Informationen zu Depression und Angststörungen

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Informationen zu Depression und Angststörungen
WENDEPUNKT
Informationen zu Depression und Angststörungen I Ausgabe 9
SEI TE 3 I PANIKSTÖRU NGEN
SEI TE 4 I PAN IKS TÖRU NG EN
S E I T E 8 I V E R H A LT E N S T H E R A P I E
Lernen, mit der Angst vor
der Angst zu leben
Panikattacken können Betroffene
stark einschränken
Mit Verhaltenstherapien störende
Denkmuster ändern
Eine Betroffene erzählt
Interview mit Prof. Dr. med. Gregor Hasler
Ein Gespräch mit Dr. med. Christine Poppe
Lundbeck (Schweiz) AG
Dokument letztmals geprüft:
27.12.2012
E D I TO R I A L
I N H A LT
E D I TO R I A L
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PANIKSTÖRUNGEN
3
«Ich habe gelernt, mit meiner
Krankheit umzugehen»
Eine Betroffene erzählt von ihren
Panikattacken
3
Ihre Meinung ist uns wichtig
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Machen Sie mit und gewinnen Sie!
Wenn Angst und Panik
das Leben erdrücken
Interview mit Prof. Dr. med.
Gregor Hasler
4
Buchtipp:
Ratgeber Panikstörung und
Agoraphobie
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Medikamentöse Behandlung:
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Tabletten, Tropfen oder Infusion?
V E R H A LT E N S T H E R A P I E
8
Verhaltenstherapie –
Hilfe zur Selbsthilfe
Interview mit Dr. med.
Christine Poppe
8
Liebe Leserinnen,
liebe Leser
W
er kennt diese Gefühle nicht: Nervosität vor
einer Prüfung, Aufregung vor einer spannenden Reise, Angst vor dem Tod? Solche Gefühle sind
normal. Was aber, wenn die Angst zur Panik wird und
unseren Alltag plötzlich mit Panikattacken besetzt?
Die 25-jährige Simone M.* weiss, was es heisst,
ständig mit der «Angst vor der Angst» zu leben. Ihre
erste Panikattacke hatte sie im Alter von 16 Jahren.
Damals ahnte sie nicht, dass weitere Panikattacken
folgen würden. Im Jahr 2006 beim Besuch der Fussball-WM in Deutschland erlitt sie
eine derart heftige Attacke, dass sie notfallmässig ins Spital eingeliefert werden musste. Von dort aus wurde sie an einen Psychiater überwiesen. Wie sie die schlimme Zeit
hinter sich gebracht und gelernt hat, mit der Krankheit zu leben, lesen Sie im Interview ab Seite 3.
Wir wollten von Herrn Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Professor für Psychiatrische
Versorgungsforschung und Soziale Psychiatrie an der Universität Bern, erfahren, was
hinter dem Wort Panikstörungen genau steht. Im Interview ab Seite 4 erfahren Sie,
wo die Grenzen zwischen normaler und krankhafter Angst liegen, wie sich die Krankheit zeigt und was die Ursachen und Auslöser von Panikstörungen sein können.
Prof. Dr. med. Gregor Hasler zeichnet verschiedene Behandlungsmöglichkeiten auf, die
den Betroffenen helfen, wieder ein normales Leben zu führen.
Schritt für Schritt mit dem
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Leben wieder zurechtkommen
Die Verhaltenstherapie ist eine Möglichkeit, Angst- und Panikstörungen zu behandeln.
Dr. med. Christine Poppe, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, befasst
sich in ihrem Praxisalltag intensiv damit. Im Gespräch ab Seite 8 erfahren Sie unter
anderem, wieso eine Verhaltenstherapie für den Patienten hilfreich sein kann, wieso
sie eine Form von Selbstmanagement ist und welche verschiedenen Techniken man
unterscheidet. Drei Fallbeispiele zeigen zudem, wie Betroffene mit einer Verhaltenstherapie Schritt für Schritt mit ihrem Leben wieder zurechtkommen. Mehr dazu auf
den Seiten 10 und 11.
KURZ UND BÜNDIG
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Es ist uns ein grosses Anliegen, Ihnen auch in der aktuellen Ausgabe wertvolle und
hilfreiche Informationen zu Depressionen und Angststörungen zu vermitteln. Wir
wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre.
Anlaufstellen und Links
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Impressum
12
PD Dr. Rico Nil
Medical Director
Lundbeck (Schweiz) AG
* Name geändert
2
gelernt,
umzugehen»
PA N I K S T Ö RU N G E N
«Ich habe
mit meiner Krankheit
S I M O N E M.* W E I S S N O C H G E N AU , WA N N S I E I H R E E R S T E P A N I K AT TAC K E H AT T E : M I T 16 J A H R E N , A L S S I E B E I
F R E U N D E N M A R I H UA N A R AU C H T E , S E T Z T E DA S H E R Z R A S E N E I N U N D E S DAU E RT E FA S T Z W E I S T U N D E N , B I S E S
VO R Ü B E R WA R . E I N S C H R E C K L I C H E S G E F Ü H L . S I E G A B D E R D RO G E D I E S C H U L D U N D S C H WO R S I C H , E S N I E
M E H R S O W E I T KO M M E N Z U L A S S E N .
D
ie heute 25-jährige Studentin wusste damals nicht, dass weitere Attacken folgen würden. Nicht ausgelöst
durch Drogen oder andere äussere Ereignisse, sondern – wie sie heute weiss –
«durch die Angst vor der Angst.» Die
zweite Panikattacke überfiel Simone M.
in den Ferien. Mit zwei Kolleginnen fuhr
sie nach Spanien. Nach einer Party spürte sie wieder dieses Herzrasen. Sie konnte nicht mehr schlafen und litt an Appetitlosigkeit. Es musste der Alkohol gewesen sein, glaubte sie, und konsultierte
nach ihrer Rückkehr einen Arzt. Ein EKG
sollte Aufschluss darüber geben, ob ihr
Herz in Ordnung sei oder nicht. Die
Untersuchung ergab nichts, und auch
der Ohrenarzt gab Entwarnung. Für die
nächsten vier Jahre trank sie keinen
Alkohol mehr.
Simone M. zog aus ihrem Elternhaus aus
und suchte sich eine Bleibe in der Nähe
der Uni. Sie begann mit ihrem Studium.
Nach einem Jahr, als die ersten Prüfungs-
termine anstanden, merkte sie, dass sie
zu spät mit dem Lernen angefangen
hatte. Der Besuch der Fussball-WM in
Deutschland mit ihren Eltern verschlimmerte ihre Angst vor den Prüfungen. Die
nächste Panikattacke folgte, und ihre
Eltern waren ratlos. Nach einem Aufenthalt in der Notfallstation erlebte sie
«die schlimmste Zeit» ihres Lebens.
«Ich hatte grosse Angstgefühle und
heulte andauernd.» Sie litt an Atemnot
und wollte nicht mehr leben. Simone M.
liess ihre Prüfungen sausen.
Die Ärztin auf der Notfallstation überwies sie an einen Psychiater. Erst jetzt
bekamen ihre Anfälle einen Namen:
Panikattacken, eine Form von Angsterkrankungen. Simone M. begann eine
Verhaltenstherapie, kombiniert mit
Medikamenten. Einmal pro Woche
besuchte sie ihren Arzt. Zu Beginn der
Therapie getraute sie sich nicht mehr
unter die Leute. Sie mied grössere Ansammlungen. Nach zwei Wochen ging es
ihr besser. Nach den Semesterferien
nahm sie ihr Studium wieder auf. Ihr
damaliger Freund und vor allem ihre
Mutter halfen ihr auf dem Weg zurück in
einen Alltag ohne Angst. Langsam wurde
ihr bewusst, dass die Panikattacken
immer dann auftraten, wenn besondere
Ereignisse bevorstanden: Eine Reise
«Ich
wollte
nicht mehr
leben»
nach New York, ein Sprachaufenthalt in
Spanien. Jedes Mal vor dem Antritt einer
Reise bekam sie Angst: «Was passiert,
wenn mich Panik überfällt an einem
unbekannten Ort, im Ausland, wo ich
niemanden kenne, ohne die Hilfe der mir
nahe stehenden Menschen?»
3
gst
PA N I K S T Ö RU N G E N
das Leben
rücken
ANGST
L E B E N L A N G : A N G S T VO R P R Ü F U N G E N , K R A N K H E I T , A B H Ä N G I G K E I T , VO R U M W E LT T O D . D A S I S T N O R M A L . W E N N D I E A N G S T Z U R P A N I K W I R D U N D U N S E R E N A L LTA G M I T
P A N I K AT TAC K E N B E S E T Z T , DA N N W I R D S I E Z U R K R A N K H E I T . P A N I K AT TAC K E N T R E T E N W I E AU S D E M N I C H T S AU F ,
O H N E E R S I C H T L I C H E N G RU N D . S I E S C H R Ä N K E N D I E B E T RO F F E N E N M A S S I V E I N U N D D RO H E N , DA S L E B E N Z U
E R D R Ü C K E N . W I R S P R AC H E N DA R Ü B E R M I T P RO F E S S O R D R . M E D . G R E G O R H A S L E R .
BEGLEITET UNS EIN
B E D RO H U N G E N U N D
höre mein Herz stark schlagen, ich beginne zu zittern und habe kalten Schweiss, es
wird mir schwindlig und manchmal übel.
Die Umgebung scheint mir dann weit
weg zu sein. Dies alles macht noch mehr
Angst, ich denke, dass ich bald total die
Kontrolle verliere, dass ich verrückt werden oder an einem Herzversagen sterben
könnte. Nach ca. 10 Minuten wird es ganz
extrem, wird dann aber, ohne dass ich
etwas mache, besser. Wenn ich diese Attacken habe, denke ich oft, dass ich irgendwie fliehen muss.» Menschen mit einer
Panikstörung leiden aber nicht nur an
Panikattacken, sondern auch an der anhaltenden Angst, es könnte wieder eine
Attacke auftreten. Gewisse Patienten
empfinden diese «Angst vor der Angst»
als schlimmer und einschränkender als die
Attacken selber.
Wo sind die Grenzen zwischen normaler und krankhafter Angst?
Angst einschliesslich Panik sind normale
menschliche Gefühle. Angst wird erst
dann krankhaft, wenn sie zu einer grossen
Belastung wird und/oder zu schweren
Einschränkungen im Leben der Betroffenen
führt.
Wie viele Menschen sind davon betroffen? Mehr Frauen oder Männer?
Bis zu einem Drittel der Bevölkerung hat
schon eine Panikattacke erlebt. Etwa 4
Prozent der Bevölkerung litten mindestens
einmal im Leben an einer Panikstörung
mit wiederholten Attacken, die zu einem
deutlichen Leidensdruck führten. Frauen
leiden etwa doppelt so häufig an
Panikstörungen wie Männer.
ZUR PERSON
Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist seit dem 1. Januar 2010 als ausserordentlicher
Professor für Psychiatrische Versorgungsforschung und Soziale Psychiatrie an
der Universität Bern tätig. Gregor Hasler (41) ist in Luzern aufgewachsen und
hat an der Universität Zürich Medizin studiert. Seine Fachausbildung zum
Psychiater und Psychotherapeuten FMH hat er an der Klinik Hohenegg in
Meilen, an der Psychiatrischen Poliklinik des Universitätsspitals Zürich und am
National Institute of Mental Health in Bethesda, USA, gemacht. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, so u. a. im Jahr 2008 mit dem Förderungspreis des Lundbeck
Instituts für herausragende Forschungsarbeiten im Bereich der klinischen
Psychiatrie.
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PA N I K S T Ö RU N G E N
BUCHTIPP!
Ratgeber Panikstörung und Agoraphobie
Der Ratgeber liefert verständliche Informationen zur Panikstörung sowie zur
Agoraphobie und zeigt Wege auf, wie Betroffene ihre Ängste bewältigen können.
Herzrasen, Schwindel, Kurzatmigkeit und Engegefühl sind typische körperliche
Empfindungen, die Menschen mit einer Panikstörung mitunter täglich erleben.
Einen Fahrstuhl benutzen, sich an einem stark bevölkerten Ort aufhalten oder ins
Theater gehen sind typische Situationen, die Menschen mit einer Agoraphobie zu
vermeiden versuchen. Panikstörungen und Agoraphobie sind weitverbreitete
Angststörungen. Der Ratgeber liefert verständliche Informationen zu diesen
Angsterkrankungen und zeigt Wege auf, wie Betroffene ihre Ängste bewältigen
können. Der Ratgeber befasst sich zunächst mit der Frage, was Angst eigentlich
ist und worin sich Angst und Panik unterscheiden. Er informiert darüber, wie
Panikattacken entstehen und warum sie nicht wieder von alleine weggehen. Mithilfe zahlreicher Arbeitsblätter und Übungen lernen Betroffene ihre eigenen
Empfindungen zu verstehen, sich mit ihren beängstigenden Gedanken auseinanderzusetzen und ihr Verhalten zu ändern. Ausserdem erhalten Angehörige Hinweise, wie sie Betroffene bei der Bewältigung ihrer Ängste unterstützen können.
Ratgeber Panikstörung und Agoraphobie: Informationen für Betroffene und
Angehörige, von Nina Heinrichs, Hogrefe-Verlag, broschiert, 108 Seiten,
ISBN-10: 3-8017-1986-3, ISBN-13: 9783801719869
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Welchen Anteil haben genetische
Faktoren? Wie häufig sind traumatische Ereignisse Ursache?
Etwa 30 Prozent der Risikofaktoren für die
Panikstörung sind genetisch bedingt. Etwa
ein Drittel der Patienten gibt an, dass
traumatische Ereignisse in der Entstehung
der Panikstörung eine wesentliche Rolle
spielten. Asthma, Rauchen, der Konsum
von Koffein und psychischer Stress sind
weitere wichtige Faktoren für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von
Panikstörungen.
Sind Panikstörungen Folge oder Teil
von anderen Erkrankungen wie Depressionen, Zwangsstörungen usw. oder
treten sie isoliert auf?
Etwa 70 Prozent der Menschen mit
Panikstörungen leiden an einer zusätzlichen psychischen Störung, am häufigsten
an einer Depression oder an einer anderen Zwangsstörung. Ob die Panikstörung
Ursache oder Folge der anderen Erkrankung ist, weiss man nicht; vermutlich haben die verschiedenen Störungen gemeinsame Ursachen und treten deshalb zusammen auf. Bei Depressionen ist das
Auftreten von Panikattacken meist ein
Zeichen, dass Menschen eher schlecht auf
die Standardbehandlung reagieren. Ein
Facharzt für Psychiatrie sollte in diesem
Fall unbedingt beigezogen werden.
Drittel
Bevölkerung
Panikattacke
«Bis zu einem
der
hat schon eine
erlebt»
Welche Symptome treten bei Panikstörungen auf? Sind es immer die gleichen oder variieren sie von Fall zu Fall?
Die Symptome variieren von Fall zu Fall.
Bei gewissen Patienten stehen körperliche
Symptome wie Atemnot, Herzklopfen,
Schwitzen etc. im Vordergrund, bei anderen Patienten eher psychische Symptome
wie die Angst vor dem Verrücktwerden
PA N I K S T Ö RU N G E N
oder Todesangst. Die Symptome können
sich auch von Attacke zu Attacke verändern. Therapeutisch wichtig ist, ob die
Betroffenen hyperventilieren, d. h. zu
schnell und zu tief atmen. Dies ist den
Betroffenen meistens nicht bewusst. Bei
Hyperventilation haben sich Atemübungen als wirksame psychotherapeutische
Massnahmen erwiesen.
«Flucht
Reaktion
Angst und
Gefahr»
ist eine uralte
auf
Flucht ist eine Reaktion auf eine Panikattacke. Andere meiden Orte oder
Situationen, wo diese Angststörungen
auftreten könnten. Können sich Betroffene selber helfen? Wann brauchen sie
ärztliche Hilfe?
Flucht ist eine uralte Reaktion auf Angst
und Gefahr. Bei Panikattacken macht
diese Reaktion aber keinen Sinn, weil es ja
keinen äusseren Auslöser gibt. Patienten
meiden nicht eigentlich Orte, wo Panikattacken auftreten könnten − die können
ja überall auftreten − sondern sie meiden
Orte, wo sie nicht fliehen können oder wo
sie sich schämen müssten, wenn sie eine
Panikattacke hätten, also an öffentlichen
Orten. Für gewisse Patienten ist es wichtig, in der Nähe von Notfall-Stationen
oder Arztpraxen zu sein.
Wie und wie lange wird therapiert?
Die Therapien dauern unterschiedlich lang,
d. h. ein paar Wochen oder auch Jahre. Die
Therapien werden meist dann beendet,
wenn die Patienten mit der Angst besser
umgehen können und keine Einschränkungen oder kein Vermeidungsverhalten
mehr haben. Die völlige Angstfreiheit ist
kein sinnvolles Therapieziel.
Wann ist eine medikamentöse Behandlung angesagt, wann eine Verhaltenstherapie oder die Kombination von beidem?
Dies hängt massgebend vom Wunsch des
Patienten oder der Patientin ab. Beide
Methoden sind gut erprobt und zeigen
eine vergleichbare Wirkung. Für die psychotherapeutische Behandlung muss der
Patient motiviert sein und aktiv an seinem Problem arbeiten, dafür sind die
Erfolge dann oft von Dauer. Wenn jemand
auf die eine oder andere Methode nicht
genügend anspricht, sollte die Psychotherapie mit einer medikamentösen
Therapie kombiniert werden. Die medikamentöse Therapie wird mit Antidepressiva
durchgeführt. Anxiolytika (Tranquilizer)
eignen sich nur für die Akuttherapie und
sollten in der Regel nicht länger als zwei
Wochen eingenommen werden.
Welchen Beitrag können Angehörige,
Freunde, Begleitpersonen bei Menschen
mit Panikstörungen leisten?
Sie sollten die Patienten motivieren, eine
Behandlung in Anspruch zu nehmen. Bei
Vermeidungsverhalten können sie den
Patienten helfen, sich verlorene Freiheiten
wieder zu erkämpfen, zum Beispiel den
«Für die psychotherapeutische
Behandlung
Patient
motiviert sein»
muss der
MEDIKAMENTÖSE
BEHANDLUNG:
Tabletten, Tropfen oder Infusion?
Am häufigsten werden Antidepressiva in Form von Tabletten verschrieben. Daneben sind sie aber auch als
Tropfen oder Infusionen erhältlich.
Welches sind die Vorteile und wo liegen die Nachteile?
Tabletten:
Die herkömmlichste Art. Je kleiner
sie sind, desto leichter sind sie zu
schlucken. Tabletten und Kapseln
werden üblicherweise mit Wasser
geschluckt. Nachteile hat diese Form
der Darreichung allerdings für
Patienten mit Schluckproblemen.
Abhilfe schaffen hier sogenannte
Sublingualtabletten. Sie schmelzen
auf der Zunge und können so mit
dem Speichel geschluckt werden.
Tropfen:
In flüssiger Form sind Antidepressiva
angenehm zu schlucken, sie sind
individuell und fein dosierbar.
Infusionen:
Antidepressiva in Form von Infusionen sind nur vereinzelt erhältlich.
Ihre Anwendung erfolgt selten und
sehr spezifisch.
Besuch eines Kinos, die Fahrt mit Tram
und Zug oder der Aufenthalt auf öffentlichen Plätzen. Da Stress, Rauchen und
Koffeinkonsum Risikofaktoren sind, können Angehörige auch mithelfen, Stress
abzubauen, das Rauchen zu stoppen und
den Kaffeekonsum zu reduzieren.
7
Verha
therapi
Hilfe Se
V E R H A LT E N S T H E R A P I E
zur
D ER U MGANG MIT BELASTENDEN G EFÜHLEN , PROBLEMATISCHEN V ERHALTENSMUSTERN UND NEGATIVEN
D ENKMUSTERN KANN GELERNT WERDEN . «V ERHALTENSTHERAPIE IST EINE F ORM DES S ELBSTMANAGEMENTS »,
C HRISTINE P OPPE , C HEFÄRZTIN DER TAGESKLINIK DES S ANATORIUMS K ILCHBERG .
Was ist Verhaltenstherapie?
Verhaltenstherapie ist ein psychotherapeutisches Verfahren, das auf der Grundlage von
wissenschaftlichen und theoretischen Erkenntnissen der Psychologie und der Neurowissenschaften versucht, die Entstehung
und Beibehaltung psychischer Störungen zu
erklären und davon Behandlungsansätze
abzuleiten. Das Vorgehen ist dabei auf die
Bewältigung aktueller Probleme des Patienten ausgerichtet, unter Berücksichtigung seiner lebensgeschichtlichen Entwicklung und
seiner Prägungen. Der Patient wird zur aktiven Mitarbeit aufgefordert, beispielsweise
durch das Ausprobieren neuer Verhaltensweisen oder mit Hausaufgaben. Verhaltenstherapie soll Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Gibt es unterschiedliche Formen der
Verhaltenstherapie?
Es gibt verschiedene verhaltenstherapeutische Techniken, die im Einzelfall sinnvoll
miteinander kombiniert werden. Dazu gehören bei depressiven Patienten übende Verfahren wie zum Beispiel der gezielte Aufbau
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von angenehmen Aktivitäten im Tagesablauf
oder bei Patienten mit Angst- und Zwangsstörungen das Expositionstraining, bei dem es
darum geht, sich mit Angst auslösenden
Situation zu konfrontieren und neue Bewältigungsfertigkeiten zu erlernen. Wichtig sind
auch kognitive Techniken, die darauf abzielen,
ungünstige Denkmuster und Lebensleitsätze,
wie alles schwarz-weiss zu betrachten oder
alles perfekt machen zu wollen, zu überprüfen und zu verändern. Dann gibt es komplexe
Trainingsprogramme zur Verbesserung des
Umgangs mit unangenehmen Gefühlen und
Spannungszuständen sowie zur Stärkung von
Selbstsicherheit und Kommunikationsfertigkeiten. Dabei werden unter anderem Rollenspiele angewandt.
SAGT
fen. Basierend auf seinen Zielvorstellungen
wird mit ihm eine individuelle Therapieplanung erstellt, die darauf abzielt, eine neue
Lebensperspektive zu entwickeln unter Einbezug seiner Ressourcen und Stärken. Ziele
können dabei sein: ein verbesserter Umgang
mit seinen psychischen Problemen und
schwierigen Lebensumständen, die entsprechende Bewältigung, die Klärung von ungelösten Konflikten und der Aufbau einer Rückfallprophylaxe.
Bei welchen psychischen Störungen wird
sie angewendet?
Verhaltenstherapeutische Techniken können
grundsätzlich bei einer Vielzahl von psychischen Störungen angewandt werden. Für
Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen
und
Essstörungen liegen inzwischen gut
Wie lautet das Ziel einer
überprüfte
störungsspezifische TherapieproVerhaltenstherapie?
gramme vor. Im Einzelfall wird das Vorgehen
Zu Beginn einer Verhaltenstherapie geht es
zunächst darum, zum Patienten eine vertrau- den Bedürfnissen des Patienten angepasst
ensvolle Beziehung aufzubauen, seine gesun- und je nachdem um weitere Therapieelemente ergänzt.
den Seiten zu stärken und gemeinsam mit
ihm Verständnis für seine Probleme zu schaf-
V E R H A LT E N S T H E R A P I E
Schritt Sc
Leben
zurechtko
für
mit dem
wieder
L EISTUNGSDRUCK , Ü BERFORDERUNG , S CHICKSALSSCHLÄGE – ES GIBT UNZÄHLIGE G RÜNDE , DIE PANIKSTÖRUNGEN UND
Ä NGSTE AUSLÖSEN UND DEN A LLTAG MASSIV EINSCHRÄNKEN KÖNNEN . W IE EINE V ERHALTENSTHERAPIE B ETROFFENEN
HELFEN KANN , MIT IHREM L EBEN WIEDER ZURECHTZUKOMMEN , ZEIGEN DIE FOLGENDEN DREI B EISPIELE .
Wenn der Leistungsdruck Panik
auslöst
auch zu Auseinandersetzungen innerhalb
der Partnerschaft führt.
Andreas M.* ist 40-jährig, sportlich, körperlich gesund und erfolgreicher Manager. Seit Jahren kämpft er jedoch gegen
Ängste und Panikattacken, die ihn überkommen, in Fahrstühlen, engen Tunnels
und auf längeren Flugreisen.
Weil er wieder normal funktionieren will,
sucht er ein Ambulatorium für psychische
Erkrankungen auf. Diagnose: Agoraphobie
(Platzangst). Die Ärztin erklärt ihm, dass
unter Stressbedingungen Angstanfälle mit
Horrorvorstellungen ausgelöst werden
können. Um seine Agoraphobie in den
Griff zu bekommen, schlägt sie ihm eine
Verhaltenstherapie vor.
Bislang haben ihn seine Ängste zwar nur
wenig eingeschränkt, da er die Auslöser
stets zu vermeiden versuchte. So benutzte er beispielsweise die Treppe anstelle
des Aufzugs. Ein Stellenwechsel zwingt
ihn aber jetzt zu längeren Flugreisen.
Während eines Flugs nach Asien überkommen ihn massive Ängste, einhergehend mit Nervosität, Atemnot, Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Verdauungsbeschwerden und dem Gefühl der Unwirklichkeit bis hin zu Todesängsten. Er greift
zum ersten Mal zu Beruhigungstabletten.
Seit diesem Erlebnis fühlt er sich in seinem Alltag deutlich eingeschränkt, was
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In diversen Gesprächen wird sein bisheriges Verhalten analysiert. Andreas M. erkennt dabei, dass er sich in seinem Leben
immer mehr einem Leistungsdruck ausgesetzt hatte. Perfekt wollte er alles
machen, anerkannt sein. Seine eigenen
Bedürfnisse blieben auf der Strecke. Mithilfe von Entspannungsübungen lernt er,
wieder mehr auf seinen Körper zu achten
und sich mit einer kontrollierten Atmung
zu beruhigen.
Seine Ängste protokolliert er detailliert.
Dies hilft der Therapeutin, ihm aufzuzeigen, wie er seine Ängste abbauen kann:
Sie erklärt ihm beispielsweise den Unterschied zwischen den Anzeichen eines
Herzinfarktes und dem Herzrasen nach
intensiver körperlicher Betätigung. In
einem nächsten Schritt bereiten sie sich
gemeinsam auf Expositionsübungen vor.
Dabei werden bislang gemiedene Plätze
aufgesucht und der Umgang mit den
Ängsten neu erlernt. Andreas M. merkt,
dass er trotz unangenehmer Körperempfindungen die Situation aushalten
kann und die Stressreaktionen von alleine nachlassen, ohne dass eine befürchtete Katastrophe eintritt. Zu Beginn ist die
Angst noch gross. Mit der Zeit schafft er
es, Fahrstühle angstfrei zu benützen und
freut sich sogar auf den nächsten Urlaubsflug. In weiteren Therapiesitzungen
versucht er zu verstehen, weshalb er sich
in seinem Leben immer wieder grossem
Leistungsdruck aussetzte und wie er mit
sich in Zukunft schonender umgehen
hritt
ommen
kann. An seiner neuen Arbeitsstelle
Wertschätzung zu erfahren, ohne dabei
ans Limit zu gehen, macht ihn stolz.
Schicksalsschläge als Auslöser
Marlis B.*, 50-jährig, Angestellte, wird
von ihrem Hausarzt wegen zunehmender
Ängste und depressiver Stimmung zur
Behandlung in eine psychiatrische Tagesklinik überwiesen. Das vergangene Jahr
hatte ihr zugesetzt: Sie musste sich einer
Operation unterziehen, übernahm die
Pflege ihres kranken Vaters und verlor
ihre Arbeitsstelle. Von ihrem Partner
erhielt sie kaum Unterstützung.
Seit einem halben Jahr leidet sie unter
Panikattacken mit Hitzegefühlen, Schweissausbrüchen, Übelkeit, Atemnot, Zittern,
einer inneren Verkrampfung und dem
Gefühl, dem Alltag nicht mehr gewachsen zu sein. Sie befürchtet, ohnmächtig
zu werden oder an einem plötzlichen
Herzinfarkt zu sterben. Aus ihrem
Freundeskreis hat sie sich zurückgezogen.
Sie getraut sich kaum noch aus dem
Haus. Sie sorgt sich um die Zukunft, verspürt wenig Energie und Freude, schläft
V E R H A LT E N S T H E R A P I E
sehr unruhig und fühlt sich deshalb tagsüber oft müde.
Mit Alkohol gegen die Angst
In der Tagesklinik werden bei Marlis B.
eine Agoraphobie mit Panikstörung sowie
eine leichte Depression festgestellt. Um
die Stimmung möglichst rasch zu verbessern und sie im Umgang mit den Ängsten zu unterstützen, erhält sie ein Antidepressivum, das bereits nach drei
Wochen zu einer Stimmungsaufhellung
führt. In den Gesprächen mit dem Psychologen lernt sie, mit ihren Krankheitsängsten besser umzugehen. Sie beginnt,
Herzrasen und Zittern als normale
Stressreaktionen des Körpers einzuordnen, die von alleine nachlassen und mit
denen sie sich trotzdem in der Gesellschaft bewegen kann. Wenn sie die Angst
überkommt, konzentriert sie sich nun auf
den Boden und kontrolliert ihren Atem.
Dies hilft ihr, die Stresssituation auszuhalten.
Heinz D.*, ein körperlich gesunder junger
Mann, kam über seinen Hausarzt in die
Klinik. Eine medikamentöse Behandlung
hatte zwar geholfen, aber seine Ängste
nicht vollständig aufgelöst. Der Student
berichtete, dass er grosse Mühe habe, auf
andere Menschen zuzugehen. Er befürchte,
sie könnten ihn komisch und langweilig
finden, ihn kritisieren oder gar ablehnen.
Auch sei es ihm unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen, beispielsweise, wenn er
zu spät komme oder alleine in ein Café
gehe. Einerseits zwinge er sich, gegen
seine Ängste anzugehen, andererseits vermeide er auslösende Situationen. Vor
Anlässen trinke er Alkohol, um sich Mut zu
machen. In den Gesprächen mit dem
Psychologen sagte er, dass er schon als
Kind unsicher gewesen sei. Inzwischen
behinderten ihn die Ängste in seinem
Studium. Sie würden ihn auch davon
abhalten, eine Partnerschaft einzugehen.
In den Therapiegesprächen wird deutlich,
dass Marlis B. bislang sehr pflichtbewusst
gelebt hat, sich anderen schnell unterordnete und sich dabei aber zurückgesetzt fühlte. Sie beginnt zu überlegen,
wie sie mehr Eigenständigkeit entwickeln
und sich gegenüber anderen besser
behaupten kann. In einem Training zur
Verbesserung der Selbstsicherheit lernt
sie, eigene Wünsche, Bedürfnisse und
Gefühle zu äussern. Der Therapeut ermuntert sie, wieder ihre früheren Freizeitbeschäftigungen wie Pilze sammeln
und Velo fahren aufzunehmen und Kontakte zu pflegen. In Paargesprächen
gelingt es ihr, von ihrem Partner mehr
Unterstützung einzufordern und mit ihm
zu überlegen, wie beide die Zukunft
gestalten möchten. Gemeinsam mit dem
Therapeuten legt sie am Ende der Behandlung die Grundsteine für die Arbeitssuche.
Nach drei Monaten kann Marlis B. die
Tagesklinik verlassen. Um ihre Erfolge zu
festigen und zur Begleitung der Arbeitssuche führt sie die Therapie bei einem
niedergelassenen Psychologen für ein
paar Monate weiter.
Die Diagnose ergab, dass Heinz D. an einer
sozialen Phobie litt. Er entschied sich für
eine ambulante Einzel- und eine Gruppentherapie. Wie war seine Krankheit zu
erklären? Heinz D. ist in einer Familie mit
hohen moralischen Prinzipien aufgewachsen. Als der Vater erkrankte und der Grossvater früh starb, fehlte ihm die notwendige emotionale Unterstützung. Im Studium
stellte er hohe Ansprüche an sich. Als sich
seine Freundin von ihm trennte, fühlte er
sich verunsichert. In der Therapie wurde
ihm bewusst, dass negative Sätze wie «Ich
bin komisch» sein Verhalten ungünstig
beeinflussten. Stattdessen lernte er, wie er
sich mit einer positiven Einstellung («Ich
probiere es mal») motivieren und Erfolge
haben kann. In der Gruppe machte er die
Erfahrung, dass andere ihn schätzten, was
seinem Selbstwertgefühl gut tat.
Zunehmend begann er, wieder Kontakte
aufzunehmen. Seine Ängste liessen nach,
wenn er sich auf das Gespräch und auf
das Gegenüber konzentrierte, statt auf die
körperlichen Anzeichen seiner Angst. Er
trat ein Auslandsemester an. Einfach sei es
für ihn nicht, aber er fühle sich wohl, meldete er.
* Alle Namen geändert
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