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Accor Hotellerie Deutschland: Zielgruppenmarketing in einem komplexen Umfeld Anne M.Schüller Der deutsche Hotelmarkt ist ein stark fragmentierter, konkurrenzieller Markt. Knapp 40‘000 Hotels ringen um Geschäfts- und Freizeitreisende aus dem Inund Ausland. Konzentrationsprozesse haben begonnen. Kleine familiengeführte Hotels und Pensionen verschwinden vom Markt, Hotelkooperationen gewinnen an Bedeutung. Hotelmarken bestimmen mehr und mehr das Stadtbild. Nationale Hotelketten suchen internationale Anbindung, um die Globalisierung nicht zu verpassen. Eine Amerikanisierung der deutschen Hotellandschaft kündigt sich an. In diesem Umfeld ist ein französischer Hotelkonzern seit Jahren unumstrittener Marktführer. Accor – mit 3‘600 Hotels und 400‘000 Zimmern laut der US-Zeitschrift «Hotels» weltweit die Nummer vier – ist in Deutschland mit derzeit 253 Hotels der Marken Formule1, Etap, Ibis, Mercure, Novotel und Sofitel vertreten. Das Markenportfolio bedient eine Bandbreite von null bis fünf Sternen, von Super-Budget bis Luxus, also die komplette Nachfrage. Einer der wichtigsten Aspekte aus Zielgruppensicht ist die Abgrenzung der Marken untereinander. Eine Kannibalisierung darf nicht stattfinden, vielmehr soll ein Maximum an Synergiepotenzial ausgeschöpft werden. Die Accor Hotellerie ist mit ihren Marken Sofitel, Novotel, Mercure, Ibis, Etap und Formule1 Marktführer in Deutschland. Durch eine klare Positionierung und ein abgegrenztes Zielgruppenmarketing ist jede Marke für sich erfolgreich und schöpft unter dem Dach von Accor die möglichen Synergiepotenziale aus. Jede Marke hat zielgruppenrelevante, eigenständige Angebote und ein eigenständiges Kommunikationskonzept entwickelt, um die jeweils passenden Zielgruppen an die zugehörigen Hotels heranzuführen und zu binden. Zielgruppendefinition Hotelgäste lassen sich in Geschäftsund Freizeitreisende einteilen. Geschäftsleute füllen die Hotels zu den geschäftsrelevanten Zeiten, Urlauber kommen vor allem am Wochenende und in den Ferienmonaten. Eine flexible, sich täglich ändernde Nachfrage trifft somit auf ein völlig starres Angebot, beispielsweise 100 Zimmer in einem Hotel. Das Produkt Hotelzimmer ist also eine hochverderbliche, nicht lagerbare Ware. Der Umsatz, der für eine Anne M. Schüller Dipl. -Betriebswirtin, freiberufliche MarketingConsultantin, bis Mai 2001 Direktorin Marketing der Accor Hotellerie Deutschland, DE-München Nacht nicht gemacht wurde, ist unwiederbringlich verloren. Diese besondere Situation teilt die Hotellerie unter anderem mit den Fluggesellschaften. Also geht es für jedes Hotel darum, den Zielgruppenmix so auszusteuern, 2 1 · 2002 dass in jeder Nacht eine grösstmögliche Anzahl an Zimmern zum bestmöglichen Preis belegt ist. Zunächst müssen allerdings die folgenden Fragen beantwortet werden: • Welche Menschen sind die zu meinem Angebot am besten passenden? Oder anders ausgedrückt: Wessen Bedürfnisse befriedigt mein Angebot am besten? • Welche Gäste sind profitabel? Oder anders ausgedrückt: Welche Gästekreise sind in der Lage und auch dazu bereit, meinen Preis zu zahlen? • Welche Gäste haben das höchste Loyalitätspotenzial, das heisst, sind bereit, immer wieder in mein Hotel zurückzukehren, sofern meine Leistung ihre Bedürfnisse deckt? • Über welche Kanäle und mit welchen Mitteln erreiche ich die Aufmerksamkeit dieser anvisierten Gäste? Sodann sind Strategien zu entwickeln, um jede noch so kleine Auslastungslücke mit den passenden Gästen zu füllen, diese zu finden und zu binden. Hierbei sind in der Stadthotellerie insbesondere die auslastungsschwachen Wochenenden und Sommermonate zu berücksichtigen. Die Accor-Marken in Deutschland, im Wesentlichen Stadthotels, haben einen Anteil an Geschäftsreisenden von zirka 60 – 75 Prozent. Aber nicht jeder Geschäftsreisende eignet sich für jede Marke. Formule empfängt überaus kostensensible Selbstständige und Freiberufler sowie Gewerbetreibende. Die Etap-Hotels werden neben der bereits genannten Zielgruppe auch von unteren und mittleren Angestellten frequentiert. Bei Ibis finden sich darüber hinaus die leitenden Mitarbeiter kleiner und mittelständischer Unternehmen sowie mittlere Angestellte grosser Unternehmen 1 Accor Hotellerie Deutschland: Zielgruppenmarketing in einem komplexen Umfeld und Beamte, die vielfach von ihren Arbeitgebern einen Kostenrahmen von maximal 150 DEM pro Übernachtung vorgegeben bekommen. Bei Novotel und Mercure übernachten Geschäftsleute, die den genannten Kostenrahmen überschreiten dürfen oder wollen und sich damit ein höheres Mass an Komfort und Status erkaufen. Ausserdem findet sich dort die Gruppe der Seminar- und Tagungsteilnehmer. Bei Sofitel schliesslich logiert das Topmanagement der internationalen Geschäftswelt. Im Freizeitgeschäft ist die Zielgruppensteuerung komplexer, da sich die Bedürfnisse im Rahmen einer Urlaubsreise an anderen Vorstellungen orientieren als auf Geschäftsreisen. Vor allem sind die Budgets niedriger, denn die Kosten sind aus der eigenen Tasche zu bestreiten: Nach einer internetgestützten Accor-Studie wollen 94 Prozent der Befragten auf Freizeitreisen im Doppelzimmer maximal 200 DEM pro Übernachtung ausgeben. Auch muss das Hotel den unterschiedlichen Anforderungen der Zielgruppen entsprechen beziehungsweise an deren Wünsche angepasst werden. Hierbei spielen Serviceaspekte eine besonders wichtige Rolle, denn sie sind deutlich schwerer zu kopieren als beispielsweise das Produkt oder der Preis. Zielgruppenorientierte Positionierung Jede Accor-Marke hat eine exakt definierte, zielgruppenorientierte Positionierung mit einem dazugehörigen passenden Produkt- und Servicepaket. Dies ist an den unterschiedlichen Bedürfnissen der Gäste in den einzelnen Hotelkategorien ausgerichtet. Ein Ein-Sterne-Gast beispielsweise erwartet nicht nur einen auf seinen Geldbeutel zugeschnittenen Übernachtungspreis, sondern auch eine Preiskongruenz bei den Nebenkosten. So bieten die Formule1 und Etap Hotels Getränke kostengünstig aus Getränkeautomaten an, Ibis Hotels dagegen haben eine Bar, Novotels und Mercure Hotels haben eine Bar sowie eine Minibar auf den Zimmern. Auch beim Frühstücksbüfett steigen Auswahl und Preis entsprechend der Kategorie. So sind Umfang und Anzahl der Serviceleistungen je nach SterneLevel unterschiedlich gross, die Qualität der angebotenen Leistungen muss aber immer top sein (vgl. Tabelle 1). Gleiches gilt auch für die Gästebeziehungen, also für das Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Gast. Ibis-Mitarbeiter beispielsweise sind «herzlich, freundlich, unkompliziert» im Umgang mit dem Gast – eine Positionierung, die eine relative Nähe zulässt. Die Unverbindlichkeit, sprich Distanz zum Gast, steigt mit der Anzahl der Sterne. Mittels mündlicher und schriftlicher Gästebefragungen, Studien und Fokusgruppen wird die Relevanz der Angebote ständig überprüft und an die sich weiterentwickelnden Gästewünsche angepasst. Bei Ibis wurde hierzu eine weltweit gültige Servicegarantie, das Ibis15-Minuten-Versprechen, eingeführt. Hierbei verpflichtet sich jedes Hotel, Probleme, für die es verantwortlich ist, innerhalb von 15 Minuten zu lösen, andernfalls übernachtet der Gast umsonst. Zielgruppengerechte Angebote Je nach Marke wurden sowohl für das Geschäftsreise- als auch für das Freizeitsegment passende Angebote definiert. Beispielhaft sei hier die Gästebindungsaktion der Novotels von Anfang 2001 beschrieben. Deren Ziel war es, durch eine überraschende emotionale Massnahme Stammgäste für ihre Treue zu belohnen, sie weiter an die Marke zu binden und zu Botschaftern der Marke zu machen. Als «Herzenöffner» wurden Blumen gewählt. So erhielten vom 14. Februar (Valentinstag) bis 20. März (Frühlingsanfang) alle Gäste, die vier Nächte in Folge in einem deutschen Novotel übernachteten, einen Gutschein für einen Blumenstrauss, den sie über den Internetanbieter Valentins.de nach Hause, an die Sekretärin oder an sich selbst schicken lassen konnten. Kategorie Rezeptionszeiten Getränke Essen Frühstück Zimmergrösse Telefon 0 Sterne morgens/abends, Check-in Automat GetränkeAutomaten SnackAutomaten kleines Büfett à 8.90 DEM 9 qm (Dusche & WC auf dem Gang) öffentlicher Anschluss auf dem Gang 1 Sterne morgens/abends, Check-in Automat GetränkeAutomaten SnackAutomaten kleines Büfett à 8.90 DEM 14 qm (inkl. Dusche & WC-Kabine) öffentlicher Anschluss auf dem Gang 2 Sterne 24 h Bar, GetränkeAutomaten Snacks in allen Hotels, Restaurants in einigen Hotels Büfett (kalt) à 16.00 DEM 16.5 qm inkl. Bad Telefon auf dem Zimmer (mit Modem) 3 –4 Sterne 24 h Bar, Minibar Restaurants, Room-Service reichhaltiges Büfett à 23 DEM unterschiedlich gross Telefon auf dem Zimmer (mit Modem) 3 Sterne plus 24 h Bar, Minibar Restaurants, Room-Service Büfett «Le grand bonjour» (kalt & warm) à 23 DEM 24 qm Telefon auf dem Zimmer (mit Modem) Tab. 1: Produkt- und Serviceangebote der einzelnen Accor-Marken unter Berücksichtigung von Gästebedürfnissen Accor Hotellerie Deutschland: Zielgruppenmarketing in einem komplexen Umfeld 3 1 · 2002 Die Stammgäste wurden per Mailing auf diese Aktion aufmerksam gemacht. Hierzu wurden aus der deutschlandweiten Novotel-Datenbank 15‘000 Stammgäste ermittelt, die im Jahr 2’000 mindestens fünfmal in einem der 34 Novotels übernachtet hatten. Ebenso wurden Novotel-Clubkarteninhaber und buchende Sekretärinnen angeschrieben. Über Anzeigen, Flyer, die Presse und das Internet wurde die Öffentlichkeit informiert. Als Ergebnis wurden im Aktionszeitraum 2’300 Blumensträusse verschenkt. Die Aktion sprach emotional an und sorgte für positiven Gesprächsstoff unter den Gästen. Neben den Angeboten für Geschäftsreisende wurden bei allen Accor-Marken unterschiedliche Angebote für unterschiedliche Freizeitzielgruppen entwickelt, um bestehende Auslastungslücken zu schliessen. Wichtig dabei ist, dass natürlich jeder Gast in jedem Hotel willkommen ist, dass aber die besonders gut passenden Gästekreise durch spezielle Angebote in die für sie am besten geeigneten Häuser gelockt werden sollen. Hier einige Beispiele (vgl. auch Abbildung 1): Etap und Formule1 Hotels eignen sich besonders für die kostengünstige, schnelle Zwischendurchübernachtung, den Acht-Stunden-Stop-over auf dem Weg in den Urlaub. In vielen dieser Hotels entfällt am Wochenende der Doppelzimmerzuschlag. Ibis eignet sich gut für Singles und Paare und zum Beispiel auch für Sportlergruppen, die am Wochenende zu Wettkämpfen und Turnieren unterwegs sind. Novotels eignen sich aufgrund der grossen Zimmer sehr gut für Familien mit Kindern. Daher wurde ein spezielles Angebot kreiert, bei dem Kinder bis zu 16 Jahren kostenlos im Zimmer der Eltern übernachten und auch umsonst frühstücken. Diese Hotels eignen sich, da sie verkehrsgünstig liegen, auch für die immer grösser werdende, zahlungskräftige Zielgruppe der Motorradfahrer, die «Strecke machen» wollen. Für sie wurde ein Angebot entwickelt, das unter anderem einen Benzingutschein von Aral und die geschützte Unterbringung der Maschinen umfasst. Abb 1: Zielgruppensteuerung bei den Accor-Marken Mercure Hotels eignen sich aufgrund ihrer Lage und Ausstattung sehr gut für die aktive, reiselustige 55-plusGeneration. Hierzu wurde im Vorfeld eine Befragung durchgeführt, die die besonderen Bedürfnisse dieser Zielgruppe ermittelte. So wurde beispielsweise festgestellt, dass mehrheitlich eine Duschkabine einer Badewanne vorgezogen wird und dass eher getrennte als französische Betten gewünscht werden. Jedes Hotel kann sich also auf solche Vorlieben einstellen. Da viele Mercure Hotels im Grünen liegen, eignen sie sich ebenso für die stark wachsende Zielgruppe der Radfahrer. Auch auf deren Bedürfnisse haben sich die teilnehmenden Hotels im Rahmen ihrer Angebote vorbereitet. In einer speziellen Broschüre wird den Freizeitradlern erläutert, welchen speziellen Service «rund um das Rad» sie in welchem Hotel finden. Prinzipiell sind vor dem Hintergrund eines umfassenden CRM-Konzepts bei jedem Angebot die beiden folgenden Grundfragen zu beantworten: – Was hat der Gast davon? – Was sagt der Gast dazu? Dies impliziert, im Vorfeld der Angebotsentwicklung sorgfältige interne und externe Analysen zu erstellen, Ziele sauber zu definieren und im Rahmen der Umsetzung Messinstrumente einzu- 4 1 · 2002 bauen, die Erfolge oder Misserfolge aufzeigen. Mithilfe von Database-Tools muss genau kontrolliert werden, welche Gäste durch welche Angebote wie viel Umsatz generiert haben. Dieser Datenschatz ist für die weitere Bearbeitung, sprich einerseits für die Optimierung der Aktivitäten, andererseits für loyalitätssteigernde Massnahmen, unentbehrlich. Zielgruppenrelevante Kommunikation Wir leben in einem Wettkampf um die Aufmerksamkeit der Menschen. In Deutschland werden beispielsweise täglich etwa 6’500 Werbespots gezeigt. Also stellt sich die wichtige Frage: Wie erreiche ich die passenden Gäste und sage ihnen, welche Angebote sie wo zu welchem Preis reservieren können? Für Accor Deutschland bedeutete dies, im Rahmen eines integrierten Kommunikationskonzepts eine für die jeweilige Marke typische Tonalität zu finden und dabei die Marken deutlich voneinander abzugrenzen. Die Zielgruppenansprache ist je nach Gästestruktur jünger oder älter, weiblicher oder männlicher, in jedem Fall aber auf den deutschen Verbraucher ausgerichtet. Daher wurden – in internationalen Konzernen viel diskutiert – die Werbekonzepte von deutschen Agenturen entwickelt und – abgesehen von Logo und Corporate Identity – unabhängig von den französischen Vorlagen umgesetzt. Accor Hotellerie Deutschland: Zielgruppenmarketing in einem komplexen Umfeld Das Bindeglied zwischen allen Marken ist Accor als Dachmarke. Diese ist seit kurzem in allen Anzeigen, auf allen Flyern und sonstigen Kommunikationsmitteln präsent. Der Gast sieht anhand einer Glasplatte mit Accor-Logo schon am Eingang, dass er ein Accor Hotel betritt. Dies ist im Zuge eines globalen Auftritts, in der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern wie der Air France sowie in der Internetwelt (www.accorhotels.com) von besonderer Bedeutung. Ergebnisse Die Ergebnisse lassen sich sehen. So ist Etap mit derzeit 59 deutschen Hotels nicht nur die expansivste, sondern mit durchschnittlich 78,6 Prozent Auslastung (Ergebnis 2000) auch die erfolgreichste Hotelkette in Deutschland. Die Auslastungslücken im Sommer und am Wochenende sind weitestgehend verschwunden. Ibis ist laut GfK (Gesellschaft für Konsumforschung, DE-Nürnberg) die von den Deutschen am meisten gebuchte Hotelmarke mit durchschnittlichen Auslastungsraten von 75,9 Prozent (Ergebnis 2000). Zum Vergleich: Der Auslastungsdurchschnitt in der deutschen Kettenhotellerie liegt bei etwa 64 Prozent. Man kann also sagen, dass die eingeleiteten Massnahmen gegriffen haben. Bei Novotel und Mercure wurden viele der angesprochenen Massnahmen erst in den letzten zwölf Monaten umgesetzt, so dass der Erfolg abzuwarten ist. Schon heute lässt sich allerdings erkennen, dass die Konzentration auf passende Zielgruppen und deren adäquate Behandlung zu Ergebnisverbesserungen führt. Dabei müssen aber noch sehr viel stärker als bisher CRM-Tools eingesetzt werden, um die Erfolge optimieren zu können. Accor Hotellerie Deutschland: Zielgruppenmarketing in einem komplexen Umfeld 5 1 · 2002