Zucht gegen die angeborene Blindheit

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Zucht gegen die angeborene Blindheit
Schafzucht
Tiergesundheit
Zucht gegen die angeborene Blindheit
D
Die Kleinäugigkeit (Mikrophthalmie) ist eine
Erbkrankheit bei Schafen. Ein neuer Gentest
ermöglicht es nun, Anlageträger beim Texelschaf
frühzeitig von der Zucht auszuschliessen.
ie Kleinäugigkeit (Mikrophthalmie) ist eine Erbkrankheit bei Schafen, die zur
vollständigen Blindheit führt.
Die verantwortliche Genmutation wurde am Institut für Genetik der Universität Bern entdeckt. Jetzt ermöglicht ein
neuer Gentest, Anlageträger
beim Texelschaf frühzeitig von
der Zucht auszuschliessen.
Blinde Lämmer - ein Erbfehler beim Texelschaf
Vor über 50 Jahren wurde
erstmals in den Niederlanden
und Frankreich bei Schafen der
Rasse Texel eine angeborene
Kleinäugigkeit (Mikrophthalmie) beobachtet. Diese Erbkrankheit ist seit der Einfuhr
von holländischen Texelschafen in den 1960er Jahren auch
1. Angeborene Kleinäugigkeit mit Einwärtsdrehung der Lider (Entropium).
Fotos: Prof. Drögemüller
2. Der MO-Gentest unterscheidet die verantwortliche Stelle im Schafgenom.
3. Diese Texellämmer haben eindeutig Mikrophthalmie (MO Kleinäugigkeit),
das ist eine Erbkrankheit bei Schafen, die zur vollständigen Blindheit führt.
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ihre Mutter nicht. Sie überleben nur bei sorgfältiger individueller Betreuung und bedürfen zu ihrer Erhaltung bis zum
schlachtreifen Alter der besonderen individuellen Pflege und
Betreuung. Diese ist jedoch in
der Praxis von großen Schäfereien in der Regel nicht möglich. Daher müssen sie im Allgemeinen den Lämmerverlusten zugerechnet werden.
Die Mikrophthalmie (MO)
beim Texelschaf ist eine genetisch bedingte Erkrankung.
Deshalb gilt es, Zuchttiere daraufhin zu überprüfen, ob sie
frei von der mit MO bezeichneten Anlage sind. Die Mikrophthalmie wird nicht vom Geschlecht beeinflusst und tritt
deshalb bei männlichen und
weiblichen Lämmer auf.
Die verantwortliche Mutation wird rezessiv vererbt. Das
bedeutet, das nur reinerbige
(homozygote) Tiere tatsächlich
Missbildungen
aufweisen.
Mischerbige (heterozygote)
Tiere sind also gesund.
Momentan ist nicht bekannt, wie weit
dieser Erbfehler verbreitet ist!
in Deutschland immer wieder
aufgetreten. In seltenen Einzelfällen zeigen auch Schafe anderer Rassen eine sehr ähnliche
Missbildung, aber nur bei
Texelschafen handelt es sich
eindeutig um eine vererbte Erkrankung.
Kennzeichnend für die Mikrophthalmie sind die in der Regel beidseitig stark verkleinerten Augäpfel (Abbildung 3).
Ansonsten zeigen die blinden
Lämmer keine weiteren offensichtlichen Veränderungen.
Vereinzelt kann die angeborene Kleinäugigkeit mit der
ebenfalls angeborenen Einwärtsdrehung der Augenlider
(Entropium) verwechselt werden (Abbildung 1). Bei dieser
Erkrankung sind die Augäpfel
jedoch in der Regel von normaler Grösse. Das Entropium tritt
in zahlreichen Schafrassen auf
und ist bislang nicht erforscht.
Neugeborene Lämmer mit
Mikrophthalmie sind blind,
hilflos und finden in der Herde
Alle Elterntiere von betroffenen Lämmern sind mischerbige
Träger der Mutation, lassen
sich jedoch als gesunde Tiere
nicht von anderen Schafen unterscheiden. Sie können aber
als so genannte Anlageträger
die Mutation an ihre Nachkommen weitervererben. Solange
kein Gentest verfügbar war,
konnten solche Anlageträger
erst nach dem Auftreten missgebildeter Lämmer entdeckt
werden.
Momentan ist nicht bekannt
wie weit dieser Erbfehler verbreitet ist. Missbildungen bei
Lämmern werden nicht systematisch erfasst. Daher ist die
Häufigkeit der Mikrophthalmie
Mutation in der aktuellen
Zuchtpopulation der Rasse
Texel unbekannt. Einen Hinweis über die Verbreitung dieser Erbkrankheit bietet die aktuelle Studie. Allein in den
vergangenen vier Jahren wurden über 130 blinde Lämmer
aus über 40 verschiedenen Be
Schafzucht 5/2010
Schafzucht
trieben in Schleswig-Holstein,
Niedersachsen und Westfalen
untersucht. Diese Fälle traten
sowohl in Gebrauchsschafhaltungen mit Texeleinkreuzung
als auch in Herdbuchzuchtbetrieben mit Texelschafen auf.
Durchbruch dank neuer
Technologie
Der Erkrankung liegt eine
Mutation im PITX3 Gen zugrunde. Durch den Gendefekt
fehlt den blinden Schafen ein
wichtiges Element in der Sig-
nalkette der Augenentwicklung.
Beim Menschen zeigen Mutationen dieses Gens Fehlentwicklungen des vorderen Augenabschnitts, die mit Linsentrübungen verbunden sind.
Mäuse mit Veränderungen in
diesem Gen haben ebenfalls
sehr kleine Augen.
Auf der Suche nach diesem
Gen wurde weltweit erstmals
der so genannte Schaf SNPChip eingesetzt. Diese neue
Technologie ermöglicht es, viele tausend variable DNS-Ab-
schnitte im Schafgenom gleichzeitig zu untersuchen. Diese
Forschung stellt einen ersten
konkreten Erfolg der Bemühungen des international zusammengesetzten
Schafgenomkonsortiums dar (www.
sheephapmap.org).
Hierbei wird insbesondere
die komplette Entschlüsselung
der Erbsubstanz des Schafes
angestrebt. Damit soll eine
Grundlage für die weitere Erforschung genetisch bestimmter und wirtschaftlich relevanter Merkmale (z.B. Fleisch- und
Wollleistung, Produktqualität,
Gesundheit) beim Schaf geschaffen werden.
In der Zucht ist der
Genotyp entscheidend
Ein einfacher Gentest kann feststellen, ob dieses Texellamm erbgesund ist.
Tabelle
Übersicht zur Vererbung der Mikrophthalmie (MO)
beim Texelschaf.
Bock
x Mutter
= Nachzucht
1. erbgesund
MOF
erbgesund
x MOF
2. erbgesund
MOF
Anlageträger
x MOC
= Lämmer mit normalen Augen
50 % sind MOF (erbgesund)
50 % sind MOC (Anlageträger)
erbgesund
x MOF
= Lämmer mit normalen Augen
50 % sind MOF (erbgesund)
50 % sind MOC (Anlageträger)
Anlageträger
x MOC
= 25 % Lämmer mit Mikrophthalmie
75 % Lämmer mit normalen Augen
davon sind 33 % MOF (erbgesund)
und 67 % sind MOC (Anlageträger)
3. Anlageträger
MOC
4. Anlageträger
MOC
= Lämmer mit normalen Augen
alle sind MOF (erbgesund)
MOF: erbgesund nach Gentest (gesund, reinerbig frei von der MO-Mutation)
MOC: Anlageträger nach Gentest (gesund, mischerbiger Träger der MO-Mutation)
Schafzucht 5/2010
Für eine konsequente züchterische Bekämpfung der Mikrophthalmie beim Texelschaf
steht mit dem neu entwickelten
Gentest ein geeignetes Werkzeug zur Verfügung. Der neue
Gentest weist diese Mutation
nach (Abbildung 2). So kann
bereits früh im Leben eines Tieres festgestellt werden kann,
ob es die unerwünschte Erbanlage MO trägt (engl. carry),
was mit MOC bezeichnet wird.
Untersuchte Schafe, die diese Mutation nicht tragen und
somit erbgesund bzw. MO frei
sind, werden mit MOF bezeichnet.
Der Gentest kann bei Zuchttieren jeden Alters anhand einer Blut- oder Gewebeprobe
durchgeführt werden. Der Gentest bietet erstmals eine einfache und verlässliche Möglichkeit für die Selektion erbgesunder Texelschafe. Somit lässt
sich zukünftig das Auftreten
weiterer blinder Lämmer beim
Texelschaf einfach vermeiden.
Die Tabelle zeigt, wie die Vererbung der Mikrophthalmie
tatsächlich erfolgt. Zum Beispiel bei einer Paarung eines
erbgesunden Tieres (MOF) mit
einem Anlageträger (MOC)
wird die Hälfte der Nachkommen Erbfehlerträger. Sie sind
in der Lage, die unerwünschte
Mutation ihrerseits später in
der Population weiterzugeben.
Wenn beide Eltern Anlageträger sind, werden tatsächlich
Zum Thema
Labor in Holland
Inzwischen hat sich ein kommerzielles Labor in Holland
bereit erklärt, den Gentest
Test für 22,50 Euro plus
MwSt. anzubieten:
Kontakt & weitere Infos:
Labor Dr. Van Haeringen
Laboratorium b.v.,
P.O. Box 408,
6700 AK Wageningen,
Niederlande
E-Mail: [email protected]
www.vhlgenetics.com
auch kranke Nachkommen erwartet. Das Ziel der Zucht kann
nur die Verpaarung von zwei
erbgesunden Elterntieren darstellen, die reinerbig gesunde
Nachkommen erwarten lässt.
Wenn nun ein MOC getesteter Bock eingesetzt wird, der
im Durchschnitt an die Hälfte
seiner Nachkommen die Mutation vererbt, hängt es davon ab,
ob die Muttern erbgesund oder
Anlageträger sind. Im ersten
Fall sind rund 50 % der Lämmer potentiell Anlageträger, im
zweiten Fall liegt der Anteil an
Trägern noch darüber und jedes vierte Lamm kann an der
Anomalie erkranken.
Für die Herdengesundheit ist
daher anzuraten, möglichst
MOF getestete, also reinerbig
gesunde Böcke einzusetzen,
um somit auf jeden Fall das
Auftreten von blinden Lämmern auszuschliessen. Ausserdem könnte somit der Anteil
anlagetragender Schafe rasch
reduziert werden.
«
Unser Autor
Prof. Dr. Cord Drögemüller
Institut für Genetik,
Universität Bern
Kontakt
Bremgartenstr. 109a,
3001 Bern, Schweiz
Tel. 0041 (0)31 631 25 29
Fax 0041 (0)31 631 26 40
[email protected]
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