Die Welt ist deine Werkstatt

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Die Welt ist deine Werkstatt
das magazin von hornbach
macher
Ausgabe 2 / 2016
Die Welt ist deine Werkstatt
Leseprobe
MACHER die Dritte.
Fertig!
Wieder waren wir für euch
unterwegs.
Haben gesucht und
gefunden:
Menschen und Projekte, die für wahres Machertum
stehen.
Claudio Rebuzzi
zum Beispiel: Der baut in
Peking Fahrräder aus
Bambus und zeigt anderen
in Workshops wie das
funktioniert.
Nicht nur aus
Leidenschaft, sondern auch
als umweltpolitisches
Statement in einer
Stadt, in der sich die Menschen wegen akutem Smog
ohne Mundschutz kaum noch
vor die Türe trauen.
Klingt gut? Dann:
Lesen! Jetzt! Hier!
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oder im Onlineshop.
Für
einen Euro.
Leseprobe
DIE
B
A
M
B
U
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Peking: einst Fahrrad-, heute
Smog-Hauptstadt der Welt.
Millionen Menschen im Stau.
Eine Gruppe junger Chinesen
möchte die verloren gegangene Radkultur nachhaltig
wiederbeleben. Mit Bikes aus
Bambus, zum Selberbauen
TEXT: MARKUS WANZECK
FOTOS: ADAM DEAN
E
s sind Momente wie diese, da weiß
Claudio Rebuzzi: Alles richtig ge­
macht. Später Nachmittag, es klopft an
der Tür. Claudio, 29, Südafrikaner mit
italienischen Wurzeln, Co-Chef der
wohl außergewöhnlichsten Fahrradwerkstatt
­Pekings, springt auf und begrüßt seinen Besucher: Kelvin He, Student, will sein Fahrrad
abholen.
SEIN Rad. Etwas Besonderes, der Rahmen aus
Bambus, von Kelvin selbst gebaut. Jetzt, zwei
Wochen später, hat Claudio Räder, Sattel,
Lenker montiert, eben alles, was ein Fahrrad
so braucht. Zeit für die Jungfernfahrt.
Kelvin steigt auf, tritt in die Pedale, verschwindet im Gewirr der Hutong, Pekings schmaler Gassen. „Niiice!“, ruft er, als er wieder
auftaucht. Seliges Grinsen, wie nach einer
Achterbahnfahrt. Alles super. Nur die Bremsen: irgendwie komisch. Claudio, akkurat gestutzter Vollbart, Kapuzenpulli und Wollmütze, sitzt selbst auf. Kurzer Check, kein Ding,
alles klar. Ruckeln sich schon ein, die Bremsen. Brauchen immer ein bisschen.
Ungebremst: Kelvins Begeisterung. „Heutzutage
konsumiert man ja nur noch. Das einzige,
was die Leute noch selbst zusammenbauen,
sind
IKEA-Regale.“
Und das sei doch
­simulierte
Indivi­
dualität. Am Ende
gleichen sich die
Wohnzimmer der Welt
wie einst in China
die Menschen mit ihren grauen Anzügen Marke
Mao. Ein Bambusrad dagegen: Mehr Unikat geht
gar nicht. Kein Rad ist wie das andere. Nicht
in der Form. Nicht in der Farbe. Nicht im
Gewicht. Anderthalb bis zwei Kilo wiegt ein
­
Rahmen aus Bambusrohr, zehn bis elf Kilo das
komplette Rad.
zeugkasten ist alles, was man
braucht. Und ein bisschen Platz.
Wirklich nur ein bisschen. Kaum
länger als eine Autogarage ist die
Werkstatt von Bamboo Bicycles Beijing, auch nicht viel breiter. Morgens stellt Claudio als erstes die
fertigen Fahrräder raus, in die
Gasse. Endlich Platz, um sich ein
wenig hin und her zu drehen. Um das
Rad vielleicht nicht neu zu erfinden, aber wiederzubeleben.
Denn das Fahrrad ist eine aussterbende Spezies in Peking – jener
Metropole, die einst als Radhauptstadt der Welt bekannt war. Vor 30
Jahren glichen ihre Straßen einem
breiten, endlosen Fluss aus Fahrradfahrern. Heute steht die Stadt
im Stau. Stoßstange an Stoßstange,
bald sechs Millionen Autos, der
totale Verkehrsinfarkt. Auf dem
BAMBUS WÄCHST RUND
DREISSIG ZENTIMETER PRO TAG
Der wichtigste Rohstoff dieser Wunder-Velos
wächst in der Provinz Zhejiang, südlich von
Shanghai. Phyllostachys reticulata. Großer
Holz-Bambus. Lässt sich leicht verarbeiten,
ohne Spezialmaschinen. Ein herkömmlicher Werk-
Westabschnitt der Zweiten Ring­
straße, einer der Hauptverkehrs­
adern: bis zu acht Stunden Stillstand. Pro Tag.
Eigentlich spricht also wenig dafür, sich ein Auto zuzulegen.
Eigentlich. „Junge chinesische Männer haben aber zwei große Wünsche“,
erklärt Claudio: „Erstens: eine eigene Wohnung. Zweitens: ein eigenes
Auto. Im Grunde genommen sind das
aber nur Zwischenwünsche. Ohne Wohnung und Auto kriegt man hier keine
Frau. So ist das in China.“
Bamboo Bicycles Beijing, kurz BBB, ist ein
kleiner Gegenentwurf zu den großen Gestaltungskräften, die Peking heute prägen. Es
waren die Überreste des Radzeitalters, die
die Firma zum Leben erweckten. Die ausrangierten Räder, sie stehen noch überall rum,
auf den Gehsteigen, in den Gassen. Verlassen.
Verstaubt. Verendet. David Chin-Fei Wang, ein
US-Amerikaner mit chinesischen Vorfahren,
sammelte die rostigen Gefährte ein – und setzte sie neu zusammen. Irgendwann dann kam ihm
eine, nun ja, Erleuchtung: Wie sehr diese Rohre doch dem Bambus vor dem nahen Tempel ähnelten! Warum also nicht – ein Fahrrad aus Bambus
bauen?
Ein paar Monate später saß Wang auf seinem
ersten selbst gebauten Bambusrad. So leicht
wie ein Alurad, das Ding, die Dämpfung gleichzeitig so gut wie bei Bikes aus Stahl. Wang
war begeistert, wollte sein neues Wissen bald
mit möglichst vielen Menschen teilen. Die
RUND 400 EURO KOSTET
EIN BAMBUSFAHRRAD BEI BBB
Idee: Bambus-Bike-Workshops. Am 12. April
2014 stellte er die BBB-Idee auf einer Crowdfunding-Plattform vor. Keine drei Wochen später war die selbst gesetzte Hürde genommen:
112 Unterstützer hatten insgesamt 15.000
US-Dollar spendiert, für die Ausstattung der
Werkstatt und das Material der ersten 25 Bambusräder.
Die Werkstatt: Direkt neben der Eingangstür
ein blauer Plastikbottich, Bambusrohre ragen
hier raus. An den beiden Längswänden: Werkbänke, darüber Halterungen, an denen werdende
Radrahmen hängen. Ganz hinten: eine blaue
Werkzeugwand und Kartons mit Reifen, Felgen,
Schläuchen.
Claudio Rebuzzi kramt jetzt in den Kartons
rum. Er kam Ende 2014 zu BBB, wollte David
Chin-Fei Wang eigentlich nur für ein Fahrrad-
magazin interviewen – und wurde
dann Teil des Teams. Seit David im
letzten Jahr nach Amerika zurückgekehrt ist, leitet Claudio die
Werkstatt. Er setzt sich auf einen
Hocker, prüft Schläuche. Daneben,
an einer Werkbank, steht sein Kollege Luo Mingning, 23, den sie
alle nur Mowgli nennen. Er trägt
eine dieser Atemschutzmasken, die
in Peking an Smogtagen zum Straßenbild gehören, verpasst einem Bambusrahmen eine Holzölmassage.
Bevor Mowgli zu BBB kam, hatte er
Ozeanologie studiert. Schon spannend, aber zu theoretisch. Nach dem
Abschluss jobbte er, kreuz und
quer, stand irgendwann in einem
Fahrradladen. Fragte, ob er mal ein
paar Tage mitarbeiten dürfe. Durfte er. „Lange Tage, die Bezahlung
war mies“, erzählt er. Und ergänzt:
„Es war wunderbar.“ Ein Monat verging, noch einer, ein halbes Jahr.
Er hätte es wohl noch lange in dem
Laden ausgehalten.
Doch dann, gegen
Ende 2014, betrat
ein Mann mit einer
seltsamen Idee den
Shop. Er habe ein
Fahrrad aus Bambus
gebastelt, erzählte der Kerl. Wolle mehr davon bauen, das auch anderen Leuten beibringen, suche dafür
noch Mitstreiter ... Zeit zum Weiterziehen für Mowgli.
Im April 2016 feierte die Pekinger
Bambusrad-Manufaktur ihren zweiten Geburtstag. Zwischenbilanz:
Rund 250 Räder. Mehr als 50 Workshops in Peking, dazu Partnerprojekte in Schanghai, Hongkong,
Guang­
zhou. In Laos. In den USA.
Die Pekinger Workshop-Teilnehmer
sind, fifty-fifty, schätzt Claudio, Einheimische und Laowai – Ausländer also. 2800 Yuan, um die 400
Euro, kostet ein komplett ausgestattetes Bambusrad. Nicht billig – damit hat es Potenzial
als Statussymbol auf dem Parkett der chinesischen Partnerbörse. Bei einigen Workshop-Teilnehmern spielt das tatsächlich eine Rolle, die
meisten sehen ihr Rad aber als Statement: für
umweltfreundliche Mobilität, gegen den Konsum.
Manchmal steht auch das Gemeinschaftsgefühl im
Vordergrund – Fahrradbau als Team Building,
sogar Autokonzerne schicken ihre Leute. Der
Ablauf der Workshops ist immer derselbe: Bambusrohre auswählen, je nach Körpergewicht. Zusägen, je nach Körpergröße. So lange, bis die
Siebensachen für einen Fahrradrahmen beisammen
Boah, Bambus!
Kräftig, leicht, wächst ganz von selbst – Bambus, ein fast perfekter
Rohstoff. Und ein ungewöhnlich vielfältiger. Sogar HochhausBaugerüste stellt man in Asien aus Bambus her. Lebensmüde? Von
wegen. Stahlgerüste könnten kaum stabiler sein. Aber auch
Tastaturen, Uhren, Sonnenbrillen oder Radios bauen Designer jetzt
aus Bambus.
SONNENBRILLE KENNEDY
Wear Panda verarbeitet nur Bambus aus nachhaltigem Anbau – und
macht Gestelle für Sonnenbrillen draus. Sehr gelungen: das Modell
Monroe. wearpanda.com
BAMBUS-KEYBOARDS
Außen Holz, innen
Hightech – dank Bluetooth
funktionieren die
Bambus-Tastaturen von Impecca kabellos. Manche sind sogar
handgeschnitzt und werden mit passender Maus geliefert.
impecca.com
BAMBOO REVOLUTION
Die Zeit läuft, auch im Bambus-Uhrengehäuse
aus Südafrika. Jedes Stück ein Unikat,
dazu gibt’s Armbänder aus Kunstleder.
bamboorevolutionsa.com
MINI DOLMEN
RADIO
sind: Oberrohr. Unterrohr. Sitzrohr. Plus, aus dünneren Bambusstangen, je zwei Ketten- und Sitzstreben.
Sind die Bambusrohre alle auf Länge
gebracht, steckt man sie erst in­
ein­ander, dann in die speziell angefertigten Zubehörteile: Steuerrohr, Tretlager, Radaufhängung.
Die Verbindungsstellen werden mit
Karbonfasern fixiert. Mit Epoxidharz verleimt. Mit Tape bandagiert.
Ist das Expoxidharz getrocknet,
folgt die Feinarbeit. Tape abziehen, überstehendes Harz abschneiden, feilen, schleifen. Imprägnieren
der
Bambusrohre
mit
weiterem Harz oder Holzöl. So werden sie wetterfest. In den meisten
Workshops baut man nur die Rahmen
der Räder. Alle zusätzlichen Teile – Gabel, Radsatz, Lenkstange,
Tretkurbel, Sattelstütze, Sattel,
Räder, Kette, Pedale – bringen die
BBB-Profis dann später an.
Allein das Schleifen und Schmirgeln des Leims kann zehn Stunden
dauern, sagt Claudio. „Aber, hey,
es geht auch länger, kein Pro­
blem.“ Claudio macht eine Pause.
Blickt sich um, zeigt auf einen
Rahmen, bei dem die geleimten
Stellen so glatt sind wie ein
­Babypopo. „Dreißig Stunden“, raunt
er schließlich. „Hab Hanffaser
statt
Karbonfaser
genommen.
Hübsch, aber ein elendes Gefummel.
Würd ich keinem Workshop zumuten,
das war nur für mich.“ Claudio
greift nach dem Rahmen, reicht ihn
rüber, ganz sachte. „Ich liebe
dieses Rad“, sagt er. Wieder eine
Pause. Dreißig. Stunden. Schleifen.
Liebe, sie tut halt manchmal weh.
Bambus für unterwegs: schickes, kleines
FM-Radio, das in jede Handtasche passt.
Der französische Hersteller Lexon bietet
auch Wecker und Taschenrechner mit
Bambusgehäusen an. lexon-design.com
IMPRESSUM
Verlag und Sitz der Redaktion:
G+J Corporate Editors GmbH,
Stubbenhuk 10, 20459 Hamburg, 040/3703-0,
E-Mail: [email protected]
Redaktionsleiter (V. i. S. d. P):
Tobias Pützer (fr), Adrian Pickshaus
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