holt sie ihn ein, er geht und sie holt ihn wieder ein und keucht. Eine Schande, sagt er im Gehen, eine Affenschande, wie du geheult hast. Mich nimmt nur wunder warum, 15 20 sagt er. Sie keucht. Ich hasse diese Heulerei, sagt er, ich hasse das. Sie keucht noch immer. Schweigend geht er und voller Wut, so eine Gans, denkt er, und wie sie nun keucht in ihrem Fett. Ich kann doch nichts dafür, sagt sie endlich, ich kann wahrhaftig nichts dafür, es war so schön, und wenn`s schön ist, muss ich halt heulen. Schön, sagt er, dieser elende Mist, dieses Liebesgewinsel, das nennst du schön, dir ist ja nun wirklich nicht mehr zu helfen. Sie schweigt und geht und keucht. Was für ein Klotz, denkt sie, was für ein Klotz. Aus: Marti, Kurt: Dorfgeschichten. Darmstadt; Neuwied: Luchterhand 1983, S. 20 3 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Lernstandserhebungen NRW 2004 Was ist wichtig / richtig fürs Glück? 1987 und 2002 wurden in einer Jugendstudie 2.515 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren zu ihrer Lebenssituation und ihren Meinungen befragt. Die Forscher fragten dabei auch, was Jugendlichen für ihre Lebensgestaltung besonders viel bedeutet. Bed eutung für d ie Leb ensg esta ltung (in %) 0 10 20 30 40 60 70 80 90 100 88 Familienleben 85 83 Kreativität 83 78 Unabhängigkeit 80 69 Sicherheit 70 62 Fleiß und Ehrgeiz 76 27 Macht und Einfluss 35 1987 2002 33 Politik-Engagement Althergebrachtes 50 22 15 20 14. Shell-Jugendstudie: Infografiken. URL: http://shell-jugendstudie.de/ download/shell_jugendstudie_charts.pdf, S. 4 An alle, die glücklich sind Dalai Lama 5 10 15 20 Man kann auf unterschiedliche Weise glücklich sein. Manche Menschen leben aufgrund einer geistigen Störung in einem Zustand naiven Glücks. Für sie ist immer alles in Ordnung. Dieses Glück ist aber nicht das Glück, um das es uns hier geht. Für andere gründet das Glück auf dem Besitz materieller Güter und auf sinnlicher Befriedigung. Wir haben bereits auf die Fragwürdigkeit dieser Einstellung hingewiesen. Auch wenn sie sich aus diesem Grund für wirklich glücklich halten – sie werden doppelt leiden, wenn ihnen die Umstände nicht mehr wohlgesonnen sind. Andere wiederum fühlen sich glücklich, weil sie moralisch denken und handeln. Das ist Glück, das wir brauchen, denn dieses Glück hat tiefere Wurzeln und hängt nicht von den Umständen ab. Um dauerhaft glücklich sein zu können, müssen wir zuallererst erkennen, dass auch Leid zum Leben gehört. 4 Das ist vielleicht anfangs deprimierend, aber auf lange Sicht können wir mit dieser Einstellung nur gewinnen. 25 30 35 40 Wer es vorzieht, die Wirklichkeit zu leugnen, indem er Drogen nimmt, das falsche Glück in einer blinden Spiritualität sucht oder ungezügelt lebt, nur um nicht nachdenken zu müssen, erwirkt dadurch bloß einen kurzen Aufschub. Wenn dann die Probleme akut werden, sind diese Menschen oft nicht gegen Schwierigkeiten gefeit und „erfüllen das Land mit ihren Klagen“, wie man in Tibet sagt. Zorn oder Verzweiflung über- Lernstandserhebungen NRW 2004 kommen sie, und zu den anfänglichen Schwierigkeiten gesellt sich der Schmerz. 45 50 55 Versuchen wir herauszufinden, woher unser Leiden kommt. Wie jedes andere Phänomen ist es das Ergebnis unendlich vieler Ursachen und Umstände. Hingen unsere Gefühle jeweils nur von einer einzigen Ursache ab, dann müssten wir nur einer einzigen „Glücksursache“ ausgesetzt sein, und wir wären hundertprozentig glücklich. Wir wissen aber genau, dass dem nicht so ist. Geben wir also die Vorstellung auf, dass wir sie nur finden müssten, um nicht mehr zu leiden. Anerkennen wir, dass das Leid Teil des Lebens oder buddhistisch gesprochen des Samsara, des Kreislaufs der bedingten Existenzen, ist. Wenn wir das Leid als etwas Negatives oder Abnormales betrachten, dessen Opfer wir sind, dann führen wir ein erbärmliches Leben, denn dann werden wir Opfer unserer Einstellung. Glück ist nur dann Deutsch Textheft: Wege zum Glück 60 65 70 möglich, wenn selbst das, was wir als Leid ansehen, uns nicht unglücklich macht. Nach buddhistischer Auffassung führt die Beschäftigung mit der Existenz des Leids nie zu Pessimismus oder Verzweiflung. Sie lässt uns die eigentlichen Gründe für unser Unglücklichsein erkennen, nämlich Begierde, Hass und Nichtwissen, und durch dieses Erkennen können wir uns davon befreien. Mit Nichtwissen ist hier das Unverständnis für die wahre Natur der Wesen und Dinge gemeint. Es ist die Ursache der beiden anderen Gifte. Sobald das Nichtwissen sich auflöst, haben Hass und Begierde keine Grundlage mehr, und die Quelle des Leids ist erschöpft. 75 Daraus ergibt sich ein spontan altruistisches Glück, das nicht mehr der Spielball negativer Gefühle ist. Aus: Dalai Lama: Ratschläge des Herzens. Zürich: Diogenes 2003, S. 107 ff. Wahlverwandtschaften Laura Freudenreich, 16 Jahre, geborene Anna Behrenfeld, berichtet in einem Gespräch über die Suche nach ihrem Vater. 5 10 15 20 „Ich suche meinen Vater. Meine Adoptiveltern haben mir immer gesagt, dass ich adoptiert bin, schon als ich vier Jahre alt war. Vor drei Jahren habe ich angefangen, meine leiblichen Eltern zu suchen – nicht so einfach, weil ich inkognito adoptiert bin. Bei einer Inkognito-Adoption erfahren die Eltern nichts voneinander. Das Jugendamt hat schließlich für mich meine Mutter ausfindig gemacht und ihr einen Brief von mir geschickt. Die Antwort kam nach einem halben Jahr. Ohne Foto, nur eine halbe Seite lang. Dass ich ihr ihr Leben lassen soll, und sie lässt mir meins. Dass sie nichts mit mir zu tun haben will. Sie hat noch eine Beschreibung von sich und meinem Vater aufgeschrieben. Deprimierend. Dann habe ich's bei meinen Großeltern probiert. Ich weiß ja den Namen meiner Mutter und dass sie in der Umgebung wohnen. Aus dem Telefonbuch habe ich ihre Nummer gesucht. Sie waren sauer, weil ich mich gemeldet hatte. Dass sie nichts mit mir zu tun haben wollen, haben sie gesagt. Und aufgelegt. Bleibt also nur mein Vater. 25 30 35 40 Meine Adoptiv-Eltern sagen, sie stehen mir nicht im Weg, wenn ich weitersuche. Ich will wissen: Wer sind diese anderen Eltern? Wie sind sie? Ich will was über meine Vergangenheit erfahren. Ich habe über die Show 'Andreas-Türck' versucht meinen Vater zu finden. Die Redakteure meinten aber, sie könnten mir nicht helfen. Ich habe auch nur eine vage Beschreibung, wie mein Vater vor 15 Jahren ausgesehen hat. Er ist vor meiner Geburt abgehauen. In der Grundschule mussten wir mal beschreiben, was wir von unseren Eltern geerbt haben. Die Größe oder so was. Was sollte ich sagen? Ich kann mir meinen Vater nur vorstellen. Meine Adoptionseltern meinten, er wäre irisch. Ich glaube, dass er vielleicht ein netter Mann ist und in Irland lebt. Vielleicht lebt er noch in Navan, der Stadt, in der er mal gewohnt haben soll. Es geht nicht darum, dass ich mir mein Leben bei meinen leiblichen Eltern besser vorstelle. Ich möchte aber wissen, warum mein Vater damals abgehauen ist. Ob ich meine Sturheit und Trotzköpfigkeit von ihm habe. Meine Eltern wollen 5 Deutsch Textheft: Wege zum Glück 45 50 mir, wenn ich 18 bin, eine Reise schenken. Dann will ich nach Irland. Ich hab sogar bei Gewinnspielen mitgemacht, bei denen man Irland-Reisen gewinnen kann. Dass ich dorthin will, hängt schon mit meinem Vater zusammen. Gäbe es eine Liste, was ich mir am meisten wünsche, dann stünde ganz vorne: Vater finden. Dafür würde ich aber nichts opfern. Ich hänge an meinen El- Lernstandserhebungen NRW 2004 55 60 tern, an meinen Freunden und der Schule. Ich wäre nie dafür, das herzugeben. Und wenn ich ihn finden würde und er auch nichts von mir wissen wollte? Wäre ich traurig. Wenn er keinen Kontakt will, soll er auch einen Grund nennen. Denn nur gesagt zu bekommen: 'Das ist dein Leben, das ist mein Leben' – das macht schon sehr nachdenklich.“ Freudenreich, Laura: Glück in Irland. In: Jetzt (Süddeutsche Zeitung) v. 13.05.2002 Fremd Ingrid Gündisch (16 Jahre) 5 10 15 20 25 30 35 Meine Familie ist intakt, in der Schule bin ich relativ gut, meine Freunde sind erträglich, ich habe kaum Feinde, es geht mir gut. Ich könnte nicht behaupten, dass ich mich liebe. Ich bin mir selbst fremd geworden, habe mich verändert. Alle sagen das, ich selbst hätte es kaum gemerkt. Angefangen hat alles damit, dass ich ein letztes Mal versuchen wollte, meinen Sprachfehler zu korrigieren. Zugegeben, nach acht Jahren Behandlung bei mehreren Logopädinnen glaubte ich nicht mehr an Erfolg. Der Gang in die Praxis wurde für mich immer mehr zur Routine, und die Frau, die dort regelmäßig auf mich wartete, konnte ich nicht gerade gut leiden. Sie hatte eine Art, mich zu behandeln, als hätte ich nicht nur einen s-Fehler, sondern auch eine geistige Behinderung. Diese neue und letzte Logopädin forderte mich öfters auf, während ich meine Übungen machte, auch etwas zu malen. Sie legte mir ein Blatt Papier und ein paar Buntstifte auf den Tisch und sah mich erwartungsvoll an. „Fühl dich ganz frei“, sagte sie aufmunternd, als sie mein Zögern bemerkte. Das bewirkte bei mir aber genau das Gegenteil. „Ich male nie auf Befehl“, sagte ich zu ihr in einem so aggressiven Ton, dass sie mir gleich versicherte, dass es nur ein Vorschlag ohne Bedeutung gewesen sei. Ich müsse natürlich nicht zeichnen. Daraufhin setzte ich lustlos meine Zungenübungen fort. In der nächsten Stunde bat mich meine Logopädin, ihr doch von meinem Tagesprogramm etwas zu erzählen und dabei auf das S zu achten. Ich berichtete lange. Zum Schluss fragte sie mich, ob ich nicht zu viel unternehme. Ich sagte „Nein“ und verabschiedete mich. 6 Allmählich kam ich mir bei dieser Frau wie in einer Beschäftigungstherapie vor. Ich verließ die Praxis immer mit äußerst schlechter Laune. 40 45 50 55 60 65 Aber eines Tages geschah das Wunder: Irgendwie hatte meine Zunge sich anders im Mund gedreht, und ich konnte das S richtig aussprechen. Ich war glücklich. Nach einigen Wochen bat mich die Logopädin, mein neues S in den täglichen Sprachgebrauch einzubauen, und damit begann mein Problem: Um richtig zu artikulieren, musste ich langsamer sprechen, und ich bekam immer mehr das Gefühl zu stottern. Ich musste dauernd an das neue S denken. Meine ganze Unbefangenheit im Umgang mit der gesprochenen Sprache ging mir verloren. Es war plötzlich notwendig geworden, vorher zu überlegen, was ich sagen wollte, um mich dann, während des Sprechens, ganz auf den neuen Laut konzentrieren zu können. Und das fiel mir sehr schwer. Ich kam mir unbeholfen vor, ich hatte das Gefühl, von allen ungeduldig angestarrt zu werden, ich bekam Angst vor dem Sprechen. Wenn ich den Mund aufmachte, begann ich zu schwitzen, ich fühlte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Ich begann, mir das Sprechen abzugewöhnen. Meine Schwester, die den ungewohnten Laut bemerkte, sagte mir gleich, ich würde neuerdings den Mund verziehen, und meine Freundin meinte, ich solle sofort „damit“ aufhören, es klänge schrecklich. Es passe nicht zu mir, ich solle doch nicht versuchen, mich auf diese Weise zu verändern. Nur meine Logopädin versicherte mir, der s-Laut sei vollkommen richtig. Lernstandserhebungen NRW 2004 70 75 80 Ich nahm meiner Freundin und meiner Schwester die Bemerkungen übel, aber ich sprach mit ihnen nicht darüber. Es war auch schon zu spät. Ich hatte das Gefühl, das alte S vollkommen verlernt zu haben, und so konnte ich nur noch stottern. Sogar das Vorlesen hatte ich ganz verlernt. Im Unterricht meldete ich mich überhaupt nicht mehr, ich zog mich zurück und vermied es, in den Pausen zu sprechen. Dauernd rannte ich aufs Klo oder hantierte mit meinen Sachen herum, um nicht angesprochen zu werden. Ich hatte Angst. Aber das Schlimmste war, dass ich mich selbst ständig beobachtete. Was für ein lächerlich elendes Geschöpf ich geworden war. Ich war mir Deutsch Textheft: Wege zum Glück fremd geworden, ich kannte mich nicht mehr. Ich saß in meiner Klasse und fühlte mich im Stich gelassen, ich hatte niemanden, der sich um mich kümmerte. Meine Angst überwinden konnte ich nicht. Ich zog mich zurück. Ich hatte es verlernt, auf andere zuzugehen. Bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen. Wenn mich jemand ansah, wich ich dem Blick aus. Ich saß meistens still in meinem Zimmer. Natürlich wusste ich, dass das meine Schuld war, aber ich hoffte doch auf Hilfe. Ich beobachtete mich wie eine Fremde und war fassungslos. Ich beschloss auf das Reden für immer zu verzichten. 85 90 95 Seit damals schweige ich. Aus: Treffen junger Autoren (Hg.): Unter der Steinhaut. Anrich: Kevelaer 1994, S. 80 – 82 Aufhebung Erich Fried Sein Unglück ausatmen können Copyright nicht erteilt 5 10 15 tief ausatmen so dass man wieder einatmen kann Und vielleicht auch sein Unglück sagen können in Worten in wirklichen Worten die zusammenhängen und Sinn haben und die man selbst noch verstehen kann und die vielleicht sogar irgendwer sonst versteht oder verstehen könnte Und weinen können 20 aus: Das wäre schon fast wieder Glück Beunruhigen © 1984, NA 1987. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 7 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Lernstandserhebungen NRW 2004 Was ist Glück? Ergebnis einer Blitzumfrage bei Kindern, Erwachsenen, Autoren und Autorinnen – die kursiv geschriebenen Texte stammen von Kindern. 20 25 30 35 Wenn man etwas gewinnt. Den Augenblick genießen. Ein Traum, den ich einfangen möchte. Den Vollmond sehen. Etwas Schönes, das ganz plötzlich kommt. Der Zwang, immer wieder zeichnen zu müssen. Wenn man ein vierblättri5 ges Kleeblatt findet. Konzentration. Die Fahrradprüfung bestehen. Eine Vogelfeder finden. Wenn man im Wasser nicht untergeht. Gegen den Stamm meiner Lieblingsbuche gelehnt weit über mir den Himmel wissen und fühlen, wie lebendig ich bin. Wenn man Geld findet. Um 3 Uhr verges10 sen zu haben, dass es vor einer Stunde 2 Uhr war und in einer Stunde 4 Uhr sein wird. Wenn man eine 6 im Lotto hat. Die Vorstellung, dass wir eines Tages die Bilder, Zeichen und Signale der Natur wieder verstehen können – und damit uns. Wenn man alles so hinkriegt, wie man es will. Wenn 15 sich die Seele wie ein Zimmer mit Licht füllt. Wenn man etwas Besonderes geschafft hat, was man sonst nicht schafft. Die Seele baumeln lassen. Wenn man etwas geChinesisches Glückzeichen schenkt bekommt. Ein Frühlingsmorgen und ein Gänseblümchen. Wenn man gute Noten hat. Dass jemand da ist, der mich liebt. Wenn ich Geburtstag habe. Dass es mir immer besser geht, als es mir gehen könnte. Wenn man den Bus nicht verpasst. Dort zu leben, wo kein Hass ist. Ein Haustier haben. Der berühmte Augenblick, den man anhalten möchte. Wenn man denkt, man kriegt Ärger und kriegt keinen. Wenn mir nichts passiert. Wenn man neue Freunde findet. Atme tief ein und aus (dreimal täglich), sprich: „Das ist das Glück“ und zeige dabei auf irgendetwas: einen Bissen Brot, dein Bett, eine Shampooflasche, das Geräusch des Regens, das Pochen in deiner Brust. Wenn man lernt, sich selbst besser kennen zu lernen. Plötzliches Strahlen der Seele. Wenn Carolin Schluss macht mit Achim und wieder mit mir anfängt. Glück ist, wenn ich am Samstagmorgen auf den Markt gehen kann und mit einer Tasche voll Salat, Broccoli, Erbsen, Erdbeeren, Zopfbrot, Fisch, Oliven und einem großen Blumenstrauß in der Hand wiederkomme. Wenn ich was Schönes geschenkt bekomme. Wenn man einen Glückspfennig findet. Die Zeit vergessen. Hitzefrei. Seelenverwandte zu finden, zu lieben und geliebt zu werden. Wenn man eine Katze hat. Gemeinsam da zu sein. Etwas finden, was ich nicht weiß. Plötzliches Lob. Eltern haben. Geboren sein. Der Zustand, in dem man die Welt umarmt, sich selbst gratuliert und dem Schicksal dankt. Wenn kein Krieg ist. Wenn ich leben kann, wie ich es mir wünsche. Wenn die Sonne scheint und ich in den See gehen kann. Wenn man 120 Jahre alt ist. Wenn ich krank bin und nicht in die Schule muss. Innere Ruhe. Im Tor gut sein. Draußen den Regen hören. Sich verlaufen haben und den Weg wiederfinden. ES (für den Augenblick) zu haben. Wenn ich schnell einschlafe. Auf der Wiese liegen und nichts denken und den Frühling riechen. Wenn die Frau Brehm da ist. Wenn ich reich bin. Sich wohl fühlen. Wenn ich was finde. Harmonisches Zusammenleben. Wenn einem unerwartet etwas Gutes passiert. Ein guter Arbeitsplatz. Wenn ich mit meiner Freundin in die gleiche Klasse komme. Plötzlich ein Kuss von dir. Glück ist Glück und nichts anderes. Aus: Was ist Glück? (Umfrage). In: Gelberg, H.J.: Glück. Jahrbuch für Kinderliteratur. Weinheim: Beltz 1994 8 Lernstandserhebungen NRW 2004 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Copyright nicht erteilt 9 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Lernstandserhebungen NRW 2004 „Die Deutschen werden dann um mindestens 5 Punkte glücklicher sein!“ Aus einem Interview mit David Halpern. Das Interview wurde geführt von Carsten Jasner. David Halpern ist „Glücksberater“. Er lehrt Sozial- und Politikwissenschaften in Cambridge, Oxford und Harvard. Er ist auch politischer Berater des britischen Premierministers. Halpern wertet Studien über Glücksforschung aus um zu ermitteln, was die Politik und die Menschen tun können, um glücklicher zu werden. 5 10 15 20 25 Hallo, Mr. Halpern, sind Sie glücklich? Sagen wir, ich bin zufrieden. Es wäre hilfreich, in Mexiko oder Puerto Rico zu leben. Dort leben die glücklichsten Menschen der Welt. Was wird aus denen von uns, die nicht auswandern wollen? So schlecht geht es Ihnen gar nicht. Immerhin 80 Prozent der Deutschen sagen, sie seien mit ihrem Leben einigermaßen zufrieden. Allerdings ist nur jeder Fünfte bei Ihnen wirklich glücklich. Lateinamerika zeigt, dass wir unser Glück nicht allein im Wirtschaftswachstum suchen sollten. Aber es schadet doch nicht? Sicher, im internationalen Vergleich sind wohlhabende Nationen grundsätzlich besser dran als arme. Aber von einem bestimmten Lebensstandard an steigt die Zufriedenheit nicht mehr automatisch mit dem Einkommen. Was ist wichtiger als Einkommen? Arbeit. Die muss nicht wahnsinnig gut bezahlt sein, Hauptsache, jeder hat welche. Der negative Effekt von Arbeitslosigkeit ist um ein Vielfaches stärker als der positive eines steigenden Einkommens. Das erleben wir in der momentanen Wirtschaftskrise. Selbst die, die noch einen Arbeitsplatz haben, werden unzufrieden, weil sie darum fürchten. 40 45 50 55 60 65 30 35 Würde es uns helfen, nur noch zu tun, was uns Spaß macht? Nein, entscheidend für unsere Lebenszufriedenheit sind Freunde, Familie und, vor allem, Vertrauen. Und die Bedeutung eines guten Miteinanders wird unterschätzt. Wenn Ihnen jemand auf der Straße unfreundlich begegnet, hat das einen gewaltigen Einfluss auf Ihre Laune, es kann 70 Ihren ganzen Tag versauen. Faktoren wir Respekt, Liebenswürdigkeit oder Anteilnahme müssen höher bewertet werden. Oder nehmen wir den Sport. Die meisten gehen allein ins FitnessStudio, um sich für den Job zu stählen. Gesünder wäre es, in einem Team mit Freunden Fußball oder Handball zu spielen. Das Ehrenamt ist etwas aus der Mode gekommen, dabei müsste der freiwillige Einsatz im Verein oder in der Nachbarschaft viel höher bewertet werden. Demnach sähe der Bürger mit den besten Glücksaussichten so aus: Er hat einen netten Job, der ihm ein ausreichendes Einkommen beschert, er ist verheiratet, hat zwei Kinder, spielt einmal die Woche mit Freunden Fußball und ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Und er sollte alle ein, zwei Wochen in die Kirche gehen. Gläubige Menschen sind zufriedener. Kennen Sie irgendeinen Politiker, der von diesen Theorien überzeugt ist? Eine ganze Menge. Ich denke, in einigen Jahren werden Regierungen die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung als Maßstab für ihre Entscheidungen nutzen. Die Abendnachrichten werden uns Statistiken präsentieren, wonach der Glücksfaktor in Großbritannien gerade um zwei Punkte gestiegen ist, während er in Deutschland fällt. Glauben Sie wirklich? Kleiner Scherz. Nein, ich bin sicher, die Deutschen werden dann um mindestens fünf Punkte glücklicher sein. Halpern, David: Was für ein Glück. (Interview, Auszüge). In: Die Zeit Nr. 52 (17.12.2003), S. 53 f. 10 Lernstandserhebungen NRW 2004 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Eine Bücherliste zum Thema „Glück“ 5 10 15 20 25 30 Stefan Klein: Die Glücksformel. Oder: Wie die guten Gefühle entstehen. Reinbek: Rowohlt 2002 Für ein glückliches Leben tun wir alles – und schlittern dabei von einem Unglück ins nächste. Die Probleme beginnen bereits bei der Definition: Bislang wusste keiner genau, was Glück eigentlich ist. Selbst die Philosophie, die der Frage seit Tausenden von Jahren nachgeht, hat bis heute nur Antworten voller Widersprüche geben können. Jetzt aber haben sich die Hirnforscher auf die Suche nach den Gefühlen gemacht. Erstmals lassen sich Empfindungen messen. Andreas Steinhöfel: Der mechanische Prinz. Hamburg: Carlsen 2003 Er war, so scheint es ihm, von Anfang an das egalste Kind der Welt, das traurigste, das sprachloseste. Dann, eines Morgens vor der U-Bahn, erhält Max von einem einarmigen Bettler ein unglaubliches Geschenk – ein goldenes Ticket, mit dem er an Orte reisen kann, wo nur wenige hinkommen: die Refugien. Nur dort kann Max sich seiner Traurigkeit stellen, nur dort kann er sein Leben verändern und sein Herz retten. Alexa Hennig von Lange: „Ich habe einfach Glück“. Reinbek: Rowohlt 2002 Lelle und Cotsch heißen die beiden Mädchen von 15 und 16 Jahren, die es zu Hause in der Siedlung aushalten müssen. Mama sorgt sich sehr um die beiden Schwestern, die auf diese Fürsorge gern verzichten würden. Dann würde Lelle wahrscheinlich auch wieder essen. Papa Berni gießt im Büro seine Pflanzen und liest den Brief nicht, den Cotsch ihm vor zwei Jahren geschrieben hat – über sie und ihn und die ganze Familie. „Papa ist ein Arschloch!“ sagt Cotsch. Lelle ist da diplomatischer. Mama rennt mit ihren Problemen zu ihrer Nachbarin Rita. Cotsch sagt, die beiden haben ein intimes Verhältnis, und findet das eklig. Aber zum Glück für Lelle gibt es Arthur, der wie einst Pippi Langstrumpf allein in dem Haus nebenan wohnt… Sergio Bambaren: Der träumende Delphin. Eine magische Reise zu dir selbst. Stuttgart: Piper 1999 Der junge Delphin Daniel Alexander ist ein Träumer, der ganz fest an die perfekte Welle glaubt. Eines Tages verlässt er das sichere Riff seiner Artgenossen und macht sich auf die selbstbestimmte Suche nach dem richtigen Leben. Diese wunderbare Geschichte über persönlichen Mut und überwundene Ängste hat, wie einst „Die Möwe Jonathan“, unzählige Leser auf der ganzen Welt angerührt und begeistert. 35 40 45 Miriam Pressler: Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen. Weinheim: Beltz 1998 Das Glück kam bisher nur selten zu Halinka. Halinka ist zwölf und lebt seit Jahren im Heim. Was vor dieser Zeit war, erzählt sie nicht. Halinka hat keine Freundin und will auch keine. Am liebsten ist sie allein in ihrem wunderbaren Versteck auf dem Speicher. Dort schreibt sie all die Sprüche und Sätze auf, die ihr durch den Kopf gehen. Dann hat Fräulein Urban, die Heimleiterin, die verrückte Idee, alle Mädchen für das Müttergenesungswerk sammeln zu lassen. Halinka möchte unbedingt Sammelkönigin werden. Vielleicht kann sie dann wieder ihre geliebte Tante Lou besuchen. Aber das ist nur der Anfang der Geschichte, die von Halinka, ihren Gefühlen und ihren Sehnsüchten erzählt. Halinka weiß: Wenn das Glück kommt, dann muss man ihm einen Stuhl hinstellen. Und darauf wartet sie. 11 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Lernstandserhebungen NRW 2004 Copyright nicht erteilt Sehnsucht Georg Heym Wie glänzend die Höhen sich dehnen Weit in die blaue Ferne. Zu ihnen fliegt mein Sehnen Hin zu dem Morgensterne. 5 Wohl hinter ihnen sich breitet Der lachende Weg zum Glück Das endlos dahinten sich weitet. Ich finde ihn nicht zurück. Heym, Georg: Sehnsucht. In: Sander, Gabriele: Blaue Gedichte. Stuttgart: Reclam 2001. S. 59 Blauer Schmetterling Hermann Hesse Flügelt ein kleiner blauer Falter vom Wind geweht, Ein perlmutterner Schauer, Glitzert, flimmert, vergeht. 5 So mit Augenblicksblinken, So im Vorüberwehn Sah ich das Glück mir winken, Glitzern, flimmern, vergehn. Hesse, Hermann: Blauer Schmetterling. In: Sander, Gabriele: Blaue Gedichte. Stuttgart: Reclam 2001. S. 82 12 Lernstandserhebungen NRW 2004 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Glücksrezepte Welche Menschen sind glücklich? 5 10 15 20 25 30 Glückliche Menschen … • haben ihr Leben selbst in der Hand, das heißt auch, dass sie meinen, ihr eigenes Glück (und auch ihr Unglück) selbst herbeiführen zu können; • schaffen die Balance zwischen Anspannung und Entspannung; • schaffen die Balance zwischen dem, was sie haben und dem, was sie wollen; zwischen Möglichkeiten und Ansprüchen; • sind kreativ und neugierig; • leben und nehmen die Freuden des Lebens einfach mit; • erleben (lt. Glücksforscher Ed Diener) häufig positive Ereignisse; dabei ist die Häufigkeit und nicht die Intensität entscheidend. Es scheint besser, sich bei vielen kleinen Anlässen wohl zu fühlen und sich zu freuen, statt auf das „große Glück“ zu warten; • investieren in ihre sozialen Beziehungen, sie bekommen Unterstützung von Freunden und der Familie. Außerdem glauben sie, dass andere Menschen sie schätzen und mögen (egal ob das der Wahrheit entspricht); • sind eher extrovertiert, optimistisch und haben ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Diese Eigenschaften sind teilweise genetisch bedingt. Ebenso gilt: Die Anfälligkeit für negative Gefühle ist teilweise erblich bedingt, allerdings wird die Fähigkeit zum Glückserleben nicht vererbt, sondern lässt sich erlernen. Reiche Menschen sind nicht glücklicher als der Durchschnitt. Lediglich für sehr arme Menschen sind Geld und Glück gekoppelt. 35 40 45 50 55 Intelligenz und körperliche Schönheit machen nicht glücklich, d. h. Kluge und Schöne sind nicht glücklicher als der Durchschnitt. Menschen sind (lt. Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi) glücklich beim Essen, Reden, bei Geselligkeit, beim Sex, wenn sie Hobbys nachgehen, Sport machen oder ins Kino gehen. Neutrale Gefühle haben sie beim Ausruhen, bei der Körperpflege und beim Fernsehen. Keine GlücksgeCopyright nicht erteilt fühle sind da, wenn sie dem Beruf nachgehen, Lernen oder Hausarbeit machen. Neben den Aktivitäten, die Glücksgefühle auslösen, fand Csikszentmihalyi noch Aktivitäten, die ein weiteres erstrebenswertes Gefühl auslösen, das dem Glück sehr verwandt ist und nach seiner Meinung am besten mit dem Begriff Flow zu bezeichnen ist. Flow entsteht bei Geselligkeit, Reden, Sex, Hobbys nachgehen, Sport machen, ins Kino gehen, dem Beruf nachgehen, Lernen und Autofahren – generell bei Aktivitäten, die weder über- noch unterfordern. Flow entsteht nicht bei Ausruhen oder Fernsehen. http://www.gluecksarchiv.de/inhalt/glueck.htm 13 Deutsch Textheft: Wege zum Glück Lernstandserhebungen NRW 2004 Was Kinder glücklich macht Kinder aus ärmeren Familien sind häufiger traurig als ihre Altersgenossen aus der gehobenen Schicht. Wären in Deutschland Kinder an der Macht, müsste wohl niemand sein Zimmer aufräumen oder zur Unzeit – also viel zu früh – schlafen gehen. Und zehn Prozent der Minderjährigen hätten weniger Beulen – so viele werden von ihren Eltern geschlagen. 5 10 Hamburg – Die Geburtenzahlen sind rückläufig, die Deutschen sterben aus. Aber ist die Bundesrepublik deswegen ein kinderfeindliches Land? Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, hält diese Mei- nung für überzogen. Bestärkt wird sie durch eine Studie des Instituts. Danach ist die Mehrheit der Kinder in Deutschland zufrieden: Die meisten der 81 Befragten zwischen sechs und zwölf Jahren genießen ihre Kindheit, fühlen sich von den Erwachsenen gemocht und beschreiben zu 86 Prozent ihren Gemütszustand als fröhlich oder sehr fröhlich. 20 Allerdings mahnt sie auch: „Vielen Erwachsenen sind Kinder fremd geworden.“ Weite Teile der Gesellschaft 25 hätten zu wenig Kontakt zu Kindern und seien daher mit deren Lebenswirklichkeit und ihrer Per30 besonderen spektive zu wenig vertraut. 45 50 15 Ein Drittel der Sechs- bis Zwölfjährigen glaubt allerdings, dass Erwachsene Kinder nicht so gern mögen. 72 Prozent der Kinder sagten, sie hätten nur selten den Eindruck, dass sie Erwachsenen auf die Nerven gingen. „Die große Mehrheit der Kinder kennt aus eigener Erfahrung keine Nach- barn, die sich durch Kinderlärm gestört fühlen“, sagt die Meinungsforscherin. 55 Mehr als die Hälfte der Befragten (56 35 Prozent) ist der Ansicht, dass Politiker nicht an Kinder denken. Entscheidend für die Zufriedenheit 40 der Kinder ist das soziale Umfeld: Kinder aus ärmeren Familien sind häufiger traurig als ihre Altersgenossen aus der gehobenen Schicht. Gleichzeitig sind Kinder in Ostdeutschland weniger glücklich als im Westen. Während 41 Prozent der westdeutschen Kinder sich als sehr fröhlich bezeichnen, sind es im Osten nur 23 Prozent. Häufigste Streitpunkte mit den Eltern: die Ordnung im Zimmer (67 Prozent), Schlafenszeit (58 Prozent) und Fernsehzeiten (43 Prozent). Häufigste Bestrafung der Eltern sind Fernsehverbote (37 Prozent). Zehn Prozent der Kinder werden geschlagen. Die Befragung wurde im Auftrag von „Ein Herz für Kinder“, der Hilfsaktion der „Bild“-Zeitung, durchgeführt. http://www.kinder-stark-machen.de/kinder-stark-machen.e/848_artikel.htm 14 Lernstandserhebungen NRW 2004 Deutsch Textheft: Wege zum Glück HAPPY – THALAMUS Gerhard Roth, Philosoph und Biologe, ist Leiter des Instituts für Hirnforschung an der Universität Bremen. Glück im Kopf. Beachte: Du kannst nur überleben, wenn du nicht zu oft glücklich bist. Dasselbe Glück erlebst du nie zweimal und Arbeit lohnt sich. 5 10 15 20 25 30 35 40 Versuchen Sie, sich an die glücklichsten Momente in Ihrem Leben zu erinnern! Es wird Ihnen nicht auf Anhieb gelingen. Die furchtbarsten Augenblicke dagegen haben Sie sofort vor Augen, die brennen sich ein. Aus biologischer Sicht gibt es gute Gründe, warum das so ist. Ich beschäftige mich bei meiner Arbeit vor allem mit der Entstehung von negativen Gefühlen und wie sie unser Leben bestimmen. Dabei lerne ich viel über das Glück. Warum wir so selten glücklich sind und so oft in Furcht? Ganz einfach. Weil die Furcht für das Überleben wichtiger ist als das Glück. Ob wir glücklich sind oder unglücklich - wir leben trotzdem. Wenn wir aber bei Rot über eine Straße laufen, weil wir keine Furcht haben, werden wir womöglich überfahren. Glück hat die unangenehme Eigenschaft, dass es die Furcht und den Realitätssinn verdrängt. Deshalb sind die Stoffe, die im Gehirn ein Glücksgefühl auslösen, viel kurzlebiger als die, die uns in Furcht versetzen. Wir sind nur lebensfähig, wenn wir nicht zu oft glücklich sind. Die Tragik unserer Existenz. Chemisch gesehen sind die Stoffe, die in einem Teil des Gehirns freigesetzt werden, Drogen wie Ecstasy sehr ähnlich. Die Ausschüttung dieser Stoffe kann man bei Testpersonen verfolgen. So gesehen ist Glück messbar. Je mehr hirneigene Opiate ausgeschüttet werden, desto glücklicher sind wir. Das ist bei jedem gesunden Menschen gleich. Leider ist dieser Zustand auch rein chemisch nur von kurzer Dauer. Was den Einzelnen einmal glücklich machen soll, bildet sich schon früh in der Kindheit aus. Manche Kinder klammern sich an die Mutter, sind ängstlich, die anderen krabbeln herum, können gar nicht genug unterwegs sein. So findet der eine später sein Glück eher im stillen Kämmerchen, der andere in der weiten Welt. Der eine kriegt den Kick bei der Eroberung einer Frau oder eines Mannes, ein anderer beim Gewinn eines Nobelpreises oder bei einem Olympiasieg. Das letzte Mal, als ich 45 50 55 60 65 70 75 80 glücklich war? Ich erhielt einen Preis, und fast tausend Menschen applaudierten minutenlang. Da war ich überwältigt. Dieser rauschhafte Augenblick, den unser Gehirn für uns bereithält, entlohnt für alles. Für diese kurzen und seltenen Momente trainieren und ackern wir oft jahrelang und nehmen viel Frust auf uns. Je länger wir für etwas gekämpft haben, desto stärker ist das Glück, das wir empfinden. Das liegt daran, dass es im Gehirn einen Bewertungsapparat gibt, der feststellt, wie sehr wir die Belohnung verdient haben. Je mehr, umso glücklicher. Glück kann man auch mit Drogen hervorrufen. Das Drogenglück kann so stark sein wie zehn Nobelpreise oder zehn Olympiasiege auf einmal und das ist problematisch. Denn wenn man ein solches Gefühl einmal erlebt hat, hat man eine neue Vorstellung von Glück, die ohne Drogen nicht zu erreichen ist. Außerdem stellt das Gehirn fest, dass die Belohnung nicht verdient war. Es reagiert dann wie ein verwöhntes Kind, es will die Belohnung immer wieder, ohne etwas dafür tun zu müssen. Nach häufigerem Konsum ruft die Droge aber kein Glück mehr hervor, sondern betäubt nur noch das Unwohlsein. Auch eine tragische Eigenschaft des Glücks: Es ist in derselben Form auf Dauer selbst mit Drogen nicht wiederholbar. Wir sehnen uns ja alle nach vergangenem Glück. Das Gehirn merkt sich jedoch, wenn wir ein Glücksgefühl schon mal hatten. Beim zweiten Mal ist es nicht mehr so stark. Auch dafür gibt es einen biologischen Grund. Unser Unbewusstes treibt uns so dazu, neue Dinge zu probieren: neue Beziehungen zu haben, neue Berge zu besteigen, neue Welten zu erforschen. Der Mensch ist so verbreitet auf diesem Planeten, weil er sehnsüchtig ist, immer auf der Suche. Auch aus diesem Grunde gibt es wohl kein endgültiges Glück. Denn wenn es das geben würde, würden wir wahrscheinlich gar nichts mehr machen und aussterben. Roth, Gerhard: Happy – Thalamus In: Jetzt (Süddeutsche Zeitung) v. 13.05.2002 15