Kritik Sweeney Todd

Transcrição

Kritik Sweeney Todd
Nichts für schwache Nerven: "Sweeney Todd" in Magdeburg
"Sweeney Todd" kennt in Großbritannien jeder. In Deutschland ist der Barbier aus der Fleet Street
wohl nicht zuletzt durch die jüngste Verfilmung mit Johnny Depp bekannt geworden. Die Geschichte
vom Barbier, der aus der Verbannung zurückkehrt und seinem Widersacher Richter Turpin nun
feierlich Rache schwört, feierte jetzt am Theater Magdeburg Premiere.
Bühne und Kostüme (Duncan Hayler) sind surrealistisch und doch wirkungsvoll. Hier taucht die
Silhouette eines Schiffes aus dem Dunkel, dort sieht man einen schiefen Turm, in dem Turpin
Sweeneys Tochter Johanna gefangen hält. Mrs Lovetts Pastetenladen, über dem Sweeney seinen Salon
eröffnet, ist ebenfalls windschief. Es gibt keine Horizontalen in diesem London, dafür aber jede Menge
Rauch und Dunkelheit. Die Kostüme reichen vom einfachen schwarzen Kleid im viktorianischen Stil
bis zu den knallbunten Umhängen und Röcken, die Mrs Lovett (Gaye MacFarlane) und Sweeney
Todd (Kevin Tarte) tragen.
Die Musik von "Sweeney Todd" stammt von Stephen Sondheim, der das Musical 1979 zum ersten Mal
auf die Bühne brachte. Sie unterstreicht den düsteren Charakter des Stücks. Hier wird kein Märchen
erzählt, sondern ein Thriller - die Geschichte eines Mannes, der - vom Hass getrieben - Mord um
Mord begeht und darüber blind wird für die Welt. Es ist die Geschichte von Mrs Lovett, die kein
Gewissen hat, Sweeney jedoch vergöttert. Es ist auch die Geschichte von Richter Turpin (Martin.Jan
Nijhof), der Johanna als seine eigene Tochter aufgezogen hat und sie nun zur Frau gereift heiraten will.
Und es ist die Geschichte eines jungen Matrosen namens Anthony (Kartak Karagedik), der Johanna
schließlich retten wird. Und in dieser Geschichte geht es blutrünstig zu. Theaterblut fließt, und es
werden Pasteten gebacken.
Zwischen den Szenen tritt immer wieder der Chor auf und erzählt die Geschichte des "Barbiers und
Teufels von der Fleet Street". Der erste Teil erzählt von der Ankunft Sweeneys in London und seiner
Begegnung mit Mrs Lovett. Gay MacFarlane und Kevin Tarte spielen mit großer Begeisterung und
singen mit großen Stimmen. Zwischen den beiden stimmt die Chemie, was sie besonders im den
ersten Akt abschließenden "Ein bisschen Abt" beweisen. MacFarlane ist als verrückt-schräge Mrs
Lovett ganz in ihrem Element, und auch Tarte fühlt sich in der Rolle des mörderischen Barbiers
sichtlich wohl.
Um die beiden grandiosen Hauptdarsteller schart sich ein illustres Ensemble. Kartak Karagedik
(Anthony) und Teresa Sedlmair (Johanna) hört man ihre klassische Gesangsausbildung an. Karagedik
hat viel Volumen, tut sich mit den Tiefen der Songs aber schwer, klingt oft gequetscht und vergisst
übers angestrengte Singen schon mal das Schauspiel. Sedlmairs Leistung ist passabel, wenn auch mit
überreichlich Vibrato versehen. Markus Liske hat einen feinen kleinen Auftritt als Meisterbarbier
Pirelli und Martin Jan Nijhof gibt einen herrlich zwiegespaltenen Turpin.
Der dritte Star des Abends neben den Hauptdarstellern ist jedoch definitiv Michael Ernst. Er spielt
den Jungen Tobi, der zunächst Pirellis Handlanger ist, dann jedoch in Mrs Lovett eine Art
Mutterfigur findet, mit einer Stimme, die sich mühelos von den Tiefen ins Falsett bewegt und
dabei immer noch klar genug bleibt, um den Text auch noch in den hinteren Reihen verstehen zu
können. Seine Performance in der Schlussszene ist herzzerreißend und ganz groß gespielt. Nicht
umsonst brandet am Ende der Applaus bei ihm beinahe ebenso laut auf wie bei Hauptdarsteller
Kevin Tarte.
Die Texte sind im Englischen schon sperrig, passen teilweise haargenau auf die Musik. Wilfried
Steiner hat es geschafft, die meisten Stücke auch im Deutschen gut klingen zu lassen, ohne weit vom
Original abzuschweifen. Einzig die Chorszenen und die Quod Libets, bei denen mehrere Texte
gleichzeitig gesungen werden, sind teilweise unverständlich, weil sich die Silben auf kleinstem Raum
zusammendrängen müssen.
Alles in Allem wird am Magdeburger Theater mit "Sweeney Todd" eine weit überdurchschnittlich
gute Produktion geboten, die Spaß macht. Wer den Film mag, wird diese Musicalfassung lieben. Denn
schauspielerische Leistung und Gesang sind top. Wer den Film nicht kennt, aber keine
Berührungsängste mit schwarzem britischem Humor hat, wird den Abend ebenfalls genießen, auch
wenn er danach vielleicht einen großen Bogen um alle Pasteten dieser Welt machen wird.
Text: Julia Weber
thatsmusical.de / 18.11.2012