Vollständiger Artikel über Jutta Speidel aus der Januar
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Vollständiger Artikel über Jutta Speidel aus der Januar
Die 46 Himmelsstürmerin VON FRANK ERDLE Schauspielerin Jutta Speidel sucht die Herausforderung – als streitbare Nonne im Fernsehen ebenso wie im richtigen Leben FOTOGRAFIERT VON KURT BAUER 47 RD I JANUAR 2005 as herrschaftliche Gebäude dämmert im Dornröschenschlaf. Nur ein paar Spaziergänger bevölkern den winterlichen Park an der Münchner Blutenburg. Niemand nimmt Notiz von der prominenten Radfahrerin, die da im morgendlichen Nebel Kurs auf die Schlossschänke nimmt, begleitet von einem drahtigen Vierbeiner namens Gino. Deutschlands berühmteste Klosterschwester macht Tempo. Weil das Jaguar-Kabriolett, das sie sich zum Fünfzigsten geschenkt hat, in der Werkstatt steht, ist Jutta Speidel zum Interview mit dem Drahtesel gekommen; schließlich wohnt sie mit ihren Töchtern Franziska (21) und Antonia (18) ganz in der Nähe. Doch in letzter Zeit ist die Schauspielerin fast pausenlos unterwegs – zu den Dreharbeiten für ihre populäre Fernsehserie Um Himmels Willen, die Anfang Januar mit 13 neuen Folgen in der ARD zu sehen ist, und für ihren Verein „Horizont“, der obdachlosen Menschen ein neues Zuhause gibt. Mindestens sieben Millionen Deutsche schauen regelmäßig zu, wenn die Ordensschwester Lotte Albers mit Lust und List gegen die Machenschaften des schlitzohrigen Bürgermeisters Wolfgang Wöller (Fritz Wepper) kämpft. Die Lotte aus dem TVKloster Kaltenthal und die Jutta aus München würden sich auch im normalen Leben blendend verstehen: „Es gibt eine ganze Menge gemeinsamer D 48 Wesenzüge“, sagt Speidel. „Ich bin genauso stur, warmherzig und humorvoll, liebe aber auch das Spontane. Wenn ich als Kind ein Schild ‚Rasen betreten verboten!‘ gesehen habe, dann habe ich mich mit Vergnügen an dieser Stelle ins Gras gelegt.“ Doch im Laufe ihrer Karriere hat sie gelernt, die Konsequenzen übereilter Entscheidungen zu bedenken: „Mittlerweile schaue ich erst mal, ob da nicht ein Hund hingemacht hat ...“ Jutta Speidel lacht zum ersten Mal ihr unverschämt ansteckendes Lachen. Der bittere Kaffee („Bäh, schmeckt der grauslich!“) kann ihr an diesem kalten Vormittag nicht die gute Laune verderben. Eher schon das Balzgehabe ihres vierbeinigen Begleiters, der in unmittelbarer Nähe eine läufige Artgenossin ausgemacht hat. Mit der unnachgiebigen Strenge, die man von einer Gottesdienerin erwartet, ruft sie den Mischlingsrüden immer wieder zur Ordnung, obwohl sie durchaus Jutta Speidel steht mitten im Leben – DIE HIMMELSSTÜRMERIN Verständnis für seine amourösen Bedürfnisse hat: „Du armer, armer Hund!“ hre eigenen Partnerschaften, darüber mag die geschiedene Darstellerin, die im März 51 Jahre alt wird, nicht so gern sprechen. „Mein Verein ‚Horizont‘ macht mich zu einer öffentlichen Person, aber mein Liebesleben gehört mir“, lautet die klare Ansage. Für die zahlreichen Prominenten-Partys in der Bayernmetropole hat Jutta Speidel ohnehin keine Zeit. Fast jede drehfreie Minute steckt sie in ihr 1997 gegründetes Hilfsprojekt. Seit Kurzem besitzt der Verein im Münchner Norden ein Haus mit 24 Wohnungen, für das die Mimin in den vergangenen Jahren unermüdlich Spendengelder gesammelt hat. In dem rund 3,5 Millionen Euro teuren Bau sollen obdachlose Münchner Kinder gemeinsam mit ihren Müttern neuen Lebensmut tanken. Die Kosten für die pädagogische Betreuung übernimmt I die prominente Wohltäterin: „Meine Mitarbeiter sind 365 Tage im Jahr aktiv. Diesen Luxus kann sich eine Stadt gar nicht leisten.“ Kaum ist das Haus fertig, zieht die „deutsche Königin der Herzen“ (mdr) aber schon für die nächste Aktion mit dem Klingelbeutel los: Wer monatlich zehn Euro aufbringt, kann den Verein als „Pate für ein Lächeln“ unterstützen. Stolz kramt die engagierte Initiatorin den ersten Entwurf für den neuen Prospekt aus dem sportiven Wollblazer. Die Rolle der lebhaften Sozialmanagerin steht ihr mindestens so gut wie die der streitbaren Kuttenträgerin. Die wachen meerblauen Augen verraten Tatendrang und Lebensgier. In nächster Zeit will Jutta Speidel nochmal so richtig durchstarten: „Wenn meine Kinder eigene Wege gehen, möchte ich mir endlich die Welt anschauen und nach Indien, Birma oder Sri Lanka reisen. Aber nicht nur für 14 Tage.“ und zu ihren Falten: „Die habe ich mir doch 30 Jahre lang mühsam angelacht!“ 49 D 50 FOTO: © CINETEXT alle anderen.“ Diesen Satz hat Jutta Speidel nie vergessen – und tief im Herzen zu ihrer persönlichen Lebensdevise gemacht. Schon zu Beginn ihrer Karriere bewies sie in den seinerzeit höchst populären Pauker-Komödien und ernsthaften Theaterrollen (zum Beispiel in Friedrich Schillers Kabale und Liebe) eine ungewöhnliche Vielseitigkeit. Der Durchbruch als Fernsehdarstellerin gelang ihr 1975 in Rainer Erlers Thriller Die letzten Ferien. Vier Jahre später entstand, wiederum mit Erler auf dem Regiestuhl, der viel beachtete Actionfilm Fleisch, in dem die Actrice In „Fleisch“ von Rainer Erler festigt die junge einer kriminellen OrganDarstellerin 1977 ihren Ruf als TV-Star spende-Organisation durch die USA nachjagt, weil diese Die Programm-Manager von ARD ihren frisch angetrauten Gatten ge& Co. werden diese Botschaft nicht kidnappt hat. Aber vor allem als Frau, gerne vernehmen. Schließlich zählt die im Alltag ihren Mann steht, sorgte Jutta Speidel seit drei Dekaden zu den Jutta Speidel immer wieder für gute beliebtesten Darstellerinnen der Re- Einschaltquoten – beispielsweise in publik. Schon als Schülerin wusste sie, der ZDF-Reihe Alle meine Töchter was sie wollte: „Bei der Abiturprüfung (1995) und dem Bildschirm-Hit Um habe ich mir die Mathematikaufgaben Himmels Willen, der im Jahr 2002 TVnur angesehen. Dann bin ich aufge- Premiere feierte. standen und zum Drehen in die Lüneburger Heide gefahren.“ ie rolle der Lotte in dieser Vater Eberhardt, ein Patentanwalt, Serie empfindet „Jutta Teresa“ weilte damals in den USA. Nach sei(Stern) als besondere Herausner Rückkehr, so erinnert sich die auf- forderung. „Ich zeige ja nur 20 Quamüpfige Tochter, kommentierte er die dratzentimeter Gesicht“, grinst die Entscheidung kühl: „Du kannst Schau- schlanke Serienheldin. „Wenn du da spielerin werden. Aber sei besser als nicht funktionierst, kannst du nach DIE HIMMELSSTÜRMERIN Hause gehen.“ Jutta Speidel aber spielt die Klosterfrau jetzt schon in der vierten TV-Staffel mit Einfühlungsvermögen, Esprit – und einem unsichtbaren Draht nach ganz oben. Trotzdem ist es schon mehr als 25 Jahre her, dass sie einen „Bambi“ für ihre schauspielerische Leistung entgegennehmen durfte; die „Goldene Kamera“ bekam sie noch nie. Und während ihr Widersacher vom Amt, Fritz Wepper, 2003 für sein Spiel in Um Himmels Willen mit dem „Deutschen Fernsehpreis“ ausgezeichnet wurde, ging seine streitbare Partnerin leer aus. Darauf angesprochen, blitzt Wut in den blauen Augen. Na- türlich fand sie die Entscheidung der Jury „daneben“. Aber schon im nächsten Moment bringt ihr Gesicht wieder die schönsten Lachfalten hervor. Keck zeigt sie auf die Anstecknadel am Revers: eine „Goldene Kamera“ im Miniformat, die ihr ein Produzent zum Trost geschenkt hat. Auch sonst hat die katholisch erzogene Schauspielerin neue Freunde gefunden, seit sie als telegene Kirchengesandte gegen das weltliche Ungemach kämpft. „Ich kenne wirklich tolle Ordensfrauen“, gluckst sie wie eine passionierte Klatschtante. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, ratsche ich gern mit ihnen.“ Doch Jutta Spei- FOTO: © ARD/BARBARA BAURIEDL Don Camillo und Peppone auf bayrisch: Schwester Lotte (Jutta Speidel) und Bürgermeister Wöller (Fritz Wepper) in „Um Himmels Willen“ 51 RD I JANUAR 2005 del wäre nicht Jutta Speidel, wenn sie nicht auch zur zweithöchsten Dienststelle ihrer Kirche eine kritische Meinung hätte: „Der Vatikan muss eine andere Form von Hilfe in die Dritte Welt tragen. Es genügt nicht, die Menschen in diesen Ländern aufzufordern, in Keuschheit zu leben, damit sie sich nicht mit Aids infizieren.“ uf die frage, ob sie ein religiöser Mensch sei, weicht die 50Jährige aus. „Ich glaube an eine höhere Macht im Universum, die mich beschützt. Dafür sage ich jeden Tag Danke.“ Ihr Talent betrachtet die Speidel durchaus als Geschenk des Himmels. Umso ungläubiger verfolgt sie, wie schnell die Gesichter aus Gute Zeiten – Schlechte Zeiten oder ähnlichen Serien Karriere machen. „Diese Britney-Spears-Frauen“, pol- A tert sie in Anspielung auf die weltweit erfolgreiche Pop-Barbie aus den USA, „tun einfach alles, um berühmt zu werden.“ Die notwendige Auseinandersetzung mit der Rolle finde oft gar nicht mehr statt. Dabei sei ein guter Schauspieler ganz einfach zu erkennen: „Das Zuschauerherz muss klopfen. Es kann traurig oder belustigt sein. Aber klopfen muss es.“ Dass sich immer mehr Kolleginnen aus ihrer Generation unters Messer legen, um dem Jugendwahn vieler TVMacher Genüge zu tun, ist für Jutta Speidel ein Trauerspiel. „Ich würde mich nie liften lassen“, sagt sie mit der geballten Lebenserfahrung von Klosterschwester Lotte und Lebefrau Jutta in der Stimme. „Warum soll ich mir meine Falten wegoperieren lassen? Die habe ich mir doch 30 Jahre lang mühsam angelacht!“ FA L S C H V E R S TA N D E N Als ich meiner dreijährigen Enkeltochter Chelsea unser neues Vogelbad im Garten zeigte, wollte sie wissen, ob ich auch ein paar Vögel dazukaufen würde. Ich erklärte ihr, dass das nicht nötig sei, da in unseren Sträuchern und Bäumen genug Vögel herumflatterten. Das schien Chelsea einzuleuchten. „Gut, Oma“, sagte sie darauf. „Dann machen wir es so: Du fängst die Vögel, und ich bade sie.“ U. T. R I C H T I G V E R S TA N D E N Meine Mutter ermahnte mich immerzu, mein Zimmer aufzuräumen. Das ging mir auf die Nerven. Schließlich brachte ich an der Tür ein Schild an, auf dem zu lesen war: Mein Zimmer, mein Chaos. Offensichtlich war die Botschaft bei meiner Mutter angekommen, denn etwa eine Woche später lag ein Berg Wäsche vor meiner Tür. Auf dem beigefügten Zettel stand: Deine Wäsche, dein Problem. SHAZIA MUGHAL, Großbritannien 52