Migration und Flucht

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Migration und Flucht
Religion erleben
Unterrichtsmaterial
16
Pack dein Leben
zusammen
Migration und Flucht
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Arbeitsblatt
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Einzelarbeit
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Gruppenarbeit
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Hörbeispiel
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Lehrervortrag
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Material
OH-F
Overhead-Folie
PA
Partnerarbeit
SV
Schülervortrag
TA
Tafelanschrift
UG
Unterrichtsgespräch
Religion erleben
Unterrichtsmaterial
16
Pack dein Leben
zusammen
Migration und Flucht
Herausgeber:
missio Verlags- und
Vertriebsgesellschaft mbH
Pettenkoferstraße 26-28
80336 München
© 2009
Redaktion:
Anna Noweck
Inhaltliche Gestaltung der Teile A, B und C
Dr. Konstantin Lindner,
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Inhaltliche Gestaltung des Teils S
Michael Haider,
Staatliches Gymnasium Max-Josef-Stift, München
Fotos: Fritz Stark
Gestaltung: WWS, Aachen
www.missio.de, [email protected]
Inhalt
A
B
C
Theologische Grundlegung
5
Definitionen, Fakten, Zahlen – erste allgemeine Vergewisserungen
5
JHWHs Fürsorge gegenüber Migranten – biblische Verortungen
6
Menschenwürde und Advocacy – theologisch-ethische Implikationen
und kirchliche Leitlinien
7
Didaktische Vorüberlegungen
12
Migration und Flucht – Thema des Religionsunterrichts in der Oberstufe
12
Biblisch betrachtet – Migration und Flucht als Möglichkeitsraum
für Gotteserfahrung
12
Ethisch gewendet – Migration und Flucht als Herausforderung
an das eigene Selbstverständnis
13
Auf Praxis hin weitergedacht – Migration und Flucht als
Erweisfeld schulischen Lernens
14
Stundenentwürfe
15
C1 Migration und Flucht – menschliche Herausforderungen biblischen Alters
15
C2 Was bleibt, was wird? – Folgen von Migration und Flucht
C3 Glaube verpflichtet – kirchliches Engagement angesichts
23
29
von Migration und Flucht
C4 Probleme im Verborgenen – Leben in der Illegalität
C5 Fremde Heimat, neue Heimat – Integration und Inklusion
37
45
von Migranten und Flüchtlingen in die Gesellschaft
S
Sozialkundeteil
S1
S2
Was zählt – Daten und Fakten zu Migration
CD
3
Einwanderungsland Deutschland – Vergangenheit und Zukunft von Migration 9
in die Bundesrepublik und die damit verbundenen Herausforderungen
S3 Festung Europa – Eckpunkte der Einwanderungspolitik
17
der Europäischen Union
Die beiliegende Material-CD enthält alle verwendeten Arbeitsblätter im Pdf- sowie im WordFormat, so dass gegebenenfalls Änderungen vorgenommen werden können. Zudem finden sich
auf ihr die Video-Clips M9, M16 und S_M10 sowie das Hörbeispiel M22.
Theologische Grundlegung
A
Definitionen, Fakten,
Zahlen – erste allgemeine
Vergewisserungen
Theologische
Grundlegung
5
Seit Menschengedenken verlassen Menschen ihre Heimat
und beginnen ein neues Leben an anderen Orten – ein Phänomen, das in Deutschland im Rahmen der Diskussionen
um gelingende Integration große Bedeutung und Beachtung verdient. Zwar bauen sich in der Bundesrepublik
gegenwärtig vor allem Bürger ost-europäischer Länder eine
neue Existenz auf, für die EU – und damit auch für Deutschland – erwachsen jedoch besonders angesichts des
„Migrationsdrucks“ aus afrikanischen Staaten dringliche
Herausforderungen. Letztere stellen nicht nur Politik und
Gesellschaft vor bedeutende und zum Teil heikle Aufgaben. Auch auf Seiten der Theologie und der Kirche(n) gilt
es zu fragen, wo und wie der spezifisch-christliche Beitrag geleistet werden kann, Migranten zu unterstützen.
Welche Personen mit dem Terminus „Migrant/in“ charakterisiert werden, lässt sich nicht immer klar definieren.
In Orientierung an der Definition, die von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben
der Deutschen Bischofskonferenz formuliert wird, können
Personen als „Migranten“ bezeichnet werden, wenn sie
einen „Ortswechsel […] von einer geographischen Region
in eine andere über Verwaltungsgrenzen oder politische
Grenzen hinweg [vornehmen] mit dem Wunsch, zeitweise
oder dauerhaft an einem anderen Ort als ihrem Herkunftsort zu bleiben“1. Die zunehmend im öffentlichen
Diskurs verwendete Kategorie „Menschen mit Migrationshintergrund“ wird vom Statistischen Bundesamt der
Bundesrepublik Deutschland folgendermaßen präzisiert:
Es versteht darunter „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle
in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen
Elternteil“2.
Die Gründe für Migration sind vielfältig: Grundsätzlich
lässt sich zwischen Freiwilligkeit und Zwang als Grundmotivation unterscheiden. Kriegerische Auseinandersetzungen,
Naturkatastrophen oder Verfolgung führen nicht selten
dazu, dass Menschen kein anderer Weg mehr bleibt, als
ihren Herkunftsort zu verlassen. In diesen Fällen spricht man
von Flucht, da ein Zwang zur Auswanderung vorliegt. Eine
weitere Differenzierungsoption, Migrationsmotivationen zu
unterscheiden, sind so genannte „Push- und Pullfaktoren“. Aus dem Herkunftsland auf die Migranten einwirkende Aspekte, die zum Verlassen des Landes bewegen,
werden als Push-, als Schubfaktoren bezeichnet. Pullfaktoren dagegen beziehen sich auf Attraktionspotentiale des
aufnehmenden Landes, die Menschen dazu motivieren,
dorthin zu ziehen.
Eine spezielle Variante von Migration liegt vor, wenn
Personen sich in fremden Ländern aufhalten, dort längerfristig leben, eventuell einer beruflichen Tätigkeit nachkommen und damit gegen landesspezifische Gesetze verstoßen: Meist wird in diesem Kontext der Terminus „illegale
Migration“ verwendet – unter anderem im Migrationsbericht der deutschen Bundesregierung. Korrekter erscheint
A
Theologische
Grundlegung
6
es jedoch, von „irregulärer Migration“ zu sprechen, da das
Adjektiv „illegal“ stark negativ konnotiert ist und nicht zur
Kennzeichnung von Personen, sondern lediglich von deren
Handlungen verwendet werden kann.
Gegenwärtig leben vorsichtigen Schätzungen zufolge
weltweit mehr als 150 Millionen Menschen in einem Staat,
der nicht ihre ursprüngliche Heimat darstellt. Im Jahr 2007
wurden in der Bundesrepublik Deutschland ca. 680.766 Zuzüge aus dem Ausland, darunter 574.752 Zuzüge von
ausländischen Staatsangehörigen, registriert; um einiges
weniger als in den Jahren zwischen 1997 und 2002, in welchen durchschnittlich je 850.000 Zuwanderungen verzeichnet worden sind.3 Ca. 58,4% aller Zuzüge im Jahr 2007
erfolgten aus EU-Staaten, 15,3% kamen aus anderen europäischen Staaten, 12,3% aus Asien und lediglich 3,7% aus
Afrika.4 Interessanterweise waren 2007 ca. drei Viertel aller
nach Deutschland ziehenden Immigranten zwischen 25 und
40 Jahre alt. 28,9% aller Zuziehenden kamen aus familiären Gründen in die Bundesrepublik, 15,3 aufgrund einer
Beschäftigung, 2,6% aus humanitären Gründen, fast 20%,
um sich zu bilden, sei es im Rahmen eines Studiums oder
einer Ausbildung.5
Migration bringt sowohl für aufnehmende, als auch für
Herkunftsländer neben negativen auch positive Effekte
mit sich. In positiver Hinsicht verzeichnen gerade arme
Länder, aus denen Menschen abwandern, Geldüberweisungen. Diese so genannten Rücküberweisungen, durch die
Migranten „vor allem ihre Verwandten unterstützen, sind
in den letzten Jahren stark angestiegen und erreichten
nach Schätzungen der Weltbank im Jahre 2003 weltweit
eine Summe von 93 Mrd. US-Dollar“6. Gleichwohl wiegen
die negativen Folgen von Abwanderung schwer, zumal
wenn hoch qualifizierte Arbeitskräfte emigrieren, wie etwa
im medizinischen Sektor, was vor allem afrikanische Staaten hart trifft. Dieser so genannte „Brain-Drain“ kann zwar
auch motivieren, dass im Land selbst aufgrund der erkannten Aufstiegschancen bessere Bildung nachgefragt wird,
führt aber häufig dazu, dass auch weniger qualifizierte
Menschen im gleichen Arbeitssektor darunter leiden und
sich ebenfalls veranlasst sehen auszuwandern. Letztere
lassen nicht selten Familienmitglieder zurück: Kinder wachsen ohne Vater und/oder ohne Mutter auf und müssen
elterlicher Fürsorge entbehren – man spricht vom so
genannten „Care-Drain“.
In den Aufnahmeländern wird Migration vor allem hinsichtlich der Wirkungen auf den Arbeitsmarkt beobachtet.
Besonders dann, „wenn die Migranten direkt einheimische
Arbeitnehmer ersetzen und die Kapitalbildung im Inland
nicht mit dem steigenden Arbeitsangebot Schritt hält“7
und die sozialen Sicherungssysteme zu stark belastet werden, wird sie als Problem angesehen. Derartige Beobachtungen forcieren zunehmend das Bestreben von Regierungen, Migration zu steuern und bewusst benötigte
Fachkräfte anzuwerben.
JHWHs Fürsorge
gegenüber Migranten –
biblische Verortungen
Erfahrungen mit Migration und Flucht gehören zu den
menschlichen Grunderfahrungen und finden bereits in
Schriften des Alten Testamentes ihren Niederschlag. Am
bekanntesten sind wohl die Erzählungen von Abrahams
Aufbruch in ein fremdes Land auf die Aufforderung JHWHs
hin, der Exodus aus Ägypten sowie die Reflexionen zum
babylonischen Exil, in welches Teile der judäischen Bevölkerung ab 597 v. Chr. deportiert worden sind.
„Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem
Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich
zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen
Namen groß machen.“ (Gen 12,1f.) Nur selten findet sich
in biblischen Schriften eine derart positive Konnotation
von Migration: Abram verlässt mit Frau und „Haus“ im Vertrauen auf JHWHs Verheißung seine Heimat – scheinbar
ohne lange zu zögern. Damit beginnt der Erzählkreis der
alttestamentlichen Schriften zur Bestimmung des Volkes
Israels: Es soll groß sein, in einem eigenen Land leben und
Segensfunktion für alle Völker übernehmen.8 Abram durchzieht daraufhin das Land Kanaan und verehrt den Namen
des Herrn an von ihm gebauten Altären (vgl. Gen 12,6-9).
Hier zeigt sich, dass JHWH kein Gott ist, der nur an einem
bestimmten Kultort präsent ist, sondern seinem Volk immer
nahe ist – eine wichtige Glaubenserkenntnis für nomadisierende, ständig migrierende Menschen.
Den biblischen Erzählungen zufolge zieht Jakob –
eigentlich Aramäer – nach Ägypten. Eine Hungersnot hatte
ihn und seine Söhne veranlasst, beim Pharao durch seinen
Sohn Josef um die Aufnahme in Ägypten zu bitten. Der Pha-
Peter Cornelius, Josef wird von seinen Brüdern erkannt.
rao nimmt die Jakob-Schar freundlich auf: „Im besten Teil
des Landes lass deinen [Josefs] Vater und deine Brüder
wohnen! Sie sollen sich in Goschen niederlassen. Wenn du
aber unter ihnen tüchtige Leute kennst, dann setze sie als
Aufseher über meine Herden ein!“ (Gen 47,6) Aus der kleinen Gruppe seiner Nachkommen bildet sich das Volk Israel,
welches für die Ägypter zahlenmäßig scheinbar zu groß
wurde. Infolgedessen – so erzählen es die ersten Verse des
Exodus-Buches – werden die Israeliten unterdrückt und
müssen harte Frondienste beim Bau von Städten leisten, was
sie letztlich zur Flucht veranlasst. Unter der Führung des
Mose kommt es am Schilfmeer zur wunderbaren Rettung
vor ägyptischer Verfolgung. Daraufhin folgt eine 409 Jahre
währende Wanderung durch die Wüste. Dass diese Zeit
sowohl eine entbehrungsreiche als auch eine Zeit der Gottesnähe ist, zeigen die entsprechenden Erzählungen in
vielfacher Hinsicht: Die so genannten „Murrerzählungen“
berichten von Hunger- und Durstphasen während der
Wüstenwanderung, die aber von JHWH kompensiert werden (vgl. etwa Ex 15,22-25; Ex 16) – immer wieder gibt es
Rettung durch JHWH für das fliehende Volk Israel. Während der Flucht aber ist JHWH besonders nahe: Am Sinai
offenbart er seinem Volk den Dekalog und andere Weisungen.10 In Zeiten großer Entbehrungen und Unsicherheit
zeigt JHWH, dass er das Volk Israel nicht im Stich lässt; vielmehr intensiviert er seine Bundeszusage.
Unfreiwillig in die Emigration gezwungen, sieht sich das
auserwählte Volk JHWHs im Exil existentiell verstärkt auf
die Probe gestellt. Biblisch gesprochen wird als Exil die
räumliche Trennung vom verheißenen und durch JHWH geschenkten Land gedeutet: „Mit dem Verlust des Landes
wird die Gottesgemeinschaft in Frage gestellt.“11 Das AT
weiß von zwei größeren Exilssituationen. Zum einen von
der Deportation großer Teile der Bevölkerung in assyrisches
Gebiet, nachdem 722 v. Chr. Samaria zerstört (vgl. 2 Kön
17,5f.) und Juda 703-701 v. Chr. besetzt worden war (vgl.
2 Kön 18,13, wobei hier – im Gegensatz zu einem assyri-
Nationalgalerie, Berlin
schen Relief aus dem 8. Jh. aus Ninive – nicht von Deportationen die Rede ist)12. Zum anderen vom weit mehr
bekannten babylonischen Exil, welches das Volk Israel im
Gefolge der Belagerungen und Zerstörung Jerusalems
durch den babylonischen Herrscher Nebukadnezar II. im
6. Jh. v. Chr. ereilte (vgl. 2 Kön 24).13 Unter anderem
werden der König und seine Familie – so das biblische
Zeugnis – nach Babylon verschleppt. Wenngleich die Angaben über Zahl und Umfang der Deportierten differieren, ist
das Ergebnis klar: Das „Land [wird] um seine führenden
Kräfte geschwächt. Diese Kräfte sollen zugleich mit ihren
militärischen, handwerklichen und ähnlichen Fertigkeiten
den Babyloniern im Stammland nützlich sein. Mit ihnen
beginnt die babylonische Exilsgemeinde“14. „Die Gruppe
der nach Babylon Exilierten erlebte mit der Verschleppung
ihre kulturelle Entwurzelung und den Verlust ihrer gesellschaftlichen Stellung.“15 Schlechte soziale Verhältnisse, die
Erinnerung an Jerusalem sowie religiöse Gründe bewahren
die Hoffnung auf eine Rückkehr ins verheißene Land; eine
Hoffnung, die vornehmlich durch die Propheten aufrechterhalten und neu entfacht worden ist. Zwar gibt es Ansätze,
die Deportierten in die babylonische Gesellschaft zu integrieren, vor allem jedoch in religiöser Hinsicht trifft es die
Exilierten schwer, dass die von JHWH gegebene Verheißung
so weit entfernt scheint. In den jesajanischen Schriften finden sich entsprechende Hinweise. Israel erfährt sich im Exil
von der göttlichen Gunst ausgeschlossen: „Seht, wegen
eurer bösen Taten wurdet ihr verkauft, / wegen eurer Vergehen wurde eure Mutter fortgeschickt.“ (Jes 50,1)
Angesichts zunehmender Assimilation sehen es Priester
und Propheten als ihre Aufgabe an, die Identität der Deportiertengruppe zu wahren. In Abgrenzung vom babylonischen Pluralismus werden religiöse Vorschriften zu Mitteln
der Identitätssicherung: Beschneidung, Speisevorschriften,
Reinheitsvorschriften und Sabbatheiligung „wahrten die
Integrität der Exilsgruppe und ließen die Notwendigkeit der
Heimkehr nach Jerusalem bestehen“16. Die Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros II. im Jahr 539 v. Chr.
eröffnet den Exilierten die Chance auf eine Rückkehr in ihre
Heimat, da Kyros die Randgebiete seines Großreiches durch
ihm gewogene lokale Machthaber sichern will. Die jüdische
Bibel deutet dies als Auftrag JHWHs: „So spricht der König
Kyrus von Persien: Der Herr, der Gott des Himmels, hat mir
alle Reiche der Erde verliehen. […] jeder unter euch, der
zu seinem Volk gehört […], der soll nach Jerusalem in Juda
hinaufziehen und das Haus des Herrn, des Gottes Israels,
aufbauen, denn er ist der Gott, der in Jerusalem wohnt.“
(Esr 1,2f.) Die Verzeichnisse des Esra-Buches bzgl. der
Heimkehrenden und deren Besitztümer suggerieren, dass
das Volk Israel trotz der Exilssituation „eine geschlossene,
genau abgezählte Größe mit klar definierter Identität“17
geblieben ist: JHWH hat es nicht im Stich gelassen.
Die alttestamentlichen Schriften zeigen somit Migration
und Flucht als menschliche Grunderfahrungen in verschiedensten Facetten, aber immer als Erfahrung mit Gott, die letzt-
A
Theologische
Grundlegung
7
A
Theologische
Grundlegung
8
lich auf die für alle Zeiten gegebene Heilszusage verwiesen
ist. JHWH wird somit als letzte Sicherheit auf Rettung verkündet und erfahrbar. Ausgehend von dieser Erkenntnis formulieren Lev 19,33f. und Dtn 10,18f. eine Weisung, wie mit
Migranten, mit Menschen auf der Flucht umzugehen ist:
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn
nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält,
soll wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie
dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“
(Lev 19,33f.)18 Radikalisiert findet sich diese Forderung in neutestamentlichen Schriften, vor allem im Matthäus-Evangelium
wieder: Jesus, der als Kind nach Ägypten flüchten muss (vgl.
Mt 2,13-15) und als wandernder Prediger „keinen Ort [hat],
wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20), identifiziert sich
radikal mit den Heimatlosen. Zugleich stellt er damit die Forderung nach einem menschlich-verantworteten Umgang
mit Migranten auf: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr
habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35) Von letzterem Gedanken her ist christliches Handeln gegenüber Migranten und
Flüchtlingen motiviert.
Menschenwürde und Advocacy
– theologisch-ethische Implikationen und kirchliche Leitlinien
Christliches Handeln ist auf ethische Reflexion verwiesen.
Migration erweist sich in dieser Hinsicht als ein komplexes
Gefüge, insofern Migranten sehr unterschiedliche Erfahrungen machen: Es gibt unter ihnen Gewinner und Verlierer, ebenso unter den Herkunfts- und Aufnahmeländern.
Den Kristallisationspunkt sozialethischer Argumentation
in dieser Hinsicht markieren unter anderem die Men-
schenrechte, welche allen Menschen und damit auch den
Migranten zugesprochen sind. Die UN-Menschenrechtskonvention formuliert in Art. 13 (2): „Jeder hat das Recht,
jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und
in sein Land zurückzukehren.“ Diesem Recht auf Emigration entspricht jedoch kein Recht auf Immigration. Letzteres ist von der Bereitschaft der jeweiligen Länder abhängig, Menschen aus anderen Staaten aufzunehmen.
Migration ist insofern ein „echter Prüfstein für globale
Gerechtigkeitsforderungen“, als Migrationswillige „die
massiven Ungleichheiten der Lebenschancen unter den
Menschen auf eine ‚Lotterie der Geburt’ zurück [führen]
und […] von der Gleichheit der Würde aller Menschen her
die Möglichkeit zu deren Korrektur“ fordern.19 Problematisch wäre eine individualistische Motiviertheit dieser Forderung, die Verpflichtungen gegenüber dem Herkunftsland,
aber auch gegenüber dem potentiellen Einwanderungsland
nicht mitbedenken würde. Brain-Drain und Care-Drain
können die verlassene Heimat und deren Gesellschaft
nachhaltig schädigen; eine Überforderung des Sozialwesens
des Einwanderungsstaates hätte eventuell wiederum negative Auswirkung auf die dort lebenden Menschen. Gerade
ökonomisch motivierte Migration bedarf daher einer menschengerechten Verortung, vor allem angesichts zunehmender Bestrebungen von Staaten, hoch qualifizierte Fachkräfte explizit anzuwerben. Letzteres darf von reichen
Nationen nicht zum Nachteil ärmerer Länder praktiziert werden, wohl aber kann ein befristeter Austausch für beide Seiten gewinnbringend sein, indem etwa sichergestellt ist,
dass die Migranten nach kurzzeitigen Praktika oder Studienaufenthalten wieder in ihrem Heimatland tätig sind.
Erfolgt Migration auf längere Sicht, ist zweierlei bedenkenswert. Zum einen sollten Migranten, die ihren Hauptwohnsitz permanent in ein anderes Land verlegt haben,
nicht auf Dauer von stimmberechtigter politischer Partizipation ausgeschlossen werden. „Umgekehrt impliziert die
Achtung der Rechte der Migranten, dass die Migranten
ihrerseits die Gesetze, insbesondere die Verfassung des
Aufnahmelandes achten, dass
sie bereit sind, die Sprache des
Aufnahmelandes zu lernen und
die Kultur des Aufnahmelandes zu respektieren, ohne deshalb ihre eigenen kulturellen
Wurzeln aufgeben zu müssen.“20
Die christlichen Kirchen
sehen sich angesichts von
Migration besonders in der
Pflicht: Von ihrem Menschenbild und ihrer Botschaft her
setzen sie sich für Migranten
und für die Wahrung ihrer
Menschenwürde ein. Die Kirchen praktizieren somit die
„Option für die Armen“, insofern viele Migranten/Flüchtlinge kein anderes Sprachrohr
finden, und leisten damit wertvolle Advocacy-Arbeit, z. B.
in öffentlichen Stellungnahmen. In den letzten Jahren
haben sich verschiedenste kirchliche Dokumente dem Problemkontext „Migration“ gewidmet. Einige wenige wichtige Stellungnahmen seien nachfolgend kurz charakterisiert.
Nachdem in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit
den Dekreten „Ethnografica studia“ (1914) und „Magni
semper“ (1918) Verantwortlichkeiten bezüglich der seelsorglichen Betreuung von Migranten geregelt worden
waren, erforderten die durch den Zweiten Weltkrieg ausgelösten Migrationsbewegungen in Mitteleuropa ein
umfassenderes Dokument. 1952 veröffentlichte Pius XII.
die Apostolische Konstitution „Exsul Familia“. Darin wirbt
er für einen offenen und menschenwürdigen Umgang mit
den Millionen Migranten, die sich angesichts von Heimatund Sicherheitenverlust in einer schwierigen Lage befinden.
Zugleich entfaltet „Exsul Familia“ Leitlinien der Seelsorge
für Flüchtlinge in den örtlichen Diözesen.
Vor allem die pastorale Konstitution über die Kirche in
der Welt von heute „Gaudium et spes“ markiert den
Niederschlag der Beschäftigungen des Zweiten Vatikanischen Konzils mit dem Thema Migration. Unter anderem
wird gefordert, Migranten hinsichtlich Entlohnung und
Arbeitsbedingungen nicht zu diskriminieren und ihnen
menschenwürdig zu begegnen. Es gelte, ihnen angemessenes Wohnen zu ermöglichen und ihre Integration in die
Gesellschaft zu unterstützen (vgl. GS 66). In seelsorglicher
Hinsicht verweisen die Konzilsväter darauf, über die
Bischofskonferenzen gesteuert geeignete Seelsorgsmethoden zu entwickeln, um „Auswanderer, Vertriebene und
Flüchtlinge“ (CD 18) pastoral zu begleiten. In der Sorge um
Fremde gibt die Kirche ihrem Wesen und ihrer Fundierung
in der Botschaft Jesu Christi Ausdruck.
A
Theologische
Grundlegung
9
Die 2004 vom Päpstlichen Rat der Seelsorge für die
Migranten und Menschen unterwegs herausgegebene und
von Papst Johannes Paul II. approbierte Instruktion „Erga
migrantes caritas Christi“ stellt eine kirchliche Antwort auf
die neuen pastoralen Bedürfnisse der Migranten dar, gerade
in Anbetracht zahlenmäßig steigender Migrationsbewegungen sowie angesichts der Tatsache, dass die Zahl der
Migranten, die nicht der katholischen Kirche angehören,
zunimmt – vor allem unter Muslimen. In ökumenischer Sicht
und unter besonderer Beachtung des interreligiösen Dialogs geht es diesem Dokument darum, Migration in ihrer
missionarischen und kirchlichen Dimension zu erfassen
und basierend auf diesem Selbstverständnis den pastoralen Beitrag von Laien, vor allem aber von Seelsorgern und
kirchlichen Einrichtungen auszuloten. Unter anderem werden wichtige theologische und seelsorgliche Errungenschaften herausgestellt: „die Zentralität der Person und die
Verteidigung der Rechte von Mann und Frau als Migranten sowie die ihrer Kinder; die kirchliche und missionarische
Dimension der Migrationen; die Aufwertung des Laienapostolates; der Wert der Kulturen im Werk der Evangelisierung; der Schutz und die Wertschätzung der Minder-heiten, auch innerhalb der Kirche; die Bedeutung des
kirchlichen Dialogs ad intra und ad extra; den spezifischen
Beitrag der Emigration für den allgemeinen Frieden.“21 Bei
der Entfaltung der Leitlinien widmet sich die Instruktion
schwerpunktmäßig katholischen Migranten, katholischen
Migranten ostkirchlichen Ritus’, Migranten anderer Kirchen
und kirchlichen Gemeinschaften sowie muslimischen
Migranten. Deutlich wird herausgestellt, dass katholische
Migranten in ihrer liturgischen Praxis unterstützt werden
sollen, um neben dem Verlust ihrer bisherigen Verwurzelung nicht auch noch eine „Entwurzelung aus dem Ritus
A
Theologische
Grundlegung
10
oder der religiösen Identität“22 voranzutreiben. Auf alle
Migranten hin gesprochen, fordert „Erga migrantes“ die
Christen auf, „den Immigranten zu helfen, sich in das soziale und kulturelle Netz des Aufnahmelandes einzufügen,
indem sie seine bürgerlichen Gesetze akzeptieren“23. Gleichwohl verweist die Instruktion darauf, dass katholische Identität in verschiedensten Kontexten – Gotteshäuser, katholische Schulen, bei Heirat – nicht aufgegeben oder relativiert
werden sollte. Gerade angesichts der Zunahme muslimischer Migranten hält es „Erga migrantes“ für bedeutsam,
auf Übereinstimmungen und Unterschiede der beiden Religionen hinzuweisen, vor allem hinsichtlich von Eheschließungen zwischen muslimischen Migranten und Christen.
Bei der Formulierung pastoraler Leitlinien zeigt sich die
Instruktion dessen bewusst, dass aufgrund der Migration
„auf lange Sicht sicher die Überwindung einer mono-ethnischen Pastoral“24 zu erwarten ist.
Auch die deutschen Bischöfe beschäftigen sich mit der
Integration von Migranten. Im 2004 veröffentlichten
Bischofswort „Integration fördern – Zusammenleben gestalten“ definieren sie das Selbstverständnis der Kirche angesichts von Migration, formulieren Grundforderungen an die
verschiedenen beteiligten Parteien (Gesellschaft, Staat,
Zugewanderte) und entfalten die Potentiale kirchlicher
Handlungsfelder. Die Kirche sieht sich als Anwältin der
Migranten, „die ohne Stimme am Rand der Gesellschaft
leben. Dieses anwaltschaftliche Engagement gilt besonders
für die Menschen, die durch die Diskussion über die Arbeitsmigration zusehends in den Hintergrund gedrängt werden.
Dies betrifft zum Beispiel die aufgrund von Flucht und
Verfolgung Zuwandernden, insbesondere (unbegleitete)
Kinder und Jugendliche oder alte Menschen.“25 Zugleich
weiß die Kirche um ihre eigenen Aufgaben hinsichtlich der
Integration von Migranten, insofern sie die Integrationsleistung und -kompetenz muttersprachlicher Gemeinden
hervorhebt. Vor allem im seelsorglichen Bereich, in den
Diensten der Caritas, im Bildungssektor (besonders Kindergärten und katholische Schulen) und in der kirchlichen
Jugendarbeit sehen die deutschen Bischöfe bedeutsame
Anknüpfungspunkte einer von Seiten der Kirche geleisteten Unterstützung der Migranten. Der Schwierigkeit der
Aufgabe ist man sich durchaus bewusst, insofern das
Bischofswort „ein Leitbild von Integration [entwirft], das
den kulturellen Prägungen der Zuwanderer Respekt entgegenbringt und zugleich unverrückbar an der Wertordnung festhält, die unsere Verfassung zum Ausdruck bringt.
Integration kann nur gelingen, wenn sie niemanden überfordert, aber auch niemanden aus der Verantwortung entlässt.“26
Zur gegenwärtig immer dringlicher zu diskutierenden
Frage, wie mit ökonomisch motivierter Migration umzugehen sei, publizierte die Wissenschaftliche Arbeitsgruppe
für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz 2005 eine Studie der Sachverständigengruppe
„Weltwirtschaft und Sozialethik“. Den Ausgangspunkt
dieser Veröffentlichung bildet die Entwicklung, dass einerseits der weltweite Wettbewerb um hoch qualifizierte
Arbeitskräfte zunimmt, andererseits aber immer mehr
gering Qualifizierte in reiche Länder auf der Suche nach
Arbeit drängen. Ziel der Studie „Ökonomisch motivierte
Migration zwischen nationalen Eigeninteressen und weltweiter Gerechtigkeit“ ist es, einen Beitrag dazu zu leisten,
Migration politisch gerechter und menschlich zu gestalten
– sowohl auf Seiten der Herkunfts- als auch auf Seiten der
Aufnahmeländer. In dieser Hinsicht veröffentlicht die Sachverständigengruppe Leitlinien für eine verantwortete ökonomisch motivierte Migration: „1. Armutsbekämpfung in
den Herkunftsländern, 2. Begrenzung und Kompensation
des Brain-Drain, 3. bewusste Begrenzung und Steuerung
von Migration zwischen vollständiger Freizügigkeit und vollständigem Verbot, 4. ethisch begründbare Kriterien für
die Auswahl von Migranten, vor allem die Vermeidung von
Willkür und die Verhinderung von Formen der Diskriminierung nach Geschlecht, ethnischer oder nationaler Zugehörigkeit oder Religion, 5. Achtung der Menschenrechte
der Migranten, insbesondere der irregulären Migranten“27.
Wie schon in den anderen vorgestellten kirchlichen Dokumenten werden diese Leitlinien im Kontext des kirchlichen
Auftrags zur Nächstenliebe und der Advocacy-Idee entfaltet, um Migranten und Flüchtlinge vor wirtschaftlicher
Ausbeutung und menschenunwürdigen Lebensverhältnissen zu schützen sowie deren Rechte zu stärken.
Gerade um Menschen, die sich irregulär in Deutschland
aufhalten, zeigen sich die deutschen Bischöfe besorgt und
auf der Höhe der Zeit. Die Kommission für Migrationsfragen hat bereits 2001 ein Dokument unter dem Titel „Leben
in der Illegalität in Deutschland – eine humanitäre und
pastorale Herausforderung“ veröffentlicht. Darin ergreift
sie Partei für Migranten, die keinen anerkannten Aufenthaltsstatus beanspruchen können. Neben ihren eigenen
Kompetenzen und Hilfsangeboten in den Bereichen Seelsorge, soziale Dienste und Bildung begreift sich die Kirche
einmal mehr als Advocacy-Forum und fordert: „Die schulische und berufliche Bildung von Kindern ist unabhängig
vom Aufenthaltsstatus sicherzustellen und darf nicht durch
die Erhebung und Weitergabe von Daten gefährdet werden. Es muss sichergestellt sein, dass Ausländer in der Illegalität vor allem bei lebensgefährlichen Erkrankungen,
schweren Unfällen und bei der Geburt eines Kindes Zugang
zu den erforderlichen medizinischen Leistungen auch
öffentlicher Einrichtungen erhalten, ohne befürchten zu
müssen, dass sie das Personal der medizinischen Einrichtungen anzeigt. Der Schutz von Ehe und Familie muss
auch für Menschen in der Illegalität sichergestellt werden.
Der Anspruch auf den vereinbarten Lohn muss auch faktisch durchsetzbar sein. Zur Verhütung von Obdachlosigkeit müssen Notaufnahmeeinrichtungen auch Menschen
ohne Aufenthaltsrecht und Duldung offenstehen. Es müssen ernsthafte Überlegungen zur Legalisierung bestimmter Gruppen und einzelner Personen in der Illegalität angestellt werden.“28
Letztlich sieht die katholische Kirche in der ‚Herausforderung Migration’ „die historische Gelegenheit einer
Überprüfung ihrer charakteristischen Merkmale. Sie ist
nämlich eine auch insofern, als sie in einem bestimmten Sinn
die Einheit der ganzen Menschheitsfamilie ausdrückt; sie
ist heilig, auch um alle Menschen zu heiligen, damit in ihnen
der Name Gottes geheiligt werde; sie ist katholisch gleichfalls in der Öffnung auf die Verschiedenheiten, die in Einklang gebracht werden sollen, und sie ist apostolisch, auch
weil sie die Aufgabe hat, den ganzen Menschen und allen
Menschen das Evangelium zu verkünden.“29
Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Ökonomisch motivierte Migration zwischen nationalen Eigeninteressen und weltweiter Gerechtigkeit. Eine Studie der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, Bonn
2005, 15f.
2
Statistisches Bundesamt (Hg.), Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005,
Wiesbaden 22008, 6.
3
Vgl. Bundesministerium des Inneren (Hg.), Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung 2007,
Nürnberg 2008, 16. Interessanterweise sind im Jahr 2007 nur ca. 44.000
weniger Fortzüge als Zuzüge zu verzeichnen: Ca. 636.854 Menschen verließen die Bundesrepublik.
4
Vgl. ebd., 18. Die meisten Personen kamen im Jahr 2007 aus Polen: 22,6%
aller Zuzüge nach Deutschland.
5
Vgl. ebd., 32.
6
Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Ökonomisch motivierte Migration zwischen nationalen Eigeninteressen und weltweiter Gerechtigkeit. Eine Studie der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, Bonn
2005, 27.
7
Vgl. ebd., 32f.
8
Vgl. Fischer, Irmtraud, Das Buch Genesis 10-36, in: Zenger, Erich (Hg.), Stuttgarter Altes Testament. Einheitsübersetzung mit Kommentar und Lexikon,
Stuttgart 32005, 35.
9
Dass die Wanderung 40 Jahre dauerte, ist wohl der deuteronomistischen
Redaktion zuzuschreiben: Bereits vorpriesterliche Fassungen überliefern, dass
JHWH der Exodusgeneration – außer Kaleb – die Landnahme versagt hatte
(vgl. Num 14,22-24). „Da die erwachsenen Männer einer Generation in der
Regel innerhalb von 40 Jahren starben, setzte die Deuteronomistik für die
Wüstenwanderung 40 Jahre an und wirkte damit traditionsbildend.“
(Schmidt, Ludwig, Art. Wüstenwanderung, in: Bauks, Michaela/Koenen,
Klaus (Hg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet. Alttestamentlicher Teil. www.wibilex.de, Abschn. 1.3.; Abruf: 12/08)
10
Der Exodus-Tradition gemäß spricht JHWH das Zehn-Wort an Israel selbst.
Jedoch – und das ist eine Besonderheit der Exodus-Variante des Dekalogs:
„Gott spricht zwar, aber das Volk zusammen mit Mose hört nur, dass er
spricht, nicht, was er spricht“. „Das ganze Volk erlebte, wie es donnerte und
blitzte, wie Hörner erklangen und der Berg rauchte. […] Sie sagten zu
Mose: Rede du mit uns, dann wollen wir hören. Gott soll nicht mit uns reden,
sonst sterben wir.“ (Ex 20,18f.).
11
Wagner, Thomas, Art. Exil/Exilszeit, in: Bauks, Michaela/Koenen, Klaus (Hg.),
Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet. Alttestamentlicher Teil.
www.wibilex.de, Abschn. 1.; Abruf: 12/08.
12
Vgl. Wagner, Thomas, Art. Exil/Exilszeit, in: Bauks, Michaela/Koenen,
Klaus (Hg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet. Alttestamentlicher Teil. www.wibilex.de, Abschn. 2.3.; Abruf: 12/08.
13
Rainer Albertz setzt die Zerstörung Jerusalems im August 587 v. Chr. an, im
Gegensatz zu der üblichen Datierung auf das Jahr 586 v. Chr. Vgl. Albertz,
Rainer, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr. (= BE 7), Stuttgart u.a. 2001, 73.
14
Baumgart, Norbert C., Das zweite Buch der Könige, in: Zenger, Erich (Hg.),
Stuttgarter Altes Testament. Einheitsübersetzung mit Kommentar und Lexikon, Stuttgart 32005, 667.
15
Vgl. Wagner, Thomas, Art. Exil/Exilszeit, in: Bauks, Michaela/Koenen,
Klaus (Hg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet. Alttestamentlicher Teil. www.wibilex.de, Abschn. 3.2.2.a); Abruf: 12/08.
16
1
Vgl. Wagner, Thomas, Art. Exil/Exilszeit, in: Bauks, Michaela/Koenen,
Klaus (Hg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet. Alttestamentlicher Teil. www.wibilex.de, Abschn. 3.2.2.b); Abruf: 12/08.
17
Hieke, Thomas/Nicklas, Tobias, Das Buch Esra, in: Zenger, Erich (Hg.),
Stuttgarter Altes Testament. Einheitsübersetzung mit Kommentar und Lexikon, Stuttgart 32005, 778.
18
Gleichwohl schließt eine vollständige Integration einen hohen Preis für die
Fremden mit ein: Das „priesterschriftliche Programm der Gleichstellung öffnet das Judentum für die Fremden; dabei wird erwartet, dass sich alle
unter den Israeliten lebenden Nichtisraeliten beschneiden lassen, zu Juden
werden und sämtliche für Juden geltenden Regeln befolgen.“ (Lang,
Bernhard, Art. Fremde/Ausländer, in: Eicher, Peter (Hg.), Neues Handbuch
theologischer Grundbegriffe. Bd. 1, München 2005, 424.)
19
Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Ökonomisch motivierte Migration zwischen nationalen Eigeninteressen und weltweiter Gerechtigkeit. Eine Studie der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, Bonn
2005, 36.
20
Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Ökonomisch motivierte Migration zwischen nationalen Eigeninteressen und weltweiter Gerechtigkeit. Eine Studie der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, Bonn
2005, 42f.
21
Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs,
Instruktion Erga migrantes caritas Christi, hg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 165), Bonn
2004, 27.
22
Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs,
Instruktion Erga migrantes caritas Christi, hg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 165), Bonn
2004, 42.
23
Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs,
Instruktion Erga migrantes caritas Christi, hg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 165), Bonn
2004, 48.
24
Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs,
Instruktion Erga migrantes caritas Christi, hg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 165), Bonn
2004, 65f.
25
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Integration fördern –
Zusammenleben gestalten. Wort der deutschen Bischöfe zur Integration von
Migranten (= Die deutschen Bischöfe 77), Bonn 2004, 21.
26
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Integration fördern –
Zusammenleben gestalten. Wort der deutschen Bischöfe zur Integration von
Migranten (= Die deutschen Bischöfe 77), Bonn 2004, 57.
27
Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Ökonomisch motivierte Migration zwischen nationalen Eigeninteressen und weltweiter Gerechtigkeit. Eine Studie der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, Bonn
2005, 4f.
28
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Leben in der Illegalität
in Deutschland – eine humanitäre und pastorale Herausforderung (= Die
deutschen Bischöfe. Kommission für Migrationsfragen 25), Bonn 2001, 11.
29
Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs,
Instruktion Erga migrantes caritas Christi, hg. v. Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 165), Bonn
2004, 70.
A
Theologische
Grundlegung
11
Didaktische Vorüberlegungen
B
Migration und Flucht –
Thema des Religionsunterrichts
in der Oberstufe
Biblisch betrachtet – Migration
und Flucht als Möglichkeitsraum für Gotteserfahrung
Scheint die Thematik „Migration und Flucht“ im Religionsunterricht der Oberstufe auch nicht explizit vorgesehen, gibt es gleichwohl verschiedene Ansatzpunkte, entsprechende Inhalte mit den Schülerinnen und Schülern zu
erarbeiten.
Anschlussmöglichkeiten für das Thema „Migration und
Flucht“ bieten biblisch ausgerichtete Themen. In der Oberstufe gilt es, an ausgewählten Beispielen textauslegende
Erschließungsverfahren kennenzulernen und anzuwenden.3 Dadurch soll den Schülerinnen und Schülern die Bibel
als „Gotteswort in Menschenwort“ zugänglich werden, als
ein Buch, in welchem grundlegende menschliche Erfahrungen im Horizont des Glaubens an Gott gelesen werden.
In diesem Zusammenhang bietet es sich an, exemplarisch
an biblischen Schriftstellen zu arbeiten, die Flucht-/Migrationserfahrungen tradieren, die in diesem Zusammenhang
als Erfahrungen mit Gott gedeutet werden: sei es als Aufforderung Gottes, sich in ein neues Land aufzumachen, sei
Didaktische
Vorüberlegungen
12
Gerade der unweigerlich vorhandene Lebens(-welt-)bezug
erweist den Problemkreis „Migration und Flucht“ als lohnenswert für eine Thematisierung im Religionsunterricht:
Die Lernenden sehen sich als Bürger der Bundesrepublik
Deutschland mit der Aufgabe konfrontiert, Menschen aus
anderen Ländern besser als bisher in die Gesellschaft zu integrieren. Gerade angesichts des von Afrika auf die EU wirkenden und steigenden „Migrationsdrucks“, aber auch in
Anbetracht der Wanderungsbewegungen innerhalb der
EU und Europas selbst scheint es wichtiger denn je, sich mit
Gründen und Folgen von Migration und Flucht auseinanderzusetzen und nach Lösungen zu fragen, die den sich
in diesem Kontext stellenden Herausforderungen gerecht
werden.
Oberstufenschülerinnen und -schüler stehen kurz vor
dem Alter, in welchem sie politisch mündig werden (manche sind es bereits) und somit vor der Aufgabe, sich mit
gesellschaftlichen Fragen zu befassen und zu diesen Position zu beziehen. Wenngleich die meisten Heranwachsenden politischem Engagement – den Ergebnissen jüngster Jugendstudien zufolge – gegenwärtig eher distanziert
gegenüberstehen, heißt das nicht, dass sie sich nicht sozial
betätigen: Die Mehrheit der Jugendlichen setzt sich für
gesellschaftliche und soziale Angelegenheiten ein.1 Das
Thema Migration/Flucht jedoch scheint dabei weniger im
Aktionsradius zu liegen: In der 15. Shell-Jugendstudie, die
2.532 Heranwachsende im Alter von 12 bis 25 Jahren
befragte, gaben lediglich 6% an, für „ein besseres
Zusammenleben mit Migranten“ oft aktiv zu sein, 22%
engagieren sich – so ihre Auskunft – in dieser Hinsicht
gelegentlich, 72% nie.2
Schule ist angesichts dieser Ausgangslage in ihrem Beitrag zur Bildung gefordert, dieses Thema einzubringen, verantwortete Entscheidungsprozesse anzustoßen sowie menschengerechtes Verhalten bzw. Handeln vorzubereiten:
Die Frage des Umgangs mit Migranten und Flüchtlingen
wird weiterhin präsent sein. Von angemessenen und verantworteten Reaktionen auf die in diesem Zusammenhang aufscheinenden Problemkontexte, z.B. Kriminalisierung, Ghettoisierung, Stereotypisierung etc., aber hängen
die Zukunftsfähigkeit und das Gelingen unserer Gesellschaft entscheidend ab.
1
2
3
Vgl. Schneekloth, Ulrich, Politik und Gesellschaft: Einstellungen, Engagement, Bewältigungsprobleme, in: Shell Deutschland Holding (Hg.),
Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck, Frankfurt/Main 2006, 122.
Vgl. Schneekloth 2006, 123. Ein ähnliches Bild zeigt sich hinsichtlich des Engagements für „Menschen in den armen Ländern“.
Diesbzgl. sind die Heranwachsenden folgendermaßen aktiv: 4% oft, 24% gelegentlich, 72% nie.
Bzgl. einer auf bibeltheologische exegetische Ansätze aufbauende Didaktik biblischen Lernens vgl. Schambeck, Mirjam,
Bibeltheologische Didaktik. Biblisches Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 2009.
B
Ethisch gewendet – Migration
und Flucht als Herausforderung
an das eigene Selbstverständnis
Didaktische
Vorüberlegungen
13
es als Flucht aus Exilssituationen oder als Flucht angesichts
kriegerischer oder ethnischer Verfolgung. Über das Erarbeiten entsprechender biblischer Texte können die Schülerinnen und Schüler Korrelationen zwischen der biblischen
Welt und ihrer eigenen Welt, der Leserwelt, herstellen: In
diesem Zusammenhang lernen sie biblische Schriften als
Speicher existentieller, heute noch machbarer menschlicher Erfahrungen kennen. Der tradierte Erfahrungsschatz
kann anleiten, Migration/Flucht im eigenen Lebensumfeld
aus neuer Perspektive zu betrachten und somit zum einen
Anregungen geben, die zu konkretem Handeln motivieren,
zum anderen biblische Texte in ihrer bleibenden Aktualität
und Relevanz erhellen.
4
5
Der Religionsunterricht hat die Aufgabe, zu einer abwägendkritischen Teilnahme an ethischen Diskursen zu befähigen, und
das besonders in der Oberstufe als Übergangsphase von
Schule in Kontexte der Weltgestaltung als Erwachsener. Der
Themenkomplex Migration und Flucht erweist sich in diesem
Zusammenhang aufgrund der von ihm tangierten Facetten
(z.B. Brain-Drain und Care-Drain in den Auswanderungsländern; Ausgrenzung, Ausbeutung, mangelnde Gesundheitsversorgung in den aufnehmenden Ländern) als grundlegendes ethisches Entscheidungsfeld unserer Gesellschaft. An
diesem exemplarischen Handlungskontext lässt sich beispielsweise verifizieren, ob Menschenrechte allen Menschen
uneingeschränkt zukommen oder nicht. Die Sozialprinzipien
der katholischen Soziallehre stellen zugleich Maßstäbe dar,
Handlungsoptionen im Umgang mit Migration/ Flucht bzw.
Migranten/Flüchtlingen auf christlicher Basis auszuloten. Eine
genauere Beschäftigung mit einem missio-Projekt zur Unterstützung von Flüchtlingen kann den Lernenden aufzeigen, wie
kirchliche Einrichtungen ihrem Sendungsauftrag handelnd
nachkommen und welchen Leitlinien sie sich verpflichtet
sehen. Eventuell vorhandene, stereotype Einschätzungen
kirchlich getragener „Entwicklungshilfe“ lassen sich dadurch
wohl zum Teil revidieren.
Ethische Entscheidungen bedürfen kundiger Grundlagen bezüglich der betreffenden Phänomene. Insofern ist es
wichtig, die jeweiligen Facetten des spezifischen Themenbereichs fundiert zu erarbeiten: Fachlich-inhaltliche Kompetenz stellt die Grundlage für die Ausbildung ethischer Kompetenz dar. Ohne genauer zu wissen, was es bedeutet, „ohne
Papiere“ in Deutschland zu leben, fallen Einschätzungen
über sich „illegal“ aufhaltende Menschen wohl anders aus
als nach einer eingehenden Beschäftigung mit diesem Phänomen. Auf der Basis entsprechender Kenntnisse ist es den
Lernenden möglich, sich eine differenzierte Meinung zu
angemessenen Verfahrensweisen mit potentiellen Anträgen
auf Einwanderung anzueignen.
Wenn Lehr- und Bildungspläne fordern, dass im katholischen Religionsunterricht zu ethischer Urteilsbildung motiviert wird, ist ein Aspekt sehr bedeutsam: Den Lernenden ist
der Freiraum zu geben, selbst zu entscheiden, was sie für angemessen halten oder nicht. Im Diskurs innerhalb der Lerngemeinschaft kann so im Sinne einer Wertebildung4 Selbstkompetenz angebahnt werden. Sie werden befähigt,
abzuwägen und nach eigenen Wertmaßstäben zu entscheiden. Indem sie sich herausgefordert sehen, in differenzierten
Abwägeprozessen zu einer persönlichen Entscheidung zu
gelangen, leistet der Religionsunterricht einen elementaren
Beitrag zur Subjektwerdung der Schülerinnen und Schüler.5
Vgl. Lindner, Konstantin, Wie viel "Wertevermittlung" verträgt der Religionsunterricht?, in: Schmid, Hans (Hg.), Einfach in die Tasten geschrieben.
40 E-Mails von Lehrkräften zum Religionsunterricht, München 2009 i. E.
Zum religionspädagogischen Diskurs bzgl. eines Anbahnens von Subjektwerdung bei den Lernenden vgl.: Hilger, Georg/Ziebertz, Hans-Georg,
Wer lernt? – Die Adressaten als Subjekte religiösen Lernens, in: Dies./Leimgruber, Stephan (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium,
Ausbildung und Beruf, München 52008, 153-167; Bahr, Matthias u. a. (Hg.), Subjektwerdung und religiöses Lernen. Für eine Religionspädagogik,
die den Menschen ernst nimmt, München 2005.
B
Didaktische
Vorüberlegungen
Auf Praxis hin weitergedacht –
Migration und Flucht als
Erweisfeld schulischen Lernens
14
Entwicklung von Handlungsalternativen, Entfaltung von
Eigeninitiative sowie Anbahnung von Gestaltungsfähigkeit als im Religionsunterricht der Oberstufe geforderte
Aspekte ethischer Kompetenz können mit dem Lernfeld
Migration/Flucht besondere Praxisrelevanz verbuchen:
Hier wird nicht im schülerfernen Raum theoretisiert, sondern ein Problemkontext angeschnitten, welcher den Schülerinnen und Schülern tagtäglich im direkten Gegenüber und
medial vermittelt begegnet. Immer wieder eingeforderte
Positionierungen halten die Lernenden dazu an, die Lerninhalte individuell-emotional aufzuladen sowie zu internalisieren. Dies bildet die Basis dafür, dass Migration/Flucht
zu einem Thema wird, für welches es lohnenswert scheint,
sich im Rahmen seiner Möglichkeiten gesellschaftlich zu
engagieren. Die Ausarbeitung von konkreten Vorschlägen, wie Migranten/Flüchtlinge besser und menschenwürdiger in die eigene Umgebung integriert werden können, verlangt den Lernenden ab, die Unterrichtsinhalte
auf praktische Konsequenzen hin weiterzudenken, konkrete
Praxis vorzubereiten und in Projekten umzusetzen.
In dieser Hinsicht erweist sich das Thema Migration/Flucht zugleich als anknüpfungsfähig an das Oberstufen-Thema „Perspektiven der (christlichen) Zukunftsgestaltung“. Ansätze christlicher Ethik und Beispiele
christlich motivierten Handelns angesichts der Herausforderungen, die der Themenkomplex mit sich bringt, stellen
Impulse für eine verändernde Mitgestaltung der Zukunft
und für die Übernahme von Verantwortung dar.
Mit Blick auf das im Rahmen der „neuen Oberstufe“
in Bayern eingeführte, für jeden Oberstufenschüler verpflichtende „Projekt-Seminar“ wäre es lohnenswert, Migration/Flucht zu einem Thema zu machen, das in Kooperation mit außerschulischen Partnern – etwa mit missio – die
Relevanz christlich motivierten Engagements für eine
zukunftsfähige Gestaltung der Gesellschaft in seiner elementaren Praktizierbarkeit aufzeigt. Die nachfolgend entfalteten Unterrichtsstunden könnten auch in dieser Hinsicht
helfen, die Projektarbeit und Entwicklung sowie Realisierung eigener Lösungsvorschläge inhaltlich vorzubereiten.
Stundenentwürfe
Migration und Flucht –
menschliche Herausforderungen biblischen Alters
Stundenziel: Die Schülerinnen und Schüler erfassen, welche Gründe Menschen zu Migration und Flucht veranlassen. In diesem Zusammenhang lernen sie alttestamentliche
Schriften als Speicher existentieller, heute noch gültiger
menschlicher Erfahrungen kennen. Die Schülerinnen und
Schüler positionieren sich zu von ihnen erarbeiteten Optionen, Migranten und Flüchtlingen zu begegnen. So erfahren sie sich als dazu angehalten, für das Gut der Menschenwürde einzutreten, insofern dies für die eigene
Lebensqualität konstitutiv ist.
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
9
Motivation
Die Schülerinnen und Schüler werden für das Problem „fliehen
müssen“ sensibilisiert.
– Impuls 1: „Stellen Sie sich vor, Sie müssten jetzt Ihr Zuhause
verlassen und hätten lediglich eine Plastiktüte zur Verfügung, um das Notwendigste mitzunehmen! Stellen Sie Ihr
„Reisegepäck“ zusammen und halten Sie dies auf dem
Arbeitsblatt fest!“
– Vorstellung ausgewählter Ergebnisse
– Impuls 2: „Sammeln Sie scheinbar existentiell notwendige
Aspekte, welche bei Menschen, die auf der Flucht sind, auf
der Strecke bleiben (müssen)!“
– Antwortkontext: Haus, persönliche Andenken (z. B. Fotos),
Besitztümer, Luxusgüter, aber auch Freunde, Familie, Alltag,
Lebensstandard, …
Methode
Medien
EA: Brainstorming
[M1]
(AB)
Plenum
UG
1
Überleitung
„Fluchterfahrungen fordern Menschen seit ‚Menschengedenken’ LV
heraus. Entsprechende Zeugnisse finden sich auch in der Bibel
repräsentiert.“
15
Erarbeitung /
Sicherung I
Die Schülerinnen und Schüler filtern aus biblischen Texten
Gründe für Migration/Flucht und damit zusammenhängende
Schwierigkeiten heraus. Sie stellen fest, dass in der Bibel existentielle menschliche Erfahrungen „gespeichert“ und im Horizont
des Glaubens gedeutet sind.
– Impuls 1: „Arbeiten Sie aus den alttestamentlichen
Bibelstellen Gen 47,1-6 und Jer 26,20-23 Gründe für
Migration/Flucht heraus!“
– Sicherung der Ergebnisse auf AB parallel zur Erarbeitung der
Arbeitsaufträge
– Antwortkontexte: vgl. [M4 L]
– Impuls 2: „Halten Sie ausgehend von den biblischen Texten
Schwierigkeiten fest, mit denen sich Migranten/Flüchtlinge
konfrontiert sehen! Lesen Sie dazu auch Ex 1,1-17!“
– Sicherung der Ergebnisse auf AB parallel zur Erarbeitung der
Arbeitsaufträge
– Antwortkontexte: vgl. [M4 L]
Lesen + PA
Plenum
EA
Plenum
Bibeln oder
[M2]
(OH-Folie)
[M4 L] und
[M4 S] (AB)
Bibeln oder
[M3]
(OH-Folie)
C1
Herausforderungen
biblischen Alters
15
C1
Herausforderungen
biblischen Alters
Zeit
(Min.)
Phase
13
Anwendung / Die Schülerinnen und Schüler internalisieren auf der Basis einer
Sicherung II
Kartenabfrage, dass Migration eine menschliche Herausforderung darstellt, mit der adäquat umzugehen ist.
– Lehrerinfo Kartenabfrage: Im benötigten Umfang werden
leere A5- oder A6-Karten an die Schülerinnen und Schüler
ausgegeben. Diese notieren darauf Antworten auf das
Erfragte. Die beschrifteten Karten werden dann an einer
Tafel/Pinnwand/Flip Chart fixiert und dabei eventuell
zugleich geclustert.
– Impuls: „Entfalten Sie zu zweit max. drei Leitlinien für einen
ethisch angemessenen Umgang mit Migranten und Flüchtlingen in den so genannten „aufnehmenden Ländern“!
Halten Sie jede Leitlinie auf je einem Kärtchen fest!“
– Präsentation der Ergebnisse: Kartenabfrage an der
Tafel/Pinnwand/…
16
5
Transfer
Inhalt
Methode
Medien
PA: Karten- leere
abfrage
A5-Karten
Plenum
– Ranking zu folgendem Impuls: „Sie haben drei Bewertungspunkte zur Verfügung: Geben Sie den vorliegenden
Leitlinien für einen ethisch angemessenen Umgang mit
Migranten/Flüchtlingen, welche Ihnen am wichtigsten
erscheinen, je einen Punkt!“
– Zusammenfassung des an der Tafel sichtbaren Ergebnisses
durch eine/n Schüler/in und Austausch darüber
– selbständiges Notieren ausgewählter, als wichtig erachteter
Leitlinien
BepunkKlebepunkte
tung auf
den Karten
an der Tafel
Die Schülerinnen und Schüler werden sich bewusst, dass es
wichtig ist, gerade für die Menschenwürde von Migranten/
Flüchtlingen einzutreten – eine Lebensnotwendigkeit, von
welcher die Lernenden erspüren, dass sie diese auch für
sich einfordern, insofern dies ihren Argumentationshorizont
konstituiert.
– Impuls 1: „Begründen Sie, warum Sie diese Leitlinien so
hoch bewertet haben!“
– Antwortkontext: Recht auf Leben; Menschenwürde; …
UG
UG
EA
[M4 L] und
[M4 S] (AB)
– Impuls 2: „Wenn wir nun an den Beginn der Unterrichtsstunde zurückdenken: Eine Plastiktüte mit relativ wenigen
Besitztümern: Was macht einen Migranten/Flüchtling
abgesehen davon letztlich aus?“
– Antwortkontext: Sein eigenes Menschsein, das ihm
niemand nehmen kann.
2
Abschluss
Information durch den Lehrenden: „Im biblischen Kontext setzt
LV
die Gottesebenbildlichkeits-Idee den Maßstab für einen ethisch
angemessenen Umgang mit Migranten/Flüchtlingen.
Entsprechend formuliert auch die DBK: ‚Der Mensch ist Geschöpf
Gottes, nach seinem Bild geschaffen. In jedem Menschen sieht
der Gläubige das Antlitz Gottes. Jeder Mensch ist deshalb,
unabhängig von seiner Herkunft und seinem rechtlichen Status,
einmalig und in dieser Einmaligkeit Maßstab jedes zwischenmenschlichen und staatlichen Handelns.’“
[M5]
(OH-Folie)
[M1]
C1
Herausforderungen
biblischen Alters
17
[M2]
C1
Herausforderungen
biblischen Alters
Gen 47,1-6
Jer 26,20-23
18
1
Josef ging also hin, berichtete dem
Pharao und sagte: Mein Vater und
meine Brüder sind mit ihren Schafen,
Ziegen und Rindern und mit allem,
was ihnen gehört, aus Kanaan gekommen. Sie sind bereits in Goschen.
2
Aus dem Kreis seiner Brüder hatte er
fünf Männer mitgebracht und stellte
sie dem Pharao vor. 3 Der Pharao
fragte Josefs Brüder: Womit beschäftigt ihr euch? Sie antworteten dem
Pharao: Hirten von Schafen und Ziegen sind deine Knechte; wir sind es
und unsere Väter waren es auch
schon. 4 Weiter sagten sie zum Pharao:
Wir sind gekommen, um uns als
Fremde im Land aufzuhalten. Es gibt
ja keine Weide für das Vieh deiner
Knechte, denn schwer lastet die Hungersnot auf Kanaan. Nun möchten
sich deine Knechte in Goschen niederlassen.
5
Darauf sagte der Pharao zu Josef:
Dein Vater und deine Brüder sind also
zu dir gekommen. 6 Ägypten steht dir
offen. Im besten Teil des Landes lass
deinen Vater und deine Brüder wohnen! Sie sollen sich in Goschen niederlassen. Wenn du aber unter ihnen
tüchtige Leute kennst, dann setze sie
als Aufseher über meine Herden ein!
20
Damals wirkte noch ein anderer
Mann als Prophet im Namen des
Herrn, Urija, der Sohn Schemajas, aus
Kirjat-Jearim. Er weissagte gegen diese
Stadt und dieses Land mit ganz ähnlichen Worten wie Jeremia. 21 Der
König Jojakim, alle seine Heerführer
und alle Beamten hörten von seinen
Reden. Daher suchte der König ihn zu
töten. Als Urija davon erfuhr, bekam
er Angst, floh und gelangte nach
Ägypten. 22 Der König Jojakim aber
schickte Leute nach Ägypten, nämlich
Elnatan, den Sohn Achbors, mit einigen Männern.
23
Sie holten Urija aus Ägypten und
brachten ihn zu König Jojakim; dieser
ließ ihn mit dem Schwert erschlagen
und seinen Leichnam zu den Gräbern
des niedrigen Volkes werfen.
Arbeitsaufträge:
– Arbeiten Sie die Gründe für Migration/Flucht heraus, welche die angegebenen alttestamentlichen Schriften
benennen!
– Halten Sie ausgehend von den
biblischen Texten (Gen 47,1-6 und
Jer 26,20-23) Schwierigkeiten fest,
mit denen sich Migranten/Flüchtlinge konfrontiert sehen! Lesen Sie
dazu auch Ex 1,1-17!
[M3]
C1
Ex 1,1-17
Herausforderungen
biblischen Alters
19
1
Das sind die Namen der Söhne
Israels, die nach Ägypten gekommen
waren – mit Jakob waren sie gekommen, jeder mit seiner Familie: 2 Ruben,
Simeon, Levi, Juda, 3 Issachar, Sebulon,
Benjamin, 4 Dan, Naftali, Gad und
Ascher. 5 Zusammen waren es siebzig
Personen; sie alle stammten von Jakob
ab. Josef aber war bereits in Ägypten.
6
Josef, alle seine Brüder und seine
Zeitgenossen waren gestorben. 7 Aber
die Söhne Israels waren fruchtbar,
sodass das Land von ihnen wimmelte.
Sie vermehrten sich und wurden überaus stark; sie bevölkerten das Land.
8
In Ägypten kam ein neuer König
an die Macht, der Josef nicht gekannt
hatte. 9 Er sagte zu seinem Volk: Seht
nur, das Volk der Israeliten ist größer
und stärker als wir. 10 Gebt Acht! Wir
müssen überlegen, was wir gegen sie
tun können, damit sie sich nicht weiter vermehren. Wenn ein Krieg ausbricht, können sie sich unseren Feinden anschließen, gegen uns kämpfen
und sich des Landes bemächtigen.
11
Da setzte man Fronvögte über sie
ein, um sie durch schwere Arbeit unter
Druck zu setzen. Sie mussten für den
Pharao die Städte Pitom und Ramses
als Vorratslager bauen.
12
Je mehr man sie aber unter Druck
hielt, umso stärker vermehrten sie sich
und breiteten sie sich aus, sodass die
Ägypter vor ihnen das Grauen packte.13 Daher gingen sie hart gegen die
Israeliten vor und machten sie zu Sklaven. 14 Sie machten ihnen das Leben
schwer durch harte Arbeit mit Lehm
und Ziegeln und durch alle möglichen
Arbeiten auf den Feldern. So wurden
die Israeliten zu harter Sklavenarbeit
gezwungen.
15
Zu den hebräischen Hebammen
– die eine hieß Schifra, die andere
Pua – sagte der König von Ägypten:
16
Wenn ihr den Hebräerinnen Geburtshilfe leistet, dann achtet auf das
Geschlecht! Ist es ein Knabe, so lasst
ihn sterben! Ist es ein Mädchen, dann
kann es am Leben bleiben. 17 Die
Hebammen aber fürchteten Gott und
taten nicht, was ihnen der König von
Ägypten gesagt hatte, sondern ließen
die Kinder am Leben.
[M4]L
C1
Herausforderungen
biblischen Alters
Bereits in alttestamentlichen Schriften werden Grunderfahrungen mit Migration/Flucht geschildert. Gerade in einem
Lebensumfeld und einer Zeit, in welchem/r politische Systeme
den Einzelnen nur bedingt unterstützen, zeigt sich die Lebenswirklichkeit auf vielfältige Weise von Migration/Flucht
geprägt.
Migration – eine menschliche
Herausforderung „biblischen
Alters“
20
CD:
[PDF]
M4_S.pdf
Häufigste Ursachen dafür, dass Menschen ihre angestammte Heimat verlassen:
wirtschaftliche Gründe
politische Verfolgung
religiöse Verfolgung
[Word]
M4_L.doc
M4_S.doc
Biblische Texte stellen (implizit) dar, mit welchen Schwierigkeiten sich Migranten
konfrontiert sehen:
Besitzlosigkeit
Ausbeutung
Verfolgung
Schwierigkeiten
Hass/Neid
…
Wohnungsnot
Leitlinien für einen ethisch angemessenen Umgang mit Migranten/Flüchtlingen in sog.
„aufnehmenden Ländern“:
1. Schutz vor Verfolgung aus dem Heimatland etablieren [vgl. Jer 26,23]
2. Gesetze schaffen, die eine Ausbeutung von Migranten als billige Arbeitskräfte verhindern (schnellere Ermöglichung
von Arbeitserlaubnis)
3.
4.
5.
[M5]
C1
Herausforderungen
biblischen Alters
21
Im biblischen Kontext setzt die „Gottesebenbildlichkeits“-Idee den
Maßstab für einen ethisch angemessenen Umgang mit Migranten/
Flüchtlingen. Entsprechend formuliert auch die Deutsche Bischofskonferenz:
Mensch ist Geschöpf Gottes, nach seinem
»Der
Bild geschaffen. In jedem Menschen sieht der
Gläubige das Antlitz Gottes. Jeder Mensch ist
deshalb, unabhängig von seiner Herkunft und
seinem rechtlichen Status, einmalig und in
dieser Einmaligkeit Maßstab jedes zwischenmenschlichen und staatlichen Handelns.
«
Aus: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Leben in der Illegalität in Deutschland – eine humanitäre und pastorale Herausforderung (= Die deutschen Bischöfe – Kommission für Migrationsfragen 25), Bonn 2001, 36.
C2
Was bleibt,
was wird?
Was bleibt, was wird? –
Folgen von Migration und
Flucht
22
Stundenziel: Ausgehend von einer Sensibilisierung dafür,
dass unsagbares Leid vielen Menschen oft keine andere
Wahl als Migration und Flucht lässt, hinterfragen die Schülerinnen und Schüler die Auswirkungen großer Migrationsund Fluchtbewegungen für das jeweilige Auswanderungsland. Konfrontiert mit dem zunehmenden Migrationsdruck in Richtung EU und den sich daraus ergebenden Folgen für so genannte Einwanderungsländer
erarbeiten sich die Lernenden eine differenzierte Meinung
zu angemessenen Verfahrensweisen mit potentiellen Anträgen auf Einwanderung.
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
5
Motivation
Die Schülerinnen und Schüler sehen sich durch einen
Erfahrungsbericht mit leidvollen Erfahrungen konfrontiert,
die Kinder, die in Kriegsgebieten Afrikas aufwachsen, zur
Flucht motivieren.
– Lesen eines Erfahrungsberichtes: „Nicolas aus Ruanda erzählt“
– Lehrerinfo Blitzlicht: Alle Schülerinnen und Schüler geben
reihum ein kurzes Statement, wobei Doppelnennungen möglich sind, während ein bloßer Bezug auf bereits Genanntes nicht
gilt. Die benannten Aspekte bleiben für sich stehen.
– Impuls: „Überlegen Sie kurz, was Sie Nicolas fragen bzw.
ihm sagen wollten, könnten Sie mit ihm ins Gespräch kommen. Äußern Sie sich mit einem Satz in der Blitzlichtrunde!“
Methode
Medien
EA: Lesen
Blitzlicht
[M6]
(OH-Folie)
[M7]
(AB)
2
Information
Durch eine kurze Erläuterung (bzw. auf Basis des vorhandenen
Wissens bei den Schülerinnen und Schülern) wird der Völkermord, welcher in den 1990er Jahren Ruanda erschütterte,
als Mitauslöser für das noch immer akute Flüchtlingsproblem
Zentralafrikas memoriert.
LV + UG
1
Überleitung
„Ethnische oder religiös-motivierte Auseinandersetzungen,
Nahrungsmittelknappheit, Arbeitslosigkeit … – verschiedenste
Gründe für erlebte Missstände führen dazu, dass weltweit viele
Menschen auf der Flucht sind oder auswandern. Für die Auswanderungsländer verschärfen sich dadurch oft die ohnehin
vorhandenen Probleme, zum Teil aber profitieren auch sie.“
LV
15
Erarbeitung /
Sicherung
In einem Tafelbrainstorming artikulieren die Schülerinnen und
TafelbrainSchüler vermutete Auswirkungen von großen Flucht- und
storming
Migrationsbewegungen für das jeweilige Auswanderungsland.
– Lehrerinfo Tafelbrainstorming: Die Schülerinnen und Schüler
bekommen Gelegenheit, ihre Gedanken an der Tafel zu verschriftlichen. Gesprochen wird dabei zunächst nicht. Im
Anschluss kann eine Phase der gemeinsamen Besprechung
des an der Tafel Notierten folgen.
– Impuls: „Folgern Sie, welche Auswirkungen große
Migrations-/Fluchtbewegungen für das jeweilige Auswanderungsland haben könnten! Notieren Sie Ihre Gedanken stichpunktartig an der Tafel!“ C2
Zeit
(Min.)
5
17
Phase
Überleitung
Transfer
Inhalt
Methode
– Kurzes Bündeln der Ergebnisse, die die Referenzbasis für
die anschließende Erarbeitung darstellen
Plenum
Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten aus einem Infotext –
der zugleich als Sicherung dient – wissenschaftlich erforschte
Auswirkungen, die Flucht und Migration auf Auswanderungsländer haben.
– Lesen des Textes zu den Aspekten Rücküberweisungen,
Brain-Drain und Care-Drain
– Impuls: „Lesen Sie den ausgeteilten Text und arbeiten Sie
heraus, was es mit den jeweiligen Effekten von Flucht und
Migration bzgl. der Herkunftsländer auf sich hat!“
– Klärung des Erarbeiteten im Plenum
– Rekurs auf die im Tafelbrainstorming erarbeiteten Ergebnisse
Impuls:„Vergleichen Sie die drei Effekte Rücküberweisungen, Brain-Drain und Care-Drain mit den im Tafelbrainstorming genannten: Was erstaunt Sie, was wollen Sie
diesbezüglich bemerken?“
EA
Die Schülerinnen und Schüler machen sich bewusst, dass
Flucht/Migration auch für potentielle Einwanderungsländer
Schwierigkeiten auftun. Ein kurzer Filmausschnitt zur Situation
in Ceuta, einer spanischen Exklave auf dem afrikanischen
Kontinent, kann dafür sensibilisieren.
– Ansehen des Videoclips
Ansehen
des Clips
[M9]
GA (zwei
Klassenhälften)
[M10]
(OH-Folie)
Vor dem Hintergrund des Wissens über die Situation von
Heranwachsenden in afrikanischen Krisengebieten, über die
Auswirkungen von Flucht/Migration in den Herkunftsländern
sowie über das Problem an die Grenzen der EU drückender
Flüchtlingsströme führen die Schüler eine Podiumsdiskussion
durch, in welcher sie Argumente für bzw. wider eine Aufnahme von Migranten/Flüchtlingen in die EU-Staaten
entwickeln sowie darlegen.
– Impuls (unterstützt durch eine Pressemeldung der
EU-Kommission): „Stellen Sie sich vor, sie arbeiten für
die EU-Kommission und sind an der Erarbeitung von Richtlinien zum Umgang mit dem wachsenden Migrationsdruck
beteiligt.
Es gilt zu entscheiden: Rückführung der Flüchtlinge in
ihre Heimatländer oder Aufnahme in die EU-Staaten.
Erarbeiten Sie in Ihrer Teilgruppe (Gruppe A = Rückführung; Gruppe B = Aufnahme) Argumente für die Ihnen
zugewiesene Position, um damit eine Podiumsdiskussion
bestreiten zu können!“
– Diskussion der beiden Gruppen (A und B; je zwei Vertreter)
„gegeneinander“: Sollen Migranten/Flüchtlinge, die in
„Auffanglagern“ auf eine Einreise in die EU warten, in ihre
Heimatländer zurückgeführt oder in die EU aufgenommen
werden?
– Schlussfazit/persönliche Einschätzungen zu dem Problemkontext „Folgen von Flucht und Migration“
Medien
Was bleibt,
was wird?
23
[M8]
(AB)
UG
(Clip)
Podiumsdiskussion
(ein/e Schüler/in als
Diskussionsleitung)
UG
[M6]
C2
Was bleibt,
was wird?
Nicolas aus Ruanda erzählt:
24
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auch umgebracht.
[M7]
C2
Kurzinfo Ruanda
Was bleibt,
was wird?
25
Ruanda liegt im östlichen Zentralafrika in der Region der
Großen Seen. Es grenzt im Norden an Uganda, im Osten
an Tansania, im Süden an Burundi und im Westen an die
Demokratische Republik Kongo.
1994 war Ruanda Schauplatz eines schrecklichen Völkermordes, der als größter Genozid seit dem Holocaust
angesehen wird. Innerhalb weniger Monate – von April bis
Juni – wurden fast eine Million Menschen auf äußerst brutale Weise und von langer Hand geplant getötet. Die im
geschichtlichen Kontext der Kolonialisierung entstandene
Polarisierung zwischen den Gruppen der Hutu und Tutsi,
aber auch sozioökonomische Aspekte wie die unter dem
starken Bevölkerungswachstum entstandene Armut der
Bevölkerung zählen zu den Ursachen des Genozids.
Bis heute prägt die Erfahrung des Völkermordes das
Land in seiner politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Entwicklung. Der Völkermord fand vor den Augen
der Weltöffentlichkeit statt, die sich nicht zu einem humanitären Eingriff entschließen konnte und tatenlos blieb.
Das akute Flüchtlingsproblem in Zentralafrika ist als
Resultat der ethnischen Auseinandersetzungen zu verstehen, die vor allem in Ruanda und Burundi stattfanden.
Durch diese wurden mehr als drei Millionen Menschen zu
Flüchtlingen. Sie gehören zu den größten Flüchtlingsgruppen weltweit.
[M8]
C2
Effekte von Migration und
Flucht für das Herkunftsland
Was bleibt,
was wird?
26
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Unter den Folgen der Migration für Herkunftsländer sind
zwei Effekte von besonderer Bedeutung: zum einen die
Geldüberweisungen von Emigranten in ihre Heimat, zum
anderen die Abwanderung von gut ausgebildeten Bürgern (Brain-Drain). […]
Überweisungen von Migranten in ihr Herkunftsland,
durch die sie vor allem ihre Verwandten unterstützen, sind
in den letzten Jahren stark angestiegen und erreichten
nach Schätzungen der Weltbank im Jahre 2003 weltweit
eine Summe von 93 Mrd. US-Dollar […]. Sie fließen kontinuierlicher als die ausländischen Direktinvestitionen, sind
für viele Entwicklungsländer eine der wichtigsten Devisenquellen und überschreiten im Durchschnitt deutlich die
Höhe der öffentlichen Entwicklungshilfe. In Ländern wie
Eritrea, Jemen, Jordanien, Libanon, Nicaragua oder Sudan
machen Rücküberweisungen zwischen 20 und 50 % des
Volkseinkommens aus. […]
Auch wenn diese Rücküberweisungen auf individueller Ebene positive Effekte vor allem für die daheim gebliebenen Familien haben, sind die Folgen auf makroökonomischer und gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht nur
positiv. Die hohen Summen, die dadurch ins Land fließen,
erleichtern einerseits die Schuldentilgung, können aber
andererseits Inflation und eine unerwünschte Aufwertung
der Landeswährung auslösen und so die Exportwirtschaft
behindern. Positive Effekte entstehen, wenn das Geld nicht
nur in den Konsum fließt, sondern die dadurch reicher
gewordenen Empfänger das Geld auch in die Bildung von
Familienangehörigen und damit in den Aufbau von Humankapital*, in die Verbesserung sozialer Beziehungen und die
Unterstützung gemeinsamer Einrichtungen zu sozialen
Zwecken (Gemeindezentren etc.) oder in den Aufbau von
Kleinunternehmen investieren. […]
Der durch Migration hervorgerufene Verlust von Menschen mit Fähigkeiten, Fertigkeiten und personengebundenem Wissen, welche dann im Herkunftsland nicht mehr
zur Verfügung stehen, wird als Brain-Drain bezeichnet und
in der Regel negativ bewertet. Die Investitionen, die das
Herkunftsland für die Bildung und Ausbildung der betreffenden Migranten aufgebracht hat, gehen dadurch
(zunächst) verloren, während das Aufnahmeland von ihnen
profitiert. […] Besonders betroffen ist der Gesundheitssektor
vieler afrikanischer Länder. […] In Großbritannien leben und
arbeiten 2200 Ärzte aus Ghana, während in ihrer Heimat
die Zahl von Ärzten zwischen 1990 und 2004 von 2000 auf
800 fiel, und dies bei einem gleichzeitigen Bevölkerungswachstum von 14 auf 18,5 Millionen. […] Die Folgen wer-
den dadurch verschärft, dass häufig hoch qualifizierte
Fachkräfte aus Schlüsselpositionen abwandern, so dass
sofort größere Bereiche betroffen sind und die Lücken
kaum wieder geschlossen werden können.
Auf der anderen Seite wird in der letzten Zeit stärker
auf mögliche positive Effekte aufmerksam gemacht, die der
Brain-Drain unter bestimmten Bedingungen auch haben
kann. So führen die relativ hohen Rücküberweisungen
hoch qualifizierter Migranten häufig zu einer Steigerung der
Bildungsinvestitionen der Familien in den Herkunftsländern.
Eine bessere Ausbildung wird nachgefragt, weil ausgewanderte Familienmitglieder gezeigt haben, dass es eine
realistische Perspektive einer erfolgreichen Emigration für
Hochqualifizierte gibt. […] Ein höheres allgemeines Bildungsniveau stärkt wiederum die Wachstumsaussichten des
Herkunftslandes und zieht wahrscheinlich auch mehr ausländische Investoren an, wodurch Arbeitsplätze entstehen
und ein Teil der Hochqualifizierten im Land gehalten werden. Oftmals kommen mit diesen Investitionen dann auch
gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland ins Land, was
eine positive Gegenbewegung im Sinne eines weltweiten
Brain-Exchange darstellt. […]
Auch die Abwanderung von weniger qualifizierten
Arbeitskräften hat Bedeutung für das Herkunftsland. […]
[Migranten] hinterlassen häufig schmerzliche Lücken in
ihren Familien. Kinder wachsen ohne Väter, angesichts der
zunehmenden Feminisierung der Migration auch ohne
Mütter auf. Sie kommen sehr viel weniger in den Genuss
elterlicher Fürsorge, die auch durch großzügige Rücküberweisungen nicht kompensiert werden kann. Manchmal werden sie sich selbst überlassen oder von Großeltern,
anderen Verwandten oder dafür eigens angestellten, meist
aber sehr schlecht bezahlten Personen versorgt. Es ergeben sich so genannte Dienstleistungsketten, indem Migrantinnen, die beispielsweise im Aufnahmeland in der Kinderbetreuung arbeiten, mit dem dort erwirtschafteten
Einkommen die Betreuung ihrer zuhause gebliebenen Kinder durch Bedienstete finanzieren, die möglicherweise
selbst dafür ihre Kinder von wieder anderen versorgen lassen. In diesem Zusammenhang einer Abwanderung von
Fürsorge wird deshalb auch schon von Care-Drain gesprochen. […]
Aus: Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der
Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Ökonomisch motivierte Migration
zwischen nationalen Eigeninteressen und weltweiter Gerechtigkeit, Bonn
2005, 26-30.
* In der Ökonomie verwendet man seit langem für die Gesamtheit an Fähigkeiten, Fertigkeiten, personengebundenem Wissen, Erfahrungen und
Gesundheit einer Arbeitskraft den technischen Begriff des „Humankapitals“.
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[M9]
C2
Frontiers
Was bleibt,
was wird?
27
CD:
[Clip]
M9.mov
© Philipp Seis: Frontiers (Polaris 2007)
[M10]
C2
Was bleibt,
was wird?
Europäische Kommission
beklagt die tragischen
Ereignisse in Ceuta und Melilla
28
Die Kommission bedauert zutiefst die
tragischen Ereignisse in Ceuta und
Melilla*, bei denen mehrere Menschen getötet wurden. Im Rahmen
einer breiteren Partnerschaft in
Migrationsfragen bedarf es dringend
einer engeren Zusammenarbeit mit
Marokko und den wichtigsten afrikanischen Herkunftsländern. Dazu
schlägt die Kommission konkrete Initiativen vor.
„Diese furchtbare Tragödie zeigt
einmal mehr, wie wichtig es ist, dass
wir noch größere gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um die
Migration wirksamer zu steuern“,
erklärte Vizepräsident Franco Frattini.
„Der Verlust von Menschenleben ist
stets tragisch. Auch die Grenzschützer
setzen ihr Leben aufs Spiel, um Menschen zu retten, die über das Mittelmeer illegal in die EU wollen. Die Kommission wird immer entschieden für
die Menschenrechte eintreten und
den Verlust weiterer Menschenleben
zu verhindern suchen. Die Kontrolle
der Außengrenzen ist nach wie vor
Sache der Mitgliedsstaaten, aber auch
die EU muss noch mehr unternehmen, um die illegale Einwanderung
aus Afrika einzudämmen. In letzter
Zeit habe ich in diesem Sinne verschiedene Initiativen angestoßen,
doch der Migrationsdruck steigt und
wir müssen verstärkt handeln.“
- Press Release der EU-Kommission IP/05/1212
Brüssel, 30. September 2005
© Europäische Gemeinschaft 1995-2008
Arbeitsauftrag:
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten für die EU-Kommission und sind an der
Erstellung von Richtlinien zum Umgang mit dem wachsenden Migrationsdruck beteiligt. Es gilt zu entscheiden: Rückführung der Flüchtlinge in ihre
Heimatländer oder Aufnahme in die EU-Staaten.
Erarbeiten Sie in Ihrer Teilgruppe (Gruppe A = Rückführung;
Gruppe B = Aufnahme) Argumente für die Ihnen zugewiesene Position,
um damit eine Podiumsdiskussion bestreiten zu können!
* Hinweis: Ceuta und Melilla sind spanische Enklaven auf der marokkanischen Mittelmeerseite. Immer wieder versuchen Migranten aus afrikanischen
Ländern, über diese Städte auf EU-Gebiet zu gelangen. Im Herbst 2005 verschärfte sich die Situation, als nach der Verstärkung der Befestigungsanlagen um beide Enklaven Flüchtlinge in Gruppen zu mehreren Hundert Personen die Grenzzäune überrannten und dabei mehrere zu Tode kamen.
Glaube verpflichtet – kirchliches Engagement angesichts
von Migration und Flucht
Stundenziel: Nachdem sie ihre persönlichen Vorstellungen über die Rolle der Kirche „in Sachen Migration/Flucht“
aktiviert haben, erhalten die Schülerinnen und Schüler
einen Einblick in ein von missio unterstütztes Flüchtlingsprojekt. Daran wird klar, wie kirchliche Einrichtungen ihrem
Sendungsauftrag handelnd nachkommen und welchen
Leitlinien – unter anderem den Prinzipien der katholischen
Soziallehre – sie sich verpflichtet sehen. Letztendlich können die Schülerinnen und Schüler dadurch eventuell vorhandene, stereotype Einschätzungen zu kirchlich getragener „Entwicklungshilfe“ revidieren und sich zu eigenem
Engagement veranlasst fühlen.
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
Methode
Medien
5
Motivation
Die Schülerinnen und Schüler reflektieren scheinbar typische
Reaktionsmuster der Kirche, Migranten und Flüchtlingen zu
helfen, hinsichtlich deren Angemessenheit.
– Betrachten und Entschlüsseln einer Karikatur: Kirche und
Flucht
– Abstimmung: „Reagiert die Kirche Ihrer Meinung nach
auf Migrations-/Flüchtlings-Situationen richtig?“
– freies Assoziieren: „Begründen Sie Ihr Abstimmungsverhalten!“
Karikatur
entschlüsseln
[M11]
(OH-Folie)
LV
Abstimmung
UG
1
Überleitung
„Die Kirchen haben für ihr Engagement in Sachen ‚Migration/
Flucht’ Vorgaben entfaltet, die ihr entsprechendes Handeln
prägen sollen.“
20
Erarbeitung /
Sicherung
Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten die Leitlinien kirchlichen Handelns und verifizieren an einem Flüchtlingsprojekt von
missio, inwieweit es der Kirche gelingt, diese zu realisieren.
– EKD/DBK-Text: „Leitlinien“ kirchlich unterstützten Handelns Lesen
zu Migration/Flucht
– Impuls: „Arbeiten Sie die ideelle Basis sowie die Ziele
EA
kirchlichen Engagements angesichts von Migration/Flucht
heraus!“
– Antwortkontext: ideelle Basis: kirchlicher Sendungsauftrag
UG
und damit einhergehende Verantwortung für menschenwürdige, freie, gerechte und solidarische Ordnung als
Zeichen für Gottes Solidarität mit den Menschen; Ziele:
menschenwürdige Aufnahme von Migranten/Flüchtlingen;
Erhaltung und Verbesserung der migrations-/flüchtlingspolitischen Rahmenbedingungen; Bekämpfung der Fluchtursachen
– Überprüfung: „Auf welche Weise realisiert das missio-ARPProjekt von P. Schonecke die „Leitlinien“ der Kirchen in
Deutschland bezüglich des Umgangs mit Migration und
Flucht? Stellen Sie die Ergebnisse Ihrer Gruppe in einem
Schaubild auf A3-Blättern dar!“
– Vorstellen ausgewählter Ergebnisse
– Antwortkontext: vgl. [M14] (Beispiel für ein Schaubild)
[M12]
(OH-Folie)
GA
[M13] (AB)
Schaubildpräsentation
leere
A3-Blätter
[M14]
C3
Glaube
verpflichtet
29
C3
Glaube
verpflichtet
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
Methode
1
Überleitung
„Die Beschreibung des ARP-Projektes zeigt, dass sich
kirchliches Handeln in Sachen ‚Migration/Flucht’ an den
Sozialprinzipien (Grundwissen aus vorausliegenden Jahrgangsstufen) orientiert.“
LV
15
Anwendung
Die Schülerinnen und Schüler registrieren, dass kirchliches
Handeln im Sinne der Sozialprinzipien die Migranten/Flüchtlinge nicht „entmündigt“, sondern zu Eigentätigkeit und
Selbständigkeit animiert.
– arbeitsteiliges Herausarbeiten: Je ein Drittel der Lerngruppe versucht, die Umsetzung des Sozialprinzips
Solidarität oder Subsidiarität oder Retinität am ARPProjekt nachzuweisen.
– Impuls: „Verifizieren Sie am Projekt, inwiefern das (Ihnen
zugeteilte) Sozialprinzip eine unabdingbare Grundlage
kirchlicher Hilfe für Migranten/Flüchtlinge darstellt!
Notieren Sie Ihre Beobachtungen in die dafür vorgesehene
Spalte auf dem Arbeitsblatt!“
– Sammlung und Abgleichung der Ergebnisse
– Klärung der Bedeutung des Prinzips der Personalität als
umfassende Basis für die Gestaltung einer Gesellschaft, die
das Wohl jedes Einzelnen im Blick hat
30
3
Medien
arbeitsteilige [M15 L]
EA
[M15 S]
(AB)
Plenum
UG
Abschluss
– Impuls: „Inwieweit sehen Sie (Ihre) ‚Vorurteile’ bzgl.
‚Kirche und Migration/Flucht’, die am Beginn dieser
Unterrichtsstunde im Raum standen, bestätigt?“
UG
„Puffer“
– Nachsinnen: „Weshalb engagiert sich Kirche überhaupt
in Sachen ‚Wirtschaftliche Unterstützung, Bildung,
Soziales’ und nicht lediglich im Kontext ‚Weitergabe des
Glaubens’?“
– Antwortkontext: ganzer Mensch im Blick auf der
Grundlage der Idee der Gottesebenbildlichkeit
UG
[M11]
(OH-Folie)
[M11]
C3
Glaube
verpflichtet
31
[M12]
C3
Glaube
verpflichtet
Migration und Flucht –
Aufgaben der Kirchen
32
(211.) Der kirchliche Sendungsauftrag schließt über die Verkündigung
der christlichen Glaubensbotschaft
von Gottes Gegenwart und Heil sowie
die Sorge für den einzelnen Menschen
hinaus die öffentliche Verantwortung
für eine menschenwürdige, freie,
gerechte und solidarische Ordnung
ein. […] Der Einsatz für Menschenwürde und Menschenrecht, für
Gerechtigkeit und Solidarität ist für
die Kirchen konstitutiv und eine Verpflichtung, die aus ihrem Glauben an
Gottes Solidarität mit den Menschen
und aus ihrer Sendung, Zeichen und
Werkzeug der Einheit und des Friedens in der Welt zu sein, erwächst.
[…]
(222.) In der Auseinandersetzung
mit den Überlebensfragen der
Menschheit im Bereich von Gerech-
tigkeit, Frieden und Bewahrung der
Schöpfung sind mit den kirchlichen
Gruppen und Initiativen neue Formen
christlichen Engagements entstanden,
die auch für die Arbeit an den Problemen von Migration und Flucht von
besonderer Bedeutung sind. In einem
Wechselspiel mit den Institutionen
und Werken der Kirchen wird für eine
menschenwürdige Aufnahme von
Flüchtlingen und eine Integration
derer gearbeitet, die auf lange Zeit
oder auf Dauer aufgenommen werden
müssen. Ebenso geht es um die Erhaltung und Verbesserung der migrations- und flüchtlingspolitischen
Rahmenbedingungen und die Bekämpfung der Fluchtursachen. […]
Aus: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/Sekretariat der
Deutschen Bischofskonferenz/Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in
Deutschland (Hg.), „… und der Fremdling, der in deinen Toren ist.“
Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht (= Gemeinsame Texte 12), Bonn u. a. 1997.
[M13]
C3
Effekte von Migration und
Flucht für das Herkunftsland
Das Afrika Flüchtlingsprogramm „Große
Seen“ (ARP) in Nairobi als ein Beispiel für ein
nachhaltiges kirchliches Flüchtlingsprojekt
5
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[…] Nach dem Völkermord 1994 in Ruanda strömten etwa
zehntausend Flüchtlinge in die kenianische Hauptstadt
Nairobi. Durch die beiden folgenden Kongokriege und
den Bürgerkrieg in Burundi stieg deren Zahl weiter an. Die
Regierung Kenias duldete die Flüchtlinge, tat aber sonst
wenig. Anträge beim UN-Flüchtlingsprogramm bedeuteten einen endlosen bürokratischen Hürdenlauf und endeten meist mit Ablehnung. Auch kirchliche Stellen waren
überfordert. Viele Flüchtlinge sprachen weder Englisch
noch das lokale Kisuaheli, so dass die örtlichen Pfarreien
ihnen keine geistliche Heimat bieten konnten. Darum gründeten Ordensleute das ARP [Africa Refugee Programme
„Great Lakes“], das auf die materiellen und spirituellen Nöte
der Flüchtlinge eingehen wollte. missio war von Anfang an
helfend dabei.
Es war kein Geld da, um alle Bedürfnisse abzudecken.
Nur durch Eigeninitiativen und gegenseitige Hilfe war ein
Überleben möglich. Die über die ganze Großstadt verstreuten Familien schlossen sich in 45 Solidaritätsgruppen
zusammen. Das erfahrene Leid und die gemeinsame Not
ließ sie zusammenwachsen. Die Solidaritätsgruppen sind
heute in vier Zonen organisiert. Eine Koordinationsgruppe
gewährt Zusammenhalt, greift bei Konflikten ein, trifft
letzte Entscheidungen über die Verteilung der Gelder von
missio und anderer Organisationen und schreibt Berichte.
Grundprinzip des Programms ist Subsidiarität und Eigenhilfe. Niemand erhält Hilfe, der nicht von seiner Gruppe
empfohlen ist. Die Gruppe ist verantwortlich für die Ausführung aller Aktivitäten. Jeder, auch der Ärmste, muss
etwas beisteuern, um Mitglied zu werden. Ein erster Beitrag ist es bereits, pünktlich zu den Treffen zu kommen. Bei
akuten Notfällen hilft die Gruppe mit. Bei der Verwirklichung
des „Überlebensprojekts“ sind alle mit Rat und Tat dabei.
Wenn einer verhaftet wird, weil er keine Papiere hat, setzen sich die anderen für ihn ein. (…)
Flüchtlinge kommen oft nur mit dem, was sie auf dem
Leib tragen. Das ARP gibt ihnen als Starthilfe das Allernötigste: ein Dach über dem Kopf (…), eine Matratze zum
Schlafen, einen Kochtopf und Lebensmittel. In dieser Zeit
muss sich jeder ein „Überlebensprojekt” überlegen. Je
nach Fähigkeiten und Möglichkeiten kann das z.B. sein:
Essen kochen und auf der Straße anbieten, eine Musikband
bilden, Kleider nähen und verkaufen, Kunstgegenstände
anfertigen. Der Neuankömmling legt seiner Solidaritäts-
gruppe seine Idee vor. Dann wird beraten und geprüft.
Schließlich bekommt er/sie einen Kleinkredit von etwa
100 – 200 Euro. (…) Trotz aller Anstrengungen bleibt das
Flüchtlingsleben immer prekär. Die Polizei kann kommen
und alles einkassieren. Der Markt ändert sich, es gibt keine
Nachfrage mehr. Krankheit macht arbeitsunfähig. Das hart
verdiente Geld reicht gerade zum Überleben: Miete, Essen,
Kleidung. Rücklagen sind kaum möglich. Wenn jemand in
der Familie krank wird oder gar stirbt, hat das ARP wenigstens einen Nothilfe-Fonds.
Die Flüchtlinge kommen aus Kriegssituationen. Soldaten haben ihre Häuser zerstört, Ehepartner oder Kinder vor
ihren Augen gefoltert und ermordet, Frauen vergewaltigt.
Das Herz ist voll von Bitternis, Hass und Rache. Auch im
Fluchtland erfahren die Flüchtlinge Demütigung und Verachtung. Das ist kein Umfeld, um traumatische Wunden
zu heilen und einen Neubeginn zu schaffen. (…) Das ARP
will die Flüchtlinge aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt herausführen: Über mehrere Jahre hinweg werden
Seminare und Workshops abgehalten, um eine gewaltlose
Praxis in Situationen des täglichen Lebens einzuüben. Die
Flüchtlinge werden in die Prinzipien der gewaltlosen Kommunikation eingeführt: Probleme auszusprechen, aber
ohne verbale Aggression, ohne zu urteilen oder zu verurteilen. (…) Meditation und Gebet helfen, die Kraft zum Verzeihen und so den inneren Frieden wiederzugewinnen.
Durch Erfahrungsaustausch und Rollenspiele (…) lernen Jugendliche, das alte Stammesdenken und nationale
Vorurteile zu überwinden, und andere Kulturen mit ihren
Stärken und Schwächen zu schätzen. Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft. Das wissen die Flüchtlinge, Eltern wie
Kinder. Das ARP fördert darum die Integration der Jugendlichen in kenianische Schulen. Nach dem Schulabschluss gibt
es die Möglichkeit einer praktischen Berufsausbildung:
Kurse in Computertechnik, Schneiderei, Automechanik.
So manche Jungen und Mädchen haben dadurch eine
Arbeit gefunden. Schwierig wird es für die Hochbegabten,
die davon träumen, Arzt, Psychiater oder Lehrer zu werden. Ein Universitätsstudium ist unerschwinglich.
Gemeinsames Leid und Überlebensnot haben zum
Zusammenkommen der Religionen geführt. Katholiken,
Pfingstler und Muslime beten in ihren Solidaritätsgruppen
gemeinsam. Jugendliche treffen sich einmal im Monat und
tauschen sich über ihren Glauben aus. In der Begegnung
der Religionen werden Vorurteile abgebaut und der eigene
Glaube besser verstanden und gestärkt.
P. Wolfgang Schonecke, Leitfaden zum Monat der Weltmission 2008
Arbeitsauftrag:
Auf welche Weise realisiert das missio-ARP-Projekt von
P. Schonecke die „Leitlinien“ der Kirchen in Deutschland
bzgl. des Umgangs mit Migration/Flucht (vgl. Textauszüge: „Migration und Flucht – Aufgaben der Kirchen“)?
Stellen Sie Ihre Gruppenergebnisse in einem Schaubild
auf A3-Plakaten dar!
45
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Glaube
verpflichtet
33
[M14]
C3
Leitlinie
„Menschenwürdige Aufnahme“
– Akzeptanz der Flüchtlinge als handlungsfähige Individuen: Eigeninitiative
statt „Entmündigung“
– Unterstützung je nach Fähigkeiten und
Möglichkeiten
– spirituelles Angebot, das dem Menschen als religiösem Wesen Raum gibt:
Meditation, Gebet, Austausch über
Religion und Glaube
Glaube
verpflichtet
34
Leitlinie
„Verbesserung der Rahmenbedingungen“
– materielle Starthilfe: Unterkunft,
Matratze, Kochtopf, Lebensmittel
– Weiterbildung: Einübung in gewaltlose
Praxis
– Integration jugendlicher Flüchtlinge in
Schulen vor Ort
– Ausbildung: Kurse in Computertechnik,
Schneiderei, Automechanik
Afrika
Flüchtlingsprogramm
„Große Seen“ (ARP)
Realisierung einer
menschenwürdigen, freien,
gerechten und solidarischen
Ordnung als Zeichen für
Gottes Solidarität
Leitlinie
„Bekämpfung von Fluchtursachen“
– Einübung in gewaltlose Praxis
– Erfahrungsaustausch/Rollenspiele:
Überwindung ‚alten’ Stammesdenkens
und nationaler Vorurteile
– Ausbildung: Kurse in Computertechnik,
Schneiderei, Automechanik
[M15]L
C3
Sozialprinzipien verpflichten –
Kirchliches Engagement angesichts von Migration und Flucht
missio – ein international tätiges Hilfswerk der katholischen Kirche – setzt sich unter anderem für Migranten
und Flüchtlinge ein, um die Frohe Botschaft Jesu auch
heute erfahrbar werden zu lassen.
Z. B. wurde Anfang der 1990er Jahre von dem deutschen Afrika-Missionar Wolfgang Schonecke das Africa
Refugee Programme „Great Lakes“ (ARP) in Nairobi
gegründet und seit seinen Anfängen von missio gefördert: Das Projekt erreicht in den Lagern der kenianischen
Hauptstadt jährlich knapp dreitausend Flüchtlinge aus
Burundi, Kongo und Ruanda. Zielsetzung des ARP ist es,
die Menschen nicht nur zu betreuen, sondern sie auch an
der Gestaltung ihrer Zukunft zu beteiligen. In diesem Sinne
zeigt sich das entsprechende Engagement von den in der
katholischen Soziallehre entfalteten Prinzipien geprägt:
Sozialprinzip
Umsetzung im ARP
Solidarität beruht auf der Gleichheits-Idee aller Menschen.
Da Menschen in Gemeinschaften leben, sind sie alle aufgefordert, ihren Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft zu leisten und sich für eine gerechtere Verteilung der Lebenschancen zu engagieren. Umgekehrt hat sich auch eine
Gemeinschaft um das Wohl ihrer einzelnen Mitglieder zu
sorgen (= wechselseitiges Geben und Nehmen).
– Zusammenschluss von Familien in Solidaritätsgruppen
– Koordinationsgruppe für mehrere Solidaritätsgruppen:
Gewährleistung von Zusammenhalt; Eingreifen in
Konflikten; Verteilung der Hilfs-Gelder
– Einsatz für den anderen (z. B. bei Problemen mit der
Polizei)
– „Überlebensprojekt“: Unterstützung der Gruppe
durch eigenen Verdienst
– ARP als Äußerung der Solidarität mit Flüchtlingen
Subsidiarität folgt der Idee: Hilfe zur Selbsthilfe. Was der
Einzelne aus eigener Kraft vollbringen kann, darf die Gesellschaft ihm nicht abnehmen. Sie soll ihn vielmehr darin
unterstützen, die eigenen Kräfte einzusetzen, indem sie
Rahmenbedingungen schafft und notwendige Hilfestellung
gibt. Die Verantwortungsbereitschaft der einzelnen Person
ist somit gefordert und wird eingefordert.
– Pflicht eines jeden, zum Leben der Solidaritätsgruppe
etwas beizusteuern (Anwesenheit; Verdienst; …)
– lediglich Starthilfe durch das ARP (Grundversorgung)
– Verpflichtung eines jeden, sich ein „Überlebensprojekt“ zu überlegen (z. B. Essensverkauf; Kleidungsanfertigung; …), dessen Initiierung von der Gruppe
unterstützt wird
Existenz auf „eigene Füße“ stellen
Retinität (oder: Nachhaltigkeit) fordert ein, so mit (natürlichen) Ressourcen umzugehen, dass auch künftige Generationen gleiche Lebenschancen haben wie heute lebende.
Um dies zu gewährleisten, gilt es, in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Wirtschaft, Bildung …) verantwortlich zu handeln. Retinität meint aber auch die individuelle Befähigung, das eigene Leben auf Dauer gut
gestalten zu können.
– Veranstaltung von Workshops und Seminaren durch
das ARP: Einführung in gewaltlose Praxis des täglichen
Lebens, da viele Flüchtlinge traumatische Erlebnisse
hinter sich haben
– Abbau von nationalen und ethnischen Vorurteilen
durch Erfahrungsaustausch
– Bereitstellung von Bildungsmöglichkeiten
– Unterstützung Jugendlicher durch das ARP:
Ermöglichung einer Berufsausbildung
Personalität als umfassendes Prinzip
Gottesebenbildlichkeit – Maßstab des Handelns
Der Grundsatz der Personalität gilt als unverrückbarer
Maßstab und Grundlage aller übrigen christlichen Sozialprinzipien. Begründet in der biblischen Gottesebenbildlichkeits-Idee und dem Glauben an die Erlösung durch
Jesus Christus sind Einzigartigkeit sowie Freiheit eines jeden
Menschen unantastbar: Alle Menschen sind gleich und
mit einer unantastbaren Würde ausgestattet. Die Lösung
gesellschaftlicher Fragen muss so gestaltet werden, dass sie
dem Wohl der Person dient und dass der Einzelne sich frei
entfalten kann.
„Der Mensch ist Geschöpf Gottes, nach seinem Bild
geschaffen (Gen 1,27). In jedem Menschen sieht der Gläubige das Antlitz Gottes. Jeder Mensch ist deshalb, unabhängig von seiner Herkunft und seinem rechtlichen Status,
einmalig und in dieser Einmaligkeit Maßstab jedes zwischenmenschlichen und staatlichen Handelns. […] Für gläubige
Christen endet die Sensibilität für Arme und Bedürftige nicht
an ethnischen Grenzen […]. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) wird eindrücklich unterstrichen,
dass das Recht auf Hilfeleistung im Notfall auch dem bisher Fernstehenden zusteht, also auch dem Menschen, der
von uns durch ethnische oder religiöse Schranken getrennt
ist; die entgrenzende Liebe macht ihn zum Nächsten.“
Aus: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Leben in der Illegalität in Deutschland – eine humanitäre und pastorale Herausforderung,
Bonn 2001, 36 f.
Glaube
verpflichtet
35
CD:
[PDF]
M15_S.pdf
[Word]
M15_L.doc
M15_S.doc
C4
Probleme im
Verborgenen
36
Probleme im Verborgenen –
Leben in der Illegalität
Doppelstunde
Stundenziel: Verschiedenste Einblicke sensibilisieren die
Schülerinnen und Schüler für die Probleme, welche Menschen haben, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in
Deutschland leben. Dies bildet den Ausgangspunkt, sich in
unterschiedliche Perspektiven hineinzuversetzen, aus denen
heraus verschiedene Interessen hinsichtlich des Problems
„illegal in Deutschland“ formuliert werden. Die Schülerinnen und Schüler sehen sich dadurch mit der Komplexität
dieses Problemhorizontes konfrontiert; vor allem registrieren sie, dass es schwer ist, gute und unkomplizierte Lösungen zu finden.
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
20
Motivation
Die Schülerinnen und Schüler werden mittels eines Filmausschnitts mit dem Problem „illegal in Deutschland“ konfrontiert
und aktivieren diesbezüglich eigene Vorstellungen.
– Video-Clip: „Paloma“ (bis 5:21)
– Schreibgespräch, das die Eindrücke des Filmes aufnimmt
und sich so mit dem Problem „… illegal in Deutschland
…“ befasst
– Lehrerinfo Schreibgespräch: Die Schülerinnen und Schüler
kommunizieren zum vorgegebenen Impuls ohne zu sprechen durch das Aufnotieren ihrer Gedanken miteinander.
Kommentare zu einem bereits notierten Gedanken werden
durch Verbindungsstriche kenntlich gemacht. Die Schreibgesprächsgruppen sollten nicht mehr als fünf Personen
umfassen.
– Sammeln und Besprechen ausgewählter Ergebnisse der
Schreibgespräche sowie weiterer Eindrücke zum Film
Methode
Medien
Ansehen
des Clips
Schreibgespräch
[M16]
(Clip)
[M17]
(AB)
Plenum
1
Überleitung
„Bereits in elementarsten Bereichen der Lebensgestaltung
erfahren sich Menschen, die sich in Deutschland ‚ohne Papiere’
aufhalten, als sehr eingeschränkt.“
LV
30
Erarbeitung /
Sicherung
Die Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich auf der Grundlage von Texten mit Schwierigkeiten, welche sich für Menschen
ergeben, die sich ohne Papiere „illegal“ in Deutschland aufhalten.
– Erarbeitung der problematischen Aspekte „Ausbeutung“,
„mangelnde Gesundheitsversorgung“, „erschwerter Zugang
zu Bildung“ anhand von Infotexten in arbeitsteiliger Einzelarbeit
– Impuls: „Arbeiten Sie zunächst aus Ihrem spezifischen
EA
Infotext alleine die Schwierigkeiten heraus, die sich für Menschen ergeben, die ‚ohne Papiere’ in Deutschland leben!
Finden Sie sich sodann in Gruppen zusammen: jeweils mit
GA
Ihren Mitschülern, die den gleichen Text bearbeitet haben.
Notieren Sie Ihre herausgearbeiteten problematischen
Aspekte auf Wandplakate!“
– Antwortkontext: vgl. [M21] (Beispiel für ein Wandplakat)
– kurze Erläuterungen zu den Wandplakaten (noch keine
Plenum
Diskussion!)
[M18] bis
[M20]
A2-Plakate
und Filzschreiber
[M21]
C4
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
Methode
Medien
1
Überleitung
„Die herausgearbeiteten Schwierigkeiten von Menschen, die sich
„ohne Papiere“ in Deutschland aufhalten, sind vor allem mit der
Meldepflicht öffentlicher Einrichtungen verknüpft.“
25
Transfer
Die Schülerinnen und Schüler erfassen in einer Diskussion, die
Fishbowl RollenArgumente für und wider eine Aufhebung der Meldepflicht in den
karten
Bereichen Beschäftigung, Gesundheitswesen und Bildung verhandelt,
für Stühle
die Konsequenzen eines nicht „menschenwürdigen“ Umgangs mit Per(Perspeksonen, die sich in Deutschland „illegal“ aufhalten. Durch die Einnahme
tiven A
unterschiedlicher Diskussionsperspektiven ist es ihnen möglich, die von
mit E)
verschiedenen Interessen beeinflussten Argumentationsstrukturen zu
internalisieren.
– Lehrerinfo Fishbowl: Bei einer Fishbowl-Diskussion diskutiert lediglich eine kleine Gruppe von Teilnehmern des Plenums im Innenkreis
(im „Goldfisch-Glas“, in das die anderen „hineinsehen“) die Thematik. Die übrigen Teilnehmer sitzen währenddessen im Außenkreis
und beobachten die Diskussion. Möchte ein Teilnehmer aus dem
Außenkreis in die Diskussion einsteigen, signalisiert er dies dem
betreffenden Mitglied des Innenkreises, mit welchem er Platz tauschen will, indem er sich hinter diesem positioniert. An geeigneter
Stelle tauschen die Teilnehmer selbständig die Plätze, so dass das
Fishbowl immer die gleiche Anzahl an (sich abwechselnden) Teilnehmern hat.
– Fünf Personen diskutieren aus verschiedenen, vorgegebenen Perspektiven den Umgang mit Menschen, die „ohne Papiere“ in
Deutschland leben. Die jeweiligen Perspektiven sind durch entsprechende Hinweise auf den Stühlen des Fishbowl-Innenkreises kenntlich.
– Impuls: „Die herausgearbeiteten Schwierigkeiten von Menschen,
die sich „ohne Papiere“ in Deutschland aufhalten, sind vor allem
mit der Meldepflicht öffentlicher Einrichtungen verknüpft. Diskutieren Sie im Fishbowl Gründe für und gegen ein Aufheben dieser
Meldepflicht in den Bereichen Gesundheitswesen und Bildung!“
Perspektive A: Mitarbeiter/in einer Verwaltung, der/die Sorge hat,
dass noch mehr Menschen „ohne Papiere“ in Deutschland leben
Perspektive B: Migrantin „ohne Papiere“, die schwanger ist
Perspektive C: Mitarbeiter/in des Forums „Menschen in Illegalität“,
der/die dazu beitragen will, dass Menschen in Deutschland menschenwürdig leben können
Perspektive D: Migrant/in „ohne Papiere“, der/die sein/ihr Kind in
die Schule schicken will
Perspektive E: Bürger/in, der/die eine „Illegale“ schon jahrelang als
billige Haushaltshilfe beschäftigt
13
Abschluss
abschließende Auswertung der Diskussionsergebnisse
Probleme im
Verborgenen
LV
UG
37
[M16]
C4
Probleme im
Verborgenen
38
CD:
[Clip]
M16.mov
[M17]
C4
Probleme im
Verborgenen
... illegal in Deutschland …
…
39
[M18]
C4
Ausbeutung von Menschen
ohne Papiere in Deutschland
Probleme im
Verborgenen
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Leben wie im Gefängnis
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Sie arbeitet als Haushälterin, schickt regelmäßig Geld an ihre
Familie in ihrem Heimatland und hat Angst, entdeckt zu
werden: Gloria Rodriguez hält sich illegal in Frankfurt auf.
Sie sieht wegen ihrer wirtschaftlichen Not und der ihrer
Familie keine andere Möglichkeit. Freiheit. Dieses Wort hat
für Gloria Rodriguez, so soll sie heißen, einen besonderen
Klang. Die Lateinamerikanerin träumt von Freiheit. Denn
bestimmt wird ihr Leben von der Angst. Der Angst, entdeckt zu werden. Dass Gloria Rodriguez ihren richtigen
Namen nicht nennt, liegt auf der Hand: Die Dreiundvierzigjährige, die irgendwo in Frankfurt wohnt, hält sich illegal in Deutschland auf. […] [Ihr] Visum lief ab, doch Gloria Rodriguez blieb, um sich und ihre Familie zu ernähren.
„Sich um bessere Lebensbedingungen zu kümmern kann
ja wohl keine Sünde sein. Wir wollen in Würde leben.“
So schickt sie jetzt jeden Monat rund 150 Euro an ihre
Eltern und ihre beiden Kinder. Der Kindsvater hatte sich aus
dem Staub gemacht, und das Geld, das sie in ihrem Herkunftsland als Sekretärin verdiente, reichte hinten und
vorne nicht, wie sie erzählt. „Viele Frauen sind, wie ich,
alleinerziehend.“ In Frankfurt und Umgebung arbeitet sie
heute als Haushälterin bei mehreren Familien. Manche
ihrer Arbeitgeber wissen um ihren fehlenden Aufenthaltsstatus – „aber das interessiert sie nicht weiter“. […] Seit drei
Jahren wohnt sie in Frankfurt und weiß, dass sie geltendes
Recht verletzt: „Dass ich gegen Regeln verstoße, ist mir klar.
Das vergesse ich nicht.“ Aber sie sieht derzeit keine andere
Chance, sich und ihre Familie über Wasser zu halten.
„Man muss sich ständig beschränken, das Leben ist
deprimierend.“ Ihre Angst bekämpft Gloria Rodgriuez mit
dem Versuch, selbstbewusst aufzutreten. Doch wenn sie
Polizisten auf der Straße sieht, wechselt sie die Richtung –
aus Furcht, nach Papieren gefragt zu werden. […] Gloria
Rodriguez verdient neun Euro je Stunde. „Das ist in Ordnung", sagt Judith Rosner [, die an einer Studie über die
Situation Illegaler mitgeschrieben hat]. Beide wissen aber
von Fällen schlimmer Ausbeutung. „Auch ich habe die
Erfahrung gemacht, sehr schlecht bezahlt zu werden“,
fügt die Lateinamerikanerin an. […]
Stefan Toepfer, Leben wie im Gefängnis. Eine illegal in Frankfurt
lebende Frau aus Lateinamerika schildert ihren Alltag, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.3.2006.
Irreguläre Migration und Arbeitswelt
5
[…] Eine im Jahr 2006 für das Internationale Arbeitsamt
(IAA) erstellte Studie über „Menschenhandel und Arbeitsausbeutung in Deutschland“ dokumentiert Fälle extremer
Ausbeutung von Wanderarbeitern. […] Zusätzlich ist in
Deutschland eine erhebliche Zahl von Wanderarbeitern illegal beschäftigt, vor allem in privaten Haushalten, im Baugewerbe, im Hotel- und Gastronomiebereich und in der Landwirtschaft. Von Behörden und auch den Gewerkschaften
wird einseitig und undifferenziert eine „Sozialschädlichkeit“
illegaler Beschäftigung beklagt. Es wird unterstellt, dass einheimische Arbeitskräfte durch illegale Beschäftigung ihren
Arbeitsplatz verlören. Gefordert werden mehr Kontrollen,
schärfere Gesetze und härtere Bestrafung von Schwarzarbeitern.
Verschwiegen wird, dass einige Formen der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung durchaus auch positive ökonomische Gesamtwirkung aufweisen. Letztlich profitieren
Konsumenten in bestimmten Marktsegmenten mit niedrigeren
Preisen für Waren und Dienstleistungen. Weitgehend ignoriert wird, dass im Zusammenhang mit der Beschäftigung von
Wanderarbeitern ein erhöhtes Risiko besteht, Opfer von
Ausbeutung zu werden.
[…] Die Palette möglicher Verstöße ist breit: An erster
Stelle ist das teilweise oder vollständige Vorenthalten vereinbarten Lohns zu nennen. Sodann sind massive Verletzungen von Arbeitschutz- und Arbeitszeitbestimmungen
weit verbreitet. Schließlich werden Wanderarbeiter bei Unfall oder Krankheit nicht medizinisch versorgt, sondern von
Arbeitgebern entlassen und ausgesetzt. Betroffene Wanderarbeitnehmer sehen keine Möglichkeit, vorenthaltenen Lohn
einzuklagen oder die Einhaltung geltender Beschäftigungsstandards einzufordern. Sie sind über bestehende Ansprüche
und auch die Wege zur Durchsetzung dieser Rechte nicht
informiert.
Dabei bietet das deutsche Recht auch ausländischen
Wanderarbeitern einen weitgehenden rechtlichen Schutz.
Prinzipiell haben alle Wanderarbeiter – unabhängig vom
Aufenthaltsstatus – Anspruch auf Einhaltung aller gesetzlichen
Bestimmungen zur Regelung von Arbeitsbedingungen,
Arbeitsschutz und Arbeitszeit. Weiterhin besteht Anspruch auf
Lohn für die faktisch geleistete Arbeit. […] Die Durchsetzung
von Rechten wird jedoch durch die Situation der grenzüberschreitenden vorschriftswidrigen Beschäftigung erschwert.
Denn tatsächlich führt die Aufdeckung eines Verstoßes gegen
aufenthaltsrechtliche Bestimmungen zur Festnahme und
Ausweisung. […]
Unter diesen Bedingungen arrangieren sich Wanderarbeiter auch mit Arbeits- und Lohnverhältnissen, die sie freiwillig nicht akzeptieren würden. Denn Wanderarbeiter haben
viel zu verlieren. Selbst ein Entgelt, das weit unterhalb des in
Deutschland üblichen tariflichen oder ortsüblichen Lohnes
liegt, kann ein sehr attraktives und hohes Einkommen bilden,
wenn er oder sie das verdiente Geld im Herkunftsland ausgibt. Mit einem Lohn, der aus deutscher Sicht als Hungerlohn
bezeichnet werden muss, konnten Wanderarbeiter aus mittelund osteuropäischen Staaten den Lebensstandard für sich und
ihre Familien nicht nur halten, sondern auch erhöhen. Durch
die Einnahmen aus der Wanderarbeit werden Häuser renoviert und gebaut, die Ausbildung der Kinder finanziert, Autos
gekauft oder ein eigener Betrieb eröffnet. […]
Die Zufriedenheit beruht jedoch in den meisten Fällen auf
sehr unsicheren Grundlagen, denn die Beschäftigung von
Wanderarbeitern erfolgt überwiegend auf einer befristeten
und ungeschützten Basis und bietet keine Zukunftssicherheit.
Aufgrund der rechtlichen Unsicherheit kann ein kleiner Anlass
die betroffenen Menschen in eine prekäre Situation stürzen,
denn Arbeitgeber lösen ein Arbeitsverhältnis einfach auf,
sobald ein Wanderarbeiter sich über Arbeits- und Lohnbedingungen beschwert oder erkrankt. Außerdem kann es sein,
dass noch nicht einmal der in Aussicht gestellte Lohn ausgezahlt wird. […]
Norbert Cyrus, Irreguläre Migration und Arbeitswelt. Aktuelle politische
Ansätze für einen humanitären Umgang, Fachtagung „Normen contra
Humanität?“ 1.4.2008 Hannover.
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[M19]
Probleme der Gesundheitsversorgung von Menschen
ohne Papiere in Deutschland
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Das Recht auf Gesundheit gehört zu den grundlegenden
Menschenrechten, die für alle in Deutschland lebenden
Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus gelten.
So formuliert die 1973 von Deutschland unterzeichnete UNKonvention über ökonomische, soziale und kulturelle
Rechte (UN-Sozialpakt) in Art.12 das Recht aller Menschen auf den höchsten erreichbaren Gesundheitszustand.
Der für die Einhaltung dieser Konvention zuständige UNAusschuss hat in einem General Comment ausdrücklich
betont: „Medizinische Einrichtungen und ärztliche Betreuung müssen für alle, insbesondere für die besonders schutzbedürftigen und an den Rand gedrängten Gruppen der
Bevölkerung de jure und de facto ohne Verletzung des Diskriminierungsverbots zugänglich sein.“ […] In Deutschland
haben Menschen ohne Papiere, d. h. ohne legalen Aufenthaltsstatus, einen Rechtsanspruch auf medizinische
Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Unbeschadet dieser Rechtslage ist die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere in Deutschland
stark defizitär, da die meisten Männer, Frauen und Kinder
ohne Papiere aus Furcht vor Aufdeckung ihres Status ihr
Recht auf medizinische Versorgung nicht wahrnehmen.
Ausschlaggebend für ihr Verhalten sind die in § 87 des Aufenthaltsgesetzes festgelegten behördlichen Übermittlungspflichten. Danach haben öffentliche Stellen, wozu
im Gesundheitsbereich u. a. Krankenhäuser in öffentlicher
Trägerschaft, Gesundheits- und Sozialämter gehören,
„unverzüglich die zuständigen Ausländerbehörden zu
unterrichten, wenn sie von dem Aufenthalt eines Ausländers Kenntnis erlangen, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt
ist“. Diese Übermittlungspflichten im elementaren Bereich
der gesundheitlichen Versorgung sind in dieser Form unter
den anderen europäischen Staaten einmalig und bilden für
Menschen ohne Papiere die zentrale Zugangsbarriere zur
gesundheitlichen Versorgung. Sie nehmen deshalb ihr
gesetzlich verbrieftes Recht auf ärztliche Behandlung nur
im äußersten Notfall wahr mit der Folge, dass die Chance
einer frühzeitigen Diagnose und Behandlung vertan wird.
Der Krankheitsverlauf droht schwerer zu werden, vermeidbare stationäre Aufenthalte und die Gefahr chronischer
Beschwerden können die Folge sein, wie aus Praxisberichten und wissenschaftlichen Untersuchungen hervorgeht.
Besondere Schwierigkeiten bestehen bei Schwangerschaft
und Geburt von Kindern ohne Papiere. Auch die Gefahren
für die öffentliche Gesundheit im Fall von ansteckenden
Krankheiten wie Tbc [Tuberkulose] und AIDS u. a. dürfen
nicht übersehen werden. […]
Ein zweiter Faktor, der die Gesundheitsversorgung
erheblich erschwert, ist die schwierige materielle Situation
der Menschen ohne Papiere, da sich nur die wenigsten unter
ihnen eine Behandlung auf Selbstzahlerbasis finanziell leisten können. In der Regel bleibt nur der Gang zum Sozialamt, um die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch zu nehmen. Dies jedoch wird
durch die Übermittlungspflicht des Sozialamts oder der
Verwaltung öffentlicher Krankenhäuser an die Ausländerbehörden verhindert.
Die dargestellten Probleme haben zur Folge, dass in
Deutschland seit einigen Jahren nichtstaatliche Strukturen
der Hilfe und Unterstützung kranker Menschen ohne
Papiere entstanden sind, z. B. die Malteser Migranten
Medizin oder die Medinetze in einigen größeren deutschen Städten. Dort wird auf ehrenamtlicher Basis eine in
der Regel kostenlose ärztliche Behandlung durch dem Netz
angeschlossene Ärzte, Hebammen, Therapeuten, Apotheker u. a. vermittelt. Ferner wird um Spenden geworben,
um möglichst auch kostspieligere Behandlungen, teuere
Medikamente und Krankenhausaufenthalte finanzieren zu
können. Diese Parallelstrukturen sind jedoch in der Regel
nicht hinreichend finanziell ausgestattet und existieren
nicht auf dem flachen Land, bilden also lediglich einen
unzureichenden Flickenteppich in einigen Teilen Deutschlands. Sie können somit im Ergebnis eine adäquate und
nachhaltige Gesundheitsversorgung von Menschen ohne
Papiere nicht sicherstellen.
Vor dem Hintergrund dieser unbefriedigenden und
gegen elementare Menschenrechte verstoßenden Situation
fordern Kirchen, Wohlfahrtsverbände, NGOs, IPPNW, die
Bundesärztekammer u. a. von der Bundesregierung, das
Problem der unzureichenden Gesundheitsversorgung von
Menschen ohne Papiere einer strukturellen Lösung zuzuführen. Auf Betreiben des Katholischen Forums „Leben in
der Illegalität“ haben über 400 prominente Persönlichkeiten aus allen gesellschaftlichen Bereichen in einem Manifest die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte und das
Katholische Forum haben im März 2006 eine bundesweite
Arbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität ins Leben gerufen,
in der sich Experten aus der Wissenschaft, der Kommunalverwaltung, der medizinischen Praxis, der Kirchen,
Wohlfahrtsverbände und verschiedener NGOs zusammengefunden haben, um konkrete Konzepte zu erarbeiten, wie
der Zugang von Menschen ohne Papiere zur Gesundheitsversorgung verbessert werden kann. Im Vordergrund
stand dabei die Suche nach einer praktikablen Lösung, die
eine strukturelle Verbesserung der Versorgungssituation
der Betroffenen und eine adäquate Finanzierung der
Gesundheitsleistungen verspricht. Die zentralen Ergebnisse des Diskussionsprozesses wurden in einem im September 2007 fertig gestellten Bericht zusammengefasst, in
dem verschiedene Vorschläge vorgestellt werden: die Einrichtung eines Fonds für Nichtversicherte auf Bundesebene, der Zugang von Menschen ohne Papiere zur Krankenversicherung, die Vermittlung von anonymen
Krankenscheinen und der Ausbau der Gesundheitsämter.
[…]
In seiner Zusammenfassung kommt der Bericht der
Bundesarbeitsgemeinschaft zu dem Ergebnis, dass die
diskutierten Vorschläge auf Grund der bestehenden gesetzlichen und finanziellen Beschränkungen allenfalls sehr
begrenzte und provisorische lokale Teilverbesserungen bieten. Die Bundesarbeitsgruppe empfiehlt daher, menschenrechtskonforme Lösungen für Menschen ohne Papiere
zu entwickeln, konkret „die gesetzlichen Übermittlungspflichten des Aufenthaltsgesetzes in Recht und Rechtspraxis soweit einzuschränken, wie es für die Wahrnehmung der sozialen Rechte im Bereich der
Gesundheitsversorgung notwendig ist“. In der Praxis
bedeutet dies, dass die Leiter und Angestellten von öffentlichen Krankenhäusern, Sozialämtern und Beratungsstellen
von der Meldepflicht ausgenommen werden. […]
Gerd Pflaumer, Probleme der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne
Papiere in Deutschland, Fachtagung „Normen contra Humanität?“ 1.4.2008
Hannover.
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Probleme
im Verborgenen
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[M20]
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Zugangsschwierigkeiten
zu Bildung für Menschen ohne
Papiere in Deutschland
Probleme im
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Deutschlands vergessene Kinder
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Wer Ramón zum ersten Mal trifft, bemerkt nichts. Ein ganz
normaler 15-Jähriger, dunkle kurze Haare, helle Haut,
Nike-Kapuzenpulli, weite Jeans – ein hübscher Junge. Er
besucht die zehnte Klasse eines Münchner Gymnasiums,
eine Stufe hat er übersprungen. Seine Lieblingsfächer sind
Mathe, Physik und Biologie. Später will er Arzt werden. […]
Wer Ramón sehr gut kennt – und das ist genau ein Mitschüler – der weiß, warum in dieser Geschichte nicht sein
richtiger Name steht: Ramón ist illegal in Deutschland.
„Ich habe viel Glück gehabt”, sagt Ramón und lacht.
[…] Denn egal wo [er und sein Vater] Unterschlupf fanden, Ramón ist immer zur Schule gegangen. Damit ist er
eine Ausnahme. Zwar weiß niemand genau, wie viele Kinder in Deutschland in einer ähnlichen Situation sind wie
Ramón, doch Experten schätzen, dass etwa eine halbe bis
eine Million Menschen illegal in Deutschland leben, unter
ihnen vermutlich einige Zehntausend Kinder und Jugendliche. Sicher ist: Eine Schule besuchen nur die wenigsten.
Zu groß ist die Angst der Eltern, entdeckt und abgeschoben zu werden.
Dass Ramón inzwischen sogar aufs Gymnasium geht,
verdankt er gleich mehreren Menschen: seinem Vater, seinem Rektor, seinem Klassenlehrer, dem Münchner Stadtrat
und natürlich auch sich selbst. Als er vor sechs Jahren in
Deutschland ankam, sprach er kein Wort Deutsch. Trotzdem war er in der Hauptschule, die er zunächst besuchte,
der beste Schüler. Schnell begann er sich zu langweilen.
Nach einem Jahr wollte er aufs Gymnasium wechseln.
„Mein Vater ist mit mir von Schule zu Schule gezogen und
hat gefragt, ob sie mich als Gastschüler aufnehmen”,
erinnert sich Ramón. Doch es hagelte nur Absagen. Erst
beim fünften Gymnasium hatten sie Glück. Der Rektor
begnügte sich mit dem Versprechen des Vaters, die Papiere
nachzureichen.
[…] Gegen Dienstrecht hat er damit trotzdem nicht verstoßen. Denn vor vier Jahren hat der Münchner Stadtrat
beschlossen: Das Recht auf Bildung muss für alle Kinder und
Jugendliche in der Stadt gelten. In einem Beschluss vom
Dezember 2004 heißt es: „Das Schulreferat wird gebeten,
allen Schulleitungen mitzuteilen, dass Kinder mit illegalem
Aufenthaltsstatus grundsätzlich schulpflichtig sind.” Die
Schulleitungen seien nicht verpflichtet, Nachweise zum
Aufenthaltsrecht zu verlangen. In anderen Bundesländern
sind sie das sehr wohl. Besonders strenge Regelungen gelten etwa in Hessen. Dort sind Schulen „zur Erfassung des
Aufenthaltsstatus und zur Meldung statusloser Kinder an
die Ausländerbehörde verpflichtet”, heißt es in einem
Schreiben, dass das Bildungsministerium im Oktober 2005
an die Schulämter schickte. Darin droht das Ministerium
sogar mit dienstrechtlichen Konsequenzen.
Kirchen und Flüchtlingsorganisationen fordern deshalb
schon seit langem, die Meldepflicht für Schulen in ganz
Deutschland aufzuheben. […]
Ann-Kathrin Eckardt, Deutschlands vergessene Kinder. Der 15-jährige
Ramón geht gern in die Schule – obwohl er das als Illegaler eigentlich
gar nicht darf, in: Süddeutsche Zeitung, 21.10.2008. © Alle Rechte vorbehalten. Süddeutsche Zeitung GmbH, München.
Recht auf Bildung für alle Kinder
Bildung ist ein grundsätzliches Kinder- und Menschenrecht.
Dies formuliert auch die UN-Kinderrechtskonvention. In
Artikel 28 (1) heißt es: „Die Vertragsstaaten erkennen das
Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere ... a) den
Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen ...“ Die in mehreren Bundesländern festgelegte
Ausgrenzung von Flüchtlingskindern aus der Schulpflicht
ist also auch ein eindeutiger Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. […] Inzwischen gibt es noch (Stand
Mai 2008) drei Bundesländer, die für diese Kinder anstelle
der Schulpflicht nur ein freiwilliges Schulbesuchsrecht
annehmen. Hierbei handelt es sich um Hessen, BadenWürttemberg und das Saarland. Dieses Schulbesuchsrecht
wird den Kindern und Jugendlichen aber oft unmöglich
gemacht: Mit dem Hinweis auf fehlende Schulpflicht können notwendige materielle Leistungen verweigert werden. Deutschkurse, die es diesen Kindern erst ermöglichen,
dem Unterricht zu folgen, werden oft nicht angeboten. Und
manchmal kann die Beschulung auch auf Grund mangelnder räumlicher oder personeller Kapazitäten abgelehnt
werden.
Ein Kind, das jahrelang nicht zur Schule gehen kann,
wird nicht wieder aufzuholende Bildungslücken haben, die ihm
im weiteren Lebenslauf viele Chancen verbauen. Auch wenn
diese Kinder nicht in Deutschland bleiben, sondern in ihr
Heimatland zurückgehen oder anderswo auf der Welt leben
werden – Bildung und Ausbildung nehmen sie überall mit hin.
Für Flüchtlingskinder hat Schule neben der formalen Bildung noch eine andere wichtige Funktion. Die alltägliche
Routine kann ihnen nach oft traumatischen Erlebnissen im
Heimatland und auf der Flucht ein Stück Normalität vermitteln. Die Belastungen, denen sie und ihre Familien ausgesetzt sind – eine fremde Sprache, Angst vor ständig
drohender Abschiebung, Sorge um in Kriegsgebieten
zurückgebliebene Familienmitglieder – können durch eine
gute Schule, die sie als Persönlichkeit annimmt, wenigstens
ein Stück weit abgefedert werden. Die Kinder können in
der Schule andere soziale Erfahrungen machen als in den
Flüchtlingsunterkünften, sie können Stabilisierung, Orientierung und Integration erfahren.
[…] Eine besondere Situation ergibt sich für die Kinder
illegaler Flüchtlinge in Deutschland. Hier steht das aktuelle
Ausländerrecht [der Bundesrepublik Deutschland] im Widerspruch zu Artikel 28 (1) UN-Kinderrechtskonvention. So sind
öffentliche Stellen wie Jugendämter und Schulen, aber
auch Mitarbeiter in Kindertagesstätten, die in öffentlicher
Trägerschaft sind sowie in bestimmten Fällen Mitarbeiter
kirchlicher oder nichtkirchlicher Organisationen dazu verpflichtet, Ausländerbehörden über illegale Ausländer zu
informieren. Eine Ausnahmeregelung für Schul- oder Kitapersonal existiert nicht. [Die Meldepflicht hat zur Folge, dass
Eltern sich scheuen, ihre Kinder ohne regulären Aufenthaltsstatus auf öffentliche Schulen und in öffentliche Kindergärten zu schicken, weil sie mit Abschiebung oder sonstigen ausländerrechtlichen Sanktionen rechnen.] Die
Gefahr der Strafbarkeit bei Zuwiderhandlung besteht also
grundsätzlich. Zu beachten ist aber: Dass sich Kinder illegal in Deutschland aufhalten ist nicht ihre, sondern die Entscheidung ihrer Eltern – ihr Recht auf Bildung bleibt davon
unberührt. Deshalb sollten bestimmte öffentliche Stellen,
insbesondere die Schulen und Kindertagesstätten, von der
Meldepflicht entbunden werden, um auch Kindern illegaler Flüchtlinge den Schul- und Kitabesuch zu ermöglichen.
Deutsches Kinderhilfswerk (Hg.), Niemanden ausgrenzen! Recht auf
Bildung für alle Kinder (= Positionspapier), Berlin 2008.
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Grundlage: Chancengleichheit
Besuch der Grundschule ist Pflicht
für alle Kinder und unentgeltlich
UN-Kinderrechtskonvention, Art. 28
Menschenrecht auf Bildung
„Illegal“ in Deutschland –
Zugangsschwierigkeiten
zu Bildung
Schulen nehmen
Kinder„ohne Papiere“
kaum auf.
Eltern „ohne
Papiere“ schicken
ihre Kinder nicht in
die Schule aus Angst,
entdeckt zu werden.
Jugendämter, Schulen, Kindertagesstätten
etc. sind verpflichtet, Ausländerbehörden
über „illegale“ Ausländer zu informieren.
Bundesrepublik Deutschland,
Meldepflicht
Benachteiligung von Kindern
„ohne Papiere“ in verschiedenster
Hinsicht:
– deutsche Sprache wird kaum
erlernt
– Chancen für späteres Leben
(Beruf; Verdienst; …)
werden verbaut
– Leben in „Unnormalität“
fremde Sprache
Langeweile
ständige Angst vor
Abschiebung
kaum soziale Erfahrungen/
Begegnungen mit
Gleichaltrigen
Traumata aus Fluchterfahrungen werden schlechter
[M21]
C4
Probleme im
Verborgenen
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44
Fremde Heimat, neue Heimat –
Integration und Inklusion von
Migranten und Flüchtlingen in
die Gesellschaft
Stundenziel: Am Ende der Unterrichtssequenz sehen sich
die Schülerinnen und Schüler in dieser Unterrichtsstunde aufgefordert, stereotype Zuschreibungen an Migranten und
Flüchtlinge in Deutschland zu revidieren und über „Integration“ und „Inklusion“ als Maßstäbe einer verantworteten Aufnahme nachzudenken. Emotionalisiert dafür werden sie durch
einen Rap-Song eines Kosovoflüchtlings, der über die Situation von Migranten in Deutschland klagt. Ihr gesammeltes
Vorwissen zum Problemkontext „Migration/Flucht“ operationalisieren die Schülerinnen und Schüler, insofern sie eigene
Projektskizzen entwerfen, wie Migranten/Flüchtlinge in
Deutschland verantwortet integriert werden könnten.
In der Folgestunde präsentieren die Lernenden ihre erarbeiteten Ergebnisse. Eine zusätzliche Internetrecherche kann
aufzeigen, welche Projekte zur Integration von Migranten/Flüchtlingen in Deutschland momentan laufen.
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
8
Motivation
Mit dem Rap „Heimatlos“ von Colos, einem Berliner Rapper,
der aus dem Kosovo fliehen musste, werden die Schülerinnen
und Schüler für emotionale Problemkontexte aufmerksam, mit
denen Flüchtlinge im Einwanderungsland zu leben haben.
Zugleich hinterfragen die Lernenden stereotype Zuschreibungen, mit denen sich Flüchtlinge in Deutschland konfrontiert
sehen.
– Lied: „Heimatlos“ von Colos
Hörauftrag: „Hören Sie das Lied an und arbeiten Sie die
Problemkontexte für junge Migranten in Deutschland heraus, die Colos darin benennt!“
– Antwortkontext: keine Heimat; Sehnsucht nach der Heimat; beengte Wohnverhältnisse; keine Akzeptanz bei „Einheimischen“ und deshalb vor allem Kontakt unter „Ausländern“; Konfrontation mit Stereotypisierungen:
bereitwilliges Verlassen der Heimat, Glücklichsein über
Leben in Deutschland; Interesselosigkeit am Schicksal von
Flüchtlingen; …
– Impuls: „Der Refrain ‚Ausländer hier, …’ formuliert implizit
Erwartungen von Menschen, die ihre Heimat aufgeben
mussten, an uns. Konkretisieren Sie diese (u. a. im
Rückblick auf die benannten Problemkontexte)!“
– Antwortkontext: Akzeptanz; keine Stigmatisierung als
„Ausländer“; Deutschland zum Heimatland werden lassen:
Integration; Kommunikation/Ins-Gespräch-Treten; …
Methode
Medien
HB
(evtl. Liedtext zum
Mitlesen)
+ UG
[M22]
(Track +
Liedtext-AB)
UG +
Notieren
der Konkretionen an
der Tafel
C5
Fremde Heimat,
neue Heimat
45
C5
Fremde Heimat,
neue Heimat
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
Methode
Medien
– Lehrerinfo: Colos, ein bekannter Berliner Rapper, musste
Deutschland nach drei Jahren illegalen Aufenthalts in ständiger Anonymität verlassen, nachdem er sich freiwillig den
Behörden gestellt hatte. Er kehrte für neun Monate in den
Kosovo, seine Heimat, zurück. Vor dort geführten, kriegerischen Auseinandersetzungen waren Colos und seine Familie 1994 geflohen. Mittlerweile ist er zurück in Deutschland
und veröffentlicht wieder neue Songs, in welchen er auch
seine Migrations-Erlebnisse thematisiert. 2008 nahm Colos
den Titelsong für das Projekt „Deutschlands vergessene
Kinder“ auf, das unter anderem über Songs auf Schicksale
von Kindern aufmerksam machen will.
46
1
Überleitung
„In der ersten Stunde dieser Unterrichtseinheit haben wir
LV
bereits Leitlinien für einen ethisch angemessenen Umgang mit
Migranten und Flüchtlingen erarbeitet und bewertet. Nun gilt
es, in dieser Hinsicht zwei Fachbegriffe zu erfassen, welche die
theoretische Basis für die Entfaltung von Möglichkeiten einer
gesellschaftlich verantworteten Aufnahme von Migranten und
Flüchtlingen in Deutschland darstellen.“
15
Erarbeitung /
Sicherung
Die Schülerinnen und Schüler lernen mittels eines Textes die
Termini „Integration“ und „Inklusion“ als Leitlinien bezüglich
der Aufnahme von Migranten in Deutschland kennen und
erfassen deren Bedeutung im Gegenüber zur häufig lediglich
geforderten „Assimilation“.
– Lesen eines Infotextes zu den Begriffen „Integration“ und Lesen
„Inklusion“
EA
– Impuls: „Erfassen Sie die Bedeutung der Begriffe „Integration“ und Inklusion“ im Gegenüber zur Forderung nach
„Assimilation“ angesichts der Aufgabe, Migranten/Flüchtlinge in Deutschland verantwortet aufzunehmen!“
– Sicherung der Ergebnisse im Unterrichtsgespräch
UG
– Antwortkontext: „Assimilationsforderung“ als Erwartung,
dass sich ausschließlich Migranten an soziale, normative
und kulturelle Kontexte des Aufnahmelandes anpassen;
„Integration“ als Beteiligung von Migranten an ökonomischen und politischen Prozessen, um Selbstwertschätzung
aufrechtzuerhalten und Perspektivlosigkeit zu vermeiden;
„Inklusion“ als Steigerung von Integration, insofern
Migranten so in gesellschaftliche Prozesse eingebunden
werden, dass kulturelle Muster und moralische Überzeugungen der Aufnahmegesellschaft evtl. sogar revidiert
werden. Fokus: Dialog auf Augenhöhe; gleiches Mitspracherecht für alle
[M23]
(AB)
C5
Zeit
(Min.)
Phase
Inhalt
Methode
1
Überleitung
„Stefan Kurzke-Maasmeier spricht in dem Text, welchen Sie
eben gelesen haben, wichtige Bereiche moderner Gesellschaften an: Politik, Wirtschaft, Gesundheit, Erziehung,
Religion. Entsprechend gestaltete Optionen, die es Migranten
ermöglichen, sich als integriert zu erfahren, können zu einer
Lösung der Probleme beitragen, welche u. a. im Lied von
Colos thematisiert werden.“
LV
20
Folgestunde
Transfer
Sicherung
Fremde Heimat,
neue Heimat
47
Mit dem Wissen um die Bedeutung von „Integration“ und
„Inklusion“ von Migranten in Deutschland entfalten die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen eigene Ideen und
Projektskizzen, Migranten und Flüchtlinge verantwortet in
Deutschland aufzunehmen.
– Impuls: „Der Sänger Colos hat auch den Titelsong für die LV
2008 veröffentlichte CD ‚Deutschlands vergessene Kinder’
eingespielt. Sein Lied ist Teil eines Rap-Projektes zugunsten
von vernachlässigten Kindern – unter anderem von
Migrantenkindern: Unentgeltlich spielten verschiedene
(Rap-) Sänger wie Xavier Naidoo, Emine Bahar oder Woroc
Lieder ein, die Schicksale von Kindern zum öffentlichen
Thema machen. Somit fordern sie ein Umdenken in der
Gesellschaft ein.
Entfalten Sie eine eigene Idee und entwickeln Sie eine
Projektskizze, die Migranten und Flüchtlingen hilft, sich
in Deutschland als integriert wahrzunehmen. Fokussieren
Sie dabei einen der folgenden Bereiche: Politik, Wirtschaft,
Gesundheit, Erziehung, Religion!“
– Erarbeitung eines Projektes in Kleingruppen, unter Berück- GA
sichtigung folgender Kategorien: Zielgruppe; Bereich; Ziel; (max. 4er)
Leistungen der Beteiligten
– Sicherung der Ideen in Stichpunkten auf Plakaten
– Vorstellung der Ergebnisse in der Folgestunde
– Evtl. Internetrecherche zu Integrationsprojekten für
Migranten/Flüchtlinge in Deutschland.
Medien
GA +
Plenum
Plakate +
Filzschreiber
[M22]
C5
Colos: Heimatlos
(nicht akzeptiert)
Fremde Heimat,
neue Heimat
© 2007 www.mellowvibes.de | Foto: Andre Forner
48
CD:
[Sound]
M22.mp3
5
10
15
20
Ausländer hier, Ausländer da,
egal wo wir sind, wir werden nicht akzeptiert.
Mein Volk kennt keine Freiheit,
meine Generation hat keine Heimat.
25
Ich hab schon 12 Jahre meines Lebens hier verbracht,
damals 1994 hätt’ ich es nicht gedacht.
Mein Vater sagte: „Wir müssen uns hier anpassen.“
Es war verdammt schwer, alles hinter sich zu lassen.
Egal was kommt, seine Heimat darf man nie aufgeben,
ich bleibe Dir treu und beginn mein neues Leben,
denn irgendwann ist der Krieg unten vorbei
und danach ist unser Volk endlich frei.
30
Wir hab’n im Heim gelebt, zu sechst in einem Zimmer,
wir hofften das Beste, doch es wurde immer schlimmer.
Viele Jahre sind vergangen und ich wurde älter.
Mit dem großen Unterschied zu meinen Eltern
bin ich hier aufgewachsen unter vielen Ausländern,
hatte viele neue Leute aus verschiedenen Ländern.
Alles nahm seinen Lauf, jedoch hier, wo ich heute bin,
direkt in Kreuzberg, auf den Straßen von Berlin.
35
40
45
Ausländer hier, Ausländer da,
egal wo wir sind, wir werden nicht akzeptiert.
Mein Volk kennt keine Freiheit,
meine Generation hat keine Heimat.
Kein Mensch verlässt seine Heimat aus Vergnügen,
wer Euch so was erzählt, verbreitet dumme Lügen.
Ob hier geboren, Immigrant oder Gastarbeiter –
für deren Kinder hier geht das Leben weiter.
Wir bleiben unter uns, weil uns keiner akzeptiert.
Wir sind heimatlos, weil so viel Schlechtes passiert,
verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Heimat,
denn jeder Mensch verdient ein Leben in Glück und Freiheit.
Unsere Generation bezahlt den höchsten Preis:
Wir sind fremd in unserer Heimat – das ist das,
was keiner weiß.
Es interessiert keinen, was wir alles durchmachen.
Ihr denkt, wir sind glücklich, doch ihr seht uns nie lachen.
Dieses Leben haben unsere Eltern für uns ausgesucht.
Deutschland war der Ausweg in ein Leben auf der Flucht.
Mein Volk kennt keine Freiheit,
meine Generation hat keine Heimat.
Ausländer hier, Ausländer da,
egal wo wir sind, wir werden nicht akzeptiert.
Mein Volk kennt keine Freiheit,
meine Generation hat keine Heimat.
© 2007 by Mellowvibes Entertainment & Music Publishing GmbH.
Mit freundlicher Genehmigung der Rolf Budde Musikverlag GmbH Berlin.
Musik: Josko Zivcovic; Text: Adthe Gashi
Track auf CD: P © 2007 - 2009 Copyright, alle Rechte vorbehalten - Mellowvibes | Records c/o. Mellowvibes Media GmbH (LC)11202).Vom Album: Colos
"Leben im Exil" | ISRC DEZ440700013 | Texter: Adthe Gashi "Colos" | Komponist: Josko Zivkovic "Woroc" | Colos & Woroc erscheinen mit freundlicher
Genehmigung von Mellowvibes Records | Woroc wird verlegt bei Warner Chappell/Edition ICM Hanseatic | Colos wird verlegt bei Mellowvibes Music Publishing GmbH | Management/Kontakt: [email protected] - www.mellowvibes.de | CD bestellen bei: www.wildstyleshop.de
[M23]
C5
Maßstäbe eines verantwortlichen Umgangs mit
Migranten/Flüchtlingen
Fremde Heimat,
neue Heimat
49
5
10
15
Die Debatte um Migration hat sich zu der Frage hin ausgeweitet, wie die temporäre Aufnahme von Zuwanderern durch
Prozesse und Politiken der Integration abgelöst werden kann.
[…] Assimilation meint die Anpassungsleistung eines Einzelnen oder einer Gruppe an die institutionalisierten sozialen
Erwartungen. Die Forderung nach einer solchen einseitigen
Leistung der Migranten findet in manchen politischen Debatten Widerhall, etwa weil angenommen wird, dass ausschließlich mit der Ausrichtung der Lebensführung an den sozialen und normativen Kontexten des Aufnahmelandes eine
Teilhabe an den Ressourcen wie Arbeit […], Bildung oder
Gesundheit erreicht werden könne. Demgegenüber steht
das Konzept der Inklusion und der Inkorporation […]. Durch
eine solche Betrachtungsweise wird die Verantwortungspflicht des Staates und seiner Akteure in den einzelnen Bereichen der Lebensführung moderner Gesellschaften (Politik,
Wirtschaft, Gesundheit, Erziehung, Religion) in den Blick
gerückt. […]
Integration ist eine soziale Herausforderung
20
25
30
35
In der Diskussion um die Fragen von kultureller Integration
als Teilhabe […] an den grundlegenden Normen und Werten einer Gesellschaft, gerät häufig aus dem Blick, dass nicht
gelungene Integration […] eine soziale Herausforderung ist.
Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
zeigte zuletzt deutlich, in welchem Maße Migrantinnen und
Migranten von sozialem Ausschluss, Armut und Desintegration betroffen sind. Sie gehören häufig zu der Gruppe, bei
denen Einkommensarmut, Unterversorgung und oftmals
eine schlechte gesundheitliche Situation zusammentreffen. In
welcher Weise dabei solche Benachteiligungen auch immer
sichtbar werden, der innerpsychische Effekt ist häufig derselbe.
Mit dem Gefühl, dass der eigene Beitrag am ökonomischen
oder politischen Prozess weder als aktiver Teilnehmer und
Gestalter, noch als Konsument von besonderer Bedeutung ist,
sinkt das Maß der Selbstwertschätzung und damit eine der
wichtigsten Ressourcen für Integrationsinitiative. Das vermeintliche ethnische Problem entpuppt sich als ungelöste sozi-
ale Frage: nicht die „Parallelgesellschaften“ in Berlin-Neukölln
und woanders stehen der Integration im Weg, sondern die dort
herrschenden Perspektivlosigkeiten und Armutsverhältnisse.
[…]
Eine Herausforderung für den sozialen Zusammenhalt
und die Solidaritätspotenziale einer Gesellschaft ist die
Integration von Migranten nicht zuletzt deshalb, weil mit der
gestiegenen Abstiegsangst auch mittlerer Bevölkerungsschichten, ein hoher Druck und Abwertungstendenzen
gegenüber schwachen sozialen Gruppen entstanden ist.
[…]
40
45
Inklusion als moralischer Dialog
Integration wird zu einem Inklusionsprozess, wenn die Aufnahmegesellschaft bereit ist, nicht nur das Fremde in das
unverändert Eigene aufzunehmen, sondern […] die vermeintlichen Unverrückbarkeiten eigener kultureller Muster und
moralischer Überzeugungen einer Revision und damit auch
einer Veränderung zu unterziehen. […] Aber ein solches
Nachdenken über ein gerechtes Zusammenleben von Einheimischen und Zuwanderern ist – will es als moralischer Dialog allen Betroffenen eine faire Beteiligung ermöglichen –
auf die […] Fremden angewiesen. Ein Kriterium für eine
verantwortliche Inklusionsgesellschaft ist damit benannt:
[…] die konsequente Einbindung von Repräsentanten der
unterschiedlichen Migrantengruppen im Vorfeld von Gesetzgebungsverfahren, in relevante kommunale und gemeinwesenbezogene Entscheidungsprozesse oder in Härtefallkommissionen u. ä. […]
Integration gelingt nur durch einen Dialog zwischen
Gleichgestellten (par cum pari). „Kein demokratischer Staat
kann die Etablierung dauerhafter Statusunterschiede zwischen Bürgern und Fremdlingen zulassen […]. Die in ihm
lebenden Personen sind der Autorität dieses Staates entweder unterworfen, oder sie sind es nicht; wenn sie ihr unterworfen sind, dann müssen sie bei dem, was ihre Obrigkeit tut,
ein Mitspracherecht und letztlich sogar ein gleiches Mitspracherecht haben.“
Aus: Stefan Kurzke-Maasmeier, Migration und Integration als
Herausforderungen einer verantwortlichen Gesellschaft
(= Arbeitspapiere des ICEP 1/2007), Berlin 2007.
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