Egon Madsen - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik

Transcrição

Egon Madsen - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
BALLETT
INTERN
Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2011
Choreographie
Deutscher Tanzpreis 2011
Eric Gauthier
Egon Madsen
Laudatio: Reid Anderson
Laudatio: Giuseppe Carbone
(Foto: Regina Brocke)
Herausgeber: Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e. V. – Heft 96/33. Jg. – Nr. 5/Dezember 2010 – ISSN 1864–1172
Deutscher Tanzpreis 2011
Deutscher Tanzpreis »ZUKUNFT« 2011
Gala zur Preisverleihung
Samstag, 26. Februar 2011, 18.00 Uhr
Aalto-Theater Essen
EGON MADSEN – ERIC GAUTHIER
»GAUTHIER DANCE«
Dance Company Theaterhaus Stuttgart
ELISA BADENES, DANIEL CAMARGO, JASON REILLY
(Stuttgarter Ballett)
in Choreographien von
Eric Gauthier, Marius Petipa, Uwe Scholz, Christian Spuck
Deutscher Tanzpreis
»Zukunft« 2011
Tanz – männlich
Daniel
Camargo
Laudatio: Tadeusz Matacz
(Foto: Stuttgarter Ballett)
Es tanzen:
1983 – 28 Jahre – 2011
DEUTSCHER
TANZPREIS
1983 Tatjana Gsovsky (Laudator: Kurt Peters)
1983 Gret Palucca (Laudator: Kurt Peters)
1984 Kurt Peters (Laudator: Klaus Geitel)
1986 Gustav Blank (Laudator: Horst Koegler)
1986 Heinz Laurenzen (Laudator: Helmut Scheier)
1987 José de Udaeta (Laudator: Kurt Peters)
1988 John Neumeier (Laudator: Maurice Béjart)
1989 Marcia Haydée (Laudator: Lothar Späth)
1990 Karl Heinz Taubert (Laudator: Sibylle Dahms)
1991 Konstanze Vernon (Laudator: August Everding)
1992 Horst Koegler (Laudator: Gerhard Brunner)
1993 Hans van Manen (Laudator: Heinz Spoerli)
1994 Maurice Béjart (Laudator: Klaus Geitel)
1995 Pina Bausch (Laudator: Marc Jonkers)
1996 Tom Schilling (Laudator: Marion Kant)
1997 Philippe Braunschweig (Laudator: Frank Andersen)
1998 Birgit Keil (Laudator: Lothar Späth)
1999 Uwe Scholz (Laudatoren: Marcia Haydée und Kurt Biedenkopf, vertr. durch Eckhard Noack)
2000 Fritz Höver (Laudator: Wolfgang Gönnenwein)
2001 Hans Werner Henze (Laudator: Richard von Weizsäcker)
2003 Gregor Seyffert (Laudator: Gregor Gysi)
2004 William Forsythe (Laudator: Klaus Zehelein)
2005 Hans Herdlein (Laudator: Norbert Lammert)
2006 Reid Anderson (Laudator: Marcia Haydée)
2007 Susanne Linke (Laudator: Lutz Förster)
2008 John Neumeier (Laudator: Marcia Haydée) – Jubiläums-Tanzpreis 1983–2008
2009 Heinz Spoerli (Laudator: Martin Schläpfer)
2010 Georgette Tsinguirides (Laudator: Marcia Haydée)
2011 Egon Madsen (Laudator: Giuseppe Carbone)
Verein zur Förderung der Tanzkunst in Deutschland e. V.
Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e. V.
Liebe Leser,
liebe Mitglieder des
Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik,
»Alle Jahre wieder …«, nun – nicht seit Jahrhunderten,
wie der Weihnachtsmann – sondern nur, aber immerhin
auch seit 28 Jahren kommen wir zu Ihnen mit der jährlich
neuen »Weihnachts-Überraschung« – der Verleihung des
»Deutschen Tanzpreises« des kommenden Jahres!
Und so haben wir auch dieses Mal diesem Thema einige
Seiten gewidmet, da 2011 ein außergewöhnlicher Tanzpreis verliehen wird: Der Preisträger Egon Madsen bestreitet zusammen mit dem Preisträger Eric Gauthier in
der Choreographie von Christian Spuck (Tanzpreisträger
»Zukunft« – Choreographie 2006) den gesamten tänzerischen zweiten Teil der Gala zur Preisverleihung am 26 . Februar 2011 im Aalto-Opernhaus Essen . Und für Eric Gauthier hätte es eigentlich der Kreation eines neuen Preises
bedurft – für Tanz, Choreographie, Company-Gründer
und Künstlerischer Leiter!
Komplettiert wird die Ehrung durch die brillante junge Erscheinung des erst 19-jährigen Daniel Camargo .
Doch wie Sie aus dem nebenstehenden Inhaltsverzeichnis
dieses Heftes ersehen, widmet sich BALLETT INTERN auch
weiterhin allen uns wertvoll erscheinenden Themen aus
dem breiten Spektrum unserer Welt des Tanzes – in der
Hoffnung, dass auch Sie sich gerne mit diesen vielseitigen
Informationen beschäftigen mögen!
Mit den besten Wünschen zur (vielleicht einmal weißen?) Weihnachtszeit – zur Zeit des Schreibens dieser Zeilen werden wir gerade eingeschneit – sowie für einen guten Start ins NEUE JAHR 2011 verabschieden wir uns von
Ihnen im so schnell vergangenen Jahr 2010 .
Ihre Redaktion
BALLETT
INTERN
(Foto: Regina Brocke)
Herausgeber: Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e. V. – Heft 96 / 33. Jg. – Nr. 5 /Dezember 2010 – ISSN 1864 –1172
Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2011
Choreographie
Deutscher Tanzpreis 2011
Eric Gauthier
Egon Madsen
(Laudatio: Reid Anderson)
(Laudatio: Giuseppe Carbone)
Deutscher Tanzpreis 2011
Deutscher Tanzpreis »ZUKUNFT« 2011
Gala zur Preisverleihung
Samstag, 26. Februar 2011 – 18.00 Uhr
Aalto-Theater Essen
in Choreographien von
Eric Gauthier, Marius Petipa, Uwe Scholz, Christian Spuck
Deutscher Tanzpreis
»Zukunft« 2011
Tanz – männlich
Daniel
Camargo
(Laudatio: Tadeusz Matacz)
(Foto: Stuttgarter Ballett)
Es tanzen:
EGON MADSEN – ERIC GAUTHIER
»GAUTHIER DANCE«
Dance Company Theaterhaus Stuttgart
ELISA BADENES, DANIEL CAMARGO, JASON REILLY
(Stuttgarter Ballett)
BALLETT INTERN
ISSN 1864–1172
ist die Mitgliederzeitschrift des Deutschen Berufsverbandes für
Tanzpädagogik e . V . (DBfT) und erscheint fünf Mal im Kalenderjahr (Februar, April, Juni, August und Dezember) . Die Zeitschrift
geht den Mitgliedern des Verbandes kostenlos zu . Nichtmitglieder können BALLETT INTERN abonnieren: Deutschland
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Redaktion dieser Ausgabe: Ulrich Roehm (verantwortlich),
Dagmar Ellen Fischer (dagmar .fischer@ballett-intern .de), Frank
Münschke dwb
Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dagmar Ellen Fischer (Hamburg), Horst Koegler (Stuttgart), Frank
Münschke dwb (Essen), Günther Rebel (Münster), Ulrich Roehm (Essen), Melanie Suchy (Frankfurt), Katharina Szöke (Münster), Jenny J . Veldhuis (Amsterdam)
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder . Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne ausdrückliche Genehmigung der Redaktion nicht gestattet . Für unverlangt eingesandte
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behält sich das Recht vor, Leserbriefe zu kürzen . Manuskripte gehen in das Eigentum
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Die Preisträger des Deutschen Tanzpreises 2011 und des Deutschen Tanzpreises »Zukunft« 2011
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Druck:
BALLETT
Heft 5/2010
INTERN
DEUTSCHER TANZPREIS 2011
Egon Madsen – Deutscher Tanzpreis 2011
Von Dagmar Ellen Fischer und Ulrich Roehm . . . . . . . . . . .
2
Daniel Camargo – Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2011
Tanz – männlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Eric Gauthier – Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2011
Choreographie
Von Dagmar Ellen Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
Schirmherr Prof. Dr. Norbert Lammert . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Laudator Reid Anderson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Laudator Guiseppe Carbone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Laudator Tadeusz Matacz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Die Entwicklung geht weiter –
Ballett-Akademie München
Von Jenny J . Veldhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Tanz als Mittel der Heilung gegen die Gewissheit
Ivan Liška zum 60 . Geburtstag
Von Dagmar Ellen Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
»Nicht nur ein hoch willkommenes
zusätzliches schulisches Standbein«
15 Jahre Tanzstiftung Birgit Keil
Von Horst Koegler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
15 Jahre »Internationale Sommertanzwoche Bregenz«
Von Günther Rebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
Von Einem zum Anderen
Das Programm »Unfolded« in Köln
Von Melanie Suchy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Ein Fest für den Tanz in Düsseldorf
8 . Internationale Tanzmesse NRW
Von Günther Rebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
Tanzen, so selbstverständlich wie eine Schulstunde
»Tanz ist KLASSE!« in Berlin
Von Dagmar Ellen Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
Worüber Noverre sich so seine Gedanken machte
Zum 200 . Todestag des Reformers
Von Dagmar Ellen Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Frédéric Chopin und der Tanz
Zum 200 . Geburtstag des polnischen Musikers
und Komponisten
Von Dagmar Ellen Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
Kurz und bündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
Buchempfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Gestaltung:
Realisation:
Ulrich Roehm, Frank Münschke dwb
Klartext Medienwerkstatt GmbH
45327 Essen, Bullmannaue 11
www .k-mw .de — dbft@k-mw .de
Tel .: +49(0)201–9222 535 (Frank Münschke dwb)
Anzeigen und Beilagen: Gültige Preisliste: 1/2009
Heft 1/2011 erscheint
Anfang Februar 2011
Redaktionsschluss:
8 . Januar 2011
Anzeigenschluss:
15 . Januar 2011
Annahmeschluss Beilagen:
20 . Januar 2011
Egon Madsen
»Deutscher Tanzpreis 2011«
(Foto: Regina Brocke)
Dagmar Ellen Fischer und Ulrich Roehm
Egon Madsen ist ein Wunder –
ein Tanz-Wunder – im Alter von
68 Jahren steht er nach wie vor
auf der Bühne . Egon Madsen
war ein Wunder, denn am sogenannten Stuttgarter BallettWunder hatte er in den 1960er
Jahren maßgeblichen Anteil .
Sein Name und seine Weltkarriere sind untrennbar mit John
Cranko und dem »Stuttgarter
Ballett« verbunden, und mit ihm
gemeinsam schrieb er in Stuttgart Ballettgeschichte – nicht
nur durch die Vielzahl von Rollen
die für ihn geschaffen wurden und die bis heute fester Bestandteil
des Repertoires von führenden Ballettcompagnien weltweit sind,
sondern auch als eine der legendären Persönlichkeiten, mit denen
das »Stuttgarter Ballett« die Bühnen der Welt eroberte .
Sein getanztes Leben auf eine musikalische Formel gebracht,
könnte A – B – A lauten: Zunächst war er Tänzer am »Stuttgarter
Ballett«, danach Ballettdirektor verschiedener europäischer Compagnien, und schließlich gelang ihm die Rückkehr auf die Bühne
als Tänzer des »Nederlands Dans Theater III« und als Freelancer .
Mit dieser ungewöhnlichen Laufbahn ist er in der internationalen
Tanzwelt eine absolute Ausnahme-Erscheinung .
Von familiärer künstlerischer Vorbelastung kann man in seinem
Fall nicht sprechen, seine Eltern waren beide Handwerker . Egon
Madsen kam 1942 auf der dänischen Insel Fünen zur Welt . Nachdem er den Widerstand seines Großvaters gegen einen Tänzer in
der Familie überwinden konnte, erhielt er den ersten Ballettunterricht während seiner Grundschulzeit . Schon bald danach trat er
mit dem »Aarhus Kinderballett« auf, einige Jahre später tourte er
als Mitglied des »Jugendballett« durch das Nachkriegsdeutschland
der 1950er Jahre mit bereits Aufsehen erregenden persönlichen
Jugend-Erfolgen . Nach ersten Engagements in Dänemark kam er
1961 nach Stuttgart, nur ein Jahr später ernannte John Cranko den
20-Jährigen zum Solisten .
Egon Madsens herausragende tänzerischen und schauspielerischen Talente sowie seine Wandlungsfähigkeit inspirierten eine
Vielzahl von Choreographen, allen voran John Cranko . Dieser
schuf für ihn die Rollen des Lenski in Onegin, Prinz Siegfried in
Schwanensee, Don José in Carmen, Gremio in Der Widerspenstigen Zähmung, Graf Paris in Romeo und Julia, des Joker in Jeu de
Cartes und des Jünglings in Poème de l‘extase . Kenneth MacMillan kreierte für Egon Madsen in dieser Zeit die Rolle des »Ewigen«
in seinem inzwischen weltberühmten Ballett Das Lied von der
Erde und Peter Wright die des Albrecht in Giselle .
John Neumeier kreierte für ihn und mit ihm die Rolle des Armand Duval in Die Kameliendame, Kollegin Marcia Haydée tanzte
die Titelrolle .
Nach Crankos frühem Tod 1973 wurde die Zusammenarbeit mit
anderen Choreographen intensiver . Mit Glen Tetley erarbeitete sich
2
Egon Madsen ein modernes Repertoire durch Hauptrollen in u . a .
Pierrot lunaire, Daphnis und Chloé und Arena . Weitere Höhepunkte waren Kenneth MacMillans Requiem und John Neumeiers Der
Fall Hamlet . Neben Marcia Haydée zählten zu Egon Madsens Partnerinnen viele weitere berühmte Ballerinen, z . B . Margot Fonteyn,
Gelsey Kirkland, Lynn Seymour, Eva Evdokimova, Anita Cardus und
Lucia Isenring, mit der er seit 1980 verheiratet ist .
1981 übernahm Egon Madsen die Leitung des Balletts in Frankfurt, wo er das Repertoire erheblich erweiterte . Später wurde er
zum Ballettdirektor des Königlich Schwedischen Balletts in Stockholm berufen, anschließend war er Ballettdirektor am Teatro Communale in Florenz . 1990 holte ihn Marcia Haydée als Ballettmeister
und späteren stellvertretenden Ballettdirektor zum »Stuttgarter Ballett« zurück; 1996 ging Egon Madsen als Erster Ballettmeister zum
Leipziger Ballett unter der Leitung von Uwe Scholz .
1999 folgte er einer Einladung Jiří Kyliáns zum »Nederlands Dans
Theater III« und betrat somit nach langer Pause wieder die Bühne .
Diese einmalige Truppe von Tänzern über 40 wurde mit einem auf
die starke Bühnenpräsenz seiner Mitglieder maßgeschneiderten Repertoire weltberühmt . Egon Madsen übernahm von 2000 bis 2007
die Künstlerische Leitung des »NDT III« und inspirierte als Tänzer zudem erneut Choreographen wie Mats Ek, Jiří Kylián, Paul Lightfoot,
Egon Madsen in »M . M . & More«, Choreographie: Eric Gauthier
(Foto: Regina Brocke)
Ballett Intern 5/2010
Robert Wilson und Meryl
Tankard .
Im September 2007
feierte Egon Madsen an
der Seite von Eric Gauthier
einen »Sensationserfolg«
(BallettTanz) am Theaterhaus Stuttgart in Christian
Spucks (Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2006) Don
Q ., Eine nicht immer getanzte Revue über den
Verlust der Wirklichkeit,
das 2008 und 2009 auf
Gastspielen in Europa und
Asien zu sehen war . 2008
trat er an der Seite von Carla Fracci an der Römischen
Oper in Renato Zanellas
Peer Gynt auf – eine Rolle,
die der italienische Choreograph Egon Madsen auf
den Leib schneiderte .
2009 kreierte Eric Gauthier das Stück M . M . &
More für Egon Madsen,
eine Hommage an den
berühmten französischen
Pantomimen Marcel Marceau, in der Egon Madsen
(Foto: Regina Brocke)
schauspielerisch-pantomi- Egon Madsen (links) mit Eric Gauthier in »Don Q .«, Choreographie: Christian Spuck
misch über sich selbst hinauswuchs und sich zur Konkurrenz des großen Mimen Marceau
pädagogik« angeschlossen mit der Entscheidung, Egon Madsen
hinaufspielte . Die Uraufführung von M . M . & More fand am Grand
als eine der größten Tänzer-Persönlichkeiten unserer Zeit mit dem
Théâtre de Ville in Luxemburg statt und war seitdem am TheaterDeutschen Tanzpreis 2011 zu ehren!
■
haus Stuttgart und an
weiteren Theatern in
Deutschland zu sehen .
Seit 2009 ist Egon
Madsen Company Coach
von »Gauthier Dance« und
als Gastdozent weltweit
tätig . Die beiden Künstler verbindet inzwischen
weit mehr als eine regelmäßige Zusammenarbeit,
Eric Gauthier sagt über
seinen älteren Kollegen
und Freund: »Es ist für
mich und für ›Gauthier
Dance‹ eine Ehre, Egon
Madsen in unserem jungen Team zu wissen .
Er ist für mich einer der
größten Künstler seiner
Generation; wir können
und werden alle sehr viel
von ihm lernen .«
Diesem Urteil hat sich
die Jury des »Vereins zur
Förderung der Tanzkunst
in Deutschland« in Verbindung mit dem »Deutschen
Berufsverband für Tanz- Egon Madsen (links) mit Eric Gauthier in »Don Q .«, Choreographie: Christian Spuck
(Foto: Regina Brocke)
Ballett Intern 5/2010
3
Impressionen aus dem Tänzerleben Egon Madsens:
o . l .: Egon Madsen als Joker in »Jeu de Cartes«, Choreographie: John
Cranko
(Foto: Archiv Madsen)
o . r .: Egon Madsen (Mitte) mit Carl Morrow und Richard Cragun
(rechts) in »Romeo und Julia«/»Tod des Mercutio«, Choreographie: John Cranko
(Foto: L . E . Spatt/Archiv
Madsen)
u . l .: Egon Madsen und Marcia Haydée in »Die Kameliendame«,
Choreographie: John Neumeier
(Foto: L . E . Spatt/Archiv Madsen)
u . r .: Egon Madsen und Susanne Hanke in »Der Widerspenstigen Zähmung«, Choreographie: John Cranko
(Foto: Hannes Kilian/Archiv Madsen)
4
Ballett Intern 5/2010
Daniel Camargo
(Foto: Stuttgarter Ballett)
Deutscher Tanzpreis »ZUKUNFT« 2011
Tanz – männlich
Stuttgarter Ballett
Daniel Camargo wurde in Sorocaba, Brasilien, geboren . Er
erhielt seinen ersten Ballettunterricht an einer privaten Schule und besuchte von 2000 bis
2005 die Tanzschule des »Teatro
Guiara« in Curitiba, Brasilien . Im
Jahr 2005 entdeckte Tadeusz
Matacz, Direktor der John Cranko Schule, Daniel Camargo beim
Ballettwettbewerb »Youth America Grand Prix« und lud ihn ein,
seine Ausbildung in Stuttgart
fortzusetzen . Von 2005 bis 2009
studierte Daniel Camargo an der
John Cranko Schule, u . a . bei dem weltberühmten Tanzpädagogen
Petr Pestov, der ehemals Lehrer an der Bolschoi Ballettschule in
Moskau war . Daniel Camargo schloss seine Ausbildung im Juli 2009
Daniel Camargo mit Elisa Badenes im Grand Pas de deux des 3 . Aktes in »Don
Quichotte«, Choreographie: Marius Petipa
(Foto: Ulrich Beuttenmüller)
Daniel Camargo in »Notations I–IV«, Choreographie: Uwe Scholz
(Foto: Ulrich Beuttenmüller)
Ballett Intern 5/2010
ab und tanzte bei der Schuljahresabschlussvorstellung das technisch und darstellerisch extrem anspruchsvolle Solo Notations I–IV,
welches Uwe Scholz 1996 einst für Vladimir Malakhov kreierte .
In der Spielzeit 2009/10 wurde Daniel Camargo direkt Mitglied
des Stuttgarter Balletts .
Mehrere Choreographen haben bereits Rollen für Daniel Camargo kreiert, darunter die Choreographen Wayne McGregor in Yantra
und Jorma Elo in RED in 3 . Marco Goecke, Hauschoreograph des
»Stuttgarter Ballett«, kreierte ebenfalls eine Rolle in Orlando für Daniel Camargo ebenso wie die jungen Choreographen Bridget Breiner in Letters of Others sowie David Moore in Meridian .
Beim »Stuttgarter Ballett« tanzte er außerdem den Bauern-Pasde-deux in Giselle (Inszenierung: Reid Anderson, Valentina Savina) .
Ebenso war er in Vergessenes Land (Jiří Kylián), Big Blur (Demis
Volpi) zu sehen und tanzte Corps-de-ballet-Rollen in La fille mal
gardée (Sir Frederick Ashton), Dornröschen (Marcia Haydée nach
Marius Petipa), Das Lied von der Erde, Requiem (beide: Kenneth
MacMillan), Opus 1 (John Cranko), Siebte Sinfonie (Uwe Scholz)
sowie in John Crankos Romeo und Julia .
Neben der für seine jungen Jahre außergewöhnlich überzeugenden solistischen Leistung in Notations zeigt Daniel Camargo seine
brillante Tanztechnik in dem Grand Pas de deux aus dem 3 . Akt des
Balletts Don Quichotte von Marius Petipa .
■
5
Eric Gauthier
Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2011
Choreographie
»Gauthier Dance«
(Foto: Maks Richter)
Dance Company Theaterhaus Stuttgart
Von Dagmar Ellen Fischer
Deutschland zu kommen – neben den Solisten war er der einzige
Gruppentänzer, auf den Anderson offensichtlich Wert legte .
Eric Gauthier nahm das Angebot an, und in den folgenden Jahren tanzte er klassische und neo-klassische Rollen in Balletten von
Frederick Ashton, George Balanchine, John Cranko und Kenneth
MacMillan . Die Liste der Choreographen, mit denen er in Stuttgart
zusammen arbeitet, klingt ähnlich beeindruckend: Nacho Duato, Jiři
Kylián, Hans van Manen, John Neumeier und in schöner Regelmäßigkeit William Forsythe . Einige aus der jüngeren ChoreographenGeneration kreierten Rollen für ihn, darunter Mauro Bigonzetti .
Kevin O’Day, Daniela Kurz und Marc Spradling . Sein Debüt als Choreograph gab Eric Gauthier 2005 im Rahmen der von der NoverreGesellschaft angebotenen Matineen »Junge Choreographen« . Ein
Jahr später machte er beim 21 . Internationalen Choreographischen
Wettbewerb in Hannover auf sich aufmerksam, als er für sein »Ballet
101« sowohl den Kritiker- als auch den Publikums-Preis erhielt . 2006
verließ Eric Gauthier das Stuttgarter Ballett – aber keineswegs die
Bühne: Im folgenden Jahr tanzte er gemeinsam mit Egon Madsen in
Christian Spucks »Don Q .« – das Stück Tanztheater entpuppte sich
als sensationeller Erfolg und tourt seither durch Europa .
■
Er ist ein seltenes Multitalent,
dieser Eric Gauthier . So vielseitig, dass ein Leben vielleicht
nicht ausreicht, um all die Pläne
und Ideen zu verwirklichen, die
in ihm stecken . Eric Gauthier ist
Tänzer, Choreograph, Gründer
und Leiter seiner eigenen TanzCompany, Musiker, Songtexter –
und vor wenigen Monaten zum
ersten Mal Vater geworden!
Was für andere Stress pur wäre,
ist für Eric Gauthier
Ausgleich: »Es sind zwei völlig unterschiedliche Welten,
die der Rockmusik und jene des Tanzes . In der einen darf
ich laut und spontan, in der anderen sehr präzise sein .«
Als Tänzer des Stuttgarter Balletts war er viele Jahre präzise und perfekt, aber offensichtlich nicht wirklich ausgelastet . »Wenn ich eine Zeitlang nur tanze, brauche ich
noch eine andere Art Output«, und die findet der begabte Allround-Künstler in seiner Rock-Band, für die er auch
komponiert und textet – nur so zum Spaß und als Hobby .
Ernster dagegen betrieb er die Gründung seiner eigenen Truppe »Gauthier Dance«, die als neue »Resident
Dance Company« am Stuttgarter Theaterhaus Heimat
und Spielstätte fand . Seit 2007 leitet Eric Gauthier diese
eigene Compagnie, für die er selbst choreographiert,
aber auch ständig auf der Suche nach geeigneten Stücken renommierter Choreographen ist . Itzik Galili beispielsweise gehörte von Anfang an dazu, und demnächst wird »Gauthier Dance« Werke von Hans van
Manen und William Forsythe zeigen können, die sich
für das kleine achtköpfige Ensemble eignen . Dass Kollegen dieses Kalibers bereit sind, mit der jungen Truppe
zu kooperieren, liegt sicher zunächst an Eric Gauthiers
erfolgreicher Laufbahn als Tänzer und Choreograph;
doch seine Vitalität und die offene und herzliche Art, mit
Menschen umzugehen, spielen vermutlich eine ebenso
große Rolle .
Der 1977 in Montreal geborene Eric Gauthier begann seine Tanzausbildung bei »Les Grands Ballet Canadiens« in seiner Heimatstadt, später wechselte er
zur »National Ballet School of Canada« in Toronto .
1995 – mit 17 Jahren – tanzte er unter Reid Andersons Leitung im »National Ballet of Canada« . Als Anderson ein Jahr später zum Direktor des Stuttgarter
Balletts berufen wurde, bat er Eric Gauthier mit nach Eric Gauthier in »Four Play: Double You«, Choreographie: Jiři Kylián
6
(Foto: Regina Brocke)
Ballett Intern 5/2010
Gauthier Dance Mobil
»Gauthier Dance«: Maria Deller-Takemura, Marianne Illig, Giuseppe
Spota, Egon Madsen, Garazi Perez Oloriz, William Moragas, Björn
Helget (v .l .n .r .) in »M . M .& More«, Choreographie: Eric Gauthier
Marianne Illig, Armando Braswell und Garazi Perez-Oloriz, Mitglieder
der Gauthier Dance Company in »Orchestra of Wolves«, Choreographie: Eric Gauthier
(Fotos: Regina Brocke)
Ballett Intern 5/2010
Mit einem maßgeschneiderten Repertoire an Stücken, die auf minimalem
Raum tanzbar sind, mobilisiert »Gauthier Dance« den Tanz wortwörtlich und
holt ihn von der Bühne des Theaters in Räumlichkeiten, die bisher als »untanzbar« galten . Mit »Gauthier Dance Mobil« bringt die Truppe den Tanz zu Kindern und Jugendlichen sowie zu den Menschen, die keine Möglichkeit haben,
sich an der Kunstform Tanz zu erfreuen: Menschen in Senioreneinrichtungen,
Menschen mit Behinderungen oder in psychischer Rehabilitation .
Dieses sozio-kulturelle Projekt hat Eric Gauthier ins Leben gerufen und
knüpft damit an das soziale Engagement des Theaterhauses an . Gauthier ist
Sohn eines angesehenen kanadischen Neurologen . Als Kind verbrachte er
viel Zeit in Vaters Praxis und hatte so Kontakt zu Menschen, die oft einfach
aus unserer Gesellschaft »verschwinden« – in Heime oder Ähnliches . Für viele
Senioren stellt die verlorene Möglichkeit, Kultureinrichtungen zu besuchen,
eine besonders schwere Entbehrung dar . Mit »Gauthier Dance Mobil« lässt
Eric Gauthier auch die Menschen wieder am Tanz teilhaben . »Wenn sie nicht
ins Theaterhaus kommen können, dann gehen wir zu ihnen«, sagt er . Den
Tanz so zu »befreien« und dadurch Menschen zu bewegen und ihr Leben zu
bereichern, ist eines der wichtigsten Ziele von »Gauthier Dance mobil« .
»Gauthier Dance« mobilisiert den Tanz aber auch für Kinder und Jugendliche in Krankenhäusern, in Schulen und in Heimen für Behinderte sowie
für die Jugendhäuser Stuttgarts und der Region . Das Ziel ist dabei, junge
Menschen für Tanz zu interessieren und sie in diese Welt einzuführen . Nach
den Auftritten setzen sich Eric Gauthier und seine Tänzer mit den Kindern
und Jugendlichen zusammen, um sich den Fragen des jungen Publikums zu
stellen .
■
7
Schirmherr
Laudator
Reid Anderson
(Foto: Stuttgarter Ballett)
(Foto: Bildstelle des Deutschen Bundestages)
Prof. Dr. Norbert Lammert
Prof. Dr. Norbert Lammert, geboren 1948 in Bochum, ist seit
Oktober 2005 Präsident des Deutschen Bundestages, dem er seit
30 Jahren angehört.
Er war Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (1989 bis 1994), beim Bundesministerium für Wirtschaft (1994 bis 1997) und beim Bundesministerium für Verkehr (1997 bis 1998) .
Von 1998 bis 2002 war er kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion . Als stellvertretender Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung ist er Initiator der seit 2001
etablierten »Potsdamer Gespräche zur Kulturpolitik«, deren Schwerpunktthema im Herbst vergangenen Jahres der Tanz war . Seine
Rede zur Eröffnung des 2 . Deutschen Tanzkongresses in Hamburg
im November des letzten Jahres hat über die Tanzszene hinaus Aufmerksamkeit und Zustimmung gefunden .
Norbert Lammert ist Honorarprofessor an der Ruhr-Universität
Bochum und Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen,
darunter: »Zwischenrufe . Politische Reden über Geschichte und
Kultur, Demokratie und Religion .« Berlin 2008; »Flagge zeigen . Vielfalt braucht Orientierung .« Lahr/Schwarzwald 2008; »Verfassung –
Patriotismus – Leitkultur . Was unsere Gesellschaft zusammenhält«
(Hrsg .) Hamburg 2006 .
■
2005
2005
2006
2007
8
Reid Anderson wurde im kanadischen New Westminster, British
Columbia, geboren und wurde im Februar 1969 Mitglied beim
»Stuttgarter Ballett«, das zu jener Zeit John Cranko als Ballettdirektor leitete . Während seiner 17-jährigen Karriere beim »Stuttgarter
Ballett« tanzte Reid Anderson, der 1974 zum Solisten und 1978
zum Ersten Solisten befördert wurde, in vielen klassischen und
zeitgenössischen Stücken und arbeitete mit einigen der führenden
Choreographen des 20 . Jahrhunderts .
Von August 1987 bis Juni 1989 war Reid Anderson Ballettdirektor des »Ballet British Columbia« in Vancouver und wurde im
Juli 1989 zum Ballettdirektor des »National Ballet of Canada« in
Toronto ernannt . 1996 kehrte Reid Anderson als Künstlerischer Direktor zum »Stuttgarter Ballett« zurück und wurde am Ende dieser
Spielzeit zum Ballettintendanten ernannt . Von Anfang an verfolgte
Reid Anderson eine Repertoire-Gestaltung, bei der neben der Pflege
des Cranko-Erbes und der hohen Schule des klassischen Balletts die
Entdeckung und Förderung junger Talente breiten Raum einnimmt
und die Werke etablierter zeitgenössischer Meister einen weiteren
Schwerpunkt bilden .
Im Februar 2006 erhielt Reid Anderson den Deutschen Tanzpreis
2006 für seine Verdienste um den künstlerischen Tanz in Deutschland . Im Februar 2006 kürten die Leser der renommierten Tanzzeitschrift »Dance Europe« Reid Anderson zum »Director of the Year« .
Im April 2009 wurde Reid Anderson die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg verliehen .
■
Deutscher Tanzpreis »Zukunft«
Polina Semionova (Tanz – weiblich)
Flavio Salamanka (Tanz – männlich)
Thiago Bordin (Choreographie)
Laudatio: Norbert Lammert
Alicia Amatriain (Tanz – weiblich)
Jason Reilly (Tanz – männlich)
Christian Spuck (Choreographie)
Laudatio: Lothar Späth
Katja Wünsche (Tanz – weiblich)
Marian Walter (Tanz – männlich)
Terence Kohler (Choreographie)
Laudatio: Iris Jana Magdowski
2011
2009
Marijn Rademaker (Tanz – männlich)
Laudatio: Christian Spuck
2010
Iana Salenko (Tanz – weiblich)
Laudatio: Klaus Geitel
2011
Daniel Camargo (Tanz – männlich)
Laudatio: Tadeusz Matacz
Eric Gauthier (Choreographie)
Laudatio: Reid Anderson
Ballett Intern 5/2010
Laudator
Tadeusz Matacz
(Foto: Ulrich Roehm)
(Foto: DS Photo Staff – Archiv Carbone)
Laudator
Giuseppe Carbone
Guiseppe Carbone startete seine Karriere 1960 als Erster Solotänzer an der Bonner Oper, anschließend am »Teatro la Fenice« in
Venedig, am »Turin Royal Theatre« und dem »Stockholm Cullberg
Ballet« .
Neben seiner Karriere als Tänzer nahm er ständig Aufgaben als
Choreograph für das »Teatro la Fenice« in Venedig, das »Turin Royal
Theatre«, das Spoleto »Festival dei due Mondi«, die »Arena di Verona«, die »Opera di Roma«, die »Teatro San Carlo«, Neapel und die
»Oper Bonn« wahr .
Sein Interesse galt sowohl dem Klassischen Tanz als auch den
zeitgenössischen Choreographien .
In Kürze seine weitere Laufbahn als Ballettdirektor: »Oper Bonn«
(1968–1970), »Arena di Verona« (1982–1985 und 1988–1991),
»Teatro la Fenice«, Venedig (1971–1973), »Turin Royal Theatre«
(1973–1975), »Stockholm Cullberg Ballet« (1975–1979), Ballett der
»Scala di Milano« (über verschiedene Spielzeit-Perioden der Jahre
1979 bis 1999) und »Opera di Roma« (1994–1997) .
1995 gründete er seine eigene Tanz-Company, das »Balletto di
Venezia« .
Überdies hat er mit vielen Ballettcompagnien Italiens und aus
anderen Ländern zusammengearbeitet (»Carte Bianche« – Bergen/
Norwegen, »Alberta Ballet of Canada«, »Caracas Contemporary
Ballet«, Ballett der »Opera di Roma«, Ballett der »Scala di Milano«
und »Classical Dance National Ballet 2000«) .
Während seines langen Berufslebens richtete er einige repräsentative Tanzfestivals aus: »Bolzano Danza« in Bozen (1986–1993 in
Co-Direktion mit Ulrich Roehm), »Pisani Festival« in Venedig (1985–
1993), »Mantua Festival« (seit 1999), das »Festival of Contemporary
Dance«, Stockholm (2001) .
1977 verlieh ihm Giulio Andreotti, der damalige Ministerpräsident Italiens, den Titel »Cavaliere d’Italia« .
1999 wurde er zum »Official of the Italian Republic« geschlagen .
Von 2001 bis 2008 war er Künstlerischer Direktor des »Danzaria
Project« am »Guiditta Pasta Theatre« in Saronno .
Nachdem er 2009/10 Direktor des Balletts des Opernhauses
»Teatro San Carlo«, Neapel, war, wurde er 2010 Künstlerischer Berater des »Teatro Alfiere« in Castelnuovo di Garfagna .
Giuseppe Carbone ist ein langjähriger Gefährte Egon Madsens . ■
Tadeusz Matacz, geboren in Warschau, Polen, absolvierte seine
Ballettausbildung an der staatlichen Ballettschule in Warschau, wo
er im Anschluss auch eine pädagogische Ausbildung bei Leonid Zhdanov abschloss .
1977 hatte er im »Großen Theater Warschau« sein erstes Engagement als Tänzer; gleichzeitig war er als Pädagoge an der Ballettschule in Warschau tätig .
Von 1979 bis 1984 war Tadeusz Matacz Erster Solotänzer am
»Großen Theater Warschau« . Von 1984 bis 1992 war er Solotänzer
am »Badischen Staatstheater« in Karlsruhe, wo er ab 1988 zusätzlich
pädagogische Verpflichtungen übernahm . Von 1992 bis 1998 war
er Trainingsleiter, Ballettmeister und Choreograph am Badischen
Staatstheater in Karlsruhe . Von 1990 bis 1998 war Tadeusz Matacz
zusätzlich Gast-Trainingsleiter beim »Ballett Frankfurt«, »Toulouse
Ballet«, dem »Großen Theater Warschau« und von 1997 bis 1998
auch beim »Stuttgarter Ballett« .
Seit dem 1 . Januar 1999 ist Tadeusz Matacz Direktor der JohnCranko-Schule .
Er wird regelmäßig als Juror zu den renommiertesten internationalen Ballettwettbewerben eingeladen .
■
Der Vorverkauf für die
Ballett-Gala am 26.2.2011
hat begonnen!
Die Mitglieder des Deutschen Berufsverbandes
für Tanzpädagogik e. V. wenden sich bitte
an die Geschäftsstelle.
Alle anderen Interessenten wenden sich bitte an die
Theaterkasse Essen:
Tel: 0049 (0)201 812–2200
www.theater-essen.de
Jahreshauptversammlung
2011
des Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik e. V.
26./27. Februar 2011
im Mövenpick Hotel Handelshof Essen
Ballett Intern 5/2010
9
Die Entwicklung
geht weiter
Ballett-Akademie München
Von Jenny J. Veldhuis
Meine erste Begegnung mit der Ballett-Akademie in München war
Ende der 1980er Jahre (siehe BALLETT INTERN 2/1991) . Es folgte
ein weiterer Besuch acht Jahre später (BALLETT INTERN 2/1998) anlässlich der Initiative Konstanze Vernons zu einer Pädagogenausbildung für im Bayerischen Staatsballett engagierte Tänzer . Eine Ausbildung dieser Art war seinerzeit neu; und obwohl sie erfolgreich
war, wurde sie nach einigen Jahren wieder eingestellt .
Nun ein weiterer Besuch in München, denn es bewegt sich dort
wieder etwas .
Konstanze Vernon hatte mit der von ihr und ihrem Mann Fred
Hoffmann 1978 gegründeten Heinz-Bosl-Stiftung der professionellen Tänzerausbildung in München zu neuem Aufschwung verholfen . Später übernahm sie auch die Leitung der 1964 gegründeten
Ballett-Akademie der Hochschule für Musik (seit 1998 »Hochschule
für Musik und Theater«) . 2008 wurde sie pensioniert – und Robert
North, seines Zeichens vor allem Choreograph, übernahm für zwei
Jahre ad interim die Leitung der Ballett-Akademie .
Seit dem 1 . Oktober 2010 heißt der neue Leiter der Ballett-Akademie Jan Broeckx (siehe BALLETT INTERN 3–4/2010) . Ihn kennt
man in München: Von 1984 bis 1986 war er Solist des Bayerischen
Staatsballetts, 1985 mit dem Münchner Ehrentitel »Künstler des
Jahres« bedacht . Danach kam er viele Male als Gasttänzer zurück .
Broeckx’ Ausbildung begann im Alter von zehn Jahren in seiner
Heimatstadt Antwerpen an der Königlichen Ballettakademie, die
damals bereits über einen integrierten allgemeinbildenden Schulzweig verfügte . Nach einer beachtlichen Laufbahn als Tänzer bei
verschiedenen Compagnien in Europa begann er in den 1990er
Jahren zu unterrichten, zunächst im Ballettstudio von Colette Armand in Marseille, wo er viele Schüler auf den Prix de Lausanne
vorbereitete (an dem er Ende der 1970er Jahre selbst erfolgreich
teilgenommen hatte), später auch an der Marseiller École Nationale
Supérieure de Danse . Deren Gründungsdirektor, Roland Petit, beauftragte Broeckx unter anderem mit der Einstudierung einiger Ballette Roland Petits bei Compagnien in Europa, aber auch in China,
Japan und in Moskau .
Nun ist Jan Broeckx – der auch ein Sprachtalent ist: er spricht
Niederländisch, Englisch, Italienisch und Deutsch – zurück in München . Die Stadt ist ihm durch seine Zeit beim Bayerischen Staatsballett vertraut, und dass die Ballett-Akademie München anders
organisiert ist, als die Schulen, die er bislang kannte, war ihm sofort
klar – und nicht minder, dass sich über die Jahre in der Ausbildung
von Tänzern einiges geändert hat .
So gibt es heute integrierte allgemeinbildende Schulzweige in
Berlin und Dresden, auch in Budapest, Antwerpen und Den Haag .
In München gibt es sie nicht – sondern die Vollzeitstudenten haben entweder schon in ihrem Heimatland einen Schulabschluss gemacht, oder sie müssen sich mit einem Fernlehrgang begnügen .
Dagegen können die Schüler der Vorausbildung (ab dem siebten
Lebensjahr) erst nach dem normalen Schulunterricht zum Ballettunterricht kommen .
Gegenwärtig hat die Akademie rund 140 Schüler, ein Drittel davon sind Jungen . In der Vollzeitausbildung wird Klassischer Tanz,
Moderner Tanz, Pas de deux, Repertoire, Charaktertanz und Musik unterrichtet . Die Heinz-Bosl-Stiftung ermöglichte viele Jahre die
Münchner »Junior Compagnie«, bestehend aus den Schülern der
Stiftung und Akademie, als Brücke zwischen Ausbildung und Praxis
(aktuell wird das »Junior Compagnie«-Konzept weiterentwickelt zu
einer Kooperation aus Studenten der Stiftung und des Bayerischen
Staatsballetts) .
Jan Broeckx weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, dass
Tanzschüler eine gute allgemeinschulische Ausbildung erhalten,
und er hat es sich zum Ziel gesetzt, eine integrierte Allgemeinausbildung in München möglich zu machen . Ihm ist bewusst, wie wichtig
eine solche Ausbildung nicht nur für die Tanzkarriere, sondern auch
und gerade für die Zeit nach der bekanntermaßen kurzen Tanzlaufbahn ist .
Es wird interessant sein, in einigen Jahren zu sehen, ob es Jan
Broeckx gelungen ist, die Münchner Schule auch in dieser Hinsicht
gleichrangig zu den anderen prominenten Schulen in der Welt zu
entwickeln .
■
Der Leiter der Ballett-Akademie München: Jan Broeckx .
Studierende der Ballett-Akademie München in »Kadettenball«, Choreographie:
David Lichine
(Fotos: Charles Tandy)
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Ballett Intern 5/2010
Tanz als Mittel der
Heilung von der Gewissheit
Ivan Liška zum 60. Geburtstag
Von Dagmar Ellen Fischer
»Mit fast kindlicher Naivität glaubt er an die Wahrhaftigkeit seiner
Kunst …« Zwanzig Jahre ist es her, dass Irina Jakobsen dies über
Ivan Liška sagte . Damals war der Tänzer vierzig Jahre alt und als Erster Solist des »Hamburg Ballett« auf dem Höhepunkt seiner Karriere . Am 8 . November dieses
Jahres feierte Ivan Liška seinen sechzigsten Geburtstag in München – und der Satz seiner ehemaligen Ballettmeisterin ist nach wie vor gültig .
»Mir ging es immer um die Wahrhaftigkeit des
Augenblicks«, formuliert der Tänzer und Ballettdirektor sein Credo .
1950 in Prag geboren, absolvierte Ivan Liška
seine tänzerische Ausbildung am Konservatorium seiner Heimatstadt . Dort studierte in den
1960er Jahren mit ihm auch ein drei Jahre älterer Kommilitone, der ebenfalls in der internationalen Tanzwelt von sich reden machen sollte:
Jiři Kylián . »Ich war kein methodischer Student,
ich habe aber viel visuell von anderen gelernt«,
erinnert sich Ivan Liška . Nach dem sogenannten
Prager Frühling 1968 plante die fünfköpfige Familie Liška die Flucht in den Westen, doch die
wollte gut vorbereitet sein . Letzten Endes entschied Ivans Abitur über den Zeitpunkt – den Schulabschluss sollte
er noch machen, bevor allen Fünf auf abenteuerlichen Wegen und
unterschiedlichen Vorwänden die Flucht 1969 gelang . Im selben
Jahr nahm der ausgebildete Tänzer sein erstes Engagement im »Ballett der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg« an, das
damals unter der Leitung von Erich Walter stand . »Ich hätte auch
gern studiert, aber so musste ich mir nach der Tanzausbildung alles
selbst anlesen . Politik hat mich immer interessiert, das war ja von
Anfang an mit meinem Schicksal verbunden .«
In der Compagnie am Rhein begegneten sich Ivan Liška und Colleen Scott, die 1945 in Südafrika geborene Tänzerin und er wurden
ein Paar, das bis heute gemeinsam lebt und arbeitet . Beide wechselten 1974 an die Münchner Staatsoper, von dort ging das Tänzerpaar drei Jahre später zu John Neumeiers »Hamburg Ballett« . Von
1977 an prägten Colleen Scott und Ivan Liška das Gesicht dieser
Compagnie über die Dauer von zwanzig Jahren entscheidend mit,
Rollen wie »Peer Gynt« im gleichnamigen Ballett und jene des Odysseus in der »Odyssee« sind mit Ivan Liškas Persönlichkeit verbunden . Auch den Protagonisten in John Neumeiers »Endstation Sehnsucht«, Blanche du Bois und Stanley Kowalski, gaben die beiden ihr
Gesicht, »ich habe lange in mir gewühlt, bis ich es machen konnte«,
gesteht Liška, wenn er sich rückblickend an jene Brutalität in der
Vergewaltigungsszene erinnert, die er mit seiner Frau gestalten und
tanzen musste .
In Hamburg verändert sich seine Haltung zur eigenen Berufung:
»Im Alter von 33 Jahren habe ich angefangen, anders zu trainieren .
Bis dahin war alles Jugend, Kraft und Hingabe! Doch dann habe
ich mit Yoga und Stretching begonnen . Es kamen Themen, die
John Neumeier in seinen Balletten wählte, essentielle Themen, da
wollte ich nicht nur dabei sein, sondern mitdenken, alles nachvollziehen können, mehr für mich und den Prozess herausholen .« Der
Mann im Schatten beispielsweise – eine vielschichtige Figur in John
Neumeiers Ballett »Illusionen – wie Schwanensee« – flog Ivan Liška
Ballett Intern 5/2010
zu, die Bewegungen fühlten sich in seinem Körper an wie »geölt«,
denn »ich hatte verstanden, welche Absicht bestand und habe so
die Form leicht in mir gefunden« . Ivan Liška tanzte in Werken von
Maurice Béjart, John Cranko, Hans van Manen, Murray Louis, Erich
Walter, Bronislava Nijinska, Gerhard Bohner, Leonid Massine, George Balanchine, Frederick Ashton, Peter Wright, Glen Tetley und Rudi
van Dantzig – um nur die großen Namen zu nennen: »Überall, wo
ich war, habe ich die Sehnsucht nach dem Kunstwerk empfunden .«
Seine einzigartige Tänzerkarriere beendete Ivan Liška im Alter von
47 Jahren, »da kamen auch andere auf die Idee, dass ich danach
vielleicht eine eigene Compagnie leiten könnte« .
(Foto: Hösl)
Rudi van Dantzig machte ihm ein Angebot, auch
Stockholm, Berlin und Dresden zeigten Interesse . Bevor er sich dann 1997 für das »Bayerische
Staatsballett« in München entschied, führte er Gespräche mit anderen Theatern, dabei klärte sich
für ihn Folgendes: Um als Ballettdirektor zu bestehen, »muss man organisieren und kommunizieren
können sowie die Vision im Blick behalten« . Denn
im Grunde geht es um zwei Dinge: Choreographen einzuladen, um die Compagnie zu kultivieren,
oder fertige Werke zu holen . »Ich bin hier engagiert worden, um das beste Repertoire zu zeigen .
Experimentiertheater findet hier weniger statt . Das
Münchner Publikum liebt und versteht die Klassiker, und zugleich werden sie immer neugieriger auf
Modernes . Das ›Bayerische Staatsballett‹ zeigt das
vielfältigste Programm in Deutschland .« Bei diesem
Spektrum kann es auch schon mal einen Zwiespalt
geben, dann teilt sich das Publikum in begeisterte
und entsetzte Zuschauer, aber nur deshalb, »weil es Qualität hatte!
Ich will auch irritierende Werke zeigen können«, sagt Ivan Liška:
Ivan Liška in »Die Kameliendame«, Choreographie: John Neumeier
(Foto: Thomas Kaiser)
11
Es war »In the Country of last Things«, eine Choreographie von
Michael Simon, die im April 2006 das Münchner Publikum irritierte .
Bevor er die Verantwortung in München übernahm, arbeitete
seine Vorgängerin Konstanze Vernon ihn anderthalb Jahre ein, in
dieser Zeit lernte er die Aufgabenfelder eines Ballettdirektors kennen . Vernons Verdienste – sie erkämpfte die Eigenständigkeit der
Sparte Ballett – sind groß, auf dieser Vorarbeit konnte er aufbauen .
Und wird weiterkämpfen: »Ich finde es absolut notwendig, dass es
auch in München einen Ballettintendanten gibt!« Damit sich das
Ballett nicht immer wieder aufs Neue gegen »den große Elefanten
der Oper« behaupten muss . Das »Bayerische Staatsballett« bestreitet 30 % der Vorstellungen einer Spielzeit – mit einer Auslastung
von über 90 % . Ein unqualifizierter (Opern-)Intendant ist heute
nicht mehr tragbar, aber es gibt in Deutschland nur wenige Häuser,
die in Bezug auf Ballett einen wirklich verständigen Intendanten
haben: Hannover, Bielefeld und Karlsruhe fallen ihm da ein . Besser
jedoch wäre es, als Intendant die Sparte Ballett zu leiten – nach
dem Beispiel John Neumeiers in Hamburg, Vladimir Malakhovs in
Berlin und Reid Andersons in Stuttgart, die das jeweils für ihre Compagnie durchgesetzt haben .
»Das ›Bayerische Staatsballett‹ ist wie eine Magma-Masse: Es
pulsiert, ist ständig in Bewegung und verändert seine Form«, beschreibt Ivan Liška seine bewegliche Truppe . Zu der gehören derzeit 62 Tänzer und neun Volontäre; Bettina Wagner-Bergelt und
Wolfgang Oberender sind als Ivan Liškas Stellvertreter tätig in den
Bereichen Produktion, Disposition, Dramaturgie und Gastspiele; unter Wagner-Bergelts künstlerischer Leitung wurde »Campus«, das
Kinder- und Jugendprogramm des Bayerischen Staatsballetts, seit
1991 kontinuierlich weiter entwickelt und erhielt zahlreiche Auszeichnungen .
Die jüngste Formveränderungen der Magma-Masse ist eine
kleine Sensation: 2010 konnte eine Junior-Compagnie gegründet
werden, die 16 jungen Tänzern die Möglichkeit bietet, in Ruhe
herauszufinden, wohin ihr Weg gehen soll . Die 16 Tänzerstellen
füllen neun Volontäre des »Bayerischen Staatsballett« gemeinsam
mit sieben Studenten der Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst, deren Stipendien die Heinz-Bosl-Stiftung übernimmt . Am
12 . Dezember 2010 wird das neue Ensemble in der Bosl-Matinee
zum ersten Mal auftreten .
Ivan Liška war während seiner Laufbahn als Tänzer immer in großen
Compagnien engagiert, bewusst spricht er von einem »Ensemble«
und meint es im Sinne des französischen Begriffs, der am besten
mit dem deutschen Wort »zusammen« übersetzt wird . In solchen
Zusammenhängen denkt Ivan Liška, wenn er vom »Bayerischen
Staatsballett« spricht, das er nunmehr in der 13 . Spielzeit leitet: »Ich
will keine Compagnie mit Gasttänzern . Die Vorstellungen vibrieren
deswegen, weil ALLE mitmachen, auch hinten; niemand ist Hintergrund für einen Vordergrund, wo andere tanzen .« Zwei Kriterien
stehen bei den von ihm zu fällenden Entscheidungen im Vordergrund: 1 . Hat ein Werk Substanz? 2 . Ist es richtig für diese Compagnie? Dass manche Werke nur eine Zeit lang gültig zu sein scheinen, macht die Sache schwierig . Mats Ek beispielsweise war der
Meinung, dass seine »Giselle« nicht mehr aufgeführt werden solle;
doch Ivan Liška konnte den schwedischen Choreographen davon
überzeugen, sie wieder aufzunehmen: Das »Bayerische Staatsballett« zeigte sie im September 2010 – in der Titelrolle die Gruppentänzerin Gözde Özgür, die derart überragend war, dass »mir die
Tränen in die Augen stiegen«, so Liška begeistert . Wahrhaftigkeit
spielte auch hier wieder eine Rolle: »Wenn ich nicht glaube, was ich
mache, merkt das Publikum, dass ich betrüge .« Insofern sollte jeder Tänzer versuchen, die Anforderungen eines Choreographen zu
erfüllen, denn: Man weiß nie, welche Schichten bei einem solchen
Prozess noch freigelegt werden, bis die Wahrheit hervor kommt .
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(Foto: Marcel Fugère)
Es geht um »die Suche nach der Substanz, und so wird die ideelle
neben der formalen Seite des Tanzes« bedeutend . Aber auch Gedanken ganz anderer Art macht sich der Ballettdirektor Ivan Liška
über seine Tänzer: »Nur drei der Tänzer sind Deutsche, alle anderen
kamen wegen des Engagements hierher nach München, d . h . der
Sinn ihres Seins ist Tanzen; wenn es aber im Saal nicht funktioniert,
dann gibt es wenig als Ausgleich . Insofern warte ich meist zwei bis
drei Jahre, bis ich jemandem sage, dass es keinen Zweck hat .«
Warum macht Ivan Liška das, was er täglich macht? »Ich liebe
den Tanz!« lautet die spontane Antwort . Und nach einer Pause fügt
er hinzu: »Überall auf der Welt gibt es Konflikte aufgrund ethnischer und kultureller Gegensätze unter den Menschen . Im Tanz
habe ich den Luxus, Wahrheiten durch den menschlichen Körper
auszudrücken .«
Ethnische und kulturelle Gegensätze – das Thema beschäftigt
schon Kinder und Jugendliche in der Schule . »Deutsche Schulen
bieten ihren Schülern alles – vom Hals an aufwärts«, bringt Ivan
Liška die unsinnliche Grundhaltung hierzulande auf den Punkt, »wir
sind eine verbale Gesellschaft, intellektuell .« Da kann vielleicht nur
noch »verordneter Tanz« helfen: Die Schüler müssen geschlossen
als Klasse an einem Tanzprojekt teilnehmen . Unter der Überschrift
»Anna tanzt« kommt zum Beispiel eine integrative 7 . Klasse in den
Genuss von Tanzunterricht, der in einer Bühnenpräsentation endet .
»Es ist schrecklich viel Arbeit«, weiß Ivan Liška, denn zu Beginn finden die meisten Schüler die Tanzerei höchst uncool – und es gibt
immer einige unter ihnen, die nicht einmal in der Lage sind, rückwärts zu gehen! Doch wenn zum Schluss 15- und 16-jährige Jungen weinen, weil das Projekt zu Ende ist, weiß man wieder, warum
man sich so etwas antut: Das Selbstwertgefühl der Schüler steigt,
weil die Choreographie funktioniert, und das tut sie auch deshalb,
weil jeder seinen Anteil dazu beiträgt, »das Gefühl gebraucht zu
werden, gibt Befriedigung«, resümiert Ivan Liška . Ob Profis oder
Amateure, Kunst hilft: »Die Kunst ist ein Mittel der Heilung von der
Gewissheit .« Vom Naturwissenschaftler und Künstler Carsten Höller
stammt dieser Satz, Ivan Liška trägt ihn in seiner Brieftasche seit
einiger Zeit mit sich herum und zitiert ihn ab und zu . Weil auch er
seine Aufgabe so versteht, in München, für die Tanzkunst, mit den
Menschen .
■
Ballett Intern 5/2010
»Nicht nur ein hoch willkommenes
zusätzliches schulisches Standbein«
15 Jahre Tanzstiftung Birgit Keil
Von Horst Koegler
Stiftungen sind »in« . Sie sind inzwischen nicht mehr weg zu denkender Teil unserer Kulturszene . In der Tat: In den Zeiten schwindender Ressourcen und eingefrorener, wenn nicht gar einschneidender
Kürzungen der kulturellen Etats und Subventionen der öffentlichen
Hand, sind sie willkommene Paten in ökonomisch zunehmend bedrohlicher werdenden finanziellen Engpässen . Es ist für uns eine
verhältnismäßig neue Situation, verglichen etwa mit Amerika und
dem ganz anderen System der Finanzierung seiner kulturellen Aktivitäten durch private und korporative Foundations und Mäzene .
Spärlich sind freilich bisher bei uns die diesbezüglichen Ambitionen auf dem Gebiet des Tanzes . Den Anfang machte die 1978
ins Leben gerufene »Heinz-Bosl-Stiftung« in München – eine Initiative der damaligen Primaballerina der Bayerischen Staatsoper,
Konstanze Vernon, die sich die »Unterstützung junger hochbegabter Studenten des Klassischen Balletts an der Ballett-Akademie der
Hochschule für Musik und Theater« zum Ziel gesetzt hatte . Auch im
Umkreis des »Hamburg Ballett« John Neumeier gibt es inzwischen
von privaten Kreisen finanzierte Förderstipendien besonders begabter Nachwuchstänzer der Compagnie .
Etwas anders die Zielrichtung der von Birgit Keil nach Beendigung ihrer Ballerinenkarriere beim »Stuttgarter Ballett« 1995 in
Stuttgart gegründete, ihren Namen tragende Tanzstiftung . Gleich
in ihrer ersten Presseerklärung verwies sie auf das in Stuttgart bestehende Netzwerk aus dem »Stuttgarter Ballett«, der Staatlichen
Ballettschule mit Internat, der »Noverre-Gesellschaft« als Plattform
für den Choreographen-Nachwuchs und die dem Andenken und
dem Geist des Gründers verpflichtete John-Cranko-Gesellschaft .
Entsprechend verkündete sie: »Die ›Tanzstiftung Birgit Keil‹ will
sowohl mit jungen als auch mit arrivierten Choreographen und
Nachwuchstänzern aktuelles Tanztheater für das nachwachsende
Publikum erarbeiten . Angehende Choreographen können mit der
Stuttgarter Ballettschule zusammenarbeiten, auswärtige werden eigene Nachwuchstänzer präsentieren können . Aus der Kombination
kleiner musikalischer Ensembles mit verschiedenen Gruppen können so neue Handlungsballette auch für ein ganz junges Publikum
entstehen, ohne jedoch traditionelles ›Kinderballett‹ zu sein .«
Dann ging es Schlag auf Schlag . Bereits zur Spielzeit 1996/97
wird Alicia Amatriain als Absolventin der Stuttgarter Cranko-Ballettschule erste Stipendiatin der Stiftung . 1997 wird Birgit Keil
als Professorin für Klassischen Tanz an die Akademie des Tanzes
Heidelberg-Mannheim berufen (zusammen mit ihrem Partner, dem
ebenfalls aus dem »Stuttgarter Ballett« hervorgegangenen Vladimir
Klos) . 1997/98 fördert die Stiftung bereits drei rumänische Tänzer
an der Heidelberg-Mannheimer Akademie und fünf weitere aus
Spanien, Russland, der Ukraine und Italien an der Stuttgarter Cranko-Schule . Und so setzt sich die Liste der Stipendiaten fort und wird
immer größer . Zur Spielzeit 2003/04 als Ballettchefin am »Badischen Staatstheater Karlsruhe« ernannt, stellt Birgit Keil die dortige
Compagnie neu auf und etabliert eine enge Zusammenarbeit von
Mannheim/Heidelberg und Karlsruhe, die ihr gestattet, in Karlsruhe auch Klassikerproduktionen herauszubringen, die eigentlich ein
größeres Ensemble erfordern . In ihrem ersten Jahr in Karlsruhe verstärken bereits elf Stipendiaten die Karlsruher Truppe – in Stuttgart
an der John-Cranko-Schule arbeiten weitere drei .
Wenn die »Tanzstiftung Birgit Keil« nunmehr im Oktober 2010
ihr fünfzehnjähriges Jubiläum feiert, kann sie auf imponierende
Ballett Intern 5/2010
Statistiken zurückblicken . Inzwischen tanzen von ihr geförderte Stipendiaten allein in Deutschland in 49 Ensembles zwischen Augsburg und Wiesbaden . Im Ausland vertreten sie fünfzehn Staaten
zwischen Argentinien und den USA . Und darunter sind inzwischen
so prominente wie Alicia Amatriain (Deutscher Tanzpreis »Zukunft«
2006), Anna Ossadcenko, Elizabeth Mason, Marlucia Amara Do
Amaral, Thiago Bordin (Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2005), Flavio
Salamanca (Deutscher Tanzpreis »Zukunft« 2005), Diego De Paula –
insgesamt sind es zweiundachtzig .
Nicht nur hat Birgit Keil so prominente Choreographen wie
Eliot Feld, Heinz Spoerli, Hans van Manen, Paul Taylor, Christopher
Wheeldon und Joachim Schlömer – um nur die international renommiertesten zu nennen – für eine Zusammenarbeit mit ihren
jungen Tänzern gewinnen können . Darüber hinaus bietet das Karlsruher Repertoire auch so weltweit gefeierte Produktionen von Frederick Ashton, Kenneth MacMillan und Peter Wright an: ein Kollateral-Nutzen der Stiftung, den sich vor fünfzehn Jahren noch kaum
jemand hätte träumen lassen .
Bei aller Schnelllebigkeit, die die Welt des Balletts im Gegensatz
zu ihren theatralischen Geschwistern in der Oper und im Schauspiel auszeichnet: Das Resultat, das hier in einer halben Generation
erreicht wurde, ist höchst bemerkenswert . Es verdankt sich nicht
zuletzt dem harmonischen Zusammenwirken von Vorstand und
Mitgliedern des Kuratoriums, deren Wirken hinter den Kulissen –
man denke nur an die nie endende Tätigkeit der Beschaffung von
Spenden und Stipendien – heute sicher nicht leichter geworden ist
als vor anderthalb Jahrzehnten . Gerade darum wünschte man sich,
dass sich andere Städte und Compagnien ein Beispiel an der Tanzstiftung Birgit Keil nehmen würden .
■
Herzlich Willkommen zur Ballett-Gala 2010
der Birgit-Keil-Stiftung!
Vor 15 Jahren hat Birgit Keil einem kleinen Kreis
von Freunden ihre Idee der Gründung einer
Tanzstiftung zur Förderung besonders begabter Tänzerinnen und Tänzer vorgetragen . Eine
solche Stiftung sollte den Spitzenbegabungen
mit Stipendien und anderen Hilfen den Weg frei
machen zur Entwicklung ihrer großen Begabungen . Aus dieser Idee ist nun Wirklichkeit geworden .
Alle zwei Jahre präsentiert Birgit Keil, zusammen mit Vladimir
Klos und einer großen Helferschar, Dank ihres hervorragenden internationalen Netzwerkes eine Art Bilanz dieser Erfolgsgeschichte .
Hier wird sichtbar, was an Kreativität, Ausdrucksfähigkeit, ja Leidenschaft gewachsen ist . Immer mehr dieser Begabungen haben
aus der Talentschmiede der Birgit-Keil-Stiftung den Sprung auf die
Bühnen der Welt geschafft .
Aber ohne Ihre Hilfe und Großzügigkeit wäre die Saat nicht aufgegangen . So ist die Bilanz in diesem festlichen Rahmen auch der
Dank an die Förderer und Freunde! Und natürlich an die Stifterin,
mit ihrem feinen Gespür für außergewöhnliche Talente und ihrer
Energie, solche Talente zu entdecken und zum Erfolg zu begleiten .
Freuen Sie sich mit uns auf einen wunderbaren Abend .
Prof . Dr . h .c . Lothar Späth
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Jubiläum:
15 Jahre »Internationale Sommertanzwoche Bregenz«
Von Günther Rebel
Ähnlich wie bei pubertierenden Jugendlichen gab es zum Jubiläum
unvorhergesehene (organisatorische) Überraschungen, die aber mit
einer logistischen Meisterleistung von den Organisatoren, Betreuerinnen und Betreuern, Hand in Hand mit entspannt-neugierigen
Jugendlichen, perfekt bewältigt wurden . Neben der wieder wachsenden Teilnehmerzahl erfreute besonders, dass diese »Bregenzer
Tanzwoche« immer mehr Freunde unter weiterbildungsinteressierten Tanzpädagoginnen und Tanzpädagogen findet . Diesmal konnten sie sich mit dem neuen methodischen Konzept »Danamos« auf
Ballett-Basis von Prof . Martin Puttke auseinandersetzen (siehe auch
BALLETT INTERN Heft Nr . 3–4/Aug . 2010) . Ebenfalls neu war der
Pädagogenkurs zum Thema »Musical« von Selatin Kara . Er bot einen Überblick über die unterschiedlichsten Stile dieses Genres und
»fütterte« die Teilnehmer mit Schrittmaterial für viele Unterrichtswochen . Die beliebte Ulla Wenzel machte diesmal einen wunderbar
nachvollziehbaren pädagogisch-tänzerischen Streifzug durch die
Altersgruppen von 4 bis 16 Jahren . Sie erklärte genau, worauf ein
Tanzpädagoge bei den einzelnen Entwicklungsphasen achten muss,
und erarbeitete mit den Teilnehmern Beispiele des Freien Tanzes, die
die Theorie erlebbar und umsetzbar machten . Über diese festen Angebote hinaus konnten die Pädagogenkurs-Teilnehmer hospitieren,
notieren, trainieren von 8 Uhr bis 18 Uhr, bis sie entweder erschöpft
in die Kissen fielen oder sich der »harte Kern« bei einem Glas Rotwein über das Erlebte die Köpfe heiß redete .
Aber auch für die Jugendlichen gab es spannende Neuigkeiten
innerhalb und außerhalb der Kurse . Um 8 Uhr früh begann der Tag
mit einem spontan eingeschobenen Sonderkurs für acht männliche
Teilnehmer aller Altersklassen, den Prof . Martin Puttke mit sichtbarem Spaß leitete . Anstelle des erkrankten Chesse Rijst eroberte der
quirlige und temperamentvolle Selatin Kara die Herzen der Jugendlichen mit den Kursen »Musical« und »HipHop« für Anfänger, in
denen er fundiert seine Kenntnisse ausbreitete, die er in der Zusammenarbeit mit Popstars wie Michael Jackson und Shakira, in Broadway-Produktionen und als Filmchoreograph für die Disney-Studios
erwarb . Eine weitere Sommerüberraschung war, dass er und sein
ebenfalls international renommierter Kollege Andy Lemond spontan bereit waren, eine Gruppe behinderter Jugendlicher zuschauen
und sogar teilnehmen zu lassen . Dieser Kontakt zwischen Jugendlichen, die auf dem Weg sind, ihre körperlichen, künstlerischen und
persönlichen Fähigkeiten zu entwickeln, und Jugendlichen, die täg-
lich Grenzerfahrungen in diesen Bereichen erleben, war ein nachhaltiges Erlebnis, das vor allem Spaß machte und gerade deshalb
seine größte Wirkung erzielte . Ein erster Schritt, der sich zu einem
Projekt entwickeln kann und dessen Fortsetzung sich alle Beteiligten spontan wünschten .
Außerhalb der Kurse war für viele Jugendliche und Erwachsene die Welturaufführung der Oper, »Jacobs Room« des Komponisten Morton Subotnick ein neues und sehr stark berührendes Erlebnis . Dieses faszinierende Gesamtkunstwerk aus Musik, Video,
Lichtgestaltung und Bühnenbild wird nach Bregenz, in derselben
Besetzung und Regie, auch an den Opernhäusern in Berlin, Dresden und Wien gezeigt . Besonders spannend war für die Sommertanzwochen-Teilnehmer die Begegnung mit dem Komponisten der
Oper, der sich unmittelbar vor seiner Uraufführung sehr locker ihren
Fragen stellte . Diese Gelegenheit wurde gerne wahrgenommen,
denn nicht jeden Tag kann man einen Komponisten nach seinen
Inspirationsquellen fragen (»Natur, Gedichte, Romane, seine Frau«)
oder welche anderen Komponisten er besonders mag (»Mozart,
Schubert und Debussy«) . Er konnte seinerseits zurückfragen, ob sie
etwas mit elektronischer Musik anfangen können (»ja – natürlich:
Techno«) . Der Kontakt für dieses Treffen kam über die künstlerische Leiterin der Bregenzer Festspiele, Laura Berman, zustande, die
ein »Kulturpaket« schnürte . Zum unglaublichen Preis von 16 € für
Jugendliche und 54 € für Erwachsene gab es eine Seebühnenführung, den Besuch der Aufführung Aida, das erwähnte Komponistengespräch und die Welturaufführung Jacobs Room . Ein Paket,
das 90 Teilnehmer gerne nutzten . Auch in den Tanztheaterkursen
›E‹ und ›F‹ wurde das Thema der Festspiele »In der Fremde« aufgegriffen und mit Musik von Morton Subotnick umgesetzt . Es entstand daraus in sechs (!) Stunden ein zum Nachdenken anregendes
und sehr gekonnt getanztes Stück, in das über Videoeinspielungen
auch Bregenzer Bürger und Gäste eingebunden waren, die einige
Kursteilnehmer, zusammen mit den Betreuern Christina Heckersbruch und Jens Siebeneicher, in der Freizeit filmten und in die Tanztheateraufführung einblendeten .
Alle Unterrichtsergebnisse der Tanzwoche wurden traditionsgemäß in der Abschlussveranstaltung den Eltern, Verwandten, und
auch lokalen Freunden des Tanzes präsentiert . Diese hatten mindestens ebensoviel Lampenfieber wie ihre Zöglinge . Bei dieser sehr
gelungenen Veranstaltung konnten auch die Pädagogen-Kollegen
Eine Gruppe behinderter Kinder und Jugendliche besucht den Musical-Kurs Selatin Karas in Bregenz
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(Beide Fotos: Günther Rebel)
Ballett Intern 5/2010
Blick über die Seebühne während der »Aida«-Aufführung
erleben, was in den Parallelkursen in hoher Qualität erarbeitet wurde – und was mehrere begeisterte Eltern zu spontanen Einzelfeedbacks hinriss . Hier wurde sozusagen gebündelt deutlich, dass alle
Lehrkräfte und Teilnehmer, über das üblich professionelle Maß hinaus, sehr engagiert gearbeitet haben . Der Dank der Organisatoren,
Mona Brandenburg und Ulrich Roehm, für dieses künstlerisch abwechslungsreiche, unterhaltsame und pädagogisch wertvolle Mosaik ging an: Andy Lemond (HipHop, Funky Jazz); Günther Rebel (Tanztheater, Zeitgenössischer Tanz); Angela Reinhardt (Spitzentanz);
Anne Christine Rogers (Klassischer Tanz); Selatin Kara (Musical, HipHop); Rachel E . Jackson-Weingärtner (Folklore und Klassischer Tanz);
Von Einem zum Anderen
Das Programm »Unfolded« in Köln
Von Melanie Suchy
Das herbstliche Programm des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz
(ZZT) der Hochschule für Musik und Tanz Köln fand sogar acht
Aufführungen im eigenen Theater in Köln-Nippes . Unter dem Titel
»Unfolded« blätterte es ein diesmal sehr überzeugendes Panorama
zeitgenössischen Tanzes auf, das ohne Bühnenausstattungseffekte
auskam . Wie andere Hochschulen, suchen die Kölner sich für die
Tanzabende sowohl Choreographen aus Stadttheatern, in diesem
Fall Pascal Touzeau aus Mainz, sowie freie, erfahrene Tanzschaffende . Einige der Stücke werden neu, mit den und für die Tanzstudierenden geschaffen, andere sind Teile aus bestehenden Werken .
Der Abend begann seine Entfaltung bei einem Solo: Jule Oeft,
vierter Jahrgang, tanzte einen Ausschnitt aus »inside out side in«
(2002) von Kazue Ikeda, die seit drei Jahren in Köln wohnt . Zur
Klang-Collage von Ignaz Schick aus Stimmgewirr und Geräuschen
beginnt die Tänzerin bei Null, steht gerade, barfuss, Hand an der
Hosenseite . Der Kopf bewegt sich ein wenig, dann der Oberkörper wie ein Balken, die Hand rutscht am Bein herab, das Gesicht
ragt weit nach vorn . Sie bleibt auf der Stelle und – trotz schräger Positionen – auch am Boden ganz bei sich . Das Eigentümliche
verändert sich später, Arme flappen, Füße laufen in die Luft, die
Tänzerin zieht sich am T-Shirt, bildet einen an klassisches Port de
bras erinnernden Bogen mit den Armen, plötzlich flutscht ein Fuß
unter ihrem Körper weg, als ob sie das Eigene verliere und bei
der Orientierung am Anderen scheitere – in seiner Konzentriertheit
schön getanzt .
Das andere Solo, ein Ausschnitt aus »The Irin« von Touzeau,
studierte eine Kölner Absolventin, Anne Jung, Mitglied im Mainzer Ensemble, mit Kristin Schuster ein, die übrigens die erste Tanzstudierende ist, die jemals ein Stipendium der »Studienstiftung des
Deutschen Volkes« erhielt; die Stiftung vergibt erst seit diesem Jahr
Ballett Intern 5/2010
Ulla Wenzel (Elementarer Tanz) . In ihre dankenden Abschlussworte
schlossen die Organisatoren ganz besonders auch das Betreuerteam
und den Hausmeister ein . Diese hatten, immer zu jeder Tages- und
Nachtzeit, ein offenes Auge, Ohr und vor allem Herz . Gedankt wurde natürlich auch den Eltern und den Teilnehmern, von denen viele
bereits ihr Kommen in 2011 zusicherten und die solche Abschlussveranstaltungen nicht missen möchten!
Fazit: Eine Sommertanzwoche, mit 15 Jahren mitten im Pubertätsalter – wie die meisten Teilnehmerinnen und diesmal sogar Teilnehmer(!) – und trotz ihrer 15 Jahre eine »reife Dame«, mit immer
noch neuen innovativen pädagogischen und künstlerischen Ideen .
Eine Sommertanzwoche mit dem selbstgestellten hohen Ziel, eine
»Tanzpädagogik des 21 . Jahrhunderts« zu entwickeln, künstlerisch
innovativ und fachübergreifend zu sein und mit einem professionell
geschulten Betreuerteam – überwiegend aus den Universitäts- und
Fachhochschulbereichen (Pädagogik, Psychologie, Sozialwesen)
der Stadt Münster, flankiert von den erfahrenen »Tanzmüttern«
und »Tanzvätern« (Mona Brandenburg, Carola Mezger und Ulrich
Roehm) . Insgesamt eine Tanzwoche, die auf dem inflationären
Markt der allerorten aus dem Boden geschossenen Sommertanzkurse ihresgleichen sucht!
Wir freuen uns auf die 6 . »Norddeutschen Tanztage Worpswede« vom 2 . bis 5 . Juni 2011 und die 16 . »Internationale Sommertanzwoche Bregenz« vom 31 . Juli bis 6 . August 2011 . Lesen Sie
dazu auch die Beilagen in dieser Ausgabe von BALLETT INTERN . ■
Stipendien im Tanzbereich . Zu Musik von Peteris Vask, in dämonenpunkig schwarzem Fusselrock, lebt sich die Tänzerin eindrucksvoll
in die Touzeau’sche Dramatik ein . Sie wirkt wie besessen, wenn sie
am Boden kriecht, die Glieder zackig knickt, den Handballen an die
Stirn presst, sich windet, die innere Spannung verliert und schlabberig wird, die Hand heraus streckt oder beide Handflächen wischt .
Der Israeli Hanoch Ben Dror hatte aus einer Choreographie »Pars
pro toto« in Köln schon andere Teile einstudiert . Diesmal befanden
sich 15 Studentinnen aus allen Jahrgängen im Ensemble, alle in
Schwarz mit Knieschützern, barfuss . Wie eine Studie in Rhythmus:
Zunächst muss die Gruppe wie eine Einheit (»toto«) die Köpfe nach
hinten werfen und den Körper fallen lassen, laut auf dem Boden landen und hin und her wenden, aufstehen, Knie anziehen, fallen und
wenden . Dann teilt sich die Gruppe, ein Kanon folgt . Sehr aufmerksam, präzise, kraftvoll, fast erdig . Ein Solo (Nora Vladiguerov) und
ein Duo gehören dazu, mit stets unerwarteten Aktionen, Biegungen, Übergängen .
Etwas subtiler geht Georg Reischl vor, wie Touzeau ein ehemaliger Forsythe-Tänzer (1999 bis 2004), der auch demnächst in Köln
mit der Gruppe Michael Douglas arbeiten wird . Seine Uraufführung
»Mentre Dorme« (»Während des Schlafs«) tanzten sieben Studentinnen (erst seit Wintersemester 2010/11 hat das ZZT wieder Männer) . Sie setzen auch Stimme ein, ein übermütiges »dadado«, »wua«
und »juhu«, Gelächter und falsch-lustigen Gesang, als wehrten sie
Angst ab . Die erste schlägt sich an Armen, Beinen, am ganzen Körper, die zweite wogt energisch, streckt sich, zwei andere treten auf .
Sie kommen und gehen, kommen zusammen, Hände aneinander
oder Berührung an Füßen oder Ellbogen, sie trennen sich, mal
bleibt jemand hinten stehen oder bewegt sich vorn in Zeitlupe oder
verdreht den Körper ins Extrem . Kurz treffen sich zwei für eine Phrase im Unisono . Sie rennen, halten an . Recken die Arme hoch oder
machen sie ganz weit auf . Getanzt nicht wie angeeignete Form,
sondern wie etwas Eigenes, scheint sich die erfrischende Choreographie der Veränderung hinzugeben, einem ständigen Wechsel
von kurzer Stabilität, pathetischen Aktionen und der windigen Bewegtheit des Lebens – oder des Traums .
■
15
Ein »Fest für den
Tanz« in Düsseldorf
8. Internationale Tanzmesse NRW
Von Günther Rebel
Zeitgenössische Kunst – und damit auch die 8 . Internationale Tanzmesse NRW – ist stets ein Spiegel der Gesellschaft des jeweiligen
Landes . Ähnlich der deutschen Wirtschaft, ist die Tanzmesse dem
Globalisierungstrend gefolgt und hat sich den internationalen
Märkten geöffnet . Das sicherte ihre Überlebenschancen: 10 Prozent
mehr Messebuchungen .
Der Messe-Direktor, Kajo Nelles, betonte in seinem Eröffnungspressegespräch mehrfach diesen weltoffenen Aspekt: »Natürlich
ist es wichtig, Tanzschaffende mit ihren Kollegen aus dem In- und
Ausland zu vernetzen . Aber nur durch ein Publikum, ein begeistertes, aber auch ein kritisches, kann ein Choreograph seine Arbeit
weiterentwickeln .« Gleichzeitig wies er auf die Wirtschaftskrise hin,
die sich auf der Tanzmesse insofern bemerkbar machte, als dass Ensembles und Aussteller aus ärmeren Kontinenten (z . B . Lateinamerika und Afrika) kaum vertreten waren . Nur durch einen großzügigen
Sponsoren-Etat von Stiftern, Bund, Land und Stadt war es möglich,
einige Ensembles aus entfernteren Ländern einzuladen .
Die diesjährigen Messezahlen ließen (trotz Wirtschaftskrisen)
das hoch motivierte und engagierte Team – Kajo Nelles, Carolelinda Dickey, Roman Arndt, Christian Watty, Pascale Rudolph, René
Seidel, Ariane Kümpel, Larissa Reith, Wolfgang Keller – sowie die
zahlreichen Helfer und Praktikanten von Anfang an strahlen . Ebenso stolz über den Messeerfolg waren Anke Brunn (Vorsitzende der
Gesellschaft für Zeitgenössischen Tanz NRW e . V . und GZT NRW)
Ein Tänzer der »Company Horse« in »Start With The Body« (Foto: Wu Yi-chun)
16
und der Kulturdezernent der Stadt Düsseldorf, Hans-Georg Lohe .
Der Bürgermeister der Stadt Düsseldorf, Friedrich G . Conzen, äußerte sich sogar begeistert: »Die Messe Düsseldorf kann sich in punkto
Internationalität ein Beispiel an der ›internationalen tanzmesse nrw‹
nehmen .« Die folgende kleine Datenauswahl zeigt, mit welch’ inhaltlichen und organisatorischen Superlativen die diesjährige Messe
aufwarten konnte:
– Die Ausstellungsflächen wurden noch größer, erstmalig wurde
eine weitere Messehalle hinzugemietet
– 230 Aussteller mit Teilnehmern aus 29 Ländern gestalteten die
102 Messestände
– 1 .100 registrierte Fachbesucher aus Europa, USA, Taiwan und
Japan interessierten sich für die Tanzensembles
Neben diesen eindrucksvollen Geschäftszahlen gab es zahlreiche
kluge Veränderungen, die künstlerische Exploration und zwischenmenschliche Kommunikation erleichterten: Statt Vortragsreihen,
die durch ihre Häufigkeit wie Schlaftabletten wirken, wurden Räu-
Die nächste Tanzmesse NRW
ist vom 29. August bis
2. September 2012 geplant.
me und Zeit zum interessierten Gedankenaustausch geschaffen .
Vor allem gab es aber verbesserte Aufführungsmöglichkeiten mit
hervorragend geeigneten Bühnen in Düsseldorf (Capitol-Theater,
tanzhaus nrw, Schauspielhaus) und Krefeld (Fabrik Heeder) . Hinzu
kamen Performances an ungewöhnlichen Orten, die zum Beispiel
von der »Cie . Retouramont« aus Frankreich an der Fassade des
Capitol Theaters mit dem Danse des Cariatides genutzt wurden .
Eine Performance im wahrsten Sinn des Wortes zum Wände hoch
laufen, mit einem sehr poetisch wirkenden Tanz am Kletterseil, im
Zusammenspiel mit Licht, Schatten und Musik .
5 .800 Zuschauer besuchten an vier Tagen die Vorstellungen in
Düsseldorf und Krefeld . Das Performance-Programm wurde zum
»Fest zum Tanz« . Vier Tage, täglich von 16 Uhr bis nach Mitternacht
mit insgesamt 25 Vorstellungen und mit Arbeiten von 42 Compagnien . Am Eröffnungsabend gab es zum Beispiel die Qual der Wahl
zwischen: 1 . Harakiri von Didier Théron im Central in der Alten Paketpost; 2 . Situation Room auf der großen Bühne des »tanzhaus
nrw« – eine brillant getanzte und mit speziellem finnischen Humor
angereicherte Collage zwischen Ernst, Melancholie, kindlicher Ausgelassenheit und süßlicher Kitsch-Parodie; 3 . eine gemischte Vorstellung auf der kleinen Bühne des Tanzhauses mit Michèle Anne
De Mey (Belgien), »Company Horse« (Taiwan), Margie Gillis (Kanada) – eine Programmmischung mit berührendem Tanz, mit zirzensischer Bewegungstechnik und der in der Performanceszene fast
obligatorischen Nacktheit .
Eröffnet wurde der Abend nach den Gruß- und Dankesworten von Anke Brunn, Hans-Georg Lohe (Kulturdezernent der Landeshauptstadt Düsseldorf), Dr . Fritz Schaumann (Präsident der
Kunststiftung NRW) mit der Vorstellung der 1970 in Philadelphia
(USA) gegründeten, aus schwarzen Tänzern bestehenden Company »Philodanco« . Das Programm »Repertory« bestand aus drei
Teilen, das nur durch zwei Licht- und Umzugspausen unterbrochen war . Die Presseankündigung lautete: »Eine Gruppe, die in
den USA und international für ihre künstlerische Einzigartigkeit,
ihre hervorragenden Tänzer und ihre mitreißenden Performances
bekannt ist« . Die hervorragenden Tänzer waren in der Tat technisch perfekt (Modern-Jazz-Ballett) und rissen Teile des Publikums
mit (Funk and Soul) und überzeugten künstlerisch am ehesten
mit Enemy behind the Gates von Christopher Huggins zur Musik
von Steve Reich – eine Aufführung, bei der die Veranstalter kalkuBallett Intern 5/2010
Die Company Philadanco in »Repertory«
lierten, dass das erstmals einbezogene Capitol Theater mit rund
2 .000 Plätzen gefüllt werden könnte . In der ersten Lichtpause
verließ ein Drittel des Publikums den Saal, in der zweiten folgten
weitere Zuschauer . Allein an der schlechten Organisation – viele
stellten sich die Frage: »Ist jetzt eine echte Pause oder nicht?«,
kann es nicht gelegen haben – oder? Gespräche nach der Vorstellung machten deutlich, dass hier zwei (Tanz-)Welten aufeinander prallten, die nicht zusammen passen . Vor 40 Jahren haben
Zuschauer bei Pina Bausch den Saal verlassen, an diesem Abend
taten es die Bausch-Fans . Die Veranstalter sollten sich davon
ebenso wenig entmutigen lassen wie der damalige Wuppertaler
Intendant Arno Wüstenhöfer und weiterhin für Diskussionsstoff
sorgen .
Eine Messe ist ein Verkaufsmarkt . Anders als beispielsweise die
Deutsche Metall- und Autoindustrie ist die deutsche Tanzkultur der
sogenannten Freien Szene kein Exportschlager . Der am Ende der
1 . Presseinformation druckfrisch verteilte Bericht über selbstständige Choreographen und Tanzcompagnien in NRW machte deutlich, dass eine große Verunsicherung unter den Tanzschaffenden
herrscht . Nur 72 % der befragten NRW-Ensembles planen Neuproduktionen . Dies sind die niedrigsten Werte seit 2005 . Einerseits
kann dies ein Indiz dafür sein, dass sich die Spreu vom Weizen
trennt und eine weitere Professionalisierung stattfindet, andererseits aber auch, was ebenfalls aus Statistiken hervorgeht, dass in
den nächsten Jahren ein starker Kulturabbau stattfindet . Der kann,
so Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, nur durch
gezielte Förderung von Bildung UND Kultur gestoppt werden . Seine
Formel lautet: Qualität auf allen Ebenen, Internationalität, Tanz und
Schule und ein gutes Marketing . Exportweltmeister von Tanzkultur bleiben weiterhin die »Daimlers« wie das »Stuttgarter Ballett«,
»Porsches« wie die »Forsythe Company« oder die »BMWs« wie das
Ballett Intern 5/2010
(Foto: Lois Greenfield)
»Wuppertaler Tanztheater« – deren Auftragsbücher stets so voll
waren, dass sie nie eine Messe nötig hatten .
Das Eröffnungs-Pressegespräch wurde im neu geschaffenen
»Silent Room« geführt, in den sich erschöpfte Messebesucher und
Aussteller zurückziehen konnten . Ein Raum, der von den Messegeräuschen akustisch abschirmt, abgedunkelt ist, mit schwarzem Teppichboden und schwarzen Holzbänken zur Konzentration auffordert und an dessen weißen Wänden nur drei Bilder hängen: Kazuo
Ohno, Pina Bausch und Merce Cunningham . Ein Raum, der Raum
gibt, darüber nachzudenken, welche Spuren diese drei Verstorbenen in uns hinterlassen haben .
Die diesjährige Bilanz signalisierte, dass die Messe, auf die Globalisierung ausgerichtet, auf Erfolgskurs bleibt, denn der Tanz ist
die friedlichste und neben der Musik die weltweit verständlichste
Form der Kommunikation . Das bedeutet, dass die Philosophie der
Tanzmesse dem UNESCO-International Dance Council CID ähnelt
und sich dieser Weltorganisation anschließen sollte . ■
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Tanzen,
so selbstverständlich
wie eine Schulstunde
»Tanz ist KLASSE!« in Berlin
Von Dagmar Ellen Fischer
Tanz als alltäglicher Bestandteil eines jeden Menschen – was in
vielen archaischen Kulturen selbstverständlich war, muss in der
sogenannten Zivilisation mühsam zurückerobert werden . Doch in
den vergangenen Jahren, mittlerweile fast Jahrzehnten, scheint
das menschliche Bedürfnis nach bewusster Körperbewegung ohne
Leistungsdruck hierzulande von einem zunehmend differenzierten
Angebot aufgefangen zu werden: Kurse, Projekte, Seminare und
regelmäßiger Unterricht in Tanzdisziplinen jeglicher stilistischer
Ausrichtung stehen mehr oder weniger jedem zur Verfügung . Das
Alter spielt dabei nur insofern eine Rolle, als dass sich engagierte
Vorstöße oft in erster Linie um Kinder und Jugendliche kümmern,
und die Erwachsenen dabei auch (aber nicht überall zwingend) mitbedenken . Zu den vielversprechenden und äußerst erfolgreichen
Initiativen in Deutschland gehört jene des »Staatsballett Berlin«, die
sich als Education Programm versteht und »Tanz ist KLASSE!« nennt .
Ermöglicht wird sie durch das Vermächtnis von Gert Reinholm, der
als Tänzer und Ballettdirektor der Deutschen Oper Berlin mit der
Tanzgeschichte der deutschen Hauptstadt aufs Engste verknüpft ist .
Gert Reinholm hatte einen Traum: Tanz möge als reguläres Unterrichtsfach an allgemeinbildenden Schulen allen Kindern jeglicher
sozialer Herkunft zugänglich sein . Zu seinen Lebzeiten konnte er
diesen Traum nicht mehr verwirklichen, der charismatische Tänzer starb kurz vor seinem 82 . Geburtstag am 12 . Dezember 2005 .
Doch durch seinen Nachlass ermöglichte er, dass diese Vision nach
seinem Tod doch noch Gestalt annehmen kann: Er vererbte einen hohen Betrag dem Verein »Berliner helfen«, und dieser Verein
wandte sich 2006 an Dr . Christiane Theobald mit dem Anliegen,
einen entsprechenden Plan zur Umsetzung des Letzten Willens von
Gert Reinholm auszuarbeiten .
Christiane Theobald war Gert Reinholm lange verbunden . 1956
in Koblenz geboren, absolvierte sie eine Ballett-Ausbildung neben
dem Studium, 1987 traf sie Gert Reinholm in ihrer Eigenschaft als
Journalistin – und der engagierte sie vom Fleck weg als Ballettdramaturgin, damals ein Novum an der Deutschen Oper Berlin . Was ob
Gert Reinholm
Als Tänzer und Ballettdirektor prägte Gert Reinholm über 40 Jahre
das Berliner Tanzleben . Während dieser Ära baute er für das Ballett der »Deutschen Oper Berlin« ein umfangreiches Repertoire an
klassischen und modernen Werken auf . Er holte Choreographen
wie Antony Tudor, Kenneth MacMillan, Frederick Ashton, George
Balanchine und Valeri Panov nach Berlin und verhalf seiner Compagnie zu internationalem Ruhm .
1923 in Chemnitz geboren, erhielt er seine Ballettausbildung an
der »Ballettschule der Berliner Staatsoper« und im »Studio Wacker«
in Paris . Es folgten Engagements als Solotänzer an der »Staatsoper
Berlin« (1942–1951), am »Teatro Colón« in Buenos Aires (1952–
1953) sowie an der »Städtischen Oper Berlin« (1956–1962) .
Von 1961 bis 1966 war er als erster Solotänzer und von 1962 bis
1990 als Ballettdirektor in der neu erbauten »Deutschen Oper Berlin«
tätig . Daneben lehrte Gert Reinholm einige Jahre an der »Staatlichen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst« Berlin .
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der Spontaneität Reinholms mit einem provisorischen Schreibtisch
in der Deutschen Oper begann, führte Christiane Theobald über
die Verantwortung als Ballettbetriebsdirektorin an der Staatsoper
»Unter den Linden« zur Stellvertretenden Intendantin des heutigen
»Staatsballett Berlin«, das sie gemeinsam mit Vladimir Malakhov leitet . Daneben engagiert sich Christiane Theobald in der Gesellschaft
für Tanzforschung e . V ., gründete die »Ständige Konferenz Tanz«/
heute »Dachverband Tanz Deutschland« mit und ist Sprecherin der
BBTK, der Bundesdeutschen Ballett- und TanztheaterdirektorenKonferenz . Und nun hat sie eine weitere Aufgabe: Sie ist Geschäftsführerin des 2007 ins Leben gerufenen Vereins »Tanz ist KLASSE!« .
»Ich möchte die Strukturen für den Tanz verbessern, so dass unsere
Kunstform die bestmögliche Plattform erhält, um sich zu präsentieren«, erläutert sie ihre Motivation . Nur drei Jahre arbeitete sie mit
Gert Reinholm zusammen (er nahm 1990 Abschied von seinem Amt
als Ballettdirektor der Deutschen Oper), doch ihr Kontakt bestand
darüber hinaus weiter: Gert Reinholm war ihr Mentor, ein Ratgeber
und Freund, von dem sie sehr viel gelernt hat und der eben »auch
menschlich so fantastisch« war . Ihr als »Ziehtochter« fällt es nicht
schwer, mit Hilfe des Erbes seine Vision umzusetzen . Die Grundidee:
Mit Hilfe des gegründeten Vereins »Tanz ist KLASSE!« lassen Tänzerinnen des »Staatsballett Berlin« Kinder und Jugendliche an ihrer
faszinierenden Welt des Tanzes teilhaben . Zu diesem Zweck entwickelte Christiane Theobald ein Konzept, das auf drei Beinen steht:
– Der »Kreative Kindertanz« richtet sich an Kinder im Vor- und
Grundschulalter, die Tanzpädagoginnen Bettina Thiel und Doreen Windolf bieten an drei Tagen in der Woche Unterricht an,
der spielerisch an den Tanz heran führt und die natürliche Bewegungslust der Kinder nutzt .
Mit der ehemaligen Chefchoreographin des Staatsopern-Balletts Tatjana Gsovsky verband ihn eine lebenslange künstlerische
Partnerschaft: Über 20 Jahre lang war Gert Reinholm nicht nur
ihr prägender Solist, sondern leitete auch gemeinsam mit ihr die
Berliner Tanzakademie .
Gert Reinholm tanzte viele großen Rollen in klassischen Balletten, so z . B . in Dornröschen, Romeo und Julia (deutsche Erstaufführung), Hamlet, Die Kameliendame, Daphnis und Chloé, Prometheus, Othello sowie Orphée, er choreographierte u . a . Romeo
und Julia und Tannhäuser .
Für sein Wirken wurde der »tanzende Gentleman« (Klaus Geitel) mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so erhielt er den Kritikerpreis der Stadt Berlin (1958), den Berliner Kunstpreis, den Preis
der Theater der Nationen, Paris (1962) sowie den Diaghilew-Preis
(1964) .
1987 wurde Gert Reinholm das Bundesverdienstkreuz verliehen, im selben Jahr wurde er Mitglied der Akademie der Künste
Berlin .
Ballett Intern 5/2010
Mit dieser beeindruckenden Tanzszene wirbt die Solistin des Staatsballetts
Berlin Elena Pris gemeinsam mit Valdislav Marinov (Semisolist) für das Projekt
»Tanz ist KLASSE!«
(Fotos: Enrico Nawrath)
– »S . T . E . P .« gibt unter der Federführung der Tänzerinnen Birgit
Brux, Kathlyn Pope und Doreen Windolf unterschiedlichen Gruppen sehr konkrete Einblicke in die Welt des Balletts: Schulklassen können einen Ausflug ins »Staatsballett Berlin« buchen, eine
Geburtstagsgesellschaft kann dort ebenso einen Tag verbringen
wie eine Gruppe interessierter Erwachsener, die schon immer
einmal wissen wollte, wie der normale Arbeitstag eines Tänzers
aussieht . Doch auch in die andere Richtung geht der »Schritt«:
Im Rahmen von Patenschaften für Schulen stellen Tänzer in allgemeinbildenden Schulen mit Kindern Projekte auf die Beine .
– »Inside« spricht Jugendliche und ihr Faible für Medien an, hier
können Schüler und junge Erwachsene zwischen 17 und 25 Jahren Filme über das »Staatsballett Berlin« erstellen, die dann auf
der Website online zu sehen sind .
Für alle drei Standbeine des Education Programms konnte Christiane Theobald Mitarbeiter gewinnen, die auf diesen neuen Aspekt
ihres Berufs wirklich Lust haben und bereit sind, Zeit und Kraft zu
investieren . In Fortbildungen zum Beispiel, deren Kosten dann vom
Verein »Tanz ist KLASSE!« übernommen werden . Im »Kreativen
Kindertanz« hat die erfahrene Solistin Bettina Thiel tatsächlich ihre
zweite Berufung entdeckt, denn das Unterrichten kleiner Kinder ist
nicht sinnvoll ohne persönliche Motivation und den sogenannten
pädagogischen Eros .
Kathlyn Pope ist als eine Art Fremdenführerin im »Staatsballett
Berlin« unterwegs und genau dafür offenbar bestens geeignet, sie
weiß Interessantes über die Bühnentechnik zu erzählen, kann aus
ihrer 30-jährigen Erfahrung als Tänzerin den Blick hinter die Kulissen
mit Persönlichem anreichern und begleitet Kinder und Erwachsene
als Zuschauer zum Training der Tänzer, aber auch in den Ballettsaal,
in dem sich die Besucher an einem solchen Ausflugstag selbst ausprobieren dürfen . Diese »Privatstunden der offenen Tür« sind sehr
beliebt in Berlin, sie können indes nur begrenzt angeboten werden,
da sonst der alltägliche Ablauf und die Proben zu sehr gestört würden – und sind entsprechend langfristig ausgebucht .
Die dritte Säule schließlich, das Staatsballett »Inside«, entpuppte
sich als gleich mehrfach Gewinn bringend: Die Jugendlichen bekommen während ihres Praktikums eine Kamera in die Hand und
Ballett Intern 5/2010
den Auftrag, Ausschnitte aus dem Alltag des »Staatsballett Berlin«
zu dokumentieren – mit der Aussicht, dass ihre Filme als Video Podcast im Internet stehen sollen . Die meisten von ihnen haben nie
zuvor etwas mit Ballett zu tun gehabt und eventuell Berührungsängste . Da leistet das Medium Kamera doppelte Hilfestellung: Zum
einen als Gerät, hinter dem man sich bestens verstecken kann, zum
anderen als Medium, mit dem man sich so nah an die Tänzer heran zoomen kann, dass sie vertraut werden . Oft selbst mit einem
multikulturellen Hintergrund ausgestattet, erleben die Schüler ein
Ballett-Ensemble mit 28 Nationalitäten, erleichternd hinzu kommt,
dass einige der Tänzer nur unwesentlich älter sind als die Schüler,
von denen sie sich befragen lassen . Und diese Fragen sind – so wie
die Interviewer selbst – ganz nah dran an den Tänzern, direkt und
ungefiltert . Positiver Nebeneffekt: Die Kurzfilme auf der Website
des »Staatsballett Berlin« werben auf unkonventionelle Art für das
Ensemble!
Egal, mit welchem der drei Angebote jemand in Berührung
kommt, eines stellt sich fast immer ein: Ballett wird nicht (mehr) als
abgehobene Kunstform gesehen (sofern sie denn zuvor überhaupt
wahrgenommen wurde), die nur für eine Elite verständlich ist und
von unnahbaren Wesen exerziert wird – sondern: Der verdammt
harte Beruf des Tänzers ringt selbst den Distanzierteren Respekt ab,
und Tänzer erscheinen plötzlich als Menschen wie du und ich . Sobald die Schwellenangst einmal überwunden wurde, ist der Weg
in die Oper oder ins Theater, um Tanz und Ballett als Zuschauer
zu erleben, fast schon geebnet . Besonders freut Christiane Theobald, dass deutlich mehr Menschen seit der Gründung von »Tanz
ist KLASSE!« mit dieser Kunstform in (Erst-)Kontakt gebracht werden konnten: Gab es in den beiden Jahren 2005 und 2006 rund
1 .200 Kinder und Jugendliche sowie 250 Erwachsene als Teilnehmer, so stieg die Zahl seit dem Start von »Tanz ist KLASSE!« ab 2007
bis heute auf das Sechsfache an, knapp 8 .500 Kinder, Jugendliche
und Erwachsene nutzten das Angebot .
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Zwei Projekte ragen unter den erfolgreichen besonders heraus:
Zum einen die Patenschaft für die Schule am Grünen Grund, zum
anderen das Pilotprojekt an der Erika-Mann-Grundschule . An erstgenannter Schule werden sozial, emotional und psychisch gestörte
Kinder in kleinen Gruppen betreut, die Resonanz der Kinder aus
einer 3 . und 4 . Klasse, die mit den Tanzpädagogen völlig neue körperliche Erfahrungen machen durften, war sehr ermutigend . Die
Erika-Mann-Grundschule war zunächst als eine von vier Schulen
an dem groß angelegten Projekt »Grenz_los« in Kooperation mit
der Berliner Gesobau AG beteiligt, in dem Kinder und Jugendliche
aller Klassen ein bühnenreifes Werk ablieferten . Diese positiven Er-
fahrungen möchte die Schulleiterin der Erika-Mann-Grundschule
als feste Größe in ihrem Stundenplan sehen: In einem Pilotprojekt wird an dieser Schule nun Tanz als reguläres Unterrichtsfach
erprobt . Zu diesem Zweck entwickeln die Mitarbeiter von »Tanz
ist KLASSE!« am »Staatsballett Berlin« gerade ein Curriculum mit
Unterrichtsmaterialien, die jedem Kind einen Zugang zur aufregenden Welt des Tanzes ermöglichen sollen – in einer ganz normalen
Schulstunde . Wenn sich am 12 . Dezember 2010 der Todestag von
Gert Reinholm zum fünften Mal jährt, hat seine Vision zwar noch
keine endgültige Gestalt angenommen, doch ist ihre Silhouette
gut erkennbar .
■
Ankündigung
Die Februar-Ausgabe BALLETT INTERN (1/2011) wird
ein repräsentatives Portrait
von Frau Dr . Christiane
Theobald enthalten .
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Ballett Intern 5/2010
Worüber Noverre sich so
seine Gedanken machte
Zum 200. Todestag des Reformators
Von Dagmar Ellen Fischer
«La Toilette de Vénus» – nie gehört? Es ist eines jener Bühnenwerke,
in denen Jean Georges Noverre seine Ideen zur Reform des Balletts
tatsächlich umsetzen konnte . Das Werk aus dem Jahr 1759 hat
nicht überlebt, seine Ideen indes schon . Denn ohne Noverre sähe
auch das heutige Ballett anders aus .
Über die Frage, ob Tanz eine Geschichte erzählen sollte oder
aber schlichtweg Bewegung um ihrer selbst Willen sein darf, streiten sich im 21 . Jahrhundert immer noch Fachkundige . Gestritten
»Seine Haltung war klar:
Tanz muss einen Gehalt
haben, Gefühle zeigen
und einen Handlungsfaden spinnen. Nur
wenn sich Menschen
mit echten Leidenschaften auf der Bühne bewegten, könne auch das
Publikum bewegt werden. Das Handlungsballett war sein erklärtes
Ziel, ein »ballet d’action«
in seiner Sprache.«
hat auch schon Herr Noverre im 18 . Jahrhundert, öffentlich und
heimlich, schriftlich und mündlich, in Deutschland, Österreich,
England und Frankreich . Seine Haltung war klar: Tanz muss einen Gehalt haben, Gefühle zeigen und einen Handlungsfaden
spinnen . Nur wenn sich Menschen mit echten Leidenschaften auf
der Bühne bewegten, könne auch das Publikum bewegt werden .
Das Handlungsballett war sein erklärtes Ziel, ein »ballet d’action«
in seiner Sprache . Die revolutionären Ideen fasste der engagierte
Künstler – der übrigens zu den intelligentesten und kultiviertesten
Lebensdaten Jean Georges Noverre
Jean Georges Noverre wurde am 29 . April 1727 in Paris geboren .
Seine Tanzausbildung erhielt er an der »Ballettschule der Pariser
Oper« unter anderem durch Louis Dupré . Er debütierte 1743 an
der »Opéra Comique«, wechselte ein Jahr später als Gruppentänzer nach Berlin . Nach Engagements in Dresden, Straßburg und
Marseille kam er nach Lyon, wo er als Partner der berühmten
Camargo tanzte und erste Choreographien schuf . 1754 wurde
er Ballettmeister an der Pariser »Opéra Comique«, sein Les Fêtes
Chinoises war hier erfolgreich zu sehen . Der berühmte englische Schauspieler David Garrick lud Noverre an sein »Drury Lane
Theatre« nach London ein, für ihn war Noverre der Shakespeare
des Tanzes – umgekehrt Garrick Noverre als Vorbild, wenn es um
die Darstellung von glaubwürdigen Gefühlen auf der Bühne ging .
In der Spielzeit 1756/57 wirkte Noverre als Geheim-Ballettmeister
an dessen Londoner Theater, da er nach Ausbruch des Krieges
1756 zwischen England und Frankreich als Franzose dort heftig angefeindet wurde . Nach einem weiteren Aufenthalt in seiner französischen Heimat wurde Noverre 1759 von Herzog Karl
Eugen zum Ballettmeister des »Stuttgarter Balletts« ernannt . Bis
Ballett Intern 5/2010
seiner Zeit gehört haben soll – in einem Buch zusammen: Seine »Lettres Sur La Danse Et Sur Les Ballets« erschienen 1759 in
französischer Sprache, als »Briefe über die Tanzkunst« zehn Jahre
später bereits in deutscher Übersetzung . Dem bekannten Dichter Gotthold Ephraim Lessing wird das Übersetzen zugeschrieben,
tatsächlich erledigte jedoch Johann Joachim Christoph Bode den
weitaus größeren Teil . Es ist eine Sammlung von Briefen – diese
literarische Form war damals »en vogue« –, die sich nach und
nach den relevanten Themen der Tanzkunst annimmt . So wollte Noverre beispielsweise die Gesichtsmasken abschaffen, da sie
seiner Meinung nach realistische Gefühlsregungen verhinderten,
in denen sich das Publikum wiedererkennen könnte . Des weiteren beschäftigte er sich eingehend mit Details des oft Tanz eher
verhindernden Kostüms, den Perücken und anderen verwegenen
Kopfaufbauten, geeigneten Schuhen samt Absatzhöhe sowie
dem mitunter ohne jeglichen Bezug zur Rolle am Tänzer baumelnden Schmuck und Flitterwerk . Der Reformator entlarvte die Eitelkeiten bestimmter Künstlertypen, womit er sich vermutlich nicht
nur Freunde unter den Lesern seiner Zeit machte, indem er die
(vielleicht nicht ausschließlich damals) übliche Vorgehensweise als
völlig indiskutabel benannte, eine bestimmte Schrittkombination
nur deshalb ins Ballett aufzunehmen, weil ein Herr X oder eine
Frau Y diese so gut beherrschte . Geschmack, Vorlieben und Limitation der Tänzer bestimmten auf diese Weise ein Ballett in nicht
unerheblichem Maße . Doch auch die soziale Rang- bzw . Hackordnung, wie sie an den Theatern herrschte und ein Gegeneinander
der beteiligten Künstler zeitigte, legte Noverre bloß; stattdessen
warb er in seinen Briefen für ein konstruktives Miteinander, denn
wenn der Komponist es als unter seiner Würde erachtet, an den
unter ihm rangierenden Maschinist das Wort zu richten, erschwert
das die alltägliche Arbeit am Theater enorm . Doch auch einem
eher ungewöhnlichen Sujet nahm sich der gründliche Denker an:
den nicht ideal geformten Beinen eines Tänzers samt Zwischenraum . »Diejenigen, die Säbel- bzw . O-Beine haben, müssen sich
besonders bemühen die entfernten Glieder näher zusammenzubringen, um den leeren Raum zu verringern, der sich vor allem
zwischen den Knien befindet .«1 Diese Meinung hat sich der außergewöhnliche Pädagoge Kurt Jooss in seinem Unterricht zu eigen
gemacht .
Viele der von Jean Georges Noverre postulierten Änderungen
erzählen dem heutigen Leser nicht nur etwas über das ausgehen1766 baute er dort eine beachtliche Compagnie auf, für die er
zahlreiche Ballette schuf . Nach erheblichen Kürzungen in Stuttgart
entschloss sich Noverre, 1767 nach Wien an den Hof Maria Theresias zu gehen, am »Burg-Theater« und am »Kärntnertor-Theater«
brachte er bis 1774 rund 50 Ballett heraus . Nach zwei weiteren
Jahren in Mailand ging 1776 sein Traum in Erfüllung: Er folgte der
Berufung als Ballettmeister an die »Pariser Oper«, wo er indes keinen leichten Stand hatte . Aufgrund zahlreicher Intrigen ließ er sich
1780 pensionieren, ging nach London an das »King’s Theatre«
und baute dort noch einmal eine bedeutende Ballett-Compagnie
auf, zu der unter anderen auch Antoine (!) Bournonville, Marie
Guimard, Auguste Vestris und Charles Didelot gehörten . 1794
zog er sich ins Privatleben zurück, veröffentlichte 1807 noch ein
Werk mit dem Titel »Les Lettres sur les Arts Imitateurs en Général
et sur la Danse en Particulier« . Am 19 . Oktober 1810 starb Jean
Georges Noverre in St .-Germain-en-Laye .
Die Geschichte Stuttgarts als Ballettmetropole beginnt mit Noverre, setzt sich in der 1958 dort gegründeten »Noverre-Gesellschaft« fort und konnte mit der Ära Nicolas Beriozoff und seinem
Nachfolger John Crankos einen weiteren Höhepunkt aufweisen .
21
de 18 . und beginnende 19 . Jahrhundert, sondern stellen Unsitten zur Diskussion, über die sich auch im 21 . Jahrhundert noch
nachzudenken lohnt . Eine Aussage indes ist nur bedingt gültig:
»Über die Kunst eines Malers urteilt man nach seinen Gemälden
und nicht nach der Art und Weise wie er über sie schreibt .«2 Auf
Noverre übertragen, hieße das, seine »Briefe über die Tanzkunst«
geringer zu schätzen als es ihnen gebührt, denn seine Tanzwerke
sind weitgehend in Vergessenheit geraten . Sein Geburtstag am
29 . April jedoch erinnert alljährlich als Internationaler Tag des Tanzes mit einer prägnanten Botschaft an den bedeutenden Erneuerer des Balletts .
■
1 Jean Georges Noverre, Briefe über die Tanzkunst, Neu editiert
und kommentiert von Ralf Stabel, Henschel Verlag, Berlin 2010,
S . 136
2 Ebd ., S . 186
Dass Noverre noch heute lesenswert sein könnte, haben
wir alle geahnt, doch sich
durch seine Sprache, die alte
Schreibweise und eine zuweilen anders gelagerte Bedeutung bekannter Begriffe zu
kämpfen, machte sein Buch
zur unbeliebten, weil nicht
leicht lesbaren Lektüre . Das
ist nun anders: Ralf Stabel legt
nicht nur eine verständliche,
sondern auch eine komplette Ausgabe der »Briefe über
die Tanzkunst« vor . Und hat
jene zu Missverständnissen
führende Worte durch solche
über- oder ersetzt, die heute eine bestimmte, aber halt andere Bedeutung haben als zu
Noverres Zeiten . Zwei Beispiele: Unter Choreographie verstand
man damals das Aufschreiben der Tanzwerke, nicht deren Gestaltung; und ein Ballettmeister war derjenige, der ein Tanzwerk
kreierte, also ein Choreograph im heutigen Sinn . Insgesamt fünfzehn Briefe sind in der Veröffentlichung zusammen gefasst, sie
beschäftigen sich mit zentralen, aber auch randständigen Bereichen der Tanzkunst . Sogar das Publikum wird von Noverre
analysiert, hier beklagt er die wenige Sachkenntnis derer, »die
alles wahllos beklatschen und die glauben, ihr am Eingang bezahltes Geld verloren zu haben, wenn sie nicht ihren Beifall mit
Händen und Füßen anzeigen würden .« (S . 198) Dass man sich
fachkundige, kritische Zuschauer als Theater in einer Stadt erst
erziehen müsse, ist ein Gedanke, der kaum an Aktualität verloren hat . Und so kann man im Grunde jeden beliebigen Brief, also
jedes von Noverre thematisch sortierte Kapitel, aufschlagen und
einfach loslesen – es ist immer erhellend, anregend und in der
vorliegenden Fassung leicht zu lesen, geradezu unterhaltsam .
Denn auch das Fragwürdige und Widersprüchliche am epochalen Buch wie auch teilweise an der Person Noverres tritt klarer
hervor, nicht zuletzt wegen des wegweisenden Vorworts und
der Erläuterungen in einem eigenen Kapitel von Ralf Stabel .
Jean Georges Noverre, Briefe über die Tanzkunst, Neu
editiert und kommentiert von Ralf Stabel, Berlin 2010, ISBN
978–3-89487–632-6, Henschel-Verlag, 19,90 Euro
22
Frédéric Chopin
und der Tanz
Zum 200. Geburtstag des
polnischen Musikers und Komponisten
Von Dagmar Ellen Fischer
Es gibt kein musikalisches Werk, das Frédéric Chopin ausdrücklich
für den Tanz oder als Ballett geschrieben und konzipiert hätte . Dennoch wurde er als Komponist von Volkstanzmusik inspiriert, und
zahlreiche seiner Werke tragen Titel, die eindeutig auf Tänze verweisen, wie Mazurka, Polonaise oder Walzer . Das Œvre Frédéric
Chopins umfasst zwei Klavierkonzerte, drei Sonaten, zahlreiche
Etüden, Präludien, Nocturnes, Mazurken, Walzer, Polonaisen, Balladen, Scherzi und andere musikalische Formen wie Bolero und Impromptu . Sein Werkverzeichnis nennt Opus 1 bis 75 sowie weitere
Werke ohne Opuszahl, mitunter bündelt auch eine Opuszahl mehrere Kompositionen, z . B . vier Mazurken, so dass der tatsächliche
Umfang weitaus größer ist . Chopin komponierte fast ausschließlich für Klavier, dieses Instrument verstand er offensichtlich auf eine
ganz eigene Weise zu spielen .
Nach eigenen Angaben kam Chopin am 22 . Februar, nach offizieller Verlautbarung jedoch am 1 . März 1810 in Zelazowa Wola,
40 km von Warschau entfernt, zur Welt . Als Sohn einer Polin und
eines französischen Vaters verbrachte er seine Kindheit zusammen
mit drei Schwestern (geb . 1807, 1811, 1812) in Warschau, seine
Mutter und die ältere Schwester führten ihn an das Klavier heran .
Sein erster Lehrer war der Tscheche Vojtěch Živný, schon früh galt
Chopin als Wunderkind und wurde mit Mozart verglichen; seine
ersten Kompositionen schrieb er mit sieben, im Alter von acht Jahren gab er sein erstes Konzert im privaten Rahmen anlässlich einer
Wohltätigkeitsveranstaltung . Seit 1822 erhielt er Privatunterricht
bei Joseph Anton Franz Elsner, noch im selben Jahr folgte das erste öffentliche Konzert . Lehrer und Kollegen bescheinigten ihm von
Anfang an »musikalisches Genie«, eine besondere Begabung für
Improvisation und bei den eigenen Kompositionen das Vermeiden
»ausgetretener Pfade« .
1830 verließ Chopin Polen zum ersten Mal Richtung Wien . Wenige Tage nach der Abreise kam es in seiner Heimat zu Aufständen
gegen die russische Vorherrschaft; sein Vater riet ihm, nicht in die
Heimat zurückzukehren . 1831 zog Chopin dann nach Paris, wo er
als Musiker bereits einen Namen hatte . Dort verlobte sich Chopin
1836 heimlich gegen den Willen ihrer Eltern mit Maria Wodzinska, der Tochter eines polnischen Gesandten . Als die Familie 1837
nach Polen zurückkehrte und die Verlobung löste, geriet Chopin in
eine Krise . In dieser Situation half ihm die sechs Jahre ältere George Sand, der gemeinsame Winter des Paares 1838/39 auf Mallorca (mit George Sands Kindern Maurice und Solange) ist literarisch
mehrfach verarbeitet worden . Zehn Jahre dauerte die Beziehung
des Paares, das den Winter regelmäßig in Paris, den Sommer auf
dem Landsitz Nohant verbrachte . Chopin litt seit den 1830er Jahren
an Tuberkulose, nach der Trennung von Sand 1847 verschlechterte
sich sein Gesundheitszustand . Die Revolution des Jahres 1848 erlebte er nicht hautnah, da er sich auf einer mehrmonatigen Reise
durch Großbritannien befand .
Frédéric Chopin starb am 17 . Oktober 1849 im Alter von 39 Jahren in seiner Pariser Wohnung . Auf dem Friedhof „Père Lachaise“
wurde er beerdigt, sein Herz wurde jedoch auf Chopins Wunsch
nach Warschau gebracht und dort in der Heiligkreuzkirche beigesetzt .
Klassische und moderne Choreographen haben Chopins Musik
immer wieder für den Tanz entdeckt, hier eine Auswahl:
Ballett Intern 5/2010
August Bournonville (1805–1879)
»Das Konservatorium«, Vaudeville-Ballett in zwei Akten, UA 1849
in Kopenhagen
Das Ballett Bournonvilles ist eine Hommage an seine Studienzeit in
Paris . Als Komponist wird zwar Holger Simon Paulli genannt, der
jedoch u . a . Chopin zitiert und beispielsweise Walzer von ihm verarbeitet .
Michail Fokin (1880–1942)
»Les Sylphides« – Romantische Träumerei in einem
Akt, UA 1909 in Paris
Das Werk steht am Anfang der handlungslosen Ballette des 20 . Jahrhunderts und wurde
inspiriert von Fokins persönlicher Empfindung
auf die gewählten Kompositionen . Die Musik
Chopins wurde orchestriert von Sergei Tanejew, Igor Strawinsky, Nicolai Sokolow, Anatoli
Ljadow und Alexander Glasunow .
Unter dem Titel »Schopeniana« (auch
»Chopiniana«) schuf Fokin zwei Vorstufen
zum o . g . Ballett:
1907 in St . Petersburg, Mariinski Theater
zu fünf von Glasunow orchestrierten Klavierstücken Chopins .
1908 in St . Petersburg, Mariinski Theater,
zu nahezu allen jenen Musikstücken, die dann
auch die Grundlage für »Les Sylphides« bildeten,
orchestriert von Moritz Keller .
Frederick Ashton (1904–1988)
»Ein Monat auf dem Lande« (A Month in the Country),
UA 1976 in London nach der gleichnamigen, fünfaktigen
Komödie von Iwan Turgenjew aus dem Jahr 1850 .
Chopins Musik wurde von John Lanchbery so arrangiert, dass
sich »durch Umstellungen und Wiederholungen eine genau zur
Dramaturgie des Balletts passende Collage ergab .«
Rosalia Chladek (1905–1995)
»Ein romantisches Liebesschicksal – Die Kameliendame«, UA 1943
in Dresden
Dieses Solo von rund 25 Minuten Dauer ist wahrscheinlich die
erste Tanzschöpfung auf Grundlage des bekannten literarischen
Stoffes von Dumas . Die seinerzeit populäre Ausdruckstänzerin
wählte 13 Kompositionen von Chopin, mitunter nutzte sie nur Auszüge aus den Etüden oder Präludien .
komödiantischen Anteilen und Slapstick-Elementen . Chopins Musik
wurde von Hershey Kay orchestriert: Polonaise in A-Dur, op . 40,
Nr . 1, Berceuse, op . 57, Prelude op . 28, Nr . 18, Prelude op . 28,
Nr . 16, Walzer in e-Moll, posthum, Prelude, op . 28, Nr . 7, Mazurka
in G-Dur, posthum, Prelude, op . 28, Nr . 4, Ballade, op . 47, Nr . 3
»Dances at a Gathering«, UA 1969 in New York
präsentiert sich als eine nicht narrative, klassisch-folkloristisch ausgerichtete Choreografie, die Horst Koegler
als »Ballett für Tänzer über Tänzer« charakterisiert,
es gilt als Meisterwerk des 20 . Jahrhunderts . Folgende Werke Chopins wählte der Choreograph:
Mazurka, op . 63, Nr . 3, Walzer, op . 69, Nr . 2,
Mazurka, op . 33, Nr . 3, Mazurka, op . 6, Nr . 4,
Mazurka, op . 7, Nr . 5, Mazurka, op . 7, Nr . 4,
Mazurka, op . 24, Nr . 2, Mazurka, op . 6, Nr . 2,
Walzer, op . 42, Walzer, op . 34, Nr . 2, Mazurka, op . 56, Nr . 2, Etude, op . 25, Nr . 4, Walzer,
op . 34, Nr . 1, Walzer, op . 70, Nr . 2, Etude,
op . 25, Nr . 5, Etude, op . 10, Nr . 2, Scherzo,
op . 20, Nocturne, op . 15, Nr . 1 .
»In the Night«, UA 1970 in New York
Die vier Nocturnes, die Robbins für dieses
elegante Ballett über drei Paar-Konstellationen
auswählte (das stilistisch an Balanchines erinnert), verwendete er bereits sowohl in »The
Concert« als auch bei den »Dances at a Gathering« .
Maurice Béjart (1927–2007)
»Variations Don Giovanni«, UA 1979 in Brüssel
Der Titel verweist auf Mozarts Oper, und so verwendet der Choreograph in diesem Fall sowohl Musik von Mozart als auch von
Chopin .
John Neumeier (geb . 1942)
»Die Kameliendame«, UA 1978 in Stuttgart/Stuttgarter Ballett
Neumeier wählte sowohl kurze Kompositionen Chopins als auch
Auszüge aus den beiden Klavierkonzerten .
Jerome Robbins (1918–1998)
»The Concert« (kompletter Titel: »The Concert or, The Perils of
Everybody«), UA 1956 in New York, ist – wie der Untertitel »Jedermanns Risiken« vermuten lässt, eine getanzte Farce mit vielen
»Nijinsky« – Choreografische Annäherungen, UA 2000 in Hamburg
Für dieses Werk stellte Neumeier Musik zusammen von Schostakowitsch, Rimski-Korsakow, Schumann und Chopin . Die beiden Letztgenannten verbindet eine besondere Beziehung: Der gleichaltrige
Robert Schumann (1810–1856) schätzte Chopin sehr; die Gründung seiner bis heute existierenden Publikation »Neue Zeitschrift
für Musik« war nicht zuletzt dadurch motiviert, den Lesern und dem
Publikum die Bedeutung Chopins und seiner Musik klar zu machen
und damit die geringe Wertschätzung auszugleichen .
■
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23
Tanzolymp 2011
8. Internationales Jugendtanzfestival
Berlin 16. bis 20. Februar 2011
Stellungnahme
(Foto: Holger Badekow)
von Prof. John Neumeier zum Rücktritt von
Friedrich Schirmer und zu den aktuellen
Entwicklungen im Hamburger Kulturleben
John Neumeier, seit 1973 Ballettdirektor
des HAMBURG BALLETT und seit 1996
auch dessen Intendant, äußert sich auf
Grund des Rücktritts von Schauspielhausintendant Friedrich Schirmer erstmals öffentlich zur aktuellen Lage der Künstler in
Hamburg . Er fordert von der Kulturbehörde mehr Verantwortung und die Einhaltung von Budgetversprechen .
»Als langjährig in Hamburg arbeitender Theater-Intendant und Geschäftsführer kann ich zu den Vorgängen um
die Aufgabe von Herrn Schirmer nicht
schweigen – einige Meinungsäußerungen dazu haben mich doch
sehr befremdet . Zu der künstlerischen Leistung von Herrn Schirmer möchte ich hier nicht Stellung nehmen, aber ich kann sehr
gut nachvollziehen, dass Stress, Depression und ein Gefühl von
Ausweglosigkeit durch nicht gehaltene, zuvor ausgehandelte Vertragsversprechungen entstehen können . Insbesondere, wenn dann
zusätzlich noch Kürzungen des zugesicherten Budgets, auf das man
als Intendant schon bauen können muss, hinzukommen, dieses
ausgehandelte Budget also nicht zur Verfügung steht .
Durch meine mehr als 40-jährige Erfahrung als Ballettdirektor (in
Frankfurt und Hamburg) glaube ich, etwas von der Verantwortung
gegenüber einem Ensemble, einem Haus und einer Ballettschule
zu kennen . Aber wenn man von Verantwortung spricht, muss man
auch von der Verantwortung der Politik, der Politiker und insbesondere der Kulturbehörde gegenüber den Künstlern reden .«
■
Dachverband Tanz Deutschland
Einem weit gefassten Themen-Spektrum der aktuellen Situation
des Tanzes unserer Bundesrepublik widmeten sich die Diskussionen und Beschluss-Fassungen der 2 . Mitgliederversammlung
am Sonntag, 28 . November im Mövenpick Hotel Handelshof in
Essen, verbunden mit der Wahl des Vorstandes für die nächsten
zwei Jahre:
– Claudia Feest
– Heide-Marie Härtel (Deutsches Tanzfilm-Institut)
– Bea Kießlinger (TanzSzene Baden-Württemberg)
– Bertram Müller (Tanzhaus NRW)
– Prof . Martin Puttke (Verein zur Förderung der Tanzkunst in
Deutschland)
– Ulrich Roehm (Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik)
– Dr . Christiane Theobald (Bundesdeutsche Ballett- & Tanztheater-Direktoren Konferenz)
– Horst Vollmer (RAD Deutschland/Österreich/Schweiz)
– Geschäftsführung: Michael Freundt (ITI/Deutschland)
Dachverband Tanz Deutschland gemeinnütziger e . V .
Internationales Theaterinstitut
Postfach 41 11 28–12121 Berlin
Tel . 030–791 16 92/Fax: 030–791 18 74
info@dachverband-tanz .de
www .dachverband-tanz .de
24
Mehr als 600 junge Tänzer aus 30 Nationen werden im kommenden Februar zum größten Jugendtanzfestival der Welt in Berlin erwartet, das auch 2011 wieder vom Gründer und Ideengeber Oleksi
Bessmertni sowie weiteren ehemaligen Tänzern, Choreographen
und Pädagogen organisiert wird .
Die Jury – unter der Präsidentschaft von Vladimir Vasiliev – wird
auch dieses Mal von internationalen, künstlerisch hochkarätigen Juroren besetzt sein: Prof. Vladimir Vasiliev, ehemaliger Leiter des
Bolschoi-Theaters Moskau und Präsident der Jury (Russland) – Larissa Dobrozhan, Pädagogin der Staatlichen Ballettschule Berlin
(Deutschland) – Prof. Vladimir Klos, Professor an der Akademie
des Tanzes Mannheim (Deutschland) – Marianne Kruuse, Leiterin der Ballettschule des Hamburg Ballett (Deutschland) – Prof.
Caroline Llorca (Frankreich), Professorin an der Ballett-Akademie
München (Deutschland) – Tadeusz Matacz, Direktor der JohnCranko-Ballettschule Stuttgart (Deutschland) – Marghareta Parrilla, Direktorin der Accademia Nazionale di Danze di Roma (Italien)
– Carmen Roche, Künstlerische Leitung des Carmen Roche Ballett
Madrid (Spanien) – Steffi Scherzer, Dozentin an der Hochschule
für Tanz und Musik Zürich (Schweiz) – Kusakari Tamiyo, Primaballerina und Filmstar, Tokio (Japan) .
Schirmherr des Tanzolymp 2011 ist Vladimir Malakhov, Ballettstar, weltberühmter Tänzer und Intendant des Berliner Staatsballetts .
Vom 16 . bis zum 18 . Februar 2011 wird der Wettbewerb für
Solisten, Duos und Gruppen in den folgenden Kategorien ausgetragen: Klassisches Ballett – Neoklassischer Tanz – Modern Dance
– Folklore – Pop Dance sowie Jazzdance .
Abschluss und Höhepunkt ist die Gala am 19 . Februar 2011 im
Admiralspalast Berlin, bei dem ein Zusammenschnitt aus Beiträgen der Gewinner der jeweiligen Kategorien und den schönsten
Beiträgen der Wettbewerbstage gezeigt wird . Weiterhin werden
neben den jungen Festivalteilnehmern internationale Stargäste der
Berliner Ballettszene auftreten .
Die ausgewählten Teilnehmer – sowohl aus staatlichen als auch
privaten Schulen – sind zwischen zehn und 21 Jahre alt und kommen aus Ägypten, Brasilien, Bulgarien, China, Deutschland, Estland,
Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Italien, Japan, Korea,
Lettland, Litauen, Mexiko, Österreich, Polen, Portugal, Russland,
Schweiz, Serbien, Spanien, Taiwan, Ukraine und den USA .
Neu und zum ersten Mal in diesem Jahr dabei sind Tänzer aus
Venezuela, Paraguay, Thailand und Malaysia .
■
Eine umfangreiche Ausstellung im Londoner Victoria and Albert Museum beleuchtet noch bis zum Januar 2011 das Leben
von »Diaghilew and the golden Age of the Ballets Russes
1909–1929«, so der Titel der in vier Räumen präsentierten Schau .
Mit dem Vorhang zum Ballett »Le Train bleu« (eine Kopie des Gemäldes »Two Women Running along the beach« von Picasso) ist im
dortigen Museum das bislang größte Objekt ausgestellt . Zahlreiche
Kostüme und Schuhe, Bühnenbildentwürfe, Fotos, Zeichnungen
und Gemälde sowie historische und aktuelle Filme bilden das goldene Zeitalter der »Ballets Russes« anschaulich ab .
■
Eine Spende in Höhe von 24 .000 EUR konnte John Neumeier im
Anschluss an die Benefiz-Ballett-Werkstatt am 28 . November
2010 dem Hamburg Leuchtfeuer Hospiz überreichen . Das Spendenvolumen ergibt sich aus den zusätzlichen Einnahmen des KartenverBallett Intern 5/2010
kaufs . Die Ballett-Werkstatt am 1 . Dezember bildete einen Auftakt
zu den Veranstaltungen zum Welt-AIDS-Tag 2010 . John Neumeier
setzt sich bereits seit der Gründung 1994 für das Hamburg Leuchtfeuer Hospiz ein und ist dort Mitglied im Kuratorium .
■
Der Deutsche Kulturrat, Spitzenverband der Bundeskulturverbände,
begrüßt, dass Kulturstaatsminister Bernd Neumann, MdB mit
seinem Positionspapier »Ohne Urheber keine kulturelle Vielfalt .
Zwölf Punkte des Staatsministers für Kultur und Medien zum Schutz
des geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter« ein deutliches und
nachdrückliches Signal zum Schutz der Urheber in Zeiten der Digitalisierung gesendet hat . Zentral erachtet der Deutsche Kulturrat,
dass Kulturstaatsminister Neumann in dem Papier unterstreicht,
dass ein funktionierendes Urheberrecht die kreative Vielfalt
nicht beschneidet, sondern im Gegenteil eine Voraussetzung für
kulturelle Vielfalt ist .
■
Seit November 2010 gibt es im Rahmen des Conseil International de Danse/CID UNESCO eine Sektion Münster, die sich auf
Initiative von Günther Rebel mit zwanzig Gründungsmitgliedern
formierte .
■
Der Etat, den Kulturstaatsminister Bernd Neumann für das Jahr
2011 zur Verfügung hat, erfuhr eine Steigerung um 27 Millionen Euro, das entspricht einem Zuwachs von 2,4 % . Dies ist ein
wichtiges wie richtiges Signal in Richtung Wertschätzung von Kultur . Ferner hat die Regierungskoalition eine Grundsatzentscheidung
getroffen, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Kulturgüter
(z . B . Bücher) erhalten bleiben soll .
■
Anna Markard-Jooss
verstorben
Wie die Deutsche Oper am
Rhein berichtet, verstarb am
Morgen
des
19 .10 .2010
Anna Markard, die 79-jährige Tochter des einflussreichen Tanzpädagogen und
Choreographen Kurt Jooss, der
Ende der 1920er Jahre u . a . die
Folkwang Hochschule und das
Folkwang Tanzstudio in Essen
mitbegründete und zum Pionier
des Deutschen Tanztheaters
wurde . Anna Markard besaß Anna Markard-Jooss
(Foto: Ursula Kaufmann)
zusammen mit ihrer Schwester
die Rechte an Jooss’ Nachlass
und pflegte das Erbe ihres Vaters; sie studierte seine Werke
mit Compagnien auf der ganzen Welt ein, darunter weltberühmte Stücke wie sein preisgekröntes Anti-Kriegsballett »Der
Grüne Tisch« und »Pavane auf den Tod einer Infantin« zuletzt
mit dem Ballett der Deutschen Oper am Rhein .
Markard studierte Tanz in London, Essen und Paris, strebte
aber nie eine aktive Tänzerkarriere an, sondern arbeitete als
Pädagogin, Dozentin und Nachlassverwalterin ihres Vaters .
2001 gründete sie anlässlich des 100 . Geburtstags von Kurt
Jooss den mit 6 .000 Euro dotierten Kurt-Jooss-Förderpreis, der
von der Stiftung Anna und Hermann Markard und der Stadt
Essen international ausgeschrieben und alle drei Jahre verliehen wird .
■
Ballett Intern 5/2010
Der Roman »Polina – Aus der Vorstadt auf die großen Bühnen der
Welt«, geschrieben von Gerhard
Haase-Hindenberg, ist 2010 im
EGMONT Verlag erschienen . Er beschreibt den Weg der Polina Semionova, beginnend in ihrer frühesten Kindheit in einem Hochhaus am
Rande Moskaus .
Diese war bestimmt von Disziplin,
Ehrgeiz und enormem Erfolgsdruck,
aber auch von bedingungslosem Zusammenhalt ihrer Familie, den Jahren in der Bolschoi-Akademie und
ihrer Entdeckung und Förderung
durch Yuri Vasyuchenko . Der in ihrer
jungen Karriere richtungsweisende Tag, als Vladimir Malakhov sie
zur ersten Solotänzerin des Berliner Staatsballetts ernannte, bis hin
zu Polinas zahlreichen internationalen Engagements und Auftritten
bis in die Gegenwart, sind die Säulen ihrer Karriere und somit auch
des Romans .
Für die Recherchen begleitete Gerhard Haase-Hindenberg Polina
Semionova ein Jahr lang auf ihrem Weg und führte zudem zahlreiche Gespräche mit ihrer Familie, Freunden, Förderern, Lehrern und
Kollegen .
Zwei Erzählstränge bilden die Handlung des Buches: die Kindheit
und Ausbildung der Polina Semionova einerseits und ihre Zeit am
Staatsballett Berlin bis zum Hier und Jetzt auf der anderen Seite .
Dabei nähern sich diese im Laufe des Romans an, so wie sie in den
Retrospektiven älter wird und ihre Karriere ihren Lauf nimmt .
»Die Geschichte der Polina Semionova ist fast so märchenhaft
und ungewöhnlich wie die von Cinderella – eine ihrer Lieblingsrollen auf der Bühne .« (stern)
Der Roman lädt zum Träumen ein und nimmt Leser mit auf den
steinigen Weg der Polina Semionova . Der Leser leidet und freut
sich mit ihr und erhält zudem einen Blick hinter die Kulissen der
Ballettwelt .
Durch diese Erzählweise ist das Buch sowohl für kleine Ballerinen ab zwölf Jahren geeignet, die ihrem Idol ein wenig näher sein
möchten, als auch für die erwachsenen Leser – aus der Ballettwelt
oder nicht – die ein wenig mitträumen möchten . Bilder von Polina
aus der Kindheit und der Gegenwart runden das Buch ab .
Fazit: Der Roman ist angenehm leicht zu lesen, gewährt interessante Einblicke und Hintergrundinformationen, eine schöne Fabel
und ist bei dem Preis-Leistungsverhältnis ein wirklich geeignetes
Präsent zu Weihnachten .
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25
»Gauthier Dance«
Eric Gauthier
Christian Spuck
oben: William Morages, Maria DellerTakemura, Björn Helget, Armando Braswell, Garazi Perez Oloriz, Marianne Illig
und Giuseppe Spota in »Orchestra of
Wolves«, Choreographie: Eric Gauthier
Mitte (links u. Mitte): Egon Madsen und
Eric Gauthier in »Don Q.«, Choreographie: Christian Spuck
Mitte (rechts): Giuseppe Spota und Garazi Perez Oloriz in »Quilt«, Choreographie:
Eric Gauthier
unten: Egon Madsen in »Don Q.«, Choreographie: Christian Spuck
(Alle Fotos: Regina Brocke)

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