Ein Mann gab sich auf

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Nr. 154 vom 05.07.1988, Seite 13
Boris Becker verlor das Finale von Wimbledon
Ein Mann gab sich auf
Den Siegerpokal nur gestreichelt
ae/mk London/Leimen - Stefan Edberg drehte mit dem Wimbledon-Pokal, überreicht vom Herzog von Kent, seine Ehrenrunde für
die Fotografen aus aller Welt Unmittelbar am Neti streckte Boris Becker eine Hand aus und streichelte die Trophäe. ?Ich wollte
mal wissen, wie sich das anfühlt?, sagte Becker hinterher. Der große Traum, zum drittenmal das bedeutendste Tennisturnier der
Welt su gewinnen, hatte sich für den 20Jährlgen Deutschen nicht erfüllt Becker gab sich in dem mehrere Male wegen Regens
unterbrochenen Endspiel gegen den überlegenen Edberg auf und verlor mit 6:4, 6:7, 4:6 und 2:6.
Stefan Edberg war nicht zu schlagen
Zwei Stunden und 50 Minuten dauerte das Wimbledon-Finale, doch 22 Stunden und 37 Minuten, also fast einen Tag, mußte Stefan Edberg
auf seinen Sieg warten. Auch gestern zwang der Regen die Spieler in die Kabine. Als niemand mehr an eine Fortsetzung glaubte, vertrieb
der heftige Wind die dunklen Regenwolken.
Becker entschied zwar den unterbrochenen ersten Satz mit 6:4 für sich und hielt den zweiten Durchgang bis zum Tie- Break
ausgeghchen, doch danach dominierte Edberg. Als der Schwede um 18.11 Uhr den ersten Matchball nutzte und vor Glück zu Boden
stürzte, fielen sich auf der Tribüne sein englischer Coach Tony Pickard und seine Freundin Anette Olsson in die Arme, während wenige
Meter entfernt Beckers Trainer Bob Brett und Manager Ion Tiriac apathisch dasaßen.
Beckers Analyse: "Ich hatte nicht mehr den Biß, das Spiel herumzureißen. Die Spiele gegen Cash und Lendl haben zuviel von mir
gefordert." Daß die Niederlage drohte, merkte er im dritten Satz: "Ich dachte bei mir, jetzt müßte dir noch ein dritter Arm wachsen."
Becker verfiel in Jugendsünden, meckerte und erhielt von Schiedsrichter Gerry Armstrong sogar eine Verwarnung wegen Schlägerwurfs.
Becker flüsterte: "Der Schmerz kommt noch."
"Dennoch", so Beckers Fazit, "war es ein gutes Turnier. Ich bin auf dem Weg zurück, habe den Titelverteidiger und die Nummer eins
geschlagen. " In der Weltrangliste rückt er wieder vom achten auf den fünften Rang vor. Wirklich kein Schmerz? "Das kommt noch",
flüsterte Becker.
Stefan Edberg bheb auch in der Stunde seines größten Triumphes gelassen. "In meinem Leben wird sich nichts ändern", versprach der
stüle Schwede. "Jeder macht sich seine eigenen Probleme." Dann verriet er, wieso er
vor der Regenunterbrechung beim Stande von 4:5 schwächer gespielt hatte: "Ich rechnete nicht mehr mit dem Spiel und habe mich satt
gegessen. Als wir doch hinausmußten, fühlte ich mich schlecht."
Boris Becker hatte Stefan Edberg vor und nach dem Match "mentale Probleme" vorgeworfen. Edberg gab zurück: "Heute hat man
gesehen, daß es umgekehrt ist. Man sieht Becker an, wenn er nicht auf der Höhe ist Und als ich Um sah, fühlte ich mich sicher."
Stefan Edberg, der erste schwedische Wimbledonsieger seit Björn Borg, ist unweit von Wimbledon in Kensington zu Hause. Er spielte ein
perfektes Serveand-Volley-Spiel, das man seit den großen Zeiten des John McEnroe nicht mehr gesehen hat. Der Australier John
Newcombe, dreimal in Wimbledon erfolgreich, lobte: "Er hatte überhaupt keinen schwachen Punkt." Edbergs Lohn: 165 000 englische
Pfund, 514 800 Mark. Bekker blieben 82 500 Pfund
(257 400 Mark).
In Wimbledon: Jubel um Edberg. In Leimen: lange Gesichter. Dabei war sich die Hausfrau Gudrun Röhn (40) so sicher gewesen. "Diesmal
bin ich ganz ruhig", sagte sie. "Ich weiß ja, daß der Boris gewinnt."
"Der Boris" gewann nicht, und Gudrun Röhn bheb nicht ruhig. Die Hobby-Tennisspielerin vom TC Blau-Weiß Leimen, Beckers
Heimatverein, saß gestern von zwölf Uhr an im Klubheim und drückte mit etwa 30 von insgesamt 687 Vereinsmitgliedern vor dem
Fernsehgerät "dem Boris" die Daumen eine von 17 000 Einwohnern der gestern nachmittag wie ausgestorbenen Gemeinde Leimen.
"Der Boris wird schon noch gewinnen", flüstert Gudrun Röhn nach dem zweiten Satz. Und nach dem dritten: "Im Tennis ist alles möglich."
Als Edberg im vierten Satz 5:1 führt, bereitet Gudrun Röhn schon die Niederlage vor: "Wenn der gewinnt, gewinnt er verdient" Der Name
Edberg fällt nicht.
In Leimen wurde die Feier verschoben
Letztes Spiel. Gudrun Röhn schließt die Augen, atmet tief durch, öffnet die Augen und beugt sich vor.
0: 15 - "Noch drei Punkte bisWaterloo."
0:30 - "Boris ist ja noch so jung."
15:30 - "Wenn der Boris jetzt den Punkt macht . . ."
30:30 - "Wenn er jetzt das Spiel macht . . ."
30:40 - "Nix heut, nix." 2:6 - Sie springt auf, fäUt zurück und schließt die Augen.
Fünf Sekunden Ruhe, dann steht Gudrun Röhn auf. Tränen? Nein, ihr gelingt sogar ein Scherz: "Wie gut, daß ich nicht gewettet habe."
Vereinspräsident Kurt Weber (54) verkündet: "Die Feier wird verschoben."
- Doppel-Endspiel: Flach/Seguso (USA) - Järryd/Fitzgerald (Schweden/Australien) 6:4, 2:6, 6:4, 7:6. Mixed, Finale: Garrison/Stewart -
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Magers/Jones (alle USA) 6:1, 7:6.
Die Chronologie eines Wimbledon-Endspiels
Sonntag, 15 Uhr: Es regnet Das Spiel wird verschoben. 18.36 Uhr: Die ersten Sonnenstrahlen; die Plane wird weggezogen. 19.21 Uhr:
Die Spieler betreten den Platz und schlagen sich ein. 19.33 Uhr: Das Finale beginnt.
19.56 Uhr: Es regnet. Das Spiel wird abgebrochen (3:2 für Edberg). 20.29 Uhr: Dauerregen. Das Spiel wird auf Montag vertagt. Montag,
12 Uhr: Es stürmt und regnet; das Finale wird verschoben. 13.56 Uhr: Die Spieler betreten die Anlage. 14.03 Uhr: Das Finale wird
fortgesetzt.
14.20 Uhr: Das Spiel wird erneut unterbrochen (5:4 für Becker). 16.00 Uhr: Das Finale wird wieder fortgesetzt. 18.11 Uhr: Edberg
verwandelt den ersten Matchball.
Unüberwindbor am Netz: Stefan Edberg (22), der erste schwedische Wimbledonsieger seit Björn Borg Foto: epa
Das Foto - ein Symbol. Boris Becker stürzt, beim Versuch, Stefan Edberg zu returnieren. Der Gegner ist übermächtig. Becker will nichts
mehr gelingen fmo: ap
erschienen am 05.07.1988
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