Transkription des Tagebuchs - Württembergische Landesbibliothek

Transcrição

Transkription des Tagebuchs - Württembergische Landesbibliothek
Otto Borggräfe
Mein Tagebuch
1
Otto Borggräfe (1895-1978)
2
Mein Tagebuch1
[1. Heft]
Angefangen am 15. Aug. 1914
Beendet
am 22. April 1915
Meine Adresse: Otto Borggräfe
10. Ers[atz]. Division, 37. Gem. Ers. Brigade
1. Ers. Abt. F.A.R. 62. 1.Ers.Batt.
Westen
Adresse meiner Eltern:2
Ed. Borggräfe, Oldenburg i/Gr[oßherzogtum]., Alexanderstr. 94.
Sonnabend, den 15. August 1914.
Morgens 7 Uhr war bei der Artilleriekaserne hier in Oldenburg Einstellung von
Kriegsfreiwilligen. Es sollen ca. 1500 junge Leute auf dem Platze gewesen sein. Genommen
wurden 440, die gleich in 4 Depots zu je 110 eingeteilt wurden. Ich kam zum 3. Depot und
habe sehr gute Kameraden getroffen. Unter anderen ist Bernhard Rabben aus Esensham mit
mir zusammen.
Sonntag, den 16. August 1914.
Heute morgen sind wir eingekleidet worden. 6.40 Uhr morgens wurde angetreten und dann
zur Regiments-Kammer ma[r]schiert. Zuerst bekamen wir Röcke, dann Hosen und zuletzt
Mützen und Halsbinden. Alles ist 4. Garnitur, aber verhältnismässig ziemlich gut. Mein Rock
sieht ein bischen [sic!] heruntergekommen aus. Aber nachdem ich ihn zu Hause gründlich
ausgeklopft und ausgebürstet habe, ist er doch nicht so schlecht, wie ich zuerst dachte. Die
Hose und die Mütze dagegen sind noch sehr gut. Ich [habe] mich an den Postassistenten
Hymme, der hier als Wachtmeister eingezogen ist, gewandt, und der hat mir die Hose und
auch die Mütze bei der Verteilung zugesteckt. Nachher haben wir noch grüssen gelernt,
nämlich stramme „Haltung annehmen“ (Legen der Hände an die Hosennaht und an den
Vorgesetzten vorbeigehen). Als wir dies so ziemlich begriffen hatten, konnten wir 11 Uhr
nach Hause gehen. Wir wohnen nämlich alle in Bürgerquartier[en]. Die Stadt-Oldenburger
wohnen bei ihren Eltern und die übrigen 68 sind in der Nähe der Kaserne, August-Str. und
Umgebung, untergebracht.
Nachmittags 5 Uhr ist ein Appell angesetzt. Wir müssen mit geputzten Knöpfen und reinen
Kleidern erscheinen. Hier wird uns auch der Dienst für Montag bekannt gegeben.
1
Das Manuskript, verteilt auf 6 Schreibhefte, befand sich im Nachlass von Otto Hinrich Borggräfe, geboren am
5.3.1895 in Varel, gestorben am 16.10.1978 in Bad Zwischenahn. Die nachfolgende maschinenschriftliche
Übertragung besorgten seine Kinder Otto August Eduard Borggräfe (20.8.1930 -20.2.2004) und Gisela Marie
Anna Rieter, geb. Borggräfe, geboren am 8.4.1933. Nur offensichtliche Schreibfehler und irritierende
Zeichensetzungen wurden stillschweigend verbessert. Die eingelegten bzw. eingeklebten Blätter (Lageskizzen,
Landkarten, Bescheinigungen etc.) und Fotos wurden von Dr. Stefan Wenzel gescannt und sind mit jeweils
zugehöriger Datumsangabe und / oder Kurzbezeichnung eingefügt. Alle Fußnoten sowie die in eckige Klammern
gesetzten Korrekturen, Anmerkungen und Ergänzungen stammen von Gisela Rieter. - Die Originale (Tagebuch
und Dokumente) wurden am 4. November 2010 der Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen
Landesbibliothek, Stuttgart, übergeben.
2
Eduard Borggräfe (1860 – 1934) und Margarete, gen. Anna, Borggräfe, geb. Bulling (1864 – 1934); verheiratet
seit 1885.
3
Es wird gleich gesagt, dass wir nicht ganz so stramm wie gewöhnliche Rekruten in
Friedenszeiten behandelt werden sollen, sondern viel Geschütz-Exerzieren sollen, um schnell
ausgebildet und dann als Ersatz im Felde brauchbar zu sein.
Oldenburg, 22. August 1914.
Die ganze Woche haben wir sehr viel Fuß-exerzieren müssen. In den ersten Tagen lernten wir
grüssen durch Legen der rechten Hand an die Mütze und übten langsamen Schritt zum
Parademarsch. In den letzten Tagen haben wir 6 Geschütze bekommen: 4 alte Modell 1872,
und 2 neue Modell 1894 neue Art. An den alten wird immer „Auf- & Abgesessen“ und „Auf& Abgeprotzt“, bei den beiden neuen Geschützen erhalten wir Instruction und machen
Richtübungen. Das Exerzieren am Geschütz ist im ganzen sehr anstrengend. Da es in den
letzten Tagen ziemlich heiss war, kam es zuweilen vor, dass einer schlapp wurde. Bis jetzt ist
aber noch niemand aus meiner Abteilung ins Lazarett oder aufs Revier gekommen.
Morgen, Sonntag, werden wir vereidigt. Heute morgen haben wir Helme und Koppel
empfangen, aber bessere Uniformen hat es nicht gegeben. Wir werden also in der 4. Garnitur
vereidigt. Morgens 9 Uhr werden wir zur Lambertikirche geführt, zusammen mit den
Rekruten der Infanterie und Kavallerie. Auf morgen nachmittag 4 Uhr ist wieder Appell
angesetzt, aber wer Besuch hat von Eltern oder sonst jemand, braucht nicht zu kommen.
Oldenburg, Sonntag 23. August 1914.
Heute morgen sind wir vereidigt worden. Früh 8.10 Uhr wurde angetreten und zur Kirche
ma[r]schiert. Pastor Wilksen hielt die Predigt und hob besonders die Gerechtigkeit der
deutschen Sache hervor.
Um 10.20 Uhr wurde auf dem Kasernenhof an der Zeughausstrasse zur Vereidigung
angetreten. Auf dem Platze standen 6 Geschütze. Hierauf mussten wir die linke Hand legen,
die rechte zum Schwur erhoben, und mussten die uns vorgesprochenen Worte nachsprechen.
Die Depots wurden nach Staatsangehörigkeit und Confession eingeteilt und jeder einzelne
schwor in seiner Religion auf seinen Landesfürsten. Ich wurde auf S. K. H. den Grossherzog
Friedrich August von Oldenburg vereidigt. Die ganze Vereidigung der 440 Rekruten dauerte
nur ca. 1 Stunde.
Nachmittags anschliessend an den Appell war ein Commers in der Rudelsburg, aber nur für
das 3. Depot. Es ging hier sehr gemütlich zu, und wir lernten einander näher kennen. Im
Dienst die ganze Woche über kann man höchstens mal mit den Leuten in der eigenen
Corporalschaft sprechen und in der Freizeit geht man nach Hause. Um 8 Uhr war der
Commers zu Ende. Dann wurde noch ein kleiner Zug durch die Stadt gemacht.
Urlaub hat noch niemand bekommen, obgleich er von vielen eingereicht war.
4
Oldenburg, 10. Sept. 14.
Seit meinem letzten Eintrag ist wenig bemerkenswertes vorgefallen.
Am Sonntag, den 30. August bin ich nach Hannöver [bei Berne im Landkreis Wesermarsch]
zu den Grosseltern gewesen. Grossvater3 & Grossmutter4 waren beide sehr gut gestellt.
Nachmittags kamen noch Tante C.5 und Henny Bulling6 aus Bardewisch [bei Lemwerder im
Landkreis Wesermarsch].
In der folgenden Woche haben wir alle 2 Tage Ausmärsche nach der Alexanderheide
gemacht, sogenannte Geschützeinschnitte gebaut. Dies sind Vertiefungen, in die eine Kanone
hineinpasst, und ca. 1 m tief. Die ausgeworfene Erde wird meist nach vorn zu einem Wall
zusammen gebracht und dann mit Gras- und Heideplacken bedeckt, so dass das Ganze
vollkommen unauffällig ist. Für die Rohrmündung wird eine 1 m breite Oeffnung gelassen.
Letzten Sonntag mussten wir wieder zur Kirche und hatten mittags 1 Uhr Appell. Urlaub, und
zwar nur Stadturlaub, wurde nur sehr wenig erteilt. Es besteht hier auch eine Vorschrift von
den Militärbehörden aus, dass kein Wirt einen Soldaten nach 10 Uhr in seinem Lokale dulden
darf.
Anfang dieser Woche haben wir wieder Ausmärsche nach Alexanderheide gemacht und die
alten Erdarbeiten vervollständigt und erweitert. U. a. wurden Lauf- und Verbindungsgräben
gebaut, sowie Munitionsfächer und Schutzwälle für die Mannschaften. Sämtliche
aufgeworfenen Wälle werden so schön mit Gras & Gestrüpp bedeckt, dass man selber auf 100
- 200 m Entfernung kaum noch etwas von den Geschützeinschnitten sieht.
Oldenburg, Sonntag, 13. Sept. 1914.
Freitag, wir waren wieder einmal auf Alexanderheide, kam unser Lieutenant [sic!] und sagte,
wir sollten sofort nach Hause kommen, grau eingekleidet werden und gestern mittag
(Sonnabend) von hier abrücken. Alles war hiervon natürlich mächtig begeistert. Es wurde
ungefähr in Eilmarsch nach der Kaserne marschiert und [wir] gebrauchten über ¼ Stunde
weniger wie gewöhnlich. Als wir aber in die Stadt kamen, kam uns unser Wachtmeister schon
entgegen; es sei irgend ein Versehen auf dem Abteilungs-Geschäftszimmer vorgekommen
und an Abrücken dächte noch niemand. Dies betraf nur die Kanoniere, aber unseren Fahrern
erging es ganz ähnlich. Sonnabend mittag ging der letzte Teil der 1. Ersatz-Abteilung weg
und hier waren 9 Fahrer zu wenig. Die Rekruten mussten also aushelfen. Unsere 9 besten
Leute, alles Landwirte, waren vorher abends ausgesucht worden und gingen gestern früh zur
Regimentskammer, um die Kriegsgarnietur [sic!] zu empfangen. Hier stellte sich aber heraus,
dass schon 9 alte Leute, die sich nur verspätet gemeldet hatten, eingekleidet worden waren
und auch als Fahrer mit abrücken wollten. So gingen unsere kühnsten Hoffnungen ins Wasser.
Oldenburg, Montag, 5. Okt. 1914.
Seit dem 18. September wohnt Heinrich Jütting bei uns. Er ist bei der Infanterie mit Claas
zusammen eingestellt worden. Claas hat eben vorher das Abiturientenexamen bestanden und
Heinrich hat das Reifezeuchnis [sic!] für Oberprima bekommen.
Kalli7 hat seit einer Woche Ferien und spielt mit den Jungens von der Nachbarschaft Soldaten.
Anfangs wurden meistens Schanzen gebaut. In den letzten Tagen aber, wo es schlechtes
Wetter ist, wird viel gewinkt, und zwar nach dem Morse-System. Die Jungens behalten die
Zeichen ziemlich schnell. Zwischendurch wird auch exerziert, aber so richtig nach JungensArt.
3
Martin Wilhelm Bulling, geb. am 20.11.1838.
Louise Bulling, geborene Bischof(f), geb. am 18.1.1843.
5
Vermutlich Cathrina Bulling, geb. am 29.5.1841, Schwester von Martin Wilhelm Bulling.
6
Vermutlich Henriette Bulling, geb. am 29.1.1849, Schwester von Martin Wilhelm Bulling.
7
Karl Borggräfe (11.6.1900 – 17.12.1980), jüngster Bruder von Otto Borggräfe.
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5
14. Dezember 1914, abends 12 Uhr, auf dem Bahnhof i/Hannover.
Auf der Fahrt nach Feindesland.
Seit dem 5. Oktober ist sehr ereignissreiche [sic!] Zeit verflossen. Zunächst wurde ich Anfang
Oktober Fahrer und lernte im Depot reiten. Dann, es war am 6. November, wurde ich zur
Batterie versetzt. Hiermit begann eine Zeit, in der ich sehr viel und anstrengenden Dienst
hatte. Morgens 4½ Aufstehen, 5 - 6 Uhr Stalldienst, dann 1 Stunde Pause und um 7 Uhr
Pferde anspannen. Um ½8 Uhr Ausrücken bis 11 oder ½12 Uhr. Nachmittags ist von 1 - 3
Pferdeputzen, dann von 3½ - 6 Uhr Geschirr-Reinigen und um ½7 Uhr Appell. Den ganzen
Tag haben wir also keinen Augenblick Zeit für uns. Abends muss dann noch der eigene
Anzug in Ordnung gebracht werden.
Anfang Oktober bin ich in die Rudelsburg eingezogen, weil es morgens meistens heftiges
Regenwetter war und mir der Weg zu weit war. Als ich dann zur Batterie kam musste ich in
die Kaserne übersiedeln. An einem Nachmittag wurden die ganzen Sachen unter den Arm
genommen und der Umzug war vollzogen.
Am 28. November wurde ich dann dem 1. Ersatz-Transport für das Ersatz-Regiment 62
zugeteilt und feldgrau eingekleidet.
Mit mir zusammen eingekleidet wurde ein Werner Huchting, Sohn des früheren
Amtshauptmanns Huchting in Elsfleth.
In den letzten 14 Tagen mussten wir feldgrau Eingekleideten den ganzen Dienst in der
Batterie mitmachen, obgleich uns Pferde in Pflege gegeben worden waren, die in einem Stalle
für sich aufgestellt waren und kein Geschirr hatten.
Die Ausmärsche in dieser Zeit waren sehr interessant. An einem Morgen war in Etzhorn
Scharfschiessen mit alten Geschützen (Mod. 74). Einige Tage darauf wurde mit ManöverKartuschen geschossen. Dies war in der Nähe von Wardenburg. Ich war als Vorder-Fahrer
beim 2. Munitionswagen eingeteilt und hatte 2 schöne, leichte Pferde. Stangenreiter war
Baumann. Der Mittelreiter war ein kleiner, ängstlicher Kerl, der auch vorher kaum mal
gefahren hatte.
Beim Auffahren der Batterie waren die Geschütze in Stellung gegangen und die Staffel (die
Munitionswagen) sollten einfahren. Kaum waren die Wagen abgeprotzt, fing die Batterie an
zu schiessen. Sämtliche Fahrer waren abgesessen, um gedeckt zurückzugehen. Bei den ersten
Schüssen werden die Mittelpferde scheu und wollten durchbrennen. Die Vorder- und
Stangenpferde wurden allmählich ebenfalls ängstlich und, da die Handpferde keinen Reiter
sahen, schlugen sie wild um sich. Ein Pferd sprang über ein Zugtau. Der
Abteilungskommandeur, Hauptmann Wittjen, meinte, es fehle jetzt nur noch eine
Fliegerbombe, um vollständige Verwirrung hervorzurufen. Doch endlich wurden die Pferde
wieder ruhig und wir kamen gut wieder nach Hause.
Jetzt unser Abrücken von Oldenburg.
Der endgültige Befehl hierzu wollte immer nicht kommen. Doch am Sonnabend tauchte ein
Gerücht auf, dass der 1. Ersatz-Transport zum Regiment ins Feld gehen sollte. Sonntag abend
bestätigte sich dies denn auch und heute morgen wurden Karabiner (Mod. 88) sowie
Munition, Lebensmittel etc. empfangen.
Der Abmarsch wurde auf 5 Uhr nachmittags angesetzt und abends um 6.[0]8 Uhr sind wir mit
dem Personenzug nach Bremen abgefahren. Hier trafen wir um 7.28 Uhr ein, und mussten mit
Sack und Pack umsteigen, um 8.23 Uhr nach Nienburg – Hannover weiterzufahren. Hier
trafen wir mit grosser Verspätung ein, dass wir den Anschluss verpassten; und jetzt liegen wir
hier auf dem Bahnhof.
Der Transport beträgt im ganzen 46 Mann und 3 Unteroffiziere.
Pferde sind von Oldenburg nicht mitgekommen, weil bei der Artillerie Brustseuche
ausgebrochen ist und wegen der Ansteckungsgefahr soll nun kein Pferd von O[ldenburg].
weg, bis die Seuche ganz erloschen ist.
6
Dienstag, 15. 12. 14.
Von Hannover sind wir heute morgen 2.[0]8 Uhr per D. Zug abgefahren über Göttingen,
Cassel, Treysa, Marburg, Giessen nach Frankfurt a/M., Ankunft 9.22 vormittags. Hier hatten
wir längeren Aufenthalt.
Um ca. 10½ Uhr kam der Pferdetransport von Hannover an. Der Zug war gestern abend 11
Uhr von Hannover abgefahren und hatte einen Umweg gefahren, sodass wir ihn überholt
hatten.
Ca. 11 Uhr fuhren wir mit diesem Transportzug über Gross Gerau nach Biblis. Hier wurde um
1 Uhr zu Mittag gegessen.
1½ Uhr Abfahrt von Biblis, 2½ Uhr fuhren wir über den Rhein, ca. 3 Uhr in Worms. 3½ Uhr
kommen die ersten Weinberge in Sicht, dann immer Weinberge.
Die Gegend ist landschaftlich schön, aber die Bevölkerung ist arm. Die Häuser sind aus Lehm
zusammen geschmiert, nur hin und wieder ist ein Gebäude in Backstein aufgeführt.
Die Fahrt geht jetzt weiter über Mannheim, Enkenbach, Hochspeyer, Kaiserslautern,
Homburg, Saargemünde, Saaralben, Bensdorf nach Metz.
Hier kommen wir am 16. 12. 14. morgens um 4½ Uhr an und bekommen das erste Frühstück,
Kaffee und trockenes Brod [sic!].
Um 5.40 Uhr morgens Abfahrt immer weiter westwärts.
[Vgl. die folgende Abbildung].
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[1914-12-16 Landkarte].
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Mittwoch, 16. 12. 14.
Morgens 6 Uhr kamen wir nach Novéant[-sur-Moselle] und ½ Stunde später über die Grenze.
Dann ging es weiter über Onville bis Jaulny. Hier wurde eine Notrampe aufgeschlagen und
die Pferde ausgeladen. Von hier aus wurde marschiert über Thiaucourt, Nonsard bis
Heudicourt. Dann gingen wir weiter 1 km südlich in einen Wald. Unser Stab liegt in einem
grossen Bauernhof mit Namen Buxier aubois. Die Pferde und Protzen liegen in einem grossen
Walde zwischen Heudicourt, Nonsard, Buxières. Die Geschütze stehen 7 km weiter südlich
zwischen Varnéville und Loupmont am Südost-Abhang eines Berges „Le Mont“.
Bei uns im Walde wohnen wir in Erdhütten. Das Dach ist ca. 2 m hoch und mit Reit und Laub
bedeckt. Das Innere ist in 2 Teile geteilt. Vorne ist Wohnraum und Küche und hinten ist
Schlafraum. Für jeden Mann sind 2 Decken oder Woylachs da; dann auch genügend Stroh.
Frieren tut hier keiner.
Auf dem Marsche von Jaulny nach Heudicourt haben wir einen Wagen requiriert. Unser
Transportführer nahm 3 Mann mit, liess scharf laden und suchte die Häuser in Lamarche,
einem kleinen Dorfe zwischen Beney und Nonsard ab. Bei einem Kleinwarenhändler fanden
wir eine neue Kippkarre und es hiess: mitnehmen. Der Pisang8 machte mächtig Krach, wollte
zum Ortskommandeur laufen, aber wir machten uns schnell aus dem Staube. Jetzt wurde ein
Pferd vorgespannt; das Geschirr, ein Kumpt und einige Ketten, hatten wir vorher auf der
Strasse gefunden, unser Gepäck wurde aufgeladen und weiter gings nach Heudicourt.
Donnerstag, 17. 12. 14.
Die erste Nacht in Feindesland ist hinter mir. Geschlafen habe ich bei der leichten
Munitionskolonne und bin erst heute morgen ½9 Uhr aufgestanden. Um 9 Uhr mussten wir
antreten und wurden den Batterien zugeteilt. Ich bin zur ersten Batterie gekommen,
Hauptmann Wallbaum. Dann teilte der Wachtmeister uns noch in Geschütze ein und hier kam
ich zum 6. Geschütz. In Pflege habe ich 2 Reitpferde. Das eine gehört Leutenant [sic!] Meier
und das andere ist eine Remonte.
Heute nachmittag kam ein feindlicher Flieger, wurde [von] unseren Abwehrgeschützen
beschossen, war aber viel zu hoch und entkam. In unseren Stellungen werden Fesselballons
hochgelassen, von denen aus die Feinde beobachtet werden.
Freitag, 18. 12. 14.
Heute morgen wurde um ½9 Uhr angetreten und den ganzen Vormittag ein Knüppeldamm
gebaut. Es ist hier im Walde nämlich furchtbar schmutzig. Der Lehmboden ist durch den
vielen Regen ganz aufgeweicht und bei jedem Schritt sinkt man bis weit über die Enkel ein.
Nachmittags mussten wir in der Nähe von Thiaucourt in Weinbergen Geschützeinschnitte und
einen Beobachtungsstand bauen. Dies ist für einen evtl. Rückzug, wenn die Franzosen uns mit
grosser Übermacht angreifen und hier durchbrechen sollten.
Von diesem Weinberge aus konnten wir beobachten, wie 2 Infanteristen beerdigt wurden. Ein
Feldprediger hielt eine kleine Rede, dann wurden von ca. 20 Mann 3 Schuss abgegeben und
die Beerdigung war beendet. Auf die Gräber wurden 2 kleine schwarze Kreuze mit den
Namen der Gefallenen aufgestellt.
Gleich hiernach kam ein deutscher Flieger aus der Richtung von Metz her geflogen. Er
umkreiste einmal die feindlichen Stellungen und verschwandt [sic!] dann wieder in Richtung
Metz.
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Vermutlich spöttische Schreibweise des französischen Wortes „paysant“ (Bauer).
9
Sonnabend, 19. 12. 14.
Heute morgen wurde um 8½ Uhr angetreten und um 9 Uhr nach Heudicourt abmarschiert zur
Schanzarbeit. Wir bauten mit 7 Mann einen Stand für die Telefonabteilung. Um 2 Uhr kamen
wir wieder in unserem Quartier an. Unser Koch hatte uns Mittagessen warmgestellt.
Sonntag, 20. 12. 14.
Heute morgen kam die Nachricht, die Russen seien in entscheidenden Schlachten geschlagen.
Die noch heilen Glocken sollten um 12 Uhr mittags geläutet werden. Mittags läuteten dann
auch die Glocken und sämtliche Batterien gaben Freudenschüsse ab. Jedes Geschütz gab
einen Schuss ab. Der Donner rollte lang durch die Täler; bei uns im Walde wurde auch
geschossen mit Karabiner und Revolver. Dann wurden patriotische Lieder gesungen den
ganzen Nachmittag bis zum Abend hin.
Montag, 21. 12. 14.
Letzte Nacht war ich auf Wache und zwar 2. Wache von 11.20 bis 2.40 Uhr. Bei unserer
Batterie sind 4 Posten ausgestellt, die je 2 - 3 Ställe zu beobachten haben. Vor allem ist da vor
aufzupassen, dass kein Pferd sich losreisst und die Stallwände auseinander schlägt oder gar
wegläuft.
Während meiner Wache war schönes Wetter. Der Himmel war sternklar und fast kein Wind
rührte sich. Wenn die Geschütze mal einen Augenblick nicht schossen, so konnte man hören,
wie die Infanterie in den Schützengräben „O Deutschland, hoch in Ehren“ sang; wohl zur
Feier des Sieges über die Russen.
Heute morgen war um 9½ Uhr Reiten angesetzt für die Freiwilligen Fahrer. Leiter war
Leutenant [sic!] Rumpf. Wir ritten von unserem Lager aus nach Heudicourt. Es ging durch
tiefe Gräben und Sümpfe. Nahe dem Dorfe mussten wir dann Galopp reiten und konnten
wieder nach Hause ziehen.
Der Nachmittag war frei. Ich habe meine Sättel und Zaumzeuge gewaschen und gefettet. Um
4 Uhr war Appell in Waffen und Löhnung. Wir freiwilligen Fahrer bekommen nur M 5,30
Kriegslöhnung alle 10 Tage. Eigentlich steht uns als Fahrer 50 Pfg mehr für Pferdeputzen zu.
Dienstag, 22. 12. 14.
Heute morgen haben wir unser Haus verlängert. Wir haben 2 Fach, ungefähr 2 m, vorgebaut.
3 Mann haben zu Hause die Arbeiten fertig gemacht: Pfähle geschlagen, die Erde
ausgeworfen und die Sparren aufgesetzt. Während dessen haben die beiden anderen und ich
Reit und langes Gras geholt. Gleich nach mittag war der Neubau so weit fertig, dass er mit
bezogen werden konnte.
Ungefähr um 12 Uhr kam der Befehl zum Stroh-holen von Lamarche. Das 6. Geschütz war an
der Reihe und der Stangenfahrer gab mir seine Pferde. Um 1 Uhr fuhren wir 4spännig los
durch sehr tiefe Waldwege. Zuweilen kamen die Pferde bis an den Bauch ins Wasser und der
Wagen sank bis über die Achsen ein. In Lamarche war sehr wenig Stroh angekommen und
wir bekamen nur im ganzen 6 Bund à 125 Pfd. Wir waren mit 2 Wagen unterwegs. Auf dem
Nachhausewege fuhren wir durch dieselben Wege. Mitten im Walde sass in dem schmalen
Wege ein Wagen der 10. Fussartillerie fest, so dass wir nicht vorbei konnten. Wir spannten
unsere Pferde ab und wollten den Wagen der Fussartillerie loshelfen, aber der Weg war
gerade hier so schlecht, dass die Pferde die Füsse nicht loskriegen konnten, wenn sie ein[en]
Augenblick gestanden hatten. Wir zogen jetzt mit unseren Pferde[n] nach Hause. Abends,
nach 3 Stunden, gingen wir wieder hin, um unsere Wagen zu holen. Die Fussartillerie hatte
inzwischen noch 6 Pferde aus dem Dorfe geholt und kam jetzt gerade los. Wir hatten unsere
Wagen weiter zurück stehen lassen und kamen verhältnismässig gut nach Hause.
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Mittwoch, 23. 12. 14.
Heute war Geschirr-Revision. Vor mittag wurde sämtliches Geschirr gewaschen und die
Kandarren und Trensen geputzt. Dann wurde alles schön zusammen im Stalle aufgehängt. Der
Wachtmeister meint, gerade über Weihnachten könnte alarmiert werden, wenn man am
wenigsten darauf gefasst wäre.
Donnerstag, 24. 12. 14 Weihnachtsabend
Heute morgen wurde unsere Wohnung und der Stall nochmal gründlich nachgesehen und das
Dach mit Reit ausgebessert. Nachmittags war dann Empfang von Liebesgaben und Sachen für
den Weihnachtsbaum. Um 4 Uhr schmückte dann ein alter Mann den Baum und um 6 Uhr
wurden, nachdem wir zu Abend gegessen hatten, die Lichter angezündet. Nun brauten wir
noch einen Grock [sic!] und sangen Weihnachtslieder sämtliche, die uns bekannt sind, bis die
Lichter abgebrannt waren.
Das Leben hier in Feindesland ist so ganz anders als man es sich zu Hause vorstellt. Man
denkt, in ein wildes Durcheinander zu kommen, des Nachts kaum Unterkunft zu finden und
kaum Zeit zu finden, zu essen und zu trinken. Hier aber ist es ganz anders. Wir wohnen zu
sechsen in einer Hütte, die die alten Fahrer schon vor ca. 8 Wochen gebaut haben. Die
Batterie hat diese Stellung am 28. Oktober bezogen und sich hier dann eingerichtet. Die
Kanoniere sind am Nordabhange des „Le Mont“, die Fahrer liegen hier im Walde. Morgens
wird nicht vor ½8 Uhr aufgestanden. Zunächst werden die Pferde gefüttert und Kaffee
getrunken. Dann werden kleinere Arbeiten gemacht wie: Feuerholz geschlagen, Trinkwasser
geholt, Pferde geputzt oder die Hütte gereinigt, bis es Mittag ist. Dann wird gegessen und ein
kleiner Mittagsschlaf gehalten. Nachmittags dasselbe Leben. Gegen abend wird empfangen:
Hafer für die Pferde. Für uns Brod [sic!], Kaffee, Zucker, Salz, Erbsen oder Bohnen, Fleisch,
Zigarren und Zigaretten und zuletzt Rum oder Cognack [sic!]. Einmal am Tage ist Appell.
Alle pa[a]r Tage wird Heu und Stroh geholt. Sonst aber ist das hier ziemlich eintönig.
Kanonendonner hören wir nur von weitem. Hin und wieder mal ein Flieger oder in der Ferne
ein Fesselbal[l]on.
Heute abend sitzen wir hier nun und feiern Weihnachten. Den Baum haben wir aus einem
nahen Tannenwald geholt. Die Lichter und der Baumschmuck ist von der Batterie geliefert.
Den Rum haben wir uns von Metz mitbringen lassen.
Dienstag, 29. 12. 14.
Die beiden Weihnachtstage sind ganz still zu Ende gegangen. Ebenso der folgende Sonntag.
An diesem Sonntag morgen besuchten uns 4 Pioniere. Wir trafen sie im Walde und luden sie
ein, mit uns zu gehen. Diese 4 gehörten einem Drahtziehkommando an. Ein solches
Kommando, bestehend aus 8 Mann und 1 Unteroffizier, muss nachts vor den eigenen
Schützengräben Drahtverhaue ziehen. Dann gibt es noch Minenwerfer. Diese gehen auch in
die Schützengräben und schiessen von hier aus mit kleinen Mörsern Minen in die feindlichen
Gräben. Das Kaliber der Minen ist 15 - 25 cm und die Länge beträgt ca. 1 m. Die Wirkung ist
sehr gross 1. durch die Explosion und dann verbreiten sich giftige Gase.
Gestern nachmittag bin ich mit einem alten Fahrer zusammen nach Varneville gewesen, um
den Kanonieren unserer Batterie Lebensmittel und Post hinzubringen. Der Weg, ungefähr 8½
km, führte uns über Heudicourt, Buxièr[e]s, Buxerelles, Woinville nach Varneville. Die
letzten 3 Dörfer waren sehr zerschossen. Die Kirchen und auch die meisten Häuser waren
abgebrannt.
In den letzten Tagen ist Varneville besonders stark beschossen worden. So auch gestern
abend. Als wir in das Dorf hineinfuhren, wurde fast gar nicht geschossen. Aber kaum waren
wir drinnen, da gings los. 3 oder 4 Granaten flogen direkt über uns weg in die zerschossenen
Häuser hinein. Die meisten Schüsse gingen aber zu kurz und schlugen vor dem Dorfe ein. Wir
fuhren schnell zu unseren Kanonieren hin, sie wohnen unten in einem grossen Hause dicht
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unter einem Abhang des „Le Mont“, lieferten unsere Sachen ab und machten schleunigst
kehrt, nach Hause. Abends 7 Uhr kamen wir wohlbehalten in unserem Walde an.
Mittwoch, 30. Dezember 1914.
Letzte Nacht war ich zum 3. Mal auf Wache. Die zweite Wache habe ich in der Nacht zum 1.
Weihnachtstag gemacht. Ich hatte die letzte Nummer, weil der 2. Posten meiner Wache mich
aber nicht weckte, habe ich ruhig bis zum nächsten Morgen geschlafen.
Gestern abend wurde während meiner Wache zweimal ganz in der Nähe geschossen. Nachher
stellte sich heraus, dass verschiedene von unseren Leuten auf Wildschweinjagd gewesen
waren, gekriegt haben sie aber nichts.
Heute nachmittag haben wir unseren Wintervorrat an Kartoffeln, ungefähr 6 Scheffel, von
einem Acker in der Nähe geholt.
Auf Kartoffel[an]bau legen die Franzosen anscheinend keinen Wert. Alles steht
durcheinander, rote, weisse, blaue Kartoffeln, und dann sitzen so wenig drunter, dass es sich
nach unserer Ansicht kaum lohnt, die Kartoffeln überhaupt auszukriegen.
1915.
1. Januar.
Das Neue Jahr wird gerade in dieser Gegend mächtig eingeschossen. Gestern nacht, gestern
den ganzen Tag und zum Jahreswechsel schossen die Franzosen ganz verzweifelt. Hier wird
gesagt, Verdun sei schon seit einigen Tagen eingeschlossen, unsere Artillerie mache schon
Kreuzfeuer, stehe aber doch noch 20 km auseinander.
Bei uns am Walde steht jetzt Fußartillerie. Sobald diese Batterie nun anfängt zu schiessen,
nehmen die Franzosen ein ganzes Teil um sie herum unter Feuer. Die Geschütze stehen
nämlich gut versteckt und die Franzmänner können nur ungefähr feststellen, wo die Granaten
herkommen. Zuweilen kriegen wir dann auch eins in unsere Hütten. Es knallt wohl mächtig,
aber passiert ist dabei noch nichts.
Sonnabend, 2. Januar 1915.
Heute hält der Wachtmeister einen Appell mit Zaumzeug ab. Sämtliche Trensen, Kandarren
und Kinnketten müssen tadellos geputzt vorgezeigt werden. Das Lederzeug muss schön weich
und gefettet sein. Besonders schlecht geht das Putzen der Eisenteile. Hier im Walde gibt es
nämlich keinen Sand. Wir müssen deshalb Steine suchen und diese zu Grus zerschlagen, um
überhaupt etwas zum Scheuern zu haben. Beim Appell hat der Wachtmeister den Putz kaum
nachgesehen. Er ging nur die Reihen [ab] und sagte, vor allem müsse alles vorhanden und heil
sein.
Sonntag, 3. Januar 1915.
Heute morgen musste ein Wagen von uns für den Abteilungsstab nach Vigneulles, um
Bierfässer an die bayerischen Kantinen wieder abzuliefern. Die Herren vom Stab hatten sich
nämlich zu Neujahr Bier holen lassen.
Die 6. Kanone war an der Reihe und so fuhr ich denn mit einem alten Mann zusammen nach
Vigneulles, 5,5 km von Heudicourt. Zwei Pferde wurden voreinander an einen zweiräderigen
Karren gespannt. Ich nahm das Vorderpferd, einen grossen schwarzen Wallach. Dann gings
los und in flottem Tempo fuhren wir nach Vigneulles. Auf den Chausseen begegneten uns
lange Munitions- & Trainkolonnen, alles Bayern.
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Bis Vigneulles geht die Normalspur-Eisenbahn. Auf dem Bahnhof ist mächtig Betrieb.
Preussische Güterwagen und Lokomotiven kommen in langen Reihen daher direkt von
Deutschland. Es kommt einem ordentlich wie zu Hause vor, nur die vielen Soldaten.
Anschliessend an diese Bahn wird von den Pionieren und Eisenbahnern eine Schmalspurbahn
gebaut. Bis jetzt führt sie von Vigneulles über Heudicourt, Buxièr[e]s, Buxerelles bis
Woinville. Das letzte Ende wird wenig befahren, weil es zuweilen von den Franzosen
beschossen wird. Als Lokomotiven fahren Petroleum- & Oelmotorwagen. Allzu grosse
Geschwindigkeit wird nicht erreicht, aber die Loren tragen doch ein ganz schönes Quantum
Material und die Straßen werden hierdurch entlastet.
Montag, 4. Januar 1915.
Letzte Nacht war ich das 4. Mal auf Wache, von 2.40 bis 6 Uhr. Ich habe aber nur bis 4 Uhr
gestanden. Heute nachmittag bin ich wieder zu unseren Kanonieren in Feuerstellung gewesen.
Auf der ganzen Tour regnete es. Auf den Strassen war fast niemand zu sehen, nur hin und
wieder eine vermummte Person und einige dampfende Küchenwagen.
Dienstag, 5. Jan. 1915.
Heute vormittag war unser Hauptmann, Wallbaum, hier bei uns im Walde. Um ½11 Uhr
mussten wir im Tuchanzug antreten. Der Hauptmann kam dahergeritten, hielt vor der
versammelten Mannschaft und hielt uns eine Moralpredigt, die aber nicht von Pappe war. Er
nannte uns eine zuchtlose Bande, die sich dauernd besöffe und bei uns wäre alle Disziplin
verloren. Er wolle uns aber Bewegung machen, dass wir auf andere Gedanken kämen.
Besonders für die alten Fahrer wäre es beschämend, sich so zu betragen. – Dann liess er uns
wegtreten.
Zu dieser Missstimmung hatte er eigentlich keinen Grund. Es war ihm allerdings hinterbracht
worden, an den Weihnachtstagen und Neujahr sollten sich hier die ganzen Leute betrunken
haben. Der Wahrheit entspricht dies nicht. Es waren wohl einige Leute angeheitert, aber
sinnlos betrunken gewesen ist keiner.
Was für Dienst nun angesetzt wird, bleibt abzuwarten, heute ist noch keiner angesetzt.
Freitag, den 8. Januar 1915.
Seit Mittwoch habe ich keinen Dienst mehr gemacht, weil ich meinen rechten Fuss verletzt
habe. Beim Feuerholzschlagen mit einer geliehenen Axt brach der Stiel und die Axt flog mir
mit der scharfen Seite auf den Schuh direkt in den Spann.
Heute bin ich zum ersten Mal aufgestanden. Ich kann nur gehen, wenn ich die Fussspitze
aufhebe, da sonst die Sehnen, die durch den Spann führen, angezogen werden und heftig von
innen gegen die Wunde drücken. Ob Sehnen verletzt sind, weiss ich nicht. Die Zehen kann
ich bewegen, woraus ich wohl schliessen kann, dass keine ab ist.
Gestern haben wir zum ersten Mal kein Brot bekommen, obgleich es der Tag war, wo sonst
welches empfangen wird. Als Ersatz gab es Feld-Zwieback. Das sind kleine viereckige Kakes
[sic!], sehr hart und trocken, schmecken für ein einzelnes Mahl ganz gut. Auf die Dauer aber
soll man sie nicht mehr durch den Hals kriegen können.
Heute war wieder Brot da.
Dienstag, 12. Januar 1915.
Sonntag war hier mächtige Aufregung. Einige Fahrer waren zum Reitmähen und hatten dabei
Wildschweine entdeckt. Einer kam zu unserer Hütte gelaufen und holte meinen Karabiner.
Einige andere Fahrer liefen mit und veranstalteten eine richtige Treibjagd. Ein grosses
Wasserloch, das ganz von Reit und Schilf durchwachsen [war], wurde umstellt. Hier sollten
die Schweine sitzen. Auf einem Ende wurde angefangen zu treiben. Plötzlich kam ein grosser
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Eber aus dem Reit hervor, gerade auf den Fahrer Koopmann, aus Berne, zu. Koopmann legt
an, drückt und drückt, aber der Karabiner geht nicht los. Auf ungefähr 5 Schritt geht der Eber
nach der Seite weg. Hinterher laufen noch 5 oder 6 Frischlinge, auch schon ziemlich gross, ca.
120 Pfd. schwer. Ein anderer Fahrer, der weiter hin stand, schoss noch 5mal hinterher, aber
die Schweine liefen gemütlich in den nahen Wald.
Freitag, den 15. Januar 1915.
Jetzt bin ich von meiner Verletzung am Fuß soweit wieder hergestellt, dass ich fast gerade so
gut gehen kann, als früher. Nur beim Schuhanziehen biegt die große Zehe nach unten, dass sie
dann ganz unter dem Ballen liegt. Stiefel habe ich noch nicht wieder angehabt.
Das Leben hier im Walde bleibt immer dasselbe. Es gibt wenig Veränderung. Die meiste Zeit
regnet es.
In den nächsten Tagen wollen wir eine neue Hütte bauen. In der alten ist es wegen des hohen
Grundwassers nicht auszuhalten. Erstens hat man dauernd kalte Füße und zweitens müssen
wir jede Nacht ein bis zweimal aufstehen und das Wasser ausschöpfen. Hierzu kommt noch,
dass die Schlafstelle für sechs Leute zu klein ist. Einer schläft schon quer den anderen zu
Füßen. Aber auch für fünf Mann nebeneinander ist [es] zu eng. Zuweilen kann man sich kaum
rumdrehen.
Die Landwehrleute, mit denen ich zusammen wohne, sind folgende: Heinrich Bohlen,
Hafendorf b/Esensham i/O.
Car1 Rogge, Bernebüttel b/Berne i/O.
Fr. Ostendorf, Beckumersiel b/Esensham i/O.
Anton Mittwollen, Schweieraussendeich b/Schwei i/O.
Dann noch ein Kriegsfreiwilliger Assessor: Georg Egberts, Adr. d. Eltern: Johannes Egberts,
Wittmund.
Dienstag, den 19. Januar 1915.
Sonntag sind wir angefangen, unsere neue Hütte zu bauen. Sie wird sechs Schritt lang und 8
Schritt tief und kommt gleich neben unserem Pferdestall zu stehen. Gestern haben wir die
Giebe1- & Seitenwände fertig gemacht. Abends haben wir noch den Giebel und die Sparren
aufgesetzt. Heute morgen haben wir Reit geholt. Morgen soll die Schlafstelle fertiggemacht
werden. Tür und Fenster werden eingesetzt. Unser Herd wird aufgestellt und sonstige kleine
Arbeiten werden verrichtet. Donnerstag ziehen wir dann mit all’ unseren Prullen und
Siebensachen um. Maurer-, Zimmerer-, Dachdecker-, Tapezier- und Maler-Arbeiten, alles ist
in noch nicht ganz 4 Tagen fertig. Das Haus steht zum Einzug bereit.
Gestern bin ich für unseren Stangenfahrer, der wegen Kopfschmerzen und Erkältung zu Bett
lag, nach Vigneulles zum Pioni[e]r-Lager gewesen, um Dachpappe zu holen. Auf dem
Nachhausewege wollten die Pferde unseres Mittelreiters im weichen Land überhaupt nicht
ziehen und mit 2 Pferden einen beladenen Wagen, wir hatten 31 Rollen, durch tiefen Dreck zu
bringen, ist unmöglich. Deshalb ritt einer von uns zu unserem Wachtmeister und holte noch
einen Mann mit 2 Pferden dazu. Jetzt kamen wir sehr gut, auch durch die tiefen Gräben, wo
der Wagen bis über die Achsen einsackte, nach Hause.
Heute war ich mit zum Heuholen nach Lamarche. Wir sind nicht die direkte Chaussee
gefahren, weil sie ganz holperig ist und so tiefe Löcher drin sind, dass der Wagen zuweilen
umkippt, sondern über Pannes. Die Straßen sind sehr gut, nur geht es mächtig auf und nieder.
In Pannes selbst ist es so abschüssig, dass, als wir mit beladenem Wagen die beiden
Hinterräder ganz abgebremst hatten, der Wagen noch so schnell lief, dass die Pferde traben
mussten.
Gestern habe ich beim Fahren einen Stiefel eines alten Fahrers angehabt, in meinen eigenen
konnte ich noch nicht hinein. Dieser Stiefel war so gross und breit, dass ich nicht in den
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Steigbügel kommen konnte. Glücklicher weise ist es der rechte, sonst hätte ich bei unseren
sehr grossen Pferden garnicht aufsitzen können.
Heute habe ich aber schon meinen eigenen Stiefel wieder angehabt. Die Wunde am Fuß ist
schon beinahe ganz wieder ausgeheilt. Morgen will ich Preservatifcreme [sic!] auftragen,
dann wird die Haut wieder ganz schnell fest und geschmeidig. Diese Creme reinigt und
desinfiziert auch gleichzeitig.
Sonntag, 24. Januar 1915.
Wir wohnen jetzt in unserer neuen Hütte. Sie ist besser ausgefallen, als ich sie mir vorher
gedacht habe. In der Vordergiebelwand ist ein grosses Fenster und die Tür. Gleich vorn
rechts, wenn man reinkommt, steht der Ofen, etwas weiter der Tisch. Fast die ganze hintere
Hälfte der Hütte ist als SchlafsteIle eingerichtet und bietet soviel Platz, dass wohl acht Mann
nebeneinander liegen können. Wir sind aber nur zu sechsen.
Donnerstag nachmittag kam der Befehl, uns marschbereit zu halten. Die Pferdegeschirre
wurden sofort bis ins kleinste zusammengesucht und aneinander geschnallt. Von unseren
ganzen anderen Habseligkeiten wurde alles nicht dringend notwendige weggeworfen und das
übrige in Tornister und Zeugsäcke verpackt. Der Befehl zum Abmarsch kam aber nicht. Jetzt
liegen wir immer noch im Walde. Ein gutes hat dieser Befehl aber doch gehabt. Wir haben
zwischen unseren gesammelten Siebensachen mal gründlich aufgeräumt und wissen jetzt so
ziemlich, was und wieviel wir mitnehmen können.
Mittwoch, den 27. Januar 1915.
Heute ist Kaisersgeburtstag. Sämtliche Dörfer sind mit Guirlanden [sic!] und Kränzen
geschmückt. Mittags um 12 Uhr werden Salutschüsse abgegeben. In unserer Batterie ist um
12 Uhr Appell. Der Wachtmeister, Wyrenbeck, hält eine kleine Ansprache und bringt ein
Hoch auf den Kaiser aus. Zur Feier des Tages soll es auch Wein geben, aber leider ist er noch
nicht da. Voraussichtlich ist er erst übermorgen abend hier.
In den letzten Tagen ist hier wenig passiert.
Gestern nacht hat es tüchtig geschneit. Es lag wohl eine handbreit Schnee. Morgens bin ich
dem Wald gewesen, um mal zu wissen, ob und wo sich Wildschweine aufhielten. In dem
Sumpf, wo wir Reit mähen, waren keine gewesen, wohl, weil in der Nähe zuviel Lärm ist. An
dem Sumpf vorbei wird nämlich ein Weg gebaut. Ungefähr 25 Pioniere sind täglich dabei
beschäftigt.
Gestern abend wurde das Dorf Heudicourt beschossen. Zwischen 8 und 9 Uhr schossen die
Franzosen wohl 30 mal über uns hin. Meist gingen die Schüsse auf die Chaussee nach
Nonsard, also zu weit rechts.
Montag, den 1. Februar 1915.
Der Wein zu Kaisersgeburtstag ist gestern angekommen. Es ist schöner französischer
Landwein. Gestern abend haben wir Punsch gemacht und allerhand Lieder gesungen.
Das Wetter ist jetzt besser geworden. Es friert tüchtig. Der Schnee bleibt liegen. Es ist jetzt
richtig Winter.
In den letzten Tagen haben wir einen neuen Pferdestall gebaut. Der alte war so schlecht, dass
die Pferde geradezu krank wurden. Bei jedem Regen lief das Wasser durch das Dach. Die
Pferde waren dann ganz nass und standen bis über die Fesselgelenke im aufgeweichten Lehm.
Der neue Stall ist wohl der beste in der ganzen Batterie. Die Vorderwand steht etwas schräg.
Buchenpfähle sind an den Giebel gelehnt, mit Drahtgeflecht überzogen und darauf liegt eine
20 bis 30 cm dicke Mistschicht. Die Wand ist wohl 4 m hoch. Die Hinterwand ist ganz
ähnlich, aber nur 2 m hoch. Auf dem Dach haben wir Dachpappe. Das Wasser läuft wegen der
grossen Schräge vollständig ab, wenn es auf einer Stelle auch mal nicht ganz dicht ist.
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Unsere Pferde erholen sich richtig. Wenn man morgens in den Stall kommt, ist es drinnen
schön warm und die Pferde liegen in der trockenen Streu.
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Sonntag, 14. Febr. 15.
In den letzten Tagen war das Wetter ziemlich schlecht. Es regnete viel. Nachts fror es hin &
wieder. Tags taute aber immer alles wieder auf. Etwas Besonderes ist nicht passiert.
Seit gestern bin ich bei den Geschützen auf dem „Le Mont“. Mit mir zusammen ist L.
Koopmann hierher versetzt worden.
Wir schlafen in der Batterieküche am Nordabhange des Berges. – Bis vor einer Woche war
die Küche im Dorfe Varneville. Als es aber von den Franzosen von Gironville aus stark
beschossen wurde, musste die Küche an den Berg verlegt werden. Hier ist sie beinahe nicht zu
erreichen, d. h. für die feindlichen Geschosse.
Unser Dienst den Tag über ist Beobachten der feindl. Stellungen südlich von Apremont. Der
Beobachtungsstand ist ein ca. 2 m tiefer Graben, der bis an den Rand des Waldes führt. Auf
dem letzten Ende teilt er sich. Von dem einen Ende kann man gerade aus und westlich
beobachten, von dem anderen gerade aus und östlich. Er ist ganz in Stein eingehauen.
Etwas weiter zurück im Walde sind die Unterstände. Wir, Koopmann und ich, sind dem
Beobachtungswagen zugeteilt und essen auch mittags in dessen Unterstand. Dies ist ein
grosses Loch 2½ x 4 m und 2½ m tief. Oben auf als Dach zu ebener Erde ist eine doppelte
Lage dicker Baumstämme, darauf liegt eine 1 m dicke Steinschicht und hierauf liegt noch
Dachpappe. Auf der der franz. Front abgekehrten Seite sind ein Fenster und eine Tür.
[Lageplan 1915-02-14].
Solche Unterstände sind in unserer Batterie zehn. Fast alle sind folgendermaßen eingerichtet:
der grössere Teil der Bude ist Wohnraum. In der Mitte steht ein grosser Tisch, auf jeder Seite
eine Bank. Gleich vorn bei dem Eingang steht ein kleiner Ofen. Der Schornstein führt durch
die Tür nach aussen. Gekocht werden darf wegen der Rauchentwicklung am Tage nicht. –
Auf dem anderen Ende der Bude wird geschlafen. Es sind 2 Strohlager von ca. 1½ m Breite
übereinandergebaut.
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Wenn nun mehr Leute in einem Unterstand wohnen, als in den Betten liegen können, so
werden nachts Tisch und Stühle nach draussen gestellt und auf dem Boden Strohsäcke
ausgebreitet. So können in einem Unterstand im Notfalle eine ganze Anzahl Leute schlafen.
Donnerstag, 18. Febr. 1915.
In den Tagen, wo ich bei unseren Kanonieren auf dem Mont bin, bin ich viel durch die
Wälder und Dörfer gestreift und habe allerhand Raritäten gesammelt. Anfangs konnte ich
allerdings nichts oder nur wenig finden, wusste auch zu schlecht in der Gegend Bescheid.
Heute wurde unsere Batterie heftig beschossen. Vor Mittag schlugen 18 Schuss grösseren
Kalibers ganz in unserer Nähe ein, ohne jedoch etwas zu treffen.
Um 12 Uhr gab unser 1. Zug Salutschüsse ab und wollte auf einen Waldabschnitt einrichten,
aus dem vorher Rauch aufgestiegen war. Das indirekte Richten aber, die 2 Geschütze standen
etwas zurück im Walde, war ziemlich schwierig und wollte nicht recht gelingen. Der
Lieutenant liess deshalb die Geschütze bis an den Waldrand vorbringen. Hierbei müssen die
Franzosen die Stellung des ersten Zuges entdeckt haben. Jedenfalls, um 2 Uhr fingen die
Franzosen aus Richtung Gironville mächtig zu schiessen an. Ein Schuss, es war ungef. der 10.
Schuss, ging an die Rückwand der Schlafbude und riss die ganze hintere Ecke hoch. Ein
Mann lag in der Bude zu schlafen, glücklicher Weise an der vorderen Wand. Er kam mit dem
Schrecken davon. – Sämtliche Leute des Zuges liefen jetzt natürlich weg, um aus dem
Bereich der Sprengstücke zu kommen. – Es folgten dann noch über 20 Schuss.
Als wir nachher den Schaden besahen, hing[en] eine Hose, ein Tornister und eine Tür oben in
einem Eichbaum, wohl 4 m hoch. Ein Treffer war in das Munitionslager gegangen und hatte
die Kartuschen der Granaten entzündet. Es waren 16 Granaten und 3 Schrappnells beschädigt.
Sonst ist aber kein Schaden angerichtet worden.
Ob der Zug einen anderen Platz beziehen wird, ist noch nicht bestimmt. –
Im Dorf, Varneville, stand kürzlich ein Geschütz der 6. Bay[erischen]. Feld-Art[illerie]., in
dessen Rohr ein fr[anzös].Schrappnell hineingetroffen und krepiert war. – Das Geschoss war
vorn auf den Rand der Rohrmündung aufgesetzt, abgeglitten, hineingefahren und am
Verschluss krepiert. Es ist in ein Museum in München gekommen.
Montag, 22. Februar 1915.
Heute morgen und während des ganzen Vormittages wurde unsere Batterie schwer
beschossen. Die Franzosen bestrichen den ganzen „Mont“ und hatten es besonders auf die
hinter dem Berg liegenden Batterien und Kolonnen abgesehen.
Morgens 7 Uhr kam der erste Schuss. Er schlug an der Straßenböschung, ca. 50 m von der
Küche entfernt, ein. Als die Granate krepierte, wir lagen noch alle im Bett, sprang alles auf
und lief nach draussen. In einer Bude der Infanterie-Sanitätskolonne waren sämtliche
Scheiben eingeschlagen. Die Infanteristen liefen alle den Berg hinauf.
Nun folgte Schuss auf Schuss. Mehrere Treffer wühlten die Straße auf. Eine Granate,
mindestens 15 cm, ging durch die Wärmehalle der Sanitätskolonne und riss ein grosses Loch
in die Treppe, die auf den „Mont“ führt.
Mehrere Schüsse gingen in den „toten Winkel“, wohin die Franzosen eigentlich garnicht
schiessen können. Gegen abend kam ein Flieger und meldete, die Franzosen hätten bei dem
morgens herrschenden starken Nebel ihre Geschütze sehr weit vorgeschoben und so unsere
Stellungen hinter dem „Mont“ erreichen können.
Verluste hatten wir nicht. Nur ein Pferd war durch einige Schrappnellkugeln [sic!] leicht am
Kopfe getroffen.
Heute morgen musste ich für den Hauptmann Wasser mit nach oben nehmen. – Um das
Wasser nicht weit tragen zu müssen, wollte ich vom Dorf aus über ein freies Feld gehen, das
von den Franzosen aber beobachtet werden kann.
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Als ich aus dem Dorf heraus kam, ging ich durch einen grossen Obstgarten, um möglichst in
Deckung zu sein. – Die Franzosen aber fingen sofort zu schiessen an. Sie sollen nämlich mit
schweren Geschützen auf einen einzelnen Mann schiessen. – Als ich den Abschuss hörte,
blieb ich sofort stehen und lief dann an einen Birnenbaum.
Kaum vier Schritt von mir entfernt, ich habe es nachher abgetreten, schlug die Granate, 15
cm, ein. Nachdem die durch die Explosion hochgeschleuderte Erde wieder heruntergefallen
war, lief ich so schnell wie möglich ins Dorf. Ich war noch nicht 20 Schritt gelaufen, als ein
zweiter Schuss unmittelbar neben dem Birnbaum einschlug, an dem ich vorher gestanden
hatte. Diesen Weg konnte und wollte ich jetzt nicht mehr gehen. Ein anderer Weg führt, vom
Eingang des Dorfes in einem Wassergraben entlang, an Inf[anterie]. Deckungen vorbei,
ebenfalls zum Hauptmann. Diesen Weg wollte ich nehmen.
Heute aber, wo die Franzosen hinter den „Mont“ schossen, führte er durch die Schusslinie.
Als ich nun beinahe oben bei den Inf.[anterie-] Deckungen bin, kommen einige Schüsse,
gehen hoch über mir hin und erreichen so ihr Ziel, die Kolonnen hinter dem Berg. Eine
Granate aber, der franz. Kanonier mochte wohl einen Richtfehler gemacht haben, schlug wohl
25 m hinter mir ein. Jetzt hiess es aber „Laufen“. Es kamen noch einige Schüsse. Nach
einigen Minuten kam ich, das Hemd klebte trotz des kalten Wetters auf dem Rücken, in dem
Unterstand unseres B[eobachtungs].-Wagens an.
Freitag, 12. März 1915.
In den letzten 14 Tagen haben wir, fünf Freiwillige, einen Unterstand gebaut. Die
Grössenverhältnisse sind folgende: 4½ x 2½ x 2,20 m. Besonders schwierig war das Graben
des Loches. Der Boden ist sehr steinig. Von Anfang an musste alles mit der Spitzhacke
losgeschlagen werden. Bei 1 m Tiefe trafen wir auf Felsblöcke. Oft konnte man ½ Std.
picken, ohne irgendetwas weitergekommen zu sein. Nach 10 Tagen war das Loch, unsere
Wohnung, soweit fertig, dass das Dach aufgesetzt werden konnte.
Dies ist eine Lage dicker ca. 50 cm Eichenstämme und eine zweite Lage etwas dünnerer
Bäume. Die dickeren Stämme sind auf der am meisten gefährdeten Seite in die Erde
eingelassen, damit ein Treffer, der doch immerhin mal kommen kann, mit dem aber auf jeden
Fall gerechnet werden muss, diese nicht zur Seite schiebt und in den Unterstand eindringt.
Auf dieser doppelten Balkenlage ist eine Schicht dicker Steine, auf der die feindlichen
Geschosse sicher crepieren sollen. Hierauf liegt ca. 1 m Kies und Lehm und die letzte Lage ist
wieder eine dicke Steinschicht. Eine Dachpappe schützt das Ganze vor eindringendem Regen.
Zur Deckung gegen Flieger sind Sträucher neben dem Unterstand und auf dem Dach
aufgestellt worden, sodass es aussieht, als sei hier nichts geschehen.
Gestern war die Inneneinrichtung soweit fertig, dass wir einziehen konnten. Einen Ofen
hatten wir schon vor mehreren Tagen aufgestellt und immer tüchtig geheizt. Die Wände und
auch das Dach waren schon ziemlich ausgetrocknet und warm, sodass es gleich am ersten
Abend ganz behaglich in dem Unterstand war.
Die Einrichtung ist ziemlich einfach. Auf dem einen, bei uns südlichem Ende, sind die Betten
aufgestellt. Es sind zwei Etagen. Oben schlafen 3 und unten, weil die Wand etwas schräg ist,
2 Mann.
Der andere Teil, etwas mehr als die Hälfte, ist als Wohnraum eingerichtet. Ein Tisch, 2
Bänke, 1 Ofen, 1 Topfborte und eine grosse Borte, wo jeder einzelne seine Esswaren und
sonstigen Sachen hinaufstellt, bilden das Inventar.
Sonnabend, 13. März 1915.
In der letzten Nacht waren wir zum ersten Mal auf Wache. Ich hatte den Posten von 2½ bis 4.
Es war sehr warm, d. h. für eine Nacht Anfang März. Leider war es sehr neblig, sodass ich
nichts sehen konnte. – Heute am Tage habe ich den Posten 1 - 2½ [Uhr]. In der folgenden
Nacht denselben. – Es ist von unserem wachthabenden Serganten [sic!] so eingeteilt worden,
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dass man tags und nachts dieselbe Wache hat und jeden Tag 1½ Std. früher aufzieht als am
Tage vorher.
Donnerstag, 18. März 1915.
Augenblicklich bin ich auf Wache. Mein Posten dauert von 5½ bis 7 Uhr morgens. – Vorn im
flachen Lande ist dicker Nebel. Links von mir, hinter einem Berge, kommt die Sonne
allmählich hoch. Es wird heller und heller. Eine Drossel pfeift ihr Morgenlied. Nach und nach
stimmen viele andere kleine Vöglein mit ein. – Es ist ein schöner Frühlingsmorgen. Ich habe
den Eindruck, als wäre ich irgendwo in unserem Lande einsam im Walde; ich empfinde
garnicht, dass ich so fern von der heimatlichen Scholle im Frankenlande auf Posten stehe.
Meine Wachen während der letzten Tage und Nächte waren alle sehr schön. Nachts war es
immer ziemlich dunkel. Auch am Tage war die Luft meist dunstig. – Gestern nachmittag war
es sehr hell & klar. Mir gegenüber im Walde waren 2 - 3 Franzosen eifrig beschäftigt. Sie
trugen Reiser zum Bedecken ihres Unterstandes und Feuerholz zusammen.
Sonntag, 21. März 1915.
Gestern kam der Divisions-Befehl, dass wir uns gefechts-bereit halten sollten. Die Franzosen
haben uns gegenüber grössere Truppenverbände zusammengestellt und wollen in nächster
Zeit einen Durchbruchsversuch machen. – Auf unserer Seite sind sofort Gegenmaßregeln
getroffen worden. Sämtliche Artillerie hat von den etwas zurückliegenden Munitions-Depots
grössere Mengen Geschosse in die Feuerstellung schaffen lassen. Jedes Geschütz unserer
Batterie hat von der „leichten Munitionskolonne“ 50 Schuss angefordert und gestern abend 8
Uhr bereits bekommen. Bei jedem Geschütz sind jetzt 176 Geschosse; in der ganzen Batterie
also 1056 Schuss.
Die Infanterie, die gestern den 4. Tag in Stellung war und von einem anderen Bataillon
abgelöst werden musste, ist nicht abgerückt. Das ablösende Bataillon aber ist zu dem anderen
Bataillon in Stellung gekommen. Ein drittes Bataillon steht in Heudicourt marschbereit und
kann jederzeit dahin geworfen werden, wo sich eine schwache Stelle in unserer Linie zeigt.
Mittwoch, 24. März 1915.
Bis heute haben die Franzosen keinen Angriff gegen unsere Front unternommen. Rechts von
uns, nordwestlich von dem sog. „Erdwerk“, versuchten sie jedoch gestern abend gegen 11
Uhr einige Schützengräben zu nehmen. Dieser Versuch schlug vollständig fehl.
Die Franzosen wollten unsere Infanterie durch heftiges Gewehrfeuer einschüchtern und dann
im Sturm in die deutschen Schützengräben eindringen. Dies wollte aber selbst bei der
grössten Anstrengung nicht gelingen. Unsere Infanterie liess sich erstens nicht im geringsten
beunruhigen und dann eröffnete unsere Artillerie ein geradezu mörderisches Feuer. Nach
kaum einer halben Stunde war das ganze Gefecht beendet. Die Franzosen waren unter grossen
Verlusten zurückgeschlagen.
Montag, 29. März 1915.
Gestern nachmittag haben die Franzosen die hinter unserer Front gelegen[en] Dörfer
beschossen. Besonders gelitten hat Heudicourt. Durch irgendetwas hatten die Fr[anzosen].
ausfindig gemacht, es kann wohl ein Flieger gewesen sein, dass in diesem Dorfe grössere
Truppenmassen in Reservestellung lagen und beschossen es deshalb ziemlich heftig.
Zwischen 3 und 4 Uhr sind 44 Schuss in das Dorf gekommen. Einige Schüsse haben die
Häuser, in denen die Stäbe wohnen, getroffen. Mehrere andere Häuser wurden beschädigt.
Gleich nach den ersten Schüssen ist sämtliches Militär aus dem Dorf hinaus auf einen nahen
Berg gelaufen.
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Menschenleben sind nicht zu beklagen. Dagegen sind aber 11 Pferde getötet und 2 schwer
und 2 leicht verletzt worden. Zwei Pferde unserer „leichten Munitionskolonne“ wurden
vollständig in Stücke gerissen.
In der Nacht wurde wieder eine Beschiessung erwartet. Man meinte, die Franzosen hätten sich
ein[ge]schossen und würden während der Nacht schiessen, um eine ungeheuere Verwirrung
hervorzurufen.
Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr wurde von uns ein fr. Beobachtungsposten beschossen.
Mitten auf freiem Felde, weit vor den fr. Schützengräben, war während der letzten Woche
nachts ein Stand gebaut worden, ganz ähnlich den Schützengräben. Gestern morgen und
vormittag konnten wir deutlich beobachten, dass er besetzt war und wie darin gearbeitet
wurde. Eine Haubitzbatterie des F. A. R. 46 bekam dann den Befehl, diesen Graben zu
beschiessen, und zwar mit 25 Schuss. Ungefähr 6 - 8 Aufschläge lagen sehr gut; der
aufgeworfene Wall wurde weggerissen, und die hintere Kante des Grabens wurde einige Male
getroffen. Ob die Mannschaften verletzt worden sind, konnten wir leider nicht feststellen.
Donnerstag, den 7. April 1915.
In den letzten acht Tagen ist in unserer Nähe mächtige Gefechtstätigkeit. Bei Pont à Mousson
im Priesterwalde sind grosse Gefechte gewesen. Das 40. Infanterie Ers[atz].-Bataillon, es sind
77. und 92. Inf.[-Regiment], das mit zur 10. Ers. Division, Armee Strantz gehört, kam dorthin
zur Verstärkung unserer Front.
Schon am 2. Abend machten die Franzosen einen heftigen Angriff, der damit endete, dass
unsere Truppen zum Bajonette-Angriff übergingen und dem Franzosen einige Schützengräben
entrissen. – Den Reserven, die von den Franzosen herangezogen wurden, wurden von unserer
Artillerie schwere Verluste beigebracht. Von einem ganzen Bataillon, über 1000 Mann, ist
kein einziger übrig geblieben. Die Verluste des 40. Bataillons sind 86 Verwundete und 22
Vermisste und Tote.
In den folgenden Nächten machten die Franzosen wiederholt Angriffe. Hierbei wurden ihnen
immer derartige Verluste beigebracht, dass sie die Toten aus den Schützengräben
herauswerfen mussten, um überhaupt darin entlanggehen zu können.
Gestern abend griffen die Franzosen in der Gegend Aiji-Apremont die Stellungen der
bayrischen Inf[anterie]. 17 & 21 und der 19. Jäger an. Das daraus entstehende Gefecht war
das heftigste, das hier seit langer Zeit gewütet hat. Das Inf.-Feuer klang wie das Rollen eines
Güterzuges, einzelne Schüsse waren nicht zu erkennen, und so laut, dass wir, auf 1000 m
Entfernung, uns kaum verständigen konnten. Das Artilleriefeuer war wie ein nahes Gewitter.
Die Fr[anzosen]. schossen so wütend und schnell, dass die Sprengpunkte der Bz. Geschosse
die ganze Gegend beleuchteten. Der Erfolg dieses Schnellschiessens ist immer sehr gering,
weil dabei das Stellen der Geschosse und Einrichten der Geschütze mit wenig Sorgfalt und
ungenau gemacht wird. Unsere Artillerie, bei diesem Gefecht die bayrische, schiesst dagegen
langsam und bedächtig, damit jeder einzelne Schuss genau beobachtet und der nächste danach
korrigiert werden kann.
Der Ausgang des Gefechtes ist mir jetzt noch nicht bekannt, doch konnte man am Feuer
hören, dass auf französischer Seite keine grossen Erfolge zu verzeichnen sind.
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[1915-04-15: „Die Kampflinie zwischen Maas und Mosel“].
Donnerstag, 15. April 1915.
Die letzten 8 Tage haben nicht viel neues gebracht. Aus Richtung Pont à Mousson hörte man
fast jeden Abend heftige Gefechte. Diese [sind] meist folgendermassen verlaufen: Die
Franzosen (Inf.) greifen an, von ihrer Artillerie unterstützt. Auf unserer Seite ist alles ruhig,
nur hin und wieder ein Flintenschuss, da wo sich ein Franzmann auffällig zeigt. Die fr.
Schützenlinien kommen allmählich näher. Die fr. Artillerie schiesst sehr schnell, um unsere
Infanterie in Schach zu halten. Jetzt sind die fr. Infanteristen so nahe an unsere Gräben heran,
dass die Artillerie aufhören muss mit Schiessen, wenn nicht eigene Leute getroffen werden
sollen. – Dies ist der Zeitpunkt, auf den von unserer Seite gewartet wird, einen Gegenangriff
zu machen. Von unseren Schützengräben aus wird ein mörderisches Feuer auf die
anstürmenden Fr[anzosen] eröffnet. Unsere Artillerie beschiesst die nach rückwärts führenden
Verbindungsgräben und Wege und bringt den herauskommenden Reserven schwere Verluste
bei. Die Pioniere werfen Bomben, Handgranaten und Brandbomben in die Reihen der
Anstürmenden. In den Flanken beginnen Maschinengewehre, ihre Geschosse zwischen die
Angreifer zu schicken, und dann kommen noch unsere Minenwerfer und schiessen ihre mit 30
- 40 kg Dynamit gefüllten Minen mit grosser Sicherheit auf die herankommenden Truppen.
In einem Gefecht bei Pont à Mousson in Priesterwalde kam es vor einigen Tagen zu einem
furchtbaren Nahkampf. Unsere Infanterie, es war das 40. Ers[atz]. Bataillon von der 10. Ers.
Division mit dabei, war zunächst vorgestürmt, musste dann aber aus irgendeinem Grunde
zurückgehen. Als sie später wieder vorgingen, wurden mehrere deutsche Infanteristen
gefunden, die beim Zurückgehen verwundet und liegen geblieben waren und denen die
Franzosen viele Bajonettstiche beigebracht hatten und sie auch zum Teil verstümmelt hatten.
Hierüber gerieten unsere Leute in solche Wut, dass sie keinen lebenden Gefangenen machten.
Dabei waren vorher schon über 100 Franzosen in unseren Händen und auch nachher sind
noch viele gefangen genommen worden. Diese ganzen Leute, es sind 150 - 160 gewesen, sind
alle mit dem Kolben niedergeschlagen worden, ob solcher Schandtat.
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Dienstag, den 20. April 1915.
Die Franzosen haben es in letzter Zeit wieder mehr auf den Mont abgesehen. Zu irgendeiner
beliebigen Tageszeit bestreuen sie die ganze Gegend mit Schrappenells [sic!] und die von uns
besetzten Dörfer werden mit Granaten beschossen, die mit Schwefel und sonstigen
Chemikalien gefüllt sind und giftige Gase verbreiten.
So auch gestern und vorgestern abend. Vorgestern abend waren mein Kamerad Alfred
Borstelmann und ich nach Varneville gegangen und hatten uns gewaschen. Nachher gingen
wir noch in die Kirche und besuchten die Gräber der in unserer Batterie gefallenen drei Mann.
Gerade als wir auf dem Kirchhof waren, schlug in das Haus, das der Kirche gegenüber auf der
anderen Seite der Straße steht, eine Granate ein und crepierte. Die Wirkung war eine
furchtbare. Eine grosse Giebelwand fiel zum Teil ein. Sämtliche Innenwände wurden
umgerissen. Das halbe Dach stürzte nach unten. Steine und Pfannen wurden überall
umhergeschleudert und flogen bis oben auf die Kirche hinauf. Alfred Borstelmann und ich
flüchteten schnell, schon als wir das Geschoss kommen hörten, hinter die Kirche und kamen
so gut weg.
Als wir nachher hingingen und uns das Haus ansahen, waren alle Wände, das ganze Dach
innen und aussen über und über mit Schwefel bedeckt. Gleich nach der Detonation der
Granate war das ganze Dorf mit einem widerlich scharfen Dampf angefüllt. Es roch stark
nach Schwefel, man merkte aber, dass wohl noch andere Gase zugemischt waren. Passiert ist
durch diesen Schuss nichts.
Gestern abend war es ganz ähnlich. Wir waren wieder zu zweien am Brunnen in Varneville,
als plötzlich eine schwere Schwefelgranate über uns hin flog und im 2. Hause hinter dem
Brunnen einschlug. Um uns vor den umherfliegenden Sprengstücken und Steinen zu schützen,
liefen wir um die nächste Straßenecke und kamen so wieder mal gut weg.
Donnerstag, 22. April 1915.
Heute nachmittag ist ein Befehl an die 10. Ersatz Division gekommen, dass sämtliche
Truppen sich marschbereit machen sollen. Wir sollen also unseren schönen Mont verlassen,
auf dem wir nun schon seit dem 12. Februar verweilen und wo wir uns schon richtig
wohlfühlen trotz der vielen Schiesserei. Seit dem 12. Februar sind also hier die freiwilligen
Fahrer. Die ganze Batterie ist seit den ersten Tagen des Oktober v. J. hier. Die freiw.
Kanoniere sind am 20. Dez. hergekommen.
Nun einiges über den Unterstand der Freiw[illigen]., die dem Beobachtungswagen zugeteilt
sind. Die Einwohner sind folgende:
Louis Koopmann, Adr. Leop[old] Koopmann, Berne.
Er hat Jura studiert und das Ref[e]rendar-Examen bestanden. Alter 26 Jahre.
Alfred Borstelmann, Borstel Kr. Syke b/Bremen.
Er besuchte die Realschule zu Delmenhorst und war in der U[nter]. Prima. Alter … Jahre …
geb. …
Wilh[elm]. Riesebieter, Adr. Frau Riesebieter, Blexersande b/Nordenham i/O.
Angestellt bei der Oldbg. Landesbank in Oldenburg. Besuchte vorher die Oberrealschule in
Oldenburg.
Karl Prelle, Adr. Frau A. Prelle, Oldenburg, Donnerschweerstr. Alter 20 Jahre, geb. 1.
Mai 1895. Er besuchte das Gymnasium anfangs in O[ldenburg]., dann in Leer. Bei Ausbruch
des Krieges hat er Not-Abiturium gemacht. –
Als letzter wäre ich selber zu erwähnen.
In unserer Batterie ist in den letzten [Tagen] eine neue Einteilung erfolgt. Die Freiwilligen aus
unserem Unterstand sind mit Ausnahme von Riesebieter, der dem 4. Geschütz angehört, zum
Batterie-Trupp gekommen. Dieser Trupp besteht aus Reitern, die bei einer Batterie in
Bewegung dem Hauptmann direkt unterstellt sind und sich auch immer in dessen Nähe
aufhalten. Sie führen die Richtmittel der Batterie mit. Die Einteilung bei uns ist folgende: Das
23
Scherenfernrohr hat Alfred Borstelmann, den Richtkreis I führt Unteroffizier Koch, den
Richtkreis II. habe ich bekommen. Für das Telefon ist Louis Koopmann und [Theo] Buken
zuständig. Dann sind noch 2 Trompeter als Meldereiter bei uns. Im ganzen also 7 Mann. Karl
Prelle; der auch bei uns wohnte, ist dem Beobachtungswagen zugeteilt worden und sitzt als
Kanonier auf der Beobachtungswagenprotze.
Wilhelm Riesebieter ist wieder zum 4. Geschütz gegangen und ist als Kanonier 3, Kanonier
am Lafettenschwanz, eingeteilt.
24
2. Heft
meines Tagebuches
Angefangen: 24. April 1915
Beendet:
8. September 1915
Meine Adresse: O. Borggräfe
10. Ers. Division, 37. Gem. Ers. Brigade
1. Ers. Abt. F. A. R. 62, 1. Ers. Batterie
Westen
Adresse meiner Eltern: Ed. Borggräfe, Oldenburg i/Gr., Alexanderstr. 94
25
Sonnabend, den 24. April 1915.
Gestern nachmittag um 1 Uhr bekam ich den Befehl, mit Herrn Oberleutnant Wulff in unsere
neue Stellung zu reiten. Wo diese war, wusste ich zunächst noch nicht.
Um ca. 2 Uhr ritten wir weg von Varneville über Woinville, Buxerelles, Buxièr[e]s,
Heudicourt, Nonsard, Pannes, Essey nach Maizerais. Hier ist die Garde-Ersatz Division in
Stellung. Wir sollen also die Garde ablösen. Es war ca. 5½ Uhr, als wir in Maizerais
ankamen. Wir liessen unsere Pferde bei einem Trompeterhäuschen stehen und gingen sofort
in Feuerstellung zu unserer neuen Batterie. Dies ist die 1. Batterie, 2. Garde Ersatz
Feldart[illerie]. Regiment, Ersatz Abteilung. Die Batterie hat augenblicklich nur 2 Geschütze.
Die anderen 2 mussten wegen zu vielem Schiessen in Reparatur gegeben werden. Gestern
morgen z. B. verfeuerten die zwei Geschütze 100 Schuss. Gestern abend war für 7 Uhr ein
Feuerüberfall auf französische Schützengräben geplant. Hierbei wurden auch 100 Schuss
abgegeben. So geht es jeden Tag.
Die Geschütze stehen an der Strasse zwischen Maizerais und St. Baussant. Die
Schussrichtung ist südlich. Ziele sind meist Schützengräben vor Flirey. Die Entfernung ist
1800 m.
Von der 1. Batterie aus gingen wir dann zu einem 9 cm Zug. Hierbei kamen wir an einer
Scheinbatterie vorbei, wo der Zug bis vor kurzem gestanden hat. Plötzlich schossen die
Franzosen, wir waren ganz in der Nähe der Scheinbatterie, wohl 10 Brennzünder zu uns
herüber. Die ersten 2 gingen rechts an uns vorbei. Dann aber bestreuten die Fr[anzosen]. das
Land zwischen uns und den ersten Schüssen. Die Sprengpunkte kamen auf uns zu. Wir fingen
an zu laufen, um möglichst schnell in Deckung zu kommen. Plötzlich krepierten mehrere
Schüsse gerade über uns. Der Oberleutnant, ein Unteroffizier, ein Kanonier von der Garde
und ich lagen sofort im Dreck, es war weicher Ackerboden. Der Oberleutnant glaubte, er wäre
getroffen worden, aber als er richtig zusah, hatte sich ein Telefondraht um seinen Fuss
[ge]wickelt. Er hatte geglaubt, der Fuss sei ihm abgeschossen worden. Wir liefen dann schnell
aus der Feuerlinie heraus nach Maizerais zu.
Nachher sind wir zum 9 cm Zug gewesen. Dies sind Geschütze Mod.1873 ohne Rohrrücklauf.
Dann besuchten wir noch eine reitende Batterie, die zum 1.Garde Ersatz Regiment gehört,
und unsere Reservestellungen.
Gegen 9 Uhr ritten wir dann nach Pannes und übernachteten in Neu-Pannes bei den Protzen
der 1. Batterie 2. Garde Feld-Artillerie Reg[iment]. Ersatz Abteilung. Ich habe in einer
Baracke geschlafen, die von den Kanonieren der Batterie bewohnt wird, solange sie in
Ruhestellung sind.
Heute morgen bin ich um 5½ Uhr aufgestanden, habe die Pferde, die des Oberleutnants und
des Unteroffiziers geputzt, gefüttert und getränkt, weil der Bursche nicht dazu kam, und bin
dann, nachdem ich mir die Pferde und die Wohn- & sonstigen Baracken angesehen hatte, mit
Befehlen für die Abteilung 62 losgeritten. Nach 2stündigem Ritt kam ich um ca. 11½ Uhr in
Varneville bei unseren Trompetern an. Die einfache Strecke Varneville bis Pannes und zur
Batterie beträgt 23 - 25 km. Ich habe also mit den nötigen Umwegen wohl 50 km geritten in
zusammen kaum 4 Stunden.
Ich halte dies für erwähnenswert, weil ich seit Neujahr kaum auf einem Pferde gesessen habe.
Sonntag, 25. April 1915.
Heute morgen ist hier auf dem Mont ein Trupp der Garde Art[illerie]. angekommen, die
unsere Geschütze und Stellung übernehmen soll. Der Unteroffizier erzählt dicke
Mordgeschichten, ist dabei aber fast während der ganzen Zeit der heftigen Kämpfe in
Lazaretten und dergl. gewesen. Er ist ein richtiger Berliner.
Von uns sind gestern im ganzen 3 Unteroffiziere und 2 Mann zur Stellung der Garde Division
hingekommen, um sich mit den Geländeverhältnissen vertraut zu machen.
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Heute sind noch 6 Mann unserer Batterie dort hingekommen. Morgen sollen noch einige
Leute überwiesen werden, sodass die Bedienung für einen Zug, 2 Geschütze, in unserer neuen
Stellung ist.
Mittwoch, 28. April 1915.
Gestern abend 9 Uhr kam der Befehl, dass von unserer Batterie 3 Mann nach Maizerais in die
frühere Gardestellung kommen sollten. Hierzu wurden bestimmt Karl Prelle, Louis
Koopmann und Theo Buken. Alle drei wohnten mit mir zusammen im
Beobachtungsunterstand. Bereits heute morgen 7 Uhr mussten sie bei unserer Küche in
Varneville marschbereit sein.
Dies Umkommandieren kommt folgendermassen: Unsere Leute in der Feuerstellung bei
Maizerais haben ihre 2 Geschütze mit 2 anderen des Art. Reg. 55 zu einer Batterie vereinigt,
und lösen sich mit den Mannschaften der 55. alle 2 Tage ab. Also: zunächst sind unsere Leute
2 Tage in der Stellung bei M[aizerais]. und bedienen alle 4 Geschütze. Dann werden sie von
den 55. für 2 Tage abgelöst und gehen nach Neu-Pannes in Ruhe. So wechseln die
Mannschaften immer ab. – Zur Bedienung von 4 Geschützen sind reglementmässig 28 Mann
nötig. Von uns waren aber bisher nur 11 Mann in unserer neuen Stellung, deshalb sind noch 3
Mann überwiesen worden.
30. April 1915.
Seit einigen Tagen kommt die Garde Infanterie schon nach hier auf den Mont. Unsere
Infanterie geht dafür in die alte Gardestellung. Die ganze Garde Ersatz Division soll mit [der]
10. Ersatz Division die Stellungen tauschen.
Gestern abend hatte die Garde-Infanterie Probealarm. Gegen 11 Uhr kam eine ganze
Kompanie im Laufschritt von den Deckungen und ging in die Schützengräben auf dem
„Jägerweg“. Der Alarm vollzog sich schnell und ruhig, obgleich die Leute erst einige Tage
hier sind.
Die Schütze unseres 2. Zuges, Leutnant Borstelmann, werden von dem Feld Art. Reg. 38
übernommen. Dies ist kein Garderegiment, sondern nur der Garde-Div[ision]. zugeteilt.
Heute mittag bin ich zum Baden gewesen. Einige Leute aus unserer Küche haben nahe der
Straßengabelung Woinville – Apremont und – Montsec eine kleine Badeanstalt gebaut. In
einem starkfließenden Graben ist eine breite Stelle auf 1 ½ m vertieft und mit Brettern
ausgelegt worden. Für Kriegszeiten ist [diese] Einrichtung sehr gut zu nennen. – Man kann
mal ein Bad nehmen.
Heute schien die Sonne sehr schön warm, das Wasser aber war ziemlich kalt, es ist
Quellwasser, da bin ich mit einem Kameraden mal hingegangen.
27
Sonnabend, den 1. Mai 1915.
Augenblicklich sind wir, die 1. Batterie, beim Packen. Ich selber bin gerade fertig. Es ist jetzt
6 Uhr nachmittags. Sobald es genügend dunkel ist, rücken wir ab. Wir bringen dann zunächst
unsere Geschütze, wir nehmen alle vier mit, in das Dorf Varneville und werden da von
unseren Protzen abgeholt. In Stellung kommen wir nahe dem Dorfe Maizerais. Uns gerade
gegenüber liegt Flirey.
Interessant war heute morgen, als das gröbere Gepäck der Mannschaften mit Leiterwagen
weggefahren wurde. Heute sind 3 grosse Wagen abgefahren mit allen möglichen Sachen:
Öfen, Küchenherde, Schränke, Tische, Bänke, Stühle, Betten, Federdecken und ähnliches. Es
sah schlimmer aus, als wenn eine Zigeunerbande unterwegs ist.
Heute abend ½ 8 Uhr müssen wir zunächst die noch vorhandene Munition den Berg
hinuntertragen. An unsere Stelle kommen nämlich 9 cm Kanonen und da passt unsere
Munition nicht.
Nachher bringen wir die Geschütze nach unten. Es geht immer ziemlich steil bergab und da
wird ein Knüttel in den Lafettenschwanz gesteckt, dass er als Gleitschiene auf der Erde
entlanggleitet. Man braucht den schweren Lafettenschwanz dann nicht zu tragen und die
Kanone wird gebremst. – Unten auf der Hauptstraße stehen unsere Protzen schon bereit und
wir können sofort abfahren.
Sonntag, 2. Mai 1915.
Gestern abend haben wir unseren Mont verlassen. Mit 5 Mann haben wir zunächst 24 Körbe
Schrappnells [sic!] nach Varneville getragen und 2 Lafetten hinuntergebracht. Beim
Hinunterbringen der Lafette[n] sollten uns einige Kanoniere der 38. Feld. Art[illerie]. helfen,
aber diese Leute wussten keine Kanone anzufassen.
Um ca. 10 Uhr kamen wir von Varneville weg und fuhren nach Heudicourt und weiter bis in
den Wald von Nonsard. Hier wartete unser Wachtmeister mit 2 Munitionswagen auf. Unser
Hauptmann Wallbaum kam ebenfalls zu uns. – Nach längerem Hin- und Her-Überlegen
kamen 2 Geschütze unter Führung des Oberleutnants Wulff nach Pannes. Die anderen 2
Geschütze und die Munitionswagen fuhren in den Wald, wo unsere Protzen gelegen haben.
Pannes, Montag, 3. Mai 1915.
Letzte Nacht sind von unserer Batterie die Kanoniere in [der] neue[n] Stellung gewesen, um
Geschützstände, Laufgräben und Unterstände für Mannschaften zu bauen. Wir Freiwilligen
mussten auch mit zuschanzen. So kamen im ganzen 18 Mann zusammen. Diese gingen in 2
Abteilungen zum Schanzen. Die 1. Abteilung arbeitete von 8 - 1 Uhr nachts und die 2. von 1 5 Uhr morgens.
Die Nacht war sehr dunkel, so dass man kaum sehen konnte, was man eigentlich machte. Wir
haben an zwei Geschützeinschnitten mit dem Beobachtungsstand gebaut. Wegen der grossen
Dunkelheit ist nichts geschafft worden, wir sind vielmehr auf und abgelaufen und haben
allerhand Späße getrieben.
28
[1915-05-03 Lageplan, Legende:]
1.
2.
3.
4.
5.
Unsere Pferdeställe und Kanonierbaracken, solange diese in Ruhestellung sind.
Feuerstellung, die wir von der 2.G.A. übernommen haben.
9 cm Zug der 2.G.A.
Feuerstellung, die wir selbst gebaut haben. 1 - 4 Nummer[n] der Geschütze.
Beobachtungsstand. Von der Garde übernommen, bleibt bestehen.
29
[1915-05-05 Lageplan, Legende:]
1. Erster Zug unserer Batterie.
2. Zweiter Zug [unserer Batterie].
3. Dritter Zug [unserer Batterie].
B. Beobachtungsstand.
U. Unterstand der Beobachter.
K. Batterie-Küche.
F. Flußbad der 1/62. in der Madine.
P. Hauptrichtungspunkt unserer Batterie (Höhe 253).
S. Französische Schützen- und Laufgräben.
4. Franz. Beobachtungsposten.
5-7. Feindl. Batterien im Besambois.
E. Franz. Erdbefestigung[en], die im Januar durch die Bayern gestürmt wurden.
30
[Skizzen 1900-00-xx: Ausschnitt mit Legende auf der Rückseite:]
P
S
1.
2.
3.
Hauptrichtungspunkt 0.
Stand des Beschauers.
2 franz. Beobachtungsstände 15.
Batterie im Bésambois.
Flugzeug Abwehr Geschütze.
31
Mittwoch, 5. Mai 1915 Pannes
Montag nachmittag und gestern sind wir in unserer neuen Stellung gewesen und haben
Geschützeinschnitte ausgehoben. – Heute morgen ist Holz aus dem Walde von Lamarche
geholt worden; die Einschnitte sollen eingedeckt werden, um gegen Schrappnellfeuer und
Sicht geschützt zu sein. Heute morgen, es waren einige beim Arbeiten, ist unsere neue
Stellung beschossen worden. Ein Schuss ist 3 m vor einem Einschnitt eingeschlagen. Ob die
Franzosen die Stellung schon entdeckt haben oder ob sie nur die Gegend abgestreut haben,
muss die Zeit lehren.
Heute nachmittag von 2 - 3 Uhr haben wir 7 Kriegsfreiw[illigen]. Fahrer bei unserem
Wachtmeister Reitunterricht gehabt und zwar auf Trense-Sitzkissen, damit wir uns mal einen
geraden Sitz angewöhnten.
Donnerstag, 6. Mai 1915.
Gestern nachmittag sind wieder einige Leute, darunter auch ich, zum Schanzen in der neuen
Stellung gewesen. Unsere Telephonisten legten eine Telephonleitung zu unserem alten
Beobachtungsstand. Hierbei kamen sie über eine Höhe und waren vielleicht von einem
fr[anzösischen]. Fesselballon aus zu sehen. Gerade als unsere Leute auf der Höhe waren, kam
der Hauptmann und war sehr erregt darüber, dass die vorhandenen Deckungen so wenig
ausgenutzt würden.
Heute morgen, als es noch dunkel war, sind 2 unserer Geschütze in die neue Stellung gefahren
worden. Eins von diesen ist heute vormittag eingeschossen worden.
Die Bedienung ist um mittag gewechselt worden. Heute abend 8 Uhr kommt sie nach Pannes.
Die Nacht über ist nur eine Wache von 3 Mann und 1 Unteroffizier bei den Geschützen. Für
diese Wache bin ich eingeteilt. Zwischen 8 und 9 Uhr sollen wir die Bedienungsmannschaften
bei den Geschützen ablösen. Hoffentlich regnet es nicht so, wie heute am Tage.
Freitag, den 7. Mai 1915.
Letzte Nacht war ich auf Wache bei unseren Geschützen in der neuer Stellung. Gestern abend
½9 Uhr sind wir aufgezogen. Ich hatte die 3. Nummer von 3 - 6 Uhr.
Gegen 10 Uhr kam unsere Munitionskolonne mit 8 Fahrzeugen und brachte 720 Schuss an. –
Heute morgen 4 Uhr wurde ein Geschütz in Stellung gefahren. Jetzt sind also 3 Geschütze in
der neuen Stellung. Das vierte steht zwischen Maizerais und St. Baussant an der Straße. In der
nächsten oder übernächsten Nacht soll es auch in die neue Stellung gebracht werden.
Heute morgen bei Tagesanbruch kamen 3 Munitionswagen unserer Staffel mit 270 Schuss.
Die Munition in der Geschützprotze war 36 Schuss. Vorhanden waren noch 36 Schuss. Im
ganzen sind jetzt also 1062 Schuss in der neuen Stellung.
32
Dienstag, 11. Mai 1915.
[1900-00-00 - Skizze: Kampfstellungen um Flirey]
Sonntag Mittag bin ich in Stellung kommandiert worden und zwar als Telephonist im
Beobachtungsstand. Beobachter war unser Hauptmann Wallbaum. – Mein Dienst währte bis
gestern mittag. Geschossen hat die Batterie in dieser Zeit nicht. Wir sollten uns auf die
Abschnitte A 6 und B l der franz. Stellungen einschiessen, kamen aber nicht dazu, weil die
Abschnitte von unserem Beobachtungsstand aus nicht zu übersehen sind und die
Telephonverbindung mit einem Artillerie-Beobachter in A 6 & B 1 nicht herzustellen war.
Als ich gestern mittag in unsere Feuerstellung ging, um abgelöst zu werden, meinte ein
Leutnant ganz wohlwollend, ich müsse auch die nächsten 24 Stunden noch in Stellung
bleiben. – Anfangs war ich nicht recht damit einverstanden, aber jetzt freue ich mich doch,
dass ich dort geblieben bin.
Nachmittags machten wir einige Schanzarbeiten wie Munitionsunterstände und einen
Schlafraum. Abends 9 Uhr kam der Befehl, uns feuerbereit zu machen, um die Arbeiten in
den franz. Schützengräben die Nacht über zu stören. Wir sollten aber noch den Befehl zum
Schiessen abwarten. –
Plötzlich kurz vor 10 Uhr setzte ein franz. Angriff ein. Die fr. Infanterie griff ohne
artilleristische Vorbereitung an. Unsere Inf[anterie]. erwiderte das Feuer kräftig und gab
Zeichen mittels roter, grüner und weisser Signalraketen, dass die Artillerie das Feuer nach
hinten verlegen, also hinter die fr. Schützengräben schiessen solle. Sofort setzte die gesamte
Artillerie ein. Es war eine furchtbare Schiesserei. Gleich nach den ersten Schüssen wurde
unsere Telefonleitung, die Verbindung mit unserer Beobachtungsstelle, von einer fr. Granate
abgerissen und wir mussten auf Gut-Glück weiterschiessen. Unsere Batterie hat mit 3
33
Kanonen, die 4. war noch nicht eingerichtet, über 100 Schuss abgegeben. Wir richteten uns
dabei nach dem Feuer der in unserer Nähe stehenden Batterien und hörten schliesslich ganz
auf, als das Infanteriefeuer immer weniger wurde.
Sonntag, 16. Mai 1915.
In den letzten Tagen war die Gefechtstätigkeit vor uns ziemlich gering. Mittwoch und
Donnerstag hat unsere Batterie noch einige hundert Schuss abgegeben, aber nachher war alles
ganz ruhig.
Heute sind in unserer Batterie Beförderungen herausgekommen. Sämtliche Kriegsfreiwillige,
die im Besitz des Berechtigungsscheines für den Einjährig-Freiwilligen Militärdienst sind,
sind zu überzähligen Gefreiten befördert worden.
In unsere Abteilung sind diese Beförderungen im Vergleich zu anderen Truppenverbänden
sehr spät herausgekommen. Bei dem F. A. R. 46 z. B. ist vor einigen Tagen ein Teil der
Einj[ährig]. Freiw[illigen]. bereits zu Unteroffizieren befördert worden.
Diese Verzögerung hat. teils an unserem Hauptmann, teils an unserem Major gelegen, die ein
gutes Harmonieren junger Unteroffiziere mit älteren Mannschaften für unmöglich halten.
Montag, 24. Mai 1915.
Die letzte Woche ist ohne irgendwelches Ereigniss [sic!] verlaufen.
Gestern am ersten Pfingsttage war das Wetter sehr schön. Da wir aber seit Freitag unser Lager
in Pannes nicht mehr verlassen dürfen, war es an dem Feiertage sehr langweilig. Gegen abend
habe ich aber mit einigen Kameraden doch einen grösseren Spaziergang gemacht.
Seit heute mittag 1 Uhr bin ich im Schützengraben im Abschnitt „A 6“. Wir haben seit einiger
Zeit bei der Infanterie Beobachtungsposten eingerichtet. Es ist ein Unteroffizier und bisher ein
Trompeter als Telefonist.
Heute habe ich den Trompeter abgelöst, um mal zu sehen, wie es eigentlich im
Schützengraben zugeht.
Der erste Eindruck, als ich heute mittag in den Graben kam, war nicht gerade der beste. Wir
mussten zunächst 20 Minuten in einem Laufgraben entlang gehen, und das ist in brennender
Sonne nicht das grösste Vergnügen. Dann in der vordersten Linie die ewig vielen Sandsäcke
und die trockene Luft, man fühlt sich zunächst ganz beklommen. Nach Verlauf einiger
Stunden wird es aber besser. Es ist bald, als wäre man bei uns in der Batterie in der
Feuerstellung. Das Empfinden ist ganz ähnlich. Nur dass viel mehr zu sehen ist.
An allen Ecken und Enden stehen Maschinengewehre, Minenwerfer, Gewehrspanner mit
Winkelmesser zum Schiessen mit Gewehrgranaten und dergleichen Instrumente mehr.
Handgranaten liegen überall herum.
Dienstag, 25. Mai 1915.
Heute morgen bin ich mit unserem Unteroffizier Roeßler auf das Gelände hinter unserem
Schützengraben gewesen, um Fallschirme der franz. Leuchtraketen zu suchen. Wir sind aus
dem Graben herausgegangen über die zerschossenen Wälder. In einem Walde, dem sogen.
Totenwäldchen, ist kein grüner Strauch mehr zu sehen. Die Franzosen beschiessen diesen
Abschnitt jeden Tag; sie vermuten dort jedenfalls Reservestellungen oder dergleichen.
Morgens ½4 Uhr sind wir weggegangen. Um 5 Uhr waren wir zurück mit einer Beute von 11
Fallschirmen, 7 seidene und 4 leinene, und 8 Führungsringe, die wir von Hohlbläsern
abgeschlagen haben. Einen Meissel hatten wir mitgenommen.
Mittag um 1 Uhr wurden wir wieder abgelöst und sind augenblicklich in Pannes in Ruhe.
Den ganzen Nachmittag habe ich geschlafen. Die heisse Luft im Schützengraben ermüdet
doch sehr.
34
Mittwoch, 26. Mai 1915.
Augenblicklich bin ich wieder im Schützengraben. Der Unteroffizier Roeßler hat sich heute
morgen krank gemeldet und weil ich einigermassen über unsere Schussziele, wohin unsere
Batterie eingeschossen ist, unterrichtet war, wurde ich dem stellvertretenden Unteroffizier
zugeteilt, um ihn aufzuklären.
Gestern vormittag haben die Franzosen ziemlich heftig auf unseren Graben geschossen, aber
ohne etwas zu erreichen.
Heute nachmittag waren wir in den Nachbarabschnitt B l an den Bahndamm gegangen.
Plötzlich begann die fr. Artillerie ziemlich lebhaft zu schiessen. Die Geschosse krepierten in
unserer unmittelbaren Nähe. Wir haben uns möglichst schnell aus dem Staube gemacht.
Sonntag, 30. Mai 1915.
Bis gestern mittag bin ich zum dritten Mal im Schützengraben gewesen. Gestern morgen 2½
Uhr entstand plötzlich ein furchtbares Infanteriefeuer. Man vermutete einen Angriff. Nachher
stellte sich aber heraus, dass die Franzosen spanische Reiter vor ihre Gräben gebracht hatten
und dann unsere Infanterie sie daran hatte hindern wollen. Einige Leute hatten Franzosen aus
dem Graben herauskommen sehen und Schnellfeuer darauf abgegeben. Die Nebenmänner
schossen ebenfalls tüchtig darauf los, um die anstürmenden Franzosen, wie sie glaubten,
abzuhalten. So war schon nach ganz kurzer Zeit ein mächtiges Infanteriefeuer im Gange.
Die Franzosen wussten jedenfalls garnicht, was eigentlich los war, vielleicht haben sie an
einen deutschen Angriff gedacht. Sie erwiderten unser Feuer so 1ange, bis wir damit
aufhörten und der Tag graute.
Dienstag, 1. Juni 1915.
Gestern ist uns von der Batterie ein Fragebogen betreffs Reserve-Offizier vorgelegt worden.
Ich habe mit ja geantwortet.
Wir sollen voraussichtlich in einiger Zeit auf 4 Wochen nach Deutschland kommen auf einen
Truppenübungsplatz wie Munster oder dergleichen.
Freitag, den 11. Juni 1915.
In der letzten. Zeit ist hier nichts Bemerkenswertes vorgekommen.
Das Wetter war immer sehr gut, aber reichlich warm. Gestern und vorgestern hatten wir
abends Gewitter. Der Regen kühlte die Luft etwas ab, aber es war doch immer noch reichlich
warm. Heute ist der Himmel leicht bewölkt. Die Luft ist sehr durchsichtig und klar.
35
Montag, 14. Juni 1915.
Gerade eben, morgens 8¾ Uhr, findet über unserer Batterie ein Gefecht statt. Ein deutscher
und ein franz. Flieger beschossen sich gegenseitig mit Maschinengewehren. Sie griffen sich
mehrere Male an, bis der Franzose abstürzte. Der Führer und auch der Beobachter waren von
dem deutschen Maschinengewehr getroffen worden. Ein Schuss hatte den Benzinbehälter
getroffen und eine Explosion erzeugt. Der ganze Apparat stürzte aus 1200 m Höhe ab. Die
beiden Insassen und der Motor fielen als schwarze Punkte voran ins Dorf Essey hinein. Sie
lagen nachher auf der Straße; es waren nur noch Fleischklumpen, ein Sergeant und ein
Offizier.
Donnerstag, 24. Juni 1915.
Die vergangenen Tage haben wenig besonderes gebracht. Vor unserer Front haben die
Franzosen sich ruhig verhalten. Einiges Artillerie-Feuer und einige Minen erinnern uns daran,
dass Krieg ist.
Im Schützengraben ist am vergangenen Sonnabend eins unserer Minendepots aufgeflogen.
Ein Unteroffizier der Minenwerfer-Abteilung wollte eine zerbrochene Mine zurechthämmern
und traf dabei so unglücklich, dass ein Funke an die Zündschnur sprang und die Mine zur
Explosion kam. Hierdurch geriet das ganze Depot in Brand und crepierte. Der Erfolg war:
mehrere Tote und Verschüttete.
Augenblicklich ist in unserer Batterie Pferde-Revision.
Der Hauptmann ist auf Urlaub und der stellvertretende Oberleutnant will sich bei der
Gelegenheit ein schönes Reitpferd suchen.
Er hat sich das mir zugeteilte Pferd ausgesucht und will morgen probieren, ob es für ihn passt.
Sonnabend, 26. Juni 1915.
Seit gestern mittag sitze ich wieder einmal im Schützengraben als Beobachter.
Für gestern nachmittag 2½ Uhr war ein Feuerüberfall auf die französischen Batteriestellungen
angesetzt. Unsere Infanterie kroch, um sich vor evtl. französischem Vergeltungsfeuer zu
schützen, in die Stollen hinein.
Aber von franz. Seite erfolgte nichts. Wir beschossen die franz. Stellungen mit schön und
richtig liegenden Schüssen. Leider konnten wir die Wirkung nicht erkennen.
Nun noch eine verspätete Notiz: Wilhelm9 ist am 19. ds. Mts. morgens von Wilhelmshaven
abgefahren. Bestimmungsort ist noch nicht ganz bekannt.
Freitag, 2. Juli 1915.
Augenblicklich sitze ich wieder einmal im Schützengraben bei der Infanterie. Es gibt viel zu
sehen.
Gestern nachmittag beschoss ein schwerer Minenwerfer die franz. Gräben und Barrikaden, die
sich in einem Bahneinschnitt befinden, und richtete eine ziemlich grosse Verwüstung an. Die
franz. Artillerie suchte den Minenwerfer natürlich zum Schweigen zu bringen und feuerte
heftig auf die Stelle, an der die Minen abgeschossen wurden. Nach Aussage eines
Bedienungsmannes der schweren Minenwerfer hatten wir bei diesem Schiessen an Verlusten
3 Tote und acht Verwundete. – Unsere schweren Minen haben einen Durchmesser von 30 cm
und wiegen ca. 208 Pfund. Bei der Explosion erschüttert der ganze Boden bis zu uns herüber,
dabei crepierten die Minen weit zurück in den französischen Stellungen.
Gegen abend war ein Feuerüberfall auf die franz. Infanterie und Artillerie, um die franz.
Artillerie zum Schiessen zu bringen und deren Stellungen und Stärke festzustellen. Unser
Feuer wurde dann auch ziemlich heftig erwidert. Ob die Beobachtungsresultate gut oder
schlecht sind, entzieht sich meinem Gesichtskreis.
9
Wilhelm Borggräfe (18.02.1890 – 13.01.1986), zweitältester Bruder.
36
Heute morgen ist jedenfalls durch eigenes Verschulden im französischen Graben eine
mächtige Detonation erfolgt. Mächtige Erdmassen flogen hoch und stürzten in die Gräben.
Die davorstehenden Drahtverhaue verschwanden ebenfalls in den Gräben, sodass unsere
Infanterie schon an einen franz. Angriff mit vorhergehender Sprengung glaubte.
Montag, 5. Juli 1915.
Vorgestern nacht flog ein grosses Luftschiff über unsere Stellung hin in nicht all zu grosser
Höhe. Bei dem ziemlich hellen Mondschein, es war gegen 1½ Uhr morgens, konnte man die
Umrisse des Fahrzeuges deutlich erkennen. Es ging in Richtung St. Mihiel weiter und bekam
nachher in der Nähe von Apremont Feuer. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass es
ein französisches Luftschiff gewesen ist.
Mittwoch, 14. Juli 1915.
Die letzte Woche ist ohne etwas Bemerkenswertes vergangen.
Das Wetter war anfangs schön; in den letzten Tagen regnet es aber ziemlich viel. Für die
Ländereien ist dies sehr gut, die Straßen aber sind mit einer Schlammschicht bedeckt. Der
feucht gewordene, lehmige Boden bildet bei jedem Niederschlag eine klebrige Masse und
setzt sich klumpenweise an aller Leute Stiefel. Bisweilen ist dann das Gehen recht
beschwerlich.
In unserer Kanonier-Wohnbaracke in Neu-Pannes an der Madine haben wir gestern einen
kleinen Umbau vorgenommen. Das Strohlager ist etwas verkleinert worden; die
freigewordenen Fläche bildet jetzt unser Wohn- oder Lesezimmer. Wir haben einen grossen
Tisch, eine alte Tür, und zwei Bänke aufgestellt. Hier werden Correspondenzen und andere
Schreibereien erledigt. An der vorderen Längswand der Baracke ist ein anderer grosser Tisch
und eine Bank, unser sogen. Esszimmer. Jeder hat hier auf einer Borte einen bestimmten Platz
und bewahrt hier seine Fett- & Wurstwaren und seine kleinen Pakete, überhaupt sein ganzes
Hab und Gut auf. Alles ist in grösseren oder kleineren Pappkartons verpackt und schön auf
den Borten aufgebaut. Lässt einer etwas auf dem Tisch herumliegen, so wird er mächtig
angeheult. Nach dem Essen macht jeder seinen Teller rein und sorgt ebenso dafür, dass auf
dem von ihm benutzten Platze keine Reste irgendwelcher Art herumliegen. Der „Schelmletzt
[?]“ sorgt dafür, dass der ganze Tisch rein ist und stellt die Teller an den dafür bestimmten
Platz. Dann wird [werden] die ganze Stube und der an der Baracke vorüberführende Fahrweg
gefegt, und jeder haut sich ein Stündchen aufs Ohr.
Sonntag, 18. Juli 1915.
Vorgestern abend sind in unserer Batterie einige Beförderungen rausgekommen. Es wurden
befördert ein Unteroffizier Thöling zum Vice Wachtmeister und Offiziers-Aspiranten und drei
Kriegsfreiwillige Gefreite zu Unteroffizieren. Diese sind:
Willi Riesebieter aus Blexersande bei Nordenham, Tappenbeck, ein Verwandter der
Oldenburger Tappenbecks und meine Wenigkeit.
Gestern morgen haben wir uns dem Hauptmann in vorschriftsmäßigem Dienstanzug
vorgestellt. Gleich anschliessend hieran, ließ der Hauptmann sämtliche Freiwilligen und
Kanoniere der Batterie antreten zum Fußdienst und wir neu beförderten Spinner mußten das
Kommando übernehmen. Es klappte bis auf einige Fehler auf Seiten der Kanoniere tadellos.
Zum Schluß meinte der Hauptmann zu den Kanonieren, als Entschädigung für dieses
Bewegtwerden sollten sie sich von uns ein Faß Bier geben lassen. So wollen wir denn auch
morgen oder übermorgen abend bei schönem Wetter eine allgemeine Kneipe veranstalten.
Augenblicklich sitze ich als Geschützführer in der Batterie und werde heute abend abgelöst.
37
Mittwoch, 21. Juli 1915.
Vorgestern abend erfahre ich von unserem Hauptmann, daß er mich zu einen Kursus für
Reserve-Offiziers-Aspiranten auf der Artillerie-Schießschule in Jüterbog vorgeschlagen hat.
Es ist aber bis noch nicht bestimmt, ob und wann ich hinkomme.
Gestern und vorgestern hat je ein Geschütz unserer Batterie einen neuen Aufsatz, ein
Rundblickfernrohr, bekommen. Die anderen zwei Kanonen kommen morgen und übermorgen
zum Umbau weg.
Donnerstag, 22. Juli 1915.
Augenblicklich, es ist nachmittags 3 Uhr, sitze ich in unserer Batterie bei der zweiten Kanone
als Geschützführer und bin zum Umfallen müde. Wir haben nämlich zu gut zu Mittag
gegessen. Bei diesem Geschütz sind nur Freiwillige und da haben wir uns mal ein schönes
„Diner“ zusammengekocht. Als ersten Gang gab es Spargel mit jungen Kartoffeln und
Buttersauce, dann Apfelreis mit Zimmt [sic!] und Zucker und zuletzt einen Pudding aus Eiern
und Backpulver, dazu Erdbeersaft. Natürlich hatten wir alles in solchen Mengen angerührt,
dass wir auch wirklich satt davon wurden. Jetzt liegt die ganze Gesellschaft in der Schlafbude
und pennt.
Sonnabend, 24. Juli 1915.
Gestern und vorgestern abend ist unser Beförderungsbier vertrunken worden. Ein neu
beförderter Vice und wir 3 Unteroffiziere haben zusammen 200 Liter aufgelegt.
Das Gelage endete jeden abend mit allgemeiner Besäufnis. Die Stimmung war aber immer
sehr gut.
Sonntag, 25. Juli 1915.
Augenblicklich bin ich wieder einmal in unserer Batterie als Geschützführer beim 3.
Geschütz.
Gerade eben, es ist 12½ Uhr morgens, ist das 4. Geschütz, mit einem Rundblickfernrohr
ausgestattet, von Beney zurückgekommen. Beim Hineinbringen in die Deckung wollten wir
es auf Eisenbahnschienen entlang laufen lassen, um es so bequem richtig an Ort und Stelle zu
kriegen. Doch plötzlich rutschten die Räder ab. Ein mächtiger Fall und die Kanone lag in dem
Loch, wo sonst der Lafettenschwanz hineinkommt. – Doch nach ca. ½ Stunde hatten wir alles
wieder in Ordnung; die Lafette stand richtig an ihrem Platz, ohne irgendwie beschädigt zu
sein. Dann aber funktionierte das Einrichten noch nicht ganz. Die Deckung war zu niedrig,
um ein richtiges Einstellen des neuen Aufsatzes zu ermöglichen. Die bisherige Richtfläche
saß direkt über dem Verschlußstück, das Rundblickfernrohr aber stößt oben unter die Balken.
Der ganze Bau muss also morgen um ca. 20 - 30 cm erhöht werden.
Sonnabend, den 31. Juli 1915.
Vorgestern vormittag haben wir Kriegsfreiwilligen, es waren deren 7 im Barackenlager zu
Pannes, mit unserem Hauptmann eine Übung im Gelände gehabt.
Um ca. 9 Uhr ritten wir los nach Beney zu und machten dann auf dem Gelände südlich von
dem Dorf Gefechts-Übungen verschiedener Art. So z. B. Aufmarsch einer ArtillerieAbteilung, in Stellung-gehen der einzelnen Batterien, Anfertigung von Krokis 10 und
Befehlsübermittlung. Nachher wurde allgemein exerciert: Auffahren der Geschütze,
überhaupt alles, was in einer fahrenden Batterie vorkommt. Die Fahrzeuge waren hierbei
durch einzelne Reiter markiert. Das Kommando wechselte nach jeder Übung.
Gestern war exercieren am Richtkreis. Einrichten der Geschütze mit einem und zwei
Richtkreisen.
10
Ein Kroki oder Croqui ist eine Skizze, die nur die zur Orientierung wichtigen Details enthält, ohne
maßstabsgetreu zu sein.
38
Leider konnte ich hier nicht dabei sein; ich bin schon seit vorgestern bei den Geschützen in
Feuerstellung.
Mittwoch, 4. August 1915.
In den letzten Tagen ist jeden morgen Exerzieren oder Reiten abgehalten worden. Entweder
war es exerzieren am Richtkreis, eine Geländeübung oder Reiten in der Bahn. Die Übungen
im Gelände waren immer sehr interessant.
Gestern haben wir nun einen Sportplatz gebaut. Unsere Offiziere haben der Batterie einen
Fußball gestiftet und jetzt soll jeden Tag Fußball gespielt werden. Auf einer großen Weide ist
ein Spielplatz von vorschriftsmäßiger Größe gemäht und abgesteckt worden. Ob genügend
Spieler vorhanden sind, weiß ich augenblicklich noch nicht.
Freitag, 13. August 1915.
Vorgestern hat unsere Batterie eine Kuh bekommen und zwar eine weiße, bayrische. Eine
schöne Eigenschaft hat sie, sie gibt 12 Liter Milch. Die schlechten Angewohnheiten sind aber
um so zahlreicher. Sie will sich nicht melken lassen, schlägt und läuft weg.
Schon gestern morgen hat sie einen Abstecher nach Bouillonville gemacht. Sie graste auf der
großen Weide vor unseren Baracken und trabte plötzlich davon über die nächste Höhe. Sofort
wurde ein Mann zu Fuß und einer zu Pferde auf Kuhfang geschickt. Nach ungefähr einer
Stunde kehrten die beiden Leute mit der eingefangenen Kuh zurück. Anfangs hatten sie
überall vergeblich gesucht, hatten alle ihnen begegnenden Leute und die Posten vor den
Dörfern gefragt; aber niemand hatte die Kuh gesehen.
Dann hatten sie sämtliche Ställe der in der Nähe liegenden Batterien und Kolonnen revidiert,
bis sie die Kuh endlich im Pferdestall einer Maschinengewehr-Kompanie fanden. Die
Infanteristen hatten die Kuh gleich hinter der ersten Höhe aufgegriffen und in ihren
Pferdestall gezogen.
Nachmittags wurde ihr der Kopf ganz kurz an ein Vorderbein gebunden, sodaß sie wohl
fressen aber nur langsam vorwärts kommen konnte. Auch so versuchte sie noch wegzulaufen;
sie hinkte dann auf 3 Beinen vorwärts, sah aber doch bald ein, daß es so recht beschwerlich
wäre.
Jetzt grast sie ganz friedlich mit unseren 3 Schweinen zusammen vor unseren Baracken.
Sonntag, 15. August 1915.
Gestern abend spät bekam ich Befehl, als Gespannführer heute morgen nach Thiaucourt zum
Bahnhof zu fahren und Kies zu holen und zwar mit 4 Wagen. Unsere Munitionskolonne und
wir stellten hierzu je zwei Wagen. Heute morgen 7 Uhr mußten wir uns auf dem Bahnhof
melden. Wir hatten statt unserer 2 Wagen einen großen Kastenwagen mitgenommen, auf den
wir 4 - 5000 Pfund laden konnten.
Bis auf einige Scherereien auf dem Bahnhof Thiaucourt, wir mussten den Waggon erst in das
Ladegleis rangieren lassen, ging alles gut vonstatten. Weil es tüchtig regnete und die
Feldwege sehr glatt waren, fuhren wir die Straße Thiaucourt – Beney – Pannes, obgleich es
ein ziemlich großer Umweg ist. Schon kurz nach elf [Uhr] waren wir im Dorfe Pannes. Hier
aber sollten wir einigen Aufenthalt haben.
Die Straße in Pannes fällt vom Anfang des Dorfes bis zur Schule, ca. 300 m, recht steil ab.
Wir schraubten deshalb die Wagenbremse an und fuhren getrost hinunter. Auf halber Höhe
brach plötzlich die Bremse und der Wagen kam ins Laufen und die 6 Pferde machten Galopp
den Berg hinunter. Es wäre alles gut zu Ende gegangen, wenn nicht die beiden Vorderräder
abgelaufen wären. Durch den sehr hohen Druck, es waren ungefähr 5000 Pfund Steine auf
dem Wagen, und große Geschwindigkeit sprangen die Achsbolzen aus den Achsen und [die]
Räder liefen ab. So auf der Vorderachse liegend, rutschte der Wagen noch 20 m weit.
Nun war guter Rat teuer.
39
Anfangs wollten wir von unserem Lager einen anderen Wagen holen und den Kies umladen.
Hiervon sahen wir aber sofort ab, weil wir dann endlosen Neckereien unserer Kameraden
ausgesetzt gewesen wären. Wir mussten uns also selbst helfen.
Da kam uns ein kleiner Bayer von einer Ballonabteilung zu Hilfe, er lieh uns eine Winde, und
nach kaum einer Viertel-Stunde konnten wir weiterfahren.
Es war eine sehr interessante, lehrreiche Fahrt. Nur schade, dass es gerade Sonntag mittag
war. Die Zivilisten, die Pisangs,11 kamen in ihrem Sonntagsstaat herbeigelaufen und wir
wühlten im Dreck.
Montag, 30. August 1915.
Gestern abend haben wir eine große Nachtübung gemacht.
Die ganze Abteilung, erste und zweite Batterie und die leichte Munitionskolonne, war mit
allen verfügbaren Fahrzeugen zur Stelle.
Wir von der ersten Batterie fuhren mit 4 Munitionswagen und dem Beobachtungswagen von
Pannes über Essey in unsere Feuerstellung. Wir sollten von hier quer durchs Gelände zur
Straße Nonsard – Pannes kommen. Auf diesem Wege aber waren allerlei Hindernisse zu
passieren. Da waren Wasserlöcher, steil abfallende Hügel, alte Infanteriestellungen und
Drahtverhaue. Trotz all dieser Hindernisse erreichten wir die Straße fast ohne jeden
Aufenthalt und wurden dort von dem Abteilungsstab in Empfang genommen.
Nach kurzem Halten fuhren wir dann durch einen großen Weinberg auf ein freies Feld in
Stellung. Der Abteilungsführer, Herr Hauptmann Hammerstein, hielt hier schon und hatte
auch unsere Stellung durch aufgestellte Leute markiert.
Unsere 2. Batterie sowie die L. M. K. (leichte Munitionskolonne) waren ebenfalls mit
mehreren Gespannen gekommen, sodaß diese Nachtübung eine richtige Abteilungs-Übung
wurde.
Nachdem einmal ab- & aufgeprotzt worden war, setzte sich alles wieder in Marsch, Richtung
nach Hause. Gegen 2 Uhr langten wir dort wohlbehalten an.
Mittwoch, den 8. September 1915.
Gestern morgen war für das Feld-Art. Reg. 94 eine Gelände-Übung angesetzt worden. Die
einzelnen Batterien erschienen hierzu mit Munitions- und Beobachtungswagen. Von der
ersten Abteilung waren die 1. und 2. Batterie, von der 2. Abteilung die 4., 5. und 6. Batterie
auf dem Platze. Dazu kam von jeder Abteilung eine leichte Munitionskolonne. Es war also
eine ganz stattliche Anzahl Fahrzeuge zusammen.
Morgens 8½ Uhr begann die Übung, die Batterien mussten in langer Kolonne hintereinander
in einem Waldweg aufgefahren stehen. Zur festgesetzten Zeit kam der Befehl: Die
Abteilungs- & Batterieführer nach vorn kommen mit ihren Trupps. Die einzelnen Batterien
bekamen ihre Stellungen angewiesen und mussten einfahren. Es wurde abgeprotzt und die
Protzen gingen hinter einer Hecke in Deckung. Telefonleitung wurde gelegt, und die
Geschütze mit Richtkreisen eingerichtet. Die Batterien waren „Feuerbereit“. – Jetzt kam: „Die
Herren Offiziere zur Kritik“. Unser Brigadekommandeur Generalmajor von Leppert war
selbst gekommen und jeder bekam was abgerissen. Nicht eine Batterie war fehlerfrei in
Stellung gekommen. Im ganzen sprach der General aber sehr allgemein. Er ging zuletzt auf
Einzelheiten über und machte auf deren Wichtigkeit aufmerksam. Nach ca. ½ Stunde entließ
er die Offiziere wieder.
Plötzlich kam Befehl zum Abrücken und eine weiter östlich liegende Stellung zu beziehen.
Jetzt wurde den Abteilungsführern ganz freie Hand gelassen; sie konnten mit den Batterien
Stellungen beziehen, wo sie wollten, nur musste ein bestimmtes Ziel von dort aus zu
beschiessen sein. Bei dem jetzt folgenden Stellungswechsel entstand in der ersten Abteilung
11
Siehe Fußnote 8.
40
eine ziemliche Verwirrung. Die erste und zweite Batterie verließen die alten Stellungen, ohne
irgendwelche Befehle des Abteilungsführers bekommen zu haben. Sie fanden sich denn auch
nachher ganz verlassen in einer engen Schlucht wieder. Die Hauptleute hatten ihre Batterien
verloren und wußten selber nicht, wo sie die nötigen Befehle erhalten sollten. Um das Maß
voll zu machen, fuhr die erste Batterie noch über eine Höhe, die vom Ziel aus frei zu
übersehen war.
Bei der nachfolgenden Kritik kriegte die erste Abteilung denn auch einen Rüffel nach dem
anderen.
Der Brigade-Kommandeur meinte, bei einem Angriff auf den Feind und solchem Auffahren
der Batterien wäre von der ganzen ersten Abteilung auch nicht ein Mann übrig geblieben.
Dann sagte er ganz ironisch, die Franzosen seien mitunter recht merkwürdige Leute; gerade
bei solchen Gelegenheiten schössen sie sofort.
Die zweite Abteilung schnitt uns gegenüber geradezu glänzend ab. Das Stellungsuchen,
Seitenaufklärung, Auffahren und Schießen (hier nur markiert), alles klappte tadellos.
Gegen 1 Uhr war die Übung beendet und wir fuhren ganz befriedigt nach Hause.
41
[3. Heft]
42
Pannes – Flirey. Freitag, 10. September 1915.
Seit gestern mittag 1 Uhr bin ich als Beobachter im Schützengraben nördlich Flirey. Ich habe
diesen Posten nur vertretungsweise bekommen. Ein Unteroffizier ist nämlich auf Urlaub
gefahren und der zweite hat sich krank gemeldet. Jetzt versehen wir den Posten zu zweien:
Wilh[elm]. Riesebieter aus Blexersande und ich.
Gestern nachmittag war das Feuer der Artillerie ziemlich heftig auf beiden Seiten. Dazu
werden den ganzen Tag Minen hinüber und herüber geworfen. Es ist ein ununterbrochenes
Geschieße. Die Franzosen [melden] schon seit Wochen täglich in ihrem Kriegsbericht:
„Besonders heftige Artillerie-Tätigkeit wird aus der Gegend von Apremont und nördlich
Flirey gemeldet. Wir behielten die Oberhand“.
Auf welche Art die Franzosen ihre Überlegenheit bei diesen Artilleriekämpfen feststellen, ist
mir unerklärlich. Wenn sie die Wirkung ihres Schießens wüßten, würden sie sie wohl kaum
als überlegen bezeichnen können. Selbst hier im Schützengraben, wo bei weitem das meiste
Feuer hinkommt, ist der Erfolg fast immer gleich Null. Es kommen wohl Tage vor, an denen
wir ein, zwei, ja auch drei Mann Verluste an Toten und Verwundeten haben, aber
durchschnittlich sind diese Verluste nicht größer als ein Mann pro Tag in einem Grabenstück,
daß von 600 - 800 Mann besetzt ist.
Sonnabend, 11. September 1915.
Heute morgen war für unsere. Abteilung eine Gelände-Übung angesetzt. Die erste und zweite
Batterie und die L. M. K. [leichte Munitionskolonne], alle nahmen daran Teil [sic!].
Es handelte sich um einen Rückzug auf Richtung Thiaucourt. Der Feind hatte unsere
Stellungen bei Vigneulles-Combres durchbrochen, und wir hatten die Aufgabe, die aus
Richtung Heudicourt-Nonsard anmarschierende fr[anzösische]. Infanterie so lange
aufzuhalten, bis genügend deutsche Verstärkungen heran wären, um den Feind zurück zu
werfen.
Die erste Stellung der Abteilung lag ca. 1200 m südöstlich von Nonsard an einem Bach. Der
Feind konnte von hier aus gut beschossen werden, doch wurde er durch herankommende
Verstärkungen zu überlegen. Wir suchten uns deshalb eine neue, flanki[e]rende Stellung nahe
der Straße Pannes-Beney.
Gegen 10 Uhr wurde die Übung abgebrochen. Wir fuhren dann ganz gemütlich nach Hause.
Augenblicklich sitze ich wieder einmal im Schützengraben auf Beobachtung. – Morgen
mittag 1 Uhr werde ich abgelöst.
43
Montag, 20. September 1915.
[1915-09-20 - Schützengräben-Plan:] Französische Schützengräben westlich von Flirey en
Woëvre. [Siehe auch 1900-00-00 - Skizze, 11. 5. 1915].
In der vergangenen Woche bin ich jeden zweiten Tag als Beobachter im Schützengraben bei
der Infanterie gewesen. Es war immer sehr interessant. Die Franzosen schossen fast
unausgesetzt auf unsere Gräben und die weiter zurückliegenden Stellungen. Jeden Tag ein bis
zweimal nahmen sie die Waldlager und Artillerie-Stellungen unter Feuer. – Gestern morgen
und während der vorhergehenden Nacht beschoßen [sic!] die Franzosen besonders die Gräben
der Abschnitte A 6 und A 5 nördlich von Flirey. Eine Strecke von ca. 300 m ist vollständig
zerstört. Unsere Infanterie ist während des[sen?] in die Stollen und in die zweite Stellung
gegangen. Im vorderen Graben selbst war der Aufenthalt unmöglich. Verluste haben wir,
soviel ich gehört habe, nicht.
Donnerstag, 23. Sept. 1915.
Seit vorgestern abend spiele ich Geschützführer in unserer Batterie. Bis gestern abend war ich
bei der zweiten, jetzt bei der vierten Kanone. Mit solch fixen Leuten, wir ich sie jetzt habe,
macht das Schießen mächtig Spaß. Das Kommando des Batterieführers ist kaum
durchgegeben, so hat der Richtkanonier die Richtmittel schon gestellt und die Kanone
eingerichtet, der Lade-Kanonier hat geladen, und auf das Schuß-Kommando wird sofort
abgefeuert. Das Rohr läuft zurück und wieder vor. Der Verschluß wird aufgerißen [sic!], ein
neues Geschoß kommt ins Rohr und der Verschluß wird wieder vorgeschoben. Inzwischen ist
die Kanone schon neu eingerichtet, und der nächste Schuß kann abgefeuert werden. Es sieht
schön aus, wie exact die alten Landwehrleute arbeiten.
Gestern und heute mittag haben wir uns schöne Diners bereitet. Gekochte Kartoffeln mit
Fleischsauce und gestern dicken Reis, heute Bohnensalat. Es schmeckte tadellos. –
Vorgestern morgen ist Wilh. Riesebieter zu einem Minenwerfer-Kommando gekommen. Es
ist eine Behelfs-Minenwerfer-Abteilung, die eigentlich von der Infanterie zusammengestellt
wird. Ob dies Kommando nun ein dauerndes ist, oder ob es später wieder aufgelöst wird, weiß
ich nicht. Augenblicklich ist Riesebieter im Abschnitt A 2 in der Nähe von St. Baussant.
[Siehe auch 1900-00-00 - Skizze, 11. 5. 1915].
Donnerstag, 30. September 1915.
Heute sitze ich wieder einmal im Schützengraben auf Beobachtung. Gestern nachmittag und
auch heute vormittag ist es sehr ruhig.
44
Gestern abend kam gegen 8 Uhr durch, daß kein Mann mehr auf Urlaub fahren dürfe.
Sämtliche Leute, die jetzt auf Urlaub sind, bekommen sofort Nachricht, ins Feld
zurückzukehren.
Mittwoch, 5. Oktober 1915.
Der Befehl gegen den Urlaub hat doch nicht so hart geklungen, als er im ersten Augenblick
aussah. Die in der Heimat befindlichen Urlauber brauchten nicht zurückzukommen. In den
nächsten Tagen sollen auch schon wieder Leute von hier abfahren.
Während der letzten Woche bin ich jeden dritten Tag im Schützengraben gewesen.
Schlecht war es dort immer mit dem Uebernachten. Unsere alte Deckung ist
zusammengeschossen worden, und da gehen wir jeden Abend ins etwas zurückliegende
Waldlager. Wir suchen uns dann in irgendeinem Unterstand Quartier, wo denn gerade Platz
ist, ziehen wir ein. Hierbei gibt es vielerlei Erlebnisse. – Die letzte Nacht haben wir bei der 3.
Korporalschaft der 12. Komp. 368. gewohnt. Es geht dort sehr lebhaft zu. Abends, sobald es
dunkel ist, kriecht die ganze Gesellschaft in ihre Deckung, ißt erst etwas zu Abend und legt
sich dann hin, die allgemeine Unterhaltung beginnt. Anfangs geht es ganz friedlich zu. Der
eine oder andere erzählt dies oder das. Dann wird mal ein Lied gesungen. Nachher wird es
aber lebhafter. Man singt einen Rundgesang. – Als wir an der Reihe waren und nicht sangen,
bekamen wir natürlich einen Tadel zu hören: „Habt's schlecht gemacht, habt's schlecht
gemacht, drum werd’t ihr jetzt ausgelacht.“
Für die jungen Leute, die ganze Korporalschaft besteht nur aus solchen, ist dies ein guter
Zeitvertreib, die langen Abende gehen hin.
11. Oktober 1915.
Heute sitze ich wieder einmal vorn, und zwar im Waldlager in einem alten, verlassenen
Unterstand. Bei der Infanterie in den Korporalschaftsdeckungen gefiel es uns garnicht mehr.
Jeden Abend mussten wir das Lager nach einem Platz für uns absuchen, und da haben wir uns
nach einem unbenutzten Raum umgesehen und in einer ganz verlassenen Gegend auch eine
alte Deckung gefunden. Die ganze Bude ist 1,50 m breit und 3 m lang. Große Sprünge können
wir also nicht machen. Auf einer Bank kann man nicht einmal gerade sitzen. Die Höhe des
Raumes beträgt nur ca. 1,30 m. Aber es ist doch besser, als jeden Abend hinter der Infanterie
herlaufen zu müssen.
16. November 1915.
Über einen Monat habe ich keinen Eintrag gemacht. Die Zeit verging rasend schnell.
Das Wetter ließ, besonders in letzter Zeit, recht zu wünschen übrig. Es regnete täglich, an
einigen Tagen schneite es sogar. Heute, Großherzogs Geburtstag, ist es dagegen sehr schön.
Die Sonne scheint den ganzen Tag, kein Windchen rührt sich, es ist wirklich schön.
Seit vier Tagen bauen wir vorn im Schützengraben bei der Infanterie einen Unterstand für uns
Beobachter. Unser Hauptmann und besonders unser Wachtmeister konnten sich anfangs
garnicht dazu verstehen, einige Leute zum arbeiten zu kommandieren. Auf unser Drängen hin
werden aber jetzt doch täglich 2 Mann zum arbeiten geschickt.
Sonntag, 28. November 1915.
Am vorigen Sonntag bin ich morgens 8 Uhr von Thiaucourt nach Beverloo abgefahren. Vom
Regiment 94 waren wir mit zweien zu dem Kursus kommandiert. Wir fuhren über Metz –
Luxemburg nach Brüssel, wo wir abends gegen 8 Uhr eintrafen. In der belgischen Hauptstadt
herrschte mächtiger Verkehr. Man merkte kaum etwas vom Krieg. Das deutsche Militär, man
traf auf den Straßen verhältnismäßig wenig, ging wegen der Gefahr eines Überfalles dauernd
mit geladenen Gewehren herum. Die Straßenbahn, Droschken alles ist noch vollständig in
Betrieb. Wir sahen uns das Brüsseler Leben bei Abend an und machten einen kleinen Bummel
45
durch verschiedene Lokale. Am nächsten Morgen war auf allen größeren Plätzen Markt. Alles
war schön übersichtlich und geordnet angelegt. Auf einem Platz war Gemüse-Markt, auf dem
anderen Fleischmarkt, auf einem dritten Wildpretmarkt und so fort. Butter, Käse und Eier,
Wurst und Schinken, alles war zu kaufen. Dabei war alles sehr preiswert. Butter kostete z. Bs.
2 fr 20 c = M 1.80, wo sie in Deutschland doch M 2.30 - 2.50 kostet.
Nachmittags gegen 2 Uhr fuhren wir dann weiter nach Löwen und blieben dort bis gegen 6
Uhr.
Die in der Nähe des Bahnhofs gelegenen Stadtteile sind arg beschädigt. Aber weiter unten in
der Nähe des Rathauses ist alles unbeschädigt. Die Arbeiterviertel sind z. Zt. ganz von der
Beschießung verschont geblieben.
Abends, kurz nach 8 Uhr trafen wir in Beverloo ein. Wir wurden von einem Leutnant in
Empfang genommen und ins Lager geführt. Hier wurden wir, es waren mittlerweile wohl 200
[Leute] geworden, die am Kursus teilnehmen wollten, in Inspectionen eingeteilt.
29. November 1915.
In die zweite Inspection, in der ich bin, kamen die Leute der Armeeabteilungen Strantz und
Gaede. Einquartiert wurde diese Inspection in die Baracke 125. Ich wohne auf der Stube 5.
Am nächsten Morgen, also Dienstag morgen trat die Inspection um 8 Uhr an. Es waren 72
junge Leute, meist Vice-Wachtmeister und Unteroffiziere. Gefreite waren nur ca. 10 dabei.
Im Laufe der Woche sind noch 12 von uns anderen Inspectionen zugeteilt worden, sodaß wir
jetzt noch 60 sind. Unser Inspectionsführer, Herr Oberleutnant von Baumbach, teilte uns
zunächst die hiesigen Dienstvorschriften mit. Dann diktierte er folgende Zeiteinteilung:
Montag:
Dienstag:
Mittwoch:
Donnerstag:
Freitag:
Sonnabend:
8 - 9.30
10 - 11.30
2- 3
3.00 - 4.30
8 - 8.45
9 - 10
10.30 - 11.30
2- 3
3.30 - 5
8 - 8.45
9 - 10
10.30 - 11.30
nachmittag
8 - 9.30
10 - 11.30
2- 3
3.30 - 5
8- 9
10 - 11.30
2- 5
8 - 11
Gefechtsmäßiges Geschützexerzieren
Geräteunterricht
Schießunterricht
Regl. Geschützexerzieren
Exerzieren zu Fuß
Schießunterricht
Regl. Geschützexerzieren
Geräteunterricht
Taktische Besprechung
Exerzieren zu Fuß
Geräteunterricht
Schießunterricht
Schulschießen der 5 Abteilungen
Schießunterricht
Gefechtsmäßiges Exerzieren
Regl. Geschützexerzieren
San. bzw. Vet. Unterricht
Geschützexerzieren
Erdarbeiten
Rahmenübung und taktische Besprechung
Bespanntes Exerzieren und gefechtsm. Geschützexerzieren
Den theoretischen Unterricht haben wir bei Herrn Major von Both, früher bei Feld-Art. Reg.
20. Das Geschützexerzieren und den Geräteunterricht leitet ein Hauptmann Wolff vom 9.
Bay. Feld. Unser Inspectionsführer ist Herr Oberleutnant von Baumbach, ein früherer
Dragoner.
46
2. Dezember 1915.
In der ersten Woche meines Hierseins ist im Dienst alles wiederholt worden, was wir schon
früher im Unterricht in der Garnison erfahren haben. Am Freitag war Schulschießen mit
Feldhaubitzen. Für Sonntag hatte ich keinen Urlaub eingereicht, ich machte deshalb größere
Spaziergänge mit einigen Kameraden in die Umgebung des Ortes Bourg Leopold und auf den
Exerzierplatz.
Der Exerzierplatz ist eine große Heide- und Sandfläche, über 100 qkm. Im Frieden sind hier
große Manöver der belgischen Armee abgehalten worden. Zwei große Barackenlager sind für
die Unterbringung der Soldaten erbaut worden. Zeitweise sollen [sich] hier 300000 Mann
aufgehalten haben. Bei Besetzung dieses Gebietes durch die Deutschen haben hier fast keine
Kämpfe stattgefunden. Die Regimenter waren alle zur Verstärkung nach Lüttich geschickt
worden und die zurückgebliebenen Wachen versuchten, die Barackenlager in Brand zu
stecken. Gelungen ist ihnen dies nur bei ungefähr ½ Dtz. [Dutzend] Pferdeställen. Sonst ist
alles unbeschädigt.
Jetzt befinden sich hier alles in allem wohl 15000 Mann. Artillerie ungefähr 500 Mann, einige
Kavalleristen, sonst alles Infanterie.
Sonnabend, 4. Dezember 1915.
In der vergangenen Woche war der Unterricht, theoretischer sowie praktischer, sehr viel
interessanter als in der 1. Woche. Die Vortragsthemen waren besonders „Schießen gegen alle
möglichen Ziele in Bewegung“. Der Major ging auf viele Möglichkeiten ein.
Am Mittwoch fand ein Scharfschießen mit Kanonen statt. Ich spielte dabei Richtkanonier an
der 3. Kanone. Im ganzen sind dabei ca. 70 Schuß abgegeben worden.
Seit vorgestern ist das Wetter furchtbar schlecht. Es regnet fortgesetzt. Gestern nachmittag
war eine Rahmenübung, eine Übung, bei der eine ganze Abteilung: also 3 Batterien, im
Gelände gefechtsmäßig exerziert. Die Gespanne sind dabei durch Reiter markiert. Als
Gefechts-ort war das Dorf Kerkhoven bestimmt. – Wir fuhren den 6 km weiten Weg mit
großen, von der Batterie gestellten Planwagen. Unterwegs fing es schon mächtig an zu
regnen, und es regnete während der ganzen Dauer der Übung. Auf dem Heimwege hatte der
Wagen, auf dem ich mich befand, noch besonderes Pech. Die Vorderpferde rissen nämlich die
Vorderbracke los und [wir] mußten mit nur 2 Pferden ganz nach Hause fahren. Wir kamen
etwa 1 Stunde später in Bourg-Leopold an als die übrigen Wagen.
Für heute morgen war wieder eine große Geländeübung angesetzt. Sie mußte aber wegen zu
starkem Regen ausfallen. Dafür hielt unser Major einen Vortrag [über] taktische Sachen.
47
[1915-12-04 - Lageskizze].
48
Donnerstag, 9. Dezember 1915.
Letzten Sonntag war ich Unteroffizier vom Dienst. Ich mußte die Befehle für die Inspection
empfangen und sie bei den Offizieren rumtragen. Abends 6 Uhr ist dann Postempfang. Für
unsere Inspection war besonders viel da. Man hatte ordentlich zu schleppen.
Heute nachmittag hatten wir wieder einmal Schulschießen, und zwar mit Feldhaubitzen. Unter
anderem wurde ein Schützengraben im Bogenschuss beschossen. Leider war es ziemlich
neblig und man konnte den Graben schlecht beobachten, die Entfernung war 2800 m.
Angenommen war, daß auf der Rückseite des Grabens Unterstände eingebaut seien, die wir
zerstören sollten. Es wurde deshalb mit Granatenaufschlag und Verzögerung geschossen. Die
Wirkung war eine großartige. Es wurden bei jedem Schuß mächtige Erdmassen
hochgeworfen.
Dienstag, 14. Dezember 1915.
Für gestern und heute war eine große Besichtigung angesetzt. Der General der Artillerie von
Kehrer, dem die Kurse in Jüterbog und Beverloo unterstellt sind, wollte sich von unserem
Können überzeugen. Zu unserer großen Freude wurde jedoch im letzten Augenblick bekannt,
daß die Besichtigung auf Januar 1916 verschoben sei. Das angesetzte Schießen wurde aber
doch abgehalten. In unserer Inspection hatten wir 64 Schuß für eine Kanonenbatterie. Mitten
im Schießen wurde das Wetter aber plötzlich so schlecht, daß wir zu schießen aufhören
mußten. Es entstand ein solches Schneetreiben, daß man kaum 20 m weit sehen konnte. Nach
einiger Zeit, der Major wollte gerade mit der Batterie nach Hause fahren, kam der General
Heyxter, der den hiesigen Kursus kommandiert, und sagte ganz trocken: sie können ja mal
noch ne halbe Stunde warten, dann wird es wohl heller werden. Dabei waren wir schon
vollständig durchgefroren.
Es wurde dann auch wirklich besser und wir konnten das Schießen zu Ende führen.
Für heute abend hat unsere Inspection eine Abschiedsfeier angesetzt. Morgen gehen nämlich
die am Kursus teilnehmenden Leutnants von hier weg. Hoffentlich gelingt die Feier.
Mittwoch, 15. Dezember 1915.
Die Feier gestern abend war großartig. Alles war da. Major, Hauptmann und Oberleutnant.
Auch sämtliche Offiziere, die der Inspection zugeteilt sind, waren gekommen.
Um 7 Uhr begann das Essen. Hieran anschließend war dann der Commers, der den Character
einer Weihnachtsfeier trug. Es stand ein schöner Baum im Saal, auf das prächtigste
geschmückt. Als Einleitung wurde das Lied „O Tannenbaum“ gesungen. Dann hielt der Major
eine Ansprache. Er sagte, daß diese Feier wohl für viele von uns, so auch für ihn, das
Weihnachtsfest sein würde, da man im Felde doch kaum Gelegenheit habe, eine derartige
Feier zu veranstalten. Dann sprach er von unserem Kursus hier in Beverloo und ging zur FeldArtillerie über. Jetzt im Stellungskriege spielten wir eine recht klägliche Rolle, eine
minderwertige, kleinkalibrige Fußartillerie. Im Bewegungskriege seien wir jedoch die
Artillerie, eine leicht bewegliche, plötzlich auftretende Waffe, durch die die Entscheidung im
Kampfe herbeigeführt wird. Er hoffe deshalb, der Stellungskrieg möge zu Ende gehen und der
Bewegungskrieg dann bald eine endgültige Entscheidung in diesem großen Völkerringen
herbeiführen.
Nach einiger Zeit erschien auch der Weihnachtsmann und überreichte den Offizieren und
einigen Kursusteilnehmern kleine, mit Sprüchen und Versen versehene Paketchen. Der Major
bekam eine rote Brille, damit ihm beim Zeugnisschreiben alles im rosigsten Licht erschiene.
Der Oberleutnant, der viel und gern schläft, erhielt ein kleines Bett, das er immer mit sich
umhertragen und jeden Augenblick benutzen kann.
Anschließend war großer Commers. Um Mitternacht ungefähr endigte die Feier mit
allgemeinem Angeheitertsein.
49
[Einschub:] Mitbewohner der Stube 5/125.
Vice-W[achtmeister]. W. Fuchs
Vice-W[achtmeister] H. Hagemann
Vice-W[achtmeister] O. Meyen
Unteroff[i]z[iere] Radisch
G. v. Harsdorf
I. Werle
H. Demant
Fr. Otten
W. Bodenheimer
Fahnenjunker R. Jäger
5. Batt. 6. Bay. Feld. 5. Bay. Div. 3. Bay. A. K.
6. Batt. FAR 95. 10. Ers. D.
5. Batt. FAR 20. 10. Inf. Div. 5. A. K.
2. Batterie. 7. Garde FAR 8. Garde. Ers. Division
3. A. K. Zug 46. 8. Bay. Feld. 6. Bay. Div. 3.
Bay. A. K.
3. Batt. 8. Bay. Res. Feld. 8. Bay. Res. Division
FAR 92. 10. Ers. Division.
8. Landw. Feld A. Res. 6. Batt. 3. Abt. 8. Landw.
Division
1. Batt. Res. FAR 20. 12. Landw. Div.
5. Batt. 10. Bay. Feld. 5. Bay. Division. 3. B.
A.K.
50
[Einschub Liedtext mit anderer Handschrift:]
Lt. [Leutnant] Menzel
Weise: Wohlauf die Luft geht frisch u. rein.
1) Wohlauf laßt uns ein Abschiedslied
vom Schießplatz heute singen.
Ein jeder bald von dannen zieht
Eh Weihnachtsglocken klingen.
Der eine eilt ins Vaterland
Zu Haus ins Heimatstädtchen.
Der andre denkt im Unterstand
/: daheim ans liebe Mädchen /:
Valleri Vallera
2) 4 Wochen Beverloo vereint
hier viele Artillristen.
Gar mancher gut zu schießen meint,
doch muß er neu sich rüsten.
Der Fähnrich und der Leutenant,
die wirkten hier zusammen.
Und mancher Kameradschaftsbund
/: wird von dem Schießplatz stammen /:
3) Früh Morgens, wenn es duster noch
Beim schwachen Glanz der Sterne
Reckt jeder sich im Bette hoch
Man schläft noch so gerne.
Aber [?] durch die frische Morgenluft
Bei Schnee und auch bei Regen
Da wittert jeder Kaffeeduft
/: Eilt freudig ihm entgegen /:
4) Bespanntes Exerzieren heut
Und morgen Kasernenübung
Der Richtkreis interessanter heut
Mit seiner Seitenschiebung.
1 hoch, 1 tief, und 40 mehr
Man schießt so gerne Gruppen.
Als Batterie- Staffel- Zugführer
/: Muß auf das Pferd man huppen /:
5) Und ist man mal nicht eingeteilt
K 1 bis 5 gleich andern
das Schicksal einen doch ereilt
Man muß zu Fuße wandern.
Durch Dünensand u. tiefen Dreck
Da tröstet die Libelle.
Denn ach der große Schießplatzbiwak [?]
/: Ist selten nur zur Stelle /:
6) Von einer hohen Excellenz
51
Sollt es Besichtigung geben.
Das war die höchste der Potenz
In unserm Schießplatzleben.
Er kam nicht u. der böse Feind
Im Schneesturm an den Dünen
Mit A u. Bz.12 man vereint
/: Beschoß mit frohen Mienen /:
7) Drum Artill’risten, Gläser hoch
Ihr Bayern, Preußen, Schwaben
Viel Feind, viel Ehr, wir siegen doch
Wenn wir die Gabel13 haben.
Nun kehrt zurück, vergesset nie
Was man Euch hier gegeben
Die Schießkunst unsrer Artillerie
/: die „Barbara“ soll leben /:
Valleri Vallera
Beverloo am 14. Dec. 15
Sonnabend, 1. Januar 1916.
Am 21.Dezember war in Beverloo Abreisetag. Am Sonntag, den 19. Dez., war ich mit
mehreren Kameraden nach Antwerpen, um die Stadt zu sehen. Wir trafen sehr schönes Wetter
[an] und haben wohl alle Sehenswürdigkeiten der Stadt in Augenschein genommen.
Für Montag war noch vollständiger Dienst angesetzt und wurde auch abgehalten.
Dienstag morgen bekamen wir dann unsere Fahrscheine und fuhren um 10 Uhr morgens von
B[everloo]. ab. Ich bin dann bis zum nächsten Abend in Brüssel geblieben, um noch schnell
einige Stunden Stadtluft zu atmen.
Am Donnerstag, den 23., traf ich nachmittags in der Batterie ein.
Unterwegs, kurz vor der Endstation, verpasste ich den Personenzug und musste deshalb mit
einem Güterzug fahren. Auf der Station, wo ich aussteigen wollte, hielt er leider nicht und ich
mußte während der Fahrt abspringen. Es ging auch tadellos, ohne irgendeinen Unfall.
Weihnachtsabend habe ich in der Feuerstellung verlebt. Ein kleiner Baum, Punsch und allerlei
Kuchenzeug war da. Es war ein ganz schöner Abend.
Gestern war Silvester; wir haben uns wieder einen Punsch gebraut. Kurz vor 12 Uhr kam der
Befehl, von 12 - 1 [Uhr] feuerbereit zu sein. Geschossen worden ist aber garnicht. Auch heute
ist es verhältnismäßig ruhig. Nur in der Gegend von Combres ist einige Tätigkeit.
16. Januar 1916.
Gestern ist durch Regimentsbefehl herausgekommen, daß ich zum Vice-Wachtmeister
befördert bin.
12
13
Vgl. zur Erklärung die Einträge vom 7.4.1915, 29.9.1916 und 8.4.1917.
Vgl. zur Erklärung vor allem den Eintrag vom 28.6.1917.
52
Mittwoch, 19. Jan. 16. Metz, Festungslazarett Storchen.
Seit gestern nachmittag bin ich hier im Lazarett und fühle mich abgesehen von meiner
Krankheit wohl.
Die Fahrt mit dem Lazarettzuge nach hier war recht beschwerlich. – Schon am 17. morgens
bin ich mit dem Postwagen der Abteilung von unserem Lager abgefahren und zur
Krankensammelstelle Bouillonville gegangen. Von dort wurde ich nachmittags weiter nach
Jaulny geschickt. Den Weg bis Thiaucourt musste ich zu Fuß zurücklegen und erreichte dort
noch eben den Personenzug. In Jaulny blieb ich dann wieder auf einer Krankensammelstelle,
bis am nächsten morgen endlich der Lazarettzug kam. Um 7 Uhr begann dann eine lange
Fahrt nach Metz. Auf allen größeren und kleineren Stationen waren mehr oder weniger
Verwundete und Kranke, und alle mussten diesen Zug benutzen. Gegen 3 Uhr nachmittags
erreichten wir Metz. In den Krankenhallen wurde noch Mittagessen verteilt, und dann wies
man uns den verschiedenen Lazaretten zu. Ich kam in den Storchen und bin ganz damit
zufrieden. Die Verpflegung ist gut und reichlich.
3. Februar 1916. Metz Storchen.
Bis heute bin ich hier im Lazarett und von meiner Krankheit halb geheilt. Leider ist das
Lazarett überfüllt und soll von sämtlichen Kranken, die noch über 10 Tage Behandlung nötig
haben, geräumt werden. Wohin wir kommen, weiß noch niemand.
Gestern war Onkel August14 bei mir. Er sieht ziemlich gealtert aus. Als ich ihn kommen sah,
erschrak ich ordentlich. Hier in Metz gefällt es ihm garnicht. Er klagt über den Drill.
Harry Helmers, vom Fuß. Art.-Reg.18 hat mich auch vor einigen Tagen besucht.
Wahrscheinlich kommt er in nächster Zeit ins Feld. Für eine neue Batterie eingeteilt ist er
schon.
Stuttgart, 5. Febr. 1916. Res. Laz[arett]. 1.
Gestern abend bin ich hier mit einem Transport von 96 Mann angekommen.
Die Bahnfahrt nach hier war sehr langwierig. Es ging über Straßburg – Karlsruhe –
Ludwigsburg nach Stuttgart. Auf kleineren Stationen blieben wir oft stundenlang halten. In
Zuffenhausen, kurz vor Stuttgart, lagen wir über 3 Stunden vor der Station mitten in der Stadt.
Die Bevölkerung kam sofort in großer Zahl zu uns an den Lazarettzug und schleppte alle
möglichen und unmöglichen Sachen an. Es wurde Wein, Most, Obst und allerlei Eßwaren
gebracht und zwar in solchen Mengen, daß der Arzt des Zuges es bald verbot.
Kurz nach mittag kamen wir dann in Stuttgart an und wurden zum Reserve-Lazarett 1 geführt.
Auf dem Bahnhof wurden wir von einem San.-Feldwebel mit seiner Frau in Empfang
genommen, die sich durch die ganze Stadt neben ihrem Herrn Gemahl vorn an der Tête
unserer Kolonne hielt.
Das Lazarett ist eine große Anstalt, die auch im Frieden besteht. Es herrscht hier richtiger
Drill, wie in Friedenszeiten in den Kasernen. Die Einrichtung ist aber sehr gut. Die Baracken,
in die wir gekommen sind, sind vollständig neu. In jedem Zimmer liegen 20 Mann. Leider
sind sämtliche Unteroffiziere mit den Mannschaften in diesen Stuben zusammen. In Metz
lagen die Vice-Feldwebel und Wachtm[eister] in einem getrennten Zimmer und wurden, wohl
wegen der kleinen
14
Wahrscheinlich Paul Friedrich August Bulling, geb. am 20.7.1844, ein Bruder des Vaters von Otto Borggräfes
Mutter (siehe Fußnote 1).
53
Anzahl, auch besser verpflegt. Hier habe ich den Posten eines Stubenältesten bekommen. Bis
soweit bin ich mit allen Leuten gut ausgekommen. Hoffentlich passen die 20 Mann meiner
Stube einigermaßen zueinander.
Metz, Donnerstag, 23. März 1916.
Heute bin ich endlich aus dem Lazarett in Stuttgart entlassen worden. Ohne einige
„Schiebungen“ ist es allerdings nicht gegangen. Ob dadurch irgendwelche Folgen für mich
entstehen, muß ich abwarten.
Seit Freitag voriger Woche wohnte ich in einem Nebengebäude des Bezirkskommandos. Ich
mußte umquartieren, weil die Baracke, in der ich lag, geräumt und für Infektionskranke, ich
glaube Typhus, eingerichtet werden sollte.
Im Bezirkskommando war die Verpflegung besser als im Res. Laz. 1, der große, schöne
Garten fehlte dort allerdings ganz. Es war nur ein kleiner Hof vorhanden, der sehr an einen
Gefängnishof erinnerte.
Nachdem ich mich mehrere Male dem Arzt zur Entlassung vorgestellt hatte, wurde ich
gestern endlich gesund geschrieben. Heute morgen 11 Uhr wurden mir dann meine Papiere,
Soldbuch, Fahrschein usw. ausgehändigt und ich konnte gehen wohin ich wollte.
Zunächst machte ich einen Spaziergang über die umliegenden Berge von Stuttgart. Die
Aussicht auf die Stadt ist großartig. Da liegt der Königsbau, das alte und das neue Schloß, die
großen Infanteriekasernen, die verschiedenen Bahnhöfe und die königlichen Anlagen. Man
sieht, wie die das Neckartal ganz ausfüllende Stadt sich weiter vergrößern möchte, die
umliegenden Berge aber doch nicht richtig zu erklimmen vermag.
Nach einem guten Mittagessen „im Sünder“ machte ich einen Rundgang durch die Stadt und
knüpfte im „Friedrichsbau“ ein patriotisches Gespräch mit einem echt württembergischen
Patrizier an, dessen Sohn Hauptmann in einem Stuttgarter Regiment war. Leider verstrich die
Zeit viel zu schnell. Um 4.43 Uhr musste ich die Stadt, das ganze schöne Schwabeländle
verlassen.
Jetzt, es ist 1 Uhr morgens, sitze ich auf dem Metzer Bahnhof und erwarte den Zug, der mich
nach Thiaucourt bringen soll.
Donnerstag, 8. Juni 1916.
Jetzt endlich komme ich wieder dazu, einen Eintrag zu machen.
Damals, am 23. März 1916, bin ich zur Batterie gegangen. Sie lag immer noch auf derselben
Stelle im Madine [?] lager. Den Hauptmann, der gerade in der Ruhestellung war, habe ich
nicht besucht; er hatte gerade einen schlechten Tag. Die Mannschaften waren noch dieselben
wie zu meiner Zeit auch. Die Gefechtstätigkeit war an dem Tage gerade ziemlich rege. Bis
gegen abend bin ich dort in der Batterie geblieben und um 10 Uhr mit einem Güterzug von St.
Benoit abgefahren. Nach langer Irrfahrt erreichte ich endlich gegen morgen Metz. Hier hatte
ich wieder einige Stunden Aufenthalt. Dann aber begann eine schöne Heimfahrt über
Bingerbrück – Cöln [sic!] – Münster nach Oldenburg. Eigentlich hätte ich über Frankfurt a/M
fahren sollen, erreichte aber jetzt die Anschlüße dort nicht mehr. Die Fahrt von Bingen an das
schöne Rheintal abwärts war großartig.
Um 11 Uhr abends erreichte ich Oldenburg. Im Hause war schon alles zu Bett.
Am folgenden Montag meldete ich mich bei der 3. Ers. Batterie II. Ers. Abt. Ostfr[iesisches].
Feld Art. Reg. 62 und wurde dort sofort als felddienstfähiger Vice-Wachtmeister eingekleidet
und zwar in blaue Uniform. Seit der Zeit mache ich nun täglich Dienst als Zugführer in der
Exerzierbatterie.
Morgens 7 Uhr rückt die Batterie von der Kaserne, Ofenerstraße, ab und kommt um ca. 11
Uhr zurück. Mittags ist Appell und nachmittags noch einiger Dienst. Man hat es aber
verhältnismäßig gut. Ich wohne ganz zu Hause.
Was nun aus mir wird, wo ich bleibe, davon weiß ich nichts.
54
Augenblicklich werden hier 3 Batterien aufgestellt, es soll eine ganze Abteilung mit leichter
Munitionskolonne und allem Zubehör werden. Ich bin für die 6. Batterie (nähere Bezeichnung
fehlt noch) bestimmt. Meine genauere Bestimmung weiß ich auch noch nicht. Morgen ist
große Einteilung und da wird sich wohl alles offenbaren.
Sonntag, den 12. Juli 1916.
In den letzten vier Wochen haben wir hier in Oldenburg tüchtig exerziert. Die damalige
Aufstellung, es ist eine Abteilung, ist noch hier. Zwei Batterien liegen in den Kasernen IV
und VII. Die 6. B[a]tt[e]r[ie]., zu der ich gehöre, ist in der Piano-Fabrik von Hegeler und
Ehlers untergebracht. Unsere Pferde stehen teils in der Reitbahn an der Brüderstraße und teils
im „Neuen Hause“ am Pferdemarkt. Batterieführer ist Hauptmann Peters, im Zivilleben
Oberlehrer.
Die zugehörige „leichte Munitions Kolonne“ liegt in Donnerschwee in den Stallungen der
Maschinengewehrkompanie. Die ganze Abteilung ist mit russischen Geschützen und
Fahrzeugen ausgerüstet.
Anfang voriger Woche war in Sage bei A[h]lhorn großes Schulschießen. Die ganze Abteilung
rückte schon Montag mittag von hier ab. Das Wetter war sehr schön. Der Marsch bis Sage,
ungefähr 26 km, dauerte bis 4½ Uhr nachmittags. Wir wurden in den benachbarten Dörfern
dann einquartiert. Die 6.Batterie kam nach Haast. Ich wurde bei einem großen Bauern,
Herm[ann] Eilers, einquartiert.
Am Dienstag morgen 9 Uhr begann dann das Schießen. Die 6. Batterie war zuletzt an der
Reihe. Die uns zugewiesenen Ziele waren: 1. Masch[inen]-Gewehre, Entf[ernung]. ca. 2400
m, 2. Artillerie-Zug, 2 Geschütze und 2 Munitionswagen, Entf. ca. 3900 m, 3. Schützen auf
ca. 900 m Entfernung.
Die russ. Geschütze mit ihrem heftigen Rückschlag waren verhältnismäßig schlecht zu
bedienen. Nach je 4 bis 5 Schuß musste der Lafettenschwanz ausgegraben werden, so tief
hatte er sich eingegraben. Zum Teil war dies „Sicheingraben“ wohl auch auf den sehr
weichen, sandigen Boden zurückzuführen. Die Wirkung im Ziel war aber eine gute. Fast
sämtliche Teile der sehr ausgedehnten Ziele waren mehr oder weniger beschädigt. Ein
Munitionswagen des Artillerie[-]Zuges war vollständig verschwunden.
Nachmittags um 1 Uhr fuhren wir dann wieder von Sage ab nach Oldenburg zurück. –
Gestern vormittag hielt Seine Exellenz [sic!] der Gen[eral]. der Infanterie von Linde-Suden
hier eine Besichtigung ab. Vorgestern hatte er die Infanterie angesehen und gestern waren wir
an der Reihe.
Um 9 Uhr gestern vormittag ging die Sache auf der Alexander-Heide vor sich und dauerte bis
2 Uhr nachmittags. Zunächst sah er sich die einzelnen Batterien genau an. Er revidierte die
Geschirre, sah auf Putz, ging überhaupt bis ins kleinste. Nachher wurden Fahrübungen
gemacht, ein großer Vorbeimarsch im Trabe und dann das „Instellunggehen“ der Abteilung
vorgeführt.
Morgen soll nun noch ein großer Zeugappell abgehalten werden.
55
Sonntag, den 16. Juli 1916.
Seit vorigen Montag beschäftige ich mich in meiner freien Zeit mit Photographieren. Ich habe
von einem Oberpost-Sekretär Bornholt einen Apparat 9 x 12 gekauft und bin jetzt dabei, mich
in die Kunst des Typens einzuweihen. Das Wetter war in dieser Woche aber so schlecht, daß
ich fast keine Aufnahmen machen konnte. Bis jetzt habe ich erst eine eine gute TageslichtKopie fertig bekommen. Hoffentlich wird es diese Woche etwas besser.
Der Dienst in der 6. K. S. Bttr. war in der letzten Zeit ziemlich reichlich. Jeden Tag war
Ausrücken und zwar meist nach der Alexanderheide. Am vergangenen Freitag fand ein großer
Übungsritt nach Huntlosen statt. Treffpunkt nach der Schlacht war die EisenbahnerErholungsstätte in den Neu-Osenbergen. Dort wurde eine gemütliche Tasse Kaffee getrunken
und dann ging’s nach Oldenburg zurück.
Freitag, den 4. August 1916.
Die letzten 2 Wochen sind ziemlich abwechslungsreich vergangen. – Zunächst hatte ich
Urlaub und zwar vom 24. - 30. Juli. Eigentlich noch 3 Tage länger, aber mit Rücksicht auf
den Wachtm. Esdohr bin ich schon am 31. [Juli] wieder zum Dienst gegangen. Meinen Urlaub
habe ich meist in Oldenburg verlebt. Einige Tage war ich in Berne und Nordenham.
In der 6. K. S. Bttr. hat sich während der Zeit ziemlich viel verändert. Zunächst ist ein neuer
Batterieführer aufgetaucht. Herr Hauptm. Peters kam ins Feld und dafür hat Leutnant
Schmedes die Bttr. bekommen. Die Bezeichnung der Bttr. ist auch eine andere geworden.
Früher nannten wir uns Feld.-Art.-Reg. Hannover, jetzt Feld. Art. R. 406, II. Abtlg. 6. Bttr.
Die I. Abteilung liegt irgendwo in Belgien in der Nähe von Ostende als Küstenschutz. Wir
sind also jetzt ein vollständiges Regiment zu 6 Batterien.
Der Dienst hier bei uns ist noch ungefähr derselbe wie unter Hptm. Peters, aber interessanter,
da der jetzige Bttr. Führer mehr Praxis hat.
31. August 1916.
In der hiesigen II. Abteilung F. A. R. 406 sind in den letzten Tagen große Veränderungen
erfolgt.
Unser beliebte[r] Batterieführer, Ltn. Schmedes, ist nach Osnabrück zu einer Neuformation
gekommen. Zwei Vice-Wachtmeister, Ridder & Köhler, sowie ein Ltn. Sprickmann,
Kerkering, sind ebenfalls nach dort versetzt worden. – Zu meinem großen Bedauern ließ man
mich als jüngstem ViceWachtm. hier in Oldenburg. – An Mannschaften ist nicht viel
fortgekommen.
Der Dienst in diesem ganzen Monat war sehr leicht. Wegen Erkrankung fast sämtlicher
Pferde unserer 6. Bttr. war nur vormittags einige Stunden Exerzieren und nachmittags
Unterricht & Vorträge. Alles in sehr beschränktem Maße. Gestern und heute nachmittag war
Revolverschießen auf dem Scheibenstand in Bürgerfelde. Die Resultate waren im
Durchschnitt gut.
Ab gestern führt Ltn. Trapp die 6. Bttr. Vor erst 4 Monaten ist er zum Leutnant befördert
worden und hat jetzt, da kein älterer felddienstfähiger Offizier zur Verfügung ist, die Führung
der Batterie bekommen.
Sonntag, 17. September 1916.
Die Führung der 6. Bttr. ist in der Zwischenzeit schon wieder einmal in andere Hände
übergegangen. Ltn. Trapp ist nach Osnabrück zu einer Neu-Aufstellung gekommen und Herr
Oberleutnant Mahnkopf, früher 7. Bttr. Res. F. A. R. 20, ist Batterieführer geworden.
Seit gestern nachmittag bin ich hier in Osnabrück und zwar als Offiziersaspirant /
Offiziersstellvertreter für eine Kanonenbatterie bestimmt.
Am 9. IX. 1916 bekam ich schon Nachricht, daß ich mich für einen derartigen Posten bereit
machen solle. Zunächst war ich nur dafür vorgeschlagen, bin aber jetzt als Aspirant hier. Im
56
Laufe der Woche habe ich mich nun ausgerüstet mit allen Sachen, die ich auf meinem neuen
Posten nötig habe und brauchen kann. Einen Sattel konnte [ich] zufällig gut & billig
bekommen und zwar von einem Sattlerwaren engros Händler, Justin Hüppe, Bahnhofstr. 2,
für 70, – [Mark]. Sonst besteht meine Ausrüstung aus einem Koffer und einem Zeugsack.
Vorgestern nachmittag bekamen wir nun Bescheid, daß der Transport für die Neuformationen
gestern, also Sonnabend, früh 8.20 vom Bahnhof abgehen sollte. Um 7.00 Uhr wurde bei der
Kaserne angetreten. Es waren im ganzen 71 Mannschaften und 97 Pferde.
Transportführer wurde ich als Rangältester.
Kurz nach 7.00 marschierten wir von der Kaserne ab. Die Musikkapelle an der Spitze.
Es war für Oldenburger Verhältnisse noch recht früh, die Civileinwohner waren in nur sehr
geringer Zahl zu sehen. Auf dem Bahnhof wurden dann zunächst die Pferde verladen, und
kurz nach ½9 Uhr fuhr der Zug ab. Herr Hptm. Wittjen, Hullmann, sowie viele andere
Offiziere waren zum Abschied am Bahnhof. Bei der Abfahrt spielte die Kapelle: „Nun ade du
mein lieb Heimatland“.
Um 8.35 Uhr verließen wir den Oldenburger Bahnhof und fuhren über Osternburg – Ahlhorn
– Quakenbrück – Bramsche – Osnabrück.
In Quakenbrück habe ich die Pferde tränken lassen und selbst zu mittag gegessen. Wir, 3
Unteroffz. und ich, hatten das Essen von Cloppenburg aus bestellt und konnten es deshalb
ermöglichen, während dem kurzen Aufenthalt, es waren nur 27 Minuten, zu dinieren. Das
Essen war sehr gut, reichlich und billig. Leider war, wie schon gesagt, die Zeit in
Quakenbrück sehr knapp. Der Zug hielt weit draußen auf dem Güterbahnhof. Schon der Weg
zum Bahnhof & zum Zug zurück nahm über 10 Min. weg. Als wir nach dem Essen zum Zug
zurückkamen, pfiff die Lokomotive schon, wohl nur damit wir uns in Trapp [sic!] setzen
sollten. Der Zug fuhr dann aber auch sofort ab.
Um 3 Uhr ca. kamen wir in Osnabrück an, wurden über 1 Stunde rangiert und konnten dann
Gepäck & Pferde ausladen.
Bis kurz nach 6 Uhr haben wir dann bei der Artl. Kaserne auf dem Hof gestanden. Die Pferde
und Mannschaften wurden sofort eingeteilt und einquartiert.
Montag, 18. September 1916.
Heute vormittag sitze ich in meiner Wohnung, Natruperstr.115/II. [bei] Frau Flume, und
warte auf Dienst.
Gestern & auch heute ist kaum irgend etwas zu tun. Das Geschütz und Wagenmaterial ist
noch nicht angekommen. Die ganzen Mannschaften liegen in den Quartieren und haben keine
Beschäftigung. Hoffentlich trifft alles bald ein, damit wir fertig werden und nicht im letzten
Augenblick alles überstürzt zusammen geworfen wird.
Das Wetter ist heute schlecht; es regnet schon seit dem frühen Morgen. Gestern war es
dagegen sehr gut. Wir, 2 Unteroffiziere und ich, haben einen Bummel durch die Stadt
gemacht und dabei verschiedene gute Lokale aufgetan.
Die 2 Unteroffiziere sind
Ernst Kuschnitzky, Volkswirtschaftler aus Gleiwitz in Schlesien
Adolf Savelsberg, Eisenhüttenfach[mann] aus Papenburg.
Beides sind sehr nette junge Leute, sie gehören rein industriellen Familien an. Schon auf der
Reise von Oldenburg nach hier erschienen sie mir sehr sympathisch. Hier in Osnabrück habe
ich dann mit ihnen zusammen eine Wohnung bezogen. Es sind 2 Schlafzimmer und ein
Wohnzimmer. Die beiden Unteroffiziere bewohnen die kleinere Kammer und ich die andere
allein. Das Wohnzimmer ist gemeinschaftlich.
Für die Zeit hier in Osnabrück wollen wir uns das Abendbrot gemeinsam halten. Savelsberg
liefert die Eier, ich Butter, Kartoffeln, und Kuschnitzky sonstige Sachen wie Käse und
Delikatessen.
57
Sonnabend, 23. September 1916.
Die vergangene Woche hat sehr viel Arbeit gebracht.
Montag und Dienstag war kaum irgendetwas zu tun. Mittwoch kamen dann die Geschütze
und das ganze noch fehlende Material. Von Morgens bis Abends wurde dann verpackt,
Geschirre verpasst und dergl. mehr.
Seit gestern machen wir Fahrübungen mit der ganzen Batterie. Gestern, das erste Mal, war es
mit einigen Hindernissen verknüpft. Einige Fahrzeuge kamen nach dem Halten nicht wieder
in Gang, und nur mit vieler Mühe konnten die Geschütze wieder auf die Straße gebracht
werden.
Heute ging alles aber schon bedeutend besser. Fast ohne irgendwelche Stockung gingen die
Fahrübungen von statten.
Das Geschützexerzieren geht auch bedeutend besser als eigentlich nach zweistündiger Übung
zu erwaten wäre.
Die Kanonen sind eine Zusammensetzung von Haubitze und Kanone. Die Unterlafette ist von
der Haubitze 98/09 und das Rohr ein verlängertes Kanonenrohr 96 nkt.[?] Der
Trommelaufsatz reicht bis 8200 m. Gradeinteilung ist ebenfalls vorhanden. Die Bezeichnung
dieses neuen Geschützes ist K. i. H. L. 35. (Kanone in Haubitz Lafette 35). Bis jetzt ist alles
streng geheim. Es soll in einiger Zeit auch noch neue Munition geben, und zwar
Sprenggranaten mit sehr brisanter Ladung. Ueber dies neue Geschoß ist aber noch nichts
genaues bekannt. –
Unser Pferdematerial ist ziemlich gut. Anfangs schien es, als ob viele Pferde schwereren
Schlages schlaff seien und die Strapazen nicht aushalten würden. Nach den Fahrübungen der
letzten Tage kamen sie mir aber doch ganz gut vor. Die Zukunft wird aber ja lehren, was mit
ihnen los ist.
Mein eigenes Reitpferd ist ein Fuchswallach, ca. 14 Jahre alt. Ob ich ihn dauernd behalte,
weiß ich noch nicht. Er ist etwas träge. Hoffentlich wird das bei der jetzigen guten Pflege
besser, sonst müsste ich ihn wieder ins Gespann stecken. Er ist aber das ausgesprochene
Reitpferd, da wäre es eigentlich schade drum.
Freitag, 29. Sept. 1916. 10.30 vorm.
Seit gestern abend 9 Uhr sind wir, 2. Bttr. I. Abt. F. A. R. 277 auf der Bahn und zwar
augenblicklich, es ist 10.30 vorm., in Biederitz bei Magdeburg.
Vorgestern nachmittag marschierten wir zum Schießen nach Engter und kamen in Bramsche
in Quartier. Ich wurde eine Stunde vor Bramsche voraus geschickt, um die Quartiere
einzuteilen.
Es war gerade keine schöne Arbeit. Pferde & Mannschaften waren nämlich in getrennten
Quartieren unterzubringen. Geklappt hat’s aber doch.
Mein Quartier war besonders gut. Ich wohnte bei einer Ww. Haller, Bramsche, Breuelstr.
Abends wurde ich zum Essen eingeladen und am nächsten Morgen gab meine Wirtin mir ein
ganzes Paket fertige Butterbrote, belegt mit Schinken und Wurst, mit auf den Weg.
Gestern morgen 7 Uhr fuhren wir dann nach Engter um zu schießen.
Die uns angegebenen Ziele waren 2 Batterien auf 1600 und 2400 m und einige Schützenlinien
auf 800 und 1200 m Entfernung. Als dritter kam ich zum Schießen und zwar [war] mein Ziel
die Schützenlinie auf 1200 m. – Im ganzen hatten wir 100 Schuß zu verfeuern.
Die Resultate waren im Durchschnitt schlecht. Bei meinem Schießen (es war Bz) ließ ich
mich durch einige Schüße [sic!] täuschen. Ich glaubte Bz zu erkennen, obwohl es Az waren,
was aus den späteren Schüssen hervorging. Infolgedessen bekam ich eine um 100 m zu weite
Gabelentfernung.
Nachmittag[s] marschierten wir dann nach Osnabrück und wurden am Hasetor von der 78.
Musikkapelle abgeholt. Um ca. 7 Uhr waren wir auf dem Güterbahnhof und ca. 1 Stunde
später schon vollständig verladen.
58
5.20 nachm.
Von Magdeburg aus sind wir folgende Strecke gefahren: Magdeburg – Biederitz – Zerbst –
Wittenberg – Annaburg – Falkenberg und waren gerade eben in Dobrilugk [wahrscheinlich
Doberlug bei Finsterwalde]. Es ist die zweite Verpflegungsstation heute. Das Essen ist wieder
sehr gut. Leider fehlt ein Glas Bier. Die Einrichtung zur Abfütterung von Mannshaften ist hier
ungeheuer. Es können sicher 1000 Mann zugleich essen. Es sind große Holzbaracken
angelegt, die den Verhältnissen entsprechend mit allem Nötigen versehen sind. Für den
Winter sind große Öfen eingebaut. Die Kücheneinrichtung besteht aus 8 oder 10 großen
Töpfen. Essen kann also in genügender Menge hergestellt werden.
30. IX. 1916. Kalmierczyce [wohl Skalmierzyce, deutsch: Skalmierschütz].
10 Uhr vorm. – Heute morgen 2 Uhr waren wir in Lissa i / Posen; wir hatten dort 2 Stunden
Aufenthalt. Es ging dann weiter nach Ostrowo und [wir] waren um 8 Uhr dort. Hier in
Kalmierczyce hält unser Zug eine halbe Stunde. Für unsere Pferde bekommen wir Heu.
Das Wetter war bis gestern sehr gut. Heute regnet es schon seit 2 Uhr früh. Hoffentlich wird
es im Laufe des Tages wieder gut.
1. Oktober 1916.
1 Uhr morgens.
Vor ca. 2 Stunden kamen wir durch Warschau. Von der Stadt selbst war leider nichts zu
sehen. Wir wurden um die Stadt herum rangiert und liegen jetzt auf einem kleinen Bahnhof an
der Strecke Warschau – Brest[-]Litowsk.
Seit unserer Abfahrt von Osnabrück wird es von Tag zu Tag kälter. Es ist ein bedeutender
Unterschied zwischen dem maritimen und dem continentalen Klima zu bemerken. Hier bei
Warschau ist die Temperatur schon beinahe bis zum Gefrierpunkt gesunken.
Heute nachmittag habe ich mich über die russischen Kinder gewundert, wie sie gegen die
Kälte abgehärtet sind. Bei dem schneidenden feuchten Wetter liefen sie ohne Strümpfe und
Schuhe herum durch Wasserlachen und Gräben, ohne es scheinbar zu empfinden.
59
Wojmica, 2. Okt. 1916.
Seit heute morgen 61/2 Uhr sind wir hier und biwakieren auf einer großen Weide.
Gestern morgen waren wir in Brest-Litowsk und fuhren weiter nach Kowel [Kovel]. Anfangs
sollten wir hier ausgeladen werden, kamen dann aber weiter nach Wladimir Wolinsky
[Vladimir-Volynskij]. Um ca. 9 Uhr abends kamen wir dort an, luden aus und bekamen
plötzlich den Befehl, uns in Wojmica sobald wie möglich zu melden. Wir hatten nun einen
Marsch von 27 km zu machen. Dabei waren die Pferde von den 4 Tagen Bahnfahrt ganz steif
und lahm geworden. Wir spannten an, verpackten unser Gepäck, so gut es eben ging, und
marschierten um 11 Uhr ab.
Schon am Ende des Dorfes Wladimir Wolinsky hatten wir einen Zwischenfall. Unser
Batterieführer, Herr Oberltn. Siehr, stürzte mit seinem Pferd in der Dunkelheit und fiel so
unglücklich auf seinen rechten Arm, daß er ihn jetzt in keiner Weise gebrauchen kann.
Hoffentlich bessert sich der Schaden bald wieder, er scheint nämlich ein sehr guter
Batterieführer zu sein.
Der Marsch ging sonst gut von statten, nach ein, zwei Stunden hatten sich die Pferde wieder
an den Zug gewöhnt und gingen ruhig vorwärts.
Gegen morgen wurde es sehr kalt. Fahren oder reiten war garnicht auszuhalten. Anfangs
saßen nur die Kanoniere ab; gegen vier, fünf Uhr ging aber alles zu Fuß. Es fror mindestens 6
- 7 °.
Hier in Wojmica füttern wir zunächst auf der Straße und gingen dann in Biwak.
Jetzt um 3¼ Uhr nachm. kommt gerade Befehl zum Satteln.
3. Oktober 1916. Dienstag
Seit gestern abend sind wir in einem Walde zwischen Wojmica und Antonowka [10 km östl.
Wojmica] in Biwak. – Anfangs hatten wir Befehl, schon gestern abend in Stellung zu gehen,
im letzten Augenblick wurde er aber widerrufen, weil erst festgestellt werden sollte, wo von
Seiten der Russen ein Angriff am meisten zu erwarten ist. – Ungefähr gegen 9 Uhr gestern
abend hatten wir das Biwak fertig, die Pferde waren gefüttert, die Zelte aufgeschlagen und die
Leute saßen am lustig prasselnden Biwakfeuer. – Neben uns lag ein Bataillon Infanterie, auch
in Biwak, und sang alte deutsche Weisen. Es war ganz erhebend hier im Steppenbusch der
Rokitno-Sümpfe [zum Pripjet abfallende Ebene].
Gegen morgen wurde es mächtig kalt. Es fror mindestens 5 - 6 °. Man hat sich aber schon
ziemlich an diese Kälte gewöhnt.
5. Oktober 1916.
Seit gestern, oder vielmehr schon seit vorgestern abend ist unsere Batterie in Stellung.
Vorgestern, nachm. 4 Uhr, bekamen wir Befehl, uns marschbereit zu machen. Nach ungefähr
½ Std. marschierten wir ab, kamen durch mehrere Sümpfe und kleinere Wälder und erreichten
gegen 8 Uhr unsere jetzige Stellung.
60
[1916-10-05 Lageskizze ].
10. Oktober 1916.
Am 4. Oktober wechselten wir nochmal[s] die Stellung. Als wir am 3. [Oktober] abends die
Stellung bezogen hatten, waren wir zu nahe an einen Morast geraten und zogen am nächsten
Tag weiter an den Hauptfahrweg auf einen höher liegenden Platz. Innerhalb 3 Tagen war
diese neue Stellung schon vollständig ausgebaut. Jetzt sind wir noch mit dem Ausbau der
Unterstände beschäftigt. Für jedes Geschütz wird einer gebaut. Fertig ist noch keiner. Wir
hoffen aber spätestens morgen damit fertig zu werden.
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[1916-10-10 Lageskizze:] 1. Biwak vom 2-3 Okt.
Am 5. [Oktober] bekamen wir einen Batterie-Führer, Hauptmann Wokulat [?], der schon
gestern wieder zu seiner Truppe zurückgerufen wurde. – Gestern nachmittag kam dann ein
Leutnant Kraus von der 5. Batterie 277 zu uns und stellte sich uns als Batterieführer vor. Er
scheint ein etwas nervöser Herr zu sein, ähnlich dem Oberleutnant Wulff der 1./94.
Hoffentlich kommt Herr Oberleutnant Siehr bald zu uns zurück. Der ewige Wechsel ist
nämlich nicht gerade angenehm. Vorgestern war ich mit unserem Leutnant Knutzen
zusammen zur Batterie 4./46, die einige 100 m nördlich der Straße Wojmica – Luzk [Lutsk]
steht, um eine Beobachtungsstelle nahe der Gruppe Fissa, der wir unterstehen, auszusuchen.
Schon auf dem Wege dorthin fingen die Russen mächtig zu schießen an, mit Gasgranaten und
Granaten schweren Kalibers. Um schnell durchzukommen, setzten wir uns in Trapp [sic!],
gingen dann wieder langsam, um den vielen Gaswolken auszuweichen und erreichten unser
Ziel, die B. Stelle 4./46., verhältnissmäßig [sic!] schnell; es war ungefähr 3 Uhr nachmittags.
Kurz nachher, es mochte wohl ½ 4 Uhr sein, fing der Russe mächtig zu schießen an. Gegen 4
Uhr trommelte er dann die Gräben 10 Minuten lang, verlegte das Feuer nach rückwärts auf
die Artilleriestellungen und machte einen Angriff auf die Stellungen des Inf. Reg. 79 und
wurde abgewiesen.
Die Wirkung des Artilleriefeuers auf die rückwärtigen Stellungen im Walde war furchtbar.
Schuss auf Schuss schlug bei uns ein, große Bäume wurden umgeworfen, Baumkronen
sausten auf die Erde. Es war ein furchtbares Getöse ohne Unterbrechung. Dazwischen kamen
Gasgranaten und hüllten die ganze Umgegend in dichten, weißen Dampf. Glücklicherweise
waren wir auf den Gaskampf gut vorbereitet. Jeder hatte seine Gasmaske fertig zum Gebrauch
umgehängt und brauchte, wenn das Gas kam, nur umgehängt werden. – Von den schweren
62
Granaten traf keine einen der in der Nähe liegenden Unterstände, sonst hätten wir sicher viele
Verluste gehabt. Die Deckungen sind nämlich keineswegs bombensicher.
Von gestern morgen bis heute war ich in den Stellungen vorn bei der Infanterie als Aufklärer,
wie die Österreicher sich nennen, und hatte das Schießen unserer Batterie zu beobachten. Die
Gefechtstätigkeit war während der Zeit sehr gering.
Sonntag, 15. Oktober 1916.
In den letzten Tagen hat sich in unserer Batterie ziemlich vieles verändert. – Wir haben eine
Beobachtungsstelle von einer Batterie „Schröder“, einer österreichischen Batterie,
übernommen und zwar in der Nähe des Hauses von Sydowka [Zydowka]. Unsere
vorgeschobene B.stelle im Graben bei der 4. Comp. 346 haben wir dafür aufgegeben.
Von vorgestern bis gestern abend war ich wieder einmal im Graben, als die Russen einen
Angriff machten. Schon seit morgens 8 Uhr schossen sie unausgesetzt mit schweren und
leichten Geschossen auf unsere Gräben, besonders auf die Verbindungsgräben, die in die
weiter rückwärts liegenden Mulden führen. Nach Mittag war die Stellung in einem ganz
furchtbaren Zustand. Der große, schöne Verkehrsgraben der 2. Linien und sämtliche
Laufgräben waren fast vollständig eingeebnet. Gegen 3 Uhr erfolgte etwas links von uns dann
ein russischer Angriff.
Nach kurzen, vereinzelten Erfolgen wurden die Russen wieder einmal glänzend abgeschmiert.
– Gegen Abend kamen Mannschaften von unserer Batterie zu mir und meldeten, daß die
Graben-B.stelle aufgehoben sei. Wir fingen nun sofort an, den Draht aufzurollen. –
Heute bin ich in Cholopiece [Chołopieczy] beim Ortskommandanten im Quartier und pflege
der Ruhe.
Vormittag[s] war ich einige Stunden in der Batterie, die gerade etwas beschossen wurde. Es
waren meist sehr hoch liegende Schrapnells, von denen die Schrapnellkugeln über die Batterie
hinausflogen. Heute nachmittag wird etwas links und rechts des Dorfes geschossen. Bei uns in
der Batterie und hier im Dorfe ist noch kein Schaden angerichtet worden.
Montag, 16. Oktober 1916.
Heute morgen sind wir beim Einrichten unseres neuen Quartiers angefangen. Es ist ein Haus
am Nordwest-Ende des Dorfes Cholopisze, in ziemlich schlechtem Zustand; es kann aber
noch hergestellt werden. Mit 3 Leuten haben wir es ausgeräumt, den Boden abgefegt und die
Decke von Kalk gereinigt. Nachmittags sind sämtliche Spalten und Fugen verschmiert
worden und morgen muß alles geweißt werden.
Den ganzen Tag über haben die Russen sich wie toll gebärdet. Schon heute morgen früh
begann die Kanonade. Das Dorf, die Batterie und die ganze Gegend wurde[n] mächtig
befeuert. Hier im Dorf ist ausser einem Eßtopf nichts beschädigt worden. Morgens 7 Uhr
gingen unsere Feldküchenpferde durch, brachen die Deichsel ab, beruhigten sich dann aber
wieder. Eine Infanterie-Feldküche kam nachmittags ohne Fahrer mit zerschossenem
Schornstein ins Dorf gerast. Sie war auf der Straße beschossen worden und die Begleitleute
waren in Unterstände geflüchtet, als sie die Pferde nicht mehr halten konnten.
Die Gefechtstätigkeit war den ganzen Tag und ist auch noch, abends 9 Uhr noch sehr lebhaft.
Die Russen haben mehrere größere und kleinere Angriffe gemacht, und zwar besonders beim
10. A. K. Ob die Panjes15 dabei irgendwelche Erfolge erzielt haben, konnte ich noch nicht in
Erfahrung bringen. Auf vielen Stellen, auf allen Stellen, wo sie meines Wissens angegriffen
haben, wurden sie abgeschmiert. Beim I. R. 79, I. R. 346, und den 19. Jägern, erfolgten
größere Angriffe.
Heute abend erfuhr ich zufällig, daß ich für einen österreichischen Verdienstorden oder etwas
ähnliches eingereicht worden bin. Ob und wann ich die Sache bekomme, weiß ich noch nicht.
15
Panje = polnischer oder russischer Bauer; veraltete, nur noch scherzhaft oder ironisch gebrauchte, von pan
(Herr) abgeleitete Anredeform.
63
Als Grund ist ein Ritt in den Wald von Zydowka am 8. Okt. angegeben worden, wo wir für
die Batterie eine Beobachtungsstelle ausgesucht haben. – Hoffentlich bekomme ich die
Auszeichnung; es ist doch sehr nett, wenn man nächstens auf Urlaub so irgend etwas
aufzuweisen hat.
64
[4. Heft]
[1916-10-17-Photo 1:]: „Cholopiecze“ Das Quartier wird eingerichtet; [Rückseite:]
Cholopicze 17. Okt. 1916 Offizier Quartier.
Dienstag, 17. Oktober 1916.
Heute den ganzen Tag habe ich die Arbeiten an unserem neuen Quartier geleitet. – Wir haben
die Stube geweißt, den Fußboden geebnet und in der Küche einen Herd gebaut. – Morgen
wollen wir den Bau soweit bringen, daß wir einziehen können. Leider fehlen uns noch
Fensterscheiben, ein Artikel, der mächtig gesucht wird, aber kaum zu haben ist.
Die Angriffe der Russen von gestern haben sich heute nicht wiederholt. Das Wetter war auch
sehr dunkel und trübe. Nachmittags hat sich unsere Batterie auf eine russische Batterie
eingeschossen. Die Entfernung war über 7200 m.
Freitag, 20. Oktober 1916.
Gestern sind wir nun endlich in unser neues Heim eingezogen. Es ist ganz nett geworden.
Eine große Lehmdiele mit einem großen Kachelofen, er ist allerdings aus Lehm, ist die
Wohnung, Wohnzimmer und Schlafraum zugleich. In der Mitte des Wohnzimmers steht ein
großer Tisch; die Stühle fehlen noch, sie sollen aber heute, spätestens morgen kommen.
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[1916-10-17-Photo 2:] „Komaron“ III/346. [Rückseite:] 23. X. 16. Komaram III / I. R. 346.
Straße Luck – Wojmica.
Sonntag, 22. Oktober 1916.
Seit gestern mittag bin ich auf dem III. Bataillon Inf. Reg. 346 als Verbindungsoffizier.
Meine Tätigkeit ist augenblicklich, d. i. an ruhigen Tagen, sehr gering. Während eines
Gefechtes habe ich dafür aber so viel mehr zu tun. Da muß ich für richtiges Schießen
sämtlicher Batterien, die in unserem Abschnitt stehen, sorgen. Vornehmlich muss das Feuer
vor stark unter Angriffen leidenden Feldwachen und sonstigen Stellungen gelegt werden, um
ein Vordringen feindlicher Kräfte zu erschweren, wenn nicht ganz zu verhindern.
In meiner Eigenschaft als Telefon-Offizier der I. Abteilung F.A.R. 277 bin ich heute morgen
mit dem Ausheben eines Kabelgrabens angefangen. Alle wichtigen Telefonleitungen sollen
durch ein unterirdisches Panzerkabel ersetzt werden. Bisher kam es häufig vor, daß gerade in
einem Gefecht die Telefonverbindung vieler Batterien und Gefechtsstände unterbrochen
wurde, sei es durch feindliche Geschosse direkt, sei es [durch] umherfliegende Zweige und
Äste. Ein Reparieren ist während des Feuers ziemlich unmöglich. Das ganze Schiessen der
Artillerie leidet dadurch ungeheuer. Ein gutes Zusammenwirken mit der Infanterie ist
geradezu ausgeschlossen. Ein ganzer Angriff kann infolgedessen zusammenbrechen.
Durch das Auslegen der Panzerkabel, die möglichst tief und sicher eingegraben werden
sollen, wird eine Störung hoffentlich hinreichend ausgeschaltet. Ein gutes Zusammenwirken
sämtlicher Truppenteile ist doch die erste Vorbedingung für das gute Gelingen eines
Angriffes. –
Augenblicklich, es ist gerade 12 Uhr mittags, beschießt der Russe die von den
Vor[der]stellungen nach rückwärts führenden Laufgräben und die Fahrwege, um die
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Gulaschkanonen und Essenholer, die die Lebensmittel in die Schwarmlinien schaffen,
aufzuhalten und möglichst zu treffen.
[1916-10-17-Photo 3].
Montag, 23. Oktober 1916.
12 Uhr mittags
Vor einer Stunde tauchte hier der Befehl auf, daß wir, die 2. Batterie, Stellungswechsel
vornehmen soll. – Bis jetzt ist noch kein endgültiger Befehl zum Aufbruch da, man tastet
immer so im Dunkeln. Hoffentlich erfahren wir bald genaueres.
Die Sachen jedes einzelnen Mannes sind natürlich schon eingepackt. Alles ist auf dem
Sprung. Ich selbst sitze noch bei der Infanterie auf dem III. Batt. 346 und muss, wenn es
losgeht, erst noch zur Feuerstellung gehen.
Heute morgen habe ich den Unterstand hier draußen noch photographiert. Die Beleuchtung
war ganz gut. Hoffentlich ist das Bild geworden.
67
[1916-10-23-Photo 1:] Miroslawow 24. X. 16. 17. Husaren Quartier.
[1916-10-23-Photo 2, Rückseite:] Miroslawow 24. X. 16. Quartier.
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[1916-10-24-Photo 1, Rückseite:] Miroslawow.
Dienstag, 24. Oktober 1916. Nach recht anstrengendem Nachtmarsch erreichten wir heute
morgen 6 Uhr das Dorf Miroslawow.
Gestern nachmittag 6½ Uhr kam der Befehl, daß die 2. Batterie Stellungswechsel vornehmen
sollte. Wohin wir kommen sollten, wußte noch niemand, nur die Marschrichtung war bekannt.
Um 10½ Uhr fuhr die Batterie dann los. Von Cholopicze ging der Weg über Rudnia nach
Ozdzintycze. Hier bekamen [wir] sofort Befehl, weiter nach Miroslawow zu fahren. So sitzen
wir nun hier und sind ganz gut untergebracht. Die Pferde stehen in Heu- & Strohscheunen und
haben viel Rauhfutter zu fressen, was sie so lang entbehrt haben. Morgen früh 7 Uhr wollen
wir weitermarschieren.
Bemerkenswert ist noch einiges von dem Marsch durch die Wälder und Sümpfe während der
Nacht. Es ging sehr langsam vorwärts. Alle paar Minuten wurde gehalten, [das] ein[e] oder
das andere Fahrzeug war liegen geblieben und musste durch die Kanoniere vorwärts gebracht
werden. Zu guter Letzt brach der Tag aber an, und erleichterte das Vorwärtskommen. Um 6
Uhr erreichten wir dann das Dorf Miroslawow.
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[1916-10-24 Lageskizze].
Mittwoch, 25. Oktober 1916.
Vorm. 6½ Uhr.
Nach gut verbrachter Nacht sitze ich allein noch in unserem Quartier bei den 17. Husaren 5.
Eskadr. und warte auf unsere Burschen. Unser Quartier, es war eine große Stube, 8 x 6 m,
muss nämlich unbedingt gereinigt werden.
Gestern abend habe ich einige Blitzlichtaufnahmen gemacht. Die eine ist sicher ver[p]fuscht.
Ich selbst kam nicht schnell genug auf meinen Platz, nachdem ich die Blitzpatrone entzündet
hatte. Hoffentlich ist die zweite geworden.
70
[1916-10-25 Lageskizze].
Mittwoch, 25. Oktober 1916.
Heute morgen ½8 Uhr sind wir von Miroslawow abmarschiert und um 1½ Uhr in Nyry
angekommen. Die Route war Myroslawow – Popidewka – Makowicze – Dazwa – Nyry. Der
Weg war meist für hiesige Verhältnisse ganz gut, streckenweise mussten sich die Pferde aber
doch mächtig in[s] Zeug legen.
Von Makowicze aus wurde ich als Quartiermacher vorgeschickt. Mit 5 Leuten der Batterie
erreichte ich schon um 11 Uhr das Dorf Nyry und suchte anfangs stundenlang vergeblich
irgendwelchen Unterschlupf für die Batterie, 100 Pferde und 102 [?] Mann mit 5 Offizieren
zu bekommen. Der Ortskommandant, ein Oberleutnant, lehnte es anfangs rundweg ab, uns
unterzubringen. Als ich dann aber die 121. Inf. Division appel[l]ierte, ließen sich dann aber
doch Räume finden. Zwei große Scheunen und ein paar Wagenschober wurden ausgeräumt,
sodaß die Pferde untergebracht werden konnten.
Augenblicklich sitze ich im Schloss von Nyry im Offizierskasino. Es ist ganz nett
eingerichtet. Das Eß- und Lesezimmer ist ein großer schöner Raum mit beinahe allem
Comfort eingerichtet. Man kommt durch einen großen Park auf eine Ter[r]asse. Das
Lesezimmer schließt sich an diese Ter[r]asse an. Die Möbel sind aus gebeizter Eiche. Es
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macht einen ganz feudalen Eindruck. Bewohnt wird das Schloß von 2 Töchtern der
Gutsherrschaft und den Offizieren der 6. Luftschiffer-Abteilg.
[1916-10-24-Photo 1, Rückseite:] Miroslawow 24. X. 16. Feldküche gibt Essen aus.
Donnerstag, 26. Oktober 1916.
Heute morgen ist unsere Batterie in Stellung gefahren.
Um 7 Uhr früh verließen wir das Dorf Nyry und ließen die Batterie vor dem Walde halten, um
die Stellung zunächst genau zu erkunden. – Hierzu war uns ein Ordonanzoffizier einer
hiesigen Abteilung zur Verfügung gestellt worden, der allerdings sehr wenig Bescheid wusste.
Nach einigem vergeblichen Suchen fanden wir die Stellung dann aber doch und brachten die
Batterie bis 11 Uhr vorm. hinein. Und zwar unter der Leitung unseres Feldw. Leutnants
Jungfer. Wir übrigen waren inzwischen nach vorn in die Grabenstellungen gegangen, um uns
über dortige Verhältnisse aufzuklären und eine Beob.Stelle einzurichten. Hier fanden wir uns
bedeutend schneller als im Walde zurecht. Um 11 Uhr waren wir schon mit allem fertig und
ritten zur Batterie zurück. Gegen abend wurde dann noch die Fernsprechleitung nach vorn
zum Teil gelegt. Morgen früh muss sie fertig gestellt werden, so daß die Batterie spätestens
morgen mittag mit dem Einschießen anfangen kann.
Heute abend bin ich wieder in Nyry. Unsere Protzen sollen für die Zeit unseres Hierseins in
diesem Dorf in Quartier bleiben. Unser Offz.Quartier haben wir deshalb auch beibehalten. Bis
zur Feuerstellung ist es leider recht weit.
72
Freitag, 27. Oktober [1916].
Heute war ich wieder mal den ganzen Tag im Graben.
Nachmittags hat die Batterie sich eingeschossen auf die Höhe 192. Anfangs waren die
Schüsse weit links. Nachher klappte die Sache aber tadellos. Wir hatten sofort einige Schüsse
in den russischen Graben, sodaß unsere Infanterie vor Freude aufjauchzte.
[1916-10-29 - Torfstich].
Auf dem Wege nach Hause heute abend konnte ich feststellen, mit welch scharfem Instinkt
ein Pferd ausgerüstet ist. Von unserer Feuerstellung bis nach Nyry, eine Strecke von über 3
km, hat mein Pferd den Weg allein gefunden. Es war derartig dunkel, daß man zeitweise auch
nicht 5 m weit sehen konnte. Das Pferd, mein Fuchs, fand den Weg nun ganz allein. Ich habe
ihm ganz freien Willen gelassen. Es suchte immer die festen Stellen auf dem Wege aus,
umging sämtliche Gräben, Pfützen und sonstige Hindernisse, verfolgte aber sonst genau den
Weg, den ich gestern geritten bin.
73
[1916-10-29 Lageskizze].
74
[1916-10-28 Lageskizze:] 121. I. D. Skizze der Höhe 192. 28. X. 16. Durch den Sturm vom 1.
XI. 16 gewonnene russ. Stellungen.
Montag, 30. Oktober 1916.
Vorgestern, gestern und heute war das Wetter recht schlecht, es regnet fast unausgesetzt. Die
Wege werden kolossal morastig. Es ist nur gut, dass wir gestern umgezogen sind nach
Karolinka. Die stundenlangen Ritte morgens und abends nach Nyry fallen dadurch weg. Die
Pferde gingen auch ganz kaputt.
In der neuen Wohnung in Karolinka sieht es ganz behaglich aus. Es ist ein Pavillon, ein
russischer Getreidespeicher, aus dicken Bohlen. Die Innenmaße [sind] ungefähr 5 x 5 m. Das
Fenster fehlte, wir haben aber sofort eins eingesetzt. Jetzt ist es ganz wohnlich. In der Mitte
75
des Raumes steht ein kleiner Kanonenofen. Ein Tisch, zwei Bänke und die Bettenanlage
bilden die Einrichtung.
Die Batterie hat sich gestern und heute auf eine ganze Reihe Ziele eingeschossen. Gestern
ging es ganz gut. Heute war es aber schlecht. Wahrscheinlich kam es von dem schlechten,
windigen Wetter. Die Kanoniere arbeiten schon ganz gut, daran kann es kaum gelegen haben.
Ein Schuß ging nämlich hierhin, der andere dorthin. Es waren Unterschiede von 400 m bei
gleicher Erhöhung und Seite da. Unser Batterieführer wollte dabei rasend werden. Dann
kamen noch Telefonleitungsstörungen dazu und die Wut steigerte sich. Er wollte die
Mannschaften sämtlich einsperren und ans Wagenrad binden. Glücklicherweise ging es den
anderen Batterien beim Schießen nicht besser. Die Schuld mußte dem Wetter zugeschoben
werden.
[Photo 1916-10-30: Otto Borggräfe zu Pferde].
Dienstag, 31. Oktober 1916.
Heute war ich wieder einmal Graben, um das letzte Einschießen der Batterie vorzunehmen. Es
klappte tadellos. 2 Einzelschüße [sic!] und 1 Gruppe zu 4 Schüssen brachte[n] ein schönes
Bild; alles lag richtig in den russischen Stellungen.
Die schweren und leichten Minenwerfer schossen sich nachmittag[s] ebenfalls ein. [Es] war
schon ein mächtiges Feuer. Von der Batterie fragte unser Batterieführer an, ob vielleicht ein
Wirkungsschiessen im Gange wäre, unsere schöne Wohnung soll nämlich mächtig gewackelt
haben.
Morgen früh soll der allgemeine Angriff auf die Höhe 192 vor sich gehen. Ich muß als
Hilfsbeobachter mit der Infanterie vorgehen, um sofort auf die rückwärtigen russischen
Stellungen zu schießen. Es wird sicher ganz interessant werden. Alles nähere nachher.
76
[1916-11-02 – Zeitungsausschnitt 1:] „Bericht der Obersten Heeresleitung, den 2. November
1916“; [1916-11-02 – Zeitungsausschnitt 2:] und „Oesterreichisch-ungarischer Kriegsbericht.
Wien, 2. November“.
Donnerstag, 2. November 1916.
Gestern war der große Angriffstag auf Höhe 192. Morgens 8 Uhr ging die Kanonade los und
dauerte bis mittags 1.15, als der Angriff einsetzte. – Das Wirkungsschießen war in 6
Zeitabschnitte eingeteilt. Jeder Zeitabschnitt endete mit einem 10 Minuten langen
77
Trommelfeuer. Die ganze Höhe war in eine Wolke eingehüllt. Im ersten Zeitabschnitt wurde
von der Artillerie die 6. russ. Linie beschossen; im zweiten die 5. Linie und so fort bis zur
ersten Linie. Während der gesamten Zeit beschossen die Minenwerfer aller Größen die
Drahtverhaue und vordersten Gräben. Beim Einsetzen des Sturmes war ein Zerschneiden der
Drahtverhaue durch Infanteristen und Pioniere garnicht mehr nötig.
Um 1.15 Uhr ging der Sturm vor sich. Die Infanterie ging in 3 Wellen vor. Die erste lief
sofort, als das Artilleriefeuer feindwärts verlegt wurde, vor; kurz darauf dann die 2. & 3.
Welle.
Ich musste als Artilleriebeobachter mit vor und zwar gleich hinter der ersten Welle. Mit mir
gingen vor ein Unteroffizier und zwei Fernsprecher. Der Unteroffizier war stud. jur. Grude
bei uns „Richtkreis I.“. Als Fernsprecher Gefr. Ehlers und Kan[onier]. Arens.
Sehr kurz nach Einsetzen des Sturmes waren wir vorn auf der Höhe 192 und standen in
telefonische[r] Verbindung mit der Batterie. Bei einem Gegenangriff hätten wir von hier aus
sehr wirksames Feuer auf die Russen legen können. Es erfolgte aber keiner. Hier im
Sumpfgelände ist ein solcher auch ziemlich aussichtslos.
Das stürmende Inf. Regiment war Nr. 56. Die Artillerie stammte aus allen möglichen
Regimentern. Wir waren vom Reg. 277 allein hier. Es sollen für diesen Angriff über 50
Batterien hergeschickt worden [sein]. Davon waren 3 Batterien 21 cm Mörser, einige leichte
Kanonen-Batterien und der Rest leichte & schwere Feldhaubitzen. Alles ist in den Tagen vor
dem Angriff nach hier gekommen.
Die Beute beträgt nach heutiger Meldung 1580 Gefangene, 22 Offiziere, 10 Masch.
Gew[ehre]. und 5 Minenwerfer.
In der letzten Nacht habe ich dann einen Beobachtungsstand auf der Höhe 192 ausgebaut und
bin heute vormittag zurückgekommen.
Die Batterie hat während des Gefechts über 1400 Schuß verfeuert.
Heute herrscht ziemlich Ruhe. Der Russe beschießt die deutschen neue[n] Gräben und hat uns
schon einige Verluste beigebracht.
2. Nov. 1916 an Gruppe Ritscher [Ritschen? Ritgen?, vgl. 1916-11-03 Lageplan]: Bericht
der 2. Batterie FeldArtReg 277 [eingefügtes Blatt]
Die 2. Batterie FAR 277 erhielt am 23. Okt. 1916 abends 7 Uhr Befehl, sich nach
Ozdzintycze in Marsch zu setzen und dort bei der 20. I[nfanterie]. D[ivision]. weitere Befehle
entgegenzunehmen. Um 9 Uhr verließ die Batterie ihre Stellung und marschierte über Rudnia
nach Ozdzintycze. Hier angekommen, bekam sie Anweisung in Miroslawow in Quartier zu
gehen und am folgenden Tage nach Nyry weiter zu marschieren. Die Route von hier aus war
Popielewka – Makowicze – Dazwa – Nyry. Am 25. Oktober, nachmittags 2.30 Uhr traf die
Batterie in Nyry ein, bezog im nördlichen Teil des Dorfes Quartier und hielt sich zur
Verfügung der 121. I. D.
Am Morgen des 26. Okt. erkundete die Batterie die Feuerstellung, und fuhr gegen mittag ein.
Am Morgen des nächsten Tages richtete sie B[eobachtungs].Stellen auf Höhe 207 und im
Abschnitt der 9. Comp. Res. I. R. 56 ein. Nachmittags schoß die Batterie sich auf die Höhe
192 ein. Am 28. Okt. setzte sie das Einschießen fort und legte die genaueren Zielabschnitte
fest. Der Munitionsverbrauch während des Einschießens war 80 Schuss.
Am 1. November nahm die Batterie am Angriff gegen die Höhe 192 teil und verfeuerte 1262
Schuß. Während des Sturmes ging der Hilfsbeobachter mit der 1. Welle vor und richtete auf
der Höhe 192 eine Beobachtungsstelle ein. Am 2. Nov. beschoss die Batterie feindl.
Truppenbewegungen westlich des Dorfes Babie mit 30 Schuß.
[Eingefügtes Blatt mit anderer Handschrift:] 31. 10. 16
Jede Battr. [sic!] hat ihre eigenen Vereinbarungen mit ihrer vorgeschobenen Beobachtung zu
treffen[,] unter allen Umständen bedeuten grüne Leuchtkugeln Feuer feindwärts zu verlegen /
78
rote Leuchtkugel / Batterie soll Sperrfeuer abgeben. II Battr. 277 u. 5/29 geben Ihren und der
stürmenden Infanterie vorgehenden Hilfsbeobachter die genaue Richtung des Vorgehens an.
Hilfsbeobachter im Graben und vorgehende Beobachter haben sich noch heute mit der... in
Verbindung zu setzen u. nähere Angaben zu erhalten, daß alle Vorbereitungen für
Hilfsbeobachter, wie in früheren Befehlen gegeben, getroffen sind, ist zum 31. [... ?] 7 Uhr
telefonisch zu melden.
II. Die Nachrichten Offz. melden zum 31/abends 7 Uhr telefonisch ihre mit den
Infanterieführern getroffenen Vereinbarungen. Auszug aus dem Div. Tagesbefehl 30./10. I
Die monatlichen Meldungen über Ver[p]flegungs- u. Gefechtsstärke pp. sind der Division
diesmal auch von den zugeteilten Truppen und dem ganzen Infanterie Regmt. 419
einzureichen. Der Stand von 1. 11. früh ist der Meldung zu Grunde zu legen, Meldung an
Gruppe zum I. 11. 8 Uhr vorm. schriftlich.
5. Der Verpflegungsempfang beim Feldproviantamt 121 I. D. findet im Monat November an
den ungeraden Tagen in der Zeit von 7 - 10 vormittags statt.
Die beifolgende Nachweisung über Ärtzte [sic!] - [… ?] ist bis zum 2/11 8 Uhr vormittags
beim Befehlsempfang zurückzureichen.
Aufgenommen durch Stolle. 2/277
[Zusatz wiederum mit anderer Handschrift:] Hilfsbeob. geht vor in Richtung 6. Graben, dort
wo er über die Höhe verschwindet. [gez.] Kraus.
Zur Erledigung an Wachtm. Borggräfe. [gez.] Kr[aus].
7 Uhr abends ab Cholopicze.
Auf der Art. Komm. reichen Batterien spätestens bis 1ten [?] [... ?] die im Okt. verfeuerten
Schüsse unter Angabe der Gefechts- und Schießtage [ein] und bei welchem Corps oder
selbstständ. Tr[uppen]Verband [sie] verfeuert sind. Gruppe Ritscher [Ritschen? Ritgen? Vgl.
1916-11-03 Lageplan].
10. Landw. 1- 23 Okt
121. I.D. 1 - 31 Okt
79
[1916-11-03 Lageplan: „Art. Komdr. 121. Inf. Div.“].
[1916-11-03 Lageplan: „Art. Komdr. 121. Inf. Div.“, Rückseite:]
1. Vorgeschobene Beobachtung nach Erstürmung der Höhe 192 eingerichtet. „kleiner
Moritz“ später „Max“.
2. Vorgeschobene Beobachtung bei der 9. Comp. Res. I. R. 56. „Moritz“
3. Hauptbeobachtung Höhe 206 „Max“. Nur bis zur Erstürmung der Höhe 192 benutzt.
4. Batteriestellung am Friedhof Res. I. R. 56 u. R. I. R. 7. Wechselstellung der 8. Battr.
F. A. R. 241. „Batterie Blicksburg“.
Freitag, 3. November 1916.
Heute vormittag war ich in der Batterie und habe einige Aufnahmen gemacht. Das Wetter war
sehr gut. Hoffentlich sind die Bilder gut geraten. [Photo 1916-11-03].
Nachmittag[s] bin ich in der Beobachtungsstelle auf Höhe 192 gewesen und habe die Russen
etwas in Bewegung gebracht. Kurz nach zwei Uhr schlichen etwa 30 Mann auf unsere
Stellungen zu. Mit einigen Schüssen wurden sie aber schnell vertrieben. Um 4 Uhr bekamen
80
wir dann Befehl, uns auf einen neuen Sperrfeuerabschnitt am Stochod einzuschießen. Auch
dies wurde schnell mit einigen Schüssen erledigt.
Gerade eben, es ist 8½ Uhr, kommt Befehl, daß die Batterie sich am 5. ds. Mts. in Richtung
Popielewka in Marsch zu setzen hat. Für Unterkunft hat die 20. Inf. Division, wie das letzte
Mal auf dem Hermarsch, zu sorgen. Weiteren Befehl sollen wir dort entgegennehmen.
Hoffentlich sind unsere Quartiere in Cholopicze noch in Ordnung, falls wir dort wieder
hinkommen.
[1916-11-03 Photo ohne Beschriftung].
[Eingeklebtes Blatt:] 121. Inf. Div. Abt. I. II. a Nr. 10039.
D. St. Qu. (Div. Stabs Quartier) 3. XI. 1916.
Nach wirksamer Vorbereitung durch vorzüglich geleitetes Artillerie- und Minenfeuer hat am
1. XI. 16 nachmittags das Regiment 56, unterstützt vom II. Batt. R. I. R. 52 sowie von
Pionieren und Minenwerfern, in glänzendem Anlauf die gesamte feindliche Stellung auf Höhe
192 überrannt und ist bis an und über den Stochod vorgestoßen.
Am gleichen Nachmittag warf Res. Inf. Reg. 7 in wuchtigem Stoss den Gegner endgültig aus
dem Russenwald über den Stochod zurück.
Gut Witonez wurde von einer Kompanie des Regiments 78 genommen.
Der schöne Erfolg wurde mit verhältnissmäßig geringen Opfern erstritten. Gross war die
Beute des Tages: 21 Offiziere, 1524 Mann, 12 Masch. Gew[ehre]., 5 Minenwerfer sowie
zahlloses Kriegsgerät fielen in die Hände der stürmenden Truppen. Die blutigen Verluste des
Feindes sind schwer. Die so heiß umstrittenen Stellungen auf Höhe 192 und im Russenwalde
sind wieder in unserer Hand und sollen es bleiben.
Ich spreche allen an der Vorbereitung und Durchführung des Angriffes beteiligten Führern
und Truppen meinen Dank und meine volle Anerkennung aus.
gez. v. Ditfurth
Gen. Major & Divisions Kommandeur.
81
Sonnabend, 4. November 1916.
Heute hat die Batterie sich marschbereit gemacht. Sämtliche Sachen sind eingepackt worden.
Die Protzen und Munitionswagen sind heute in die Feuerstellung gekommen. Morgen früh
braucht dann nur angespannt [zu] werden und der Marsch kann beginnen. Abmarsch ist auf 6
Uhr angesetzt.
Heute abend sind [wir] zu den Offizieren der 8. Batt. F.A.R. 241 eingeladen. Wir haben hier
während der ganzen Zeit gewohnt, die wir in Karolinka waren. Der Batterieführer
Oberleutnant Blicksburg, Leutnant Laabes, Ltn. Scheffer & F.Ltn. Hesse bilden den Stab der
Batterie. Alles sehr nette Herren.
Den heutigen Abend wollen wir noch gemütlich miteinander verbringen und dann morgen
früh dies Quartier verlassen.
[1916-11-04 Max und Moritz v. Hütte, „’Max + Moritz’ die zwei Burschen“].
Sonntag, 5. November 1916.
Heute haben wir uns in einem Quartier für durchreisende Offiziere in Miroslawow
eingenistet. Es ist ein Raum 5 x 5 m mit 4 Betten, Tisch, einer Bank und einigen Stühlen. Das
erste Mal, wo wir einen möbelierten [sic!] Raum finden. Die Batterie ist wieder in denselben
Scheunen wie beim Durchmarsch am 24/25. Okt. untergebracht. – Die Route nach hier war:
Kolonie Karolinka – Nowy Dwor – Dazwa – Serkizow – Makowicze – Popielewka –
Miroslawow.
Beim Abmarsch heute morgen habe ich mit meinem Batterieführer Ltn. Kraus einige
Differenzen gehabt. Offz. Stellvertreter Fischer und ich mußten [uns] alle möglichen Sachen
anhören „wie im Kriegerverein“, „schlappe Gesellschaft“ und noch vieles andere.
Gerade eben kommt die Nachricht durch, daß das Königreich Polen proklamiert worden ist.
Wir hier im Osten sind also nicht mehr in Rußland, sondern in Polen.
Hoffentlich bringt diese Staatsaktion uns dem Frieden etwas näher.
82
[1916-11-05 Photo ohne Beschriftung].
Dienstag, 7. November 1916
Gestern nachmittag 1 Uhr sind wir in Cholopicze angekommen.
Morgens 7.15 Uhr fuhren wir von Miroslawow ab über Ozdzniticze – Rudnia und erreichten
um 10 Uhr Zapust. Hier meldeten wir uns bei der Abteilung und erhielten Befehl, mit
Dunkelwerden in unsere alte Stellung zu gehen. Für mich war ein besonderer Auftrag da;
nämlich einen vorgeschobenen Beobachtungs-Posten bei der 11. Comp. Inf.Reg. 346
einzurichten. Augenblicklich, es ist 6 Uhr abends, sitze ich denn auch vorn in der ersten
Stellung. Ein Zugführer der Companie, der Vicefeldwebel Paul Kuwatsch, III. Corps [?],
Charlottenburg, Potsdamerstr. 45, hat [mir] ein Plätzchen eingeräumt in seinem ganz neuen
Unterstand. Das Fenster fehlt noch, die Scheibe dazu will ich besorgen. Es ist hier sehr schön
warm. Ein kleiner Schwarmlinienofen steht in der Ecke und das Teewasser brodelt ganz
heim[e]lich. Man fühlt sich ganz wohl.
Die Batterie hat sich heute auf den neu zugeteilten Sperrfeuerabschnitt eingeschossen. Mit 10
Schuss war alles erledigt.
83
[1916-11-07 Lageskizze, „Branchowice 19. XI. 16.“].
[1916-11-08 Photo ohne Beschriftung].
Mittwoch, den 8. November 1916.
Der heutige Tag verlief fast ohne irgendwelches Geschiesse. Es war ziemlich ruhig.
Vor Mittag und auch nach Mittag wollte die Infanterie die hier stehenden Batterien etwas
exerzieren. Vorn auf den Feldwachen und Unteroffiziersposten wurden rote Leuchtkugeln
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abgeschossen und die Artillerie sollte dann sofort den zugeteilten Sperrfeuerabschnitt unter
Feuer nehmen.
Die ganze Sache war verfehlt, denn die roten Leuchtkugeln waren in der hellen Sonne
garnicht zu erkennen. Von 3 Raketen ist nur eine beobachtet worden. Um 1.10, um 1.50 und
2.50 Uhr sind Leuchtkugeln geschossen worden und nur um 1.50 hat unsere Batterie mit 2
Schuss geantwortet. Andere Batterien, die auch in den Abschnitt des III. Bataillons fallen,
haben garnicht geschossen. Die Beobachtung der roten Signale war aber auch so schlecht, daß
nicht einmal die Infanterieposten vorn in der Stellung, nur 50 - 100 m davon entfernt,
irgendwie aufmerksam geworden sind.
Sonst hat der Tag wenig bemerkenswertes gebracht.
Nachmittag[s] war ich auf der Suche nach einem Unterstand für meine drei Telefonisten, oder
besser, nach einer Deckung, in der die Beobachtung 2/277 im 3. Zuge 11. Comp. I[nf]. R[eg].
346 unterschlüpfen kann und schön beieinander ist. Der 2. M.G. Zug 346 sollte einen
Unterstand rausrücken, weil er gerade einen neuen fertig hat, aber der Führer Herr Ltn. Scholz
will aus dem alten einen Holzkeller machen und später die Balkenlagen selbst auch verfeuern.
Es wird uns nun wohl nichts anderes übrig bleiben, als selbst ein Loch auszuheben.
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[1916-11-08 Lageskizze, Rückseite:] „Gruppe Stockmeyer“ Skizze über Fernsprechnetz.
Donnerstag, den 9. November 1916.
Heute vormittag bin ich durch einen Unteroffizier unserer Batterie von der vorgeschobenen
Beobachtung abgelöst worden. – Augenblicklich sitze ich in unserem Quartier in Cholopicze
beim Schein einer Carbitlampe [sic!] und schreibe Briefe an alle möglichen Leute, keine
schöne Arbeit, aber es muß ja auch getan werden.
Freitag, 10. November 1916.
Heute nachmittag habe [ich] mein Amt als Abteilungs Telefonoffizier wieder angetreten. Die
Abteilung mahnte gestern abend deswegen.
Für die einzelnen Batterien habe ich mich nun mit der Construction von Schaltkästen zu
befassen. Herr Ltn. Hurum, der Ordonanzoffizier, hat schon einen brauchbaren, aber doch
noch in mancher Hinsicht unpractischen Apparat gebaut. Morgen will ich mein Glück an
einem Kasten mit Messinghülsen versuchen.
Die Protzen unserer Batterie wollten heute von Alexandrowka nach Rudna übersiedeln, weil
dort bedeutend bessere Ställe verfügbar waren. Als der Wachtmeister nun nach Mittag mit
den Pferden ankam, fand er sämtliche Höfe mit Infanteristen vollgepfropft, mußte also
unverrichteter Sache mit seinen hundert Pferden wieder nach Alexandrowka ziehen.
Man sagt, die Infanteristen gehörten dem 8. A. K. an und wären eine Ablösung für das 10. A.
K. Meinen Vetter Karl Bulling werde ich nun wohl kaum noch treffen. Er liegt bei Siniawka,
über 20 km von hier.
Montag, 13. November 1916.
Vorgestern und gestern war ich im Graben bei der 12. Comp. I. R. 346. Ich habe wieder beim
Zugführer des III. Zuges gewohnt. Diesmal war ein Offz. Stellvertreter Martin Schultz dort.
Seine Ziviladresse ist Bergw. Dir[ektor]. C. A. Schultz, Charlottenburg, Reichsstr.4
a/Reichskanzlerplatz. Im Zivilleben ist er Offizier der Handelsmarine und hat bei der
Deutschen Levantelinie gefahren.
Gestern abend kam wieder einmal der Befehl, daß die Batterie sich marschbereit machen soll.
Heute haben wir schon nicht unbedingt notwendige Leitungen unseres Fernsprechnetzes
eingezogen, um morgen besser fertig werden zu können.
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Einem Gerücht nach soll die Batterie nach Verchi [Virchy] am Stochod kommen. Unsere 2.
Abteilung ist schon vor einigen Tagen abmarschiert.
Dienstag, 14. November 1916.
Das Wetter ist heute sehr schlecht. Es regnet den ganzen Tag. Augenblicklich, es ist 6 Uhr
abends, ist es draußen so finster, daß man nicht einmal 2 m weit sehen kann; es ist geradezu
unmöglich, sich zurecht zu finden.
Glücklicherweise hat die Batterie noch keinen Marschbefehl. Wir sitzen noch gemütlich in
unserem Quartier in Cholopicze am Kaminfeuer und fühlen uns ganz wohl.
Heute nachmittag erschien hier bei uns schon die Österreichische Ablösung, die an unserer
Statt nach hier kommen soll. Es war ein kleiner Oberleutnant Halbert mit einem seiner
Offiziere, 2. Feld-Haubitz Regiment 6. Batterie. Er kommt jetzt aus der Garnison und wird
hier, ebenso wie wir damals, zum ersten Mal angesetzt.
Von uns zog er alle möglichen Erkundigungen ein betreffs Beobachtungsstellen,
Protzenstellung und sonstigen Verhältnissen. Unsere Protzenstellung scheint dem
Oberleutnant doch recht weit, Alexandrowka liegt nämlich 6 km von hier. Bei Trommelfeuer
hätten wir die Protzen, wenn auch nicht alle, so doch mindestens die Geschütz-Protzen, wohl
sicherheitshalber bis nahe an die Feuerstellung vorgezogen. – Ein Österreicher denkt doch
zunächst immer an den Rückzug. Die Initiative ist ihnen etwas unbekanntes. Weiter nördlich
von hier baute eine österreichische Batterie Rückzugsstraßen. Das Wort „Anmarschweg“ steht
nur im deutschen Reglement.
Die österreichische Batterie will uns übermorgen, also Donnerstag, vormittags ablösen.
Hoffentlich kommt sie einigermaßen rechtzeitig. Wir sollen dann auf der nächsten
Bahnstation verladen werden und in der Gegend von Virchy am Stochod in Stellung kommen.
Dort oben steht unsere Division, d. h. die Division, der wir eigentlich [zugeteilt] werden
sollten, die 91. Division.
Mittwoch, 15. November 1916.
Unsere österreichische Ablösung hat sich heute bei uns eingefunden. Sämtliche Offiziere
tauchten nacheinander auf, um sich die Stellungen, Beobachtungen etc. anzusehen.
Ich war heute vormittag mit dem Fähnrich Weiß in die Schwarmlinie, d. i. in den
Schützengraben, [gegangen] und habe ihn über die dortigen Verhältnisse, wie da ist: russische
Linien, Sperrfeuerabschnitt etc., aufgeklärt. Dem Fähnrich kam alles ganz neu vor, ihm
schienen die Verhältnisse so nahe beim Russen aber garnicht zu behagen. Die Etappe hält er,
wie wohl alle k. u. k. Bundesbrüder, für einen ganz entschieden besseren Aufenthaltsort.
Nach dem Abteilungsbefehl von gestern mußte ich mich heute mittag 1 Uhr auf dem
Geschäftszimmer in Zapust melden. Im Ordonanzanzuge, mit Helm und Säbel angetan, wurde
mir die österreichische Tapferkeitsmedaille angehängt [Abbildung neben dem Text: Vorderund Rückseite der Medaille mit Bleistift durchgerieben]. Hauptmann Bauer, stellvertretender
Abteilungsführer, überreichte mir die Sache, nicht ohne eine kleine Pflaume anzubringen: für
gutes Kabellegen. – Beim Bau eines Kabelgrabens war ich vor einiger Zeit nämlich nicht
zugegen, obgleich es mein Amt war. Ein österreichischer Leutnant hat sich damals über meine
Abwesenheit beschwert.
Donnerstag, 16. November 1916.
Seit heute mittag sind wir in Alexandrowka in Quartier.
Die österreichische Batterie kam schon heute morgen 8 Uhr nach Cholopicze, um uns
abzulösen. Herr Oberleutnant Halbert war sehr erregt, ob freudig oder nervös, konnte ich
nicht genau feststellen. Er ritt jedenfalls sofort zur Beobachtungsstelle, um sich sofort
einzuschießen. Dem Batterieoffizier paßte dies schnelle Arbeiten aber garnicht. Er hängte die
Telefonleitung deshalb einfach ab und ließ seinen Batterieführer auf der B[eobachtungs]stelle
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sich austoben. Er arbeitete derweil gemütlich mit seinen Leuten in der Feuerstellung, ohne
sich irgendwie zu beeilen. Erst nachher stellte er die Verbindung mit seinem Batterieführer
wieder her. –
Wieder einmal ein richtig österreichischer Streich, eine Dienstauffassung, wie sie bei uns
doch ganz unmöglich ist.
Der Marsch nach hier vollzog sich heute morgen ganz ohne Störung. Die Wege waren
ziemlich gut. Der Frost der letzten zwei Tage war schon soweit eingedrungen, daß die
Fahrzeuge nur auf einzelnen Stellen durchbrachen. Auch jetzt friert es wieder ziemlich heftig,
mindestens 6 – 8°. Heute nacht friert [es] sicher bis zu 10°. Morgen sind die Wege dann
hoffentlich überall fest.
Für 7 Uhr morgen früh ist Abmarsch nach Chorostow befohlen.
Sonnabend, 18. November 1916.
Seit heute nachmittag 2 Uhr sind wir in Br[z]uchowice [Ukraine] in Quartier.
Nach 8stündiger Bahnfahrt haben wir heute morgen 7 Uhr in Poginki ausgeladen. –
Von Alexandrowka marschierten wir gestern morgen 7½ Uhr ab, erreichten um 8½ Uhr
Wojmica und kamen kurz nach Mittag in Chorostow auf dem Bahnhof an.
In Wojmica mußten wir zunächst eine halbe Stunde auf unseren hohen Abteilungsstab warten;
in Chorostow war es noch schlimmer, es war kein Zug da, auf den wir unsere Batterie
verladen konnten. Wir mußten bis 10½ Uhr, also über 9 Stunden, warten und dabei fror und
schneite es ziemlich heftig. Gegen abend wurde es so kalt, daß man sich kaum noch bewegen
konnte.
Um nun nicht ganz einzufrieren, wurden große Feuer angezündet und allmählich tauten die
Leute wieder auf. Es wurde gesungen und nach Verlauf einer halben Stunde war alles in
bester Stimmung.
Kurz nach 10 Uhr kam dann der Zug. Es wurde nun schnell verladen und um ½12 Uhr fuhr
der Zug von Chorostow ab.
Für Heizung der Wagen, wenigstens der Personenwagen, habe ich sofort gesorgt. Ein
österreichischer Lokomotivführer ließ sich durch eine Zigarette leicht dazu bestimmen, den
Dampfhahn für die Heizleitung aufzudrehen. –
Die Fahrt ging über Kowel nach Poginki, einem ganz kleinen Dorf mit mächtigen
Bahnanlagen.
Um 8 Uhr heute morgen stand die Batterie marschbereit und marschierte, wieder auf die hohe
Abteilung wartend, in östlicher Richtung ab. Nach einer halben Stunde kamen wir auf die
große Straße Kowel – Rowno; es ist eine große schöne Straße, wohl 10 m breit, jetzt schön
fest gefroren. Es war ein Verkehr dort, wie man ihn nur auf einer großen Heeresstraße finden
kann. Kolonne marschierte hinter Kolonne, sich immer hinter die vordere rangierend.
Automobile, Munitionskolonnen, Infanterie, Artillerie, Sanitätskolonnen, alles bunt
durcheinander, alles in gleichem Tempo sich fortbewegend.
Gegen 11 Uhr erreichten wir Holoby und um 2 Uhr nachmittags Br[z]uchowice.
Wir sind im Quartier der L. M. K. der I. Abteilung F. A. R. 213 untergebracht. Die Kolonne
selbst ist weiter rückwärts in ein Dorf gekommen. Sie hat hier das Quartier für nach vorn
kommende Batterien räumen müssen. – Wie es heißt, soll hier bei Kuchary am Stochod eine
Höhenstellung, ähnlich wie bei Witoniz, genommen werden.
Pioniere jeder Gattung, wie Sappeure [Truppenhandwerker], Minenwerfer, Gasbläser,
Scheinwerfer sind mit uns zugleich angekommen. Es sollen hier über 80 Batterien neu
eingesetzt werden.
Am Tage unseres Abmarsches von Cholopicze hatte die Batterie den ersten Verwundeten
gehabt. Es war der kriegsfreiw. Unteroffz. Grude. Beim Zurückgehen aus dem
Schützengraben auf einem allerdings nicht ganz einwandfreien Weg hat ihm eine
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Schrapnellkugel den rechten Oberarm zerschlagen. Er mußte natürlich sofort ins Lazarett.
Gestern haben wir ihn in Wojmica besucht.
[1916-11-19 Lageskizze:] marschierter Weg.
Sonntag, 19. November 1916.
Heute sitzen wir gemütlich in unserem Quartier und warten auf Befehl. Wir sind hier einen
Tag zu früh angekommen. Morgen wird’s aber wohl losgehen.
Das Wetter ist seit gestern ausgezeichnet. Es friert mindestens 6° und ein kräftiger Nordost
weht dabei, sodaß in unserer Bude, östliche Seite eines großen Pferdestalles, gerade keine
Übertemperatur herrscht.
Gerade eben, es ist jetzt 9 Uhr abends, haben wir Befehl bekommen, morgen früh 4 Uhr am
Denkmal vor Br[z]uchowicze zu halten, um dann unter Führung eines Meldereiters in
Feuerstellung zu fahren. Wir sind von da ab nicht mehr unserer Abteilung unterstellt, sondern
bekommen von der „Gruppe A. 1.“ die späteren Befehle. – Der Abmarschbefehl wurde uns
durch einen Ltn. Eckert vom F. A. R. 213 übermittelt.
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[1916-11-21 Lageskizze:] Stellung 21. XI. 1916.
Dienstag, 21. November 1916
Gestern morgen 4 Uhr fuhr die Batterie von Br[z]uchowicze ab, um 500 m nördlich Bol.
Porsk in Stellung zu gehen. Der Marsch ging ganz ohne irgendeinen Zwischenfall von statten,
obgleich es sehr dunkel war. Ein gut orientierter Meldereiter führte uns auf guten Wegen über
2 Stunden weit sicher durch Wiesen, Äcker, Sümpfe und Wälder. Die Feuerstellung war aber
nur leicht angedeutet; nur 2 Unterstände für Mannschaften waren ausgehoben. Von den
Geschützeinschnitten waren nur die Spornlagen zu sehen.
Um 9 Uhr vormittags konnten wir die Geschütze schon in gut ausgebaute Einschnitte bringen,
obgleich der Boden fest gefroren war. Die Leute haben fabelhaft gearbeitet; die Kälte brachte
sie mächtig an die Arbeit.
Um 10 Uhr bekamen wir dann Zielkarten usw. und da stellte sich heraus, daß [die] Front der
Feuerstellung total falsch war. Die Batterie mußte über 100° schwenken, um überhaupt in die
zugewiesenen Ziele zu kommen. Diese Feuerstellung war also vollständig unbrauchbar für
uns.
Von unserer Gruppe, es ist Untergruppe Seidel, Hauptgruppe ist Major von Wedel, bekamen
[wir] auf Anfragen hin gar keine Anweisung. Bei einer Besprechung wurde uns dann
gelegentlich befohlen, in unmittelbarer Nähe der alten Stellung zu bleiben. Im freien Felde
könnte man doch am besten schießen.
Nach Mittag haben wir dann Mannschaftsunterstände ausgehoben und sind eine neue Stellung
100 m westlich der alten angefangen.
Heute morgen 8 Uhr waren die neuen Einschnitte fertig. Um 6 Uhr hatte eine Protze die
Lafetten hinübergefahren und um 8 Uhr konnten wir uns feuerbereit melden. Im Laufe des
Tages sind dann Telefonleitungen zu den B[eobachtungs].Stellen und den Gruppen gelegt
worden.
Morgen früh wollen wir die Batterie einschießen. Heute war es zu nebelig dazu.
Mittwoch, 22. November 1916.
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Heute vormittag haben wir uns eingeschossen auf sämtliche Ziele, die uns für den Angriff auf
die Höhen südlich und östlich Bol. Porsk zugewiesen sind. Die Entfernungen sind 3000 3500 m.
Anfangs fanden wir unsere Schüsse heute morgen garnicht. Erst nach einigem Hin- und
Herschwenken fanden wir sie heraus, und brachten sie nun schnell in die Ziele.
Augenblicklich, es ist 8 Uhr abends, sitzen wir dabei, die Schießtafeln für die Batterie
anzufertigen.
Heute nachmittag haben wir einen Flieger beschossen. Leider konnten wir nicht genügend
herumschwenken. Bei nächster Gelegenheit soll eine Lafette aus dem Geschützstand
herausgezogen werden. Die Schüsse lagen aber auch heute schon ganz gut.
Donnerstag, 23. XI. 1916.
Der heutige Tag verlief ohne große Ereignisse. Alles wartet auf den großen Angriff. Der
Wind ist in der letzten Nacht herumgegangen, sodaß der Gasangriff schon einigermaßen
möglich ist. Nordwest-Wind ist der günstigste; jetzt ist er südwestlich.
Heute nachmittag war in der Gruppe Wedel eine Durchsicht der Batteriepläne der einzelnen
Untergruppen und Batterien angesetzt. Von unserer Batterie mußte ich mit den Karten
abziehen.
Durch einen falschen Befehl irregeführt, kam ich 1¾ Stunden zu spät zur Gruppe, trotzdem
mußte ich bei dem Herrn Major noch über ½ Stunde warten, bis ich vorgelassen wurde. Ca.
20 Offiziere waren mit mir zugleich dort und wir teilten alle dasselbe Los.
Morgen früh müssen sämtlich B[eobachtungs]stellen ab 4 Uhr früh besetzt sein. Um 2 Uhr
werden wir uns also wohl erheben müssen, um rechtzeitig hinzukommen.
[1916-11-23 Photo ohne Beschriftung].
91
[1916-11-23 Schlachtplan].
Freitag, 24. November 1916.
Der Wind bläst immer noch aus südwest; zeitweise schwankte er, wollte nach Westen
rumgehen, fiel dann aber auf Südwest zurück. Die B.stellen brauchten heute morgen nach
einem Befehl von gestern abend nicht besetzt [zu] werden. Wie es morgen wird, muß noch
befohlen werden.
Sonnabend, 25. November 1916.
Heute morgen haben wir die Entdeckung gemacht, daß der Offiziers-Unterstand mit Läusen
behaftet ist. Schon seit einigen Tagen kam uns die Sache nicht mehr ganz sauber vor, heute
morgen haben wir nun einige Bienen gefunden. Morgen sollen sämtliche Decken und
sonstigen Sachen zur Entlausung. Hoffentlich hilft es etwas.
Die B.Stellen brauchten auch heute nicht besetzt [zu] sein. Für morgen kam derselbe Befehl
gerade eben.
Sonntag, 26. November 1916.
Heute war das Wetter wieder sehr gut. Der Wind ist nach Osten herumgegangen. Von dem
Angriff kann also noch nichts werden.
Ein Entlausungsinstitut, ein Lausoleum, haben wir dafür aber ausfindig gemacht. Morgen früh
soll die Baderei und Kocherei losgehen.
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Montag, 27. November 1916.
Die angesagte Entlausung ist heute vor sich gegangen. Das Zeug kam in einen Backofen, der
auf 100° erhitzt werden konnte. Während der Zeit des Kleider-Dörrens badete man sich selbst
in einer großen Wanne und zog nachher, frisch und frei, seine bestimmt sauberen Kleider
wieder an. Es ist eine wahre Erholung, schon das Bad allein, dann aber auch die Gewißheit,
von den Bienen befreit zu sein.
Dienstag, 28. November 1916.
Heute früh war ich mit unserem Batterieführer auf der Preussenhöhe, 194, um ein neues
Sperrfeuer einzuschießen. Es verlief alles ganz glatt. Der An- & Abmarschweg in Sicht der
Russen wurde im Laufschritt zurückgelegt. Ein dicker Kanonier, der den Batterieplan zu
tragen hatte, pustete nachher 10 Minuten lang.
Nach Mittag war wieder eine Besprechung bei Herrn Major v. Wedel. Ein langer Vortrag
schilderte uns Erlebnismöglichkeiten beim Angriff, Nahkampf etc., und die erwarteten
Gegenstöße der Russen.
Der Wind ist seit heute morgen für einen Gasangriff günstig. Leichte Brise aus Nordwest.
Letzte Nacht hat es geregnet, und mit diesem Wetterumschlag wechselte auch der Wind.
Hoffentlich geht „Abendrot“, die „Liebesgaben-Verteilung“, bald vor sich.
Donnerstag, 30. XI. 1916.
Der gestrige Tag verlief ohne besondere Ereignisse. Heute war ich auf unserer Haupt-Bstelle
im Park südlich Bol-Porsk. Die Beobachtung war gut. In den russischen Stellungen war alles
zu erkennen. Die Panjes arbeiteten fleissig wie die Ameisen an ihren Stellungen. Leider
konnte ich nicht schießen, weil in unseren Stellungen auch tausende von Leuten arbeiteten
und da wäre bei einem Vergeltungsfeuer manch einer verwundet worden.
Heute abend ist nach 14 Tagen die erste Post angekommen. Es war eine große Freude, wieder
einmal etwas von zu Hause zu hören.
Sonnabend, 2. Dezember 1916.
Gestern und heute war es hier bei uns ganz ruhig. Die Russen schossen wenig, das Wetter war
gut. Wir führen ein ganz behagliches Dasein.
Heute nachmittag war ich zum Verpassen der Gasmaske in einem Stinkraum. In einer kleinen,
luftdichten Erdhöhle wurde eine Gas erzeugende Patrone abgeschossen, um den guten Sitz
und die Beschaffenheit der Maske zu erproben.
Montag, 4. Dezember 1916.
Die Tage verlaufen hier äußerst ruhig. Es passiert kaum etwas Bemerkenswertes. Die hohen
und höchsten Behörden ergehen sich in allen möglichen und unmöglichen Befehlen.
Gestern morgen kontrollierte Major v. Wedel das Schießen der Batterien auf die Ziele
während Abendrot. Er ließ je einen linken und rechten Flügelschuss von den Batterien
abgeben. Unsere Schüsse lagen tadellos in der russischen ersten Linie. Morgens früh hatte ich
die einzelnen Geschütze eingerenkt und dabei mehrere Schießscharten aus der russ. Stellung
entfernt. Schon den zweiten Schuß hatte ich in dem feindl. Graben.
93
Dienstag, 5. Dezember 1916.
Heute wollte Herr Major v. Wedel, Regimentskommandeur F. A. R. 213, nochmals unser
Schießen auf die zugewiesenen Ziele kontrollieren. Wir waren ab 10 Uhr feuerbereit, die
Bedienung saß an den Geschützen, und wartete auf den Befehl des Herrn Major. Es wurde 12
[Uhr], es wurde 2 [Uhr], ein Befehl zum Schießen kam nicht. Die Kanoniere würden jetzt
noch draußen sitzen, wenn wir sie nicht hätten wegtreten lassen. Rücksicht auf Mannschaften
zu nehmen ist solch hohen Herren anscheinend unbekannt.
Heute abend setzte links von uns plötzlich ein heftiges Feuer ein. Als erfahrene Krieger
beteiligten wir uns sofort daran. Wir schoßen [sic!] auf unseren Sperrfeuerabschnitt, um einen
russischen Angriff, den wir doch sicher vermuteten, abzuwehren.
Nachher stellte sich heraus, daß es nur ein Freudenfeuer der morgen abziehenden Batterien
war. Aber, weil wir ganz ohne Bescheid zwischen den feuernden Batterien saßen, mußten wir
uns an dem Schießen beteiligen.
Mittwoch, 6. Dezember 1916.
Wieder einmal ist ein Marschbefehl eingetroffen. Heute vormittag 10 Uhr kam von unserer
Abteilung der Befehl, daß die Batterie ihre Stellung im Mondenschein zu verlassen hat. Die
Munition, die wir nicht in der Batterie verladen können, wird schon jetzt abgefahren.
Morgen früh 7 Uhr müssen Ltn. Kuntzen, V[ize]. W[achtmeister]. Fischer und ich in Mielnica
sein, um uns dort die neue Stellung anweisen zu lassen.
Der große Angriff „Abendrot“ fällt also aus. Sämtliche Batterien und Pioniere, wie Gasbläser,
Minenwerfer usw., werden wieder herausgezogen.
Wir marschieren wahrscheinlich im Abteilungsverband unter Führung des Herrn Major
Stockmeyer. Unsere Batterie soll heute abend noch bis zum Kirchhof Smudtscha vorziehen
und dort weiteren Befehl erwarten. Die Pferde gehen wieder nach Br[z]uchowicze zurück.
Donnerstag, 7. Dezember 1916.
Letzte Nacht kam plötzlich der Befehl, daß die Batterie die Stellung nicht verlassen solle. Die
Stellung südöst1ich Mielniza mußte aber trotzdem erkundet werden.
Heute morgen 7 Uhr waren wir von der 2. Batterie pünktlich bei der deutschen
Telefonzentrale in M[ielniza]. und warteten dann einige Stunden auf die übrigen Batterien.
Die 3. erschien mit ½ Stunde Verspätung. Die königl. 1. kam aber ganz zuletzt um 8½ Uhr.
Wir ritten nun in südöst1icher Richtung und besichtigten verschiedene österreichische
Feuerstellungen. Die der k. u. k. 2. Batterie (üteg [?]) 7. Feld-Kanonen Regiment wurde uns
zugewiesen. Sie war ganz großartig ausgebaut in jeder Hinsicht. Während der 5 Monate, wo
die k. u. k. Batterie dort lag, hat sie keine Mühe gespart, um alles möglichst gut und behaglich
für den Winter einzurichten. In dem großen Kiefernwald merkte man von der herrschenden
Kälte nichts.
Hoffentlich kommen wir dort hin. Bis jetzt, es ist wieder mal abends 9 Uhr; haben wir noch
keinen Befehl, in die k. u. k. Stellung einzurücken. Wir sitzen, den Befehl erwartend (n.
Luderdorff [?]) in unserem Unterstand.
94
Freitag, 8. Dezember 1916.
Heute morgen 12.30 Uhr bekamen wir Befehl, unsere Feuerstellung nördlich Bol Porsk im
Morgengrauen zu verlassen und die erkundete Stellung der 2/7 zu beziehen.
Um 6 Uhr früh setzte die Batterie sich in Marsch über Smudtscha in Richtung 5 km südöstlich
Mielniza. Um 8 Uhr waren wir an unserem Ziele angelangt, um 10 Uhr fertig eingebaut und
feuerbereit. Nach Mittag haben wir uns dann sofort mit 30 Schuß auf unseren
Sperrfeuerabschnitt eingeschossen.
Jetzt, es ist 5 Uhr nachm., sitzen wir gemütlich in unserem Unterstand beim Kaffee und
rauchen eine Zigarre.
Nun einiges über unsere taktische Lage, unsere Zugehörigkeit etc. Genaueres wissen wir
eigentlich noch garnicht. Den Marschbefehl haben wir durch unsere Abteilung Stockmeyer
bekommen; auch sind uns die Stellungen von dort angewiesen worden. Jetzt sind wir aber
einer k. u. k. Gruppe Oberstleutnant Schwartz unterstellt. Diese wird in den nächsten Tagen
aber abgelöst werden und dann bekommen wir wieder einmal einen neuen Oberkommandeur.
[1916-12-08 Plan: gedruckte „Karte XXVII-18-E, 17.8.16, Mielniza“].
95
Sonntag, 10. Dezember 1916.
Wir sitzen in unserer schönen Stellung im Walde.
Der gestrige Tag ist ohne größere Ereignisse verlaufen. Wir sind einer neuen Gruppe
unterstellt worden und zwar dem Hauptmann Schönlein, Abteilungskommandeur II/86. Nur
die Verpflegung bekommen wir durch die eigene Abteilung.
Plötzlich tauchte gestern das Gerücht auf, die Abteilung solle verladen werden. Unser
Wachtmeister, der sämtliche Latrinen[gerüchte] für wahr hält, zog mit den Pferden sofort
nach Byten [?] bei Holoby, irgend ein kleiner Leutnant hatte ihm den Befehl dazu gegeben.
Ohne den Batterieführer irgendwie zu benachrichtigen, ist er abmarschiert. Möglicherweise
verladet [sic!] er nächstens die Fahrzeuge, fährt ab zum Westen und läßt die Batterie im Osten
sitzen.
Heute habe ich die Batterie auf einen neu zugeteilten Sperrfeuerabschnitt eingeschossen.
Gleich die ersten Schüsse lagen richtig im Sperrraum; ich habe [die] rückwärtigen russischen
Stellungen befunkt.
Morgen bin ich Offizier vom Batteriedienst und habe einen Vortrag über allgemeinen
militärischen Benimm zu halten.
[1916-12-11 Photo Gebäude: Unterstand im Wald aus Baumstämmen mit begrüntem Dach,
links zwei Soldaten].
Montag, 11. Dezember 1916.
Heute war ich in unserer Feuerstellung und habe Batterieführer gespielt. Viel zu tun hat man
dabei gerade nicht, aber weggehen ist nicht erlaubt. Man ist tatsächlich ganz gebunden; jeden
Augenblick kann irgendetwas kommen und da muß man zu finden sein. Heute wurde den
ganzen Vormittag geschossen. Gegen abend, kurz nach 6 Uhr haben wir einen russischen
Minenwerfer zum Schweigen gebracht.
Unser vorgeschobener Beobachter meldete schon vorher die Minen. Der Companie-Führer
der 2. Comp. k. u. k. Inf. Reg. 49, Hptm. Zimmermann, forderte bei uns sofort einige Schüsse
an und wir, nicht unentschlossen, gaben sofort 24 Schüsse ab.
96
Vormittags haben wir uns auf 8 uns neu zugewiesene Abwehrstreifen eingeschossen.
Gerade eben habe ich Bescheid bekommen, daß mein Heimatsurlaub [sic!] am 14. ds. Mts.
angeht. Morgen, spätestens übermorgen kann ich also von hier abfahren. Hoffentlich kommt
nichts dazwischen.
Dienstag, 9. Januar 1917.
Heute der erste Eintrag nach Verlauf eines Monats.
Vom 14. bis 31. Dezember [1916] war ich auf Urlaub in Deutschland, und von da an bin ich
wieder in der Batterie.
Meine Reise nach zu Hause verlief äußerst glatt und ohne Zwischenfall. Am 12. Dezember
nachmittags bekam ich schon meine Fahrscheine und bin abends 11 Uhr von der Batterie
abgefahren. In unserem schönen Unterstand haben wir noch eine kleine Abschiedsfeier
veranstaltet und dann bin ich per Wagen nach Poginki gefahren, der Station, wo wir am 18.
November ausgeladen worden waren. Am 13. XII. 16. fuhr ich 5.25 früh von Poginki nach
Kowel ab. Dort angekommen, nutzte ich den 1stündigen Aufenthalt dazu aus, uns 4 Mann der
2./277 mit Entlausungsscheinen zu versorgen. In einer Revierstube bekam ich ohne jede
Schwierigkeit unterschriebene und gestempelte Formulare ausgehändigt, nur die Namen
mußten hineingeschrieben werden.
Die Bahnfahrt über Brest-Litowsk – Warschau – Alexandrowo – Thorn – Schneidemühl –
Berlin ging sehr schnell von Statten. In Kowel erwischte ich gleich einen durchgehenden Zug.
Die Fahrt bis Berlin (Schl[esischer]. [Bahnhof]) dauerte nur 22 Stunden. Ich bin dann über
Hannover gefahren, um dort die Eltern unseres V[ize]. W[achtmeisters].Fischer zu besuchen.
Abends ½8 Uhr war ich aber schon in Oldenburg und um 8 Uhr zu Hause.
Mein ganzer Urlaub verlief ziemlich eintönig. Besuche und einige Vergnügungsfahrten füllten
die ganzen 2 Wochen aus. Am 3. Weihnachstage war ich in Bremen zum Stadttheater, um die
Operette „Kaiserin“ zu sehen. Die letzten Tage verliefen dann halbmal schnell. Ganz bald
mußte ich mich marschbereit machen und am 29. XII. 16. abends 10.08 Uhr fuhr ich wieder
von Oldenburg ab.
Die Fahrt nach Hause war gut und schnell von statten gegangen, zur Batterie zurück dauerte
es aber unheimlich lange; alles schien sich mir zu widersetzen. In Oldenburg selbst wollte die
Gepäckabfertigung meinen Koffer zunächst nicht annehmen. In Bremen kam er dann
tatsächlich nicht mit. Als ich in Kowel ankam, war er natürlich nicht im Gepäckwagen.
Während meiner Abwesenheit war die Batterie aus der alten Stellung abgezogen und ca. 80
km weiter nördlich in Stellung gekommen. Glücklicherweise erfuhr ich dies schon in
Warschau. Über Lage der Protzen etc. bekam ich auch Aufschluss. So erreichte ich mit nur 2
Stunden Verspätung die Batterie. Am 1. Januar 1917 morgens 2 Uhr kam ich in der
Feuerstellung an. Der Posten brüllte mich schon von weitem mit „Halt wer da“ an; sonst fand
ich aber alles in tiefster Ruh. Nun einiges über die Batterie.
Schon vor meiner Abreise hatten wir Befehl, uns nach einer Feuerstellung umzusehen, die in
der Gegend von Verchy [Virchy] am Stochod für uns bereit sein sollte. Ein Unteroffizier und
einige Leute wurden alsbald hingeschickt und am 18. XII. 16. ist dann die Batterie abgerückt.
Der Weg ca. 70 km ist in 2 Tagen zurückgelegt worden. Die Anstrengungen waren
ungeheuer. Besonders die Pferde haben bei den tief ausgefahrenen Wegen furchtbar gelitten.
In der Stellung selbst ist es aber sehr gut auszuhalten. Die Unterstände sind großartig
ausgebaut. Der 1. Zug ist als Fliegerabwehrzug aufgestellt, der zweite beschießt dabei die
feindl. Stellungen.
Die Besetzung der Batterie hat sich auch erheblich geändert. Ltn. Kuntzen führt die 1. Batterie
und V. W. Fischer ist zu einem 6wöchentlichen [sic!] Kursus in Kowel. Die Offiziere sind
also in geringer Zahl bei uns. –
Bis heute mittag war ich in der B.Stelle im Graben. Die Hauptbeobachtung ist nur durch einen
Unteroffizier besetzt. Die Offiziere gehen in den Graben nach vorn.
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[1917-01-15 Photo Porträt, handschriftlicher Vermerk auf der Rückseite:]
Hans Grote.
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Montag, 15. Januar 1917.
Heute abend sitze ich wieder einmal in der Feuerstellung im Unterstand in Gesellschaft eines
Herrn, an den ich während der letzten Monate wohl gedacht habe, den ich aber hier nicht so
schnell zurückerwartet hätte. Es ist Oberleutnant Siehr. Vor 3 Tagen bekamen wir plötzlich
Nachricht, daß er wieder zu uns kommen würde und am selben Abend langte er dann auch an.
Er führt seitdem die Batterie. Leutnant Kraus ist sofort auf Urlaub gefahren. Seine
Batterieführertätigkeit behagte unserem Abteilungskommandeur, Major Stockmeyer, nicht
sonderlich, sonst hätte er die Batterie wahrscheinlich behalten, der Jüngste der Batterieführer
war er nämlich nicht. Nach seinem Urlaub soll er die Führung einer Kolonne; voraussichtlich
die 3. Kolonne, übernehmen. –
In dieser Stellung kommt sonst wenig Bemerkenswertes vor. Der Russe verhält sich ruhig,
und wir schiessen auch nur hin und wieder einmal; der breite Stochod liegt zwischen den
Stellungen, zu beobachten gibt es da nicht sehr viel.
Vor einigen Tagen tauchte wieder ein recht törichtes Gerücht auf. Wir, d. i. nur die 2. Bttr.,
sollen Stellungswechsel machen. Wir sollen eine Stellung beziehen, die nur etwa 6 km weiter
südlich liegt in der Nähe unserer Abteilung. Herr Major Stockmeyer möchte seine Batterien
gern beieinander haben. Er befiehlt den Stellungswechsel, bedenkt wahrscheinlich aber nicht,
welche Strapazen die Batterie dabei auszustehen hat und wie anstrengend die Wochen, die
dann folgen, gerade jetzt im Winter für Pferde und Leute sind. Es ist ja ganz schön, wenn
alles beieinander ist; aber der Gesundheitszustand der Batterie, besonders der Pferde, ist wohl
doch die Hauptsache. In der jetzigen Unterbringung können Pferde und Leute sich erholen.
20. Januar 1917.
Heute vormittag war unser Major Stockmeyer in der Batterie, um einige Sachen mit dem
Batterieführer zu besprechen. Gestern ist nämlich eine Pferderevision gewesen, und da hat es
einigen Krach gegeben.
30. Januar 1917.
Die Tage verlaufen hier in der Batterie äußerst ruhig und fast ohne irgendein Ereigniss [sic!].
Unser alter Batterieführer, Obltn. Siehr, zeigt sich allmählich als recht nervöser Herr.
Telefonisten besonders, aber auch die Kanoniere, klagen über die kaum zu ertragende
Behandlung. Nach meiner Ansicht ist es nun nicht ganz schlimm mit den gestellten
Anforderungen. Die Mannschaften müssen sich nur einer ausserordentlichen Geschicklichkeit
und einiger Intelligenz befleissigen und sich vor allen Dingen dem Batterieführer etwas
anpassen. Dann wird sich sicher ein gutes Einvernehmen herausstellen.
Seit ungefähr 14 Tagen ist unsere ganze vordere Stellung in bestimmte Abschnitte eingeteilt,
in sogen. Sperräume. Im Graben sind in bestimmten Abständen, ca. 200 m, nummerierte
Tafeln angebracht, die wir als Sperrfeuerpunkte ansprechen. Auf diese Punkte haben wir uns
nun eingeschossen, um im Falle eines Angriffes unser Feuer sofort auf durch diese Punkte
einfach zu bezeichnende Abschnitte legen zu können. Das Einschießen der Punkte war mit
einiger Schwierigkeit verknüpft. In unserem eigenen Abschnitt vollzog sich alles schnell und
sicher, die Nachbarabschnitte, nach jeder Seite über 1,5 km, waren nicht so schnell bewältigt.
Gestern nachmittag habe ich nun den nördlichen Abschnitt erledigt; es waren 10 Punkte,
ungefähr 2 km von unserer Grabenbeobachtung. Von 12.30 Uhr bis 6 Uhr bin ich
unausgesetzt in den Gräben umhergelaufen.
[Mittwoch], 31. Januar 1917.
Heute war das Wetter, wie auch an den letzten Tagen, ganz klar und hell. In der verflossenen
Nacht hat es 23° C. gefroren. Am Tage ist es ausserordentlich sichtig, und da hat unser
Flugzug [?] den ganzen Tag auf Posten zu sein wegen der vielen Flieger. Gestern waren allein
9 Flieger über unserer Stellung. Es waren aber [nur] deutsche. Heute wurde ein Russe
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gemeldet, gesehen haben wir ihn aber nicht. Er war nicht näher als 25 km an unserer Stellung
heran. Der Nachbarflugzug, ca. 15 km von uns entfernt, machte uns die Meldung.
[1917-02-03 Photo Person Messgerät, handschriftlicher Vermerk auf der Rückseite:]
Borggräfe am Scherenfernrohr auf „Kleiß“ [?] der alten Stellung Batt. Zweibrücken.
Sonnabend, 3. Februar 1917. Gestern, oder vielmehr schon vorgestern abend, ist Herr Ltn.
Kraus, unser früherer Batterieführer, vom Urlaub in unsere Batterie zurückgekommen.
Augenblicklich sitzt er in der Graben B.Stelle, er macht also Dienste eines Batterieoffiziers.
Ein erhebendes Gefühl ist es doch wohl gerade nicht. Noch vor 14 Tagen schickte er seine
Offiziere hierhin und dorthin und nahm von diesem und jenem Meldungen entgegen und jetzt
ist er seinen früheren Untergebenen gleichgestellt, hat nichts oder doch nur wenig zu sagen.
Heute morgen war ich mit 6 Leuten zu einem Schießstand und habe mit Infanteriegewehren
Mod. 88 schießen lassen. Die Resultate waren gut. Auf 100 m wurden auf eine Scheibe 40 x
40 cm stehend aufgelegt mit 35 Schuss 22 Treffer erzielt. Dabei schoss ein Mann heute das
erste Mal mit einem Gewehr.
Gerade eben habe ich den Auftrag bekommen, ein Kriegstagebuch der 2. Bttr. 277 zu führen.
Nach Möglichkeit will ich’s später mitnehmen.
Dienstag, 6. Februar 1917.
Von gestern mittag bis heute war ich in unserer Beobachtung „Weiß“ im Schützengraben und
habe heute früh eine russische Kompanie zweimal unter Feuer genommen. Um ½9 Uhr kam
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sie in dichter Kolonne über das Gut Wyshara und wollte in die davorliegende Stellung gehen.
Die gutliegenden Schüsse unserer Batterie vertrieben sie aber. Ca. 2 Stunden später versuchte
sie nochmals die Stellung zu erreichen. Durch unsere Schüsse wurde sie vollständig
zersprengt.
Vorgestern abend leistete eine größere russ. Patrouille ein ziemlich schneidiges Stückchen.
Sie näherte sich den deutschen Stellungen in 2 Abteilungen. Das erste Häufchen, ca. 6 - 8
Mann, darunter einige deutschsprechende Leute, lief auf unsere Horchposten zu fortwährend
rufend: „Die Russen kommen“. Hinter ihnen kam auch tatsächlich die größere Menge der
russ. Patrouille. Durch diese List haben unsere Posten sich täuschen lassen und sind von den 6
- 8 Russen überrannt worden. Näher an unsere Stellungen heranzugehen getrauten sie sich
aber doch nicht.
Ein Unteroffizier von L. I. R. 349 beschoss die russ. Patrouille mit über 60 Schuss von einem
in der Nähe liegenden Posten. Den einzelnen Mann anzugreifen haben die Russen nicht
gewagt. Sie zogen vielmehr mit den 2 Posten ab. Dies ganze Scharmützel spielte ca. 200 m
vor unseren Stellungen, ohne dass von uns irgend etwas unternommen worden ist. Die
Infanterie behauptet, die Artillerie hätte nicht eingesetzt. Die Masch. Gew[ehre] haben aber
auch nicht geschossen. Ob die ganze Sache überhaupt sofort vom Graben aus bemerkt worden
ist, steht nicht fest.
Die Folge dieser Zwistigkeiten aber ist, dass die Infanterie die doppelte Zahl an Posten zu
stellen hat. Die Artillerie stellt einen Posten aus, um [auf] jedes Geräusch hin die Batterien
sofort zu alarmieren.
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[1917-02-19 Photo 1: getarntes Geschütz; 1917-02-19 Photo 2: getarntes Geschütz und 3
Soldaten, einer knieend].
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Freitag, 9. Januar [richtig: Februar] 1917.
Heute hat sich der Kreis der Offiziere unserer Batterie um 2 Köpfe erweitert.
Fischer und Grote sind von der Kriegsschule Kowel zurückgekommen. Unser
Beobachtungsdienst wird dadurch vollständig umgekrämpelt [sic!].
Gegen 5 Uhr heute nachmittag forderte die Infanterie plötzlich einige Controllschüße [sic!]
auf den Sp. 75 an. Unsere Grabenbeobachtung telefonierte an und die Batterie wurde
alarmiert. Zunächst entstand, da es schon dunkel war, ein großes Towabo [sic!]. Ganz
allmählich besannen die Kanoniere sich aber doch, und nach ca. 2 Minuten ging der erste
Schuß hinüber.
Sonnabend, 10. Februar 1917.
Heute im Laufe des Tages fand eine allgemeine Instruction der Neuankömmlinge statt. Die
russischen Stellungen etc. spielten dabei natürlich eine Hauptrolle.
Jetzt nach dem Abendbrot sitzen wir zu sechs gemütlich beieinander und frischen alte
Erinnerungen auf. Fischer unterhält uns schon seit einer Stunde mit allen möglichen und
unmöglichen Sachen. Er redet wie ein Grammophon. Wir sind es aber schon seit langem
gewöhnt und sträuben uns kaum noch gegen dies unabänderliche Übel. Wie immer hat er dem
Alkohol heftig zugesprochen. Saufereien bilden deshalb sein Hauptthema.
[1917-02-10 Photo Geschütz Personen: getarntes Geschütz und 5 stehende Soldaten, einer mit
großem Fernrohr].
Sonntag, 11. Februar 1917.
Heute abend ist der Leutnant Wiese vom Regimentsstab in die Batterie zurückgekommen. Im
Oktober wurde er zum Regiment kommandiert, um die Telefongeschäfte wahrzunehmen.
Mitte Dezember wurde er dann befördert und übernahm die Munitionsverteilung in der
Division. Jetzt gefällt es ihm bei den hohen Stäben anscheinend nicht mehr, und da ist er in
unsere Batterie zurückgekommen.
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Nachmittag[s] habe ich ganz unerwartet Bescheid bekommen, dass ich zu einem Kursus zur
Kriegsschule Kowel kommandiert bin. Dieser Kursus dauert ca. 7 Wochen und beginnt am
15. cr. Bisherigen Kursusteilnehmern hat die ganze Sache nicht gerade gefallen. Die
Ausbildung ist nämlich meist infanteristisch. Gerade der kommende Kursus soll beinahe rein
den taktischen Sachen der Infanterie zugewandt werden. Ein Inf. Hauptmann ist Leiter der
ganzen Einrichtung.
Hoffentlich wird’s aber einigermassen erträglich.
[1917-02-14 Photo Unterstand Scherenfernrohr: Eingang zu einem Unterstand mit
Kriegsgerät].
Mittwoch, 14. Februar 1917.
Heute morgen ist mein Kommando zur Kriegsschule Kowel aufgehoben worden. Zu meiner
großen Freude natürlich. Dies ewige Eintrichternlassen von Kriegswissenschaften macht
sicher keinen Spass.
Das Leben selbst in Kowel wäre wohl ganz erträglich geworden. Es hätte mir viel[e]
Neuigkeiten geboten. Etwas polnische und russische Sprache muss man ja doch mit nach
Haus bringen.
Mit passte vor allem aber der ganze Kursus nicht. So als alter Vice zwischen all den jungen
Unteroffizieren rumzuwirken, ist doch eine nicht gerade schöne Sache. –
Der Dienst in der Batterie wird jetzt immer abwechslungsreicher. Vormittag[s] war ich mit
einigen Leuten zum Inf. Schießstand, nach Mittag mit einer Kanone in unserer Scheinstellung,
um die russischen Schallmesstrupps mal etwas aufzumuntern. Hoffentlich haben sie die
Schüsse ganz genau gemessen.
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Donnerstag, 15. Februar 1917.
Heute nach Mittag schießt ein 21 cm Mörser in die russ. Stellungen, die in unserem Abschnitt
liegen. Wir sind vorher von dem Schießen benachrichtigt worden, um, falls die Russen
auskneifen sollten, das Intermezzo zu vervollständigen, die weglaufenden Leute beschießen
etc. – Vor einigen Tagen haben wir schon mal mit Flieger-Beobachtung geschossen. Leider
war die Entfernung aber zu groß. Wir konnten das Ziel, eine Batterie auf ca. 8400 m, nicht
erreichen. – Gerade eben schoß wieder eine Batterie mit einem Flieger, es war unsere 6.
Batterie, die ca. 8 km südlich von uns steht. Es war nur ein Schießen zu Übungszwecken. Die
Batterie schoss ganz auf der Front entlang in unseren Zielabschnitt hinein. Von unserer
Beobachtungsstelle aus konnten wir die Einschläge gut erkennen. – Der beobachtende Flieger
surrte dauernd über unseren Köpfen hin und her. Unser Flugzeug hat die Gelegenheit
ausgenutzt und Geschützexerzieren gemacht, damit, falls ein feindlicher Flieger kommt,
möglichst schnell und sicher geschossen werden kann. Jetzt beim Exerzieren haben wir die
scharfe Munition natürlich nicht eingesetzt. Eigene Flugzeuge trifft man nämlich viel eher, als
feindliche.
17. Februar 1917.
Heute mittag fand wieder einmal ein Übungsschießen mit Fliegerbeobachtung statt. Die 6.
Batterie nahm das Gut Wyshara mit all seinen Unterständen und anderen Befestigungsanlagen
unter Feuer. Es klappte ganz großartig. Die übrigen Batterien des Regiments mußten das
Schießen mit beobachten, um sich an die Zeichen des Fliegers zu gewöhnen. Das Einschießen
ging ziemlich schnell von statten. Dann folgte das Wirkungsschießen. Im ganzen wurden ca.
80 Schuss abgegeben. Bei dem klaren Wetter war die Beobachtungsmöglichkeit ganz
großartig. Jedes Zeichen des Fliegers war tadellos zu erkennen.
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[1917-02-17 Photo 1 Unterstand]
[1917-02-17 Photo 2 Unterstand].
106
[5. Heft]
[1917-02-19 Photo Erlaubnis: „Erlaubnisschein Nr. 156 zum Pfotographieren (sic!) im
Bereich der 91. Inf.-Division für Vizewachtmeister u. Offz.-Stellvertreter Borggräfe, 2./F.
M.[?] R. 277, 91. Infanterie-Division (Stempel), (gez.) Nitscher, Oberlt. d. Res.“]
Montag, 19. Februar 1917.
Heute mittag bin ich von unserer Grabenbeobachtungsstelle, linker Flügel Batl. Zweibrücken,
zurückgekommen. Letzte Nacht habe ich meinen Posten von 4.30 - 7 Uhr gestanden. Es war
ganz unausstehlich kalt. Um 7 Uhr waren es ca. 24° Kälte. Nachher wurde es dann aber ganz
bald wärmer. Auf den von der Sonne beschienenen Seiten der Gräben ist der Schnee schon
vollständig aufgetaut. Über Null ist das Thermometer den ganzen Tag aber nicht gekommen.
Gestern tauchte hier in der Batterie das Gerücht auf, daß wir wieder einmal Stellungswechsel
machen sollen. Unsere III. Abteilung ist in Anmarsch und muss hier im Regiments Abschnitt
untergebracht werden. Wir rücken deshalb näher an unsere Nachbarbatterie, die fünfte, hinan.
Die neue Stellung ist von den Pionieren schon vorbereitet, die Mannschaftsunterstände sind
fertig, allerdings hört damit die Herrlichkeit auf. All die anderen schönen Bauten, wie Hauptund Nebenbeobachtung, Telefonunterstand, Munitionslöcher etc. bleiben noch anzufertigen.
Na, hoffen wir’s beste.
Ein zweites Gerücht, allerdings ganz anderer Art, ist: daß ich zur Beförderung vorgeschlagen
worden bin. Es soll gestern ein Zirkularschreiben betreffs meiner Beförderung durch die
Batterie gekommen sein. – Hoffentlich kommt die Sache noch zum 22. März raus, wenn
überhaupt etwa daraus wird. Der 22. März ist nämlich großer Beförderungstermin.
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[1917-02-19 Photo 1: getarntes Geschütz; 1917-02-19 Photo 2: getarntes Geschütz und 3
Soldaten, einer knieend. Auch in Heft 4, Photos zu 06.02.1917].
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Donnerstag, 22. Februar 1917. Das Gerücht über unseren Stellungswechsel scheint sich zu
bewahrheiten. Heute haben wir schon einen Teil unserer Sperrfeuerpunkte von der neuen
Stellung aus eingeschossen. Die neue Feuerstellung liegt etwa 6 km weiter nördlich als die
jetzige in einer Heidefläche mit allerhand Kusseln [niedrige, verkrüppelte Kiefern]. Der
Boden in der ganzen Gegend besteht aus fast reinem Sand. Als Sommerstellung möchte es
sich dort wohl aushalten lassen, aber bis es einmal Sommer ist, müssen noch viele Wochen
vergehen und da sind wir ja lange wieder umgezogen.
In der bisherigen Stellung waren wir übrigens die längste Zeit: nämlich 9 Wochen.
[1917-02-23 Photo Gebäude: Holzbaracke im Schnee, auf der Rückseite handschriftliche
Notiz:] Dezember / Februar 1917. 1. Stellung nördlich Verchy [Virchy]. 10. Februar 1917.
Freitag, 23. Februar 1917. Heute morgen war ich wieder einmal in unserer neuen
Feuerstellung und wieder mit einer Kanone, um auf Sperrpunkte einzuschießen.
Montag, 26. Februar 1917.
Seit vorgestern, Sonnabend also, sind wir in der neuen Stellung am Nord-west-Hang der Höhe
168.
Die 9. Batterie unseres Regiments, die uns in der alten Stellung ablöste, kam gegen 4 Uhr
nachmittags an und übernahm sämtliche Utensilien, die wir zurücklassen mussten. Die
Beobachtungsstellen sollten von uns noch bis zum nächsten Mittag besetzt bleiben, um die
Herren der 9. [Batterie] über alles zu orientieren. Unsere Batterie kam gegen 6 Uhr in der
neuen Stellung an und richtete sich dort ein, so gut es eben ging.
Augenblicklich, und wohl auch die nächsten Wochen noch, wird mächtig gebaut. Es ist
nämlich garnichts fertig. Unterstände sind alle nur provisorisch, Munitionslöcher etc. fehlen
ganz.
Die Stellung selbst ist eine Stellung wie sie im Kriege eigentlich nicht vorkommen sollte. Sie
ist von den feindl. Stellungen direkt einzusehen. Unser Offz. Unterstand ist eine ganz
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großartige Beobachtungsstelle. Zwei russische B[eobachtungs].Stellen liegen uns frei
gegenüber.
Ich möchte jetzt eigentlich gern wissen, was in den nächsten 4 Wochen aus uns wird. Na,
hoffen wir’s beste.
Heute habe ich das F. A. Kreuz II bekommen.
[1917-02-26 Karte westl. Rußland: „Karte des westlichen Rußlands. Q 36. Trojanówka“]
Donnerstag, 1. März 1917.
Seit vorigen Sonnabend sind wir also in unserer neuen Stellung und bauen tagaus, tagein an
Unterständen und Munitionslöchern. Glücklicherweise ist das Wetter gut, es friert kaum und
schneit wenig, sonst wären wir aber auch vollständig aufgeschmissen.
Gestern und heute haben wir uns auf alle möglichen Ziele eingeschossen. Gestern nachmittag
mit dem Artilleriemesstrupp der 1. Landw[ehr]. Division, die südlich an uns anschliessend
steht. Leider kamen wir mit dem Einschiessen nicht zu Ende; es fing gegen 3 Uhr mächtig an
zu schneien. Gegen abend war es dann zu dunkel.
Heute früh war bei uns großes Schießen mit Infanteriegewehr und Handgranatenwerfen.
Gegen abend haben wir unseren Etat an Munition vervollständigt; es waren ca. 1700 Schuss.
Unter diesen 1700 Schuss waren ca. 1000 Langgranaten, von denen schon recht lange
gesprochen wurde, die aber immer nicht ankamen. Über das Schießen mit diesen Geschossen
sind wir noch garnicht im Bilde. Hoffentlich treffen die nötigen Anweisungen bald ein, damit
wir die Wirkung einmal sehen können.
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[1917-03-03 Photo Personen: 4 Soldaten am Kaffeetisch, handschriftliche Notiz auf der
Rückseite:] Unterstand bei Mielnica. 6. Dezember 1916.
Sonnabend, 3. März 1917.
Bis heute mittag war ich auf unserer Hauptbeobachtungsstelle am nordöstlichen Hang der
Höhe 164. Die ganzen Unterstände sind tadellos eingebaut. Man sieht selbst aus nächster
Nähe nichts außer den 2 Scheerenfernrohrlinsen [sic!]. Diese findet man aber auch nur, wenn
man genau weiß, wo sie sein müssen. Entdeckt werden wir dort also nicht ganz leicht, wir
müssten uns denn unvorsichtig benehmen; vielleicht den Ofen zu stark heizen oder etwas
ähnliches begehen.
Die Batterie hat heute wieder einmal mit Ballon und Art. Messtrupp-Beobachtung
geschossen. Anfangs klappte es wieder einmal garnicht. Die Sprengpunkte lagen immer zu
tief. Wir erreichten dann aber mit Libelle 42 und Regler 8 hoch die nötige Höhe. Von da ab
ging alles tadellos.
Heute abend habe ich von der 91. I[nfanterie]. Div[ision]. meinen Erlaubnisschein zum
Photographieren bekommen. Der angeforderte Jagdschein fehlt noch. Hoffentlich trifft er aber
auch bald ein.
111
Dienstag, 6 März 1917.
Meinen gestrigen Geburtstag habe ich, wie auch die beiden vorigen, garnicht gefeiert. Gestern
morgen war ich zum Baden nach Verchy [Virchy] und nachmittags musste ich in unsere
Hauptbeobachtung gehen.
Heute bin ich wieder von dort zurückgekommen und sitze jetzt um 9 Uhr abends im
Unterstand in unserer Feuerstellung in Volczy [Wolczy] Las.
[1917-03-09 Jagdausweis für Otto Borggräfe „im Gebiete der 91. Inf.-Divison“].
Freitag, 9. März 1917.
In unserer jetzigen Stellung vergeht die Zeit äußerst ruhig, aber auch eintönig. Wir schießen
von hier aus kaum. Wir würden dann ja auch sicher sofort entdeckt werden; die vor uns
liegende Höhe bietet kaum soviel Deckung, dass der Russe nicht direkt in unsere Unterstände
hineinsieht. Im Frühling zur Zeit der Schneeschmelze wird es hier aber sicher gut auszuhalten
sein. Der Boden besteht aus reinem Sand.
Unsere Beobachtungsstellen sind beide ziemlich wohnlich. Die HauptB.Stelle befindet sich
im alten Regiments Gefechtsstand L. I. R. 350, den wir jetzt von der Infanterie übernommen
haben. Die Grabenbeobachtung ist vorn in der ersten Linie. Dort sind wir ebenfalls in einem
Unterstand, den die Infanterie uns abgetreten hat, untergebracht. Bis auf kleinere Reibereien
vollzieht sich der Dienst dort unten ganz gleichförmig. Offiziere, Unteroffiziere und
Mannschaften stehen ihre 2 Stunden Posten, tags am Scheerenfernrohr [sic!] und nachts an
der Brustwehr, und lösen [sich] alle 24 Stunden ab, um dann 24 Stunden in der Feuerstellung
zu verbringen. Mit der Zeit wird dies allerdings furchtbar langweilig; aber der Mensch ist ja
ein Gewohnheitstier, er gewöhnt sich an alles.
Morgen soll unser neues Chateau angefangen werden. Der Entwurf wurde schon vor
mehreren Tagen fertig. Mit dem Bau konnte wegen dem jetzigen furchtbaren Schneewehen
aber bisher nicht begonnen werden. Hoffentlich wird das Wetter nun bald etwas besser.
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Montag, 12. März 1917.
Seit gestern haben wir einen Offizier der 3. Batterie, Ltn. Haubold, in unsere Batterie
bekommen. Ltn.Wiese ist auf Urlaub gefahren, nachdem Ltn. Jungfer [?] schon 3 Tage vorher
abgereist war. Als Vertretung ist nun Ltn. H[aubold]. zu uns gekommen.
Heute vormittag ist unser Oberltn. nach Kowel zum Theater gefahren. Er kommt
wahrscheinlich erst in 2 Tagen zurück.
Durch die Beurlaubung unserer Offiziere ist der Dienst wieder um vieles schlechter
geworden. Jeden zweiten Tag muss man auf die Beobachtung gehen. Einen Tag zur
Hauptbeobachtung, dann zur GrabenB.Stelle. In der Feuerstellung kommt man kaum zur
Besinnung. Nachmittags um 4 Uhr kommt man dort an und geht am folgenden Morgen um 12
Uhr wieder weg.
Mittwoch, 14. März 1917.
Laut Regiments-Befehl von gestern bin ich „zurückbefördert“ worden. Ich bin degradiert,
wieder Vice-Wachtmeister geworden. Meine Offizierstellvertreter-Epoche mit all’ ihren
Leiden und Freuden ist zu Ende. Nach dem Regimentsbefehl von gestern gibt es von jetzt ab
keine Einj[ährige]. Offz. Stellvertreter mehr. Jede Batterie hat dafür eine sogenannte
„besondere Offizierstelle“, in die ein Offz. Stellv[ertreter]. hineinkommt, der aber aktiver
Soldat gewesen und nicht Einj. sein muss.
In die Offz. Stellv. Stelle unserer Batterie kommt der Vice Wachtm. Sperber der 1. Batterie.
Die Versetzung ist schon erfolgt. Heute muss er sich bei uns melden.
Donnerstag, 15. März 1917.
Der Herr Offz. Stellvertreter Sperber hat gestern seinen Dienst angetreten und ist heute mittag
auf unsere Hauptbeobachtungsstelle gegangen. Bis soweit fühlt er sich hier bei uns nicht
gerade wohl. Er ist eine richtige Betriebsmotte, der das ewige Schweigen unseres
Batteriekommandanten nicht verträgt. – Na, hoffentlich wird unser neues Chateau in nicht
allzu langer Zeit fertig. Dann stehen uns mehrere Räume zur Verfügung und wir können uns
einigermassen austoben, oder wir können uns doch ganz ungestört unterhalten.
Freitag, 16. März 1917.
Zum Ausbruch der Revolution in Petersburg haben wir gestern in unserer Batterie ein kleines
Freudenfest veranstaltet. Ein „Hindenburg“ verlieh dem Abend die nötige Weihe. – Jetzt
10.20 [Uhr] vorm. kommt die Meldung, daß der Zar abgedankt hat. Zwei seiner Minister sind
zu den Revolutionären übergegangen. Die englischen und franz. Gesandten suchen die
Aufständischen zum Krieg zu stimmen.
113
[1917-03-15 Ansichtsskizze und 1917-03-15 Teile 1, 2, 3, 4, 5:] Ansichts-Skizze ab
B[eobachtungs].Stelle „Schwarz“.
114
Dienstag, 20. März 1917.
Seit zwei Tagen ist es sehr warm. Es taut Tag und Nacht. Gestern mittag hatten wir 8°
Wärme. Es ist ein furchtbarer Schlamm. Die Laufgräben zu unseren Beobachtungsstellen
stehen halb unter Wasser. Mit trockenen Füßen durchzukommen ist beinahe unmöglich.
Irgendwelche größeren Ereignisse gibt es hier nicht. Der Stochod ist wieder aufgetaut und
bildet mit seiner großen Breite ein natürliches, kaum zu überwindendes Hinderniss [sic!]. Ein
Angriff von irgendeiner Seite ist so gut wie ausgeschlossen. – Unser einziger Zeitvertreib ist
das „Auf die B.Stellen gehen“ und die „Übungen“, wie Feuerleitungsübungen mit und ohne
Telefonleitungen, bei Nebel und Nacht, die von unserem Artl. Kommandeur, Adler Oberst,
einem k. u. k. Bundesbruder, angeordnet werden. – Es ist zum Sterben zu langweilig.
Hoffentlich kommt unser Neubau bald so weit [voran], daß wir einige Räume in Benutzung
nehmen können.
[1917-03-20 Photo Gebäude 1, handschriftliche Notiz auf der Rückseite:] Wolczy Las April
1917 Wohnhaus i/Bau.
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[1917-03-20 Photo Gebäude 2, handschriftliche Notiz auf der Rückseite:] Wolczy Las April
1917 Wohnhaus i/Bau; [1917-03-25 Photo Gebäude, handschriftliche Notiz auf der
Rückseite:] Wolczy Las. April/Mai 17.
116
Sonntag, 25. März 1917.
Unser Chateau im Wald hinter unserer Feuerstellung geht seiner Vollendung entgegen.
Eigentlich wollten wir heute schon einziehen, aber wegen Mangel an Material, Bretter und
Nägel, wird es sicher noch eine Woche dauern, bis es ungefähr so weit ist.
Das Wetter ist schon ziemlich viel wärmer geworden in den letzten Tagen. Schnee liegt aber
immer noch viel. In manchen Gegenden, im Wald z. B., noch 1 m tief.
Aus meiner Beförderung scheint in diesem Monat nichts mehr zu werden. Der diesbezügliche
Termin im März ist der 22., und der ist ja schon um einige Tage überschritten. Na, hoffentlich
wird's dann im nächsten Monat.
Sonntag, 8. April 1917.
Laut allerhöchster Kabinettsorder vom 25. März bin [ich] nun doch Leutnant d. R. geworden.
Der Regiment[s]befehl vom 2. cr. brachte die Beförderung, und von dem Tage an leben wir
hier in unserer Batterie im Trall [sic!]. Heute habe ich noch 2 Fass Bier für die Mannschaften
geschmissen, um endlich zum Schluss zu kommen.
Morgen fahre ich auf Einkleidungsurlaub nach Warschau, und zwar auf 6 Tage (10. - 15. cr).
Die Abteilung schickt mir heute abend die Papiere, Ausweis und Fahrscheine.
Am 3. ds. Mts. ging hier bei uns ein schon seit langem vorbereiteter Angriff von Stapel. Er
klappte wie alle gut vorbereiteten Angriffe dieser Art. Ab 3 Uhr morgens schoss die russische
Artillerie, die anscheinend Lunte gerochen hatte, auf unsere Stellungen. Batterien und
B.Stellen wurden besonders heftig mitgenommen. Unsere Aufgabe war es an dem Tage, die
feindlichen Batterien, die gemeingefährlich auftraten, mit „Beruhigungsschüssen“ zu
übersäen. Ab 4.20 früh haben wir denn auch geschossen bis ca. 2 Uhr nachmittags.
Abwechselnd hielten wir während dieser ganzen Zeit, in der der Angriff vor sich ging, 3 - 4
Batterien unter Feuer. Jeden Augenblick rief diese oder jene unserer Batterien bei uns um
Hilfe an. Wir lenkten dann unser Feuer sofort auf die betr. feindl. Batterie und schon [nach]
einigen Schüssen bekamen wir meist den Bescheid, die Russen hätten das Feuer ihrerseits
eingestellt.
Der Munitionsverbrauch an dem Tage war 584 Schuss Langgranaten. Das ist die Geschossart,
auf die wir schon so lange aber bisher vergeblich warteten. Die Wirkung dieser Geschosse ist
ganz im[m]ens. Sie können nur als Az. m. Verzögerung verschossen werden. Auf kurze
Entfernung ergibt dies Az. m. V. Geschoss Abpraller und hat Gr. Bz. Wirkung.
Freitag, 20. April 1917.
In den letzten 2 Wochen boten sich mir verschiedene interessante, bemerkenswerte Sachen.
Vom 10. - 15. [April] war ich nach Warschau beurlaubt, um mich einzukleiden. Die dort
verlebten Tage waren sicher meine großartigsten und feudalsten in den letzten 2 Jahren.
Gewohnt habe ich im Hôtel de Rome in der Trebacha. Ich hatte mich von der Kommandantur
dort einquartieren lassen. Man wohnt dort sehr ruhig und ungestört. Meine Tage dort in
Warschau habe ich gut ausgenutzt. Zweimal war ich in der großen Oper, dann im Theater
Nowosci und im deutsch-jüdischen Theater. Die besuchten Vorstellungen waren Cop[p]elia,
Bajazzo, die
117
[1917-04-20 Photo Personen 1, handschriftliche Notiz auf der Rückseite:] Blockhaus Wolczy
Las 25. April 1917. F.Ltn. Jungfer, Ltn. Wiese, ViceW. Palitsch, Oberltn. Siehr, Ltn.
B(orggräfe)., ViceW. Fischer, Grote.
[1917-04-20 Photo Personen 2, handschriftliche Notiz auf der Rückseite:] Ltn. Schmidt
5/277, Ltn. Ude 5/277, Ltn. Borggräfe 2/277, Ltn. Franke 2/277.
118
Tschardasfürstin [sic!] und Gri-Gri16. Vor- und nachmittags bin ich viel spazieren gegangen,
um die Sehenswürdigkeiten Warschaus kennen zu lernen.
Am 15. bin ich dann zur Batterie zurückgefahren. Ankunft dort abends 9 Uhr.
Seit vorgestern spiele ich hier Batterieführer. Oberltn. Siehr und auch Lt. Wiese sind zu einem
Übungsschiessen nach Hubno, ca. 30 km von hier. Heute abend kommen sie wahrscheinlich
zurück.
Freitag, 27. April 1917.
Die letzte Woche ist wieder mal ohne größere Ereignisse vergangen. Beobachtungsdienst
wechselt ab mit Dienst in der Batterie. Unsere Hauptbeobachtung steht, man kann wohl
sagen, glücklicherweise unter Wasser; wir besetzen sie deshalb nur am Tage und können
wenigstens nachts ruhig schlafen in unserem schönen Wohnhaus in der Feuerstellung.
Heute abend gehe ich auf unsere Grabenbeobachtung und bleibe 24 Stunden dort.
Morgen fährt unser Batterieführer Obltn. Siehr wahrscheinlich auf Urlaub. Dafür kommt Ltn.
Francke, bisher 9. Bttr., zur Vertretung zu uns. Heute früh war er schon bei uns, um sich über
alles zu informieren.
Sonntag, 29. April 1917.
Leutnant Fran[c?]ke ist bei uns eingetroffen und hat die Batterie übernommen, d. h.
vertretungsweise für 3 Wochen. Ltn. Wiese hat den Flakzug 1. Bttr. [übernommen?] und Vice
Wachtm. Palitsch ist zur 3. Bttr. abkommandiert. Bei uns ist die Zahl der königl.-preussischen
Offizier-Soldaten, der Aspiranten also mächtig zusammengeschrumpft. Feldw. Leutnant
Jungfer [?] ist Regiments-Geräteoffizier geworden. Für die Batterie selbst kommen also nur
noch 2 Vice Wachtmeister und ich als Offiziersoldat in Betracht.
Freitag, 4. Mai 1917.
Bis heute abend war ich auf unserer Hauptbeobachtung. Bei dem herrschenden hellen Wetter
sind die russischen Stellungen sehr gut zu erkennen. Ein Infanterist meinte heute, nachdem er
eine zeitlang den russischen Wald durchs Scheerenfernrohr [sic!]angesehen hatte, „Man kuckt
ja durch de Bäume durch“.
In unserem Regiment schwebt seit einiger Zeit ein Gerücht, wonach in nächster Zeit 7
Offiziere zum westlichen Krieg[s]schauplatz abgegeben werden sollen. Unter diesen 7 Herren
befinde auch ich mich. Wann die Abgabe vor sich gehen soll, ist noch nicht bestimmt.
Hoffentlich trifft man drüben ein gutes Regiment.
Mittwoch, 9. Mai 1917.
Bis jetzt habe ich von meinem Wegkommen in ein anderes Regiment nichts näheres gehört.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird auch nichts davon. – Man redet schon davon, daß das
ganze Regiment abgelöst werden soll. Eine Division ist vom Westen nach hier unterwegs. Ob
sie nun gerade in unsere Stellung kommen soll, weiß aber noch niemand bestimmt.
Die Russen verhalten sich hier vollständig ruhig. Man sieht kaum irgendwelche Bewegung in
den feindl. Stellungen. Flieger kommen überhaupt nicht mehr. – Heute nachmittag steckte die
russische Infanterie ein großes weißes Zeichen aus ihrem Graben. Was das bedeuten sollte,
wußte bei uns niemand; man zerbrach sich den Kopf beinahe darüber. Dann, es war gegen
vier Uhr, fing die russische Artillerie plötzlich an auf dies Zeichen zu schiessen. Es fielen
ungefähr 20 Schuss. – Einer unserer Unteroffiziere witterte schon eine Revolution im
feindlichen Lager und sah Überläufer zu tausenden. Aber es kamen keine. Das Zeichen steht
auch noch.
16
Operette von Paul Lincke.
119
[1917-04-29 - Photo (1) Person + (3) Pferde, handschriftliche Notiz auf der Rückseite:]
Hasemann im Wolczy Las. Mai 1917; [1917-04-29 - Photo (2) Reiter, handschriftliche Notiz
auf der Rückseite:] Wolczy Las. Mai 1917. Ltn. Franke, Ltn. Borggräfe.
120
Sonntag, 13. Mai 1917.
Heute nachmittag habe ich den Befehl bekommen, wonach ich zum Westen komme. Ich muss
mich in Charleville melden. Morgen nachmittag 5.30 Uhr fahre ich mit noch 2 Offizieren
unserer Abteilung vom Bahnhof Sosiczno [?] ab.
[1917-05-13 - Ausweis:] „Ausweis. Im Felde, den 13. Mai 1917. Leutnant d. R. Borggräfe der
2. Batterie Feldartillerie – Regiment 277 ist gemäss K.M. Allgemeines Kriegs-Departement
Nr. 2216 Nr. Va IV zur Heeresgruppe Deutscher Kronprinz über Charlesville zum A.O.K. I in
Marsch gesetzt. A. B. (gez.) Siemons. Leutnant u. Adjudant.“
[1917-05-13 - Entlausungsschein:] „Entlausungsschein. Leutnant der Res. Borggraefe der 3.
Batterie Feldartillerie-Regiment 277 ist vorschriftsmäßig entlaust. Den 13. Mai 1917, Der
Abteilungsarzt, [gez.] I. V. [Name unleserlich]. Feldunterarzt“.
121
[1917-05-13 - Fahrschein, Vorderseite und Rückseite].
Dienstag, 22. Mai 1917.
Heute früh bin ich in Charleville angekommen und habe mir das Städtchen angesehen. Der
Kronprinz war gerade anwesend. Er flitzte mit seinem Auto durch die Straßen. Von der
erhofften Begrüßung ist deshalb nichts geworden. Gegen [...?] großes Treffen der neu zum
122
Westen kommenden Offiziere am Bahnhof. 14 Leutnants von den F. A. R. 2, 277 und 284
fanden sich ein.
Augenblicklich sitzen wir [im] Offz.-Kasino in Rethel bei einer Flasche Wasser.
Morgen früh wollen wir uns beim A. O. K. I melden, und dann wirds wohl nach vorn gehen.
Donnerstag, 24. Mai 1917.
Gestern war der Kaiser hier in Rethel. Mit dem Kronprinzen zusammen ist er nach vorn
gefahren. Er wollte eine Division, die aus Stellung gekommen ist, besichtigen.
Jetzt sitze ich auf dem Bahnhof Rethel und warte auf den Zug nach Inniville. Dort liegt das
Kommando der Gruppe Prosnes [?], der ich zugeteilt bin.
Das Leben und Treiben hier in Rethel gleicht dem einer Großstadt. Es fehlen nur die
Civilisten männlichen, aber vor allem weiblichen Geschlechts auf den Straßen.
Letzte Nacht haben franz. Flieger einen Angriff gemacht. Anscheinend hatten sie es auf das
A. O. K. abgesehen. Ob sie irgendwelchen Schaden angerichtet haben, weiß ich nicht.
Zerstörungen etc. sind mir jedenfalls nicht aufgefallen.
Freitag, 25. Mai 1917.
Ich bin in der Batterie angelangt, 4. Batterie F. A. R. 283. 33. Inf. Division. Gestern abend hat
uns ein Wagen von Inniville abgeholt. Unsere Protzen liegen etwa 1000 m südlich von
Lattenville im Wald in Biwak. Die Feuerstellung ist ziemlich weit von hier entfernt. Heute
nachmittag gehe ich nach dort.
Die Einteilung des Regiments ist: I. Abteilung Feldkanonen 96 n/A., II. Abtlg. Haubitzen
98/09 und die III. Abtlg. K. i. H. L 35.
Der jetzige Batterieführer ist ein Ltn. Scholz, der noch jünger ist als ich. Die Batteriegeschäfte
werde ich ihm aber durchaus nicht streitig machen.
[1917-05-22 Photo 1, auf der Rückseite handschriftlicher Vermerk:] Protzenlager Champagne
25.5.17. Hofferbarth, Schneider, Borggr[äfe].
123
[1917-05-22 Photo 2, auf der Rückseite handschriftlicher Vermerk:] Protzenlager 4/283
i/Champagne, V[ize]. W[achtmeister]. Achtmann, V. W. Jarns [?], Sgt. [Sergeant] Trauschke;
1917-05-22 Photo 3, auf der Rückseite handschriftlicher Vermerk:] Protzenlager Champagne.
124
Sonntag, 27. Mai 1917.
Seit gestern abend bin ich in der Feuerstellung. Um ca. 5 Uhr kam ich an. Die Batterie schoss
gerade Sperrfeuer; vor uns am „Lug ins Land“ machten die Franzosen einen Angriff. Das
Ergebnis dieses Angriffes wissen wir noch nicht. Eine Verbindung nach vorn besteht nicht.
Schießbefehle usw. bekommen wir durch Raketensignale. – Die Infanterieoffiziere, die
längere Zeit vorn gewesen sind, können uns keine Angaben über die Lage unserer Linien
machen. Wir tappen deshalb immer so halb im Dunkeln. –
Bis ca. 12 Uhr haben wir fast unausgesetzt geschossen auf alle möglichen Ziele. Meist war es
aber Sperrfeuer. Im Laufe des gestrigen Tages haben wir ca. 1300 Schuss abgegeben; das ist
ein Viertel von dem, was die 2/277 von Oktober bis jetzt verschossen hat.
Heute früh gegen 2 Uhr bin ich auf die Batterie-Beobachtungsstelle gezogen, die auf dem
Mont Aigu ist, ca. 500 m westlich der Feuerstellung. – die Beobachtung selbst ist auf einem
Baum eingerichtet, der ganz einsam auf einem Wege steht. In der Baum Krone ist eine kleine
Plattform mit dem Scherenfernrohr. Die Sicht auf die feindl. Stellungen ist gut. Gerade vor
uns liegt der Cornillet, ein Berg, der seit dem 21. ds. Mts. in franz. Händen ist. Wo die
Franzosen sich dort aber aufhalten, weiss niemand. Links, d. i. östlich, anschliessend sind der
Hexensattel, „Lug ins Land“ und der „Hochberg“.
Heute nachmittag haben wir uns auf einige Gräben, in der die Franzosen letzte Nacht
eingedrungen sind, eingeschossen. Nächste Nacht sollen sie wieder hinausgeworfen werden.
[1917-06-10 - Offiziers-Besetzungsliste: Eingeklebtes hektographiertes Blatt, von fremder
Hand geschrieben: „Feldartl. Regiment N° 283, den 10. Juni 1917. Offizier-Besetzungsliste“]
125
[1917-05-27 Photo 1, auf der Rückseite handschriftlicher Eintrag:] Baumbeobachtung. Mont
Aigu. Champagne; 1917-05-27 Photo 2, auf der Rückseite handschriftlicher Eintrag:] Mont
Aigu in das Aisne-Tal. Blick vom Mont Aigu auf die Aisne, Champagne.
Montag, 28. Mai 1917.
Heute ist der 2. Pfingsttag. Die Sonne scheint hell und klar, die ganze Natur atmet Frühling.
Hier im Abschnitt Prosnes hat man aber kaum Zeit, sich Gedanken an zu Hause und die
Heimat überhaupt hinzugeben. Gerade heute aber auch gestern ist wie toll geschossen
worden. Heute früh ging es schon um ½1 Uhr los. Die auf Lug ins Land eingedrungenen
Franzosen sollten hinausgeworfen werden. Leider ist es nicht geglückt. Kommende Nacht soll
es nochmals versucht werden.
In unserem linken Nebenabschnitt ist heute sehr intensiv geschossen worden. Wir
beabsichtigen dort einen Angriff auf den Pöhlberg.
Augenblicklich schießen die Langrohrbatterien, um die franz. Artillerie zu beruhigen. Es
gelingt aber nur zum Teil. Eine feindl. 28 cm oder gar 30,5 cm Batterie schiesst äußerst heftig
auf einer unserer Nachbarbatterien; ob und welche Wirkung sie dort erzielt, kann ich von hier
aus nicht erkennen. Punkt die Sprengkraft der Geschosse ist aber ganz ungeheuer. –
126
Seit gestern tauchen bei uns Gerüchte auf, dass wir von hier wegkommen sollen. Heute hörte
ich schon, dass in der kommenden Nacht ein Zug unserer Batterie herausgezogen würde. Ein
wirklicher Befehl ist aber noch nicht da. – Hoffentlich bleiben wir nicht mehr allzulange hier;
das ganze Regiment hat schon sehr gelitten. 2 Batterien, die 1. und 8., sind so ziemlich ausser
Gefecht gesetzt. Unsere Batterien hat in dieser Stellung, d. i. seit dem 5. ds. Mts., 6 Tote und
15 Verwundete gehabt. Dazukommt eine große Anzahl Kranker, sodass von den Kanonieren
der Feuerstellung nicht allzu viel übrig ist. Von den Offizieren ist keiner mehr da.
[Siehe auch beigefügtes Messtischblatt mit allen Stellungen und Kampflinien: „(Blatt 11 u.
12) Vauquois II. Ausgabe Mai 1917“.]
[1917-05-28 - Die Champagne: hektographierte perspektivische Zeichnung von fremder
Hand:] Die Champagne.
Montag, 28. Mai 1917.
Der Befehl zum Abrücken (1. Juni) ist da. Noch diese Nacht sollen wir herausziehen zu
unseren Protzen ins Lager. Dort sollen wir 24 Stunden bleiben und endgültig von hier
abmarschieren. Die Freude hierüber ist in der Batterie groß. Nun endlich soll sie von den
Gefahren und Strapazen der Champagne, der Doppelschlacht „Aisne-Champagne“ befreit
werden.
Augenblicklich, es ist gegen 12 Uhr nachts, wird gepackt und alles aufgeräumt, um die
Batteriestellung in möglichst gutem Zustand zurückzulassen.
127
[1917-05-30 - Reg. Tagesbefehl: Maschinenschriftlicher Durchschlag „Abschrift. Feld-Artl.Reg 283. Im Felde, den 30. Mai 1917. Regiments - Tagesbefehl … gez. Gaede. Major u.
Regiments-Kdeur.“].
128
[1917-05-28 Photo 1 und Photo 2, auf der Rückseite jeweils handschriftlicher Vermerk]
Brecy.
129
[1917-06-01 Photo 1, auf der Rückseite handschriftlicher Vermerk] Brécy [Blick ins Tal];
1917-06-01 Photo 2, auf der Rückseite handschriftlicher Vermerk:] Im Protzenlager bei Brecy
[Veranda an Wellblechbaracke mit 3 Soldaten].
Freitag, 1. Juni 1917.
Wir liegen in der Nähe von Brecy an der Aisne in Biwak.
Am Mittwoch morgens gegen 3 Uhr kamen unsere Protzen in der Feuerstellung an, um die
Geschütze abzuholen.
Bei einer unserer Lafetten waren noch im letzten Augenblick beim sogen. Abschiedsschiessen
die Vorholfedern gebrochen. Wir mussten das Rohr mit Gewalt vorbringen, um die Lafette
überhaupt mitnehmen zu können.
Gegen 5 Uhr kamen wir im Protzenlager an. Den Tag überhaben wir dann alles in Ordnung
gebracht. Die Mannschaften sind neu eingekleidet, die Geschütze sind gereinigt worden und
seit mehreren Tagen haben wir uns zum ersten Male gewaschen. Alles machte einen frischen
Eindruck.
Vorgestern nachmittag sind wir dann abmarschiert. Unser Weg führte uns durch La Neuville,
Ville-sur-Retourne, Mont-St.Remy nach Machault. In Machault kamen wir gegen 1 Uhr an
und hielten im Dorf, um unsere Pferde zu tränken. Plötzlich, wir wollten eben abrücken, warf
ein französischer Flieger 4 oder 5 Brandbomben auf das Dorf ab, wahrscheinlich, um die dort
stationierte Fliegerstaffel zu zerstören. Getroffen hat er ein großes Gehöft, das sofort in hellen
Flammen stand. Es leuchtete uns nachher lange auf dem Wege, den wir weiterzogen.
Kurz vor Semide sind wir dann in Quartier gegangen, um einige Stunden von den
Anstrengungen des Marsches auszuruhen.
Gegen 5 Uhr gestern früh ging es schon wieder weiter durch Semide, Mont-St.Martin nach
Brecy.
130
Um 12 Uhr ca. trafen wir auf unserem Biwakplatz ein.
Wir liegen auf dem Nordufer der Aisne an den Hängen der Berge. Unsere Pferde weiden im
Tal im fetten Gras. Heute sielen sie sich schon rum und fangen an übermütig zu werden.
[1917-05-28 - Balck-Abschrift: Maschinenschriftlicher Durchschlag „Abschrift. 51. Res.-Div.
II a Nr. 6953 v. 28 5. 17. … An das Feld-Artl.-Reg. 283. (Die Aushändigung des E.K.I.Kl.
erfolgt durch mich.) gez. Balck. Generalleutnant u. Div.-Kdeur.“].
131
Sonntag, 3. Juni 1917.
Einen Marsch von 26 km haben wir hinter uns. – Heute früh 5 Uhr sind wir aus der
Ardennenschlucht bei Brécy an der Aisne abmarschiert und sind den Wassern bis Termes
gefolgt. Dann ging es Aire aufwärts über Grandpré, St. Juvin, Fléville nach Exermont.
Um ca. 1 Uhr heute mittag sind [wir] in einem Protzenlager etwa 1000 m östlich Exermont
angekommen. Noch heute abend sollen wir in Stellung kommen und in eine Feuerstellung mit
der Nummer 708. Wo sie ist wissen wir z. Zt. noch nicht. Unser Hauptmann ist aber ins Dorf
gefahren, um Erkundigungen einzuziehen. – Eine genauere Beschreibung der Lage folgt
demnächst. Im Augenblick übersehe ich den ganzen Betrieb noch nicht.
Dienstag, 5. Juni 1917.
Vorgestern abend sind wir in unserer Feuerstellung angekommen.
Gegen mittag kamen wir an dem Tage in einem Lager bei Exermont an. Der Marsch ging
ohne jeden Zwischenfall von statten. Die Pferde hatten sich in den 2 Tagen Ruhe gut erholt.
In St. Invin fanden wir unsere vorausgeschickten Leute und die 2 Munitionswagen vor und
nahmen sofort alles mit. Eigentlich sollten wir im Dorf Sommerance in Quartier kommen,
fanden dort aber keinen Platz mehr und machten deshalb kurz vorher kehrt und fuhren nach
Exermont.
Gleich nach mittag kam Befehl, ein Zug sollte noch den Abend einen Zug der 8./43. F. A. R.
ablösen. Als Vorkommando und um die Feuerstellung zu übernehmen bin ich schon
nachmittags hinausgeritten.
Augenblicklich sitze ich als stellvertretender Batterieführer in der Feuerstellung. Hauptmann
Fahle ist auf Urlaub und da führe ich die Batterie, weil ich ältester Offizier in der Batterie bin,
wahrscheinlich während der 3 Wochen. Gestern und heute habe ich mich auf Sperrfeuer und
die Grundrichtung (Hauptrichtungspunkt) eingeschossen. Leider streuen unserer Haubitzen
ziemlich stark, und man muss ganz vorsichtig schiessen, damit ja kein Schuss in die eigene[n]
Stellung kommt.
[1917-06-05 Photo 1, mit Vermerk auf der Rückseite:] Ltn. Scholz b/Varennes Juni/Juli 17
[lesend in Hängematte].
Donnerstag, 7. Juni 1917.
132
Gestern ist unsere Gruppe A. eingetroffen. Es ist der Stab unserer I. Abteilung, der im
„Steinhaus“ an der Straße nach Varennes wohnt. Gruppenkommandeur ist Hauptmann von
Jena, Adjt. Ltn. Weise. –
Gestern nachmittag war hier in der Nähe große Parade. Der Kaiser hat die 33. Inf. Div.
besichtigt. Von unserer Batterie waren 2 Unteroffiziere und 12 Mann dabei. Ein Kanonier,
Möbius, hat das Eiserne Kreuz II. vom Kaiser selbst bekommen. Er ist geradezu
überglücklich. Er ist auch der einzige der ganzen Batterie, dem S. M. die Hand gegeben hat
jetzt und überhaupt. – Hauptmann von Jena hat bei der Gelegenheit den Hohenzollernschen
Hausorden 3 Kl. mit Schwertern bekommen.
[1917-06-05 Photo 2, mit Vermerk auf der Rückseite:] b/Varennes Juni/Juli 17 [Wolldecken
werden im Wald gelüftet]; 1917-06-05 Photo 3, mit Vermerk auf der Rückseite:] b/Varennes
Argonnen Juni/Juli 17 [Otto Borggräfe stehend in einer Eingangstür].
133
[1917-06-07 Photo 1, mit Vermerk auf der Rückseite:] b/Varennes 1.7.17. [Soldat auf einem
Pferd]; 1917-06-07 Photo 2, mit Vermerk auf der Rückseite:] Ltn. Scholz [stehend in einer
Eingangstür].
134
Montag, 11. Juni 1917.
Seit 2 Tagen regnet es fast unausgesetzt. Hier in den bergigen Argonnen würde es ja weiter
nicht schaden, das Wasser läuft schnell ab, aber man regnet zu häufig dabei durch.
Vorgestern habe ich die Batterie ganz neu eingeschossen, wir haben neue Sperrfeuerräume
bekommen, und da war ein vollständig neues Einschießen nötig.
Vor drei Tagen ist vom Regiment aus ein neuer Batterieführer, Ltn. Hermann der 5. Bttr.,
vertretungsweise bestimmt worden. Bis jetzt ist er aber noch nicht aufgetaucht. In der 5. Bttr.
fühlt er sich anscheinend ganz wohl. Mir wäre es aber ganz recht, wenn er nach hier käme.
Zum Batterieführer bin ich ja doch viel zu junger Offizier, und weshalb soll ich mich da jetzt
mit den Batteriegeschäften plagen.
[1917-06-11 - Teile 1, 2, 2a, 3, 4, 5 bzw. Ansicht Beob-stelle: „W. Michaelis, V.Wachtm.,
4/283: (Farbige) Ansichtsskizze von B./Stelle 710  2235“].
135
Dienstag, 12. Juni 1917.
Ltn. Hermann hat sich krank gemeldet und verbleibt in der 5. Batterie. Ich werde da wohl
weiterhin Batterieführer spielen müssen. Mit welchen Gefühlen ich diese Nachricht
aufnehmen soll, weiß ich augenblicklich noch nicht. Mit der Führung einer Batterie sind für
einen so jungen Offizier, wie ich bin, mehr oder weniger Unannehmlichkeiten verknüpft. Von
den älteren Batterieoffizieren der anderen Batterien des Regiments beneidet, ist man ihren
Ränken und Nachstellungen ausgesetzt. – Man wird ja ziemlich gleichgültig solchen Intrigien
[sic!] gegenüber, aber lieber wäre mir doch, ein älterer Offizier würde mit der
vertretungsweisen Führung der Batterie betraut.
Sonnabend, 16. Juni 1917.
Ein Tag vergeht hier wie der andere. Etwas besonderes passiert kaum. Im Laufe des gestrigen
Tages hat der Franzose viel in die weiter zurückliegenden Dörfer geschossen. Welche
Resultate er erzielt hat, weiß ich aber nicht. Meistens erreicht er garnichts durch diese
Schüsse.
Heute früh ist ganz großartiges Wetter. Die Sonne scheint schon seit Hellwerden. Unter uns
im Tal liegt noch einiger Nebel, in einer Stunde wird aber auch der verschwunden sein, und
dann ist es ein herrlicher Sommertag. – Die Flieger ziehen langsam ihre Kreise, daneben
liegen kleine Sprengwölkchen.
Freitag, 22. Juni 1917.
In den letzten Tagen war hier ziemlich reger Betrieb.
Vorgestern war große Besichtigung der Sperrfeuer durch den Gruppenkommandeur, und
gestern früh war der General der Artillerie des 3. A. K. bei uns in der Feuerstellung. Alles im
Lot, wie er selbst sagte.
Heute morgen ist Ltn. Scholz nach Berlin abgereist zum Gaskursus. Anschließend hat er
Urlaub. Vor vier Wochen wird er also kaum zurückkommen. Ltn. Jülich ist gestern wieder
aufgetaucht. Er hält sich bei unseren Protzen auf, kommt nicht in die Feuerstellung sondern
will auch auf Urlaub fahren. Ob Hauptmann Fahle schon am 30. Juni wiederkommt fragt sich
noch. Er soll Nachurlaub eingereicht haben. Ich werde deshalb wohl noch eine ganze Zeit
allein sitzen und an Urlaub garnicht denken dürfen.
136
[1917-06-16 Photos 1, 2, 3 , jeweils mit Vermerk auf der Rückseite:] 20.6.17
Sperrfeuerprüfen b/Varennes Hpt. v. Jena.
137
[1917-06-22 Photo 1: doppelläufige Kanone mit Soldat; Photo 2: Gruppenfoto Soldaten].
Donnerstag, 28. Juni 1917.
Die Zeit vergeht furchtbar schnell. Jeder Tag bringt mehr oder weniger bemerkenswerte
Ereignisse, vor allem aber sehr viel Arbeit. Hier in den Argonnen wird ein richtiger
Papierkrieg geführt.
Heute nachmittag habe ich großes Wirkungsschießen gemacht auf eine feindl. Batterie, die ca.
6000 m entfernt stand. Eingeschossen habe ich mit einem Flieger. Es klappte tadellos. Genau
wie es unsere Schießvorschrift sagt, habe ich die Batterie eingabeln können bis auf eine 50 m
Gabel. Dann meldete der Flieger: 4 Treffer im Ziel. Das Einschießen war nun zu Ende. Für
das Wirkungsschießen wurden mir 200 Schuss zur Verfügung gestellt. Das ganze Schießen
erstreckte sich nur über 1½ Stunden. – Der Flieger kam um 6 Uhr nachm. und um 7½ war
alles zu Ende.
138
[1917-07-01 Photo 1, mit handschriftlichem Vermerk auf der Rückseite:] 2.7.17.
Schimpfhöhe [?] [zerstörter Wald nach Kampfhandlung]; [1917-07-01 Photo 2, mit
handschriftlichem Vermerk auf der Rückseite:] Badeanstalt Juni/Juli 17.
139
Sonntag, 1. Juli 1917.
Gestern morgen habe ich die Protzen unserer Batterie inspiziert und allerlei Mängel
festgestellt. 18 Pferde waren wegen Räude in Behandlung kommen. Der WachtmeisterDienst-Tuer, ein Uffz. Ludolphi, hatte alles verkommen lassen. Von Pferdpflege hat er keine
Ahnung. – Mit dem Oberveterinär hatte [ich] dann eine große Auseinandersetzung, die mit
einem Frühschoppen im Kasino Sommerance endete. Alles ist jetzt wieder in Ruhe und
Frieden.
Heute früh war große Sitzung aller Regimentsoffiziere im Steinhaus in Varennes. Der
Regimentskommandeur, Major Gaede, hielt uns einen stundenlangen Vortrag über Ehrenrat,
Ehrengericht pp. Dann war Besprechung der Champagne-Erfahrungen. Zum Schluss wurde
ein recht interessantes Thema durchgesprochen.
Mein Batterieführer, Hptm. Fahle, hat gestern die Gruppe A. übernommen; Hptm. v. Jena ist
auf Urlaub gefahren. In den nächsten 3 Wochen werde ich da wohl noch Batterieführer
spielen müssen.
Im verflossenen Monat hat die 4. Batterie unter meiner Führung ganz gut abgeschnitten, was
Ausbau der Stellung betrifft. Die Berichte, die hierüber an den Art.-Kommandeur gegangen
sind, sollen die 4. Batterie ziemlich herausstreichen. Der Adjudant [sic!] des Arko
[Artilleriekommandeurs] und verschiedene Regiments-Offiziere berichteten mir davon. – Bis
jetzt bin ich auch noch in keiner Weise aufgefallen, wenigstens nicht auf unangenehme Art.
Das „Angenehm-Auffallen“ soll man aber ja auch möglichst vermeiden, es führt doch zu
Unzuträglichkeiten.
[1917-07-04 - Wahlzettel: „Wahlzettel! Zur Neubildung des Ehrenrats des Regiments wähle
ich … Im Felde, den 5. Juli 1917, Name: Borggräfe, Dienstgrad: Ltn. d. Res.“].
Mittwoch, 4. Juli 1917.
Ich bin auf dem Vangnois gewesen und habe mir von dort das Gelände angesehen. Die Sicht
war sehr gut. Die Luft war klar, nur in der Ferne lag leichter Dunst auf dem Felde. – Gestern
morgen um 7 Uhr in [ich] Nacht dort von der Batterie weggegangen und um 12 Uhr war ich
zurück. Es war ein schöner Weg. Man geht immer in den Tälern entlang, durch Varennes und
dann durch die großen Obstgärten an den Berghängen. Besonders die Apfelbäume trugen viel
Früchte. Reif war leider noch garnichts, die Kirschen aber waren schon alle herunter.
Vice Wachtm. Koch ist am 28. vorigen Monats befördert worden. Leider ist er zur 2. Batterie
versetzt worden. Ich hätte mich sehr gut mit ihm vertragen. Heute kam die Beförderung
heraus und habe ich ihm gleich ein Telegramm geschickt. Er wird sich riesig freuen.
140
[1917-08-08 Photo 1: 3 Soldaten am Tisch, in der Mitte Otto Borggräfe;
1917-08-08 Photo 2: Otto Borggräfe, lesend in der Hängematte].
Sonntag, 8. Juli 1917.
Es werden jetzt täglich Feuerleitungsübungen pp. in unserer Gruppe abgehalten.
Gestern früh hat Major Gaede 5 Stunden mit den Führern der 3., 4. und 5. Batterie auf der
Gruppenbeobachtungsstelle gesessen. Es war geradezu sterbenslangweilig. Anfangs wurde[n]
dies und jenes Sperrfeuer geprüft und nachher bekam jeder Batterieführer eine kleine
Schießaufgabe. Um aber Munition zu sparen wurden nur einige Schüsse auf jedes Ziel
abgegeben.
Heute hält der stellvertretende Gruppenführer eine ähnliche Übung ab. Um 1 Uhr sollte die
Sache vor sich gehen, jetzt um 2½ weiß ich aber noch nicht, was los ist und was werden soll.
–
In den letzten Tagen haben wir sehr viel Munition gefahren. Die Batterie musste 1000 Schuss
alte Munition abliefern und bekam dafür ebensoviel gute, brauchbare Geschosse zurück. Bei
den hiesigen Transportverhältnissen war dieser Umtausch eine ganz ungeheuere Arbeit.
Ganze 2 Tage ist mit allen Leuten unausgesetzt daran gearbeitet worden. Die Argonnenbahn
liefert die Munition bis etwa 700 m von unserer Batterie und eine Förderbahn. Hier wird die
Munition gefördert und dann per Lore an die Geschütze gefahren. Dies sieht zunächst ganz
einfach aus, es geht aber sehr langsam. – Zunächst kommt die Argonnenbahn nicht über die
Steigungspunkte hinweg, die unten im Tal zu überwinden sind. Mit einem voll beladenen
141
Wagen gleitet die kleine Lokomotive immer wieder zurück. Unsere Kanoniere müssen da mit
schieben. – Der Fördererstuhl bleibt häufig auf halber Höhe hängen, der Motor kann nicht
mehr. Auch hier müssen unsere Kanoniere helfend eingreifen. Zuweilen saust der Stuhl auch
von oben hinunter ins Tal. Ein Unglück ist bis jetzt nicht dabei vorgekommen. Die Geschosse
spritzen dann nur so durch die Gegend. Von diesem Fahrstuhl aus müssen unsere Kanoniere
die Munition dann in die Feuerstellung fahren über viele Steigungen.
Dieser Munitionsersatz ist äusserst umständlich und schwierig. Ob er in unruhigen Zeiten
angewandt werden kann, ist fraglich. –
Neuerdings tauchen hier Gerüchte auf, daß die 33. Inf. Div. abgelöst werden soll. Es heißt,
wir sollen in Armeereserve kommen. Die 80. I. D. soll schon irgendwo in der Nähe sein.
Hoffentlich kommen wir wirklich in Armee-Reserve, d. h. Ruhe. Hier stürzt man ja doch nur
den ganzen Tag herum.
[1917-08-08 Photo 3: 5 Soldaten].
Montag, 9. Juli 1917.
Wir bleiben hier. Von unserem Abgelöstwerden wird nichts. Ich [habe] deshalb sofort Urlaub
eingereicht und hoffe, bald fahren zu können. Morgen kommt Hptm. Fahle in die Batterie
zurück, der Regimentsstab besetzt die Gruppe A, da bin ich ja gut zu entbehren.
Gestern war Nachfrage im ganzen Regiment, wer von den Offizieren und Mannschaften zu
einer Neuformation für die Türkei wolle. Gemeldet haben sich sehr viel dazu. Leider bin ich
abgewiesen worden, ich wäre ganz gern einmal hinüber gegangen.
Sonnabend, 14. Juli 1917.
Von meinem Batterieführerposten bin ich schon seit dem 11. mittags enthoben. Hauptmann
Fahle wurde auf der Gruppe durch unseren Regiments-Kommandeur ersetzt, der ganze
Regimentsstab kam ins Steinhaus.
Heute ist Ltn. Scholz vom Urlaub zurückgekommen; in der Batterie sind jetzt also 3 Offiziere
incl. Batterieführer, eine nie dagewesene Zahl. Na, hier ist es jetzt ja ziemlich ruhig, wohl
deshalb!
In der letzten und vorletzten Woche ist die sehr viel Artillerie eingesetzt worden, leichte,
mittlere und auch schwere Geschütze. Besonders weittragende Kanonen, die auf französische
Etappenorte schießen. – Unmittelbar neben uns ist gestern schon eine von den dicken kaputt
gegangen. – Hinten soll dann noch eine ganze Division in Reserve liegen. – Da scheint ja
irgendetwas los zu sein oder werden zu wollen hier bei uns.
142
Mittwoch, 18. Juli 1917.
Wir schießen in der letzten Zeit sehr viel. Die anderen Batterien in unserer Nähe ebenso, es
kommt so ein recht heftiges Feuer heraus, wenn auch eigentlich garnichts los ist. Es ist dann
eben „erhöhte Artillerietätigkeit in den Argonnen“. In nächster Zeit sollen noch wieder einige
15 Batterien in unserem Abschnitt eingesetzt werden. Jetzt sind wir schon etwa 3mal soviel,
als bei unserer Herkunft hier waren. Es scheint doch irgendetwas in der Luft zu sein.
Morgen will ich auf Urlaub fahren. Das Regiment hat mich vom 22. - 31. ds. Mts. beurlaubt.
Hoffentlich kommt mir nichts dazwischen.
[6. Heft]
28. Januar 1918. Grossenhain
Am 12.1.18 habe ich meine liebe 4./283 F.A.R. verlassen, um zu einer anderen Waffe, der
Fliegerei, zu gehen.
Seit dem 15. bin ich nun dabei. Mich einzuleben, dazu bin ich bis jetzt nicht gekommen. Wir
Beobachter-Vorschüler werden von einer Schule zur anderen geschickt. Heute habe ich meine
2. Versetzung erfahren, und zwar von hier nach Schneidemühl. Schon in Gotha herrschte
derselbe Betrieb wie hier. Alles war überfüllt. Von der Beobachter-Vorschule kamen deshalb
9 Herren nach Grossenhain. Hier kamen wir aber vom Regen in die Traufe. Statt 2 Unterrichts
Gruppen, für die Lehrkräfte vielleicht gereicht hätten, sind hier 4 Gruppen. Um uns nun nicht
auf der Straße herumlaufen zu lassen, werden wir mit ganz nichtigen Sachen beschäftigt.
Heute ist die Versetzung von 14 Offizieren der Vorschule nach Schneidemühl
herausgekommen.
Nun noch meine Wohnungsfrage in Gotha und Großenhain.
In Gotha, Haupt- und Residenzstadt Sachsen-Coburg-Gothas, wohnte ich im Schloss-Hotel,
dem vornehmsten Hotel der Stadt. Der Preis war nicht gerade niedrig, aber angemessen.
Gegessen wurde mittags im Casino auf dem Flugplatz, es war Dienst. Man musste zum
Mittagessen kommen. Abends konnte man sehr gut in Mahr’s Hotel essen. Preis war mäßig.
Im Großenhain/Sachsen wohnte ich anfangs im Hotel Kugel am Markt, zog dann aber in eine
Privatwohnung, weil mir das Zimmer im Hotel zu klein und schlecht war. Nach einigen
Tagen gefiel es mir bei meiner Wirtin, Frau Müller, garnicht mehr. Ich werde es auch wohl
kaum lernen, mit Privatleute[n] auszukommen, wenigstens jetzt im Kriege nicht. Dies
Gejammere und Getue macht mich ganz nervös, ich kann es nicht anhören. Die Leute mögen
ja recht haben, aber das ändert an der Sache nichts; ich vertrage kein Geheule. – Nach einigen
Tagen bin ich dann schon wieder ins Hotel gezogen und habe da bis heute gewohnt. Im
Hotelkugel war inzwischen ein schönes Zimmer, Nr. 15, frei geworden und das habe ich
sofort bezogen. Preis 15, – M. die Woche incl. Licht und Heizung.
31. Januar 1918. Schneidemühl
Gestern nachmittag bin ich in Schneidemühl angekommen und habe mich schon bei allen
Vorgesetzten gemeldet. Morgen geht der Unterricht los. Ich wohne im Kasino der Fla 2,
einem früheren Hotel am Markt.
Der vorgestern in Berlin verlebte Tag war sehr nett. Vormittags habe ich bei Stassens Besuch
gemacht und nachmittags hat Lotte mich spazieren geführt. Auf dem Bummel auf der
Friedrich Straße waren [wir?] auf dem Nachhauseweg. Lotte ist ein hübsches Mädchen. –
Abends habe ich mit einigen Freunden einen Bummel durch Berlin gemacht. Kempinski –
Nachtfalter – Mascotte. Berlin bietet viel.
143
6. Februar 1918.
Heute habe ich meinen ersten Flug über Schneidemühl gemacht in 1100 m Höhe. Es war der
sogenannte Zahlmeisterflug, um die Fliegerzulage zu bekommen. Das Wetter war schön. Auf
der Erde lag leichter Dunst. Die Luft war ganz ruhig, garnicht böig. Der Apparat flog ganz
ruhig.
144
[1918-01-31 Photo 1, handschriftliche Bemerkung auf der Rückseite:] Schneidemühl Februar
1918. Rumpler C. Zeppelinhalle. Harte Landung Ltn. Oberstadt. Franz: Ltn. Rommel.
[1918-01-31 Photo 2: Flugzeug und 6 Soldaten].
145
31. März 1918. Königsberg (Ostern)
Der Kursus auf der Beobachter-Vorschule der Fla 2 ist zu Ende. Seit heute früh bin ich schon
in Königsberg.
Meldetag ist erst Dienstag. Bis dahin will ich mir die Stadt ansehen. –
In Schneidemühl war der Dienstbetrieb in der letzten Zeit ganz gemütlich. Geflogen wurde im
Februar kaum wegen zu schlechtem Wetter. Dichter Nebel lag dauernd über der ganzen
Gegend. Erst Anfang März wurde es besser. – Der Unterricht war über den ganzen Tag
ausgedehnt: von morgens um 8 bis nachm. um 5 Uhr. Mittags war eine Pause von 1½
Stunden, um essen zu können. Abends 7 Uhr war im Kasino in der Stadt dann noch
gemeinsames Essen, ein[e] als Dienst aufzufassende Beschäftigung. Fehlen durfte niemand.
Um ½8 oder auch ¾8 Uhr waren wir erst unsere eigenen Herren. – Die einzelnen
Unterrichtsfächer waren ungefähr folgende: Funken, Taktik, Bildlehre, Fotokunde,
Flugzeuglehre, Motorkunde, Kompass- und Wetterkunde und dann vor allem der Flugdienst.
Morgens um 5.15 Uhr ging der Betrieb schon los.
Von 12.-25. bin ich auf Urlaub zu Haus gewesen. Wilhelm17 kam am 6. und da bin ich auch
gleich hingefahren.
In den Tagen nach meinem Urlaub musste ich die versäumten Flügel noch nachholen. Ich
musste über 800 km machen. Den größten Teil dieser 800 km habe ich auf einem
Überlandflug nach Stolp i/Pommern erledigt. Der Hinflug nach Stolp verlief ohne jede
Störung, in kaum 2 Stunden hatten wir 225 km bei einigem Gegenwind erledigt. Nach 2
Stunden Rast, Mittagessen, Benzin- und Oelnachfüllen traten wir den Rückflug an. Während
dieses Fluges machte mein Flugzeugführer nun einige sogen. Butterlandungen. Gegen 3 Uhr
landeten wir auf einem Gut südlich Rummelsburg. Tadellose Landung. Auf dem Weiterflug,
den wir erst gegen ½7 antraten, wurde es uns plötzlich dunkel. Da wir für einen Nachtflug
garnicht vorbereitet waren, war uns dieser Flug beinahe übel bekommen. Höhenmesser,
Benzinuhr und Tourenzähler und vor allem die Karte, nichts war mehr zu erkennen. Wir
haben uns deshalb verirrt. Gegen ½9 Uhr glückte uns dann aber doch eine glatte Landung.
Kurz bevor wir auf die Erde kamen, habe ich eine Leuchtrakete abgeschossen, um überhaupt
etwas sehen zu können. Dieser Rakete brannte dann lange genug, dass während der Landung
etwas zu sehen war. – Am nächsten morgen sind wir bis Deutsch Krone weitergeflogen, wo
abermals eine Landung gemacht wurde, die aber mit einem Radbruch endete. – Ich bin dann
abends nach Schneidemühl gefahren, um die Versetzung nach Königsberg nicht zu verpassen.
–
Seit heute früh wohne ich nun schon hier in Königsberg im Central-Hotel am Paradeplatz.
Mittwoch, 17. April 1918.
Heute habe ich in Königsberg zum ersten Mal Bruch gemacht. Bei der Landung auf dem
Flugplatz der Fl. Beobachter Schule Königsberg in Devan nach einem M. G. Schießen aus der
Luft auf ein Erdziel brach ein Rad am Fahrgestell. Die Maschine stellte sich nun, als sie nicht
ausrollen konnte, auf den Kopf und brach den Propeller ab.
Außer einigen Schrammen an meinem Knie ist nichts passiert. Mein Flugzeugführer ist ganz
heil davongekommen.
Oldenburg, 16. Mai 1918.
Die schöne Königsberger Zeit ist zu Ende und damit auch meine Ausbildung in Deutschland.
–
Der Königsberger Kursus sollte eigentlich bis zum 22. dauern, aber auf den Bericht unseres
Kommandeurs hin, hat eine Inspection in Berlin bewilligt, den Kursus 8 Tage früher zu
schliessen und die Schüler während dieser Zeit auf Urlaub zu schicken.
17
Wilhelm Borggräfe, siehe Fußnote 9.
146
Von den Beobachter Schülern kommt der größte Teil ins Feld; es sind 31 dafür namhaft
gemacht worden. 5 oder 6 kommen zum Bogohl [Bombengeschwader der Obersten
Heeresleitung] und der Rest von ungefähr 20 Schülern nach Alt-Auts [wahrscheinlich AltAutz bei Doblen, Kreis Mitau; jetzt Vecauce, Lettland] auf die Artillerie-Schießschule. – Die
31 für das Feld vorgesehenen, unter denen auch ich bin, sollen zunächst noch 14 Tage nach
Asch in die M. G. Schule kommen. Eine gute Ausbildung am M. G. wird wohl für sehr
wertvoll gehalten. Asch liegt nördlich von Lüttich in Belgien, etwa 20 km westlich der Maas.
Seit gestern nachmittag bin ich hier in Oldenburg auf Urlaub und habe schon viele Bekannte
getroffen. Die meisten sind in den letzten Kämpfen verwundet und jetzt auf Erholungsurlaub
oder auch noch in Behandlung. Spazierengehen darf jetzt bei dem schönen Wetter aber jeder.
Zu Pfingsten, übermorgen, kommen wahrscheinlich Anni18 und Wilhelm19 nach hier. Wilhelm
kann es von Wangeroog[e] wohl einrichten. Hoffentlich bleibt das Wetter noch einige Tage so
wie jetzt, damit die „kleinen Mädchen“ ihre schönen Kleider auch wirklich mal
spazierentragen können.
24. Mai 1918. Asch i/Belgien.
Heute Morgen bin ich hier in Asch/Belgien, Flieger M. G. Schule angekommen bei heftigem
Regen. Den Bahnanschluss in Cöln verpasste ich, weil der Zug überfüllt war und von Lüttich
aus fährt täglich nur ein Bähnle; beidewärts [?] bin ich deshalb ungefähr einen Tag gewesen.
Asch ist ein richtiger Truppenübungsplatz. Es fehlt jeder Abwechslung. Hoffentlich ist das
Wetter immer gut, damit viel geflogen werden kann. Wenn nicht, dann verkommt man
hiervor lauter Stumpfsinn. Zu den Kursen sind etwa 120 Offiziere hier. Wir wurden alle in
Baracken zu zweien auf einem Zimmer. Schön kann man die ganze Einrichtung hier nicht
nennen. Wir liegen in unwirtlicher Heide, weit von jeder zivilisierten Welt entfernt, und sind
ganz auf unser Kasino angewiesen.
Aber diese 14 Tage gehen ja auch vorüber.
Sonntag, 26. Mai 1918.
Heute früh habe ich bei schönem Wetter meinen ersten M. G. Flug gemacht. Ergebnis: 15
Treffer. Bei der Landung machte die Maschine Kopfstand; es war eine A. E. G. C IV 388/17.
Mein rechtes Knie leicht zerschunden, die Hose aufgerissen.
Der ganze Betrieb hier in Asch macht nach 3 Tagen einen ziemlich traurigen Eindruck. Der
Unterricht bietet mit all seinen Stunden keine Abwechslung. Morgens und nachmittags wird
das Thema: „Das l. M. G. 17 und seine Teile“ durchgekaut. Gehalten wird der Unterricht von
Unteroffizieren. Die Stammoffiziere, Lehrer, suchen bei jeder Gelegenheit den Vorgesetzten
herauszubeißen. – Als rauher Krieger kennt man eine andere Behandlung ja kaum. Wir fühlen
uns auch ganz wohl dabei. Gute Kameradschaft hilft uns über alles hinweg. Aus Königsberg
sind wir zu 37 hier, und gegenüber einer solchen Zahl kann ein einzelner Lehrer doch kaum
etwas ausrichten. Vorläufig macht alles den Eindruck, als ob wir hier kaum etwas lernen. Man
kommt sich furchtbar überflüssig vor.
Sonntag, 2. Juni 1917.
Wir sitzen hier immer noch in Asch auf der Fl. M. G. Schule und führen ein trauriges Dasein.
Im Laufe der letzten Woche hat sich ein ziemlich lebhafter Krach mit dem Kommandeur und
den Stammoffizieren herausgebildet. 3 von uns Königsbergern sind wegen Fehlens beim
Dienst ein gesperrt worden.
Valensiennes [sic!], 6. Juni 1918.
Gestern abend sind wir zu 11 Beobachtern hier im Flugpark 2 angekommen.
18
19
Anni Fischer, geb. Borggräfe (1888 – 1981), einzige Schwester von Otto Borggräfe.
Wilhelm Borggräfe, siehe Fußnote 9.
147
Wir haben die Reise in Brüssel unterbrochen und uns dort die Lokale angesehen, in denen die
Lebewelt verkehrt.
Heute früh waren hier in Valenciennes fdl. [feindliche] Bombenflieger, die ihr Ziel, den
Bahnhof nicht getroffen haben.
Sonnabend, 8. Juni 1918.
Valenciennes ist gestern kurz vor mittag wieder einmal von fdl. Fliegern heimgesucht worden
und zwar mit ziemlich gutem Erfolg für die englischen Flieger. Es soll eine Munitionszug und
ein Depot getroffen worden sein. Dafür musste aber ein Engländer nicht weit von hier landen,
von Flak beschädigt.
Der Betrieb beim Park ist sehr gemütlich. Dienst wird kaum gemacht. Wir halten uns den
ganzen Tag in dem großen schönen Garten bei unserem Kasino auf.
Sonntag, 9. Juni 1918.
Ich bin zur Flieger-Abteilung 17 versetzt. Quartier in Moislains an der Somme. Es ist
ungefähr zwischen Peronne und Cambrai. Mein Reisetag ist morgen. Um 1 Uhr fahre ich von
hier, Valenciennes ab. Von Peronne aus muss ich dann abgeholt werden.
10. 6. 18. Ankunft bei Flieger-Abteilung 17.
12. Juni 1918.
Heute habe ich meinen 1. Feindflug gemacht. 2.42 - 4.10 nachm. über Morlancourt südlich
Albert. Führer Ltn. Marzolff als Schutz bei einem Artillerie-Einschießen. Im Laufe der Zeit
zeigten sich 3 Engländer, aber alle ziemlich weit.
13. Juni 1918.
Von 10.10 bis 12 habe ich heute meinen 2. Orientierungsflug über Morlancourt gemacht.
Nachmittags von 5.10 bis 6 Uhr habe ich dann noch Manancourt photographiert. Führer beide
Male Ltn. Marzolff. Engländer habe ich nicht gesehen. Leichter Flak[beschuss?].
14. Juni 1918.
Heute früh ist wegen schlechtem Wetter, dicken Wolken, nicht geflogen worden. Gleich um
soll M.G. geschossen werden. Gestern abend hat unsere Ifl Maschine Bruch gemacht. Gegen
9 Uhr kam Befehl zum Ifl u. Ltn. Heinrich und Brüggendiek starteten gegen ½10 und kurz
nach 10 Uhr rief Ltn. Brüggendiek an, um zu melden, das[s] die Maschine bei Bray sur
Somme zerhauen läge. Wegen eines Treffers im Kühler hatten sie landen müssen und dabei
das Fahrgestell und ein Tragdeck zerbrochen. Der Besatzung ist nichts passiert. Für die
Abteilung kommt die Maschine nicht mehr in Frage. Sie muss zur Fabrik abgegeben werden.
18. Juni 1918.
Eben habe ich meinen 3. Schutzflug gemacht, Start 9.06, Landung 10.17. Ltn. Gravenhorst
schoss Artillerie ein. Gegen 10 erschienen plötzlich zwei englische Einsitzer aus Richtung
Sailly le sec [Sec], von denen einer mich annahm, d. h. hinter mir herflog, um mich in einen
Luftkampf zu verwickeln. Erst nachdem ich gegen 150 Schuss aus meinem M. G. auf ihn
abgegeben hatte, ließ er ab. Nach Urteilen älterer Flieger war der Tommy ausnahmsweise
hartnäckig. Die Fäden meiner Rauchspurmunition gingen gut zu ihm hin, und doch ließ er
nicht nach. – Unsere Flak schoß während der Zeit wie besessen, der ganze Himmel war voll
schwarzer Sprengwolken. Beinahe hätte er mich erwischt; der Engländer war gemeint, aber
eben sehr nahe bei mir.
148
Sonntag, 23. Juni 1918.
Heute früh habe ich versucht, mein erstes Artillerie-Einschießen durchzuführen. Es ist mir
aber vorbeigelungen. Kurz nachdem ich mit der Antenne Verbindung aufgenommen hatte,
brach nämlich der Auspufftopf, das obere Stück, weg, sodass die ausfließenden
Verbrennungsgase gegen den Kühler stießen und das Kühlwasser zum Kochen erhitzten. Der
Flug musste sofort abgebrochen werden.
Gestartet bin ich um 8.28 und um 8.49 Vorm. gelandet.
Morgen früh mache ich dasselbe noch einmal. Hoffentlich glückt es dann.
Montag, 24. Juni 1918.
Heute früh ist aus dem Einschießen nichts geworden, weil mein Führer nicht hier war. Er
sollte gestern Abend eine neue Maschine, D. F. W. CV[= römisch fünf], aus dem Park
Valencienne[s] holen und ist gestern nicht zurückgekommen; offenbar war es zu schlechtes
Wetter. Seit einer halben Stunde sind nun dicke Wolken am Himmel, sodass deswegen wieder
nicht geflogen werden kann. Es [ist] zum auswachsen. Auf die Dauer macht mir dieser
Betrieb keinen Spaß.
26. Juni 1918.
Gestern nachmittag habe ich meine ersten Artillerie-Einschießen gemacht: Um 3.30 bin ich
zum ersten Schießen mit einer 15cm Batterie gegen Gasminenwerfer südlich Ville sur Ancre
gestartet. Das Schießen habe ich glatt durchgeführt. Um 4.30 wurde es aber sehr dunkel,
sodaß ich landen musste.
Von 6.50 bis 8.24 habe ich dann das einschießen gegen die Gasminenwerfer fortgesetzt mit
der Batterie 9./213 (l. F. H. [leichte Feldhaubitze?]), auch das habe ich glatt durchgeführt.
Heute sollte ich ein Überwachungsschießen mit der Mrs [?] Batterie 6. / L. 4. machen. Als
Ziele hatte ich eine Batterie im □ 3209 t und □ 3108 t genommen. Wegen eines
Missverständnisses in der Antennenbesetzung konnten beide Schießen nicht durchgeführt
werden.
Gestern nachmittag hatte ich meinen 2. Luftkampf mit einem Tommy. Über Morlancourt griff
er mich an. Als ich aber mit Phosphor und Rauchspur auf ihn schoss, liess er wieder ab.
Später habe ich ihn nicht mehr gesehen.
27. Juni 1918.
Heute vormittag 11.08 bis 12.05 bin ich geflogen, um ein Überwachungsschießen mit der
Batterie 6. / L. 4 (Mrs.) gegen 2 fdl. Batterien: □ 3109 qu und v zu machen. Wegen sehr
niedriger Wolken und Dunst bin ich leider zu keinem Resultat gelangt. Über Sailly le sec
[Sec] nahmen mich vielmehr 2 englische Einsitzer aufs Korn. Obgleich ich heftig Kurven flog
und ihnen Phosphorstreifen in großer Menge hinschoss, ließen sie nicht ab, bis wir über
Cappy [waren], wo unsere Jasta [Jagdstaffel] 5 liegt. Erst durch unsere Fokker D 7 ließen sie
sich abschrecken und verjagen. Das war mein 8. Feindflug und 3. Luftkampf.
28. Juni 1918.
Heute vormittag habe ich 2 Einschießen mit der 5./76. l. F. H. durchgeführt und zwar gegen
Straßenspinne in Méricourt und Batterie □ 3309 n als Überwachungsschießen. Start 8.30
Landung 10.51 vorm. 9. Feindflug. Lebhafter fdl. Einsitzerbetrieb hinter der engl. Linie. Zu
uns herübergekommen sind sie nicht, obgleich zeitweise bis zu 17 beieinander waren. Von
uns war eine Kette Fokker D 7 vorn.
149
10. Juli 1918.
Einen Monat bin ich jetzt bei der Abteilung 17.
Das Gebiet meiner Tätigkeit ist augenblicklich das Photographieren. Unser Fotooffizier ist auf
Urlaub und ich mache deshalb vertretungsweise den Bildoffizier.
Die Zahl meiner Feindflüge ist bis gestern auf 19 gestiegen.
150
Im Juni habe ich folgende Flüge gemacht:
1.
Feindflug
2.
Feindflug
Schutzflug
Schutzflug
Foto-Flug
3.
Feindflug
4.
Feindflug
5.
Feindflug
Schutzflug
6.
Feindflug
7.
Feindflug
8.
Feindflug
9.
Feindflug
Afl.
Afl.
Afl.
Afl.
Afl.
Afl.
Probeflug
10.
Feindflug
Afl.
11.
Feindflug
Afl.
D.F.W.
7762
D.F.W.
7762
D.F.W.
7762
D.F.W.
2333
D.F.W.
7762
D.F.W.
7762
CV
Ltn.
Marzolff
Ltn.
Marzolff
Ltn.
Marzolff
Flg
Reinecke
Flg
Reinecke
Flg
Reinecke
12.6.18
D.F.W. CV
7762
D.F.W. CV
7762
D.F.W. CV
7762
D.F.W. CV
7762
D.F.W. CV
7762
D.F.W.
C.V. 2333
D.F.W. CV
7762
CV
CV
CV
CV
CV
13.6.18
2.42
Nachm
10.10 V.
4.10
Nachm
11.30 V.
13.6.18
5.17 N.
5.47
18.6.18
9.06 V.
10.17 V.
23.6.18
8.28 V
8.49 V.
25.6.18
3.30
4.55 N.
Flg
Reinecke
Flg
Reinecke
Flg
Reinecke
Flg
Reinecke
Flg
Reinecke
Flg.
Reinecke
25.6.18
6.53
8.24 N.
26.6.18
8.20 V.
9.41 V.
27.6.18
11.08 V.
28.6.18
8.30
12.[0?]5
N.
10.51
29.6.18
8.10
8.45
29.6.18
10.[0]2
V.
11.42 V.
Flg.
Reinecke
30.6.18
9.50 V.
11.59 V.
220
km
200
km
75
km
178
km
53
km
213
km
228
km
203
km
143
km
353
km
88
km
253
km
323
km
Schutz für Ltn. Brüggendiek
(Afl.)
Schutz für Ltn.
Meyer (Afl.)
Lichtbilden des Generalkomman-dos in Manoncourt.
Schutz Ltn Gravenhorst Afl.
1. Luftkampf.
Flug wegen Motorstörung abgebrochen.
2 Einschießen durchgeführt
2./bag [?] 6.
2. Luftkampf.
1 Einschießen durchgeführt
9./213.
Überwachungs-schießen abgebrochen.
6./[?] 4. (Mrs.)
Einschießen wegen Dunst und Wolken abgebrochen.
3. Luftkampf.
2 Einschießen durchgeführt 5./76.
Wegen Nebel und Dunst war kein Feindflug möglich.
2 Einschießen durchgeführt.
9./213. 2/b.6
4. Luftkampf,
7 Treffer
3 Einschießen
durchgeführt.
2./bag 6. 2./219
154
14. Juli 1918. Sonntag.
Das Wetter war in den letzten Tagen nicht gerade schön. Zum Fliegen sind wir fast garnicht
gekommen. Gestern und auch heute früh habe ich versucht, wenigstens etwas meiner vielen
Aufträge zu erledigen. Es war aber wegen Dunst und Wolken garnicht möglich überhaupt ein
Bild zu machen. – Gestern früh setzte in 400 m Höhe der Motor aus, auch schon deshalb
musste ich landen. –
Von mehreren Tagen hat mich der Kapitain zum Beob. Abzeichen eingegeben. Heute ist es
nun zurückgekommen, mit dem Bemerken, ich müsse erst 20 Feindflüge gemacht haben.
Leider habe ich bis jetzt nur 19. – Ich hoffe nun stark auf gutes Wetter, um erstens die
Aufträge zu erledigen und zweitens die Zahl meiner Flüge zu erhöhen.
17. Juli 1918.
Die Zahl meiner Flüge ist inzwischen auf 23 gestiegen. In 3 Tagen 4 Fotoflüge alle in 5100 m
ist nicht gerade leicht. Augenblicklich bin ich auch ziemlich niedergeschlagen. Anstrengend
ist vor allem wohl der große Temperaturunterschied, der oben und unten vorhanden ist. Als
ich gestern früh nach Hause kam, war meine Maschine vollständig gefroren. Dabei herrschte
auf der Erde eine geradezu drückende Schwüle. Die ganze Abteilung, alles was wir an
menschlichen Wesen haben, lag im Wasser, um nur einigermaßen durch diese heißen Stunden
zu kommen.
Heute früh war es bedeutend erträglicher in der großen Höhe. Ich habe die Kälte kaum
empfunden.
23. Juli 1918.
Heute war ausgesprochenes „Fliegerwetter“. Es war ganz ausgeschlossen, irgendeinen
Auftrag zu fliegen. Von morgens bis abends regnet es unausgesetzt mit nur ganz kurzen
Unterbrechungen. Dazu weht ein Wind, der unsere Baracken beinahe umwirft.
Auf unserem Flugplatz hat sich aber trotzdem eine große Veränderung vollzogen. Die beiden
Jagdstaffeln 5 und 46 sind zu uns gekommen, weil sie in Cappy letzte Nacht von einem
englischen Ferngeschütz beschossen worden sind. Heute früh kamen die 2 Staffeln zu uns
angebraust, weil wir noch genügend freien Raum auf unserem Platz haben und genügend weit
von der Front entfernt liegen.
Wahrscheinlich werden wir durch diese Maschinenvermehrung ein gutes Ziel für englische
Bombenangriffe; aber das müssen wir schließlich mit in Kauf nehmen; die Staffeln gewähren
uns bei unseren Feindflügen einen nicht zu mißachtenden Schutz. Gerade wenn wir direkt mit
ihnen zusammenliegen wird ein gutes Zusammenarbeiten herauskommen.
31. Juli 1918.
Heute ist großer Beerdigungstag. Ltn. Kleinhempel, Jasta [Jagdstaffel] 46, ist im Teich bei
unserem Lager ertrunken. Nachm. 3 Uhr Beerdigung Friedhof Moislains.
Bei Abtlg. 224 4 Uhr Nachm. Beerdigung Ltn. Litzins und Ltn. Regen. Kurz nach Start
abgestürzt und verbrannt.
155
1. August 1918.
Ltn. Salis, Dietegen, ist beiÉtinehem notgelandet. Granatsplitter durch Kühler. Führer und
Beobachter, beide unverletzt. Die Maschine hat sich bei der Landung überschlagen.
2. August 1918.
Heute früh hat mir mein Kommandeur das Abzeichen für Beobachtungsoffiziere überreicht.
Es war während der Nacht angekommen, und er brachte es mir als ich noch im Bett lag. – Die
Urkunde ist:
Komm. Gen. der
Gr. H. Qu 24. 7. 18.
Luftstreitkräfte
Nr. 128 445 Fl. I.
Ich verleihe dem Ltn. d. R. Borggräfe
FliegerAbtlg 17. das Abzeichen für Beobachtungsoffiziere
A.[?] m. W. b.
gez. v. Hoeppner
Für die Richtigkeit
gez. v. Linsingen.
F d. R.
gez. Hachmelt [?]
Major
Stempel
2. Armee
Nachmittag sind wir zu einer Besprechung zur Abtlg 217, Obltn Pechmann, gewesen. Wir
übernehmen nämlich ab übermorgen deren Abschnitt, weil sie in Ruhe kommt.
3. August 1918.
Heute ist schlechtes Wetter ebenso wie gestern. Es regnet den ganzen Tag. Ans Fliegen
können wir garnicht denken.
Ltn Gravenhorst und Vice Feldw. Schröder haben heute früh das EK I bekommen.
6. August 1918.
Die 107. I.D. ist gestern von der 27. I.D. abgelöst worden.
Heute früh 5.30 Uhr hat die 27. I.D. einen Angriff gemacht auf engl. Stellungen zwischen
Morlancourt und Sailly-Laurette, beide nördlich der Somme. Das Resultat ist sehr gut. Die
Stellungen sind genommen. Beute ist: 3 Offiziere und 265 Mann. – In diesem Unternehmen
haben wir den Ifl. [Instrumentenflieger?] und Art[illerie].-Überwachungsflieger gestellt. Der
Ifl. war Ltn Futterer und ich Art.-Überwachungsflieger.
7. August 1918.
Heute früh 5.30 und 8.30 haben die Engländer einen Gegenangriff gemacht, um uns das
gestern gewonnene Gelände wieder zu entreißen. Wie weit dies geglückt ist, steht noch nicht
fest. Unser Ifl. startet in der nächsten halben Stunde.
8. August 1918.
Der Großkampf ist entbrannt. Seit heute früh 8 Uhr greift der Engländer bei Morlancourt und
weiter südlich an. Bis jetzt ist er ungefähr 5 km vorgekommen. Südlich der Somme noch
etwas mehr.
Heute frühe 8.55 hat ein englisches Bombengeschwader auf unserem Platz einen Angriff aus
sehr geringer Höhe gemacht. Es waren 9 Bristol Fighter und 5 S.E. als Schutz dabei. Schaden
ist abgesehen von einigen Fensterscheiben, nicht entstanden.
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Auf unserem Platz ist Hochbetrieb. Gegen mittag waren an 70 Maschinen hier. 2 Jagdstaffeln
von der 6. Armee sind bei uns gelandet. Abschüsse sind bis jetzt 14 gezählt, alle von den
Jagdstaffeln die auf unserem Platz sind.
Ltn. Jahn ist eben beim Ifl. [Instrumentenflug?] notgelandet bei Suzanne. Er soll sich das
Nasenbein gebrochen haben. Führer ist Vicefeldwebel Nöding.
16. August 1918.
Kriegslazarett Valenciennes. Am 9. 8., 8.30 Nachm. bekam ich den Auftrag zu Mufl[ug]., das
ist Munition zu fliegen und zwar zu der M. G. Kompagnie, die westlich Étinehem lag und
keine Munition mehr hatte. Ich sollte 2000 Schuss überbringen. Als ich in etwa 200 m Höhe
über den mir bezeichneten Stellungen hart westlich Étinehem war, bekam ich heftiges Feuer
von der schon dort befindlichen englischen Infanterie. Mein Führer, Gefr. Schütze, ist
offenbar von einem Schuss getroffen worden. Er sank in sich zusammen und die steuerlos
gewordene Maschine, es war L. V. G. [Luftverkehrsgesellschaft] CVI. 1537/18, stellte sich
auf den Kopf und näherte sich rasend schnell der Erde. – Vorher hatte ich schon den größten
Teil der M. G. Munition bei der M. G. Komp. abgeworfen. – Ich suchte nun noch die
Maschine in die wa[a]gerechte Lage zu bringen, indem ich den Knüppel bediente.
Wie weit mir dies gelungen ist, weiß ich nicht. Ich habe das Bewus[s]tsein verloren, als ich
die Erde in nicht allzu großer Ferne sah.
Aufgewacht bin ich am 10. 8. vormittags 9 Uhr im Lazarett 253 in Ham. Wer mich aus der
Maschine gezogen und wer mich ins Lazarett gebracht hat, davon weiß ich nichts. Spätere
Nachforschungen haben auch nichts ergeben. Wo die Maschine gelandet und was aus meinem
Führer geworden ist, bleibt ein Geheimnis.
Bei meinem Erwachen sagte mir der Arzt im Lazarett nur, dass er meinen ausgekugelten
linken Arm wieder eingerenkt habe. Wer mich angebracht hatte, darüber wusste er nichts.
Gegen 11 Uhr vormittags kam Hauptmann Bieneck mich besuchen. Ich hatte gleich an die
Abteilung telefoniert. – Am übernächsten Tag sagte er mir, mein Gerede wäre an dem
Morgen kaum verständlich gewesen. Gehirnerschütterung, Nervenschock.
Am 10. 8. 2 [Uhr] Nachmittags wurde ich nach Pronne in die Krankensammelstelle verlegt.
Ham wurde geräumt. Gegen abend holte Abtlg 17 mich auf meinen Wunsch hin nach
Moislains. Ltn. Futterer und Vice Schröder kamen dazu im großen Personenwagen.
In Moislains hat Schwester Anna Zink, Mutti, mich bis gestern früh, 15. 8. 18, in Pflege
gehabt. Sie hat sich alle erdenkliche Mühe gemacht.
Besuche habe ich in Moislains ziemlich viel gehabt. Die ganze Abteilung 17, die Jagdstaffeln
5 und 46 und dann der Grufl[?]stab, Hauptmann Klapke und Ltn Hoffmann.
Gestern früh kam Bescheid, daß ich verlegt werden solle. Zunächst kam ich nach Fins auf die
Sammelstelle und nachmittags weiter nach Cambrai-Valenciennes mit einem
Leichtkrankenzug.
Heute früh, 16. 8. 18, 6 Uhr waren wir hier in Valenciennes auf dem Bahnhof und wurden ins
Kriegslazarett 7 gebracht. Ich bin in der Abtlg B, Turmzimmer, Offizierabteilung.
Am 13. 8. 18 Mittags gegen 1 Uhr ist Ltn Brüggendiek [und] Vicefw. Nöding in 4500 m
abgeschossen worden. Sie sind zwischen ein englisches Bombengeschwader und eine
Schutzstaffel gekommen. Nöding ist tot, Kopfschuss. Brüggendiek Schulterschuss und
Quetschungen. Die Maschine ist allein gelandet ohne sich zu überschlagen.
Ltn Busch, Abtlg 224, ist vor einigen Tagen von einem Feindflug nicht zurückgekehrt.
Sonntag, 18. 8. 18.
Valenciennes.
Heute mittag 12.15 Uhr soll ich abtransportiert werden, und zwar mit einem l. K. Z.; das ist
„leicht-Kranken-Zug“.
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Gestern habe ich gebadet und den Weg zur und von der Badeanstalt zu Fuß gemacht. Es ist
mir furchtbar weit vorgekommen. Dass ich aber überhaupt wieder gehen kann, freut mich
aufrichtig.
19. August 1918.
Antwerpen.
Seit heute früh 6 Uhr sind wir in Antwerpen, Kriegslazarett I. Gestern mittag 1 Uhr ging die
Fahrt von Valenciennes mit einem l. K. Z. los und furchtbar langweilig vorwärts. Auf fast
jeder Station haben wir einige Stunden gelegen.
Hier im Lazarett ist vorläufig gar kein Platz für uns. Im Laufe des Nachmittags werden wir in
einem Massenquartier, einem großen Saal, untergebracht. Morgen soll dann eine andere
größere Station eingerichtet werden für uns Leute von der Front.
21. August 1918.
Das Festungslazarett hat für uns einen großen Saal eingerichtet, in dem wir zu 28 Offz. liegen.
Bettlägerig sind außer mir nur noch zwei. – Ich bekomme jeden Tag mehrere male
Heißluftbäder. Ein Gestell mit Glühlampen wird über den betreffenden Körperteil gestellt und
mit Decken zugedeckt. In der halben Stunde, die man dann aushalten muss, wird es mächtig
heiß. Der Schweiß läuft einem nur so vom ganzen Körper.
Die Kameradschaft ist hier im Lazarett ausgezeichnet. Es sind mehrere Stuttgarter bei mir im
Saal, echte Schwabeländler.
26. August 1918.
Die Tage vergehen rasend schnell. Über Langeweile wird zwar furchtbar geschimpft, aber bei
der guten Verpflegung und Unterhaltung, es sind 46 Schwestern im Lazarett, vergeht ein Tag
schneller als der andere.
Freitag abend habe ich mir Antwerpen angesehen. Zunächst ein Bierlokal an der Boulleward
[?] beim Nordbahnhof, dann Savigny, eine sehr ordentliche Bar mit Tanzbetrieb. Nachher
noch eine american Bar. Gegen ½5 früh kam ich im Lazarett an.
Während meiner Abwesenheit war gerade ein großer Verwundetentransport angekommen, in
dem gegen 20 Offiziere waren. In unserer Abteilung, 5a, mussten mehrere von diesen
untergebracht werden. Schwestern u.s.w. waren während der ganzen Nacht in unserer
Abteilung gewesen und [haben] entdeckt, dass ich als bettlägerig nicht zu Haus war.
Vorgestern und gestern wurde furchtbar gestichelt. Heute hat sich aber alles wieder beruhigt.
Sonntag, 22. September 1918. Paderborn.
Vorgestern nachmittag hat endlich die Reise nach Deutschland begonnen. – Schon tagelang
hiess es, es könne sich nur noch um Sekunden handeln, aber der Abgang des l. K. Z. wurde
immer wieder verschoben auf unbestimmt. – Am Freitag hieß es nun plötzlich: Um 1 Uhr
Abfahrt vom Lazarett zur Bahn. Ab Antwerpen 2.20 nachm. und ab Brüssel-Etterbeck gegen
8 Uhr abends. Die Fahrt ging dann über Namür [sic!]– Lüttich -A[a]chen – Düren nach Neuss.
Hier er in neues mussten wir alle, der Transport leicht Kranker war mittlerweile auf 600
gestiegen, in einen deutschen l. K. Z. umsteigen. Bisher waren wir in einem belgischen Zug
gefahren.
Von Neuss aus ging die Fahrt dann ziemlich langsam über Düsseldorff [sic!] – Elberfeld Barmen – Soest nach Paderborn.
Der Bahnhof hier in Paderborn ist ziemlich dreckig, wir stehen irgendwo im Güterbahnhof.
Die Verpflegung, die wir eben bekommen haben, war aber so viel besser.
Gerade eben, es ist jetzt ½7 vormittags, ruft der Schaffner: Einsteigen, der Zug soll abfahren.
Wir fahren in Richtung Magdeburg. Hoffentlich kommen wir schnell weiter.
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Donnerstag, 26. September 1918. Ilsenburg a/Harz.
Der Transport am Sonntag hat uns, wir sind 1 Stabsarzt, 4 Leutnants, 1 Ass.Arzt, 1 Veterinär,
1 Inspector, macht zusammen 8, nach Ilsenburg a/Harz Hilfslazarett Hotel Waldhöhe
gebracht.
Auf dem Bahnhof Goslar traf ich 2 Vice-Feldwebel von Jäger 10, die mehr erzählten, das
Rekruten-Depot von Borkum wäre zurück. Kalli wäre auch mitgekommen und sollte am
Montag ins Feld rücken. Um ihn nun auf jeden Fall zu sehen habe ich den Lazarettzug einfach
weiterfahren lassen und bin in die Stadt gegangen. Ganz bald erfuhr ich aber von Kalli’s
Kameraden, dass er selbst nicht mitgekommen sei, weil die Einjährigen noch weiter
ausgebildet werden sollten auf Borkum. Ganz zufällig traf ich dann M. Wöbken.
Hier in Ilsenburg war das Wetter am Montag sehr schlecht; es regnete den ganzen Tag.
Dienstag wurde es aber schon besser. Mit einigen Freunden bin ich gleich vormittags auf den
Ilsenstein gegangen. Der Weg war sehr schön. Die Sonne schien. Der Spaziergang war
einfach herrlich.
Gestern bin ich mit Leutn. d. R. Totte, Antwerpen, auf dem Brocken gewesen. Abmarsch 6.20
vorm. bei schönem Wetter. In 2½ Stunden waren wir oben. Die Aussicht war zeitweise sehr
gut. Im Brocken-Hotel gab es ein gutes Frühstück mit Bouillon [sic!] und Sherry. Dann
Abmarsch nach Schierke, südlich vom Brocken. Ilsenburg liegt nordöstlich. Auf dem
Heimweg sind wir dann immer quer durch den Wald gegangen über Berge und durch Täler
und Wälder. Häufig waren die Berge wild und zerklüftet, sodaß wir kaum weiterkommen
konnten. Es ging steil auf und abwärts. Zeitweise zweifelten wir selbst daran, noch auf dem
richtigen Weg zu sein.
Gegen 6 Uhr abends erreichten wir unser Hotel aber doch wieder wohlbehalten, wenn auch
durchnässt bis auf die Haut.
Heute erfahre ich aus Goslar, dass Karl noch auf Borkum ist. Er soll ins Lazarett gekommen
sein. Näheres weiß ich noch nicht.
Dienstag, 1. Oktober 1918.
Die Tage vergehen einer wie der andere. Mit großen und kleinen Spaziergängen vertreiben
wir uns die Zeit.
Mein Antrag, nach Oldenburg verlegt zu werden, ist leider in die Brüche gegangen.
Oldenburg hat in letzter Zeit selbst alles räumen müssen. Die Kranken sind weiter ostwärts
gekommen.
26. Oktober 1918. Ilsenburg a/Harz.
Die letzten Wochen sind ziemlich schnell vergangen. Das Wetter war zum Teil ganz gut. Und
dann muss man sich ja auch überall erst einleben, bis es einem einigermaßen gefällt.
Von 19 - 21. war ich auf Urlaub in Oldenburg. Ich hatte es so eingerichtet, daß ich vorher
noch einige Tage herausschlug. Am 15. bin ich deshalb schon von hier abgefahren und am 22.
zurückgekehrt. Zu Haus habe ich alle möglichen Besuche gemacht. So in Hannöver,
Nordenham, Ltn Rode in Hamburg. Ich hatte vor, mich nach Hamburg verlegen zu lassen.
Wegen der dort herrschenden Grippe will ich aber doch lieber davon absehen. Die Lazarette
sind alle überfüllt. Platz ist kaum vorhanden.
[Ende]
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Otto Borggräfe (1895-1978)
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